KAPITEL 12

»Er ist ein Barrayaraner. Und nicht einfach irgendein Barrayaraner. Wir müssen ihn schleunigst von hier wegschaffen, damit ihn niemand sieht«, fuhr Metzov fort.

»Wer hat ihn denn dann geschickt?« Cavilo starrte wieder auf Miles und schürzte mißtrauisch die Lippen.

»Gott«, erklärte Metzov leidenschaftlich, »Gott hat ihn meinen Händen ausgeliefert.« Mit seiner Fröhlichkeit bot Metzov einen ungewöhnlichen und alarmierenden Anblick. Sogar Cavilo hob die Augenbrauen.

Metzov warf zum erstenmal einen Blick auf Gregor. »Wir werden ihn mitnehmen und auch seinen — Leibwächter, nehme ich an …« Er hielt inne.

Die Bilder auf den Marknoten sahen Gregor nicht sehr ähnlich, da sie schon einige Jahre alt waren, aber der Kaiser war in zahlreichen Vidsendungen erschienen — natürlich nicht so gekleidet wie jetzt …

Miles konnte fast sehen, wie Metzov dachte: Das Gesicht kenne ich, ich komme jetzt nur nicht auf seinen Namen … Vielleicht würde er Gregor nicht erkennen. Vielleicht würde er es nicht glauben.

Gregor, der sich zu einer würdigen Haltung aufgerichtet hatte, die sein Entsetzen verbarg, sprach zum erstenmal: »Ist das noch einer von deinen alten Freunden, Miles?«

Es war die gemessene, kultivierte Stimme, die die Verbindung herstellte. Metzovs Gesicht, zuerst rot vor Aufregung, wurde plötzlich bleich. Er schaute sich unwillkürlich um — nach Illyan, vermutete Miles.

»Hm, das ist General Stanis Metzov«, erklärte Miles.

»Der Metzov von der Insel Kyril?«

»Ja.«

»Oh.« Gregor behielt seine verschlossene Zurückhaltung bei, blieb nahezu ausdruckslos.

»Wo ist Ihr Sicherheitsteam, Sir?«, wollte Metzov von Gregor wissen, und seine Stimme war rauh vor uneingestandener Furcht.

Sie schauen direkt darauf, dachte Miles traurig.

»Nicht weit hinter mir, denke ich mir«, versuchte es Gregor kühl. »Lassen Sie uns unseres Weges gehen, und man wird Sie nicht behelligen.«

»Wer ist der Kerl?« Cavilo klopfte ungeduldig mit einem Stiefel auf den Boden.

»Was«, Miles konnte nicht anders, als Metzov zu fragen, »was tun Sie hier?«

Metzov wurde grimmig: »Wie soll ein Mann meines Alters leben, wenn man ihm seine Kaiserliche Pension — die Ersparnisse seines Lebens — weggenommen hat? Hatten Sie gehofft, ich würde mich hinsetzen und ruhig verhungern? Nicht mit mir.«

Es war nicht opportun gewesen, Metzov an seinen Groll zu erinnern, erkannte Miles.

»Es … sieht aus, als hätten Sie sich gegenüber der Insel Kyril verbessert«, deutete Miles hoffnungsvoll an. Er kam aus dem Staunen nicht heraus. Metzov sollte unter einer Frau arbeiten? Die interne Dynamik dieser Befehlskette mußte faszinierend sein. Stanis Liebling?

Miles’ Worte schienen Metzov nicht zu amüsieren.

»Wer sind die beiden?« fragte Cavilo noch einmal.

»Macht. Geld. Strategischer Einfluß. Mehr als du dir vorstellen kannst«, antwortete Metzov.

»Schwierigkeiten«, warf Miles ein. »Mehr als Sie sich vorstellen können.«

»Du bist ein eigener Fall, Mutant«, sagte Metzov.

»Ich erlaube mir, anderer Meinung zu sein, General«, sagte Gregor in seiner besten kaiserlichen Sprechweise. Er suchte nach sicherem Boden in diesem dahintreibenden Wortwechsel, verbarg allerdings seine Verwirrung gut.

»Wir müssen sie sofort auf die Kurins Hand bringen. Außer Sichtweite«, sagte Metzov zu Cavilo. Er blickte schnell auf das Verhaftungskommando. »Außer Hörweite. Wir werden damit intern weitermachen.«

Von der Patrouille eskortiert, marschierten sie los. Miles fühlte Metzovs Blick in seinem Rücken wie eine Messerklinge, stechend und sondierend. Sie gingen durch verschiedene menschenleere Andockbuchten, bis sie zu einer größeren kamen, wo die Wartung eines Schiffes im Gange war. Des Kommandoschiffes, nach der Anzahl und der Förmlichkeit der diensttuenden Wachen zu schließen.

»Bringt sie in die Sanitätsabteilung zum Verhör«, befahl Cavilo dem Kommando, als der wachhabende Offizier sie an einer Personalluke einließ.

»Halt, noch nicht!«, sagte Metzov. Er blickte sich in den Querkorridoren um und zitterte fast. »Hast du einen Wächter, der taubstumm ist?«

»Wohl kaum!« Cavilo schaute ungehalten auf ihren rätselhaft erregten Untergebenen. »Dann zum Schiffsgefängnis.«

»Nein«, sagte Metzov scharf. Er zögerte, den Kaiser in eine Zelle zu werfen, wie Miles erkannte. Metzov wandte sich an Gregor und sagte mit völligem Ernst: »Dürfte ich Ihr Ehrenwort haben, Sire — Sir?«

»Was?«, schrie Cavilo. »Ist bei dir eine Schraube locker, Stanis?«

»Ein Ehrenwort«, merkte Gregor würdevoll an, »ist ein Versprechen, das zwischen ehrenhaften Feinden gegeben wird. Ich bin bereit, Ihre Ehrenhaftigkeit anzunehmen. Aber erklären Sie sich damit zu unserem Feind?«

Eine ausgezeichnete Wortklauberei, erkannte Miles an.

Metzovs Blick fiel auf Miles. Seine Lippen wurden schmal. »Vielleicht nicht Ihr Feind. Aber Sie sind unklug bei der Wahl Ihrer Favoriten. Ganz zu schweigen von den Ratgebern.«

Gregors Gesichtsausdruck war jetzt sehr schwer zu entziffern. »Manche Bekanntschaften werden mir aufgedrängt. Auch manche Ratgeber.«

»In meine Kabine«, Metzov hob abwehrend die Hand, als Cavilo ansetzte, ihm zu widersprechen, »vorläufig. Für unser Einleitungsgespräch. Ohne Zeugen und ohne Sicherheitsaufnahmen. Danach entscheiden wir, Cavie.«

Cavilo kniff die Augen zusammen. »In Ordnung, Stanis. Bring sie weg.« Ihre offene Hand wölbte sich ironisch und wies die Männer an, weiterzugehen.

Metzov postierte zwei Wachen vor der Tür seiner Kabine und schickte die übrigen weg. Als die Tür sich hinter ihnen wieder geschlossen hatte, fesselte er Miles mit einem Strick und setzte ihn auf den Boden.

Aus tief eingewurzelter Ehrerbietung ließ er dann Gregor auf dem gepolsterten Stuhl vor dem Komkonsolenpult, dem besten in dem spartanisch eingerichteten Raum, Platz nehmen.

Cavilo, die mit überkreuzten Beinen auf dem Bett saß und das Spiel beobachtete, widersprach der Logik von Metzovs Vorgehen. »Warum den Kleinen fesseln und den Großen nicht?«

»Du kannst ja deinen Betäuber ziehen, falls er dich beunruhigt«, riet Metzov. Schwer atmend stellte er sich hin, die Hände in die Hüften gestemmt und musterte Gregor. Er schüttelte den Kopf, als könnte immer noch nicht seinen Augen trauen.

