Im Labyrinth war die Luft etwas wärmer und angenehmer. Die Mauern halten den Wind ab, sagte sich Rawlins. Behutsam setzte er einen Fuß vor den anderen und hörte dabei auf die Stimme in seinem Ohr.
Nach links… drei Schritte… rechten Fuß neben den schwarzen Streifen auf dem Bodenbelag… Umdrehen… nach links… vier Schritte… Neunzig-Grad-Drehung nach rechts… Sofort danach eine weitere Drehung um neunzig Grad nach rechts.
Er kam sich vor wie bei einem Kinderspiel auf der Straße — Hüpfen oder etwas in der Art. Nur ging es hier um einen höheren Einsatz. Vorsichtig bewegte er sich weiter und spürte dabei, wie ihm unablässig der Tod auf den Fersen folgte. Was mußten das für Wesen gewesen sein, die eine solche Stätte erbaut hatten? Vor ihm schoß eine Energieflamme über den Weg. Der Computer zählte für ihn die Sekunden ab. Eins, zwei, drei, vier, vorwärts! Rawlins rannte los.
In Sicherheit.
Auf der anderen Seite blieb Ned außer Atem stehen und sah sich um. Boardman hielt mit ihm Schritt. Sein Alter war ihm nicht anzumerken. Boardman winkte und zwinkerte ihm zu. Er mußte die gleiche Prozedur befolgen. Eins, zwei, drei, vier, vorwärts! Boardman rannte an der Stelle vorbei, aus der normalerweise der Energiestoß kam.
„Sollen wir hier einen Moment Pause machen?“ fragte Rawlins.
„Behandeln Sie mich nicht wie einen Tattergreis, Ned. Immer voran. Ich bin noch nicht müde.“
„Uns steht ein hartes und schweres Stück bevor.“
„Dann nichts wie hinein.“
Rawlins konnte sich nicht dagegen wehren, auf die Knochen zu starren. Vertrocknete Skelette, Äonen alt. Und auch Leichen, die sehr jungen Ursprungs waren. Wesen vieler Spezies hatten hier ihr Ende gefunden.
Und wenn ich in den nächsten zehn Minuten sterbe?
Blendende Lichter flammten nun im mehrfachen Wechsel pro Sekunde auf. Boardman, der sich fünf Meter hinter ihm befand, wurde zu einer unheimlichen Gestalt, die sich mit unzusammenhängenden Schritten voranbewegte. Er fuhr sich mit der Hand über die Augen, um die stoßweisen Bewegungen zu erkennen. Es kam ihm so vor, als sei jeder zweite Bruchteil einer Sekunde aus seiner Wahrnehmung gestrichen worden.
Der Computer sagte ihm: Nach zehn Schritten stehenbleiben. Eins. Zwei. Drei. Zehn Schritte gehen und stehenbleiben.
Eins. Zwei. Drei. Zehn Schritte gehen und stehenbleiben.
Eins. Zwei. Drei. Rasch weitergehen bis zum Ende der Rampe.
Rawlins konnte sich nicht mehr daran erinnern, welche Gefahr ihm hier drohte, sollte er vom Weg abkommen. Hier in Zone H waren die Schrecken so zahlreich gesät, daß er sich ihre richtige Reihenfolge nicht merken konnte. War das die Stelle, wo auf den Unachtsamen eine Tonne Gestein fiel? Oder wo die Wände gegeneinander krachten? Wo eine hauchdünne Scheinbrücke die Opfer in einen Feuersee beförderte?
Seine Lebenserwartung betrug noch zweihundertfünf Jahre. Er wollte den Großteil dieser Jahre ausleben. Ich bin noch viel zu unreif, um jetzt schon zu sterben, sagte sich Ned Rawlins.
Er tanzte zur Melodie des Computers am Feuersee und an den zusammenprallenden Wänden vorbei.
Ein Etwas mit langen Zähnen lauerte auf der Schwelle der vor ihnen liegenden Tür. Vorsichtig zog Charles Boardman das Gewehr aus seinem Tornister und stellte den Zielsucher ein. Er justierte die Waffe auf eine Masse von maximal dreißig Kilogramm und auf eine Entfernung von fünfzig Metern. „Alles klar“, erklärte er Rawlins und schoß. Die Energielanze prallte gegen die Wand. Schimmernd grüne Blitze durchfuhren das vorherrschende Purpurrot. Das Tier sprang hoch und streckte im Todesschmerz alle Glieder aus. Dann stürzte es zu Boden. Wie aus dem Nichts erschienen drei kleine Aasfresser, die das Opfer in Stücke rissen.
Boardman kicherte. Man brauchte nicht besonders geschickt zu sein, um mit einem so ausgerüsteten Gewehr sein Opfer zu treffen, wie er sich selbst eingestand. Aber es war schon sehr lange her, seit er das letzte Mal auf die Jagd gegangen war. Damals war er dreißig gewesen. Eine volle Woche hatte er mit einer Jagdgesellschaft aus acht Geschäftsleuten und Regierungsbeamten im Saharareservat verbracht. Er hatte mitgemacht, weil das für seine Karriere von Nutzen sein konnte. Aber er haßte alles an dieser Reise: die glühend heiße Luft in seinen Lungen, das Sengen der Sonne, die gelbbraunen Tiere, die tot im Sand lagen, die Prahlereien, die sinnlose Lust am Töten. Mit dreißig bringt man für die geistlosen Beschäftigungen der Älteren wenig Toleranz auf. Aber er war damals geblieben, weil er sich gedacht hatte, es wäre nützlich für ihn, diese Männer als seine Freunde zu gewinnen. Und seine Bemühungen hatten sich bezahlt gemacht. Aber er war nie wieder auf die Jagd gegangen. Hier, im Labyrinth, sah die Sache jedoch ganz anders aus, selbst mit einem Masse/Zielsuch-Gewehr. Hier war es kein Sport mehr.
