Roger Zelazny Die Hand Oberons

1

Ein hell lodernder Blitz der Erkenntnis, der zu jener absonderlichen Sonne paßte . . .

Dort lag es . . . ausgebreitet in diesem Licht, ein Gebilde, das ich bis jetzt nur selbstleuchtend in abgedunkelter Umgebung gesehen hatte: das Muster, das große Muster von Amber hingestreckt auf einem ovalen Felsabsatz unter/über einem seltsamen Himmel-Meer.

. . . Vielleicht ließ mich das Element, das uns alle zusammenkettete, die Wahrheit erkennen – jedenfalls wußte ich, daß es sich um das einzig wirkliche Muster handelte. Woraus sich ergab, daß das Muster in Amber lediglich der erste Schatten dieses Musters war. Woraus sich ergab . . .

Woraus sich ergab, daß ganz Amber nur ein Schatten war, allerdings ein besonderer Schatten, denn das Muster wurde nicht an Orte versetzt, die außerhalb von Amber, Rebma und Tir-na Nog´th lagen. Mit anderen Worten: Der Ort, den wir hier erreicht hatten, war nach Priorität und Struktur das wirkliche Amber.

Ich wandte mich zu einem lächelnden Ganelon um, dessen Bart und verfilztes Haar in der gnadenlosen Helligkeit verschmolzen wirkten.

»Woher wußtest du das?« fragte ich.

»Du weißt, daß ich zu mutmaßen verstehe, Corwin«, erwiderte er. »Ich erinnere mich an alles, was du mir über die Zusammenhänge in Amber verraten hast: wie seine Schatten und die eurer Mühen über die Welten geworfen werden. Bei meinen Überlegungen wegen der schwarzen Straße habe ich mich oft gefragt, ob nicht irgend etwas in der Lage war, einen solchen Schatten auch nach Amber selbst hineinzuwerfen. Dabei kam ich zu dem Ergebnis, daß ein solches Etwas eine denkbar grundlegende Kraft sein mußte, sehr stark und geheim.« Er deutete auf die Szene vor uns. »Etwa wie das hier.«

»Sprich weiter«, forderte ich ihn auf.

Sein Gesichtsausdruck veränderte sich, und er zuckte die Achseln.

»Es mußte also eine Stufe der Realität geben, die tiefer ging als euer Amber«, erklärte er, »eine Ebene, auf der die wirkliche Schmutzarbeit getan wurde. Euer Wappentier hat uns nun an einen Ort geführt, der diesen Vorstellungen zu entsprechen scheint, und der Fleck dort auf dem Muster sieht aus wie die Schmutzarbeit. Du hast mir zugestimmt.«

Ich nickte. »Mich hat mehr deine Hellsichtigkeit verblüfft als die eigentliche Schlußfolgerung«, sagte ich.

»Ihr seid mir zuvorgekommen«, sagte Random von rechts, »doch auch bei mir hat sich tief drinnen eine Ahnung gemeldet. Ich glaube, das Gebilde dort unten ist irgendwie die Grundlage unserer Welt.«

»Ein Außenseiter hat manchmal einen klareren Durchblick als jemand, der dazugehört«, kommentierte Ganelon.

Random warf mir einen Blick zu und konzentrierte sich wieder auf die Szene.

»Glaubst du, daß sich die Umgebung noch weiter verändert«, fragte er, »wenn wir hinabreiten und uns das Ding aus der Nähe ansehen?«

»Es gibt nur eine Möglichkeit, die Antwort festzustellen«, sagte ich.

»Hintereinander«, stimmte Random zu. »Ich voran.«

»Einverstanden.«

Random lenkte sein Pferd nach rechts, nach links und wieder nach rechts, in einer langen Folge von Kehren, die uns im Zickzack den größten Teil des Hanges hinabführten. Die Reihenfolge beibehaltend, die wir den ganzen Tag gewahrt hatten, folgte ich ihm, und Ganelon bildete den Abschluß.

»Scheint jetzt alles ziemlich stabil zu sein«, stellte Random fest.

»Bis jetzt!« sagte ich.

»Da unten gibt´s eine Art Öffnung im Gestein.«

Ich beugte mich vor. Weiter rechts gähnte eine Höhlenöffnung in Höhe der ovalen Ebene. Sie war so gelegen, daß wir sie von oben nicht hatten sehen können.