»Warum nicht deinen Betäuber?«

»Ich habe mich noch nicht entschieden, ob ich in seiner Gegenwart eine Waffe ziehe.«

»Wir sind jetzt allein, Stanis«, sagte Cavilo mit einem sarkastischen Unterton. »Würdest du mir freundlicherweise erklären, was dieser Unsinn soll? Und es sollte schon überzeugend klingen.«

»O ja. Der da …« — er zeigte auf Miles — »ist Lord Miles Vorkosigan, der Sohn des Premierministers von Barrayar. Admiral Aral Vorkosigan — ich hoffe, du hast von ihm schon gehört.«

Cavilo senkte ihre Augenbrauen. »Was hatte er dann auf Pol Sechs zu tun, in der Verkleidung eines betanischen Waffenhändlers?«

»Da bin ich mir nicht sicher. Das letzte, was ich gehört hatte, war, daß er unter Arrest des Kaiserlichen Sicherheitsdienstes stand, obwohl natürlich niemand glaubte, daß es denen ernst damit wäre.«

»Vorläufige Haft«, korrigierte Miles. »Rein formal.«

»Und er …« — Metzov drehte sich um und zeigte auf Gregor — »ist der Kaiser von Barrayar. Gregor Vorbarra. Was er hier tut, kann ich mir nicht vorstellen.«

»Bist du sicher?« Sogar Cavilo war verblüfft.

Als Metzov hartnäckig nickte, begannen ihre Augen hoffnungsvoll zu funkeln. Sie schaute Gregor an, als sehe sie ihn zum ersten Mal. »Wirklich. Wie interessant.«

»Aber wo ist sein Sicherheitsteam? Wir müssen sehr vorsichtig vorgehen, Cavie.«

»Was ist er ihnen wert? Oder dem Höchstbietenden?«

Gregor lächelte sie an. »Ich bin ein Vor, Madame. In einem gewissen Sinn der Vor. Risiko im Dienst ist der Beruf des Vor. An Ihrer Stelle würde ich nicht annehmen, daß mein Wert unbegrenzt wäre.«

Gregors Beschwerde hatte einen wahren Kern, dachte Miles, wenn er nicht gerade dabei war, Kaiser zu sein, dann schien er überhaupt kaum jemand zu sein. Aber er spielte sicherlich seine Rolle gut.

»Eine Gelegenheit, ja«, sagte Metzov, »aber wenn wir uns einen Feind schaffen, mit dem wir nicht fertigwerden …«

»Wenn wir ihn als Geisel behalten, dann sollten wir doch mit ihnen leicht fertigwerden können«, merkte Cavilo nachdenklich an.

»Ein anderer und klügerer Weg wäre«, warf Miles dazwischen, »uns zu helfen, daß wir schnell und sicher weiterkommen, und dafür ein lukratives und ehrenvolles Dankeschön zu bekommen. Gewissermaßen eine Strategie des doppelten Gewinns.«

»Ehrenvoll?« Metzovs Augen glühten. Er verfiel in ein brütendes Schweigen, dann murmelte er: »Aber was machen die hier? Und wo ist diese Schlange Illyan? Ich möchte auf jeden Fall den Mutanten haben. Verdammt! Man muß das Spiel kühn spielen, oder überhaupt nicht.« Er starrte boshaft auf Miles. »Vorkosigan … also. Und was bedeutet jetzt Barrayar für mich? Eine Armee, die mir nach fünfunddreißig Jahren Dienst einen Dolchstoß in den Rücken versetzt hat …« Er richtete sich entschlossen auf, zog aber noch nicht, wie Miles bemerkte, eine Waffe in Anwesenheit des Kaisers.

»Ja, laß sie ins Schiffsgefängnis bringen, Cavie.«

»Nicht so schnell«, sagte Cavilo nachzudenklich. »Schick den Kleinen in den Bunker, wenn du magst. Er ist nichts wert, sagst du?«

Der einzige Sohn des mächtigsten militärischen Führers auf Barrayar hielt zur Abwechslung einmal den Mund. Wenn, wenn, wenn …

»Vergleichsweise«, sagte Metzov hinhaltend, er schien plötzlich zu befürchten, daß er um seine Beute betrogen würde.

»Sehr gut.« Cavilo steckte den Betäuber lautlos in ihr Halfter, sie hatte schon vor einer Weile aufgehört, damit zu zielen und statt dessen mit ihm herumgespielt. Sie trat zur Tür, öffnete sie und winkte den Wachen. »Bringt ihn«, sie zeigte auf Gregor, »in Kabine Neun, Deck G. Klemmt die herausführende Kommunikationsleitung ab, versperrt die Tür und postiert eine Wache mit einem Betäuber davor. Aber versorgt ihn mit allem vertretbaren Komfort, den er vielleicht verlangt.« Sie fügte zu Gregor flüsternd hinzu: »Es ist das komfortabelste Quartier für besuchende Offiziere, das die Kurins Hand zur Verfügung stellen kann … ah …«

»Nennen Sie mich Greg«, seufzte Gregor.

»Greg. Ein hübscher Name. Kabine Neun liegt direkt neben meiner. Wir werden dieses Gespräch in Kürze fortsetzen, nachdem Sie sich … äh … erfrischt haben. Vielleicht beim Dinner. Beaufsichtige seine Unterbringung dort, ja, Stanis?«

Sie schenkte beiden Männern ein unparteiisches glitzerndes Lächeln und schwebte hinaus, eine hübsche Mieze in Stiefeln. Dann streckte sie den Kopf noch einmal herein und zeigte auf Miles. »Bringt ihn zum Schiffsgefängnis!«

Der zweite Wächter winkte Miles mit dem Betäuber und stupste ihn mit einem glücklicherweise nicht aktivierten Schockstab, damit er Cavilo folgte.

Die Kurins Hand war, nach seinen Eindrücken unterwegs zu schließen, ein viel größeres Kommandoschiff als die Triumph, und konnte größere und stärkere Kampf- und Enterkräfte ins Feld schicken, war aber entsprechend schwerfällig zu manövrieren. Das Schiffsgefängnis war auch größer, entdeckte Miles kurz darauf, und wirkungsvoller gesichert. Durch einen einzigen Eingang kam man zu einer optimal gestalteten Wachmonitorstation, von der zwei Flure als Sackgassen zu den Zellen führten.

Der Frachterkapitän verließ gerade die Wachstation unter dem wachsamen Auge des Soldaten, der den Befehl hatte, ihn zu begleiten. Er warf Cavilo einen feindseligen Blick zu.

»Wie Sie sehen, sind sie bei guter Gesundheit«, sagte Cavilo zu ihm. »Meine Hälfte des Handels, Kapitän. Schauen Sie, daß Sie weitermachen, um Ihren Teil zu erfüllen.«

Wollen wir doch mal sehen, was geschieht … »Sie haben nur eine Aufnahme gesehen«, mischte Miles sich ein. »Verlangen Sie, sie leibhaftig zu sehen.«

Cavilo biß ihre weißen Zähne fest aufeinander, aber der Ärger auf ihrem Gesicht ging nahtlos in ein listiges Lächeln über, als der Frachterkapitän herumfuhr.

»Was? Sie …« Er pflanzte sich störrisch vor ihr auf. »Also, wer von euch beiden lügt?«

»Kapitän, das ist die einzige Garantie, die Sie bekommen«, sagte Cavilo und zeigte auf die Monitore. »Sie haben sich entschieden, ein Risiko einzugehen, und jetzt sollten Sie das Spiel schon weiterspielen.«

»Dann ist dies …« — er zeigte auf Miles — »das letzte Ergebnis, das Sie bekommen.«

Eine unmerkliche Bewegung ihrer Hand an ihrer Hosennaht alarmierte die Wachen, die ihre Betäuber zogen. »Bringt ihn raus!«, befahl sie.

