KAPITEL 11

Schnelle Stiefelschritte weiter oben im Korridor lenkten Miles’ Aufmerksamkeit auf sich. Er stieß einen lang zurückgehaltenen Seufzer der Erleichterung aus und stand auf. Elena.

Sie trug die Interimsuniform eines Söldneroffiziers: eine grauweiße Jacke mit Taschen, Hosen und Halbstiefel, die an ihren schlanken, langen Beinen glänzten.

Sie war immer noch groß, immer noch schlank, hatte immer noch eine bleiche, reine Haut, bernsteinbraune Augen, eine aristokratisch gebogene Nase und eine lange, wie von einem Bildhauer modellierte Kinnpartie. Sie hat sich ihr Haar abschneiden lassen, dachte Miles ganz benommen. Verschwunden war die glattglänzende schwarze Kaskade, die bis zu ihrer Taille gereicht hatte. Jetzt war es über den Ohren gestutzt, nur kleine schwarze Spitzen blieben als Ornament über ihren hohen Wangenknochen und ihrer Stirn, eine ähnliche Spitze als Echo über ihrem Nakken: streng, praktisch, sehr schneidig. Soldatenhaft.

Sie trat heran und betrachtete Miles, Gregor und die vier Oserer.

»Gute Arbeit, Chodak.« Sie ließ sich neben dem Körper, der ihr am nächsten lag, auf ein Knie nieder und suchte an seinem Hals nach einem Puls. »Sind sie tot?«

»Nein, nur betäubt«, erklärte Miles.

Sie blickte mit einem gewissen Bedauern auf die offene innere Tür der Luftschleuse. »Wahrscheinlich können wir sie nicht in den Raum hinauswerfen.«

»Sie waren gerade dabei, uns hinauszuwerfen, doch nein. Aber wir sollten wohl dafür sorgen, daß niemand sie sieht, während wir abhauen«, sagte Miles.

»In Ordnung.« Sie stand auf und nickte Chodak zu. Er half Gregor, die betäubten Männer in die Luftschleuse zu schleifen. Elena blickte mit Stirnrunzeln auf den blonden Leutnant, der mit den Füßen voran an ihr vorbeigezogen wurde. »Das soll nicht heißen, daß ein Sturz in den Weltraum nicht gewisse Persönlichkeiten verfeinern würde.«

»Kannst du uns ein Schlupfloch zeigen?«

»Deshalb sind wir ja gekommen.« Sie wandte sich den drei Soldaten zu, die ihr vorsichtig gefolgt waren. Ein vierter hielt am nächsten Querkorridor Wache. »Es scheint, daß wir direkt Glück gehabt haben«, sagte sie zu ihnen. »Geht mal vor und macht die Durchgänge auf unserer Fluchtroute frei — ganz diskret. Dann verschwindet. Ihr seid nicht hier gewesen und habt nichts gesehen.«

Sie nickten und zogen sich zurück. Miles hörte sie im Weggehen murmeln: »War er das?«

»Ja, klar …«

Miles, Gregor und Elena drängten sich neben die Betäubten in die Schleuse und schlossen vorübergehend die innere Tür. Chodak hielt draußen Wache. Elena half Gregor, dem Oserer, der seiner Körpergröße am nächsten kam, die Stiefel auszuziehen, während Miles die blaue Gefangenenkleidung ablegte und dann in Victor Rothas zerknitterter Kleidung dastand, die jetzt um so schlimmer aussah, da er sie vier Tage getragen und darin geschlafen und geschwitzt hatte. Miles wünschte sich Stiefel anstatt der Sandalen, die die Füße verwundbar machten, aber hier waren keine in seiner Größe dabei.

Während Gregor sich eine grau-weiße Uniform überzog und seine Füße in die Stiefel steckte, tauschten er und Elena vorsichtige Blicke aus.

Jeder war über den anderen erstaunt.

»Du bist es wirklich.« Elena schüttelte entsetzt den Kopf. »Was tust du hier?«

»Es war alles ein Irrtum«, sagte Gregor.

»Keine Lüge bitte. Wessen Irrtum?«

»Meiner, fürchte ich«, sagte Miles. Es ärgerte ihn ein wenig, daß Gregor ihm nicht widersprach.

Ein eigentümliches Lächeln, ihr erstes, verzog Elenas Lippen. Miles nahm sich vor, sie nicht um eine Erklärung dieses Lächelns zu bitten.

Dieser eilige Wortwechsel glich nicht im geringsten auch nur einem der vielen, vielen Gespräche, die er in seinem Kopf für diese erste, herzergreifende Begegnung mit ihr eingeübt hatte.

»In wenigen Minuten wird die Suche losgehen, wenn diese Kerle sich nicht zurückmelden«, sagte Miles nervös. Er hob zwei Betäuber auf, das Wirrnetzfeld und das Vibra-Messer und steckte sie in seinen Hosenbund. Nach reiflicher Überlegung erleichterte er schnell die vier Oserer um ihre Kreditkarten, Passierscheine, Ausweise und um ihr Bargeld, stopfte alles in seine und Gregors Taschen und stellte sicher, daß Gregor seine aufspürbare Gefangenenkennkarte wegwarf.

Zu seinem geheimen Entzücken fand er auch einen nur halb verzehrten Nahrungsriegel, von dem er dann und wann etwas abbiß. Er kaute, während Elena sie wieder aus der Schleuse führte. Pflichtbewußt bot er Gregor einen Biß an, aber der schüttelte nur den Kopf. Wahrscheinlich hatte Gregor in dieser Cafeteria gegessen.

Chodak strich hastig Gregors Uniform zurecht, und dann marschierten sie alle los, Miles in der Mitte, halb versteckt, halb bewacht. Bevor er wegen seiner Auffälligkeit halb paranoid wurde, nahmen sie ein Liftrohr nach unten, kamen einige Decks weiter unten wieder heraus und befanden sich in einer großen Frachtschleuse, die an eine Fähre angekoppelt war. Ein Mann von Elenas Vorkommando, der scheinbar müßig an einer Wand lehnte, nickte ihnen zu. Chodak salutierte andeutungsweise, dann trennte er sich von ihnen und eilte davon.

Miles und Gregor folgten Elena durch die Gelenkdichtung der Fährenluke in den leeren Frachtraum einer der Fähren der Triumph, dabei traten sie aus dem künstlichen Schwerkraftfeld des Mutterschiffes abrupt in den Schwindel des freien Falls. Sie schwebten nach vorn zur Pilotenkabine.

Elena verschloß die Kabinenluke hinter ihnen und wies Gregor mit hastigen Gesten auf den leeren Sitz am Platz des Bordingenieuers und Kommunikationsoffiziers.

Die Plätze des Piloten und des Copiloten waren besetzt. Arde Mayhew grinste Miles über die Schulter fröhlich zu, winkte grüßend und salutierte. Miles erkannte den glattgeschorenen Rundkopf des zweiten Mannes, noch bevor der sich umdrehte.

»Hallo, mein Sohn.« Ky Tungs Lächeln war weit mehr ironisch als fröhlich. »Willkommen zurück. Du hast dir ja ganz schön Zeit gelassen.« Tung hielt die Arme gekreuzt und salutierte nicht.

»Hallo, Ky.« Miles nickte dem Eurasier zu.

Tung hatte sich jedenfalls nicht verändert. Er schaute immer noch so aus, als könnte er jedes Alter zwischen vierzig und siebzig haben. Er war immer noch gebaut wie ein Panzer aus alter Zeit. Immer noch schien er mehr zu sehen als er sagte, und das war außerordentlich unbequem für Leute mit schlechtem Gewissen.