Bilder spiegelten sich auf einer goldenen Scheibe, die an einer Wand nahe dem inneren Ende von Zone H angebracht war. Rawlins sah, wie sich plötzlich die Züge seines Vaters auf der Scheibe herausbildeten. Sie verschmolzen mit einem unterliegenden Muster aus Streben und Kreuzen und gingen schließlich in Flammen auf. Die Scheibe war auf visuelle Ausstrahlung ausgerichtet. Sie zeigte das, was das jeweilige Auge des Betrachters zu sehen glaubte. Die Drohnen, die hier vorbeigekommen waren, hatten nur eine blanke Scheibe ausmachen können. Rawlins entdeckte, wie ein Mädchen auf ihr erschien. Maribeth Chambers, sechzehn Jahre alt und im zweiten Jahr auf der High School „Maria, die Gnadenreiche“ in Rockford, Illinois. Maribeth Chambers lächelte Ned schüchtern an und begann, sich zu entkleiden. Ihr Haar war sanft und weich wie Seide, ein goldener Glorienschein. Die Augen waren blau und die Lippen voll und feucht. Sie öffnete ihren Büstenhalter und enthüllte zwei feste, hochstehende weiße Kugeln mit flammenden Spitzen. Sie waren groß und standen dicht beieinander, so als sei die Schwerkraft für sie aufgehoben. Das Tal zwischen ihnen war fünfzehn Zentimeter tief und einen halben Zentimeter breit. Maribeth Chambers errötete und entkleidete auch die untere Hälfte ihres Körpers. Sie trug ein winziges Höschen, das die Grübchen über ihrem runden, rosafarbenen Hintern bedeckte. An einer goldenen Kette um die Hüften trug sie ein Elfenbeinkruzifix. Rawlins bemühte sich, nicht auf die Scheibe zu sehen. Der Computer gab ihm den weiteren Weg vor. Gehorsam bewegte er sich.
„Ich bin das Leben und die Auferstehung“, sagte Maribeth Chambers mit rauchiger, leidenschaftlicher Stimme.
Sie winkte ihm zu. Deutete ihm an, wo sie jetzt am liebsten mit ihm hinwollte. Sie flüsterte süße Obszönitäten.
Dreh dich um und komm hierher, du großer Junge, du! Laß mich dir etwas ganz, ganz Tolles zeigen…
Sie kicherte. Sie ließ die Hüften kreisen. Sie zog die Schultern zurück und ließ die Brüste wie Kirchenglocken zur Osternacht baumeln:
Ihre Haut verfärbte sich dunkelgrün. Die Augen wanderten in ihrem Gesicht herum. Ihre Unterlippe schob sich vor, bis sie das Aussehen einer Schaufel gewonnen hatte. Ihre Oberschenkel schmolzen. Ein Flammenmuster tanzte auf der Scheibe. Rawlins hörte tiefe, dröhnende Akkorde von einer unsichtbaren Orgel. Er konzentrierte sich auf das Geflüster des Computers, der ihn leitete und unbeschadet an der Scheibe vorbeiführte.
Die Scheibe zeigte abstrakte Muster: die Geometrie der Energie, scharfe, bewegte Linien und eingefrorene Figuren. Charles Boardman blieb einen Moment stehen, um das Bild zu begutachten. Dann setzte er sich wieder in Bewegung.
Ein ganzer Wald wirbelnder Messer an der Innengrenze von Zone H.
Die Hitze wurde auf sonderbare Weise immer intensiver. Man konnte nur auf Zehenspitzen über den Straßenbelag gehen. Das war mehr als ärgerlich, weil niemand, der zuvor diesen Weg gegangen war, etwas Ähnliches erlebt hatte. War die richtige Route Variationen unterworfen? Konnte die Stadt Variationen hervorrufen? Wie heiß würde es noch werden? Wo und wann würde diese Hitzezone enden? Lag dahinter eine Frostzone? Würden sie Zone E lebend erreichen? War das das Werk von Richard Muller, um sie am Eindringen zu hindern?
Vielleicht hat er Charles Boardman erkannt und versucht jetzt, ihn zu töten. So abwegig ist diese Möglichkeit gar nicht. Muller hat allen Grund, Boardman zu hassen, und ihm stand keine Möglichkeit offen, vor Gericht Gerechtigkeit zu bekommen. Vielleicht sollte ich etwas schneller gehen und eine größere Lücke zwischen mir und Boardman lassen. Es scheint noch heißer geworden zu sein. Andererseits würde Charles mich als Feigling beschimpfen. Und mir mangelnden Kameradschaftsgeist vorwerfen.
Maribeth Chambers hatte so etwas doch noch nie getan. Rasieren sich Nonnen eigentlich immer noch die Schädel?
