3

Wir aßen schweigend. Random hatte zu sprechen aufgehört, und Benedict starrte über Garnath in den Himmel. Sein Gesicht war unbewegt. Ich hatte es vor langer Zeit gelernt, sein Schweigen zu respektieren.

Schließlich nickte er und wandte sich an Random.

»Seit langem habe ich etwas Ähnliches vermutet«, stellte er fest, »aus Bemerkungen, die Vater und Dworkin im Laufe der Jahre gemacht haben. Ich hatte den Eindruck, daß es ein Ur-Muster geben müsse, das sie entweder ausfindig gemacht oder selbst geschaffen hatten, wobei sie unser Amber nur einen Schatten entfernt davon ansiedelten, damit sie auf die Kräfte des Ur-Musters zurückgreifen konnten. Ich hatte allerdings keinen Hinweis darauf mitbekommen, wie man an diesen Ort gelangt.«

Sein Blick richtete sich auf Garnath, und er machte eine typische Bewegung mit dem Kinn. »Und das hier, so meint ihr, entspricht dem, was dort geschah?«

»Sieht so aus«, erwiderte Random.

». . . und wurde hervorgerufen durch Martins Blut?«

»Ich nehme es an.«

Benedict hob den Trumpf, den Random ihm während seines Berichts übergeben hatte. Zuerst hatte Benedict nichts dazu bemerkt.

»Ja«, sagte er jetzt. »Dies ist Martin. Er besuchte mich, als er Rebma verlassen hatte. Er blieb lange bei mir.«

»Warum ist er zu dir gekommen?« wollte Random wissen.

Benedict lächelte.

»Irgendwohin mußte er doch«, gab er zurück. »Er war seiner Stellung in Rebma überdrüssig, seine Haltung gegenüber Amber war unausgeprägt, er war jung und frei und hatte gerade erst die Kräfte entdeckt, die das Muster ihm verlieh. Er wollte fort, wollte neue Dinge sehen, wollte durch die Schatten reisen – wie wir alle. Als kleinen Jungen hatte ich ihn einmal nach Avalon mitgenommen, damit er im Sommer mal über das trockene Land wandern konnte, damit er reiten lernte und sah, wie Korn geerntet wurde. Als er dann plötzlich in der Lage war, sich im Nu überallhin zu versetzen, waren seine Möglichkeiten dennoch nur auf die wenigen Orte beschränkt, die er kannte. Gewiß, er hätte sich auf der Stelle etwas erträumen und dorthin ziehen können – sich also eine Welt schaffen. Aber er wußte auch, daß er noch viel zu lernen hatte, ehe er sich sicher in den Schatten bewegen konnte. Er beschloß, zu mir zu kommen und mich zu bitten, ihn zu unterrichten. Das habe ich getan. Er hat bei mir fast ein Jahr zugebracht. Ich lehrte ihn kämpfen, machte ihn mit den Trümpfen und den Schatten bekannt und unterrichtete ihn in jenen Dingen, die ein Amberianer wissen muß, wenn er am Leben bleiben will.«

»Warum hast du das alles getan?« wollte Random wissen.

»Irgend jemand mußte es tun. Er kam zu mir, also oblag diese Pflicht mir«, erwiderte Benedict. »Nicht, daß ich den Jungen nicht gern hatte«, fügte er hinzu.

Random nickte.

»Du hast gesagt, er hätte fast ein Jahr bei dir gelebt. Was war hinterher?«

»Den Wandertrieb kennst du so gut wie ich. Kaum hatte er ein gewisses Vertrauen in seine eigenen Fähigkeiten gewonnen, da wollte er sie auch ausprobieren. Im Verlauf meines Unterrichts hatte ich ihn natürlich auf Reisen durch die Schatten mitgenommen, hatte ihn da und dort Bekannten vorgestellt. Dann aber kam die Zeit, da er seinen Weg allein gehen wollte. Eines Tages verabschiedete er sich und zog los.«

»Hast du ihn seither wiedergesehen?« fragte Random.