»Nein!«

»Also gut«, ihre Augen weiteten sich wütend, »bringt ihn in Zelle Sechs. Und sperrt ihn ein.«

Als der Frachterkapitän sich umwandte, hin- und hergerissen zwischen Widerstand und Ungeduld, machte Cavilo dem Wächter ein Zeichen, sich von seinem Gefangenen etwas zu entfernen. Er trat zurück und hob fragend die Augenbrauen. Cavilo warf Miles einen Blick zu und lächelte, als wollte sie sagen: Also gut, du Klugscheißer, jetzt schau mir mal zu! Mit einer kühlen, geschmeidigen Bewegung öffnete Cavilo den Verschluß ihres linken Halfters, zog einen Nervendisruptor heraus, zielte sorgfältig und feuerte auf den Hinterkopf des Kapitäns. Er zuckte einmal krampfhaft zusammen und stürzte, er war tot, bevor er auf dem Boden aufschlug.

Sie ging zu ihm hin und stieß nachdenklich mit der Spitze ihres Stiefels gegen die Leiche, dann blickte sie auf Miles, dem der Mund offenstand.

»Sie werden nächstes Mal Ihren Mund halten, nicht wahr, kleiner Mann?«

Miles’ Mund klappte zu. Du mußtest es ja ausprobieren … Wenigstens wußte er jetzt, wer Liga umgebracht hatte. Der Tod des kaninchenhaften Polianers, von dem er bisher nur berichtsweise gehört hatte, erschien ihm plötzlich wirklich und real. Der begeisterte Ausdruck, der über Cavilos Gesicht hinweggehuscht war, als sie den Frachterkapitän umpustete, erschreckte und faszinierte Miles zugleich.

Wen hast du wirklich im Visier gehabt, Liebling? »Ja, Madame«, würgte er hervor und versuchte, sein Zittern zu verbergen, die verzögerte Reaktion auf diese schockierende Wende. Zum Teufel mit seiner Zunge …

Sie ging zurück zur Sicherheitsmonitorstation und sagte zu der Technikerin, die wie erstarrt an ihrem Platz saß: »Entladen Sie die Aufnahme von General Metzovs Kabine für die letzte halbe Stunde und geben Sie sie mir. Legen Sie eine neue ein.« Sie steckte die Diskette in eine Brusttasche und schloß sorgfältig die Klappe. »Den hier bringt in Zelle vierzehn«, sie nickte in Richtung auf Miles. »Oder … äh … in Zelle dreizehn, falls sie leer ist.«

Die Wachen durchsuchten Miles nochmals und behandelten ihn erkennungsdienstlich. Cavilo informierte sie kühl, daß sein Name als Victor Rotha registriert werden sollte.

Während er wieder auf die Beine gestellt wurde, brachten zwei Männer mit Sanitätsabzeichen eine Schwebetrage, um die Leiche zu entfernen.

Cavilo, die ausdruckslos zusah, bemerkte müde zu Miles: »Sie haben sich dafür entschieden, die Nützlichkeit meines Doppelagenten zu beeinträchtigen. Das war der Streich eines Vandalen. Er hätte für bessere Zwecke verwendet werden können als für einen Anschauungsunterricht für einen Narren. Ich hebe nichts Nutzloses auf.

Sie sollten anfangen nachzudenken, wie Sie sich für mich nützlicher machen können, als nur ein Spielzeug für General Metzov zu sein.« Sie lächelte matt und blickte in eine unbestimmte Entfernung. »Allerdings ist er ganz scharf auf Sie, nicht wahr? Seine Motive werde ich noch erforschen müssen.«

»Was ist eigentlich der Nutzen von Stanis-Liebling für Sie?«, wagte Miles zu fragen, störrisch und herausfordernd in seinem Strudel von Ärger und Schuldgefühl. War Metzov ihr Liebhaber? Ein abstoßender Gedanke.

»Er ist ein erfahrener Kommandant im Bodenkampf.«

»Welchen Bedarf für einen Bodenkommandanten hat eine Raumflotte, die Wachdienst vor einem Wurmloch macht?«

»Nun ja«, sie lächelte süß, »er amüsiert mich.« Das hätte vermutlich die erste Antwort sein sollen.

»Über Geschmack soll man sich nicht streiten«, murmelte Miles. Sollte er sie vor Metzov warnen? Wenn er es sich recht überlegte: Sollte er Metzov vor ihr warnen?

In seinem Kopf kreiste immer noch alles um dieses neue Dilemma, als die glatte Tür seiner Einzelzelle sich hinter ihm schloß.

Es dauerte nicht lange, bis der Reiz der Neuheit seiner neuen Unterkunft für Miles erschöpft war, der Reiz eines Raumes, der nur wenig größer war als zwei mal zwei Meter, möbliert nur mit zwei gepolsterten Bänken und einer ausklappbaren Toilette. Kein Bibliotheksprojektor, keine Befreiung aus dem Kreislauf seiner Gedanken, die im Sumpf seiner Selbstbezichtigungen steckenblieben.

Ein Feldrationen-Speiseriegel der Rangers, der etwas später durch eine abgesicherte Öffnung in der Tür geschoben wurde, erwies sich als noch widerlicher als die kaiserlich-barrayaranische Version: er ähnelte einem Hundeknabberknochen aus Rohleder. Befeuchtete man ihn mit Speichel, dann wurde er ein wenig weich, genug, um zähe Stückchen abzureißen, falls man gesunde Zähne hatte. Er war mehr als nur eine zeitweilige Ablenkung, er versprach bis zur nächsten Ausgabe vorzuhalten. Wahrscheinlich höllisch nahrhaft. Miles fragte sich, was Cavilo Gregor zum Dinner servierte. War das genauso wissenschaftlich ausgewogen hinsichtlich der Vitamine?

Sie waren ihrem Ziel schon so nahe gewesen. Selbst jetzt war das Konsulat von Barrayar nur ein paar Schleusen und Ebenen entfernt, weniger als einen Kilometer. Wenn er nur von hier nach dort gelangen könnte. Wenn eine Chance käme … Andrerseits, wie lange würde Cavilo zögern, die diplomatischen Gepflogenheiten zu mißachten und in das Konsulat einzudringen, wenn sie darin einen Nutzen sah? Etwa so lange, wie sie gezögert hatte, den Frachterkapitän hinterrücks zu erschießen, schätzte Miles. Sie hatte sicherlich inzwischen schon befohlen, das Konsulat und alle bekannten barrayaranischen Agenten auf der VervainStation zu beobachten. Miles zog seine Zähne aus einem Stück des Speiseleders und zischte.

Ein Piepsen des Codeschlosses warnte Miles, daß er gleich Besuch bekommen würde. Ein Verhör so bald? Er hatte erwartet, daß Cavilo zuerst Gregor fürstlich bewirten und dabei ausloten würde und erst dann zu ihm zurückkäme. Oder war er nur eine Aufgabe für ihre Handlanger? Er schluckte, der Klumpen der Ration blieb fast in seiner Kehle stecken, und dann setzte er sich auf und versuchte unerschütterlich und furchtlos auszusehen.

Die Tür glitt zur Seite, und General Metzov erschien, der immer noch äußerst militärisch und effizient aussah in der gelbbraun-schwarzen Arbeitsuniform der Rangers.

»Sind Sie sicher, daß Sie mich nicht brauchen, Sir?«, fragte der Wächter neben ihm, als Metzov durch die Öffnung drängte.

Metzov warf einen verächtlichen Blick auf Miles, der gewöhnlich und unmilitärisch aussah, in Victor Rothas jetzt schlaffem und schmutzigem grünen Seidenhemd, in der ausgebeulten Hose und mit den nackten Füßen — die Wächter hatten ihm bei der erkennungsdienstlichen Behandlung seine Sandalen abgenommen.

