KAPITEL 3

Während er im Hitzetank des Lazaretts der Basis schwamm, überlegte sich Miles verschiedene Methoden der Kreuzigung für die beiden Saboteure aus der Fahrbereitschaft. Zum Beispiel mit dem Kopf nach unten. Über dem Meer in geringer Höhe von einem Antigrav-Schlitten hängend. Noch besser, mit dem Gesicht nach oben an einen Pfahl gebunden in einem Sumpf im Schneesturm … Aber als sein Körper sich erwärmt und der Sanitäter ihn aus dem Tank geholt hatte, damit er abgetrocknet, nochmals untersucht und mit einer überwachten Mahlzeit versorgt würde, da hatte sich sein Kopf abgekühlt.

Es war kein Attentatsversuch gewesen. Und deshalb keine Angelegenheit, die er gezwungenermaßen hätte Simon Illyan übergeben müssen, dem gefürchteten Chef des Kaiserlichen Sicherheitsdienstes und der linken Hand von Miles’ Vater. Die Vorstellung, wie die finsteren Sicherheitsoffiziere kamen, um diese beiden Witzbolde wegzuholen, ganz weit weg, war zwar hübsch, aber unpraktisch, wie wenn man mit Maserkanonen auf Mäuse schoß.

Überhaupt, wohin könnte der Sicherheitsdienst sie denn schikken, wo es noch schlimmer wäre als hier?

Ohne Zweifel war es ihre Absicht gewesen, daß sein Scatcat im Sumpf versank, während er die Wetterstation wartete, und daß er in die Verlegenheit geriet, in der Basis schweres Gerät anfordern zu müssen, um das Scatcat wieder herauszuziehen. Das war peinlich, aber nicht tödlich. Sie konnten nicht vorhergesehen haben — niemand konnte es —, daß Miles auf die sicherheitsbewußte Vorsichtsmaßnahme mit der Kette verfallen würde, was ihn letztendlich fast umgebracht hätte.

Höchstenfalls war dies ein Fall für die Sicherheitsabteilung der Streitkräfte, schon das war schlimm genug, oder für normale Bestrafung.

Er ließ seine Zehen über die Kante des Bettes baumeln, das in einer Reihe von Betten im leeren Lazarett stand, und schob die letzten Bissen seines Essens auf dem Tablett hin und her. Der Sanitäter kam wieder herein und warf einen Blick auf die Essensreste.

»Fühlen Sie sich jetzt wohl, Sir?«

»Gut«, sagte Miles mürrisch.

»Sie haben aber nicht aufgegessen.«

»Das tu ich oft nicht. Ich bekomme immer zu viel.«

»Jawohl, ich glaube. Sie sind ziemlich … hm …« Der Sanitäter gab eine Notiz an seinem Berichtspanel ein, beugte sich dann über Miles, um seine Ohren zu untersuchen, und bückte sich, um die Zehen zu prüfen, indem er sie mit erfahrenen Fingern herumdrehte. »Es sieht nicht so aus, als würden Sie hier irgendwelche Teile verlieren. Sie haben Glück.«

»Behandeln Sie viele Erfrierungen?« Oder bin ich der einzige Idiot?

Der gegenwärtige Augenschein legte diesen Gedanken nahe.

»Oh, wenn erst mal die Rekruten ankommen, dann ist es hier bald knüllevoll. Erfrierungen, Lungenentzündungen, Knochenbrüche, Quetschungen, Gehirnerschütterungen … hier wird es richtig lebhaft, wenn mal der Winter gekommen ist. Von Wand zu Wand lauter Idi… — Rekruten, die Pech gehabt haben. Und ein paar vom Pech getroffene Instruktoren, die sie mit sich mitgerissen haben.« Der Sanitäter stand auf und tippte ein paar weitere Eingaben an seinem Panel ein. »Ich fürchte, ich muß Sie nun als genesen eintragen, Sir.«

»Sie fürchten?« Miles hob fragend seine Augenbrauen.

Der Sanitäter richtete sich auf und nahm unbewußt die Haltung eines Mannes an, der offiziell eine schlechte Nachricht zu überbringen hat. Dieser alte Gesichtsausdruck, von ›Man hat mich beauftragt Ihnen dies zu sagen, es ist nicht meine Schuld‹.

»Sie sollen sich im Büro des Kommandanten melden, sobald ich Sie hier entlasse, Sir.«

Miles erwog einen plötzlichen Rückfall. Nein. Es war besser, die unangenehmen Dinge hinter sich zu bringen. »Sagen Sie mir, Sanitäter, hat jemals zuvor jemand ein Scatcat versinken lassen?«

»Oh, sicher. Die Rekruten verlieren fünf oder sechs in jeder Saison. Dazu noch ein paar kleinere Schäden. Die Techniker werden richtig stocksauer deshalb. Der Kommandant hat ihnen versprochen, das nächste Mal würde er … hm.« Der Sanitäter verstummte.

Wunderbar, dachte Miles. Ganz großartig. Er sah nun, was auf ihn zukam. Ja, ganz gewiß sah er das.