»Wir kommen ziemlich dicht daran vorbei«, stellte ich fest.

». . . schnell, vorsichtig und leise«, fügte Random hinzu und entblößte sein Schwert.

Ich zog Grayswandir blank, und eine Kurve über mir griff Ganelon ebenfalls zur Waffe.

Wir kamen dann doch nicht an der Höhle vorbei, sondern bogen vorher wieder nach links ab. Dabei kamen wir jedoch auf zehn oder fünfzehn Fuß heran, und mir fiel ein unangenehmer Geruch auf, den ich nicht zu identifizieren vermochte. Die Pferde dagegen schienen eine genauere Vorstellung davon zu haben – vielleicht waren sie auch von Natur aus pessimistisch veranlagt –, jedenfalls legten sie die Ohren an, bewegten die Nüstern und stießen ein nervöses Schnauben aus, während sie sich unruhig gegen die Zügel sträubten. Sie beruhigten sich wieder, als wir den Bogen beschrieben hatten und uns wieder von der Höhle entfernten, und wurden wieder nervös, als wir unseren Abstieg beendeten und auf das beschädigte Muster zuzureiten versuchten. Sie weigerten sich, in die Nähe der Erscheinung zu gehen.

Random stieg ab. Er ging zum Rand des Linienlabyrinths, blieb stehen und starrte darauf. Nach einer Weile ergriff er das Wort, ohne sich umzudrehen.

»Nach allem, was wir so wissen«, sagte er, »ist zu schließen, daß der Schaden absichtlich herbeigeführt wurde.«

»Sieht jedenfalls so aus«, sagte ich.

»Ebenso klar ist, daß wir aus einem bestimmten Grund hierhergebracht wurden.«

»Das würde ich auch sagen.«

»Dann braucht man nicht allzuviel Fantasie, um auf den Gedanken zu kommen, daß wir hier feststellen sollen, wie das Muster beschädigt wurde und was man tun kann, um es zu reparieren.«

»Möglich. Wie lautet deine Diagnose?«

»Noch habe ich mir keine Meinung gebildet.«

Er bewegte sich am Rand der Erscheinung entlang, nach rechts zu, wo der verwischte Fleck begann. Ich stieß meine Klinge zurück in die Scheide und wollte absteigen. Ganelon hielt mich an der Schulter zurück.

»Ich schaffe es auch allein . . .«, begann ich.

»Corwin«, sagte er jedoch, meine Worte ignorierend, »dort draußen, zur Mitte hin, scheint es eine Unregelmäßigkeit zu geben. Sieht nicht so aus, als gehört das Ding dorthin . . .«

»Wo?«

Er hob die Hand, und ich schaute in die angegebene Richtung.

Etwa in der Mitte lag ein nicht zum Muster gehöriges Gebilde. Ein Stock? Ein Stein? Ein zusammengeknülltes Stück Papier . . .? Aus dieser Entfernung war es nicht deutlich zu erkennen.

»Ich seh´s«, sagte ich.

Wir stiegen ab und näherten uns Random, der inzwischen weiter rechts über die Maserung gebeugt kniete und die Verfärbung untersuchte.

»Ganelon hat in der Mitte etwas entdeckt«, sagte ich.

Random nickte.

»Schon bemerkt«, erwiderte er. »Ich versuche gerade, mir darüber schlüssig zu werden, wie man am besten hinauskommt, um sich das Ding mal näher anzusehen. Mir mißfällt die Vorstellung, ein zerstörtes Muster zu beschreiten. Andererseits frage ich mich, welchem Einfluß ich Tür und Tor öffne, wenn ich versuche, über die geschwärzte Fläche zur Mitte zu laufen. Was meint ihr?«

»Die vorhandenen Teile des Musters abzuschreiten würde Zeit kosten«, sagte ich, »wenn der Widerstand dem entspricht, was wir von zu Hause kennen. Außerdem hat man uns eingeschärft, daß wir sterben müssen, wenn wir vom Muster abweichen – und wie die Dinge hier liegen, müßte ich das Muster verlassen, sobald ich den Fleck erreiche. Andererseits könnte ich, wie du sagst, unsere Feinde herbeirufen, die sich des schwarzen Weges bedienen. Folglich . . .«

»Folglich wird es keiner von euch tun«, warf Ganelon ein. »Ich gehe!«

Ohne unsere Antwort abzuwarten, nahm er einen Anlauf, sprang auf den schwarzen Streifen und rannte darauf zur Mitte hin; hastig hob er den kleinen Gegenstand auf, drehte sich um und lief zurück.

