Drei Tage später trafen sie sich wieder, gegen Mittag in Zone B. Muller schien erfreut, ihn wiederzusehen, und das paßte hervorragend in den Plan. Rawlins lief quer über den Sportplatz — zumindest sah der Platz so aus, der sich zwischen zwei dunklen blauen Türmen mit stumpfer Spitze befand. Muller begrüßte ihn mit einem Kopfnicken und sagte: „Wie geht es deinen Beinen?“
„Ausgezeichnet.“
„Und dein Freund — mochte er den Schnaps?“
„Er hat ihn genossen“, sagte Rawlins und dachte dabei an das Glühen in Boardmans genießerischen Augen. „Er läßt dir durch mich eine Flasche mit einem ganz besonderen Brandy schicken und hofft, daß du ihm ein zweites Mal etwas aus deinen Vorräten zukommen läßt.“
Muller sah argwöhnisch auf die Flasche, die Rawlins ihm entgegenhielt. „Er soll sie sich sonstwo hinstecken“, sagte Muller unterkühlt. „Ich laß mich auf keine Abmachungen oder Ähnliches ein. Wenn du die Flasche nicht wieder wegsteckst, werfe ich sie auf den Boden.“
„Warum?“
„Gib sie nur her, und dann zeige ich es dir. Nein. Warte. Ich tue es nicht. Her damit, ich will sie haben.“
Rawlins gab sie ihm. Muller hielt die Flasche vorsichtig wie ein wertvolles Stück in seinen Händen. Dann schraubte er die Kappe ab und setzte die Flasche an die Lippen. „Ihr Teufel“, sagte er. „Wo kommt das her? Aus dem Kloster auf Deneb XIII?“
„Er hat den Namen nicht genannt. Er sagte nur, du würdest es mögen.“
„Ihr Teufel. Ständige Versuchungen. Ihr wollt mich doch dazu verführen, mich mit euch einzulassen! Aber nur dieses eine Mal. Wenn du noch einmal mit einer Flasche Brandy oder so hier auftauchst, und wenn es das Elixier der Götter sein sollte, dann werde ich sie nicht annehmen. — Wo hast du eigentlich die ganze Zeit gesteckt, mein Junge?“
„Ich habe gearbeitet. Ich habe dir doch gesagt, daß sie es nicht so gerne sehen, wenn ich zu oft zu dir komme.“
Er hat mich vermißt, dachte Rawlins. Charles hat recht gehabt: Das Eis ist gebrochen. Aber warum ist er eine so schwierige Persönlichkeit, zu der man nur mühsam Zugang gewinnt?
„Wo grabt Ihr denn?“ fragte Muller.
„Es wird nicht mehr gegraben. Wir arbeiten mit Sonden und Echoloten an der Grenze zwischen den Zonen E und F, um Hinweise auf die Chronologie des Komplexes zu bekommen… wir wollen herausfinden, ob das Labyrinth gleichzeitig und in einem Stück gebaut worden ist oder von der Mitte ausgehend Zone um Zone angelegt wurde. Wie ist denn deine Meinung dazu, Dick?“
„Nicht auf diese Art, mein Freund, von mir erfahrt ihr nichts!“ Muller nahm noch einen Schluck. „Du stehst nicht gerade sehr weit weg von mir, nicht wahr?“
„Vier oder fünf Meter, schätze ich.“
„Und du warst mir noch näher, als du mir die Flasche gegeben hast. Warum bist du da nicht blaß geworden? Hast du meine Ausstrahlung nicht mehr gespürt?“
„Doch.“
„Und als rechter Stoiker hast du deine Gefühle zu verbergen gewußt?“
Achselzuckend sagte Rawlins freundlich: „Ich denke mir, der Effekt verliert bei wiederholter Begegnung an Wirkung. Natürlich ist er immer noch recht stark, aber nicht mehr so schlimm wie am ersten Tag. Hast du diese Erfahrung noch nie bei jemand anderem gemacht?“
„Ich bin niemandem öfter als einmal begegnet“, sagte Muller. „Komm hierher, mein Junge, und sieh dir die Anlagen an. Das ist mein Wasserspender. Nicht unflott, was? Diese schwarze Leitung verläuft durch die ganze Zone B. Onyx, denke ich mir. Halbedelstein. Hübsch, in jeder Beziehung.“ Muller kniete nieder und strich über den Aquädukt. „Irgendwo gibt es eine Pumpstation, die das Wasser aus irgendeinem unterirdischen Bassin, möglicherweise aus einer Tiefe von eintausend Kilometern, heraufholt, ich weiß es nicht. Auf der Oberfläche dieses Planeten gibt es kein Wasser, oder?“
„Doch, einige Ozeane.“
„Nun, mal abgesehen von… ach, ist ja auch egal. Dort drüben, siehst du, befindet sich einer der Speier. Alle fünfzig Meter steht einer. So weit ich das übersehen kann, ist dieses System die einzige Wasserversorgung für die ganze Stadt. Vielleicht benötigten die Erbauer nicht viel Flüssigkeit. Wasser kann für sie sicher nicht sehr wichtig gewesen sein, wenn sie eine kunstvolle Anlage daraus gemacht haben. Nirgendwo habe ich ein Leitungssystem finden können und auch keine wirkliche Installation. Hast du Durst?“
„Nicht sehr.“
Muller hielt beide Hände unter den reich verzierten und mit Ornamenten in Form von auf- und abschwellenden Kurven versehenen Speier. Wasser strömte heraus. Muller nahm rasch einige Schlucke. Der Strom versiegte in dem Moment, als er die Hände wegzog. Eine Art Impulsanlage, sagte sich Rawlins. Recht beeindruckend. Wie hatte sie Millionen von Jahren überlebt?