Miles eilte zurück zu seiner Unterkunft, um schnell seine Kleider zu wechseln, denn er vermutete, daß Lazarettkleidung für das bevorstehende Gespräch nicht passend wäre. Er bemerkte sofort, daß er sich in einer Klemme befand. Seine schwarze Arbeitsuniform erschien ihm zu leger, seine Ausgehuniform, zu formell als Dienstkleidung irgendwo außerhalb des Kaiserlichen Hauptquartiers in Vorbarr Sultana. Die Hosen seiner Interimsuniform und seine Halbstiefel befanden sich noch auf dem Grund des Sumpfes. Er hatte von jeder Uniformausführung nur ein Exemplar mitgebracht, seine Ersatzkleidung war noch nicht eingetroffen, vermutlich war sie noch unterwegs.

Er war auch nicht in der Lage, sich eine von einem Kameraden auszuborgen. Seine Uniformen wurden privat für ihn maßgeschneidert und kosteten etwa viermal soviel wie die von den Streitkräften gestellte Kleidung. Ein Teil dieser Kosten entstand durch das Bemühen, sie äußerlich vom maschinellen Schnitt ununterscheidbar zu machen und gleichzeitig durch die Geschicklichkeit manueller Schneiderei die Eigentümlichkeiten seines Körpers teilweise zu verbergen. Er fluchte leise und zog seine grüne Ausgehuniform an, dazu spiegelblanke Stiefel, die bis zu den Knien reichten. Wenigstens machten die Stiefel die Beinschienen überflüssig.

General Stanis Metzov, stand auf dem Schild an der Tür, Standortkommandant. Miles war seit ihrem ersten unglücklichen Zusammentreffen dem Standortkommandanten geflissentlich aus dem Weg gegangen. In Ahns Gesellschaft war das nicht schwer, obwohl in diesem Monat die Besatzung von Kyril reduziert war, Ahn ging jedermann aus dem Weg.

Jetzt wünschte sich Miles, er hätte sich mehr bemüht, mit seinen Offizierskameraden in der Messe ins Gespräch zu kommen. Es war ein Fehler gewesen, daß er sich erlaubt hatte, isoliert zu bleiben, selbst wenn es darum ging, sich auf seine neuen Aufgaben zu konzentrieren. Während dieser fünf Tage hätte sicherlich irgend jemand auch in den beiläufigsten Gesprächen den gierigen Mörderschlamm der Insel erwähnen müssen.

Ein Korporal, der die Komkonsole im Vorzimmer bediente, führte ihn hindurch zum inneren Büro. Miles mußte nun versuchen, zu Metzovs guter Seite vorzustoßen, die es vielleicht gab. Er brauchte Verbündete. General Metzov blickte ohne Lächeln über seinen Schreibtisch hinweg, als Miles salutierte und wartend stehenblieb.

Der General war aggressiv in eine schwarze Arbeitsuniform gekleidet. Bei Metzovs Stellung in der Hierarchie deutete diese Kleiderwahl für gewöhnlich auf eine wohlüberlegte Identifikation mit der ›kämpfenden Truppe‹ hin. Das einzige Zugeständnis an seinen Rang bestand darin, daß die Uniform frisch gebügelt und sauber war. Seine Ehrenzeichen waren auf bloße bescheidene drei beschränkt, alles hohe Kampfauszeichnungen. Pseudobescheidenheit: da sie sozusagen von dem sie umgebenden Laub befreit waren, sprangen sie um so mehr ins Auge. Innerlich zollte Miles der Wirkung Beifall, beneidete sie sogar. Metzov wirkte in seiner Rolle des Kampfkommandanten absolut und unbewußt natürlich.

Es gab eine Fifty-fifty-Chance mit der Uniform, und ich habe die falsche gewählt, sagte sich Miles ärgerlich, während Metzovs Blick sarkastisch von oben bis unten und wieder zurück über den gedämpften Glanz von Miles grüner Uniform wanderte. Na schön, signalisierten Metzovs Augenbrauen, Miles sah jetzt aus wie so ein Vor-Schnösel aus dem Hauptquartier. Ein anderer, durchaus bekannter Typ.

Miles beschloß, sich nicht lächerlich machen zu lassen und Metzovs Inspektion abzubrechen, indem er die Eröffnung erzwang. »Ja, Sir?«

Metzov lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und verzog die Lippen. »Ich sehe, Sie haben ein paar Hosen gefunden, Fähnrich Vorkosigan. Und, oho … auch Reitstiefel. Wie Sie wissen, gibt es keine Pferde auf dieser Insel.«

Auch keine im Hauptquartier, dachte Miles gereizt. Diese verdammten Stiefel habe ich doch nicht erfunden. Sein Vater hatte einmal ironisch angemerkt, seine Stabsoffiziere brauchten solche Stiefel, um ihre Steckenpferde zu reiten oder sich aufs hohe Roß zu setzen. Da er sich keine passende Antwort auf den Geistesblitz des Generals ausdenken konnte, blieb Miles in würdevollem Schweigen stehen, mit angehobenem Kinn, in Rührt-euchHaltung. »Sir.«

Metzov beugte sich vor, verschränkte seine Hände und ließ seinen schwerfälligen Humor fahren, seine Augen waren wieder hart geworden. »Sie haben den Verlust eines wertvollen voll ausgerüsteten Scatcat verschuldet, weil Sie es in einem Gebiet abstellten, das deutlich als Permafrostinversionszone gekennzeichnet ist. Bringt man euch an der Kaiserlichen Akademie kein Kartenlesen mehr bei, oder befassen sich die Neuen Streitkräfte nur noch mit Diplomatie — wie man mit den Damen richtig Tee trinkt?«