Sekunden später stand er wieder vor uns.

»Das war aber ziemlich riskant«, bemerkte Random.

Er nickte.

»Hätte ich es nicht getan, würdet ihr immer noch diskutieren.« Er hob die Hand und hielt sie uns entgegen. »Was sagt ihr dazu?«

Er hielt einen Dolch in der Hand. Die Klinge hatte sich durch ein fleckiges Stück Pappe gebohrt. Ich nahm ihm den Fund ab.

»Sieht wie ein Trumpf aus«, stellte Random fest.

»Ja.«

Ich löste die Karte, glättete die eingerissenen Teile. Der Mann, den ich betrachtete, war mir halb vertraut – was zugleich bedeutete, daß er mir halb fremd war. Blondes, glattes Haar, ein wenig spitz im Gesicht, ziemlich schmal gebaut, ein halbes Lächeln.

Ich schüttelte den Kopf.

»Den kenne ich nicht«, stellte ich fest.

»Laß mal sehen.«

Random nahm mir die Karte ab und blickte stirnrunzelnd darauf.

»Nein«, sagte er nach einer Weile. »Ist mir auch unbekannt. Ich habe fast das Gefühl, als müßte ich ihn kennen, aber . . . Nein.«

In diesem Augenblick setzten die Pferde ihre Proteste mit verstärkter Lautstärke fort. Wir brauchten uns nur ein kleines Stück umzudrehen, um die Ursache ihres Unbehagens zu erkennen, hatte sich das Wesen doch diesen Augenblick ausgesucht, um aus der Höhle zu kommen.

»Verdammt!« sagte Random.

Ich stimmte ihm zu.

Ganelon räusperte sich und zog sein Schwert.

»Weiß einer von euch, was das ist?« fragte er gelassen.

Als ich das Ungeheuer erblickte, kam mir sofort eine Schlange in den Sinn. Auf diesen Gedanken brachten mich sowohl seine Bewegungen als auch die Tatsache, daß der lange dicke Schwanz eher eine Fortsetzung des langgestreckten dünnen Körpers war als ein Anhängsel. Allerdings besaß das Wesen vier doppelt untergliederte Beine mit riesigen Tatzen und bösartig schimmernden Klauen. Der schmale Kopf endete in einem Schnabel und bewegte sich beim Näherkommen von einer Seite auf die andere, so daß von den hellblauen Augen zuerst das eine und dann das andere zu sehen war. Große purpurfarbene Flügel aus einem lederartigen Material waren an den Flanken untergefaltet. Das Wesen besaß weder Haare noch Federn; allerdings hatte es Schuppenflächen auf Brust, Schultern, Rücken und Schwanz. Vom Schnabelbajonett zur hin und her zuckenden Schwanzspitze maß es gut drei Meter. Das Wesen näherte sich mit leisem Klirren, und ich sah an seinem Hals etwas Helles aufblitzen.

»Mir fällt im Augenblick nur ein Vergleich ein«, sagte Random. »Das Ding sieht aus wie ein Wappentier – ein Greifvogel. Nur ist der Bursche hier kahl und purpurfarben.«

»Jedenfalls handelt es sich nicht um unser Wappentier«, stellte ich fest, zog Grayswandir und richtete seine Spitze auf den Kopf des Tiers.

Das Geschöpf ließ eine gespaltene rote Zunge blicken. Es hob die Flügel um einige Zoll und ließ sie wieder sinken. Wenn der Kopf nach rechts schwang, bewegte sich der Schwanz nach links, dann nach links und rechts, nach rechts und links – das Ganze hatte fast etwas Hypnotisches.

Der Greif schien sich mehr für die Pferde als für uns zu interessieren; offenbar war er zu der Stelle unterwegs, wo unsere Tiere bebend und stampfend standen. Ich machte Anstalten, mich dazwischenzustellen.

In diesem Augenblick richtete sich das Monstrum auf.