»Kaum. Der geht nicht auf mich los.«

Verdammt richtig, stimmte Miles mit Bedauern zu.

Metzov tippte an seinen Kommunikator am Handgelenk. »Ich werde Sie rufen, wenn ich fertig bin.«

»Sehr wohl, Sir.« Die Tür schloß sich ächzend. Die Zelle erschien plötzlich in der Tat sehr winzig. Miles zog seine Beine hoch und saß defensiv zusammengekauert auf seiner Pritsche. Metzov stand gelassen da und betrachtete Miles einen langen, befriedigenden Moment lang, dann ließ er sich bequem auf der gegenüberliegenden Bank nieder.

»Tja nun«, sagte Metzov und verzog dabei den Mund, »was für eine Wendung des Schicksals.«

»Ich dachte, Sie würden mit dem Kaiser dinieren«, sagte Miles.

»Komrnandantin Cavilo kann unter Stress ein bißchen konfus werden. Wenn sie sich wieder beruhigt, wird sie einsehen, wie notwendig meine Sachkenntnis in barrayaranischen Angelegenheiten ist«, sagte Metzov in gemessenem Ton.

Mit anderen Worten: Sie waren nicht eingeladen. »Sie haben den Kaiser mit ihr allein gelassen?« Gregor, paß auf, was du da tust!

»Gregor ist keine Gefahr. Ich fürchte, seine Erziehung hat aus ihm einen Schwächling gemacht.«

Miles schnürte es die Kehle zu.

Metzov lehnte sich zurück und trommelte mit den Fingern auf sein Knie. »Also sagen Sie mir, Fähnrich Vorkosigan — wenn Sie noch Fähnrich Vorkosigan sind. Da es in dieser Welt keine Gerechtigkeit gibt, nehme ich an, daß Sie Ihren Rang und Ihren Sold behalten haben. Was tun Sie hier? Mit ihm?«

Miles war versucht, sich auf Name, Rang und Personenkennziffer zu beschränken; allerdings kannte Metzov die ja schon. War Metzov eigentlich ein Feind? Das heißt; ein Feind von Barrayar, nicht von Miles persönlich. Hielt Metzov dies in seinem Denken auseinander?

»Der Kaiser wurde von seinem Sicherheitsteam getrennt. Wir hofften, mit ihnen über das hiesige Konsulat von Barrayar wieder Kontakt aufzunehmen.« Seine Aussage enthielt nichts, was nicht völlig offensichtlich war.

»Und von woher seid ihr gekommen?«

»Von Aslund.«

»Machen Sie sich nicht die Mühe, den Idioten zu spielen, Vorkosigan. Ich kenne Aslund. Wer hat Sie überhaupt dorthin geschickt? Und machen Sie sich auch nicht die Mühe zu lügen, ich kann den Frachterkapitän ins Kreuzverhör nehmen.«

»Nein, können Sie nicht. Cavilo hat ihn getötet.«

»Oh?« Überraschung zeigte sich auf seinem Gesicht, wurde aber sofort unterdrückt. »Schlau von ihr. Er war der einzige Zeuge, der wußte, wohin ihr gegangen seid.«

War das ein Teil von Cavilos Überlegung gewesen, als sie ihren Nervendisruptor gezückt hatte? Wahrscheinlich. Und doch … der Frachterkapitän war auch der einzige Zeuge gewesen, der wußte, woher sie gekommen waren. Vielleicht war Cavilo doch nicht so formidabel, wie sie auf den ersten Blick schien.

»Noch einmal«, sagte Metzov geduldig — Miles konnte sehen, daß er sich vorkam, als hätte er alle Zeit der Welt — »wie ist es dazu gekommen, daß Sie mit dem Kaiser zusammen sind?«

»Was meinen Sie?«, erwiderte Miles, um Zeit zu gewinnen.

»Irgendein Komplott, natürlich.« Metzov zuckte die Achseln.

Miles stöhnte. »Oh, natürlich!« Er richtete sich in seiner Empörung auf. »Und welche vernünftige — oder meinetwegen auch verrückte — Kette von Verschwörungen ist in Ihrer Vorstellung verantwortlich dafür, daß wir hierherkamen, allein, von Aslund aus? Ich will damit sagen, ich weiß, was wirklich los war, ich habe es ja erlebt, aber wonach sieht es Ihrer Meinung nach aus?« Das heißt, nach Meinung eines professionellen Paranoikers. »Ich würde es einfach gern hören.«

»Nun ja …« Metzov wurde unwillkürlich aus seiner Reserve gelockt. »Sie haben den Kaiser irgendwie von seinem Sicherheitsteam getrennt. Entweder fädeln Sie ein wohldurchdachtes Attentat ein, oder Sie planen, in irgendeiner Form seine Persönlichkeit unter Ihre Kontrolle zu bringen.«

»Das ist es also, was einem einfach so in den Sinn kommt, wie?« Miles stieß seinen Rücken mit einem frustrierten Knurren gegen die Wand und ließ sich zusammensinken.

»Oder vielleicht seid ihr auf einer geheimen — und deshalb unehrenhaften — diplomatischen Mission. Irgendein Verrat.«

»Wenn dem so ist, wo ist dann Gregors Sicherheitsteam?«, sagte Miles. »Dann sollten Sie lieber aufpassen.«

»Also trifft meine erste Hypothese zu.«

»In diesem Fall, wo ist dann mein Sicherheitsteam?«, knurrte Miles. Ja wirklich, wo war es?

»Ein Vorkosigan-Komplott — nein, vielleicht keines des Admirals. Er beherrscht Gregor zu Hause …«

»Danke, darauf wollte ich auch schon hinweisen.«

»Ein verdrehtes Komplott eines verdrehten Kopfes. Träumen Sie davon, sich selber zum Kaiser von Barrayar zu machen, Sie Mutant?«

»Das wäre mir ein Alptraum, das versichere ich Ihnen. Fragen Sie Gregor.«

»Darauf kommt es kaum an. Unsere Mediziner werden eure Geheimnisse aus euch herausquetschen, sobald Cavilo das Startzeichen gibt. In gewisser Weise ist es schade, daß Schnell-Penta überhaupt erfunden wurde. Ich würde es genießen, jeden Knochen in Ihrem Körper zu brechen, bis Sie reden. Oder schreien. Sie werden sich hier nicht hinter Ihres Vaters …« — er grinste kurz — »Röcken verstecken können, Vorkosigan.« Er wurde nachdenklich. »Vielleicht werde ich es sowieso tun. Einen Knochen pro Tag, so lange sie reichen.«

206 Knochen im menschlichen Körper. 206 Tage. Illyan sollte in der Lage sein, uns in 206 Tagen einzuholen. Miles lächelte düster.

Metzov schien allerdings im Augenblick nicht daran zu denken, aufzustehen und diesen Plan sofort in die Tat umzusetzen. Dieses eher spekulative Gespräch stellte kaum ein ernsthaftes Verhör dar. Aber wenn er kein Verhör anstellen oder Miles aus Rache foltern wollte, warum war der Mann dann hier?

Seine Geliebte hat ihn rausgeworfen, er fühlte sich einsam und fremd und wollte mit jemand Bekanntem reden. Sogar mit einem bekannten Feind. Es war auf seltsame Weise verständlich. Abgesehen von der Invasion in Komarr hatte Metzov wahrscheinlich Barrayar nie verlassen, sein Leben zum größten Teil in der begrenzten, geordneten, vorhersehbaren Sekundärwelt des kaiserlichen Militärs zugebracht. Jetzt war der rigide Mann wurzellos und mit mehr freien Willensentscheidungen konfrontiert, als er sich je vorgestellt hatte. Gott! Der Verrückte hat Heimweh. Eine Einsicht, die frösteln machte.