Mayhew, der Pilot, sprach in seinen Kommunikator: »Verkehrskontrolle, ich habe jetzt herausgefunden, was mit dem roten Licht auf meiner Steuertafel los war. Fehlerhafte Druckanzeige. Alles repariert. Wir sind bereit zum Start.«

»Es wird Zeit, C-2«, erwiderte eine körperlose Stimme. »Ihr könnt starten.«

Die flinken Hände des Piloten aktivierten die Steuerung zum Schließen der Luke und richteten die Steuerdüsen aus. Es zischte und klirrte ein bißchen, dann legte die Fähre von ihrem Mutterschiff ab und begann ihre Flugbahn. Mayhew schaltete den Kommunikator ab und stieß einen langen Seufzer der Erleichterung aus. »Wir sind sicher. Vorläufig.«

Elena zwängte sich hinter Miles auf die andere Seite des Durchgangs und verschränkte ihre langen Beine.

Miles hakte einen Arm um einen Haltegriff, um sich gegen Mayhews gegenwärtige sanfte Beschleunigung zu verankern. »Ich hoffe, du hast recht«, sagte Miles, »aber was veranlaßt dich, das zu glauben?«

»Er meint: sicher zum Reden«, sagte Elena. »Nicht sicher in irgendeinem kosmischen Sinn. Dies ist ein geplanter Routineflug, abgesehen von uns nicht registrierten Passagieren. Wir wissen, daß euer Fehlen noch nicht bemerkt wurde, sonst hätte die Verkehrskontrolle uns gestoppt. Oser wird zuerst die Triumph und die militärische Station nach euch durchsuchen. Wir können euch vielleicht sogar wieder an Bord der Triumph schmuggeln, sobald die Suche auf größere Gebiete ausgedehnt wurde.«

»Das ist Plan B«, erklärte Tung, der sich mit seinem Sitz herumdrehte und Miles jetzt sein Profil zeigte. »Oder vielleicht Plan C. Plan A beruhte auf der Annahme, daß eure Befreiung viel geräuschvoller vor sich ginge, und bestand darin, sofort zur Ariel zu fliehen, die jetzt in einer Vorpostenstellung positioniert ist, und die Revolution auszurufen. Ich bin dankbar für die Chance, die Dinge ein bißchen … hm … weniger spontan ins Rollen zu bringen.«

Miles würgte. »Gott! Das wäre schlimmer gewesen als beim ersten Mal.« Eingebunden in eine ineinandergreifende Kette von Ereignissen, die er nicht kontrollierte, abkommandiert als Bannerträger einer Söldnermeuterei, an die Spitze ihres Zugs gestoßen mit so viel freiem Willen wie ein Kopf auf einem Spieß … »Nein. Keine spontanen Sachen, nein danke. Ganz bestimmt nicht.«

»Also«, Tung legte seine kräftigen Finger an den Spitzen zusammen, »wie ist dein Plan?«

»Mein was?«

»Plan«, Tung sprach das Wort mit sarkastischer Sorgfalt aus. »Mit anderen Worten: Warum bist du hier?«

»Die gleiche Frage hat mir Oser auch gestellt«, seufzte Miles. »Würdet ihr mir glauben, daß ich nur aufgrund eines Zufalls hier bin? Oser würde es nicht. Ihr wißt nicht zufällig, warum er mir nicht glauben würde, hm?«

Tung verzog seine Lippen. »Zufall? Vielleicht. Deine ›Zufälle‹, das habe ich einmal angemerkt, haben eine Art, deine Feinde darin zu verstricken, daß reife und sorgfältige Strategen ganz grün vor Neid werden. Da alles viel zu folgerichtig war für bloße Zufälle, bin ich zu dem Schluß gekommen, daß es sich um unbewußtes Wollen handeln muß. Wenn du nur bei mir geblieben wärst, mein Sohn, dann hätten wir zusammen … — oder vielleicht bist du nur ein überragender Opportunist. In diesem Fall richte ich deine Aufmerksamkeit auf die gute Gelegenheit, die jetzt vor dir liegt, nämlich die Dendarii Söldner wieder zu übernehmen.«

»Du hast meine Frage nicht beantwortet«, merkte Miles an.

»Du hast meine nicht beantwortet«, entgegnete Tung.

»Ich will die Dendarii Söldner nicht haben.«

»Ich schon.«

»Oh.« Miles machte eine Pause. »Warum spaltest du dich dann nicht ab mit den Leuten, die dir gegenüber loyal sind und startest dann deine eigene Sache? Das hat es schon einmal gegeben.«

»Sollen wir durchs All schwimmen?« Mit winkenden Fingern imitierte Tung Fischflossen und blies die Backen auf. »Oser kontrolliert das gesamte Material. Mein Schiff eingeschlossen. Die Triumph ist alles an Besitz, was ich in einer dreißigjährigen Karriere angesammelt habe. Was ich durch deine Machenschaften verloren habe. Irgend jemand schuldet mir ein Schiff. Wenn nicht Oser, dann …« Tung blickte mit finsterem Gesicht vielsagend auf Miles.

»Ich versuchte, dir zum Tausch eine ganze Flotte zu geben«, sagte Miles gequält. »Wie hast du die Kontrolle darüber verloren — du alter Stratege?«

Tung klopfte mit einem Finger auf seine linke Brust, in einer Geste, die andeutete, daß er einen Treffer eingesteckt hatte. »Die Dinge liefen zuerst ganz gut, ein Jahr oder anderthalb Jahre lang, nachdem wir Tau Verde verlassen hatten. Ich bekam zwei hübsche kleine Kontrakte hintereinander, draußen in Richtung Ostnetz — Kommandooperationen kleinen Ausmaßes, sichere Sachen. Nun gut, nicht zu sicher — wir mußten schon auf Draht sein. Aber wir schafften es.«

Miles warf einen Blick auf Elena. »Ich hatte davon gehört, ja.«

»Beim dritten kamen wir in Schwierigkeiten. Baz Jesek hatte sich immer mehr und mehr mit Ausrüstung und Wartung beschäftigt — er ist ein guter Ingenieur, das gestehe ich ihm zu —, ich war taktischer Kommandant, und Oser befaßte sich mit den administrativen Problemen. Damals dachte ich, er tue das einfach, weil wir ihm diese Funktion übrig ließen, aber jetzt denke ich, er übernahm sie mit Absicht. Es wäre eine gute Sache gewesen — jeder tut, was er am besten kann —, wenn Oser mit uns gearbeitet hätte, und nicht gegen uns. Ich hätte in der gleichen Situation Attentäter geschickt. Oser engagierte Guerillabuchhalter.

Bei diesem dritten Kontrakt bezogen wir ein bißchen Prügel. Baz steckte bis über beide Ohren in Ingenieur- und Reparaturarbeiten, und als ich wieder aus der Krankenstation kam, hatte Oser einen seiner kampflosen Sonderaufträge arrangiert — Wurmlochwachdienst. Ein langfristiger Kontrakt. Schien zu jenem Zeitpunkt eine gute Idee zu sein. Aber es gab ihm einen Ansatzpunkt. Da keine tatsächlichen Kämpfe stattfanden«, Tung räusperte sich, »langweilte ich mich, paßte nicht auf. Oser hatte mich überlistet, bevor ich erkannte, daß da ein Krieg im Gange war. Er überraschte uns plötzlich mit der finanziellen Reorganisation …«

»Schon sechs Monate zuvor hatte ich dir gesagt, du solltest ihm nicht vertrauen«, warf Elena mit einem Stirnrunzeln ein, »nachdem er versucht hatte, mich zu verführen.«

Tung zuckte verlegen die Achseln. »Diese Versuchung erschien mir verständlich.«

»Die Frau seines Kommandanten zu bumsen?« Elenas Augen funkelten. »Irgend jemands Frau? Damals erkannte ich, daß er nicht ehrlich war. Wenn meine Eide ihm nichts bedeuteten, wie wenig bedeuteten ihm dann seine eigenen?«

»Er akzeptierte dein Nein als Antwort, hast du gesagt«, entschuldigte sich Tung. »Wenn er dich weiter unter Druck gesetzt hätte, dann wäre ich bereit gewesen einzuschreiten. Ich dachte, du solltest geschmeichelt sein, es ignorieren und dann wie gewohnt weitermachen.«

»Avancen dieser Art enthalten eine Beurteilung meines Charakters, die ich alles andere als schmeichelhaft finde, nein danke«, versetzte Elena.