Boardman hielt das Störfeld tief in der Zone G für die gefährlichste Falle. Er fürchtete nicht die tödlichen Gefahren in ihrer Umgebung. Er hatte viel mehr Angst davor, an einen Ort zu gelangen, wo das, was seine Sinne aufnahmen, nicht mehr mit dem realen Universum übereinstimmte. Boardman war auf seine Sinne angewiesen. Mittlerweile trug er schon die dritten Netzhäute. Man konnte keine richtigen Einschätzungen des Universums treffen, wenn man sich nicht sicher war, ob man es deutlich sah. Nun befand er sich im Verzerrungsfeld.
Parallellinien trafen sich hier. Dreieckige Figuren, die sich von den feuchten, wallenden Wänden abhoben, bestanden aus lauter stumpfen Winkeln. Ein Fluß strömte seitwärts durch das Tal. Die Sterne standen ganz nah beieinander, und die Monde umkreisten einander.
Nun ist es nötig, die Augen zu schließen und uns nicht täuschen zu lassen.
Linker Fuß. Rechter Fuß. Linker Fuß. Rechter Fuß. Ein wenig nach links bewegen — mit dem Fuß weiterrutschen. Mehr. Noch ein Stück. Noch ein kleines Stück. Nach rechts zurück. Genau so. Jetzt wieder weitergehen.
Verbotene Früchte sollten ihn in Versuchung bringen. Sein ganzes Leben lang hatte er sich darum bemüht, klar zu sehen. Das Locken der Täuschungen war unwiderstehlich. Boardman hielt inne. Stellte beide Füße fest auf den Boden. Wenn du hier herauskommen willst, sagte er sich, dann hältst du am besten die Augen fest geschlossen. Mit offenen Augen wirst du in eine Falle rennen und dabei zu Tode kommen. Und du hast kein Recht, hier leichtsinnig dein Leben aufs Spiel zu setzten, wo so viele Männer bereits alles gegeben haben, um dir den richtigen Weg zum Überleben zu zeigen.
Boardman blieb weiter unbeweglich stehen. Die leise Stimme des Computers hörte sich etwas ungeduldig an, während sie ihn zum Weitergehen drängte.
„Einen Moment noch“, sagte Boardman ruhig. „Ich kann mich doch etwas umsehen, solange ich mich nicht bewege. Das ist doch der ganze Trick an der Sache, sich nicht zu bewegen. Es besteht überhaupt keine Gefahr, wenn man sich nicht bewegt.“
Das Schiffsgehirn erinnerte ihn an den Feuergeysir, der Marshall das Leben gekostet hatte.
Boardman öffnete die Augen.
Er achtete sorgfältig darauf, nicht die geringste Bewegung zu machen. Überall um sich herum sah er die Negation der Geometrie. Dies war die Umkehrung der Kleinschen Lupe, durch die er verzerrt nach draußen sah. Abscheu stieg wie eine Quecksilbersäule in ihm auf.
Du bist achtzig Jahre alt und solltest wissen, wie das Universum auszusehen hat. Schließ jetzt die Augen, C. B. Schließ die Augen und geh weiter. Du gehst unnötige Risiken ein.
Zuerst suchte er Ned Rawlins. Der Junge befand sich zwanzig Meter vor ihm und bewegte sich langsam und vorsichtig aus dem Störfeld hinaus. Hatte er die Augen geschlossen? Natürlich. Alle beide, fest zu. Ned war ein gehorsamer Junge. Oder ein überängstlicher. Er möchte das hier überleben, deshalb verzichtet er darauf, einen Blick auf das verzerrte Universum zu werfen. Ich hätte gern einen Sohn wie ihn. Aber mittlerweile hätte ich ihn sicher bereits verdorben.
Boardman hob das rechte Bein, riß sich rechtzeitig zusammen und setzte es wieder zurück. Direkt vor ihm sprangen Wogen goldenen Lichtes in die Luft, nahmen einmal die Form eines Schwans an und ein anderes Mal die eines Baums. Die linke Schulter von Ned Rawlins verzog sich zu weit nach oben. Ein Buckel entwickelte sich auf seinem Rücken. Ein Bein trat nach vorn und das andere nach hinten. Durch einen goldenen Nebel sah Boardman den Leichnam von Marshall, der an eine Wand gepfählt war. Marshalls Augen waren weit aufgerissen. Gab es denn auf Lemnos keine Fäulnisbakterien? Als Boardman in diese Augen sah, bemerkte er dort die verzerrte Widerspiegelung seiner selbst: das ganze Gesicht eine einzige Nase, aber kein Mund. Boardman schloß die Augen.
Erleichtert dirigierte der Computer ihn weiter.
Ein Blutmeer. Eine Tasse Blutwasser.
Zu sterben, ohne jemals geliebt zu haben…
Dies ist das Tor zu Zone F. Ich verlasse nun das andere Königreich des ‘ Todes. Wo ist mein Paß? Brauche ich ein Visum? Ich habe nichts zu verzollen. Nichts. Nein, nichts. Nein, gär nichts.
Ein frostiger Wind bläst aus dem Morgen.
Die Jungs, die in F ein Camp errichtet haben, sollten laut Plan herauskommen, sich mit uns treffen und uns durch das Tor führen. Ich hoffe, sie stören uns nicht. Wir finden den Weg auch ohne sie. Wir müssen nur an dem Störfeld vorbeikommen, und schon liegt das Schlimmste hinter uns.