»Ich glaube allmählich, daß ich Ihnen zufälligerweise etwas Gutes getan habe«, begann Miles. Wenn Metzov schon in einer gesprächigen Stimmung war, warum ihn nicht noch weiter ermuntern? »Cavilo sieht sicher besser aus als Ihr letzter Befehlshaber.«

»Ja, das stimmt.«

»Ist auch die Bezahlung besser?«

»Jeder zahlt besser als die Kaiserlichen Streitkräfte«, schnaubte Metzov.

»Und es ist auch nicht langweilig. Auf Kyril glich ein Tag dem anderen. Hier weiß man nicht, was als nächstes geschieht. Oder zieht Cavilo Sie in ihr Vertrauen?«

»Ich bin für ihre Pläne wesentlich.« Metzov grinste affektiert.

»Als Schlafzimmerkrieger? Ich dachte, Sie gehörten zur Infanterie. In Ihrem Alter noch das Spezialgebiet zu wechseln?«

Metzov lächelte nur. »Jetzt werden Sie durchsichtig, Vorkosigan.«

Miles zuckte die Achseln. Wenn dem so ist, dann bin ich hier das einzige, was durchsichtig ist. »Wie ich mich erinnere, hielten Sie nicht viel von weiblichen Soldaten. Cavilo hat Sie anscheinend Ihre Meinung ändern lassen.«

»Überhaupt nicht.« Metzov lehnte sich selbstgefällig zurück. »Ich erwarte, binnen sechs Monaten das Kommando der Randall’s Rangers zu übernehmen.«

»Wird diese Zelle nicht abgehört?«, fragte Miles verblüfft. Nicht, daß es ihm etwas ausmachte, wieviel Schwierigkeiten Metzov sich mit seinem Mund einhandelte … »Im Augenblick nicht.«

»Plant Cavilo etwa, sich zur Ruhe zu setzen?«

»Es gibt eine Reihe von Methoden, mit denen ihr Rücktritt beschleunigt werden könnte. Den tödlichen Unfall, den Cavilo für Randall arrangierte, könnte man leicht wiederholen. Oder ich könnte sogar einen Weg finden, sie damit anzuklagen, da sie dumm genug war, im Bett mit dem Mord zu prahlen.«

Sie hat nicht geprahlt, sie hat dich gewarnt, Dummkopf. Miles Augen gerieten fast ins Schielen, als er sich das Bettgeflüster zwischen Metzov und Cavilo vorstellte. »Sie beide müssen viel gemeinsam haben. Kein Wunder, daß Sie so gut miteinander auskommen.«

Metzovs Amüsement ließ nach. »Ich habe mit dieser Söldnerschlampe überhaupt nichts gemeinsam. Ich war ein kaiserlicher Offizier.« Er blickte finster vor sich hin. »Fünfunddreißig Jahre lang. Und man hat mich kaltgestellt. Nun ja, man wird schon noch entdecken, daß das ein Fehler war.« Metzov warf einen Blick auf sein Chrono. »Ich verstehe immer noch nicht, warum Sie hier sind. Sind Sie sicher, daß es nicht etwas anderes gibt, was Sie mir jetzt sagen wollen, privat, bevor Sie morgen alles Cavilo unter Schnell-Penta sagen?«

Miles kam zu dem Schluß, daß Cavilo und Metzov das alte Spiel des Verhörs mit verteilten Rollen geplant hatten: zuerst kommt der gute Kerl und fragt, dann der böse. Nur hatten sie ihre Zeichen verwechselt und beide zufällig die Rolle des Bösen übernommen. »Wenn Sie wirklich hilfreich sein wollen, dann bringen Sie Gregor zum Konsul von Barrayar. Oder schicken Sie wenigstens eine Nachricht dorthin, daß er hier ist.«

»Zur rechten Zeit könnten wir das tun. Unter passenden Bedingungen.« Metzov kniff seine Augen zusammen und musterte Miles. Gab ihm Miles ebensoviel Rätsel auf, wie er Miles? Nach längerem Schweigen rief Metzov den Wächter über seinen Armbandkommunikator und zog sich zurück. Zum Abschied sagte er nichts Bedrohlicheres als: »Ich sehe Sie dann morgen, Vorkosigan.« Das war unheilvoll genug.

Ich verstehe auch nicht, warum Sie hier sind, dachte Miles, als sich die Tür zischend schloß und das Schloß piepste. Offensichtlich wurde irgendein planetarischer Bodenangriff geplant. Sollten Randall’s Rangers den Stoßkeil einer vervanischen Invasionsstreitmacht spielen?

Cavilo hatte sich heimlich mit einem hochrangigen Repräsentanten des Konsortiums von Jackson’s Whole getroffen. Warum? Um die Neutralität des Konsortiums während des bevorstehenden Angriffs zu sichern? Das machte vorzüglich Sinn, aber warum hatten die Vervani nicht direkt verhandelt? Damit sie Cavilos Arrangements ableugnen konnten, wenn der Bai-Ion zu früh aufstieg? Und wer oder was war das Ziel? Nicht die Station des Konsortiums, offensichtlich, und auch nicht deren ferner Mutterplanet Jackson’s Whole.

Da blieben noch Aslund und Pol übrig. Aslund, eine Sackgasse, war strategisch keine Versuchung. Es wäre besser, zuerst Pol zu nehmen, Aslund von der Nabe abzuschneiden (mit Unterstützung des Konsortiums) und dann in Ruhe den schwachen Planeten zu erledigen. Aber Pol hatte Barrayar hinter sich, das nichts lieber hätte als eine Allianz mit seinem nervösen Nachbarn, die dem Kaiserreich einen Brückenkopf in der Hegen-Nabe einräumen würde.

Ein offener Angriff müßte Pol in die wartenden Arme von Barrayar treiben. Dann blieb also nur Aslund übrig, aber …

Das ergibt keinen Sinn. Dies war fast noch beunruhigender als der Gedanke, daß Gregor unbewacht mit Cavilo dinierte, oder die Angst vor dem angekündigten chemischen Verhör. Ich verstehe gar nichts. Das gibt alles keinen Sinn.

Den ganzen Nachtzyklus hindurch, den das gedämpfte Licht markierte, drehte sich die Hegen-Nabe mit ihrer ganzen strategischen Komplexität in Miles’ Kopf. Die Nabe, und Bilder von Gregor. Gab Cavilo ihm bewußtseinsverändernde Drogen zu essen? Hundekuchen, wie sie ihm serviert wurden? Oder Steak und Champagner? Wurde Gregor gefoltert? Verführt?

Visionen von Cavilos/Livia Nu’s dramatischem roten Abendkleid wallten vor Miles’ geistigem Auge. Verlebte Gregor wunderbare Stunden? Miles glaubte, daß Gregor nur wenig mehr Erfahrungen mit Frauen gehabt hatte als er selbst, aber er hatte in diesen letzten paar Jahren wenig Kontakt mit dem Kaiser gehabt, nach allem, was er wußte, hielt sich Gregor jetzt einen Harem. Nein, das konnte nicht sein, sonst hätte Ivan die Fährte aufgenommen und darüber Kommentare von sich gegeben. Ausführliche Kommentare. Wie empfänglich war Gregor für eine sehr altmodische Art der Bewußtseinsmanipulation?

Der Tageszyklus kroch vorbei, und Miles erwartete jeden Augenblick, daß er zu seiner allerersten Erfahrung eines SchnellPenta-Verhörs abgeholt würde. Was würden Cavilo und Metzov mit der bizarren Wahrheit von Miles’ und Gregors Odyssee anfangen? Drei Kauriegel trafen nach unbestimmbaren Intervallen ein, und die Lichter wurden wieder gedämpft und markierten eine weitere Schiffsnacht. Drei Mahlzeiten und kein Verhör.