Miles biß sich heimlich ganz fest in die Fingerknöchel, da er sich an sein eigenes Verlangen erinnerte. »Vielleicht war das nur ein früher Zug in seinem Spiel um die Macht«, warf er ein. »In den Verteidigungen des Feindes nach Schwächen zu suchen. Und in diesem Fall keine zu finden.«

»Hm.« Diese Sichtweise schien Elena ein wenig zu trösten. »Wie dem auch sei, Ky war keine Hilfe, und ich wurde es müde, Kassandra zu spielen. Natürlich konnte ich es Baz nicht sagen. Aber Osers Doppelspiel hat nicht alle von uns völlig überrascht.«

Tung runzelte frustriert die Stirn. »In Anbetracht des Kerns aus seinen eigenen übriggebliebenen Schiffen brauchte er nur die Stimmen der Hälfte der anderen Kapitän-Eigner auf seine Seite zu kriegen. Auson stimmte mit ihm. Ich hätte den Mistkerl erwürgen können.«

»Du hast Auson selbst verloren, mit deinem Gejammer über die Triumph«, warf Elena ein, die immer noch sauer war. »Er dachte, du bedrohtest seine Stellung als Kapitän des Schiffes.«

Tung zuckte die Achseln. »Solange ich taktischer Stabschef war und im tatsächlichen Kampfgeschehen den Befehl hatte, da glaubte ich nicht, daß er meinem Schiff wirklich schaden könnte. Ich war damit zufrieden, die Triumph mitfahren zu lassen, als gehörte sie der Flottenkorporation. Ich konnte warten — bis du zurückkämst«, seine dunklen Augen richteten sich funkelnd auf Miles, »und wir herausfänden, was da vor sich ging. Und dann kamst du nicht mehr zurück.«

»Der König wird wiederkehren, oder?«, murmelte Gregor, der fasziniert zugehört hatte. Er blickte Miles an und hob die Augenbrauen.

»Laß es dir eine Lehre sein«, murmelte Miles seinerseits mit zusammengebissenen Zähnen.

Gregor sank zusammen, sein Humor ließ nach.

Miles wandte sich an Tung. »Sicher hat Elena dich über die Irrigkeit einer solchen unmittelbaren Erwartung aufgeklärt.«

»Ich versuchte es«, murmelte Elena. »Obwohl … ich wohl selbst ein bißchen die Hoffnung hegte — ob ich wollte oder nicht —, daß du vielleicht … dein anderes Projekt aufgeben und zu uns zurückkommen würdest.«

Wenn ich an der Akademie durchgerasselt wäre, wie? »Es war kein Projekt, das ich verlassen konnte, außer durch Tod.«

»Das weiß ich jetzt.«

»In spätestens fünf Minuten«, meldete sich Arde Mayhew, »muß ich mich entweder in die Verkehrskontrolle der Transitstation zum Andocken einklinken oder zur Ariel abhauen. Was soll’s denn sein, Leute?«

»Ich kann auf ein Wort hin über hundert loyale Offiziere und Unteroffiziere hinter dich stellen«, sagte Tung zu Miles. »Vier Schiffe.«

»Warum nicht hinter dich selbst?«

»Wenn ich das könnte, dann hätte ich es schon getan. Aber ich werde nicht die Flotte auseinanderreißen, solange ich nicht sicher bin, daß ich sie auch wieder zusammensetzen kann. Ganz und gar. Aber mit dir als Führer, mit deinem Ruf — der durch das, was alles immer wieder erzählt wird, noch zugenommen hat …«

»Als Führer? Oder als Galeonsfigur?« Das Bild mit dem Spieß erschien wieder vor Miles’ geistigem Auge.

Tung öffnete die Hände, als wollte er sich nicht festlegen. »Wie du es wünschst. Die Mehrzahl der Offiziere wird sich auf die Seite des Siegers schlagen. Das bedeutet, wir müssen den Eindruck erwecken, daß wir schnell siegen, falls wir überhaupt etwas unternehmen. Oser hat etwa weitere hundert, die ihm persönlich loyal sind und die wir physisch überwältigen müßten, wenn er darauf besteht, durchzuhalten — was mir die Idee eingibt, daß ein zeitlich gut geplantes Attentat eine Menge Leben retten könnte.«

»Prima. Ich glaube, du und Oser, ihr habt zu lange zusammengearbeitet, Ky. Du beginnst schon zu denken wie er. Noch mal: Ich bin nicht hierhergekommen, um das Kommando über eine Söldnerflotte zu übernehmen. Ich habe andere Prioritäten.« Er bemühte sich, nicht auf Gregor zu blicken.

»Welche höheren Prioritäten?«

»Wie steht’s mit der Vermeidung eines planetarischen Bürgerkriegs? Vielleicht eines interstellaren Kriegs?«

»Daran habe ich kein berufliches Interesse.« Es klang fast wie ein Scherz.

In der Tat, was bedeuteten Tung Barrayars Qualen? »Hast du schon, wenn du auf der Seite bist, die dem Untergang geweiht wäre. Du wirst nur für das Siegen bezahlt, und du kannst deinen Lohn auch nur ausgeben, wenn du lebst, Söldner.«

Tungs schmale Augen verengten sich noch mehr. »Was weißt du, das ich nicht weiß? Sind wir auf der dem Untergang geweihten Seite?«

Ich bin es, wenn ich Gregor nicht zurückbringe. Miles schüttelte den Kopf. »Tut mir leid. Ich kann darüber nicht sprechen. Ich muß nach …«

Pol war ihm versperrt, die Station des Konsortiums blockiert und Aslund jetzt noch gefährlicher geworden, »Vervain.« Er blickte zu Elena. »Bringt uns beide nach Vervain.«

»Arbeitest du für die Vervani?«, fragte Tung.

»Nein.«

»Für wen dann?« Tungs Hände zuckten, so angespannt ob seiner Neugierde, daß es schien, als wollten sie mit roher Gewalt Informationen aus Miles herausquetschen.

Auch Elena bemerkte die unbewußte Geste. »Ky, laß das«, sagte sie scharf. »Wenn Miles Vervain haben will, dann soll er Vervain bekommen.«

Tung blickte auf Elena, auf Mayhew. »Unterstützt ihr ihn oder mich?«

Elena hob ihr Kinn. »Wir sind beide durch Eid an Miles gebunden. Auch Baz.«

»Und du fragst mich, warum ich dich brauche?«, sagte Tung erregt zu Miles und zeigte auf das Paar. »Was ist dieses größere Spiel, über das ihr alle alles zu wissen scheint und ich nichts?«

»Ich weiß überhaupt nichts«, piepste Mayhew, »ich halte mich einfach an Elena.«

»Ist das eine Befehlskette oder eine Kette der Leichtgläubigkeit?«

»Gibt es da einen Unterschied?«, erwiderte Miles grinsend.

»Du hast uns enttarnt, indem du hierhergekommen bist«, argumentierte Tung. »Denk mal nach! Wir helfen dir, du haust ab, und wir bleiben zurück, Osers Wut ausgeliefert. Es gibt schon zu viele Zeugen. Mit einem Sieg kann man Sicherheit gewinnen, aber nicht mit halben Sachen.«

Miles schaute voller Schmerz auf Elena und stellte sich ganz lebhaft im Licht seiner jüngsten Erfahrungen vor, wie sie von gemeinen, hirnlosen Schlägern aus einer Luftschleuse gestoßen wurde. Tung bemerkte mit Befriedigung, welche Wirkung sein Appell auf Miles hatte, und lehnte sich selbstgefällig zurück, Elena starrte Tung zornig an.