Die Flügel fuhren hoch und zur Seite. Sie breiteten sich aus wie zwei schlaffe Segel, in denen sich ein plötzlicher Windhauch verfangen hat. Es stand auf den Hinterbeinen hoch über uns und schien im Handumdrehen viermal so groß zu sein wie zuvor. Und dann kreischte es: ein fürchterlicher Jagdschrei oder eine Herausforderung, die mir scheußlich in den Ohren gellte. Gleichzeitig klappte es die Flügel nach unten und sprang hoch, woraufhin es sich in die Luft erhob.

Die Pferde gingen durch. Das Ungeheuer war außer Reichweite. Erst jetzt ging mir auf, was das Klirren und Blitzen bedeutete. Das Geschöpf war an einer langen Kette festgemacht, die in die Höhle führte. Die genaue Länge dieser Kette war nun eine Frage von mehr als akademischem Interesse.

Als der Greif zischend und flatternd über uns dahinsegelte, drehte ich mich um. Zu einem richtigen Flug hatte der Absprung nicht gereicht. Ich sah, daß Star und Feuerdrache zum entgegengesetzten Ende des Ovals flohen. Randoms Pferd Iago war dagegen zum Muster hin ausgerückt.

Das Geschöpf kehrte auf den Boden zurück, drehte sich um, als wolle es Iago verfolgen, schien uns noch einmal zu mustern und erstarrte. Es war uns jetzt viel näher als zuvor – knapp vier Meter –, legte den Kopf auf die Seite, zeigte uns sein rechtes Auge, öffnete den Schnabel und stieß ein leises Krächzen aus.

»Was meint ihr, wollen wir es angreifen?« fragte Random.

»Nein. Warte. Das Ding verhält sich irgendwie seltsam.«

Während meiner Worte hatte es den Kopf sinken lassen und die Flügel nach unten gerichtet. Es berührte den Boden dreimal mit dem Schnabel und blickte wieder hoch. Dann faltete es die Flügel halb an den Körper zurück. Der Schwanz zuckte einmal und begann dann kräftiger hin und her zu schwingen. Das Ungeheuer öffnete den Schnabel und wiederholte das Krächzen.

In diesem Augenblick wurden wir abgelenkt.

Ein gutes Stück neben der geschwärzten Fläche hatte Iago das Muster betreten. Fünf oder sechs Meter vom Rand entfernt, quer über den Linien der Macht stehend, wurde das Pferd in der Nähe eines der Schleier wie ein Insekt an einem Fliegenfänger festgehalten. Es wieherte schrill, als die Funken ringsum aufstiegen und sich seine Mähne senkrecht emporstellte.

Augenblicklich begann sich der Himmel über dem Muster zu verdunkeln. Doch keine Wasserdampfwolke bildete sich dort. Vielmehr handelte es sich um eine vollkommen kreisrunde Formation, rot in der Mitte, zum Rand hin gelb werdend, die sich im Uhrzeigersinn drehte. Töne klangen auf – etwas, das sich wie ein einzelner Glockenschlag anhörte, gefolgt von einem seltsamen Brausen.

Iago wehrte sich; zuerst befreite er den rechten Vorderhuf, mußte ihn aber wieder senken, als er den linken hochzerrte. Dabei wieherte er verzweifelt. Die Funken hüllten den Körper des Pferdes fast völlig ein; es schüttelte sie wie Regentropfen von Flanken und Hals und begann dabei weich und golden zu schimmern.

Das Dröhnen nahm an Lautstärke zu, und kleine Blitze begannen in der Mitte des roten Gebildes über uns aufzuzucken. Im gleichen Augenblick erregte ein Klappern meine Aufmerksamkeit, und als ich nach unten blickte, bemerkte ich, daß der purpurne Greif an uns vorbeigeglitten war und zwischen uns und der lärmenden roten Erscheinung Stellung bezogen hatte. Er hockte dort wie ein häßlicher Wasserspeier, von uns abgewandt, und beobachtete das Schauspiel.

Jetzt bekam Iago beide Vorderhufe frei und stieg auf die Hinterhand. Längst wirkte er irgendwie substanzlos; er schimmerte hell, und der Funkenschauer verwischte seine Konturen. Vielleicht wieherte er noch immer, doch das anschwellende Brausen von oben überdeckte nun alle anderen Geräusche.

Ein Trichter ging von der lärmenden Formation aus – hell blitzend, aufheulend und ungeheuer schnell. Die Spitze berührte das sich aufbäumende Pferd, und einen Augenblick lang erweiterten sich seine Konturen ins Ungeheure; gleichzeitig verblaßten sie. Im nächsten Augenblick war das Tier verschwunden. Eine Sekunde lang verharrte der Kegel an Ort und Stelle wie ein perfekt ausbalancierter Kreisel. Dann begann der Lärm nachzulassen.