Was hielt die da draußen auf? Es gab keine Geräusche oder subtile Gravitationsschwankungen, die darauf hingedeutet hätten, daß das Schiff das Dock verließ, sie waren immer noch mit der Vervain-Station verbunden. Miles versuchte, sich körperlich müde zu machen, indem er hin- und herlief: zwei Schritte, Wendung, zwei Schritte, Wendung, zwei Schritte … aber der einzige Erfolg bestand darin, daß sein Körpergeruch intensiver wurde und daß ihm schwindelte.

Ein weiterer Tag schlängelte sich vorbei, und eine weitere ›Nacht‹ mit gedämpftem Licht. Ein weiterer Frühstücksknabberriegel fiel durch die Öffnung auf den Boden. Dehnte oder komprimierte man künstlich die Zeit, um seine biologische Uhr zu verwirren, damit er für das Verhör weichgemacht würde? Warum die Mühe?

Er kaute an seinen Fingernägeln. Er kaute an seinen Zehennägeln. Er zog winzige grüne Fäden aus seinem Hemd und versuchte damit seine Zähne wie mit Zahnseide zu reinigen. Dann versuchte er aus winzigen, winzigen Knoten kleine grüne Muster zu machen. Schließlich verfiel er auf die Idee, Botschaften zu flechten. Konnte er ›Hilfe, ich bin gefangen …‹ als Makramee knüpfen und mit Hilfe statischer Aufladung auf dem Rücken von irgend jemands Jacke anbringen? Das heißt, falls überhaupt jemals wieder jemand käme? Er hatte schon H, I, L in zarter Spinnwebschrift geschafft, da blieb der Faden an einem Niednagel hängen, während er sein stoppeliges Kinn rieb, und aus seiner Bitte wurde ein unleserliches grünes Knäuel. Er zog einen weiteren Faden heraus und begann aufs neue.

Das Schloß blinkte und piepste. Miles schreckte hoch und erkannte erst jetzt, daß er in dem Gemurmel seiner Isolation in einen fast hypnotischen Dämmerschlaf verfallen war. Wieviel Zeit war vergangen?

Sein Besucher war Cavilo, forsch und geschäftsmäßig in ihrer Ranger-Uniform. Ein Wächter bezog Posten direkt vor der Zellentür, die sich hinter Cavilo schloß. Eine weitere private Plauderei, so schien es. Miles bemühte sich, seine Gedanken zusammenzubekommen, sich zu erinnern, was er vorhatte.

Cavilo ließ sich gegenüber Miles an derselben Stelle nieder, die auch Metzov gewählt hatte, in fast der gleichen entspannten Haltung, und beugte sich vor, die Hände locker auf den Knien verschränkt, aufmerksam und selbstsicher. Miles saß mit überkreuzten Beinen, an die Wand gelehnt, und er fühlte sich deutlich im Nachteil. »Lord Vorkosigan, ah …« Sie hob den Kopf, brach ab und bemerkte: »Sie schauen überhaupt nicht gut aus.«

»Einzelhaft bekommt mir nicht.« Seine Stimme, die er lange nicht mehr benutzt hatte, klang krächzend, er mußte innehalten und sich räuspern. »Vielleicht ein Bibliotheksprojektor …« — sein Gehirn kam knirschend in Gang —, »oder besser, eine Gelegenheit zur körperlichen Bewegung.« Die ihn aus seiner Zelle und in Kontakt mit Menschen bringen würde, die er zu irgend etwas anstiften könnte. »Meine medizinischen Probleme zwingen mich zu einer disziplinierten Lebensweise, wenn sie nicht akut werden und mich behindern sollen. Ich brauche unbedingt eine Bewegungspause, oder ich werde wirklich krank.«

»Hm. Wir werden sehen.« Sie fuhr mit der Hand durch ihr kurzes Haar und faßte ihn wieder ins Auge. »Also, Lord Vorkosigan, erzählen Sie mir von Ihrer Mutter.«

»Ha?« Eine höchst verwirrende, jähe Wendung für ein militärisches Verhör. »Weshalb?«

Sie lächelte gewinnend. »Gregs Erzählungen haben mein Interesse geweckt.«

Gregs Erzählungen? War der Kaiser mit Schnell-Penta behandelt worden? »Was … wollen Sie wissen?«

»Nun gut … ich habe gehört, Gräfin Vorkosigan stamme von einem anderen Planeten, sei eine Betanerin, die in Ihre Aristokratie eingeheiratet hat.«

»Die Vor sind eine Kriegerkaste, aber ja.«

»Wie wurde sie von der herrschenden Schicht — wie auch immer die sich nennt — aufgenommen? Ich hatte gedacht, die Barrayaraner seien total provinziell, voller Vorurteile gegen Leute von anderen Planeten.«

»Das sind wir auch«, gab Miles fröhlich zu. »Der erste Kontakt, den die meisten Barrayaraner — aller Schichten — mit Leuten von anderen Planeten hatten, nach dem Ende der Zeit der Isolation, als Barrayar wiederentdeckt wurde, war der Kontakt mit den Invasions-Streitkräften der Cetagandaner. Sie haben einen schlechten Eindruck hinterlassen, der noch jetzt anhält, drei, vier Generationen, nachdem wir sie abgeschüttelt haben.«

»Aber dennoch hat niemand die Entscheidung Ihres Vaters in Frage gestellt?«

Miles hob verblüfft das Kinn. »Er war schon über vierzig. Und … und er war Lord Vorkosigan.« Das bin ich auch. Warum funktioniert es bei mir nicht genauso?

»Ihre Vorgeschichte machte keinen Unterschied?«

»Sie war Betanerin. Ist Betanerin. Zuerst im Astronomischen Erkundungsdienst, dann als Kampfoffizierin. Kolonie Beta hatte gerade dazu beigetragen, uns gründlich zu schlagen bei dem dummen Versuch, den wir mit der Invasion von Escobar machten.«

»Obwohl sie also eine Feindin war, half ihr ihre militärische Vorgeschichte tatsächlich, Respekt und Anerkennung bei den Vor zu gewinnen?«

»Ich nehme es an. Dazu kam, daß sie sich einen ausgesprochen lokalen militärischen Ruf in den Kämpfen während Vordarians Griff nach dem Thron erwarb, in dem Jahr, als ich geboren wurde, und das zweimal.

Sie führte loyale Truppen, oh, einige Male, wenn mein Vater nicht an zwei Orten gleichzeitig sein konnte.« Und war persönlich für die Sicherheit des versteckten fünfjährigen Kaisers verantwortlich gewesen. Erfolgreicher als bisher ihr Sohn für den fünfundzwanzigjährigen Gregor. Total vermasselt, das war der Ausdruck, der ihm dazu einfiel. »Niemand hat sich seither mit ihr noch angelegt.«

»Hm.« Cavilo lehnte sich zurück und murmelte halb zu sich selbst: »Also, es ist gegangen. Deshalb kann es gehen.«

Was? Was kann gehen? Miles rieb sich mit der Hand übers Gesicht, er versuchte sich wach zu machen und zu konzentrieren. »Wie geht es Gregor?«

»Sehr vergnüglich.«

Gregor der Traurige … vergnüglich? Aber wenn Cavilos Sinn für Humor dem Rest ihrer Persönlichkeit entsprach, dann war es vermutlich ein übler Humor. »Ich meinte seine Gesundheit.«

»Eher besser als Ihre, nach Ihrem Aussehen zu schließen.«

»Ich hoffe, daß er besser ernährt wird.«

»Was, eine Kostprobe des wirklichen militärischen Lebens ist zu stark für Sie, Lord Vorkosigan? Sie haben das gleiche zu essen bekommen wie meine Leute.«

»Das kann nicht sein.« Miles hielt einen halb abgeknabberten Frühstücksriegel hoch. »Sie hätten inzwischen schon gemeutert.«

»Oh, mein Lieber.« Sie betrachtete das widerliche Stück mit einem mitleidigen Stirnrunzeln. »Die! Ich dachte, sie wären schon für ungenießbar erklärt worden. Wie sind die hierhergekommen? Irgend jemand muß hier knausern. Soll ich Ihnen ein reguläres Menü bestellen?«

»Ja, danke«, sagte Miles sofort und machte dann eine Pause. Sie hatte seine Aufmerksamkeit hübsch von Gregor auf ihn selbst gelenkt. Er mußte sich auf den Kaiser konzentrieren. Wieviel nützliche Informationen hatte Gregor inzwischen ausgespuckt?

