10

Auf dem Weg reitend, in mäßigem Tempo, Wolken verdüsterten den Himmel, und Drums Wiehern der Erinnerung oder Vorfreude . . . Eine Wende nach links und bergauf . . . Der Boden braun, gelb, zurück zum Braun . . . Die Bäume ducken sich, wandern auseinander . . . Grasflächen wogen dazwischen im aufkommenden kühlen Wind . . . Ein schnell aufzuckendes Feuer am Himmel . . . Ein Donnergrollen schüttelt Regentropfen los . . .

Jetzt steil und felsig . . . Der Wind zupft an meinem Mantel . . . Hinauf . . . Hinauf an einen Ort, da die Felsen mit Silber durchzogen sind und die Bäume ihre Grenze gefunden haben . . . Die Grasflächen, grüne Brände, ersterben im Regen . . . Hinauf in die schroffen, funkelnden, regensauberen Höhen, wo die Wolken wie ein schlammiger Fluß bei Hochwasser dahinwallen . . . Der Regen schmerzt wie Schrotkörner, der Wind räuspert sich, will lossingen . . . Immer weiter steigen wir empor, und die Anhöhe kommt in Sicht wie der Kopf eines aufgeschreckten Bullen, mit Hörnern, die den Weg bewachen . . . Blitze zucken um die Spitzen, tanzen dazwischen . . . Der Ozongeruch, als wir diesen Ort erreichen und weiterstürmen, der Regen plötzlich gestoppt, der Wind abgelenkt . . .

Hinaus auf die andere Seite . . . Dort gibt es keinen Regen, die Luft steht still, der Himmel ist glatt und von einem sternenübersäten Schwarz . . . Meteore schneiden brennend ihre Bahn, verblassen zu vagen Narben, die immer mehr ausbleichen . . . Monde, wie eine Handvoll Münzen hingeworfen . . . Drei helle Zehner, ein matter Fünfziger, einige Pfennige, davon einer dunkel und zerkratzt . . . Nun hinab auf dem langen gewundenen Weg . . . Klare, metallisch klingende Hufschläge in der nächtlichen Luft . . . Irgendwo ein katzenhaftes Fauchen . . . Ein dunkler Umriß vor einem kleinen Mond, zerrissen, schnell . . .

Abwärts . . . Zu beiden Seiten senkt sich das Land . . . Tief unten Dunkelheit . . . Ritt auf einer unendlich hohen gekrümmten Mauer, der Weg hell im Mondlicht . . . Der Weg krümmt sich, faltet sich, wird durchsichtig . . . Gleich darauf treibt er gazehaft, durchsichtig dahin, Sterne darunter wie darüber . . . Sterne zu beiden Seiten . . . Land ist nicht mehr zu sehen. Nur die Nacht ist noch vorhanden, die Nacht und der dünne, durchscheinende Weg, auf dem ich zu reiten versucht hatte, um zu wissen, wie es sich anfühlte – so etwas konnte später einmal nützlich sein . . .

Es ist jetzt absolut still, und jeder Bewegung haftet die Illusion der Langsamkeit an . . . Allmählich fällt der Weg unter mir fort, und wir bewegen uns dahin, als schwämmen wir in unvorstellbarer Tiefe unter Wasser, als wären die Sterne helle Fische . . . Die Freiheit, die Macht des Höllenritts vermittelt mir ein Hochgefühl, das nichts und doch alles mit der Tollkühnheit zu tun hat, wie sie einen manchmal im Kampf überkommt, die Kühnheit des Risikos, das Gefühl des Rechthabens, das sich einstellt, sobald man für einen Vers das richtige Wort gefunden hat . . . Diese Empfindungen erfüllen mich, und der Anblick der Umgebung – reitend, reitend, reitend – vielleicht aus dem Nichts in das Nichts, über und zwischen den Mineralien und Feuern der Leere, frei von Erde und Luft und Wasser . . .

Wir rasen mit einem großen Meteor um die Wette, wie berühren seine Masse . . . Wir hasten über seine narbige Oberfläche, herum und wieder hoch . . . Er dehnt sich zu einer großen Ebene, wird heller, gelber . . .

Sand ist es, Sand unter unserer Bewegung . . . Die Sterne verblassen, als sich die Dunkelheit in einem Morgen voller Sonnenaufgang auflöst . . . Schattenbahnen vor uns, darin Wüstenbäume . . . Auf die Dunkelheit zureiten . . . hindurchbrechen . . . Helle Vögel schwingen sich empor, kehren klagend zurück . . .