»Ja. Er ist immer mal wieder zurückgekehrt; er blieb eine Zeitlang und erzählte mir von seinen Abenteuern und seinen Entdeckungen. Dabei war stets von vornherein klar, daß er nur zu Besuch da war. Nach einer Weile wurde er unruhig und zog weiter.«

»Wann hast du ihn zum letztenmal gesehen?«

»Das ist nach Avalon-Zeit jetzt mehrere Jahre her und geschah unter den üblichen Umständen. Er tauchte eines Morgens auf, blieb etwa zwei Wochen lang, erzählte mir von den Dingen, die er gesehen und getan hatte, und von den vielen Dingen, die er noch tun wollte. Später reiste er ab.«

»Und seitdem hast du nicht wieder von ihm gehört?«

»Im Gegenteil. Wenn er gemeinsame Freunde besuchte, hinterließ er Nachrichten für mich. Von Zeit zu Zeit setzte er sich sogar durch meinen Trumpf mit mir in Verbindung . . .«

»Er hatte einen Satz Trümpfe?« fragte ich dazwischen.

»Ja, ich hatte ihm eines meiner Extraspiele zum Geschenk gemacht.«

»Hattest du einen Trumpf für ihn?«

Er schüttelte den Kopf.

»Bis zu diesem Augenblick hatte ich keine Ahnung, daß es einen solchen Trumpf überhaupt gibt.« Er hob die durchlöcherte Karte, blickte darauf und gab sie Random zurück. »Mir fehlt die Kunstfertigkeit, so etwas zu zeichnen. Random, hast du versucht, ihn durch diesen Trumpf zu erreichen?«

»Ja, sehr oft, seit die Karte in unserem Besitz ist. Zuletzt erst vor wenigen Minuten. Keine Reaktion.«

»Natürlich ist damit nichts bewiesen. Wenn die Ereignisse so abgelaufen sind, wie du vermutest, und er den Anschlag überlebt hat, ist er jetzt vielleicht entschlossen, alle künftigen Kontaktversuche abzublocken. Wie das geht, weiß er.«

»Sind denn die Ereignisse so gewesen, wie ich vermute? Weißt du mehr darüber?«

»Ich habe da so eine Ahnung«, sagte Benedict. »Weißt du, er ist vor einigen Jahren verwundet bei einem Freund in den Schatten aufgetaucht. Es handelte sich um eine Wunde, die auf einen Messerstich zurückzuführen war. Mir wurde berichtet, er sei in ziemlich schlechtem Zustand gewesen und habe nicht im einzelnen berichtet, woher er die Wunde hatte. Er blieb ein paar Tage lang, bis er wieder mobil war, und verschwand, bevor er sich richtig erholt hatte. Das war das letzte, was die Freunde von ihm gehört haben. Und ich auch.«

»Warst du denn nicht neugierig?« fragte Random. »Hast du nicht nach ihm gesucht?«

»Natürlich war ich neugierig. Das bin ich auch immer noch. Aber ein Mann hat das Recht, sein eigenes Leben zu leben, ohne daß sich Verwandte einmischen, so gut ihre Absichten auch sein mögen. Er hatte die Krise überwunden und machte nicht den Versuch, sich mit mir in Verbindung zu setzen. Anscheinend wußte er, was er wollte. Er ließ mir durch die Tecys ausrichten, ich solle mir keine Sorgen machen, wenn ich von dem Ereignis hörte, er wisse schon, was er tue.«

»Die Tecys?« fragte ich.

»Richtig. Das sind Freunde von mir in den Schatten.«

Ich verschluckte die Worte, die mir in den Sinn kamen. Ich hatte diese Familie für einen Teil von Daras Geschichte gehalten, in der sie die Wahrheit in anderer Hinsicht oft genug völlig verdreht hatte. Sie hatte zu mir von den Tecys gesprochen, als wären sie ihr bekannt, als hätte sie bei ihnen gewohnt – mit Benedicts Wissen. Es schien mir jedoch nicht der richtige Augenblick zu sein, ihm von meiner Vision tags zuvor in Tir-na Nog´th zu erzählen und von den Dingen, die dabei über seine Beziehung zu dem Mädchen angedeutet worden waren. Ich hatte noch nicht die Zeit gehabt, mich mit dieser Frage und den sich daraus ergebenden Folgerungen auseinanderzusetzen.

Random stand auf, wanderte hin und her, blieb in der Nähe des Abgrunds stehen. Er hatte sich abgewandt, seine Hände waren auf dem Rücken krampfartig verschränkt. Nach kurzem Zögern drehte er sich um und kehrte zurück.