Miles rief sich die Landkarte ins Gedächtnis zurück. Er konnte sie deutlich sehen. »Die blauen Gebiete waren mit P.I.Z. bezeichnet. Diese Abkürzung wurde nicht erläutert. Weder in der Kartenlegende noch sonstwo.«

»Daraus schließe ich, daß Sie auch versäumt haben, Ihr Handbuch zu lesen.«

Miles war seit seiner Ankunft mit Handbüchern schier überschüttet worden. Prozeduren des Wetterbüros, Gerätespezifikationen …

»Welches Handbuch, Sir?«

»Dienstvorschriften für Basis Lazkowski.«

Miles versuchte verzweifelt, sich zu erinnern, ob er eine solche Diskette je gesehen hatte. »Ich … glaube, Leutnant Ahn hat mir vielleicht ein Exemplar gegeben … vorgestern abend.« Ahn hatte in der Tat einen ganzen Karton mit Disketten auf Miles’ Bett in der Offiziersunterkunft abgeladen. Er habe schon mit dem Packen begonnen, hatte er gesagt, und er vermache Miles seine Bibliothek.

Miles hatte zwei Wetterdisketten gelesen, bevor er an jenem Abend ins Bett ging. Ahn war offensichtlich in seine eigene Bude zurückgekehrt, um sich einer kleinen Vorfeier hinzugeben. Am nächsten Morgen war Miles mit dem Scatcat losgefahren …

»Und Sie haben es noch nicht gelesen?«

»Nein, Sir.«

»Warum nicht?«

Ich wurde reingelegt, jammerte Miles’ Denken. Er konnte die höchst interessierte Anwesenheit von Metzovs Schreiber spüren, der nicht weggeschickt worden war und als Zeuge hinter ihm an der Tür stand.

Dadurch wurde das Ganze von einer privaten zu einer öffentlichen Standpauke. Und wenn er nur das verdammte Handbuch gelesen hätte, hätten dann die beiden Scheißkerle von der Fahrbereitschaft ihn reinlegen können? Wohl oder übel wurde er jetzt dafür zusammengestaucht. »Ich habe keine Entschuldigung, Sir.«

»Nun gut, Fähnrich, in Kapitel Drei der Dienstvorschriften für Basis Lazkowski werden Sie eine vollständige Beschreibung aller Permafrostzonen finden, zusammen mit den Regeln, wie man sie vermeidet. Sie könnten da vielleicht mal reinschauen, wenn Sie ein bißchen freie Zeit vom … Teetrinken erübrigen können.«

»Jawohl, Sir.« Miles’ Gesicht war starr wie Glas. Der General hatte ein Recht, ihn mit einem Vibra-Messer zu häuten, wenn er das wollte — unter vier Augen. Die Autorität, die Miles mit seiner Uniform verliehen war, wog knapp die Mißbildungen auf, die ihn zu einem Ziel von Barrayars historisch begründeten starken genetischen Vorurteilen machten. Eine öffentliche Demütigung, die diese Autorität vor anderen Männern, die er auch zu befehligen hatte, unterhöhlte, kam einem Akt der Sabotage sehr nahe. Mit Absicht oder unbewußt?

Der General war erst dabei, in Fahrt zu kommen. »Die Streitkräfte mögen immer noch eine Bewahranstalt für überzählige Vor-Herrchen im Kaiserlichen Hauptquartier haben, aber hier draußen in der realen Welt, wo gekämpft werden muß, da haben wir keine Verwendung für Drohnen. Nun, ich habe meinen Weg durch die Ränge nach oben gekämpft. Ich habe Opfer während Vordarians Thronraub gesehen, bevor Sie noch geboren waren …«

Ich war ein Opfer von Vordarians Thronraub, bevor ich geboren wurde, dachte Miles, während seine Gereiztheit zunahm. Das Soltoxin-Gas, das seine schwangere Mutter fast getötet und Miles zu dem gemacht hatte, was er war, war eine chemische Waffe gewesen.

»… und habe die Revolte von Komarr bekämpft. Ihr jungen Spunde, die ihr erst in den letzten zehn Jahren hochgekommen seid, habt keine Vorstellung vom Kampf. Diese langen Perioden von ununterbrochenem Frieden schwächen die Streitkräfte. Wenn das noch lange so weitergeht, dann werden in einer Krise keine Männer mehr da sein, die noch praktische Erfahrungen mit kritischen Situationen haben.«

Miles’ innerer Druck ließ seine Augen leicht schielen. Dann sollte also Seine Kaiserliche Majestät alle fünf Jahre für einen Krieg sorgen, als günstige Gelegenheit für Karriereförderung seiner Offiziere? Miles’ Denken hatte leichte Schwierigkeiten mit dem Begriff ›praktische Erfahrungen‹. War das vielleicht der erste Hinweis darauf, warum dieser großartige Offizier auf Kyril gestrandet war?