Zwischen den dichter stehenden Bäumen hindurch . . . Dunkler nun der Boden, enger der Weg . . . Palmenwedel schrumpfen auf Handgröße, Baumrinde wird dunkler . . . Eine Wende nach rechts, wo der Weg breiter wird . . . Unsere Hufe locken Funken aus Basaltsteinen . . . Der Weg vergrößert sich weiter, wird zu einer baumgesäumten Straße . . . winzige Reihenhäuser zucken vorbei . . . Helle Fensterläden, marmorne Treppen, bunte Türen und farbige Sonnenblenden zwischen Plattenwegen . . . Wir überholen einen Pferdewagen mit frischem Gemüse . . . zu Fuß gehende Menschen drehen sich um, starren uns nach . . . Leises Stimmengemurmel . . .

Weiter . . . Unter einer Brücke hindurch . . . Am Bach entlang, bis er sich zu einem Fluß verbreitert, der zum Meer führt . . .

Mit pochenden Hufen über den Strand unter einem zitronenfarbenen Himmel mit blauen Wolken . . . Das Salz, das Wrack, die Muscheln, die glatte Anatomie des angeschwemmten Holzes . . . Weiße Fische auf dem limonengrünen Meer . . .

Im Galopp zu der Stelle, da die Welt des Wassers an einer Erhebung endet . . . Hinauf, jede Stufe hinter uns abbröckelnd und in die Tiefe dröhnend, ihre Identität verlierend, im Brausen der Brandung untergehend . . . Hinauf, hinauf, auf die flache, baumbestandene Ebene, auf der eine goldene Stadt wie eine Vision schimmert . . .

Die Stadt wächst, wird dunkler unter einem schattenhaften Regenschirm, die grauen Türme recken sich empor, Glas und Metall blitzen hell durch das Zwielicht . . . Die Türme beginnen zu schwanken . . .

Als wir vorbeireiten, sinkt die Stadt lautlos in sich zusammen . . . Türme stürzen ein, Staub wallt auf, wird durch eine tiefstehende Lichtquelle rosa angestrahlt . . . Ein leises Geräusch wie von einer ausgelöschten Kerze . . .

Ein Staubsturm, schnell aufgekommen, wird von Nebel abgelöst . . . Durch das Nichts der Lärm von Autohupen . . . Ein Dahintreiben, ein Anheben, ein Bruch in den grauweißen perligen Wolken . . . Unsere Hufabdrücke auf dem Bankett einer Autobahn . . . Nach rechts endlose Reihen von Fahrzeugen . . . Perlweiß, grauweiß, von neuem treibend . . .

Richtungslose Schreie und Klagelaute . . . Wirre Lichtreflexe . . .

Wieder emporsteigend . . . Der Nebel senkt sich, wogt fort . . . Gras, Gras, Gras . . . Klar ist jetzt der Himmel und angenehm blau . . . Eine Sonne, die ihrem Untergang entgegenstürmt . . . Vögel . . . Eine Kuh auf der Weide, starrend und kauend . . .

Einen Holzzaun überspringen, dann auf einer Landstraße dahinreiten . . . Ein plötzlicher Kältehauch hinter dem Hügel . . . Die Gräser sind trocken, und Schnee liegt auf dem Boden . . . Ein Bauernhaus mit Blechdach auf einer Anhöhe, darüber ein Rauchkringel . . .

Weiter . . . Die Hügel wachsen empor, die Sonne rollt hinab, zieht Dunkelheit hinter sich her . . . Ein Spritzer Sterne . . . Hier ein Haus, weit zurückgesetzt . . . Dort ein anderes, die lange Auffahrt zieht sich zwischen alten Bäumen dahin . . . Scheinwerfer . . .

An den Straßenrand . . . Zügel anziehen und den Wagen vorbeilassen . . .

Ich wischte mir die Stirn, klopfte Ärmel und Hemdbrust ab. Dann tätschelte ich Drum den Hals. Das entgegenkommende Fahrzeug fuhr langsamer, und ich sah den Fahrer, der mich anstarrte. Ich bewegte vorsichtig die Zügel, und Drum setzte sich langsam in Bewegung. Der Wagen wurde gestoppt, und der Fahrer rief mir etwas nach, doch ich ließ das Tier weitergehen. Sekunden später hörte ich ihn anfahren.