»Wie können wir uns mit den Tecys in Verbindung setzen?« fragte er Benedict.

»Überhaupt nicht«, erwiderte dieser. »Es sei denn, du besuchst sie.«

Random wandte sich an mich.

»Corwin, ich brauche ein Pferd. Du sagst, Star hätte schon einige Höllenritte hinter sich . . .«

»Er hat einen anstrengenden Vormittag gehabt . . .«

»Na, so anstrengend nun auch wieder nicht. Das meiste war doch Angst. Er scheint sich wieder beruhigt zu haben. Leihst du ihn mir?«

Ehe ich antworten konnte, drehte er sich zu Benedict um.

»Du führst mich doch hin, ja?«

Benedict zögerte. »Ich weiß nicht, was es da noch mehr zu erfahren gäbe . . .«, meinte er.

»Mir ist alles wichtig! Alles, woran sie sich erinnern – vielleicht an etwas, das sie damals nicht für wichtig hielten, das im Rahmen unseres heutigen Wissens aber sehr wichtig ist.«

Benedict sah mich an. Ich nickte.

»Er kann Star nehmen, wenn du bereit bist, ihn zu führen.«

»Na schön«, sagte Benedict und stand auf. »Ich hole mein Reittier.«

Er drehte sich um und näherte sich einem großen Schecken, der hinter uns angebunden war.

»Vielen Dank, Corwin«, sagte Random.

»Du kannst mir deinerseits einen Gefallen erweisen.«

»Welchen?«

»Leih mir Martins Trumpf.«

»Wozu denn?«

»Mir ist da eben ein Gedanke gekommen – zu kompliziert, um ihn jetzt zu erklären; du willst ja gleich aufbrechen. Schaden kann er jedenfalls nicht.« Er biß sich auf die Unterlippe.

»Na schön. Wenn du damit fertig bist, will ich ihn aber zurück.«

»Selbstverständlich.«

»Hilft uns das bei der Suche nach ihm?«

»Vielleicht.«

Er reichte mir die Karte.

»Kehrst du jetzt in den Palast zurück?« wollte er wissen.

»Ja.«

»Kannst du dann Vialle sagen, was geschehen ist und wohin ich geritten bin? Sie macht sich sonst Sorgen.«

»Klar.«

»Ich passe gut auf Star auf.«

»Das weiß ich. Viel Glück.«

»Danke.«


Ich ritt auf Feuerdrache. Ganelon ging neben mir zu Fuß; er hatte darauf bestanden. Wir folgten dem Weg, auf dem ich am Tage der Schlacht Dara in die Stadt verfolgt hatte. Abgesehen von den kürzlichen Entwicklungen war es vermutlich dieser Umstand, der mich erneut an sie denken ließ. Ich entstaubte meine Gefühle, betrachtete sie gründlich und erkannte, daß mich mehr als reine Neugier zu ihr hinzog – trotz der Spielchen, die sie mit mir getrieben hatte, trotz der Morde, an denen sie zweifellos beteiligt war, trotz ihrer klar ausgesprochenen Pläne mit unserer Welt. Im Grunde überraschten mich diese Empfindungen nicht. Als ich das letztemal in der Kaserne meiner Emotionen Überraschungsvisite hielt, hatten die Dinge schon ähnlich gestanden. Nun stellte ich mir die Frage, wie wahrheitsgemäß denn meine Vision der letzten Nacht gewesen sein mochte, in der ihre mögliche Abkunft von Benedict behauptet worden war. Es gab tatsächlich eine gewisse äußerliche Ähnlichkeit, und ich war mehr als halb überzeugt, daß da eine Verbindung bestand. In der Gespensterstadt hatte Benedict dem auch gewissermaßen zugestimmt, den seltsamen neuen Arm erhebend, um sie zu verteidigen . . .

»Was findest du denn so komisch?« fragte Ganelon links neben mir.

»Der Arm«, sagte ich, »der mir in Tir-na Nog´th zugeflogen ist – ich habe mir Gedanken gemacht über eine verborgene Bedeutung, eine ungeahnte Schicksalskraft dieses Gebildes, das immerhin aus einer Welt des Rätsels und der Träumerei zu uns gekommen ist. Dabei hat es nicht einmal diesen Tag überstanden. Als Iago vom Muster vernichtet wurde, blieb nichts zurück. Die Visionen des ganzen Abends sind im Nichts versunken.«

Ganelon räusperte sich.