Metzov schwadronierte aus eigenem Ansporn weiter. »In einer echten Kampfsituation ist die Ausrüstung eines Soldaten von vitaler Bedeutung. Sie kann den Unterschied zwischen Sieg und Niederlage bedeuten. Ein Mann, der seine Ausrüstung verliert, verliert seine Wirksamkeit als Soldat. Ein Mann, der in einem technologisch geführten Krieg entwaffnet wird, könnte genausogut eine Frau sein, nutzlos! Und Sie haben sich selbst entwaffnet.«

Miles fragte sich säuerlich, ob der General dann zustimmen würde, daß eine bewaffnete Frau in einem technologisch geführten Krieg genausogut ein Mann sein könnte … Nein, wahrscheinlich nicht. Nicht als Barrayaraner seiner Generation.

Metzovs Stimme fiel wieder, da er von Militärtheorie zum unmittelbar Praktischen überging. »Die übliche Strafe für einen Mann, der ein Scatcat im Sumpf versenkt, ist, es selbst wieder auszugraben. Eigenhändig. Wie ich höre, ist das nicht durchführbar, denn die Tiefe, bis zu der Sie Ihres haben sinken lassen, ist ein neuer Lagerrekord. Trotzdem, Sie werden sich um 14 Uhr bei Leutnant Bonn von der Pionierabteilung melden, um ihm nach seinem Gutdünken zu helfen.«

Nun, das war sicherlich fair. Und würde sicherlich auch einen erzieherischen Effekt haben. Miles betete zum Himmel, daß dieses Gespräch sich dem Ende näherte. Darf ich jetzt gehen? Aber der General verfiel in Schweigen, starrte finster vor sich hin und dachte nach.

»Für den Schaden, den Sie an der Wetterstation angerichtet haben«, begann Metzov langsam, dann setzte er sich entschlossener auf, wobei in seinen Augen, Miles konnte es fast schwören, ein schwaches rotes Glühen aufleuchtete und ein Winkel dieses faltigen Mundes nach oben zuckte, »werden Sie eine Woche lang einen Trupp bei elementaren Arbeiten überwachen. Vier Stunden am Tag. Zusätzlich zu Ihren anderen Pflichten. Melden Sie sich bei Sergeant Neuve von der Wartungsabteilung, täglich um 5 Uhr morgens.«

Der Korporal, der immer noch hinter Miles stand, hielt hörbar den Atem an. Miles wußte das nicht zu deuten. Ein Lachen? Entsetzen? Aber … ungerecht! Und er würde einen beträchtlichen Teil der kostbaren Zeit verlieren, die ihm noch blieb, um technisches Wissen bei Ahn abzuschöpfen …

»Der Schaden, den ich an der Wetterstation anrichtete, war kein dummer Unfall wie die Geschichte mit dem Scatcat, Sir! Er war notwendig zu meinem Überleben.«

General Metzov fixierte ihn mit einem sehr kalten Blick. »Machen Sie das sechs Stunden am Tag, Fähnrich Vorkosigan.«

Miles sprach durch Zähne, abgehackt, als würden ihm die Worte mit einer Zange herausgezogen: »Hätten Sie dieses Gespräch lieber geführt, wenn ich es mir erlaubt hätte zu erfrieren, Sir?«

Schweigen trat ein, Totenstille, und schwoll an, wie ein totes Tier auf einer Straße in der Sommersonne.

»Sie können wegtreten, Fähnrich«, zischte General Metzov schließlich. Seine Augen waren funkelnde Schlitze.

Miles salutierte, machte eine Kehrtwendung und marschierte hinaus, steif wie ein altmodischer Ladestock. Oder ein Brett. Oder eine Leiche. Sein Blut pochte in den Ohren; sein Kinn ruckte nach oben. Am Korporal vorbei, der stillstand wie eine Wachsfigur. Zur Tür hinaus, dann durch die äußere Tür. Schließlich stand er allein im unteren Korridor des Verwaltungsgebäudes.

Erst verfluchte er sich schweigend, dann laut. Er mußte wirklich versuchen, eine normalere Haltung gegenüber vorgesetzten Offizieren zu entwickeln. Seine verdammte Erziehung war die Wurzel des Problems. Zu viele Jahre war er im Palais Vorkosigan über Scharen von Generälen, Admirälen und höheren Stabsoffizieren gestolpert, beim Mittagessen, beim Abendessen, zu allen Tageszeiten. Zu lange Zeit war er still gesessen wie eine Maus, hatte seine Unsichtbarkeit kultiviert und dabei Gelegenheit gehabt, ihren außerordentlich beschränkten Streitereien und Debatten über hundert verschiedene Themen zu lauschen. Er sah sie vielleicht so, wie sie einander sahen. Wenn ein normaler Fähnrich auf seinen Kommandanten schaute, dann sollte er wohl ein gottähnliches Wesen sehen, nicht einen … einen … zukünftigen Untergebenen. Neue Fähnriche wurden sowieso für eine untermenschliche Gattung gehalten.