„Trink“, sagte Muller. „Vielleicht bereust du es später.“
„Ich kann nicht lange bleiben.“ Aber er trank trotzdem. Danach spazierten sie gemächlich zur Zone A. Die Käfige hatten sich wieder geschlossen. Rawlins sah eine ganze Reihe von ihnen auf dem Weg, und jedes Mal lief ihm ein Schauer über den Rücken. Heute würde er sich nicht für solche oder ähnliche Experimente zur Verfügung stellen. Sie entdeckten Sitzbänke: polierte Steinplatten, die an den Enden zu einander gegenüberliegenden Sitzflächen hochgewölbt waren. Allerdings waren sie für Wesen vorgesehen, deren Gesäß wesentlich breiter war als das eines Homo sapiens. Als sie sich niederließen, saßen sie einige Meter auseinander, nahe genug jedenfalls, um sich miteinander zu unterhalten. Rawlins spürte so aufgrund von Mullers Ausstrahlung nur ein leichtes Unbehagen. Andererseits hatten beide nicht das Gefühl, voneinander getrennt zu sein.
Muller war in gesprächiger Stimmung.
Die Konversation verlief flüssig und wurde nur hin und wieder von galligen Momenten des Ärgers oder Selbstmitleids unterbrochen. Doch die meiste Zeit über blieb Muller ruhig, entwickelte stellenweise sogar so etwas wie Charme und verhielt sich ganz so wie ein älterer Herr, der offensichtlich die Gesellschaft eines jungen Mannes genießt. Die beiden tauschten Meinungen und Erfahrungen aus, und hin und wieder wurde es sogar ein wenig philosophisch. Muller erzählte viel vom Beginn seiner Karriere, von den Welten, die er gesehen hatte, und von den oftmals komplizierten Verhandlungen, die er für die Erde mit zahlreichen aufmüpfigen Kolonialwelten geführt hatte. Er erwähnte den Namen Boardman recht häufig, aber jedesmal gelang es Rawlins, mit nichtssagender Miene darauf zu reagieren. Mullers Gefühle für Boardman schienen hauptsächlich aus ehrlicher Bewunderung zu bestehen, in die sich ein Schuß Abscheu und Wut mischten. Offensichtlich konnte er Boardman nicht vergeben, daß er es mit einem geschickten Appell an seine Schwächen verstanden hatte, ihn zu den Hydriern zu schicken. Kein sonderlich von Logik beeinflußtes Verhalten, dachte sich Rawlins. Hätte er über Mullers von Neugierde und Ehrgeiz geprägten Charakter verfügt, hätte er mit allen Mitteln darum gekämpft, den Auftrag zu jener Mission zu bekommen, egal ob es da einen Boardman gegeben hätte oder nicht, und auch, ohne sich größere Gedanken über die Risiken zu machen.
„Kommen wir doch auch einmal zu dir“, sagte Muller endlich. „Du bist cleverer, als du vorgibst. Deine Schüchternheit behindert dich vielleicht noch etwas, aber du besitzt einen ausgezeichneten Verstand, der sorgfältig hinter einem Pennälerauftreten verborgen liegt. Was willst du eigentlich erreichen, Ned? Was gibt dir die Archäologie?“
Rawlins sah ihm direkt ins Gesicht. „Sie gibt mir die Chance, Millionen von Vergangenheiten zu begreifen. Im Grunde bin ich genauso unersättlich wie du. Ich will wissen, wie es zu bestimmten Entwicklungen gekommen ist, was alles passiert ist. Und zwar nicht nur auf der Erde oder im Sonnensystem, sondern überall.“
„Gut gesprochen, mein Junge!“
Das denke ich mir auch, sagte sich Rawlins und hoffte, Boardman wäre ebenso erfreut über seine wiedergefundene Beredsamkeit.