»Nun, ganz so, wie du offenbar annimmst, war es doch nicht«, sagte er.

»Was soll das heißen?«

»Der Metallarm befand sich nicht in Iagos Satteltasche. Random hat ihn bei dir verstaut. Dort waren vorher die Rationen; nachdem wir gegessen hatten, tat er die Utensilien in seine eigene Tasche, nicht aber den Arm. Dazu reichte der Platz nicht.«

»Oh«, sagte ich. »Dann ist also . . .«

Ganelon nickte.

». . . Er hat das Ding jetzt bei sich«, schloß er.

»Den Arm und Benedict. Verdammt! Dem Ding kann ich wirklich keine Liebe entgegenbringen. Es wollte mich töten. Bis jetzt ist in Tir-na Nog´th noch niemand angegriffen worden.«

»Aber Benedict, Benedict ist doch in Ordnung. Er steht auf unserer Seite, auch wenn ihr im Augenblick leichte Differenzen habt, stimmt´s?«

Ich antwortete nicht.

Er hob die Hand, packte Feuerdrache am Zügel und ließ ihn anhalten. Dann starrte er zu mir empor.

»Corwin, was war da oben eigentlich los? Was hast du erfahren?«

Ich zögerte. Ja, was hatte ich in der Stadt am Himmel erfahren? Niemand wußte, was eigentlich hinter den Visionen von Tir-na Nog´th steckte. Durchaus möglich, daß dieser Ort, wie wir manchmal vermuteten, den Zweck hatte, den unausgesprochenen Wünschen und Ängsten des einzelnen Gestalt zu verleihen und sie vielleicht mit unterbewußten Mutmaßungen zu vermengen. Schlußfolgerungen und einigermaßen gründlich durchdachte Vermutungen zu äußern, das ging noch an. Verdachtsmomente aber, die aus dem Unbekannten erwuchsen, sollte man lieber für sich behalten. Allerdings war der Arm denkbar solide . . .

»Ich habe dir doch schon erzählt«, sagte ich, »daß ich den Arm einem Gespenst Benedicts abgenommen habe. Du kannst dir denken, daß wir miteinander gekämpft haben.«

»Siehst du das als Omen, daß du und Benedict irgendwann in Konflikt geratet?«

»Vielleicht.«

»Dir wurde doch ein Grund dafür gezeigt, oder?«

»Na schön«, sagte ich und seufzte, ohne daß ich es gewollt hätte. »Ja. Es kam der Hinweis, daß Dara tatsächlich mit Benedict verwandt ist – was ja durchaus stimmen kann. Und wenn es stimmt, wäre es auch denkbar, daß er es gar nicht weiß. Deshalb halten wir in dieser Sache den Mund, bis wir eine Bestätigung haben – so oder so. Verstanden?«

»Natürlich. Aber wie wäre so etwas möglich?«

»Na, wie sie gesagt hat.«

»Urenkelin?«

Ich nickte.

»Durch wen?«

»Das Höllenmädchen, das wir nur vom Hörensagen kennen – Lintra, die Dame, die ihn den Arm gekostet hat.«

»Aber der Kampf hat doch erst kürzlich stattgefunden!«

»In den verschiedenen Reichen der Schatten strömt die Zeit unterschiedlich schnell dahin, Ganelon. In den ferneren Zonen . . . Unmöglich wäre es nicht.«

Er schüttelte den Kopf und ließ die Zügel los.

»Corwin, ich bin der Meinung, Benedict sollte informiert werden«, fuhr er fort. »Wenn es stimmt, solltest du ihm eine Chance geben, sich darauf vorzubereiten, anstatt ihn die Wahrheit überraschend entdecken zu lassen. Eure Familie ist manchmal dermaßen unfruchtbar, daß Vaterschaft euch offenbar mehr zu schaffen macht als anderen. Sieh dir Random an. Jahrelang hat er sich nicht um seinen Sohn gekümmert, und jetzt . . . Ich habe so ein Gefühl, als würde er sein Leben für ihn riskieren.«

»Ich auch«, sagte ich. »Jetzt vergiß aber mal die erste Hälfte deines Satzes und denk dir die zweite noch einen Schritt weiter - bei Benedict.«