Und doch … Um was geht es eigentlich bei diesem Kerl Metzov? Er hatte schon andere dieses Typs getroffen, von unterschiedlicher politischer Einstellung. Viele von ihnen waren fröhliche und fähige Soldaten, solange sie sich von der Politik fernhielten. Als Partei waren die konservativen Militärs in der Versenkung verschwunden, seit dem blutigen Zusammenbruch der Offiziersintrige, die für die verhängnisvolle Invasion von Escobar vor über zwei Jahrzehnten verantwortlich gewesen war. Aber die Gefahr einer Revolution von der extremen Rechten, einer möglichen Junta, die sich zusammenfand, um den Kaiser vor seiner eigenen Regierung zu retten, blieb im Denken seines Vaters ganz real, wie Miles wußte.

Hatten sich also Miles’ Nackenhaare wegen irgendeines politischen Geruchs gesträubt, der von Metzov ausging? Sicherlich nicht. Ein Mann von wirklicher politischer Subtilität würde versuchen, Miles zu benutzen, nicht zu beleidigen. Oder bist du nur sauer, weil er dich zu einem demütigenden Sondereinsatz als Müllmann verdonnert hat? Ein Mann mußte nicht politisch extrem sein, um eine gewisse sadistische Freude daran zu haben, wenn er es einem Vertreter der Vor-Klasse zeigen konnte. Es konnte sein, daß Metzov in der Vergangenheit einmal selber von einem arroganten Vor-Lord übers Ohr gehauen worden war. Politisch, sozial, genetisch … die Möglichkeiten waren endlos.

Miles schüttelte sich die Gedanken aus dem Kopf und hinkte fort, um seine schwarze Arbeitsuniform anzuziehen und die Pionierabteilung ausfindig zu machen. Er konnte es nicht ändern, er steckte tiefer im Schlamm als sein Scatcat. Er mußte einfach in den nächsten sechs Monaten Metzov so weit wie möglich aus dem Weg gehen. Alles, was Ahn so gut konnte, konnte er sicher auch.


Leutnant Bonn traf Vorbereitungen, nach dem Scatcat zu sondieren. Der Pionierleutnant war ein schmächtiger Mann, vielleicht achtundzwanzig oder dreißig Jahre alt, mit einem runzeligen Gesicht, dessen pockennarbige, bläßliche Haut nun von Kälte und Wind gerötet war. Kluge braune Augen, tüchtig aussehende Hände und eine sarkastische Art, die er nach Miles’ Empfinden vielleicht ständig an den Tag legte, und nicht nur gegen ihn. Bonn und Miles patschten oberhalb des Sumpfes herum, während zwei Pioniere in schwarzen wärmeisolierten Overalls auf ihrem schweren Luftkissenkran saßen, der auf einem Felsen in der Nähe sicher geparkt war. Die Sonne schien bleich, der unaufhörliche Wind blies kalt und feucht. »Versuchen Sie es ungefähr hier, Sir«, schlug Miles vor und zeigte auf eine Stelle, wobei er versuchte, Winkel und Entfernungen an einem Ort zu schätzen, den er nur in der Dämmerung gesehen hatte. »Ich glaube, Sie müssen mindestens zwei Meter nach unten gehen.«

Leutnant Bonn blickte ihn freudlos an, hob seine lange metallene Sonde in die Vertikale und schob sie in den Sumpf. Sie stieß fast sofort auf Widerstand. Miles runzelte überrascht die Stirn. Das Scatcat konnte doch sicher nicht nach oben getrieben sein…

Bonn, der gleichmütig dreinschaute, stützte sein Gewicht auf die Sonde und drehte sie um ihre eigene Achse. Sie begann sich knirschend hinabzusenken.

»Auf was sind Sie denn gestoßen?« fragte Miles.

»Eis«, knurrte Bonn. »Jetzt ungefähr drei Zentimeter dick. Wir stehen auf einer Schicht von Eis, unter diesem Dreck an der Oberfläche, genau wie auf einem gefrorenen See, außer daß es hier gefrorener Schlamm ist.«

Miles stampfte versuchsweise auf. Es war feucht, aber fest. Ganz wie es sich angefühlt hatte, als er hier drauf kampierte.

Bonn, der ihn beobachtete, fügte hinzu: »Die Eisdicke variiert mit dem Wetter. Von ein paar Zentimeter bis zu fast-bis-zumBoden. Mitten im Winter könnte man ein Frachtshuttle auf diesem Sumpf parken. Wenn der Sommer kommt, dann wird es dünner. Es kann in wenigen Stunden von scheinbar fest zu flüssig auftauen, wenn die Temperatur entsprechend ist, und dann wieder gefrieren.«

»Ich … glaube, das habe ich herausgefunden.«

»Drücken«, befahl Bonn lakonisch, und Miles faßte mit seinen Händen um die Sonde und half stoßen. Er spürte das Knirschen, als die Sonde an der Eisschicht vorbeischrammte. Und wenn die Temperatur in jener Nacht, als er hinabgesunken war, noch ein bißchen tiefer gefallen wäre, hätte er sich dann durch die Eisdecke hindurch nach oben bohren können? Er schauderte innerlich und zog den Reißverschluß seines Parkas halb hoch, über seine schwarze Arbeitsuniform.

»Ist Ihnen kalt?«, sagte Bonn.