Gregor meldete sich verlegen. »Ich meine … solltet ihr um Unseretwillen zu Flüchtlingen werden«, (Elena, das konnte Miles sehen, erkannte, daß Gregor im Pluralis majestatis sprach, während Tung und Mayhew es natürlich nicht mitbekamen), »so werden wir dafür sorgen, daß ihr nicht zu leiden habt. Zumindest nicht finanziell.«

Elena nickte, zum Zeichen, daß sie verstanden und akzeptiert hatte.

Tung lehnte sich zu Elena und wies mit seinem Daumen auf Gregor.

»Na schön, und wer ist der Kerl?« Elena schüttelte stumm den Kopf.

Tung gab ein leises Zischen von sich. »Du hast keinerlei Mittel zu deiner Unterstützung dabei, die für mich sichtbar wären, mein Sohn. Was ist, wenn wir um deinetwillen zu Leichen werden?«

Elena bemerkte: »Zu Leichen zu werden haben wir schon für viel weniger riskiert.«

»Weniger als was?«, versetzte Tung.

Mayhew, dessen Blick kurz in die Ferne ging, berührte den Kommunikationsstöpsel in seinem Ohr. »Zeit zur Entscheidung, Leute.«

»Kann dieses Schiff das System durchqueren?«, fragte Miles.

»Nein. Hat nicht genug Treibstoff dafür«, Mayhew zuckte entschuldigend die Achseln.

»Ist nicht schnell genug und auch nicht gut genug gepanzert«, sagte Tung.

»Ihr werdet uns auf einen kommerziellen Transporter hinausschmuggeln müssen, vorbei an den Sicherheitsbehörden der Aslunder«, sagte Miles unglücklich.

Tung blickte sich in seinem widerspenstigen kleinen Komitee um und seufzte: »Die Sicherheitsüberprüfungen sind strenger beim Ankommen als beim Starten. Ich glaube, wir können es schaffen. Bring uns hin, Arde!«

Nachdem Mayhew das Frachtshuttle in seiner zugewiesenen Ladenische an der Transitstation der Aslunder angedockt hatte, hielten sich Miles, Gregor und Elena in der Pilotenkabine eingeschlossen versteckt. Tung und Mayhew gingen weg, ›um zu sehen, was wir tun können‹, wie Tung es ausdrückte, ziemlich vage für Miles’ Vorstellungen.

Miles saß da, knabberte nervös an seinen Fingerknöcheln und bemühte sich, nicht bei jedem Stampfen, Klirren oder Zischen aufzufahren, das von den Laderobotern kam, die auf der anderen Seite des Schotts Nachschub für die Söldner stapelten. Elenas ruhiges Profil zuckte nicht bei jedem kleinen Geräusch, bemerkte Miles neidisch. Ich habe sie einmal geliebt. Wer ist sie jetzt?

Hatte man die Wahl, sich nicht wieder total in diese neue Person zu verlieben? Eine Chance der Wahl? Elena erschien jetzt robuster, mehr gewillt, ihre Meinung frei zu äußern — das war gut —, jedoch hatten ihre Worte einen bitteren Beiklang. Und das war nicht gut. Diese Bitterkeit schmerzte ihn.

»Ist es dir gut gegangen?«, fragte er sie zögernd. »Abgesehen von diesem Zeug mit der Befehlsstruktur, meine ich. Behandelt dich Tung ordentlich? Er sollte dein Mentor sein. Das Training, das ich im Unterrichtszimmer bekam, dir in der Praxis geben …«

»Oh, er ist ein guter Mentor. Er stopft mich voll mit militärischen Informationen, mit Taktik und Geschichte … Ich kann jetzt jede Phase eines Kampf-Stoßtruppeinsatzes leiten, mit Logistik, Kartographie, Angriff, Rückzug, sogar Notstart und Notlandung mit einem Shuttle, wenn man ein paar Beulen ignoriert. Ich bin schon fast in der Lage, wirklich mit meinem fiktiven Rang fertigzuwerden, zumindest bei der Ausrüstung der Flotte. Er unterrichtet gern.«

»Mir schien es, als gäbe es da ein bißchen … Spannung, zwischen dir und ihm.«

Sie warf den Kopf zurück. »Im Augenblick steht alles unter Spannung. Es ist nicht möglich, von diesem Zeug mit der Befehlsstruktur ›abzusehen‹. Obwohl … ich nehme an, ich habe Tung noch nicht ganz dafür vergeben, daß er in dieser Hinsicht nicht unfehlbar war. Ich dachte nämlich zuerst, er wäre es.«

»Naja, es kursiert eine Menge Fehlbarkeit in diesen Zeiten«, sagte Miles voller Unbehagen. »Hm … wie geht es Baz?« Behandelt dein Mann dich gut? wollte er fragen, aber er tat es nicht.

»Er ist wohlauf«, erwiderte sie und sah dabei nicht glücklich aus, »aber entmutigt. Dieser Kampf um die Macht war für ihn fremd, abstoßend, glaube ich. Er ist im tiefsten Herzen ein Techniker; wenn er eine Aufgabe sieht, die getan werden muß, dann tut er sie … Tung deutet an, wenn Baz sich nicht in seine Ingenieurarbeit vergraben hätte, dann hätte er die Übernahme voraussehen — verhindern — bekämpfen können, aber ich glaube, es war umgekehrt. Er konnte sich nicht dazu erniedrigen, auf Osers Dolchstoßniveau zu kämpfen, also zog er sich dahin zurück, wo er seine eigenen Maßstäbe der Ehrlichkeit … noch ein bißchen länger erfüllen konnte. Diese Spaltung hat die Moral auf allen Ebenen beeinträchtigt.«

»Das tut mir leid«, sagte Miles.

»Das sollte es dir auch tun.« Ihre Stimme schnappte über, festigte sich wieder, wurde scharf. »Baz empfand, er hätte dich enttäuscht, aber du hast uns zuerst enttäuscht, als du nicht mehr zurückkamst. Du konntest von uns nicht erwarten, die Illusion für immer aufrechtzuerhalten.«

»Illusion?«, sagte Miles. »Ich wußte … es würde schwierig sein, aber ich dachte, ihr könntet … in eure Rollen hineinwachsen. Die Söldner euch zu eigen machen.«

»Die Söldner mögen genug sein für Tung. Ich dachte, sie könnten es auch für mich sein, bis es zum Töten kam … Ich hasse Barrayar, aber es ist besser, Barrayar zu dienen als niemandem, oder dem eigenen Ego.«

»Wem dient Oser?«, fragte Gregor neugierig, der bei dieser gemischten Tirade auf ihre Heimatwelt die Stirn gerunzelt hatte.

»Oser dient Oser. ›Der Flotte‹, sagt er, aber die Flotte dient Oser, so ist es einfach ein Zirkelschluß«, sagte Elena. »Die Flotte ist kein Heimatland. Kein Gebäude, keine Kinder … steril. Es macht mir jedoch nichts aus, den Aslundern auszuhelfen, sie brauchen es. Ein armer Planet, und voller Angst.«

»Du und Baz — und Arde —, ihr hättet die Flotte verlassen können, auf eigene Faust weggehen«, begann Miles.

»Wie?«, sagte Elena. »Du hast uns die Verantwortung für die Dendarii übergeben. Baz war schon einmal desertiert. Nie wieder.«

Es ist alles meine Schuld, stimmt, dachte Miles. Großartig.

Elena wandte sich Gregor zu, dessen Gesicht einen seltsam zurückhaltenden Ausdruck angenommen hatte, während er ihren Vorwürfen lauschte, daß Miles die Dendarii im Stich gelassen habe.

»Du hast noch nicht gesagt, was du überhaupt hier tust, außer in Fettnäpfchen zu treten. Sollte das eine Art geheimer diplomatischer Mission sein?«

»Erklär du es«, sagte Miles zu Gregor und bemühte sich, nicht mit den Zähnen zu knirschen. Erzähl ihr von dem Balkon, los.