»Meinst du, er würde sich auf Daras Seite gegen Amber stellen?«

»Ich vermeide es lieber, ihn vor diese Alternative zu stellen, indem ich ihn gar nicht erst wissen lasse, daß es sie gibt – wenn es sie gibt.«

»Damit tust du ihm meiner Meinung nach keinen Gefallen. Er ist doch wohl kaum ein emotionaler Krüppel. Melde dich bei ihm durch den Trumpf und teile ihm deinen Verdacht mit. Auf diese Weise kann er wenigstens darüber nachdenken und wäre bei einer plötzlichen Konfrontation nicht unvorbereitet.«

»Er würde mir doch nicht glauben. Du hast selbst gesehen, wie er sich anstellt, wenn ich Dara nur erwähne.«

»Das allein mag schon bedeutsam sein. Möglicherweise ahnt er, was geschehen ist, und weist es so vehement von sich, weil er die Dinge lieber anders hätte.«

»Im Augenblick würde ich damit nur einen Riß erweitern, den ich gerade übertünchen will.«

»Dein Schweigen kann später aber zu einem völligen Bruch führen, sobald er die Wahrheit herausfindet.«

»Nein. Ich glaube, ich kenne meinen Bruder besser als du.«

Er ließ die Zügel los.

»Na schön«, sagte er. »Ich hoffe, daß du recht hast.«

Ich antwortete nicht, sondern gab Feuerdrache von neuem die Sporen. Zwischen uns bestand das unausgesprochene Einverständnis, daß Ganelon mich alles fragen konnte, was er wollte; ebenso selbstverständlich war es, daß ich mir die Ratschläge anhörte, die er zu geben hatte. Dies lag zum Teil daran, daß seine Stellung wohl einzigartig war. Wir beide waren nicht miteinander verwandt. Er war kein Amberianer. In die Machtkämpfe und Probleme Ambers war er durch eigene Entscheidung verwickelt. Vor langer Zeit waren wir Freunde und dann Feinde gewesen, und seit kurzem wieder Freunde und Verbündete in seiner Wahlheimat. Als diese Angelegenheit geklärt war, hatte er mich gebeten, mich begleiten zu dürfen; er wolle mir in meinen und den Angelegenheiten Ambers helfen. Meiner Auffassung nach schuldete er mir nichts, und dasselbe galt umgekehrt – wenn man solche Dinge überhaupt dermaßen aufrechnen will. So kettete uns allein die Freundschaft aneinander – eine kräftigere Bindung als alle Schulden und Ehrenerklärungen: mit anderen Worten, eine Basis, die ihm das Recht gab, mir in solchen Dingen auch einmal auf die Nerven zu gehen, in Dingen, da ich, nachdem meine Meinung feststand, vielleicht sogar Random zum Teufel geschickt hätte. Ich machte mir klar, daß ich mich eigentlich nicht aufregen durfte, solange er seine Bemerkungen in gutem Glauben machte. Wahrscheinlich handelte es sich um ein altes militärisches Gefühl, das mit unserer ersten Zusammenarbeit wie auch mit dem augenblicklichen Stand der Dinge zusammenhing: Ich mag es nicht, wenn man meine Entscheidungen und Befehle in Zweifel zieht. Noch mehr, so schloß ich, ärgerte mich wahrscheinlich die Tatsache, daß er in letzter Zeit etliche vernünftige Mutmaßungen angestellt und darauf logische Vorschläge aufgebaut hatte – Dinge, von denen ich meinte, daß ich darauf hätte selbst stoßen müssen. Niemand gesteht gern eine Ablehnung ein, die auf solchen Dingen beruht. Trotzdem . . . war das wirklich alles? Eine einfache Projektion der Unzufriedenheit wegen einigen Momenten persönlicher Unzulänglichkeit? Ein alter soldatischer Reflex hinsichtlich der Heiligkeit meiner Entscheidungen? Oder plagte mich etwas, das viel tiefer saß und das jetzt erst an die Oberfläche drängte?

»Corwin«, sagte Ganelon, »ich habe nachgedacht . . .«

Ich seufzte.