Ab hier war es eine Landstraße. Ich ließ Drum in gemäßigtem Schritt gehen, wobei wir immer wieder an vertrauten Kennzeichen vorbeikamen, die mich an früher erinnerten. Einige Meilen weiter erreichte ich eine breitere, bessere Straße. Ich bog ab, hielt mich rechts. Die Temperatur nahm weiter ab, doch die kalte Luft fühlte sich angenehm und frisch an. Ein schmaler Mond zeigte sich über den Bergen zu meiner Linken. Einige kleine Wolken zogen am Himmel dahin, vom Mondlicht sanft angestrahlt. Wind gab es kaum, ab und zu rührten sich die Äste, das war alles. Nach einer Weile erreichte ich eine Reihe von Dellen in der Straße, die mir verrieten, daß ich fast am Ziel war.

Eine Kurve und noch ein paar Vertiefungen . . . Ich erblickte den Felsbrocken neben der Einfahrt. Ich las meine Anschrift darauf.

Nun zog ich die Zügel an und blickte den Hang hinauf. In der Einfahrt stand ein Lieferwagen, im Haus brannte Licht. Ich führte Drum über ein Feld zu einer Baumgruppe. Ich band ihn hinter einigen Tannen an und rieb ihm den Hals und sagte, es würde nicht lange dauern.

Dann kehrte ich zur Straße zurück. Keine Wagen in Sicht. Ich überquerte die Fahrbahn und ging auf der anderen Seite die Auffahrt hinauf, wobei ich hinter dem geparkten Auto vorbeikam. Das Licht brannte im Wohnzimmer weiter rechts. Ich ging links ums Haus herum.

Als ich die Veranda erreichte, blieb ich stehen und sah mich um. Irgend etwas stimmte nicht.

Der Hof hatte sich verändert. Zwei altersschwache Gartenstühle waren fort – ebenso das uralte Hühnerhaus, an dem diese Stühle gelehnt hatten und das ich aus Zeitmangel hatte stehen lassen. Als ich das letztemal hier durchkam, war beides noch vorhanden gewesen. Außerdem waren drei alte Äste verschwunden, die hier herumgelegen hatten, und ein Haufen altes Feuerholz, das ich mir vor langer Zeit zurechtgehackt hatte.

Der Komposthaufen fehlte ebenfalls.

Ich näherte mich der Stelle, wo er gewesen war. Vor mir sah ich einen unregelmäßigen Flecken nackter Erde, der etwa die Form des Haufens hatte.

Während ich mich auf das Juwel einstimmte, hatte ich festgestellt, daß ich seine Gegenwart erspüren konnte. Nun schloß ich die Augen und versuchte mich darauf zu konzentrieren.

Nichts.

Ich sah mich noch einmal gründlich um, doch nirgendwo blitzte es verräterisch auf. Nicht daß ich etwas zu finden erwartet hätte, nachdem ich schon vorher nichts gespürt hatte . . .

Der erleuchtete Raum hatte keine Gardinen. Als ich mir das Haus genauer ansah, fiel mir auf, daß überall die Läden oder Rouleaus fehlten. Folglich . . .

Ich ging um die Ecke. Vorsichtig näherte ich mich dem hellen Fenster und warf einen schnellen Blick hinein. Planen deckten den größten Teil des Bodens ab. Ein Mann mit Mütze und Overall strich die gegenüberliegende Wand.

Kein Wunder.

Ich hatte Bill gebeten, das Haus zu verkaufen. Die erforderlichen Papiere hatte ich unterzeichnet, während ich in der hiesigen Klinik lag, nachdem ich im Anschluß an den Mordversuch in mein altes Zuhause versetzt worden war – möglicherweise durch Einwirken des Juwels. Das alles mußte nach hiesiger Zeit Monate zurückliegen, wenn ich den Zeitumrechnungsfaktor von etwa zweieinhalb zu eins zugrundelegte, wie er zwischen Erde und Amber anzuwenden war, einschließlich der acht Tage, die mich die Höfe des Chaos gekostet hatten. Natürlich hatte Bill meiner Bitte entsprochen. Allerdings war das Haus in schlechtem Zustand, nachdem es mehrere Jahre lang leer gestanden hatte. Einbrecher hatten sich Zugang verschafft . . . Neue Scheiben waren erforderlich, das Dach mußte teilweise erneuert werden, ebenso die Regenrinnen und der Außenanstrich. Und es gab viel Unrat wegzuschaffen, draußen ebenso wie aus dem Inneren . . .