„Ich denke mir“, fuhr er fort, „ich hätte mich ebenso wie du für eine Diplomaten-Laufbahn entscheiden können. Aber statt dessen habe ich diesen Weg gewählt. Und ich glaube, meine Entscheidung war richtig. Es gibt so viel zu erforschen und entdecken, hier und überall. Wir haben gerade erst damit begonnen, fremde Welten zu erkunden.“
„Hingabe klingt in deiner Stimme mit.“
„Das überrascht mich nicht.“
„Ich mag diesen Klang. Er erinnert mich an die Art, wie ich selbst einmal gesprochen habe.“
„Damit du nicht den Eindruck gewinnst, ich sei ein idealistischer Spinner, muß ich wohl hinzufügen, daß es vor allem meine Neugierde ist, die mich vorantreibt, und nicht so sehr eine abstrakte Liebe zur Wissenschaft.“
„Das ist verständlich. Und entschuldbar. Dann sind wir beide eigentlich gar nicht so verschieden, wenn man einmal von den circa vierzig Jahren absieht, die zwischen uns stehen. Mach dir nicht allzu viele Gedanken über deine Beweggründe, Ned. Geh zu deinen Sternen, sieh dich um, erleb’ etwas. Irgendwann wird das Leben auch dich zerschmettern, so wie es das mit mir getan hat. Aber bis dahin ist es noch lang. Irgendwann einmal, vielleicht auch nie, wer will das schon wissen? Vergiß das lieber wieder.“
„Ich will es versuchen“, sagte Rawlins.
Er spürte jetzt Wärme von seinem Gegenüber, den Ausfluß tiefer und ehrlich gemeinter Sympathie. Natürlich war die alptraumhafte Woge damit nicht verschwunden, die nicht enden wollende Ausstrahlung aus den Sümpfen der Seele. Sie war jetzt deutlich verdünnt, aber immer noch wahrzunehmen. Behindert durch sein Mitleid und seine Schuldgefühle zögerte Rawlins, jetzt das zu sagen, was er sagen mußte. Aber Boardman drängte ihn unerbittlich, ließ ihm keine Ruhe. „Nun machen Sie schon, mein Junge! Vorwärts, sagen Sie es ihm!“
„Das scheinen ja wirklich sehr schöne Gedanken zu sein“, sagte Muller, „du siehst aus, als wärst du ganz weit weg.“
„Ich habe nur nachgedacht… mußte gerade daran denken, wie traurig es doch ist, daß du uns nicht vertrauen kannst. Daß du gegenüber der Menschheit eine so feindselige Haltung an den Tag legst.“
„Ich habe sie mir hart, aber ehrlich erworben.“
„Du brauchst trotzdem nicht den Rest deines Lebens in diesem Labyrinth zu bleiben. Es gibt einen Ausweg.“
„Unsinn.“
„Hör mir doch erst einmal zu“, sagte Rawlins. Er atmete tief durch und setzte sein angenehmstes und offenstes Lächeln auf. „Ich habe mit dem Expeditionsarzt über deinen Fall gesprochen. Er hat Neurochirurgie studiert und weiß alles über dich. Er sagt, daß es heute Möglichkeiten gibt, dich zu heilen. Es sei noch recht neu, gerade erst vor ein paar Jahren entwickelt. Und es… es blockt die Ausstrahlung ab, Dick. Er sagte, ich soll dir das erzählen. Wir nehmen dich mit auf die Erde, Dick, um dich zu operieren. Eine Operation, Dick. Heilung.“
Das messerscharfe, glitzernde, mit Widerhaken versehene Wort schwamm auf der Spitze einer Sturmwoge aus einschmeichelnden Klängen auf ihn zu und traf ihn mitten ins Herz. HEILUNG! Er riß die Augen weit auf. Der Schall von den umstehenden, düsterdunklen Gebäuden dröhnte auf ihn ein. Heilung. Heilung. Heilung. Muller spürte, wie die teuflische Versuchung an seinen inneren Organen nagte.
„Nein“, sagte er. „Das ist Unsinn. Es gibt keine Heilung.“
„Wie kannst du da so sicher sein?“
„Ich weiß es eben.“
„Auch die Wissenschaft macht in neun Jahren Fortschritte. Man weiß jetzt, wie das Gehirn arbeitet. Alles vollzieht sich dort auf der Grundlage von Elektrizität. In den Mondlabors haben sie ein phantastisches Simulationsmodell gebaut — vor ein paar Jahren. Sie haben Gehirnfunktionen und -zusammenhänge von Anfang bis Ende durchgespielt. Und ich bin der festen Überzeugung, daß sie ganz versessen darauf sind, dich wieder auf der Erde zu haben, weil du alle ihre Theorien verifizieren kannst. Ganz besonders in deinem augenblicklichen Zustand. Und indem sie dich operieren, deine Ausstrahlung umkehren, demonstrieren sie die Richtigkeit ihrer Thesen. Alles was du zu tun hast, ist, mit uns auf die Erde zurückzukehren.“
Muller rieb pausenlos die Knöchel aneinander. „Warum hast du das nicht schon früher gesagt?“
„Da wußte ich noch nichts davon.“
„Aha.“
„Ehrlich. Wir haben nicht erwartet, dich hier zu finden, weißt du. Und zuerst konnte sich auch niemand so recht einen Reim darauf machen, wer du warst und warum du dich im Labyrinth eingerichtet hattest. Ich habe es ihnen erklärt. Dann erinnerte sich der Arzt daran, daß es eine Behandlung gibt. — Was ist los… glaubst du mir etwa nicht?“
„Du sitzt da wie die reine Unschuld“, sagte Muller. „Mit reinen blauen Augen und goldenem Haar. Was für ein Spiel spielst du hier wirklich, Ned? Warum ziehst du hier so einen Blödsinn ab?“
Rawlins lief rot an. „Das ist kein Blödsinn.“
„Ich glaube dir nicht. Und an deine Behandlung glaube ich erst recht nicht.“
„Das steht dir frei. Aber du wirst das Nachsehen haben, wenn…“
„Versuch ja nicht, mir zu drohen!“
„Tut mir leid.“
Langes, unangenehmes Schweigen folgte.