So oft habe ich von dieser Route geträumt. Und jetzt hasse ich sie, obwohl sie wunderschön ist. Man kommt nicht umhin, es zuzugeben: Sie ist einmalig schön. Und wahrscheinlich sieht sie im Augenblick meines Todes am schönsten aus.
Maribeth Chambers hat kleine Falten am Hintern. Bevor sie dreißig wird, sieht sie schon wie eine fette Matrone aus.
Man tut alles Mögliche, wenn es nur der eigenen Karriere nutzt. Ich hätte längst damit aufhören sollen. Ich habe niemals Rousseau gelesen. Ich habe niemals Zeit für Donne gehabt. Ich weiß nichts über Kant. Falls ich das hier überlebe, will ich mich sofort daran machen, sie zu lesen. Ich leiste diesen Eid bei vollem Bewußtsein, bei völliger Gesundheit und im Alter von achtzig Jahren. Ich, Ned Rawlins werde Ich Richard Muller werde lesen Ich will Ich Ich Ich will lesen Ich Charles Boardman.
Jenseits des Tores hielt Ned Rawlins kurz an und fragte den Computer, ob er sich gefahrlos hier hinhocken und einen Moment verschnaufen könne. Die Datenanlage bejahte. Behutsam ging Ned in die Knie, blieb einen Augenblick hocken und berührte mit dem Knie den kühlen, kieselbelegten Straßenbelag. Er sah zurück. Hinter ihm waren kolossale Steinblöcke fünfzig Meter hoch aufgetürmt, ohne Mörtel, aber fugenlos zusammengesetzt. Sie flankierten eine schmale Öffnung, durch die sich nun die massige Gestalt von Charles Boardman schob. Der alte Mann sah verschwitzt und verwirrt aus. Rawlins konnte den Blick nicht von ihm wenden. Er hatte den alten Fuchs noch nie so ohne aalglatte Selbstgefälligkeit gesehen. Aber sie waren auch noch nie zusammen durch dieses Labyrinth gegangen.
Rawlins selbst fühlte sich auch nicht mehr allzu frisch. Stoffwechselgifte kochten in seinem Körper. Er war so durchgeschwitzt, daß seine Kleidung Überstunden machen mußte, um die Feuchtigkeit wieder loszuwerden. Sie destillierte die Nässe und verdunstete das Substrat aus chemischen Reststoffen. Es war noch zu früh, um sich zu freuen. Brewster war hier in Zone F gestorben, weil er geglaubt hatte, die Gefahren seien nun vorüber, nachdem er der Zone G entronnen war. Nun, immerhin hatten sie es so weit geschafft.
„Ein kleines Päuschen?“ fragte Boardman. Seine Stimme klang dünn und unsicher.
„Warum nicht? Ich habe einiges geleistet, Charles.“ Rawlins grinste matt. „Ebenso wie Sie. Der Computer sagt, man kann hier gefahrlos eine kleine Weile verschnaufen. Setzen Sie sich neben mich, ich rücke ein Stück zur Seite.“
Boardman trat heran und ließ sich nieder. Rawlins mußte ihn stützen, als er beim Hinknien das Gleichgewicht zu verlieren drohte.
„Muller ist auch diesen Weg gekommen und hat es geschafft“, sagte Ned.
„Muller war immer schon außergewöhnlich.“
„Was glauben Sie, wie er es geschafft hat?“
„Warum fragen Sie ihn nicht selbst?“
„Das werde ich auch“, verkündete Rawlins. „Vielleicht sitze ich ihm schon morgen um diese Zeit gegenüber und rede mit ihm.“
„Vielleicht. Wir sollten jetzt weitergehen.“
„Wenn Sie meinen.“
„Sie werden bald kommen, um uns zu treffen. Mittlerweile sollten sie uns ausgemacht haben. Ihre Massedetektoren zeigen uns sicher schon an. Auf, Ned, kommen Sie.“
Sie erhoben sich. Wieder übernahm Rawlins die Führung.
Zone F war etwas freier, nicht so dicht bebaut. Doch auch hier war die Architektur nicht weniger phantastisch. Von den Gebäuden ging eine ungemütliche Stimmung aus, in der eine bestimmte Note dominant war, die ein Spannungsverhältnis zwischen den einzelnen Objekten hervorrief, die nicht zueinander passen wollten. Obwohl Rawlins wußte, daß die Fallen hier weniger dicht gesät waren, konnte er sich immer noch nicht des Gefühls erwehren, daß der Boden sich jeden Moment unter seinen Füßen auftun konnte. In Zone F war die Luft kühler. Sie trug denselben scharfen Geruch mit sich, wie draußen auf der Ebene. An jeder Straßenkreuzung standen riesige Betontröge, in denen ausgezackte, fedrige Bäume wuchsen.
„Was war für Sie bisher die schwierigste Stelle?“ wollte Rawlins wissen.
„Das Verzerrungsfeld“, antwortete Boardman.
„Das war doch gar nicht einmal so schlimm… außer, wenn man etwas dagegen hat, mit geschlossenen Augen durch so eine gefährliche Gegend zu laufen. Wissen Sie, eines von diesen kleinen Raubtieren hätte uns dort anfallen können. Und wir hätten solange nichts davon bemerkt, bis wir seine Zähne im Nacken gespürt hätten.“
„Ich habe einen Blick riskiert“, erklärte Boardman.