Ich wandte mich ab und ging über den vorderen Hang zur Straße hinab. Dabei dachte ich daran, wie ich diesen Weg beim letztenmal zurückgelegt hatte, halb im Delirium, auf Händen und Knien, mit einer blutenden Wunde in der Seite. Damals war es viel kälter gewesen; es schneite auf eine dichte Schneedecke. Ich ging an der Stelle vorbei, wo ich gesessen und mit dem Kissenbezug einen Wagen anzuhalten versucht hatte. Noch deutlich hatte ich jene Fahrzeuge in Erinnerung, die vorbeigefahren waren.

Ich überquerte die Straße und ging über das Feld zu den Bäumen. Dort machte ich Drum los und stieg auf.

»Wir müssen noch ein Stück weiter«, sagte ich zu ihm. »Allerdings nicht sehr weit.«

Wir kehrten zur Straße zurück, bogen darauf ein und passierten mein Grundstück. Hätte ich Bill nicht gesagt, er könnte das Haus verkaufen, wäre der Komposthaufen noch an Ort und Stelle, und das Juwel wäre auch noch hier. Schon hätte ich auf dem Rückweg nach Amber sein können, den rötlichen Stein um den Hals, bereit, die Schritte einzuleiten, die nun getan werden mußten. Statt dessen mußte ich mich auf die Suche danach machen, in einem Augenblick, da ich das Gefühl hatte, daß die Zeit wieder einmal knapp wurde. Wenigstens hatte ich hier einen günstigen Zeitlauf-Faktor in Relation zu Amber. Ich schnalzte mit der Zunge und schüttelte die Zügel. Trotzdem durfte ich keine Minute verschwenden.

Eine halbe Stunde später war ich in der Stadt und ritt durch eine ruhige Wohnstraße. Bei Bill brannte Licht. Ich bog in seine Auffahrt ein und stellte Drum auf dem Hinterhof ab.

Alice antwortete auf mein Klopfen, starrte mich einen Augenblick lang an und sagte dann: »Mein Gott! Carl!«

Minuten später saß ich mit Bill im Wohnzimmer, einen Drink in Reichweite. Alice war in der Küche, nachdem sie den Fehler begangen hatte, mich zu fragen, ob ich etwas essen wollte.

Bill zündete sich eine Pfeife an und musterte mich.

»Dein Kommen und Gehen sind nach wie vor sehr interessant«, stellte er fest.

Ich lächelte.

»Zweckmäßigkeit ist alles.«

»Die Schwester in der Klinik . . . kaum jemand hat ihre Geschichte geglaubt.«

»Kaum jemand?«

»Die Minderheit, die ich damit meine – das bin ich natürlich.«

»Was hat sie denn erzählt?«

»Sie behauptete, du seist in die Mitte des Zimmers gegangen und wärst plötzlich zweidimensional geworden und verblaßt, wobei sie alle Farben des Regenbogens gesehen hätte.«

»Eine solche Beobachtung kann auch auf Grünen Star hindeuten. Sie sollte sich ihre Augen untersuchen lassen.«

»Ich bitte dich, Carl. Sie ist völlig in Ordnung. Das weißt du auch.«

Ich lächelte und hob mein Glas.

»Und du«, sagte er, »siehst aus wie eine gewisse Spielkarte, von der ich einmal sprach. Komplett mit Schwert. Was ist los, Carl?«

»Die Sache ist noch immer kompliziert. Sogar noch komplizierter als bei unserem letzten Gespräch.«

»Womit du sagen willst, daß du mir die große Erklärung noch immer nicht geben kannst?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Du hast dir eine kostenlose Rundreise durch meine Heimat verdient, wenn alles vorbei ist«, sagte ich. »Das heißt, wenn ich dann noch eine Heimat habe. Im Augenblick stellt die Zeit fürchterliche Dinge an.«

»Wie kann ich dir helfen?«

»Gib mir bitte Informationen. Mein altes Haus. Wer ist der Bursche, durch den du es instandsetzen läßt?«

»Ed Wellen. Bauunternehmer aus dem Ort. Ich glaube, du kennst ihn sogar. Hat er dir nicht mal eine Dusche eingebaut oder so?«

»Ja, ja richtig . . . Ich erinnere mich.«

»Er hat sich inzwischen ziemlich vergrößert. Hat große Maschinen gekauft und beschäftigt mehrere Arbeiter. Ich habe die Firmengründung für ihn durchgezogen.«