Gregor zuckte die Achseln, seine Augen wichen Elenas ruhigem Blick aus, »Wie Baz bin ich desertiert. Wie Baz habe ich gefunden, daß es nicht die Verbesserung brachte, die ich mir erhofft hatte.«

»Du kannst dir vorstellen, warum Gregor unbedingt so schnell wie möglich nach Hause gebracht werden muß«, warf Miles ein. »Daheim denkt man, er sei vermißt. Vielleicht sogar entführt.« Miles berichtete Elena kurzgefaßt, wie er und Gregor einander zufällig in der Haftabteilung der Konsortium-Station begegnet waren.

»Gott!« Elena verzog die Lippen. »Ich sehe ein, daß du ihn unbedingt irgendwie loswerden mußt. Wenn ihm in deiner Begleitung irgend etwas zustieße, dann würden fünfzehn verschiedene Gruppierungen schreien: ›Verräterische Verschwörung!‹«

»Dieser Gedanke ist mir auch schon gekommen, ja«, knurrte Miles.

»Die zentristische Koalitionsregierung deines Vaters würde als erstes fallen«, fuhr Elena fort. »Die militärische Rechte würde sich hinter Graf Vorinnis zusammenscharen, nehme ich an, und sich zum Kampf mit den antizentralistischen Liberalen aufstellen. Die Frankophonen würden Vorville wollen, die Russischsprachigen Vortugalow — oder ist der schon gestorben?«

»Die rechtsextremen isolationistischen Spinner mit ihrem Schlachtruf ›Sprengt das Wurmloch!‹ würden Graf Vortifrani in Front bringen gegen die progalaktische Anti-Vor-Gruppe, die eine geschriebene Verfassung haben will«, warf Miles niedergeschlagen ein. »Und ich meine ›Front‹ hier wortwörtlich.«

»Graf Vortifrani macht mir Angst.« Elena zitterte. »Ich habe ihn sprechen hören.«

»Es ist die ölige Art, mit der er den Schaum von seinen Lippen wischt«, sagte Miles. »Die Aktivisten der griechischen Minderheit würden die Gelegenheit ergreifen und die Sezession probieren …«

»Hört auf damit!«, sagte Gregor, der die Stirn auf die Hände gestützt hatte, hinter der Barriere seiner Arme hervor.

»Ich dachte, das sei deine Aufgabe«, sagte Elena schroff. Als er den Kopf hob und sie seinen düsteren Blick sah, wurde sie etwas sanfter, und ihr Mund zuckte nach oben. »Zu schade, daß ich dir keine Aufgabe in der Flotte anbieten kann. Wir können immer Offiziere mit guter Formalausbildung gebrauchen, um die übrigen zu drillen, wenn nichts anderes zu tun ist.«

»Söldner?«, sagte Gregor. »Das wäre ein Gedanke…«

»Oh, sicher. Eine Menge unserer Leute sind ehemalige reguläre Militärs. Einige sogar mit korrekter Entlassung.«

Eine Phantasievorstellung ließ Gregors Augen kurzzeitig vergnügt aufleuchten. Er blickte an seinem grauweißen Jackenärmel hinunter.

»Ach, wenn du doch hier nur den Befehl hättest, Miles.«

»Nein!«, rief Miles mit belegter Stimme.

Das Licht in Gregors Augen erlosch. »Es war nur ein Scherz.«

»Das ist nicht komisch.« Miles atmete vorsichtig und betete darum, daß es Gregor nicht einfallen würde, einen Befehl daraus zu machen …

»Jedenfalls werden wir jetzt versuchen, zum Konsul von Barrayar auf der Station von Vervain zu gelangen. Ich hoffe, es gibt das Konsulat noch. Ich habe schon seit Tagen keine Nachrichten mehr gehört — was ist bei den Vervani los?«

»Soweit ich weiß, alles wie sonst, außer daß sie mißtrauischer geworden sind«, sagte Elena. »Vervain steckt seine Ressourcen in Schiffe, nicht in Stationen …«

»Das ist sinnvoll, wenn man mehr als ein Wurmloch bewachen muß«, räumte Miles ein.

»Aber dann werden die Vervani in den Aslundern potentielle Angreifer sehen. Es gibt eine Gruppe in Aslund, die tatsächlich auf einen Erstschlag drängt, bevor die neue Vervani-Flotte in Dienst gestellt wird. Glücklicherweise haben sich bisher die Defensivstrategen durchsetzen können. Oser hat den Preis für einen Schlag durch uns unerschwinglich hoch angesetzt. Er ist nicht dumm. Er weiß, daß die Aslunder uns keine Rückendeckung geben könnten. Auch Vervain hat eine Söldnerflotte als Lückenbüßer angeheuert — tatsächlich sind dadurch die Aslunder erst auf die Idee gekommen, uns anzuheuern. Sie werden Randall’s Rangers genannt, doch ich habe gehört, daß Randall nicht mehr lebt.«

»Wir werden ihnen aus dem Weg gehen«, erklärte Miles nachdrücklich.

»Ich habe gehört, ihr neuer zweiter Offizier sei ein Barrayaraner. Du könntest dort vielleicht etwas Hilfe kriegen.«

Gregor runzelte nachdenklich die Stirn: »Einer von Illyans Geheimagenten? Klingt wie sein Werk.«

War Ungari dorthin gegangen? »Jedenfalls nähern wir uns ihm nur mit Vorsicht«, meinte Miles.

»Es wird Zeit dafür«, kommentierte Gregor leise.

»Der Name des Kommandanten der Rangers ist Cavilo …«

»Was?«, schrie Miles auf.

Elena hob ihre geschwungenen Augenbrauen. »Nur Cavilo. Niemand scheint zu wissen, ob das der Vorname oder der Nachname ist.«

»Cavilo ist die Person, die versuchte, mich — oder Victor Rotha — auf der Station des Konsortiums zu kaufen. Für zwanzigtausend betanische Dollar.«

Elenas Augenbrauen blieben oben. »Warum?«

»Ich weiß nicht, warum.« Miles überdachte nochmals ihr Ziel. Pol, das Konsortium, Aslund … Nein, es lief immer noch auf Vervain hinaus.

»Aber wir gehen entschieden den Söldnern der Vervani aus dem Weg. Wir steigen aus dem Schiff aus und gehen direkt zum Konsul, tauchen dort unter und machen keinen Muckser, bis Illyans Männer ankommen, um uns nach Hause zu nehmen, Punkt. Klar?«

Gregor seufzte: »Klar.«

Jetzt würde er nicht mehr Geheimagent spielen. Seine besten Bemühungen hatten nur dazu geführt, daß Gregor beinahe ermordet worden wäre. Es war Zeit, sich weniger Mühe zu geben, entschied Miles.

»Seltsam«, sagte Gregor und blickte Elena an — die neue Elena, vermutete Miles —, »zu denken, daß du mehr Kampferfahrung gehabt hast als jeder von uns beiden.«

»Als ihr beide zusammen«, korrigierte Elena trocken. »Ja, nun gut … wirklicher Kampf … ist viel stupider, als ich mir vorgestellt hatte. Wenn zwei Gruppen in dem unglaublichen Ausmaß kooperieren können, das nötig ist für eine Kampfbegegnung, warum investieren sie nicht ein Zehntel dieser Anstrengungen in Gespräche? Das trifft allerdings nicht auf Guerillakriege zu«, fuhr Elena nachdenklich fort. »Ein Guerilla ist ein Feind, der sich nicht an die Spielregeln halt. Das erscheint mir sinnvoller. Wenn man schon gemein wird, warum dann nicht total gemein? Dieser dritte Kontrakt — wenn ich je in einen weiteren Guerillakrieg verwickelt werde, dann möchte ich auf der Seite der Guerillas sein.«

»Es ist schwerer, Frieden zu schließen zwischen total gemeinen Feinden«, überlegte Miles. »Krieg ist kein Selbstzweck, ausgenommen bei einem katastrophalen Abrutschen in absolute Verdammnis. Der Zweck, der gewünscht wird, ist der Frieden. Ein besserer Frieden als der, mit dem begonnen wurde.«

»Wer am längsten am gemeinsten sein kann, der gewinnt?«, spekulierte Gregor.