„Im Verzerrungsfeld?“
„Nur einen kurzen Moment lang. Ich konnte einfach nicht widerstehen, Ned. Ich will gar nicht erst versuchen zu beschreiben, was ich gesehen habe. Aber es war eine der sonderbarsten Erfahrungen, die ich je gemacht habe.“
Rawlins lächelte. Er hätte Boardman am liebsten dafür beglückwünscht, etwas so Dummes und Gefährliches, aber auch Menschliches getan zu haben. Doch er traute sich nicht. Statt dessen sagte er: „Wie war das denn? Sind Sie nur dort stehengeblieben, haben sich kurz umgesehen und sind dann weitergegangen? Sind Sie dabei nicht in Gefahr geraten?“
„Nur einmal. Ich vergaß mich und hätte beinahe einen Schritt in die falsche Richtung getan. Aber ich konnte mich im letzten Moment zurückhalten. Ich hielt die Füße fest auf dem Boden und sah mich um.“
„Vielleicht versuche ich das auch einmal auf dem Rückweg“, sagte Rawlins. „Ein kurzer Blick kann ja nicht schaden.“
„Woher wollen Sie wissen, daß das Feld auch nach der anderen Richtung hin wirksam ist?“
Rawlins runzelte die Stirn. „Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Wir haben bisher noch gar nicht versucht, durch das Labyrinth nach draußen zu gelangen. Was ist, wenn dann ganz andere Fallen auf uns warten? Für diese Route besitzen wir weder Karten noch sonstige Unterlagen. Was, wenn wir alle bei dem Versuch umkommen, wieder hinaus zu gelangen?“
„Wir setzen halt wieder Drohnen ein“, sagte Boardman. „Darüber würde ich mir jetzt noch keine Sorgen machen. Wenn es so weit ist, lassen wir einen Trupp Sondierungsroboter ins Camp in Zone F kommen und erproben den Rückweg genauso wie den Hinweg.“
Nach einer Weile sagte Rawlins: „Warum sollte es eigentlich auf dem Weg hinaus Fallen geben? Das hieße doch, die Erbauer des Irrgartens hätten ebenso versucht, Feinde auszuschließen wie sich einzuschließen. Warum sollte jemand so etwas tun wollen?“
„Wer will das wissen, Ned? Es waren schließlich Außerirdische, deren Gedankengänge wir nicht kennen.“
„Ja, deren Gedanken wir nicht kennen.“
Boardman erinnerte sich daran, daß die Konversation von seiner Seite noch nicht beendet war. Er bemühte sich um Freundlichkeit. Schließlich waren sie im Angesicht solch tödlicher Gefahren Kameraden. So sagte er: „Und welche Stelle war für Sie bisher die schrecklichste?“
„Jene Scheibe, ein Stück zurück“, sagte Rawlins. „Dort, wo einem das schreckliche, kranke Zeug gezeigt wird, das im eigenen Bewußtsein zu Hause ist.“
„Welche Scheibe meinen Sie?“
„Nahe dem Zentrum von Zone H. Eine goldene Scheibe, die mit Metallbändern an einer hohen Mauer befestigt ist. Als ich hineinblickte, sah ich dort ein paar Sekunden lang die Züge meines Vaters. Und danach ein Mädchen, das ich einmal gekannt habe. Sie ist später Nonne geworden. Die Scheibe zeigte sie, wie sie sich entkleidete. Ich glaube, das sagt einiges darüber aus, was in meinem Unterbewußtsein so vor sich geht, was? Sodom und Gomorrha. Aber bei wem von uns ist das nicht so?“
„Ich habe nichts dergleichen gesehen.“
„Aber Sie konnten die Scheibe doch gar nicht verfehlen. Sie befand sich, äh… etwa fünfzig Meter von der Stelle entfernt, wo Sie das Tier erschossen haben. Ein Stück weiter links, in halber Höhe der Wand, eine rechtwinklige Scheibe… nein, eher trapezförmig, mit einer leuchtend weißen Metallumrahmung. Farben wirbelten durcheinander, und Formen.“
„Ach ja, die Scheibe. Ich habe geometrische Formen gesehen.“
„Ich sah, wie Maribeth sich auszog“, meinte Rawlins mit verdutzter Stimme, „und Sie haben nur geometrische Formen gesehen?“
Auch Zone F konnte tödlich sein. Eine kleine, perlartige Blase öffnete sich am Boden, und ein Strom glitzernder Kugeln rollte heraus. Sie kamen auf Rawlins zu. Sie bewegten sich mit der bösartigen Entschlossenheit von hungrigen Soldatenameisen. Sie stachen in sein Fleisch. Ned zertrampelte einige von ihnen, kam aber in seinem Ärger und Eifer fast einem aufblitzenden blauen Licht zu nahe. Er kickte drei Kugeln in das Licht, und sie zerschmolzen.
Boardman hatte bereits mehr als genug.