»Sie müssen einsehen«, sagte Miles vorsichtig, »daß Sie einen massiven interplanetarischen Vorfall zwischen Vervain und Barrayar schaffen.«

»Überhaupt nicht«, sagte Cavilo vernünftig. »Ich bin Gregs Freundin. Ich habe ihn davor bewahrt, in die Hände der vervanischen Geheimpolizei zu fallen. Er ist jetzt unter meinem Schutz, bis sich die Gelegenheit ergibt, ihn wieder auf seinen rechtmäßigen Platz zu setzen.«

Miles blinzelte. »Haben die Vervani so etwas wie eine Geheimpolizei?«

»Etwas ganz Ähnliches.« Cavilo hob die Schultern. »Barrayar hat natürlich zweifellos eine. Stanis scheint sich wegen ihr ziemliche Sorgen zu machen. Sie müssen beim Kaiserlichen Sicherheitsdienst sehr in Verlegenheit darüber sein, daß sie ihren Schützling so gründlich verloren haben. Ich glaube, daß ihr Ruf übertrieben ist.«

Nicht ganz. Ich gehöre zum Sicherheitsdienst, und ich weiß, wo Gregor ist. So hat der Sicherheitsdienst praktisch die Situation im Griff. Miles wußte nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Oder die Situation den Sicherheitsdienst.

»Wenn wir alle so gute Freunde sind«, sagte Miles, »warum bin ich dann in diese Zelle gesperrt?«

»Natürlich auch zu Ihrem Schutz. Schließlich hat General Metzov offen gedroht, Ihnen … ah … — was war es noch mal? —, alle Knochen im Leib zu brechen.« Sie seufzte. »Ich fürchte, der liebe Stanis ist dabei, seine Nützlichkeit zu verlieren.«

Miles erblaßte, als er sich daran erinnerte, was Metzov sonst noch bei dem Gespräch gesagt hatte. »Wegen … Illoyalität?«

»Überhaupt nicht. Illoyalität kann manchmal sehr nützlich sein, unter richtiger Leitung. Aber die gesamte strategische Situation kann sich demnächst drastisch ändern. Unvorstellbar. Und nach all der Zeit, die ich damit verschwendet habe, ihn mir warmzuhalten. Ich hoffe, daß nicht alle Barrayaraner so langweilig sind wie Stanis.« Sie lächelte kurz. »Das hoffe ich doch sehr.«

Sie lehnte sich vor und sah ihn gespannt an. »Ist es wahr, daß Gregor … äh … von zu Hause weglief, um dem Druck seiner Berater zu entgehen, eine Frau zu heiraten, die er nicht ausstehen konnte?«

»Er hatte es mir gegenüber nicht erwähnt«, sagte Miles verblüfft. Warte mal — was hatte Gregor dort draußen vor? Er sollte lieber vorsichtig sein und nicht aus der Reihe tanzen. »Allerdings gibt es da Besorgnis. Wenn er in absehbarer Zeit ohne Erben sterben sollte, dann befürchten viele, daß ein Kampf zwischen verschiedenen Gruppen ausbrechen könnte.«

»Er hat keinen Erben?«

»Die verschiedenen Gruppen können sich nicht einigen. Außer auf Gregor.«

»Also wären seine Berater froh, wenn er heiratete.«

»Überglücklich, nehme ich an. Hm …« Miles’ Unbehagen an dieser Wendung des Gespräches verwandelte sich plötzlich in eine Erleuchtung, wie der Blitz vor der Druckwelle. »Kommandantin Cavilo — Sie stellen sich doch nicht etwa vor. Sie könnten sich zur Kaiserin von Barrayar machen, oder?«

Ihr Lächeln wurde wölfisch. »Natürlich könnte ich das nicht. Aber Greg könnte es.« Sie richtete sich auf, offensichtlich verärgert über die Verblüffung auf Miles’ Gesicht. »Warum nicht? Ich habe das richtige Geschlecht. Und offensichtlich auch die richtige militärische Vorgeschichte.«

»Wie alt sind Sie?«

»Lord Vorkosigan, wirklich, was für eine unhöfliche Frage.« Ihre blauen Augen funkelten. »Wenn wir auf derselben Seite wären, könnten wir zusammenarbeiten.«

»Kommandantin Cavilo, ich glaube, Sie verstehen Barrayar nicht. Oder die Barrayaraner.« Tatsächlich hatte es Epochen in der Geschichte von Barrayar gegeben, in die Cavilos Art der Kommandoführung gepaßt hätte. Zum Beispiel die Terrorherrschaft von Kaiser Yuri dem Wahnsinnigen. Aber man hatte die letzten zwanzig Jahre versucht, von alldem wegzukommen.

»Ich brauche Ihre Kooperation«, sagte Cavilo. »Oder zumindest könnte sie sehr nützlich sein. Für beide von uns. Ihre Neutralität könnte ich … tolerieren. Ihre aktive Opposition wäre jedoch ein Problem. Für Sie. Aber wir sollten es vermeiden, uns schon in diesem frühen Stadium in den Fallen negativer Einstellungen zu verfangen, nicht wahr?«

»Was ist mit der Frau und dem Kind dieses Frachterkapitäns geschehen? Mit der Witwe und dem Waisenkind vielmehr?«, fragte Miles durch die Zähne.

Cavilo zögerte kurz. »Der Mann war ein Verräter. Von der schlimmsten Sorte. Hat seinen Planeten für Geld verkauft. Er wurde bei einem Akt der Spionage gefaßt. Es gibt keinen moralischen Unterschied zwischen dem Befehl zu einer Exekution und ihrer Ausführung.«

»Da stimme ich zu. Und eine Reihe von Rechtssystemen auch. Was ist mit dem Unterschied zwischen Exekution und Mord? Vervain befindet sich nicht im Krieg. Seine Handlungen mögen illegal gewesen sein und Verhaftung, Prozeß und Gefängnisstrafe oder soziopathologische Therapie erforderlich gemacht haben — wo ist dabei der Prozeß geblieben?«

»Ein Barrayaraner, der sich um Legalität streitet? Wie seltsam.«

»Und was ist mit seiner Familie passiert?«

Sie hatte einen Augenblick Zeit zum Nachdenken gehabt, verdammt noch mal. »Die langweiligen Vervani haben ihre Freilassung verlangt. Natürlich wollte ich nicht, daß er erfuhr, daß sie nicht mehr in meinen Händen waren, sonst hätte ich ja meinen Zugriff auf sein Verhalten aus der Ferne verloren.«

Lüge oder Wahrheit? Es gab keine Methode, dies festzustellen. Aber sie macht einen Rückzieher von ihrem Fehler. Bevor sie sich auf sicherem Boden fühlte, ließ sie ihre Reaktionen davon bestimmen, daß sie ihre Dominanz durch Terror erreichte. Weil sie sich nicht auf sicherem Boden fühlte. Ich kenne den Ausdruck, der auf ihrem Gesicht war. Mörderische Paranoiker sind mir so vertraut wie das Frühstück, ich hatte einen siebzehn Jahre lang als Leibwächter. Für einen kurzen Moment erschien Cavilo vertraut und alltäglich, wenn auch nicht weniger gefährlich. Aber er sollte sich bemühen, überzeugt zu erscheinen und nicht bedrohlich, auch wenn es ihn dabei würgte.