Das Gebilde stieg langsam empor bis zu einem Punkt, der nicht sehr hoch – vielleicht eine Mannshöhe – über dem Muster lag. Dann zuckte es so schnell empor, wie es herabgestiegen war.

Das Heulen ließ nach. Das Brausen erstarb. Das Miniaturgewitter innerhalb des Kreises verging. Die ganze Formation begann zu verblassen und zu stocken. Gleich darauf war sie nur noch ein Stück Dunkelheit; eine Sekunde später war sie verschwunden.

Von Iago war nichts mehr zu sehen.

»Du brauchst mich gar nicht erst zu fragen«, sagte ich, als sich Random in meine Richtung wandte. »Ich weiß es auch nicht.«

Er nickte und richtete seine Aufmerksamkeit auf unseren purpurnen Freund, der in diesem Moment mit seiner Kette rasselte.

»Was machen wir mit Charlie?« fragte er und betastete seine Klinge.

»Ich hatte den Eindruck, daß er uns schützen wollte«, sagte ich und trat vor. »Gib mir Deckung. Ich möchte mal etwas ausprobieren.«

»Bist du sicher, daß du schnell genug reagieren kannst?« fragte er. »Mit deiner Wunde . . .«

»Keine Sorge«, sagte ich ein wenig energischer als nötig und ging weiter.

Seine Bemerkung über meine Verletzung an der linken Seite war richtig; die verheilende Messerwunde verbreitete dort noch immer einen dumpfen Schmerz, der jede meiner Bewegungen begleitete. Grayswandir ruhte in meiner rechten Hand, und ich erlebte einen jener Augenblicke, da ich großes Vertrauen in meine Instinkte hatte. Schon früher hatte ich mich mit gutem Ergebnis auf dieses Gefühl verlassen. Es gibt Tage, da solche Risiken problemlos erscheinen.

Random trat vor und bewegte sich nach rechts. Ich wandte mich zur Seite und streckte die linke Hand aus, als wollte ich mich mit einem fremden Hund bekannt machen: sehr langsam. Unser Wappentier hatte sich aus seiner geduckten Stellung aufgerichtet und drehte sich um.

Nun musterte es Ganelon, der links von mir stand. Dann betrachtete es meine Hand. Es senkte den Kopf und wiederholte das Klopfen auf den Boden, wobei es sehr leise krächzte – ein kaum hörbarer gurgelnder Laut. Schließlich hob es den Kopf und streckte ihn langsam in meine Richtung. Es wackelte mit dem großen Schwanz, berührte mit dem Schnabel meine Finger und wiederholte die Bewegung. Vorsichtig legte ich die Hand auf seinen Kopf. Das Wackeln beschleunigte sich; der Kopf blieb bewegungslos. Ich kraulte das Wesen sanft am Hals, und es drehte langsam den Kopf zur Seite, als hätte es Spaß an der Liebkosung. Ich ließ die Hand sinken und trat einen Schritt zurück.

»Ich glaube, wir sind jetzt Freunde«, sagte ich leise. »Versuch du es mal, Random.«

»Du machst Witze!«

»Nein, ich bin sicher, daß du nichts zu befürchten hast. Versuch es!«

»Was tust du, wenn du dich irrst?«

»Ich entschuldige mich.«

»Großartig!«

Er näherte sich dem Wesen und hob die Hand. Das Ungeheuer blieb freundlich.

»Also gut«, sagte er etwa eine halbe Minute später, während seine Hand noch den schuppigen Hals tätschelte. »Was haben wir nun bewiesen?«

»Daß es ein Wachhund ist.«

»Aber was bewacht er?«

»Offenbar doch das Muster.«

Random wich zurück. »Ohne die näheren Umstände zu kennen«, sagte er, »möchte ich dazu bemerken, daß er seine Arbeit wohl nicht besonders gut tut.« Random deutete auf die dunkle Fläche. »Was begreiflich wäre, wenn er jeden, der nicht Hafer frißt und wiehert, freundlich begrüßt.«

»Ich würde sagen, daß er ziemlich selektiv veranlagt ist. Möglich wäre auch, daß er hier erst postiert wurde, als der Schaden schon geschehen war, um weitere unerwünschte Anschläge zu verhindern.«