In Mullers Kopf purzelten die Gedanken wie in einem Labyrinth durcheinander. Lemnos verlassen? Erlösung von dem Fluch? Endlich wieder eine Frau in den Armen halten können? Deren Brüste wie Feuer auf seiner Haut brannten? Lippen? Hüften? Noch einmal eine Karriere aufbauen? Noch einmal nach den Sternen greifen? Neun Jahre Leben voller Verbitterung einfach abstreifen? Ned doch glauben? Mitfliegen? Sich unterwerfen?
„Nein“, sagte er zögernd. „Es gibt keine Heilung für mein Leiden.“
„Das sagst du jetzt schon zum zigsten Mal. Aber wissen kannst du es trotzdem nicht.“
„Es paßt einfach nicht ins Muster. Ich glaube nämlich an die Macht des Schicksals, mein Junge. An eine ausgleichende Ungerechtigkeit. Daran, daß der tief stürzt, der hoch hinaufgestiegen ist. Die Götter verhängen keine zeitlich begrenzten Strafen. Sie erlassen sie einem nicht nach ein paar Jahren. Ödipus bekam seine Augen nicht zurück. Und auch nicht seine Mutter. Und Prometheus wollten sie auch nicht vom Fels loslassen. Sie…“
„Du lebst nicht in einer griechischen Tragödie“, erklärte ihm Rawlins. „Das hier ist die reale Welt. Das Muster erfüllt sich nicht immer exakt und hundertprozentig. Vielleicht haben die Götter in deinem Fall aber entschieden, daß du lange genug gelitten hast. Und wo wir schon einmal beim Thema sind: Sie haben auch Orest vergeben, nicht wahr? Warum sollten also neun Jahre für dich nicht ausreichend sein?“
„Gibt es eine Behandlung?“
„Der Arzt sagt ja.“
„Ich glaube, du lügst mich an, mein Junge.“
Rawlins sah zur Seite. „Was könnte ich schon dadurch gewinnen, wenn ich dich anlüge?“
„Das weiß ich nicht.“
„Also gut, ich habe dich angelogen“, sagte Rawlins kurz angebunden. „Es gibt keine Möglichkeit, dir zu helfen. Komm, wir wollen über etwas anderes reden. Warum zeigst du mir nicht den Springbrunnen, aus dem der Schnaps kommt?“
„Er befindet sich in Zone C“, sagte Muller. „Aber ich habe jetzt keine große Lust, dorthin zu gehen. Warum hast du mir die Geschichte denn erzählt, wenn sie nicht wahr ist?“
„Ich sagte, wir wollen das Thema wechseln.“
„Laß uns doch einmal für einen Moment annehmen, sie sei wahr“, beharrte Muller. „Daß ich geheilt werden kann, wenn ich auf die Erde mitkomme. Ich möchte nur vorausschicken, daß ich daran gar nicht interessiert bin, selbst wenn du mir Brief und Siegel darauf geben würdest. Ich kenne die wahre Natur des Menschen. Als ich am Boden lag, haben sie auf mich eingetreten. Sie besitzen keine Fairneß, sondern sind hinterhältig, Ned. Sie stinken. Sie bereiten Übelkeit und Ekel. Sie haben sich noch über das gefreut, was mir zugestoßen ist.“
„Das siehst du falsch!“
„Was weiß du denn schon? Du warst damals noch ein Kind. Warst noch kindischer, als du es heute noch bist. Sie haben mich wie Dreck behandelt, weil ich ihnen gezeigt habe, wie es in ihrem Innern aussieht. Ich war der Spiegel ihrer verderbten Seelen. Warum sollte ich jetzt zu ihnen zurückkehren wollen? Wozu brauche ich sie noch? Sie sind Würmer. Schweine. Ich habe sie so gesehen, wie sie wirklich sind… während der wenigen Monate, die ich nach Beta Hydri IV auf der Erde war. Der entsetzte Ausdruck in ihren Augen, das nervöse Lächeln auf ihren Lippen, während sie vor mir zurückfahren. Jawohl, Mr. Muller. Aber natürlich, Mr. Muller. Aber kommen Sie mir bitte nicht zu nahe, Mr. Muller. Du mußt einmal in der Nacht zu mir kommen, mein Junge, dann kann ich dir die Sternkonstellationen zeigen, wie sie von Lemnos aus zu sehen sind. Ich habe einigen sogar einen Namen gegeben. Da ist zum Beispiel der Dolch, ein langgezogenes, schlankes Sternbild. Es steht bereit, um jemandem in den Rücken gestoßen zu werden. Und dann ist da der Pfeil. Und du kannst auch den Affen und die Kröte sehen. Sie greifen ineinander über. Ein Stern ist auf der Stirn des Affen zu sehen, der gleichzeitig das linke Auge der Kröte bildet. Dieser Stern ist die Sonne, mein Freund. Ein häßlicher, kleiner gelber Stern, der die Farbe von flüssiger Kotze hat. Und dessen Planeten von häßlichen, kleinen Wesen bewohnt sind, die sich wie verspritzter Urin über das ganze Universum verbreitet haben.“
„Darf ich etwas sagen, das vielleicht beleidigend klingt?“ fragte Rawlins.