Seit ihrem Eintritt ins Labyrinth waren erst eine Stunde und achtundvierzig Minuten vergangen. Aber es kam den beiden Männern viel länger vor. Der Weg durch Zone F führte in einen Raum mit rosafarbenen Wänden, wo aus verborgenen Ventilen pfeilförmige Dampfwolken abgelassen wurden. Am anderen Ende des Raums befand sich ein irisierender, schlitzartiger Durchgang. Durchquerte man ihn nicht genau im richtigen Moment, wurde man zerquetscht. Die Öffnung bot Zugang zu einer Passage mit niedriger Decke, in der es bedrückend eng und stickig war. Die Wände waren blutrot und pulsierten in nervenaufreibendem Rhythmus. Hinter der Passage lag ein offener Platz, an dessen Ende sechs weiße Metallsäulen standen. Sie sahen aus, wie zum Zuschlagen bereite Schwerter. Ein Springbrunnen jagte Wasserfontänen hundert Meter hoch in die Luft. Der Platz wurde von drei Türmen flankiert, die viele Fenster in allen Formen und Größen besaßen, von denen keine zwei gleich waren. Prismatisches Scheinwerferlicht spielte auf den Scheiben. Kein einziges Fenster war zerbrochen. Auf den Stufen vor einem der Türme lag das Skelett eines Wesens, das zehn Meter groß gewesen war. Eine Kugel, unzweifelhaft ein Schutzhelm, bedeckte den Schädel.
Im Camp in Zone F befanden sich Alton, Antonelli, Cameron, Greenfield und Stein. Es diente als rückwärtige Basis für die Gruppe, die sich weiter voraus befand. Antonelli und Stein kehrten zu dem Platz im Zentrum von F zurück und stießen dort auf Rawlins und Boardman.
„Es ist nicht mehr weit“, sagte Stein. „Möchten Sie sich vorher noch etwas ausruhen, Mr. Boardman?“
Boardman warf ihm einen finsteren Blick zu. Sie marschierten weiter.
Antonelli sagte: „Davis, Ottavio und Reynolds sind heute morgen nach E weitergezogen, nachdem Alton, Cameron und Greenfield zu uns gestoßen waren. Petrocelli und Walker erkunden am Rand von E entlang und haben auch schon ein kleines Stück von D erforscht. Sie sagen, es sähe dort viel besser aus.“
„Ich reiße ihnen den Schädel vom Rumpf, wenn sie weiter hineingehen“, sagte Boardman.
Antonelli lächelte nervös.
Das Basiscamp bestand aus zwei Kuppeln, die nebeneinander auf einem kleinen, freien Stück am Rande eines Gartens errichtet worden waren. Man hatte das Stück Land sorgfältig untersucht und erwartete dort jetzt keine Überraschungen mehr. Rawlins trat in eins der Zelte und zog seine Schuhe aus. Cameron reichte ihm ein Reinigungsmittel. Greenfield gab ihm ein Nahrungspack. Rawlins fühlte sich unter diesen Männern nicht recht wohl. Ihnen hatten im Leben nicht so viele Möglichkeiten offengestanden wie ihm. Sie hatten keine so ausgezeichnete Erziehung genossen wie er. Sie würden nicht solange leben wie er, selbst wenn sie allen Gefahren entgehen konnten, denen sie ausgesetzt wurden. Keiner von ihnen hatte blonde Haare oder blaue Augen, und wahrscheinlich konnten sie sich chirurgische Verschönerungsoperationen auch gar nicht leisten, die ihnen ein solches Aussehen verliehen hätten. Und trotzdem schienen sie glücklich und zufrieden. Vielleicht, weil sie sich nicht den Kopf über die moralischen Implikationen zerbrechen mußten, Richard Muller mit Tricks aus dem Irrgarten zu locken.
Boardman kam in das Zelt. Ned konnte nur bewundern, wie ausdauernd und unermüdlich der alte Mann war. Boardman lachte und sagte: „Sagen Sie Captain Hosteen, daß er die Wette verloren hat. Wir haben es doch geschafft.“
„Was für eine Wette?“ fragte Antonelli.
„Wir glauben, daß Muller unser Vorankommen irgendwie verfolgt“, sagte Greenfield. „Seine letzten Bewegungen waren eigentlich sehr regelmäßig. Er befindet sich momentan im rückwärtigen Quadranten von Zone A… so weit vom Eingang entfernt wie möglich. Falls das der Eingang ist, den auch er benutzt. Er bewegt sich in einem kleinen Bogen, um ja alles vom Vortrupp mitzubekommen.“
„Hosteen hat drei zu eins gewettet, wir würden es nicht bis hierher schaffen“, sagte Boardman. „Ich habe es genau gehört.“ Boardman wandte sich an Cameron, den Nachrichtentechniker: „Halten Sie es für möglich, daß Muller über eine Monitoranlage verfügt?“
„Ausgeschlossen wäre es nicht.“
„Meinen Sie, er kann damit unsere Gesichter erkennen?“
„Vielleicht unter günstigen Bedingungen. Aber woher sollen wir das genau wissen? Er hat viel Zeit gehabt, sich in diesem Labyrinth hier zurechtzufinden, Sir.“
„Sobald er mein Gesicht gesehen hat“, sagte Boardman, „können wir sofort wieder nach Hause fliegen und das alles hier abbrechen. Ich hätte nie gedacht, daß er uns über einen Monitor überwachen könnte. Wer ist hier für das Thermoplast zuständig? Ich brauche sofort ein neues Gesicht.“
Er brauchte nichts zu erklären. Als er fertig war, hatte er eine lange, scharfe Nase, dünne, herabhängende Lippen und ein Kinn wie eine Hexe. Kein sonderlich attraktives Gesicht. Aber auch nicht mehr das von Charles Boardman.
Nach einer unruhigen Nacht machte sich Ned Rawlins am nächsten Morgen zu einem Marsch nach dem Camp in Zone E bereit. Boardman würde ihn ab jetzt nicht mehr begleiten. Aber sie würden in ständiger Verbindung stehen. Boardman würde sehen können, was Rawlins sah, und ebenso alles hören. Über ein winziges Mikrophon ‘ würde Boardman in der Lage sein, Ned Instruktionen zu geben.