»Weißt du, wen er draußen bei mir eingesetzt hat – jetzt gerade?«

»Nein. Aber ich kann es schnell herausfinden.« Er legte die Hand auf das Telefon neben sich. »Soll ich ihn anrufen?«

»Ja«, sagte ich. »Aber an der Sache hängt ein bißchen mehr. Im Grunde bin ich nur an einem Detail interessiert. Hinter dem Haus war ein Komposthaufen. Bei meinem letzten Besuch habe ich ihn noch gesehen. Jetzt ist das Ding fort. Ich muß wissen, was daraus geworden ist.«

Er legte den Kopf schief und grinste um seine Pfeife herum. »Machst du Witze?« fragte er schließlich.

»Keinesfalls«, gab ich zurück. »Als ich damals an dem Komposthaufen vorbeikroch und den Schnee mit meinem kostbaren Lebenssaft zierte, habe ich etwas darin versteckt. Das muß ich jetzt zurückhaben.«

»Und worum handelt es sich?«

»Um einen Rubinanhänger.«

»Von unschätzbarem Wert?«

»Richtig.«

Er nickte langsam.

»Wenn nicht gerade du dort säßest, würde ich sagen, jemand will mich auf den Arm nehmen«, sagte er. »Ein Schatz in einem Komposthaufen . . . Ein Familienerbstück?«

»Ja. Vierzig oder fünfzig Karat. Einfache Fassung. Schwere Kette.«

Er nahm die Pfeife aus dem Mund und stieß einen leisen Pfiff aus.

»Dürfte ich fragen, warum du das Ding dort versteckt hast?«

»Hätte ich es nicht getan, wäre ich jetzt tot.«

»Das ist ein guter Grund.«

Wieder griff er nach dem Telefon.

»Wir haben bereits einen Interessenten für das Haus«, bemerkte er dabei. »Das ist sehr gut, da ich noch gar nicht annonciert hatte. Ein Bursche, der irgendwoher Wind von dem Verkauf bekommen hatte. Ich habe ihn heute morgen herumgeführt. Er will sich´s überlegen. Vielleicht finden wir ziemlich schnell einen Käufer.«

Er begann zu wählen.

»Moment!« sagte ich. »Erzähl mir von ihm!«

Er legte den Hörer wieder auf und sah mich an.

»Hagerer Bursche«, sagte er. »Rothaarig, mit Bart. Sagte, er sei Künstler. Sucht ein Haus auf dem Lande.«

»Dieser Schweinehund!« sagte ich im gleichen Augenblick, als Alice mit einem Tablett ins Zimmer kam.

Sie schnalzte tadelnd mit der Zunge und stellte mir lächelnd das Essen hin.

»Hamburger und ein paar Salatreste«, sagte sie. »Nur eine Kleinigkeit.«

»Vielen Dank. Ich hatte schon mit dem Gedanken gespielt, mir mein Pferd zu braten. Wäre mir wohl übel bekommen.«

»Ich kann mir außerdem nicht vorstellen, daß das Tier. glücklich darüber gewesen wäre. Guten Appetit!« Mit Worten kehrte sie in die Küche zurück.

»War der Komposthaufen noch dort, als du dem Mann das Haus gezeigt hast?« fragte ich.

Bill schloß die Augen und runzelte die Stirn.

»Nein«, sagte er gleich darauf. »Der Hof war schon freigeräumt worden.«

»Das ist ja wenigstens etwas«, erwiderte ich und begann zu essen.

Nun erledigte er den Anruf, was mehrere Minuten dauerte. Ich bekam das Wesentliche mit, indem ich seinen Worten lauschte; trotzdem hörte ich mir anschließend die ganze Geschichte noch einmal ruhig an, während ich den Teller abräumte und mein Glas leerte.

»Es gefiel ihm nicht, guten Kompost zu verschwenden«, berichtete Bill. »Erst vor ein paar Tagen hat er den Haufen in seinen Kleinlaster umgeladen und auf seinen Hof gebracht. Dort hat er das Zeug auf einem Areal abgeladen, das er kultivieren möchte. Er hatte noch nicht mal Zeit, das Zeug zu verteilen. Er sagt, ihm wäre kein Schmuckstück aufgefallen, aber natürlich hat er´s auch übersehen können.«

Ich nickte.