„Du kannst mich nicht beleidigen. Aber du darfst es gerne einmal versuchen.“
„Ich halte deine Betrachtungsweise für verzerrt. Du hast in all den Jahren, die du hier bist, die Perspektive verloren.“
„Nein, ich habe zum ersten Mal gelernt, die Dinge so zu sehen, wie sie sind.“
„Du wirfst der Menschheit vor, daß sie aus Menschen besteht. Es ist nicht leicht, jemanden wie dich zu akzeptieren. Wenn du hier an meiner Stelle sitzen würdest und ich an deiner, würdest du das verstehen. Es schmerzt, in deiner Nähe zu sein. Es schmerzt. In diesem Moment spüre ich in jeder einzelnen Nervenfaser Schmerz. Wenn ich dir noch näher käme, könnte ich kaum meinen Drang zu weinen bezähmen. Du kannst einfach nicht erwarten, daß die Leute sich so einfach anpassen. Noch nicht einmal die, die dich lieben…“
„Es gibt niemanden, der mich liebt.“
„Du warst verheiratet.“
„Ja, aber nur auf Zeit.“
„Also Eheverträge.“
„Sie konnten es in meiner Nähe nicht mehr aushalten, als ich zurückkehrte.“
„Und Freunde?“
„Die haben sich schnell zurückgezogen“, sagte Muller. „Auf sechs Beinen sind sie vor mir davongekrabbelt.“
„Du hast ihnen nicht genug Zeit gelassen.“
„Doch, sie hatten Zeit genug.“
„Nein“, beharrte Rawlins. Er rutschte unruhig auf seinem Sitz hin und her. „Jetzt werde ich dir einmal etwas sagen, was dir wirklich Schmerz bereiten wird, Dick. Es tut mir leid, aber ich muß es tun. Was du mir erzählt hast, ist der Krampf, den ich mir schon auf dem College bis zum Erbrechen anhören mußte. Pubertätszynismus und so. Du sagst, die Welt ist nur zu verachten. Sie ist böse, gemein und niederträchtig. Du hast die wahre Natur des Menschen erkannt und willst deshalb mit der Menschheit nichts mehr zu tun haben. Mit achtzehn Jahren redet jeder so daher. Aber das ist eine Wachstumsphase, die vorübergeht, von einer anderen abgelöst wird. Wir überwinden die Verwirrung auch wieder, die mit achtzehn über uns kommt, und dann können wir erkennen, daß die Welt ein ganz angenehmer Ort ist, daß die Leute sich redlich bemühen, daß wir zwar nicht perfekt, aber ganz und gar nicht widerwärtig sind…“
„Ein Achtzehnjähriger hat kein Recht auf eine solche Meinung. Ich dagegen schon. Ich habe meinen Haß auf Heller und Pfennig erworben, bin mit der Nase darauf gestoßen worden.“
„Aber warum klebst du denn so daran? Du scheinst dich deines Leids zu rühmen. Befrei dich doch davon! Schüttle es ab! Komm mit zur Erde und vergiß die Vergangenheit. Oder übe wenigstens Nachsicht.“
„Es gibt weder Vergessen noch Vergeben“, knurrte Muller. Eine Woge aus Furcht durchfuhr ihn, er zitterte. Was, wenn das alles wahr wäre? Eine durchgreifende Heilung? Lemnos verlassen? Er war verwirrt. Der Junge hatte seinen wunden Punkt mit der Bemerkung über den Pubertätszynismus getroffen. Und er hatte recht damit. Bin ich wirklich so ein Misanthrop? Gebe ich nur etwas Hohles vor? Er hat mich gezwungen, darüber nachzudenken. Polemische Gründe. Und jetzt ersticke ich an meiner eigenen Dickköpfigkeit. Aber es gibt keine Heilung. Der Junge verhält sich zu durchsichtig. Er lügt, auch wenn ich nicht weiß, warum. Er will mich hineinlegen, will mich an Bord ihres Schiffes locken. Und wenn es doch stimmt? Warum nicht zurück auf die Erde? Muller wußte die Antwort darauf: Die Furcht hielt ihn zurück. Das Wiedersehen mit den Milliarden Erdmenschen. Wieder in das brodelnde Leben eintreten. Neun Jahre hatte er in seiner isolierten Inselstadt zugebracht, und jetzt machte ihm die Vorstellung einer Rückkehr Angst. Er gab sich einer Stimmung aus tiefer Depression hin, sah sich mit harten Wahrheiten konfrontiert. Der Mann, der einst ein Gott hatte sein wollen, war nun nicht mehr als ein erbärmlicher Neurotiker; einer, der sich an seine Isolation klammerte; einer, der seinem möglichen Retter mit Trotz begegnete. Traurig, mein lieber Muller, dachte er. Sehr traurig.