»Ja.«

». . . über Randoms Sohn. So wie eure Familie gesundet, würde ich es für möglich halten, daß er den Anschlag überlebt hat und sich irgendwo aufhält.«

»Das möchte ich auch gern glauben.«

»Sei nicht zu voreilig.«

»Was meinst du damit?«

»Soweit ich mitbekommen habe, hatte er keinen großen Kontakt zu Amber und zum Rest der Familie; schließlich ist er in Rebma ziemlich für sich aufgewachsen.«

»Ja, so hat man es mir auch berichtet.«

»Ich möchte sogar meinen, daß er außer mit Benedict – und Llewella aus Rebma – anscheinend nur mit einer anderen Person Kontakt hatte, der Person, die ihn zu erstechen versuchte – Bleys, Brand oder Fiona. Nun habe ich mir überlegt, daß er vermutlich eine ziemlich verzerrte Einstellung zur Familie hat.«

»Verzerrt mag sein Bild von uns sein«, sagte ich, »aber doch nicht ohne Grund, wenn ich verstehe, worauf du hinauswillst.«

»Ich glaube schon, daß du mich verstehst. Immerhin denkbar, daß er nicht nur Angst vor der Familie hat, sondern sich vielleicht auch an euch allen rächen will.«

»Denkbar wär´s«, sagte ich.

»Glaubst du, er könnte sich mit dem Gegner zusammengetan haben?« Ich schüttelte den Kopf.

»Nicht wenn er weiß, daß diese Wesen Handlanger der Gruppe sind, die ihn hat töten wollen.«

»Aber sind sie das wirklich? Ich mache mir so meine Gedanken . . . Du sagst, Brand hätte Angst bekommen und wollte raus aus dem Arrangement, das mit der Bande von der schwarzen Straße bestand. Wenn diese Wesen so mächtig sind, muß ich mich fragen, ob Fiona und Bleys nicht vielleicht deren Werkzeuge geworden sind. Wenn das so wäre, könnte ich mir vorstellen, daß Martin auf etwas aus ist, das ihm Macht über sie verleiht.«

»Das ist zu raffiniert gedacht«, stellte ich fest.

»Der Gegner scheint sehr viel über dich zu wissen.«

»Gewiß, aber er hatte auch eine Gruppe von Verrätern an der Hand, die ihm Informationen zugespielt hat.«

»Können diese Leute all das verraten haben, was Dara deinen Worten nach wußte?«

»Eine gute Frage«, sagte ich. »Aber auf eine Antwort kann ich mich nicht festlegen.« Dabei war die Sache mit den Tecys ganz klar; trotzdem beschloß ich, die Information zunächst zu verschweigen, um festzustellen, worauf er hinauswollte; es hatte keinen Sinn, das Gespräch jetzt in eine neue Richtung zu lenken. Also sagte ich: »Martin war doch wohl kaum in der Lage, dem Gegner viel über Amber zu verraten.«

Ganelon schwieg einen Augenblick lang und fragte: »Hattest du Gelegenheit, dich um die Frage zu kümmern, die ich dir neulich abend vor deinem Grabmal gestellt habe?« fragte er schließlich.

»Welche Frage?«

»Ob man die Trümpfe abhorchen kann«, sagte er. »Nachdem wir nun wissen, daß Martin ein Spiel hatte . . .«

Nun lag es an mir, den Mund zu halten, während eine kleine Familie von Erlebnismomenten meinen Pfad kreuzte, im Gänsemarsch, von links kommend, mir die Zunge herausstreckend.

»Nein«, sagte ich dann. »Darum habe ich mich noch nicht kümmern können.«

Wir legten eine ziemlich weite Strecke zurück, ehe er sagte: »Corwin, die Nacht, in der du Brand zurückholtest . . .«

»Ja?«

»Du hast gesagt, du hättest dich um jeden einzelnen gekümmert bei dem Versuch, festzustellen, wer dich erdolchen wollte, und daß eigentlich keines deiner Geschwister die Tat in der zur Verfügung stehenden Zeit hätte bewerkstelligen können.«

»Oh«, sagte ich. »Oh.«

Er nickte.

»Jetzt mußt du einen weiteren Verwandten in deine Überlegungen einbeziehen. Vielleicht fehlt ihm die Finesse der Familie nur, weil er noch jung und unerfahren ist.«

Vor meinem inneren Auge saß ich und winkte der stummen Parade von Momenten zu, die zwischen Amber und später hindurchmarschierte.

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