»Ich denke nach.«

»Gut. Machen Sie’s ruhig zu einer Gewohnheit.« Bonn berührte einen Hebel, und die Schallsonde piepste in einer Frequenz, bei der einem die Zähne weh taten. Das Ausgabedisplay zeigte eine helle, tropfenähnliche Form von ein paar Metern Durchmesser. »Da ist es.«

Bonn betrachtete die Zahlen auf dem Display. »Es liegt wirklich da unten, nicht wahr? Ich würde Sie es mit einem Teelöffel ausgraben lassen, Fähnrich, aber ich nehme an, der Winter würde kommen, bevor Sie fertig wären.« Er seufzte und blickte auf Miles herab, als stellte er sich die Szene bildhaft vor.

Miles konnte sie sich auch vorstellen. »Jawohl, Sir«, sagte er vorsichtig.

Sie zogen die Sonde wieder heraus. Ihre Oberfläche war glitschig von dem kalten Schlamm. Bonn markierte die Stelle und winkte seinen Technikern: »Hier, Jungs!« Sie winkten zurück und schwangen sich in die Führerkabine des Luftkissenkrans. Bonn und Miles kletterten aus dem Weg, auf die Felsen hinauf in Richtung auf die Wetterstation.

Der Luftkissenkran erhob sich jaulend in die Luft und positionierte sich über dem Sumpf. Sein für den Weltraum berechneter Hochleistungstraktorstrahl bohrte sich nach unten. Schlamm, Pflanzenfetzen und Eis spritzten unter Getöse in alle Richtungen. In wenigen Minuten schuf der Strahl einen triefenden Krater mit einer schimmernden Perle auf seinem Grund. Die Seiten des Kraters begannen sofort nach innen zu rutschen, aber der Bediener des Luftkissenkrans bündelte den Strahl und kehrte ihn um. Das Scatcat wurde angehoben und geräuschvoll aus seiner Umgebung herausgesaugt. Das schlaffe, blasenförmige Schutzzelt baumelte an seiner Kette — ein widerlicher Anblick. Der Luftkissenkran setzte seine Last in dem felsigen Bereich sanft ab und landete daneben.

Bonn und Miles gingen hinüber, um die durchweichten Überbleibsel in Augenschein zu nehmen. »Sie waren doch nicht etwa in diesem Schutzzelt, oder, Fähnrich?«, sagte Bonn während er mit dem Fuß dagegen stieß.

»Doch, Sir, ich war da drin. Ich wartete auf das Tageslicht. Ich bin … eingeschlafen.«

»Aber Sie sind doch herausgekommen, bevor es sank.«

»Hm, nein. Als ich aufwachte, da war es schon unten.«

Bonn runzelte die Stirn. »Wie weit?«

Miles hielt seine flache Hand vors Kinn.

Bonn blickte überrascht drein. »Wie sind Sie aus dem Sog herausgekommen?«

»Mit Schwierigkeiten. Und mit Adrenalin, glaube ich. Ich bin aus meinen Stiefeln und meiner Hose geschlüpft. Das erinnert mich daran: darf ich mal eine Minute hingehen und nach meinen Stiefeln suchen, Sir?«

Bonn winkte zustimmend. Miles trottete zurück zum Sumpf, umrundete den Ring von Schlamm, den der Traktorstrahl ausgespieen hatte, und hielt sich in sicherer Entfernung von dem Krater, der sich jetzt mit Wasser füllte. Er fand einen schlammbedeckten Stiefel, aber nicht den zweiten. Sollte er ihn aufheben, für den Fall, daß ihm vielleicht eines Tages ein Bein amputiert würde? Es würde vermutlich das falsche Bein sein. Er seufzte und kletterte zu Bonn zurück.

Bonn blickte mit gerunzelter Stirn auf den ruinierten Stiefel, der an Miles’ Hand baumelte. »Sie hätten umkommen können«, sagte er in einem Ton, als sei ihm das erst jetzt aufgegangen.

»Insgesamt dreimal. Erstickt in dem Schutzzelt, gefangen im Sumpf oder erfroren beim Warten auf Rettung.«

Bonn blickte ihn durchbohrend an. »Stimmt.« Er ging von dem schlaffen Zelt weg, lässig, als suchte er einen größeren Blickwinkel.

Miles folgte ihm. Als sie außer Hörweite der Techniker waren, hielt Bonn an und suchte mit den Augen den Sumpf ab. Im Plauderton bemerkte er: »Ich habe — inoffiziell — gehört, daß ein bestimmter Techniker der Fahrbereitschaft namens Pattas einem seiner Kumpel gegenüber prahlte, daß er Sie hiermit hereingelegt hat. Und daß Sie zu dumm waren, um zu erkennen, daß Sie reingelegt wurden. Diese Prahlerei wäre … nicht sehr klug gewesen, wenn Sie umgekommen wären.«

»Wenn ich umgekommen wäre, dann hätte es keine Rolle gespielt, ob er geprahlt hat oder nicht.« Miles hob die Schultern. »Was einer Untersuchung der Streitkräfte entgangen wäre, das hätte eine Untersuchung des Kaiserlichen Sicherheitsdienstes herausgebracht, da bin ich mir sicher.«

»Sie wußten, daß Sie reingelegt worden waren?« Bonn studierte den Horizont.