„Ich spüre“, sagte Rawlins, „daß die Qualität deiner Ausstrahlung sich etwas verändert hat.“
„Das kannst du?“
„Oh, es ist nichts Spezifisches. Aber bis vorhin herrschten Ärger und Bitterkeit vor. Nun empfange ich etwas anderes… Sehnsucht.“
„Noch nie hat jemand erklärt, er könne aus meiner Ausstrahlung etwas Bestimmtes herauslesen“, sagte Muller erstaunt. „Aber eigentlich hat sich nie jemand darüber ausgelassen. Außer, daß es schmerzhaft sei, in meiner Nähe zu sein. Und abstoßend.“
„Warum bist du dann plötzlich sehnsüchtig geworden — wenn wir einmal davon ausgehen wollen? Hast du an die Erde gedacht?“
„Vielleicht.“ Muller stabilisierte rasch die plötzliche Lücke in seinem Seelenpanzer. Sein Gesicht verfinsterte sich. Er biß die Zähne zusammen. Dann stand er auf und ging absichtlich auf den jungen Mann zu. Er beobachtete dabei, wie Rawlins mit sich kämpfen mußte, um seine wahren, unbehaglichen Gefühle zu verbergen. „Ich glaube, du hilfst jetzt besser deinen Kollegen bei der Arbeit“, sagte Muller. „Sonst werden deine Freunde wieder ärgerlich.“
„Ich kann noch etwas Zeit erübrigen.“
„Nein, das kannst du nicht, Ned. Geh!“
Entgegen Boardmans ausdrücklicher Anordnung bestand Rawlins darauf, an diesem Abend zum Basislager in Zone F zurückzukehren. Der junge Mann gab vor, er wolle die neue Flasche bei Boardman persönlich abliefern, die er von Muller bekommen hatte. Boardman wollte ihm einen Mann entgegenschicken, der die Flasche entgegennehmen konnte, um Rawlins das Risiko der Todesfallen in Zone F zu ersparen. Aber Rawlins wollte ihn persönlich sprechen. Seine Entschlossenheit hatte gehörig nachgelassen. Er fühlte sich zutiefst entmutigt.
Er traf Boardman beim Abendessen an. Der alte Mann saß an einem veredelten Reisetisch aus dunklem Holz, der mit helleren Einlegearbeiten versehen war. Aus kostbaren Steinschüsseln nahm er kandierte Früchte, in Brandy eingelegtes Gemüse, Fleischextrakte und ungezuckerten Fruchtsaft zu sich. Nicht weit von seiner fleischigen Hand stand eine Karaffe mit einem olivfarbenen Wein. Verschiedenartige, undefinierbare Pillen lagen in den leichten Vertiefungen eines viereckigen schwarzen Glasklumpens. Von Zeit zu Zeit schob Boardman sich eine davon in den Mund. Rawlins blieb einige Zeit am Eingang zu Boardmans Privatsektor stehen, bevor der Alte ihn zu bemerken schien.
„Ich habe Ihnen gesagt, Sie sollten nicht hierher kommen“, sagte Boardman schließlich.
„Muller schickt Ihnen das hier.“ Rawlins stellte die Flasche neben die Karaffe.