»Wer soll ihn denn postiert haben?«

»Das wüßte ich selbst gern. Anscheinend jemand aus unserem Lager.«

»Du kannst deine Theorie noch weiter auf die Probe stellen, indem du Ganelon zu ihm schickst.«

Ganelon rührte sich nicht. »Kann ja sein, daß ihr einen Familiengeruch an euch habt«, sagte er schließlich, »und er nur Amberianer mag. Ich verzichte dankend auf den Versuch.«

»Na schön. So wichtig ist es auch nicht. Mit deinen Vermutungen hast du jedenfalls bisher sehr gut gelegen. Wie interpretierst du die Ereignisse?«

»Von den beiden Gruppen, die es auf den Thron abgesehen haben«, begann er, »war die Gruppe, die aus Brand, Fiona und Bleys bestand, nach euren Worten weitgehender über die Kräfte informiert, die Amber umgeben. Brand hat euch keine Einzelheiten mitgeteilt – es sei denn, ihr habt mir Dinge verschwiegen, von denen er sprach –, doch ich würde vermuten, daß der Schaden, den das Muster hier erlitten hat, die Pforte darstellt, durch die die Verbündeten der drei Zutritt zu eurem Reich erlangt haben. Ein oder mehrere Mitglieder dieses Kreises führten den Schaden herbei, der die schwarze Straße möglich machte. Wenn dieser Wachhund auf einen Familiengeruch oder andere Identifikationsmerkmale reagiert, die ihr alle besitzt, kann er durchaus schon seit Urzeiten hier sein und keinen Anlaß gesehen haben, gegen die Übeltäter vorzugehen.«

»Möglich«, stellte Random fest. »Und wie wurde der Schaden herbeigeführt?«

»Vielleicht lasse ich dich das demonstrieren, wenn du einverstanden bist.«

»Worum geht es?«

»Komm mal hierher«, sagte Ganelon, machte kehrt und näherte sich dem Rand des Musters. Ich folgte ihm. Random setzte sich ebenfalls in Bewegung. Der Greif schwänzelte neben mir her. Ganelon drehte sich um und streckte die Hand aus.

»Corwin, würdest du mir bitte mal den Dolch geben, den ich eben geholt habe?«

»Hier«, sagte ich, zog den Gegenstand aus meinem Gürtel und übergab ihn.

»Ich frage noch einmal: Worum geht es?« wollte Random wissen.

»Um das Blut von Amber«, erwiderte Ganelon.

»Ich kann nicht sagen, daß mir der Gedanke gefällt.«

»Wollen doch mal sehen.«

Random sah mich an.

»Was meinst du dazu?« fragte er.

»Tu es ruhig. Wir wollen es ausprobieren, die Sache interessiert mich.«

Er nickte.

»Also gut.«

Er nahm Ganelon das Messer ab und schnitt sich in die Kuppe seines linken kleinen Fingers. Er drückte zu und hielt den Finger über das Muster. Ein winziger Blutstropfen erschien, wurde größer, zitterte und fiel.

Sofort stieg an der Stelle, wo das Blut auftraf, eine Rauchwolke empor, und ein leises Knistern war zu hören.

»Da soll doch . . .« Random war fasziniert.

Ein winziger Fleck hatte sich gebildet, ein Fleck, der allmählich zur Größe einer Hand anwuchs.

»Da habt ihr es«, sagte Ganelon. »So wurde das Muster beschädigt.«

Bei dem Fleck handelte es sich in der Tat um ein winziges Gegenstück zu der umfangreichen Verfärbung, die sich weiter rechts erstreckte. Der Greif stieß einen leisen Schrei aus und wich vor uns zurück, wobei er in schneller Folge von einem zum anderen blickte.

»Ruhig, alter Knabe, ganz ruhig«, sagte ich, streckte die Hand aus und tröstete das Wesen.

»Aber was kann einen so großen Fleck . . .« Random unterbrach sich und nickte langsam.