Der Morgen war trocken, aber eiskalt. Sie testeten die Kommunikationsverbindung. Rawlins trat aus dem Zelt und ging zehn Schritte weit. Von dort aus begutachtete er den Weg vor sich und starrte fasziniert auf das orangefarbene Glühen des Sonnenaufgangs auf einer verwittert wirkenden, porzellanartigen Wand. Die Wände standen tiefschwarz unter dem strahlenden Grün des Himmels.
„Heben Sie die rechte Hand, wenn Sie mich verstehen können, Ned“, sagte Boardman.
Rawlins hob die Rechte.
„Sagen Sie etwas.“
„Wo, sagten Sie, ist Richard Muller geboren?“
„Auf der Erde. Ich kann Sie sehr gut verstehen.“
„Wo auf der Erde?“
„Irgendwo im Nordamerikanischen Direktorat.“
„Da stamme ich auch her“, sagte Ned.
„Ja, das weiß ich. Ich glaube, Muller kommt vom westlichen Teil des Kontinents. Aber ich weiß es nicht hundertprozentig. Ich bin nur wenige Jahre auf der Erde gewesen, Ned, und kann mich nicht mehr so genau an ihre Geographie erinnern. Falls es sich als wichtig herausstellen sollte, kann ich immer noch den Schiffscomputer befragen.“
„Ja, vielleicht später“, sagte Rawlins. „Soll ich losmarschieren?“
„Zuerst möchte ich Ihnen noch etwas sagen. Wir haben außerordentliche Anstrengungen vollbracht, um in diesen Irrgarten zu gelangen. Und ich möchte Sie daran erinnern, daß alles, was wir bis jetzt getan haben, nur die Vorarbeit für unsere eigentliche Aufgabe war. Wir sind hier, um Muller zu bekommen, denken Sie bitte immer daran.“
„Wie sollte ich das vergessen?“
„Bislang haben wir uns hauptsächlich mit Fragen des persönlichen Überlebens beschäftigt. Das könnte leicht die eigene Perspektive verzerren, daß nämlich allein die Frage im Vordergrund steht, ob man selbst, ob man als Individuum überlebt oder stirbt. Doch von nun an erweitert sich unsere Perspektive. Was Muller besitzt, sei es nun Gabe oder Fluch, ist von allerhöchstem Wert für uns. Und es ist Ihr Job, Ned, ihn für uns zu gewinnen. Das Schicksal ganzer Galaxien hängt davon ab, was sich in den nächsten Tagen zwischen Ihnen und Muller abspielt. Ganze Äonen anstehender Geschichte werden von Ihnen vorgeschrieben. Das Leben von Milliarden Ungeborenen kann sich durch das, was sich hier in den nächsten Tagen ereignen wird, zum Guten oder zum Schlechten wenden.“
„Das hört sich übertrieben ernst an, Charles.“
„Mir ist es auch verdammt ernst. Irgendwann kommt immer einmal der Moment, wo all die hochtönenden, anscheinend hohlen und oft gehörten Phrasen einen Sinn ergeben. Und dies ist ein solcher Moment. Sie stehen am Scheideweg der galaktischen Geschichte, Ned. Und deshalb werden Sie jetzt auch dort hineingehen und lügen und betrügen und Meineide schwören und Halbwahrheiten von sich geben. Ich erwarte, daß Ihr Gewissen sich einige Zeit lang hundsmiserabel fühlen wird und Sie sich dafür abgrundtief hassen werden. Aber ich weiß auch, Sie werden schließlich begreifen, was Sie da getan haben. Und dann werden Sie es als heroische Tat ansehen. Der Test der Kommunikationsgeräte ist damit beendet. Jetzt kommen Sie wieder zu uns herein, damit wir alles zusammenpacken können.“
Diesmal brauchte er nur ein kurzes Stück allein zu gehen. Stein und Alton begleiteten ihn bis zum Eingang von Zone E. Es gab keine Zwischenfälle. Sie zeigten ihm die richtige Richtung, und er trat durch einen wirbelnden Schauer aus blitzenden, azurblauen Funken auf den darunterliegenden, schmucklosen Friedhof zu. Als er die aufsteigende Rampe zum Eingang hinaufstieg, fiel ihm eine Kuppel ins Auge, die auf einer aufrecht stehenden Steinsäule angebracht war. Inmitten ihres dunklen Inneren bewegte sich etwas leicht Glühendes, das irgendwie an ein Auge erinnerte.
„Ich glaube, ich habe einen Bestandteil von Mullers Überwachungssystem gefunden“, meldete Rawlins. „Da ist ein Gerät in der Wand, das mich beobachtet.“
„Sprühen Sie etwas darüber“, schlug Boardman vor.