„Wir hätten auch ohne diesen Besuch miteinander reden können.“
„Ich habe es satt. Ich mußte Sie einfach sehen.“ Boardman bot ihm keinen Sitzplatz an und ließ sich auch nicht bei seiner Mahlzeit stören. „Charles, ich fürchte, ich kann meine Rolle diesem Mann gegenüber nicht mehr spielen.“
„Sie waren heute hervorragend“, sagte Boardman zwischen zwei Schlucken Wein. „Sehr überzeugend.“
„Ja, ich scheine immer besser darin zu werden, andere anzulügen. Aber was soll das noch? Sie haben gehört, was er gesagt hat: Die Menschheit widert ihn an. Er wird nicht mit uns zusammenarbeiten, wenn wir ihn aus dem Labyrinth gelotst haben.“
„Nein, er meint das nicht ernst. Das haben Sie doch selbst gesagt, Ned. Billiger Zynismus! Der Mann liebt die Menschen. Deswegen ist er ja auch so verbittert… weil ihm diese Liebe im Mund sauer geworden ist. Aber daraus ist kein Haß geworden. Wirklich nicht.“
„Sie waren nicht dabei, Charles. Sie haben nicht direkt mit ihm gesprochen.“
„Aber ich habe zugesehen und zugehört. Und ich kenne Dick Muller seit gut vierzig Jahren.“
„In diesem Fall zählen aber nur die letzten neun Jahre. Sie waren es, die ihn so verändert haben.“ Rawlins beugte sich vor, um Boardman direkt in die Augen sehen zu können. Der Alte spießte eine kandierte Birne mit der Gabel auf, nahm ihr per Knopfdruck einen Teil ihres Gewichts und beförderte sie lässig in den Mund. Er ignoriert mich vorsätzlich, dachte Rawlins und sagte dann: „Charles, hören Sie mir bitte zu. Ich bin ins Zentrum gegangen und habe Muller einige faustdicke Lügen aufgetischt. Ich habe ihm eine völlig aus der Luft gegriffene Heilung angeboten, und er hat sie mir vor die Füße geworfen.“
„Er hat nur gesagt, daß er nicht daran glaube. In Wahrheit möchte er es jedoch glauben, Ned. Er hat nur Angst davor, sein Versteck zu verlassen.“
„Bitte, Charles. Passen Sie auf. Einmal angenommen, er glaubt mir doch noch. Und weiter angenommen, er verläßt seinen Bau und begibt sich in unsere Hände. Was dann? Wer soll ihm sagen, daß es keine Heilung gibt und wir ihn nur auf sehr schmutzige Weise hereingelegt haben. Wer sagt ihm, daß wir ihn lediglich wieder als unseren Botschafter wollen und er einen Haufen Aliens aufsucht, die zwanzigmal so fremdartig und fünfzigmal so gefährlich sind wie die, die sein Leben ruiniert haben? Ich werde ganz sicher nicht derjenige sein, der ihm diese freudige Neuigkeit überbringt!“
„Das brauchen Sie auch nicht, Ned. Ich werde es tun.“
„Und wie wird er darauf reagieren? Erwarten Sie von ihm, daß er nur lächelt, sich verbeugt und sagt: Sehr clever, Charles, Sie haben es wieder einmal geschafft? Daß er sich sofort zu allem bereiterklärt und das tut, was Sie von ihm wollen? Nein. Davon darf und kann man nicht einmal träumen. Sie können ihn vielleicht aus dem Irrgarten locken, aber gerade die Methoden, mit denen Sie Ihre Haken auswerfen, machen seine spätere Verwendbarkeit außerhalb des Labyrinths sehr unwahrscheinlich.“
„Nicht unbedingt“, sagte Boardman ruhig.
„Wollen Sie mir dann vielleicht die Taktik erläutern, mit der Sie vorzugehen gedenken, sobald Sie ihn darüber aufgeklärt haben, daß die Sache mit der Heilung eine Lüge war und es einen gefährlichen neuen Auftrag gibt, den er auszuführen hat?“
„Ich hege im Augenblick nicht die Absicht, meine zukünftige Strategie zu diskutieren.“
„Dann bitte ich um meine Entlassung“, erklärte Rawlins.
Boardman hatte etwas Ähnliches erwartet. Eine noble Geste. Eine Aufwallung hartnäckigen Trotzes. Einen Proteststurm der Tugend im Verstand. Boardman legte die vorgetäuschte Interesselosigkeit ab, blickte auf und sah Rawlins fest in die Augen. Ja, Stärke war in ihnen zu lesen. Und Entschlossenheit. Aber keine Verschlagenheit — noch nicht.