»Ja.«

»Ich bin überrascht, daß Sie sich dann nicht an den Sicherheitsdienst gewandt haben.«

»So? Denken Sie darüber nach, Sir.«

Bonns Blick kehrte wieder zu Miles zurück, als stellte er eine Liste mit dessen abstoßenden Mißbildungen auf. »Ich kann mir auf Sie keinen Reim machen, Vorkosigan. Warum hat man Sie in die Streitkräfte gelassen?«

»Was meinen Sie?«

»Ein Vor-Privileg.«

»Genau getroffen.«

»Warum sind Sie dann aber hier? Mit einem Vor-Privileg wird man ins Hauptquartier geschickt.«

»Vorbarr Sultana ist wunderschön um diese Jahreszeit«, gab Miles freundlich zu. Und wie genoß es sein Cousin Ivan gerade jetzt? »Aber ich möchte in den Schiffsdienst.«

»Und Sie konnten das nicht arrangieren?«, sagte Bonn skeptisch.

»Mir wurde gesagt, ich solle es mir verdienen. Deshalb bin ich hier.

Um zu beweisen, daß ich mich in den Streitkräften behaupten kann. Oder … auch nicht. Wenn ich schon eine Woche nach meinem Dienstantritt ein Wolfsrudel des Sicherheitsdienstes kommen ließe, damit sie die ganze Basis auf den Kopf stellen und nach einer Attentatsverschwörung suchen, die es meiner Meinung nach gar nicht gibt, so brächte mich das in Richtung auf mein Ziel nicht weiter. Egal, wie unterhaltsam es auch wäre.«

Es wäre vertrackt, sie zu bezichtigen: sein Wort stünde gegen das dieser beiden. Und selbst wenn er auf einer formellen Untersuchung beharrte und ein Verhör mit der Wahrheitsdroge Schnell-Penta bewiese, daß er recht hatte, so könnte die ganze Aufregung ihm auf lange Sicht mehr schaden als seine beiden Quälgeister. Nein, keine Rache war soviel wert wie die Prinz Serg.

»Die Fahrbereitschaft untersteht der Befehlskette der Pionierabteilung. Wenn der Kaiserliche Sicherheitsdienst darüber herfallen würde, dann würden sie auch über mich herfallen.« Bonns braune Augen funkelten.

»Sie sind herzlich eingeladen, über jeden herzufallen, wie es Ihnen gefällt, Sir. Aber wenn Sie inoffizielle Wege haben, um Informationen zu bekommen, dann folgt daraus, daß Sie auch inoffizielle Wege haben müssen, um Informationen weiterzugeben. Und alles in allem haben Sie ja nur mein Wort für das, was geschehen ist.«

Miles hob seinen nutzlosen einzelnen Stiefel hoch und schleuderte ihn zurück in den Sumpf. Nachdenklich beobachtete Bonn, wie der Stiefel im hohen Bogen flog und in eine Pfütze aus braunem Schmelzwasser platschte. »Das Wort eines VorLords?«

»Bedeutet nichts, in diesen degenerierten Zeiten.« Miles grinste breit. »Fragen Sie, wen Sie wollen.«

»So?« Bonn schüttelte den Kopf und machte sich auf den Weg zurück zum Luftkissenkran.

Am nächsten Morgen meldete sich Miles in der Wartungshalle zur zweiten Hälfte der Aufgabe der Wiedergewinnung des Scatcats, nämlich zur Reinigung der gesamten schlammverschmierten Gerätschaft. Die Sonne leuchtete klar und stand schon seit Stunden am Himmel, aber Miles’ Körper wußte, daß es erst 5 Uhr früh war. Nachdem er eine Stunde mit dieser Arbeit verbracht hatte, begann er warm zu werden, sich besser zu fühlen und seinen Rhythmus zu finden. Um 6:30 Uhr kam Leutnant Bonn mit ausdruckslosem Gesicht und lieferte zwei Helfer bei ihm ab.

»Aha, Korporal Olney. Pionier Pattas. So treffen wir uns also wieder«, sagte Miles fröhlich und grinste bissig. Die beiden tauschten besorgte Blicke aus. Miles blieb völlig gelassen.

Dann hielt er sie alle, auch sich selbst, in flotter Bewegung. Das Gespräch schien sich automatisch auf kurze technische Einzelheiten zu beschränken. Zu dem Zeitpunkt, als Miles aufhören und sich bei Leutnant Ahn melden mußte, waren das Scatcat und der größte Teil seiner Ausrüstung in besserem Zustand als vor seinem Abenteuer. Er wünschte seinen beiden Helfern, die vor Ungewißheit beinahe zappelten, ernsthaft einen guten Tag.

Nun ja, wenn es ihnen bis jetzt nicht aufgegangen war, dann waren sie hoffnungslose Fälle. Miles fragte sich bitter, warum er soviel mehr Glück zu haben schien, wenn es darum ging, mit klugen Leuten wie Bonn Kontakt herzustellen. Cecil hatte recht gehabt: Wenn Miles nicht herausfand, wie man auch die Dumpfschädel befehligte, dann würde er nie als Offizier bei den Streitkräften Erfolg haben. Jedenfalls nicht in Camp Permafrost.