»Das trifft historisch nicht zu, glaube ich. Wenn das, was man während des Kriegs tut, einen so korrumpiert, daß der nächste Frieden schlimmer ist …«

Stimmen aus der Ladebucht ließen Miles mitten im Satz verstummen, aber es waren Tung und Mayhew, die zurückkehrten.

»Los!«, drängte Tung. »Wenn Arde sich nicht an den Zeitplan hält, dann lenkt er Aufmerksamkeit auf sich.«

Sie marschierten hintereinander in den Frachtraum, wo Mayhew das Steuerkabel einer Schwebepalette hielt, auf der ein paar Packkisten aus Plastik standen. »Dein Freund kann als ein Soldat der Flotte durchgehen«, sagte Tung zu Miles. »Für dich habe ich eine Kiste gefunden. Es hätte mehr Klasse, dich in einen Teppich zu rollen, aber da der Kapitän des Frachters ein Mann ist, fürchte ich, daß die historische Anspielung verschwendet wäre.«

Mißtrauisch betrachtete Miles die Kiste. Sie schien keine Luftlöcher zu haben. »Wohin bringst du mich?«

»Wir haben eine reguläre irreguläre Abmachung, um Offiziere des Nachrichtendienstes der Flotte heimlich herein- und hinauszubringen. Ich habe den Kapitän eines Frachters für Innersystemverkehr engagiert, einen unabhängigen Eigner — er ist ein Vervani, aber wir haben ihn früher schon dreimal engagiert. Er bringt euch rüber und durch den Zoll der Vervani. Danach seid ihr auf euch allein gestellt.«

»Wieviel Gefahr bedeutet dieses Arrangement für euch alle?«, fragte Miles besorgt.

»Nicht viel«, sagte Tung, »wenn man alles in Betracht zieht. Er denkt, daß er noch mehr Söldneragenten transportieren wird, zu einem guten Preis, und so wird er natürlich den Mund halten. Es wird Tage dauern, bevor er zurückkommt und überhaupt befragt werden kann. Ich habe es alles selbst arrangiert. Elena und Arde sind nicht in Erscheinung getreten, also kann er sie nicht verraten.«

»Danke«, sagte Miles leise.

Tung nickte und seufzte. »Wenn du nur bei uns geblieben wärst. Was für einen Soldaten hätte ich in diesen letzten drei Jahren aus dir machen können.«

»Wenn ihr euch ohne Job wiederfindet, als Folge eurer Hilfe für uns«, fügte Gregor hinzu, »dann wird Elena wissen, wie ihr Kontakt mit uns aufnehmen könnt.«

Tung verzog das Gesicht. »Kontakt mit wem, hm?«

»Es ist besser, das nicht zu wissen«, sagte Elena, die Miles half, sich in der Packkiste einzurichten.


»In Ordnung«, brummte Tung, »aber … in Ordnung.«

Miles fand sich Auge in Auge mit Elena, zum letztenmal bis — wann? Sie umarmte ihn, aber dann schenkte sie Gregor die gleiche schwesterliche Umarmung. »Grüß deine Mutter von mir«, sagte sie zu Miles. »Ich denke oft an sie.«

»In Ordnung. Hm … grüße Baz von mir. Sag ihm, es ist alles in Ordnung. Eure persönliche Sicherheit kommt zuerst, deine und seine. Die Dendarii sind … waren …«, er konnte sich nicht ganz dazu bringen zu sagen nicht wichtig oder ein naiver Traum oder eine Illusion, obwohl das letzte am nächsten kam, »ein guter Versuch«, schloß er lahm.

Der Blick, mit dem sie ihn ansah, war kühl, schneidend, nicht zu entziffern — nein, leicht zu entschlüsseln, fürchtete er. Idiot, oder schlimmere Wörter der gleichen Bedeutung. Er setzte sich nieder, senkte den Kopf auf die Knie und ließ Mayhew den Dekkel befestigen; dabei kam er sich vor wie ein zoologisches Musterexemplar, das für den Transport ins Labor verpackt wurde. Der Transport ging glatt. Miles und Gregor fanden sich in einer kleinen, aber annehmbaren Kabine einquartiert, die für den gelegentlichen Frachtaufseher des Frachters bestimmt war. Etwa drei Stunden, nachdem sie an Bord gekommen waren, legte das Schiff ab, weg von der Aslund-Station und der Gefahr der Entdeckung. Keine Suchtrupps der Oserer, keine Tumulte … Tung machte immer noch gute Arbeit, das mußte Miles zugeben.

Miles war außerordentlich dankbar für die Möglichkeit, sich zu waschen, für die Gelegenheit, seine restlichen Kleider zu reinigen, für eine echte Mahlzeit und Schlaf in Sicherheit. Die kleine Mannschaft des Schiffes schien gegen ihren Korridor allergisch zu sein, er und Gregor wurden strikt allein gelassen. Sicherheit für drei Tage, während er wieder quer durch die Hegen-Nabe flog, wieder mit einer neuen Identität. Der nächste Halt war das Konsulat von Barrayar auf der Vervain-Station.

O Gott, er würde einen Bericht über all das schreiben müssen, wenn sie dort ankamen. Wahre Bekenntnisse, in dem bewährten offiziellen Stil des Kaiserlichen Sicherheitsdienstes (trocken wie Staub, nach den Beispielen zu urteilen, die er bisher gelesen hatte).

Wenn Ungari nun die gleiche Fahrt gemacht hätte, dann würde er ganze Tabellen mit konkreten, objektiven Daten produziert haben, alles fix und fertig, um auf sechs verschiedene Weisen analysiert zu werden. Was hatte Miles gezählt? Nichts, ich war in einer Kiste.

Er hatte wenig anzubieten außer intuitiven Schlüssen, die auf den begrenzten Eindrücken beruhten, die er aufgeschnappt hatte, während er anscheinend vor jedem Sicherheitsbullen im System davonlief. Vielleicht sollte er in den Mittelpunkt seines Berichts die Sicherheitskräfte stellen, oder?

Die Stellungnahme eines Fähnrichs. Der Generalstab wäre so beeindruckt. Also, worin bestand jetzt seine Stellungnahme? Nun gut, Pol schien nicht die Quelle der Schwierigkeiten in der Hegen-Nabe zu sein, Pol reagierte nur, agierte nicht. Das Konsortium schien höchst desinteressiert an militärischen Abenteuern zu sein, und die einzige Partei, die schwach genug war, daß die eklektischen Jacksonier sich mit ihr in einen Kampf eingelassen und sie geschlagen hätten, war Aslund, und Aslund zu erobern, eine kaum terraformte agrikulturelle Welt, würde wenig Profit abwerfen. Aslund war paranoid genug, um gefährlich zu sein, aber nur halb vorbereitet und von einer Söldnerstreitmacht abgeschirmt, die nur auf den richtigen Funken wartete, um sich selbst in einander bekämpfende Gruppen aufzuspalten.

Keine andauernde Bedrohung von dieser Seite. Die Aktion, die Energie für die Destabilisierung mußte also von oder über Vervain kommen. Wie konnte man das herausfinden … nein. Er hatte der Tätigkeit eines Geheimagenten abgeschworen. Vervain war das Problem von jemand anderem.

Miles fragte sich matt, ob er wohl Gregor überreden könnte, ihn mit einem kaiserlichen Pardon vom Abfassen des Berichts zu befreien, und ob Illyan das akzeptieren würde. Wahrscheinlich nicht.

Gregor war sehr ruhig. Miles, der ausgestreckt auf seinem Bett lag, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und lächelte, um seine innere Unruhe zu verbergen, während Gregor seine gestohlene Dendarii-Uniform beiseite legte — mit ein bißchen Bedauern, wie es Miles schien — und zivile Kleidung anzog, die Arde Mayhew beigesteuert hatte. Hose, Hemd und Jacke, alle drei schäbig, hingen etwas kurz und locker an seiner mageren Figur, in dieser Kleidung wirkte er wie vom Glück verlassener Herumtreiber mit tiefliegenden Augen. Miles entschloß sich insgeheim, ihn von hohen Plätzen fernzuhalten.