Ruhig sagte Boardman: „So, Sie wollen also kündigen? Nach all dem, was Sie über den Dienst an der Menschheit erklärt haben? Wir brauchen Sie, Ned. Sie sind unersetzbar, weil Sie unser einziges Verbindungsglied zu Muller sind.“
„Mein Dienst an der Menschheit schließt auch den Dienst an Richard Muller ein“, erklärte Rawlins steif. „Er ist nämlich Bestandteil der Menschheit, ob er das nun will oder nicht. Und ich habe bereits ein schwerwiegendes Verbrechen an ihm begangen. Solange Sie mir nicht auch den Rest Ihres Plans offen darlegen, will ich verdammt sein, wenn ich noch länger dabei mitspiele.“
„Ich bewundere Ihre Charakterfestigkeit.“
„Meine Kündigung liegt immer noch auf dem Tisch.“
„Ich kann mich sogar mit Ihrem Standpunkt solidarisieren“, erklärte Boardman. „Ich bin keineswegs stolz auf das, was wir hier tun… tun müssen. Aber ich sehe unsere Arbeit als historische Notwendigkeit an — als Notwendigkeit, durch einen gelegentlichen Betrug das höhere Ziel zu erreichen. Auch ich habe ein Gewissen, Ned, ein Gewissen, das achtzig Jahre alt ist und sehr gereift. So etwas verkümmert im Alter nicht. Wir lernen einfach, mit den ewigen Vorwürfen zu leben, das ist das ganze Geheimnis.“
„Wie wollen Sie Muller zu einer Zusammenarbeit bewegen? Drogen? Folter? Gehirnwäsche?“
„Nichts dergleichen.“
„Was dann? Mir ist es verdammt ernst, Charles. Meine Rolle in diesem Drama endet in dieser Sekunde, wenn ich nicht erfahre, was anliegt.“
Boardman hustete, trank hastig einen Schluck Wein, aß einen Pfirsich und nahm rasch hintereinander drei Pillen ein. Neds Rebellion war unvermeidlich gewesen, und Charles war darauf vorbereitet gewesen, aber jetzt war er doch ärgerlich darüber, daß es so weit gekommen war. Jetzt war es an der Zeit, ein kalkuliertes Risiko einzugehen. „Ich verstehe“, sagte Boardman, „daß wir jetzt offen miteinander reden müssen, Ned. Ich werde Ihnen also sagen, was Dick Muller erwarten wird. Aber sehen Sie meine Worte bitte im Zusammenhang mit dem großen Ganzen, legen Sie deshalb kein Wort auf die Goldwaage. Und vergessen Sie bitte nicht, daß unser kleines Spielchen auf diesem Planeten nicht einfach eine Frage privater Moralanschauungen ist. Auch auf die Gefahr hin, jetzt bombastisch zu klingen, möchte ich Sie an eines erinnern, es geht hier um das Schicksal der Menschheit.“
„Ich höre, Charles.“
„Nun gut. Dick Muller muß zu unseren extragalaktischen Freunden fliegen und sie von der Intelligenz der menschlichen Spezies überzeugen. Stimmen Sie mir da zu? Er allein ist in der Lage, so etwas zu tun; wegen seiner einzigartigen Unfähigkeit, seine Gedanken für sich zu behalten.“
„Einverstanden.“
„Nun ist es nicht unbedingt erforderlich, die Aliens davon zu überzeugen, daß wir gute, ehrenwerte oder gar liebenswerte Wesen sind. Sie sollen bloß wissen, daß wir einen Verstand besitzen, denken können, fühlen, mit Sinnen wahrnehmen und eben mehr sind als intelligente Maschinen. Für diesen Zweck ist es überhaupt nicht wichtig, welche Gefühle Muller ausstrahlt. Hauptsache, er strahlt etwas aus.“
„Ich beginne zu verstehen.“
„Deshalb können wir ihm, sobald er aus dem Labyrinth heraus ist, erklären, ganz offen sagen, was wir von ihm wollen. Zweifellos wird er sich über unsere vorangegangene Unaufrichtigkeit ärgern. Aber trotz seines Ärgers wird er erkennen können, was die Pflicht von ihm verlangt. Ich hoffe es jedenfalls. Sie dagegen glauben, daß er es nicht einsieht. Aber das ist im Grunde egal, Ned. Wenn er seine Burg erst verlassen hat, wird er nämlich keine andere Wahl mehr haben. Er wird ganz einfach zu den Aliens gebracht und bei ihnen abgeliefert. Das klingt brutal, und das ist es auch zweifellos. Aber es ist auch zwingend notwendig.“
„Seine Kooperationswilligkeit ist also völlig irrelevant“, sagte Rawlins langsam. „Er wird den Extragalaktikern einfach vorgeworfen. Wie ein Sack.“
„Wie ein denkender Sack. Wie unsere Freunde dort sicher feststellen werden.“
„Ich…“
„Nein, Ned, sagen Sie jetzt nichts. Ich kann mir sehr gut vorstellen, was jetzt in Ihrem Kopf vor sich geht. Sie hassen diesen Plan. Sie verabscheuen ihn. Und das sollen Sie auch. Mir geht es ja ähnlich. Aber nun ziehen Sie sich zurück und denken in Ruhe darüber nach. Gehen Sie die Sache von allen Seiten an, bevor Sie zu einem Entschluß kommen. Wenn Sie morgen aussteigen wollen, dann lassen Sie es mich wissen, und wir versuchen, ohne Sie zurechtzukommen. Aber ganz gleich, wie Sie sich entscheiden, Sie müssen mir versprechen, sich die Sache vorher gründlich zu überlegen. Einverstanden? Im Augenblick können wir uns keine voreiligen Schlüsse mehr leisten.“
Neds Gesicht war zuerst kalkweiß. Dann verfärbten sich seine Wangen rasch. Er preßte die Lippen zusammen. Boardman lächelte ihn wohlwollend an. Rawlins ballte die Fäuste, sah ihn haßerfüllt an, drehte sich um und verschwand rasch nach draußen.
Ein kalkuliertes Risiko.
Boardman nahm eine weitere Pille ein. Dann griff er nach der Flasche, die Muller ihm geschickt hatte. Er schenkte sich etwas davon ein. Ein süßliches, starkes Gebräu mit einem angenehmen Ingwergeschmack. Ein köstlicher Schnaps. Er ließ den ersten Schluck eine Weile auf der Zunge zergehen.