Am nächsten Morgen, dem dritten seiner offiziellen sieben Straftage, stellte sich Miles bei Sergeant Neuve vor. Der Sergeant seinerseits präsentierte Miles ein Scatcat voller Ausrüstung, eine Diskette mit den entsprechenden Bedienungshandbüchern und dem Arbeitsplan für die Wartung der Entwässerungsgräben und Abzugskanäle auf Basis Lazkowski. Offensichtlich sollte dies eine weitere Lektion sein. Miles fragte sich, ob General Metzov diese Aufgabe persönlich ausgesucht hatte. Er nahm es an.

Ein Pluspunkt war, daß er wieder seine beiden Helfer hatte. Diese spezielle Aufgabe aus dem Bereich Tiefbau war anscheinend Olney und Pattas nie zuvor zugefallen, deshalb hatten sie nicht den Vorteil überlegener Kenntnisse, mit denen sie Miles hätten ein Bein stellen können. Auch sie mußten zuerst anhalten und die Handbücher lesen. Miles studierte die Prozeduren und leitete die Maßnahmen mit einer guten Laune, die schon fast manisch war, während seine Helfer immer niedergeschlagener wurden.

Von den raffinierten Geräten zur Reinigung der Kanalisation ging dennoch eine gewisse Faszination aus. Und eine gewisse Erregung. Rohre mit Hochdruck zu spülen konnte einige überraschende Effekte erzielen. Da gab es chemische Verbindungen, die einige durchaus militärische Eigenschaften aufwiesen, zum Beispiel konnte eine alles mögliche auf der Stelle auflösen, menschliches Gewebe eingeschlossen.

An den folgenden drei Tagen lernte Miles mehr über die Infrastruktur von Basis Lazkowski, als er je hatte wissen wollen. Er hatte sogar die Stelle errechnet, wo eine gut plazierte Sprengladung das ganze System lahmlegen konnte, falls er sich je dafür entscheiden sollte, die Anlage zu zerstören.

Am sechsten Tag wurden Miles und sein Team beauftragt, einen blockierten Bachdurchlaß draußen im Trainingsgelände der Rekruten zu reinigen. Der Platz war leicht zu finden. Eine silbrige Wasserfläche schwappte plätschernd gegen die eine Seite des erhöhten Fahrdamms, auf der anderen Seite sickerte nur ein schwaches Rinnsal heraus und rann am Boden eines tiefen Grabens dahin.

Miles nahm eine lange ausziehbare Stange aus dem hinteren Teil ihres Scatcats und sondierte durch die undurchsichtige Wasserfläche hinab. Nichts schien die überflutete Seite des Durchlasses zu blockieren. Was immer es war, es mußte tiefer drin stecken. Wie schön! Er gab die Stange an Pattas zurück und ging auf die andere Seite der Straße und blickte hinab in den Graben. Der Durchlaß hatte einen Durchmesser von etwas mehr als einem halben Meter, stellte Miles fest.

»Geben Sie mir ein Licht«, sagte er zu Olney.

Dann schlüpfte er aus seinem Parka, warf ihn in das Scatcat und kletterte in den Graben hinab. Er richtete das Licht auf die Öffnung. Der Durchlaß machte offensichtlich einen leichten Bogen; Miles konnte nicht das geringste sehen. Er seufzte. Für das, was jetzt getan werden mußte, waren die Schultern von Olney und Pattas zu breit.

Gab es etwas, das weiter vom Schiffsdienst entfernt war als das hier?

Kaum etwas, das er bisher gemacht hatte, ließ sich mit dem hier vergleichen, allenfalls die Höhlenforschung in den DendariiBergen vor langer Zeit. Erde und Wasser, gegen Feuer und Luft. Er schien eine gewaltige Menge von Yin aufzubauen; das dazu gehörige komplementäre Yang mußte, wenn es ans Licht kam, enorm sein.

Er packte das Licht fester, ließ sich auf Hände und Knie fallen und kroch in den Abzugskanal.

Das eisige Wasser durchnäßte die Hose seiner Arbeitsuniform und ließ ihn fast erstarren. Wasser sickerte in einen seiner Handschuhe. Es fühlte sich an, als setze jemand eine Messerklinge an sein Handgelenk.

Miles dachte kurz über Olney und Pattas nach. Sie hatten in den letzten paar Tagen eine kühle, annehmbar effiziente Arbeitsbeziehung entwickelt. Doch Miles machte sich keine Illusionen: sie beruhte auf dem heiligen Schrecken, den Miles’ guter Engel Leutnant Bonn den beiden Männern eingejagt hatte. Wie erlangte überhaupt Bonn diese stille Autorität? Er mußte das herausbringen. Bonn war gut in seinem Job, das war Punkt Eins, aber was sonst?

Miles schrammte um die Kurve, leuchtete mit seinem Licht auf den Klumpen vor ihm und fuhr fluchend zurück. Er hielt für einen Moment inne, um wieder die Kontrolle über seinen Atem zu gewinnen, untersuchte die Blockade etwas näher und zog sich dann zurück.

Er erhob sich am Boden des Grabens und richtete sein Rückgrat auf, einen knirschenden Wirbel nach dem anderen. Korporal Olney streckte oben seinen Kopf über das Straßengeländer. »Was ist da drin, Fähnrich?«

Miles grinste ihn an, während er noch um Atem rang. »Ein Paar Stiefel.«

»Das ist alles?« sagte Olney.

»Ihr Besitzer trägt sie noch.«

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