Gregor erwiderte seinen Blick. »Du warst unheimlich als Admiral Naismith, weißt du das? Fast wie eine ganz andere Person.«

Miles zuckte die Achseln und stützte sich auf einem Ellbogen hoch. »Ich nehme an, Naismith — das bin ich ohne Bremsen. Ohne Beschränkungen. Er muß nicht ein guter kleiner Vor sein, oder überhaupt keine Art von Vor. Er hat keine Probleme mit der Unterordnung, er ist niemandem untergeordnet.«

»Das habe ich bemerkt.« Gregor legte die Dendarii-Uniform ordentlich zusammen, wie es der barrayaranischen Armeeordnung entsprach. »Tut es dir leid, daß du von den Dendarii abhauen mußt?«

»Ja … nein … ich weiß es nicht.« Zutiefst. Die Befehlskette, so schien es, zog nach beiden Seiten an einem mittleren Glied. Wenn man hart genug zog, dann mußte dieses Glied sich verdrehen und zerspringen … »Ich hoffe, es tut dir nicht leid, daß du der Kontraktsklaverei entkommen bist.«

»Nein … es war nicht das, was ich mir vorgestellt hatte. Allerdings, dieser Kampf an der Luftschleuse war sonderbar. Völlig Fremde wollten mich töten, ohne überhaupt zu wissen, wer ich war. Wenn völlig Fremde den Kaiser von Barrayar zu töten versuchten, so kann ich das verstehen. Aber das … ich werde darüber nachdenken müssen.«

Miles erlaubte sich ein knappes, schiefes Lächeln. »Es ist, wie wenn du um deiner selbst willen geliebt wirst, nur anders.«

Gregor warf ihm einen scharfen Blick zu. »Es war auch seltsam, Elena wiederzusehen. Botharis pflichtbewußte Tochter … sie hat sich verändert.«

»Das hatte ich beabsichtigt«, bekannte Miles.

»Sie scheint sehr an ihrem Mann, diesem Deserteur, zu hängen.«

»Ja«, sagte Miles knapp.

»Hattest du das auch beabsichtigt?«

»Das hatte ich nicht zu entscheiden. Es … folgt logisch aus der Integrität ihres Charakters. Ich hätte es vorhersehen können. Da ihre Überzeugungen über Loyalität gerade unser beider Leben gerettet haben, kann ich diese Überzeugungen wohl kaum … kaum bedauern, oder?«

Gregors Augenbrauen hoben sich, ein indirekter Kommentar. Miles unterdrückte seine Irritation. »Auf jeden Fall hoffe ich, daß es ihr gut geht. Oser hat sich als gefährlich erwiesen. Sie und Baz scheinen nur durch Tungs zugegebenermaßen bröckelnde Machtbasis geschützt zu werden.«

»Ich bin überrascht, daß du Tungs Angebot nicht angenommen hast.« Gregor grinste so kurz, wie Miles es getan hatte. »Auf der Stelle Admiral zu werden. All die lästigen Zwischenstufen zu überspringen, die es da auf Barrayar gibt.«

»Tungs Angebot?« Miles schnaubte. »Hast du ihm nicht genau zugehört? Ich dachte, du sagtest, daß mein Vater dich all diese Verträge lesen läßt. Tung hat mir nicht ein Kommando angeboten, sondern einen Kampf, mit den Chancen fünf zu eins dagegen. Er hat einen Verbündeten gesucht, einen Strohmann oder Kanonenfutter, keinen Boss.«

»Oh. Hm.« Gregor ließ sich wieder auf sein Bett nieder. »So ist das also. Aber ich fragte mich trotzdem, ob du nicht etwas anderes gewählt hättest als diesen klugen Rückzug, wenn ich nicht dabeigewesen wäre.« Seine Augen waren zu einem scharfen Blick zusammengekniffen.

Miles wurde von Visionen überflutet. Eine genügend freizügige Auslegung von Illyans vager Anweisung »Benutzen Sie Fähnrich Vorkosigan, um die Dendarii Söldner aus der Nabe zu entfernen« hätte dahingehend ausgelegt werden können, daß sie auch unter anderem … nein.

»Nein. Wenn ich nicht auf dich gestoßen wäre, dann wäre ich jetzt unterwegs nach Escobar, zusammen mit meinem Kindermädchen Sergeant Overholt. Und du, nehme ich an, würdest immer noch Beleuchtungskörper installieren.« Natürlich abhängig davon, was der mysteriöse Cavilo — Kommandant Cavilo? — mit Miles machen wollte, sobald er ihn aus der Haftabteilung der Konsortium-Station abgeholt hätte.

Wo war Overholt also jetzt? Hatte er sich beim Hauptquartier gemeldet oder versucht, mit Ungari Kontakt aufzunehmen? War er von Cavilo aufgegriffen worden? Oder war er Miles gefolgt? Zu schade, daß Miles Sergeant Overholt nicht hatte zu Ungari folgen können — nein, hier biß sich die Katze in den Schwanz. Es war alles sehr sonderbar, und sie hatten es glücklich hinter sich.

»Wir haben es glücklich hinter uns«, meinte Miles zu Gregor.

Gregor rieb den grau-bleichen Fleck auf seinem Gesicht, das nachlassende Zeichen seiner Begegnung mit dem Schockstab. »Ja, wahrscheinlich. Ich war allerdings gerade dabei, recht geschickt bei der Montage der Beleuchtung zu werden.«


Fast vorbei, dachte Miles, als er und Gregor dem Frachterkapitän durch die Lukenröhre in die Andockbucht der Vervain-Station folgten. Nun ja, vielleicht nicht ganz. Der vervanische Kapitän war nervös, unterwürfig, deutlich verkrampft. Allerdings, wenn der Mann diesen Transport von Spionen schon dreimal zuvor geschafft hatte, dann sollte er jetzt wissen, was er tat.

Die Andockbucht mit ihren grellen Lichtern war die übliche kalte, widerhallende Höhle, dem rigiden Geschmack der Roboter für Gittermuster angepaßt, nicht menschlichen Kurven. Sie war in der Tat menschenleer, und die Maschinerie stand still. Der Weg vor ihnen war freigeräumt worden, nahm Miles an, obwohl er, wenn er diese Flucht eingefädelt hätte, die arbeitsreichste chaotische Periode des Ladens oder Entladens gewählt hätte, um jemanden durchzuschleusen.

Die Augen des Kapitäns wanderten hin und her. Miles mußte einfach seinen Blicken folgen. Sie stoppten in der Nähe einer nicht besetzten Steuerkabine.

»Wir warten hier«, sagte der Frachterkapitän. »Es werden einige Männer kommen, die euch den Rest den Weges mitnehmen.« Er lehnte sich gegen die Wand der Zelle und stieß sanft mit einem Stiefelabsatz in einem müßigen, zwanghaften Rhythmus dagegen, einige Minuten lang, dann hörte er damit auf, straffte sich und wandte den Kopf.

Schritte. Ein halbes Dutzend Männer kam aus einem nahen Korridor.

Miles erstarrte. Uniformierte Männer, mit einem Offizier, nach ihrer Haltung zu schließen, aber sie trugen nicht die Kleidung des vervanischen Sicherheitsdienstes, weder des zivilen noch des militärischen, sondern fremde, kurzärmelige, sehr gepflegte, gelbbraune Uniformen, mit schwarzen Abzeichen, dazu kurze schwarze Stiefel. Sie trugen Betäuber, gezogen und einsatzbereit. Aber wenn sie wie ein Festnahmekommando gehen und wie ein Festnahmekommando reden und wie ein Festnahmekommando antreten …

»Miles«, murmelte Gregor zweifelnd, als er die gleichen Details erfaßte, »gehört das zum Drehbuch?« Die Betäuber zeigten auf sie.