„Ich fürchte, er würde das als feindseligen Akt auffassen. Warum sollte ein Archäologe ein solch hochinteressantes Stück beschädigen wollen?“
„Ja, da haben Sie recht. Machen Sie weiter.“
Die Stimmung in Zone E war weit weniger bedrohlich. Dieser Teil des Labyrinths bestand aus dunklen, kompakten, niedrigen Gebäuden, die wie Turteltauben aneinanderklebten. Rawlins konnte ein Stück voraus andere Strukturen erkennen: hohe Mauern und leuchtende Türme. Jede einzelne Zone unterschied sich so sehr von allen anderen, daß Ned allmählich glaubte, sie seien gar nicht zur gleichen Zeit erbaut worden. Im Zentrum die Wohnbezirke, und dann waren allmählich die fallenbestückten Außenringe hinzugekommen, um eines ständig drohenden Feindes Herr zu werden. Ein Archäologe mochte zu solchen Schlüssen kommen. Ned notierte sich das in Gedanken. Das ließ sich sicher später noch verwenden.
Er marschierte ein Stück weiter und bemerkte dann, wie die schattenverdunkelte Gestalt Walkers auf ihn zukam. Walker war hager, starrköpfig und unnahbar. Er behauptete, mehrere Male mit derselben Frau verheiratet gewesen zu sein. Er war etwa vierzig, ein Karrieretyp.
„Fein, daß Sie es geschafft haben, Rawlins. Passen Sie auf die linke Seite auf, die Wand ist beweglich.“
„Ist hier alles in Ordnung?“
„Mehr oder weniger. Wir haben vor etwa einer Stunde Petrocelli verloren.“
Rawlins erstarrte. „Aber es hieß doch, diese Zone sei ungefährlich!“
„Anscheinend nicht. Sie ist tückischer als F und fast so schlimm wie G. Wir haben sie unterschätzt, nachdem wir die Drohnen hindurchgejagt haben. Es gibt ja eigentlich auch keinen vernünftigen Grund, warum die inneren Zonen sicherer sein müssen als die äußeren, oder? Ich möchte behaupten, diese hier ist eine der schlimmsten.“
„Um uns einzulullen“, sagte Ned, „um uns ein falsches Gefühl der Sicherheit zu geben.“
„Da sagen Sie etwas, Mann. Kommen Sie nun. Folgen Sie mir, und strengen Sie Ihren Gehirnkasten nicht allzusehr an. Es geht hier nicht um Witz oder Esprit. Sie bleiben schön auf dem einzigen sicheren Weg, oder Sie haben alles hinter sich.“
Rawlins folgte ihm. Er konnte nirgends eine Gefahr erkennen, aber er sprang dort, wo Walker sprang, und machte dort einen Umweg, wo Walker einen machte. Nicht weit entfernt befand sich das innere Camp. Er stieß dort auf Davis, Ottavio und Reynolds; und auch auf die obere Hälfte von Petrocelli. „Wir warten noch auf die Anweisung, ihn zu bestatten“, erklärte Ottavio. Unterhalb der Gürtellinie war von Petrocelli nichts mehr übrig. „Ich wette, Hosteen ordnet an, ihn hinaufzuschaffen.“
„Decken Sie ihn doch wenigstens zu“, sagte Rawlins.
„Sie wollen also heute noch in die Zone D?“ fragte Walker.
„Ich denke schon.“
„Gut, dann sagen wir Ihnen, worauf Sie zu achten haben. Da gibt es nämlich etwas Neues. Dort, wo es Petrocelli erwischt hat, knapp hinter dem Eingang zu D, vielleicht fünf Meter weiter innen. Man tritt auf irgendeine Platte, und schon wird man in der Mitte durchgeschnitten. Die Drohnen haben offensichtlich den Mechanismus nicht ausgelöst.“
„Oder es schneidet alles entzwei, was darauf tritt, bis auf Drohnen“, meinte Rawlins.
„Muller hat es auch nichts getan“, sagte Walker. „Aber Ihnen wird nichts geschehen, wenn Sie es umgehen. Wir zeigen es Ihnen.“
„Und was liegt dahinter?“
„Das müssen Sie schon selbst herausfinden.“
„Wenn Sie müde sind“, sagte Boardman, „dann bleiben Sie die Nacht über im Camp.“
„Ich möchte lieber weiter.“
„Sie sind dann ganz auf sich allein gestellt, Ned. Warum wollen Sie sich nicht vorher ausruhen?“
„Lassen Sie den Computer eine Untersuchung an mir vornehmen und feststellen, wo die Grenze meiner Belastbarkeit liegt. Ich bin jedenfalls zum Weitermarsch bereit.“
Boardman veranlaßte eine Diagnose. Mittels Telemetern wurde Rawlins durchgecheckt. Der Computer kannte seinen Puls, seinen Atemrhythmus, seinen Hormonspiegel und viele andere Werte. Die Datenbank sah keinen Grund, warum Rawlins seinen Weg nicht fortsetzen sollte.
„Also gut“, sagte Boardman, „dann los.“
„Ich stehe kurz davor, in Zone D zu gelangen, Charles. Das ist die Stelle, wo es Petrocelli erwischt hat. Ich kann die trügerische Fuge erkennen,…doch, sehr gut verborgen, kaum wahrzunehmen. Ich gehe jetzt um sie herum. So… Jaaa… Und schon bin ich in Zone D. Ich bleibe jetzt stehen und warte, bis weitere Anweisungen vom Computer kommen. Zone D wirkt etwas freundlicher als E. Die Durchquerung sollte nicht allzuviel Zeit in Anspruch nehmen.“
Die rotbraunen Flammen, die Zone C umgaben, waren nur optische Täuschungen.
Leise sagte Rawlins: „Sagt den Galaxien, daß ihr Schicksal in guten Händen liegt. Ich werde Muller in fünfzehn Minuten gefunden haben.“