»Wenn ich mir mal eine Taschenlampe ausborgen könnte, schaue ich gleich nach.«

»Aber selbstverständlich. Ich fahre dich hin.«

»Ich möchte jetzt nicht von meinem Pferd weg.«

»Nun, du kannst sicher eine Harke und eine Schaufel oder Spitzhacke gebrauchen. Ich fahre das Zeug rüber und sehe dich dort, wenn du weißt, wo das ist.«

»Ich kenne Eds Hof. Er hat doch sicher auch Werkzeug.«

Bill zuckte die Achseln und lächelte.

»Na schön. Ich gehe noch mal eben ins Badezimmer, dann machen wir uns auf den Weg.«

»Ich hatte den Eindruck, als kennst du den Interessenten.«

»Du hast zuletzt unter dem Namen Brandon Corey von ihm gehört.«

»Der Bursche, der sich als dein Bruder ausgab und dich zum Geisteskranken gestempelt hatte?«

»›Ausgab‹? Himmel, er ist mein Bruder. Woran ich allerdings keine Schuld habe. Entschuldige mich mal einen Augenblick.«

»Er war dort.«

»Wo?«

»Bei Ed, heute nachmittag. Jedenfalls hat sich dort ein bärtiger Rothaariger blicken lassen.«

»Was hat er gemacht?«

»Er hat sich als Künstler ausgegeben. Er fragte, ob er seine Staffelei aufstellen und eines der Felder malen dürfte.«

»Und Ed hat zugestimmt?«

»Natürlich. Er hielt das Ganze für eine großartige Idee. Deshalb hat er mir ja auch davon erzählt. Er wollte damit angeben.«

»Hol die Werkzeuge. Wir treffen uns dort.«

»In Ordnung.«

Das zweite, was ich im Badezimmer hervorholte, waren meine Trümpfe. Ich mußte schleunigst mit jemandem in Amber sprechen, mit jemandem, der stark genug war, um Brand aufzuhalten. Aber wer? Benedict war auf dem Weg zu den Höfen des Chaos. Random suchte nach seinem Sohn; von Gérard hatte ich mich nicht gerade freundschaftlich getrennt. Ich wünschte, ich hätte einen Trumpf für Ganelon.

Ich kam zu dem Schluß, daß ich es mit Gérard versuchen müßte.

Ich nahm seine Karte zur Hand und machte die erforderlichen geistigen Schritte. Sekunden später hatte ich Kontakt.

»Corwin!«

»Hör bitte zu, Gérard! Brand lebt noch, wenn dich das irgendwie tröstet. Ich bin fest davon überzeugt. Meine Bitte ist wichtig. Es geht um Leben und Tod. Du mußt etwas für mich tun – auf der Stelle!«

Sein Gesichtsausdruck hatte sich während meiner Worte schnell verändert – Zorn, Überraschung, Interesse . . .

»Sprich weiter«, sagte er.

»Brand kann jederzeit zurückkommen. Vielleicht hält er sich bereits in Amber auf. Du hast ihn nicht zufällig schon gesehen, oder?«

»Nein.«

»Du mußt verhindern, daß er das Muster beschreitet.«

»Das verstehe ich nicht. Aber ich kann vor dem Saal mit dem Muster einen Posten aufstellen.«

»Stell den Wächter direkt neben das Muster. Brand kennt seltsame Beförderungsmethoden. Schreckliches kann geschehen, wenn er das Muster beschreitet.«

»Gut, ich bewache es persönlich. Was ist los?«

»Im Augenblick habe ich für Erklärungen keine Zeit. Nun zum nächsten Punkt: Ist Llewella wieder in Rebma?«

»Ja.«

»Setz dich über Trumpf mit ihr in Verbindung. Sie muß Moire bitten, das Muster in Rebma ebenfalls zu bewachen.«

»Wie schlimm ist das alles, Corwin?«

»Es könnte zum Ende aller Dinge führen«, sagte ich. »Ich muß jetzt fort.«

Daraufhin unterbrach ich den Kontakt und ging durch die Küche zur Hintertür; unterwegs nahm ich mir allerdings die Zeit, Alice zu danken und ihr eine gute Nacht zu wünschen. Ich wußte nicht genau, was Brand tun würde, falls er das Juwel in seinen Besitz gebracht und sich darauf eingestimmt hatte; allerdings hatte ich eine ziemlich genaue Vorstellung.

Ich bestieg Drum und lenkte ihn auf die Straße. Bill fuhr bereits den Wagen aus der Garage.

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