»Es stimmt«, räumte er ein, »es ist krasse Feigheit, einen Befehl zu geben, den man selbst nicht auszuführen gewillt ist. Und Sie sind kein Feigling, Kommandantin, das gebe ich zu.« Das war jetzt der richtige Ton: Miles konnte überredet werden, änderte aber seine Haltung nicht zu verdächtig schnell.

Sie hob spöttisch die Augenbrauen, als wollte sie sagen: Wer bist du, um das zu beurteilen? Aber ihre Spannung ließ leicht nach. Sie warf einen Blick auf ihr Chrono und stand auf. »Ich werde Sie jetzt verlassen, damit Sie über die Vorteile der Zusammenarbeit nachdenken können. Sie sind in der Theorie vertraut mit der Mathematik des ›Dilemmas des Gefangenen‹, hoffe ich. Es wird ein interessanter Test für Ihre Intelligenz sein zu sehen, ob Sie Theorie mit Praxis verbinden können.«

Miles’ Erwiderung war ein seltsames Lächeln. Ihre Schönheit, ihre Energie, selbst ihr aufgeblasenes Ego übten eine wirkliche Faszination aus. War Gregor tatsächlich von Cavilo … aktiviert worden? Gregor hatte schließlich nicht gesehen, wie sie ihren Nervendisruptor zückte und …

Welche Waffe sollte ein guter Mann des Sicherheitsdienstes benutzen, angesichts dieses persönlichen Überfalls auf Gregor? Versuchen, sie ihrerseits zu verführen? Sich selbst für den Kaiser zu opfern, indem er sich auf Cavilo stürzte, war ebenso verlokkend, wie etwa sich auf eine gezündete Schallgranate zu werfen. Außerdem bezweifelte er, daß er das schaffte.

Die Tür schob sich vor ihr messerscharfes Lächeln. Zu spät hob er die Hand, um sie an ihr Versprechen zu erinnern, seine Verpflegung zu ändern. Aber sie hatte es nicht vergessen. Das Mittagessen kam auf einem Servierwagen, mit einem erfahrenen, wenn auch ausdruckslosen Offiziersburschen, der es in fünf eleganten Gängen servierte mit zwei Sorten Wein und mit Espresso als Gegenmittel. Miles glaubte auch nicht, daß Cavilos Truppen so speisten. Er stellte sich einen Zug von lächelnden, übersättigten und korpulenten Gourmets vor, die glücklich in die Schlacht schlenderten … die Hundekuchen waren viel wirksamer, um das Aggressionspotential zu verstärken.

Auf eine zufällige Bemerkung zu seinem Bediener hin brachte dieser mit der nächsten Mahlzeit auf dem Servierwagen ein Päckchen mit, das saubere Unterwäsche enthielt, eine abzeichenlose Arbeitsuniform der Rangers, auf seine Größe zugeschnitten, und ein Paar weiche Filzpantoffeln, dazu eine Tube Haarentferner und diverse Toilettenartikel.

Miles wurde dazu angeregt, sich im Waschbecken der ausklappbaren Toilette zu waschen, nach und nach den ganzen Körper, und zu rasieren, bevor er sich umzog. Er kam sich fast wie ein Mensch vor. Ach, die Vorzüge der Kooperation. Cavilo war nicht gerade schwierig. Gott, woher war sie gekommen? Als altgediente Söldnerin mußte sie schon seit geraumer Zeit dabeigewesen sein, um so hoch zu steigen, selbst mit Abkürzungen. Tung könnte es wissen. Ich glaube, sie muß schon wenigstens einmal eine schlimme Niederlage erlebt haben. Er wünschte sich, daß Tung jetzt hier wäre. Zum Teufel, er wünschte, daß jetzt Illyan hier wäre.

Ihre Extravaganz war, so empfand es Miles zunehmend, ein wirkungsvolles Theater, das wie eine Bühnendekoration aus einer gewissen Entfernung betrachtet werden sollte und das dazu bestimmt war, ihre Leute zu blenden. Aus dem richtigen Abstand mochte es ziemlich gut funktionieren, wie bei dem populären barrayaranischen General aus der Generation seines Großvaters, der auf seine Umwelt Eindruck gemacht hatte, indem er ein Plasmagewehr wie ein Offiziersstöckchen mit sich herumtrug. Gewöhnlich ungeladen, hatte Miles privat gehört — der Mann war ja nicht dumm.

Oder ein Vor-Fähnrich, der einen bestimmten alten Dolch bei jeder Gelegenheit getragen hatte. Ein Markenzeichen, eine Standarte. Ein bißchen kalkulierte Massenpsychologie. Cavilos öffentliche Persönlichkeit war sicherlich die Hülle für diese Strategie. War sie innerlich ängstlich, weil sie wußte, daß sie sich übernommen hatte? Das wünschst du dir. Ach! Nach einer Dosis Cavilo kam ein Gedanke an Cavilo, der die eigenen taktischen Berechnungen vernebelte. Klar denken, Fähnrich!

Hatte sie Victor Rotha vergessen? Hatte Gregor sich irgendeinen Scheiß ausgedacht, der ihre Begegnung auf der Pol-Station erklärte? Gregor schien Cavilo mit verdrehten Tatsachen zu füttern — oder waren sie wirklich verdreht? Vielleicht gab es da wirklich eine Braut, die man ihm vorgeschlagen hatte und die er nicht mochte, und vielleicht hatte Gregor Miles nur einfach nicht genug vertraut, um es zu erwähnen. Miles begann zu bereuen, daß er immer so bissig zu Gregor gewesen war.

Seine Gedanken rannten immer noch wie eine aufgeputschte Ratte in einem Laufrad, ständig ziellos rotierend, als das Türschloß wieder piepste. Ja, er würde Kooperation vortäuschen, alles mögliche versprechen, wenn sie ihm nur eine Gelegenheit gäbe, Gregor zu überprüfen.

Cavilo erschien mit einem Soldaten im Schlepptau. Der Mann sah irgendwie bekannt aus — einer der Schläger, die ihn verhaftet hatten? Nein …

Der Mann duckte den Kopf unter der Zellentür durch, starrte einen Augenblick nachdenklich auf Miles und wandte sich dann an Cavilo. »Ja, das ist er, ganz recht. Admiral Naismith, von dem Krieg um den Tau-Verde-Ring. Ich würde diesen Zwerg überall wiedererkennen.« Er fügte an Miles gerichtet hinzu: »Was tun Sie hier, Sir?« Miles übertrug in seiner Vorstellung die gelbbraunschwarze Uniform des Mannes in Grau und Weiß. Ja. Es waren einige tausend Söldner in den Tau-Verde-Krieg verwikkelt gewesen. Sie mußten jetzt alle irgendwohin gegangen sein.

»Danke, das ist alles, Sergeant.« Cavilo nahm den Mann am Arm und zog ihn entschlossen weg. Während sie weggingen, war noch der Rat des Unteroffiziers gedämpft aus dem Zellenflur zu hören: »Sie sollten versuchen und ihn engagieren, Madame, er ist ein militärisches Genie …«

Cavilo erschien einen Augenblick später und stand in der Öffnung, die Hände auf den Hüften und das Kinn in ungläubiger Entrüstung vorgereckt. »Wie viele Persönlichkeiten sind Sie denn überhaupt?«

Miles öffnete die Hände und lächelte schwach. So als wäre er gerade dabei gewesen, sich seinen Weg aus diesem Loch herauszuschwatzen …

»Uff.« Sie machte auf dem Absatz kehrt, die Tür schloß sich und ließ wieder Stille in der Kabine einkehren. Was jetzt? Am liebsten würde er frustriert die Faust gegen die Wand knallen, aber die Wand würde sicherlich mit größerem Schaden zurückschlagen.

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