»Er hat das schon dreimal gemacht«, erklärte Miles, ohne daß ihn das beruhigte. »Warum nicht noch ein viertes Mal?«

Der Frachterkapitän lächelte dünn und trat von der Wand zurück, aus der Schußlinie. »Ich habe das zweimal gemacht«, informierte er sie.

»Beim dritten Mal wurde ich erwischt.«

Miles’ Hände zuckten. Er hielt sie sorgfältig von sich weg und schluckte einige Flüche hinunter. Langsam hob auch Gregor die Hände, wobei sein Gesicht wunderbar ausdruckslos war. Eins zu Null für Gregors Selbstbeherrschung, wie immer, für die einzige Tugend, die sein eingeengtes Leben ihm sicher eingeprägt hatte.

Tung hatte diese Flucht eingefädelt. Er allein. Hatte Tung hiervon gewußt? Verraten und verkauft von Tung? Nein! — »Tung sagte, Sie seien zuverlässig«, krächzte Miles zu dem Frachterkapitän.

»Was bedeutet mir Tung?«, knurrte der Mann zurück. »Ich habe eine Familie.«

Während die Betäuber auf sie zielten, traten zwei Soldaten vor — Gott, schon wieder Schläger! —, lehnten Miles und Gregor mit den Händen gegen die Wand, durchsuchten sie und nahmen ihnen ihre schwer gewonnenen oserischen Waffen, Ausrüstungsgegenstände und Ausweise ab. Der Offizier überprüfte die Beute.

»Jawohl, das sind Männer von Oser, in Ordnung.« Er sprach in seinen Kommunikator am Handgelenk. »Wir haben sie.«

»Macht weiter!«, erwiderte eine dünne Stimme. »Wir kommen gleich runter. Cavilo Ende.«

Randall’s Rangers, offensichtlich, daher die unbekannten Uniformen. Aber warum waren keine Vervani in Sicht?

»Verzeihung«, sagte Miles sanft zu dem Offizier, »aber handeln Sie unter der irrigen Annahme, daß wir Agenten der Aslunder sind?«

Der Offizier blickte auf ihn herab und schnaubte bloß.

»Ich frage mich, ob es nicht Zeit wäre, unsere wirkliche Identität anzunehmen«, murmelte Gregor vorsichtig Miles zu.

»Interessantes Dilemma«, erwiderte Miles aus dem Mundwinkel. »Wir sollten besser herausfinden, ob sie Spione erschießen.«

Energische Stiefelschritte kündeten einen neuen Ankömmling an. Die Männer des Kommandos strafften sich, als die Geräusche um die Ecke kamen. Auch Gregor nahm Haltung an, in einer automatischen militärischen Höflichkeit, wobei seine gerade Figur mit den an ihm hängenden Kleidern von Arde Mayhew sehr seltsam aussah. Miles sah zweifellos von allen am wenigsten militärisch aus, mit seinem Mund, der vor Schock offenstand. Er schloß ihn schnell, um nicht aus Versehen etwas Törichtes zu sagen.

Einen Meter zweiundfünfzig groß, mit einem bißchen Zugabe durch unmilitärisch hohe Absätze. Auf dem gut modellierten Kopf kurzgeschnittenes blondes Haar wie eine Aureole aus Löwenzahnblüten. Eine schneidige, gelbbraun-schwarze Uniform mit goldenen Rangabzeichen, perfekt angepaßt zur Ergänzung ihrer Körpersprache. Livia Nu.

Der Offizier salutierte. »Kommandantin Cavilo, Madame.«

»Sehr gut, Leutnant.« Als ihr Blick auf Miles fiel, weiteten sich ihre blauen Augen in echter Überraschung, die aber sofort verborgen wurde.

»Warum, Victor, Liebling«, ihre Stimme wurde zuckersüß mit übertriebenem Vergnügen und Entzücken, »phantastisch, dich hier zu treffen. Verkaufst du immer noch Wunderanzüge an die Unwissenden?«

Miles breitete seine leeren Hände aus. »Das ist mein gesamtes Gepäck, Madame. Sie hätten kaufen sollen, als Sie noch konnten.«

»Ich wundere mich.« Ihr Lächeln war verkniffen und abwägend. Das Funkeln in ihren Augen beunruhigte Miles. Gregor schwieg und blickte völlig verwirrt drein.

Also, Ihr Name war nicht Livia Nu, und Sie waren keine Beschaffungsagentin. Warum, zum Teufel, traf sich also die Kommandantin der Söldnerstreitmacht von Vervain inkognito auf der Station von Pol mit einem Repräsentanten des mächtigsten Hauses des jacksonischen Konsortiums? Das war kein bloßes Waffengeschäft, Liebling.

Cavilo/Livia Nu hob ihren Armbandkommunikator an die Lippen.

»Krankenstation, Kurins Hand. Hier Cavilo. Ich schicke euch zwei Gefangene zum Verhör. Vielleicht komme ich selbst dazu.« Sie schaltete ab.

Der Frachterkapitän trat vor, halb ängstlich, halb kämpferisch. »Meine Frau und mein Sohn. Beweisen Sie mir jetzt, daß sie sicher sind.«

Sie musterte ihn wohlüberlegt. »Sie können vielleicht noch eine Fahrt machen. In Ordnung.« Sie machte einem Soldaten ein Zeichen.

»Nehmen Sie diesen Mann zum Schiffsgefängnis der Kurin und lassen Sie ihn einen Blick auf die Monitore werfen. Dann bringen Sie ihn zu mir zurück. Sie sind ein Verräter, der Glück hat, Kapitän. Ich habe noch eine Aufgabe für Sie, mit der Sie ihnen …«

»Ihre Freiheit erkaufen kann?«, fragte der Frachterkapitän.

Sie runzelte ein wenig die Stirn bei dieser Unterbrechung. »Warum sollte ich Ihren Lohn in die Höhe treiben? Eine weitere Woche Leben.«

Er ging im Gefolge des Soldaten weg, die Fäuste ärgerlich geballt, die Zähne klugerweise zusammengebissen.

Was, zum Teufel, war jetzt das? dachte Miles. Er wußte nicht viel über Vervain, aber er war sich ziemlich sicher, daß nicht einmal das vervanische Kriegsrecht es vorsah, daß unschuldige Verwandte als Geiseln festgehalten werden konnten, um noch nicht verurteilte Verräter zu gutem Benehmen zu zwingen.

Als der Frachterkapitän gegangen war, schaltete Cavilo wieder ihren Kommunikator ein. »Sicherheitsdienst, Kurins Hand? Ja, gut. Ich sende euch meinen Lieblingsdoppelagenten. Laßt zu seiner Motivation noch mal die Aufnahme ablaufen, die wir letzte Woche von Zelle Sechs gemacht haben. Laßt ihn nicht wissen, daß es nicht live ist … in Ordnung. Cavilo Ende.«

War also die Familie des Mannes frei? Schon tot? Wurde sie woanders festgehalten? In was gerieten sie hier hinein?

Neue Stiefelschritte kamen um die Ecke, schwere, soldatische Tritte.

Cavilo lächelte säuerlich, verwandelte jedoch den Ausdruck in etwas Reizenderes, als sie sich umdrehte, um den Neuankömmling zu begrüßen.

»Stanis, Liebling. Schau, was wir diesmal eingefangen haben. Das ist der kleine betanische Renegat, der auf der Station von Pol gestohlene Waffen handeln wollte. Es scheint, daß er überhaupt kein Unabhängiger ist.«

Die gelbbraun-schwarze Uniform wirkte auch an General Metzov einfach gut, bemerkte Miles verrückterweise. Jetzt wäre es ein wunderbarer Zeitpunkt, die Augen zu verdrehen und ohnmächtig zu werden, wenn er diesen Trick nur beherrschte.

General Metzov stand gleicherweise wie angenagelt, in seinen eisengrauen Augen flammte plötzlich eine unheilige Freude auf. »Das ist kein Betaner, Cavie.«

Загрузка...