»Ja, was?« fragte Ganelon. »An der Stelle, wo dein Pferd vernichtet wurde, sehe ich keine Verfärbungen.«

»Das Blut von Amber«, sagte Random. »Du steckst heute voller großartiger Erkenntnisse, wie?«

»Sag Corwin, er soll dir von Lorraine erzählen, dem Land, in dem ich lange gelebt habe«, erwiderte er, »und in dem der schwarze Kreis wucherte. Ich bin allergisch gegen die Spuren dieser Kräfte, obwohl ich sie damals nur aus der Distanz kennenlernte. Mit jedem neuen Aspekt, den ich von euch erfuhr, sind mir diese Dinge klarer geworden. Ja, nachdem ich nun mehr darüber weiß, habe ich auch neue Erkenntnisse gewonnen. Erkundige dich bei Corwin nach dem Denken seines Generals.«

»Corwin«, sagte Random, »gib mir mal den durchstochenen Trumpf.«

Ich zog die Karte aus der Tasche und glättete sie. Die Blutflecken daran kamen mir plötzlich viel unheildrohender vor. Und noch etwas fiel mir auf. Ich nahm nicht an, daß die Karte von Dworkin gezeichnet worden war, dem Weisen, Lehrer, Magier, Künstler und ehemaligen Mentor der Kinder Oberons. Bis zu diesem Augenblick war mir gar nicht der Gedanke gekommen, daß vielleicht jemand anders die Fähigkeit besaß, einen Trumpf herzustellen. Der Stil der Zeichnung war mir zwar irgendwie vertraut, doch handelte es sich eindeutig nicht um seine Arbeit. Wo hatte ich diese selbstbewußten Linien schon einmal gesehen, nicht so spontan wie die des Meisters, als wäre jede Bewegung durch und durch intellektualisiert worden, ehe der Stift das Papier berührte. Und noch etwas stimmte daran nicht – die Darstellung war anders als auf unseren eigenen Trümpfen, als habe der Künstler nicht nach dem lebendigen Objekt arbeiten können, sondern nur nach alten Erinnerungen, kurzen Blicken auf die Person oder sogar nur Beschreibungen.

»Corwin, bitte! Der Trumpf!« sagte Random.

Der Tonfall seiner Worte ließ mich zögern. Irgendwie hatte ich das Gefühl, daß er mir in einer wichtigen Sache womöglich einen Schritt voraus war – ein Gefühl, das ich ganz und gar nicht mochte.

»Ich habe unseren häßlichen Freund für dich gestreichelt und für unsere Sache einen Blutstropfen geopfert, Corwin. Jetzt gib mir die Karte!«

Ich reichte sie ihm, und mein Unbehagen wuchs, als er das Bild in der Hand hielt und stirnrunzelnd betrachtete. Warum kam ich mir plötzlich wie ein Dummkopf vor? Lähmte eine Nacht in Tir-na Nog´th das Denken? Warum . . .

In diesem Augenblick begann Random zu fluchen. Er äußerte eine Reihe von Kraftausdrücken, wie ich sie in meiner langen militärischen Laufbahn noch nicht gehört hatte.

»Was ist denn?« fragte ich schließlich. »Ich verstehe dich nicht.«

»Das Blut von Amber«, sagte er schließlich. »Wer immer das getan hat, ist zuerst durch das Muster geschritten, verstehst du? Dann stand er hier in der Mitte und setzte sich durch seinen Trumpf mit ihm in Verbindung. Als er antwortete und den festen Kontakt einging, wurde er erdolcht. Sein Blut strömte auf das Muster und löschte einen Teil der Linien aus, so wie hier mein Blut.«

Er schwieg und atmete mehrmals tief ein.

»Hört sich nach einem Ritual an«, bemerkte ich.

»Zur Hölle mit Ritualen!« rief er. »Zur Hölle mit ihnen allen. Einer von ihnen wird sterben, Corwin. Ich werde ihn – oder sie – töten.«

»Ich begreife immer noch . . .«

»Wie dumm von mir, es nicht gleich zu merken! Schau doch! Sieh dir das Bild einmal genau an!«

Ruckhaft hielt er mir den durchstochenen Trumpf hin. Ich riß die Augen auf. Noch immer begriff ich nichts.

»Jetzt schau mich an!« forderte er. »Sieh mir ins Gesicht!«

Ich gehorchte. Dann starrte ich wieder auf die Karte.

Endlich wurde mir klar, was er meinte.

»Für ihn war ich nie mehr als ein Hauch des Lebens in der Dunkelheit. Aber sie haben meinen Sohn dafür mißbraucht«, fuhr er fort. »Das muß ein Bild von Martin sein.«

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