Fünf

Im Schiff bereitete Muller die Rückkehr zur Erde vor. Als er den Schiffscomputer von seiner Ankunft unterrichtete, sah er in der hochpolierten Metallplatte über dem Eingabeterminal sein Spiegelbild. Und es erschreckte ihn ein wenig. Bei den Hydriern gab es keine Spiegel. Muller entdeckte tiefe Furchen in seinem Gesicht, die ihn nicht sonderlich störten, und einen fremden Ausdruck in den Augen, was ihm erheblich mehr Sorgen machte. Meine Muskeln sind noch zu verkrampft, beruhigte er sich. Er beendete die Rückflugprogrammierung und ging dann in die medizinische Abteilung, wo er sich vierzig Einheiten eines nervenberuhigenden Mittels, ein heißes Bad und eine gründliche Massage verabreichen ließ. Als er das hinter sich hatte, wirkten seine Augen immer noch befremdlich. Darüber hinaus hatte sich im Gesicht ein Muskelzucken entwickelt. Letzteres ließ sich ohne großen Aufwand wieder beseitigen, aber bei den Augen war er machtlos.

Augen haben keinen Ausdruck, sagte er sich. Es sind nur die Lider, die ihnen einen Ausdruck verleihen. Und meine Lider sind einfach gestreßt, weil ich so lange in diesem Schutzanzug gewesen bin. Das wird sich schon wieder geben. Es waren ein paar harte Monate, aber jetzt ist alles wieder gut.

Das Schiff saugte vom nächsten Spenderstern Energie auf. Sein Antrieb wirbelte an den Achsen des Warpraums entlang, und Muller, der sich in seiner Schutzkammer aus Metall und Plastik befand, wurde aus dem Normaluniversum hinaus in den Zwischenraum befördert, um die kürzere Route zu durchfliegen. Aber selbst im Warpraum kommt es zu einem Verlust der absoluten Zeit, wenn das Schiff das normale Kontinuum verläßt und wieder in es eintaucht. Muller wußte sich die Zeit zu vertreiben: Er las, schlief viel, hörte sich Musikbänder an oder spielte einen Mädchenwürfel ab, wenn das Verlangen in ihm zu stark geworden war. Er redete sich ein, daß die Steifheit sich bereits aus seinen Zügen verliere, er aber wohl doch eine leichte Verjüngungsbehandlung benötigte, wenn er auf die Erde zurückgekehrt war. Dieser Auftrag hatte ihn um einige Jahre altern lassen.

Seine Anwesenheit war für die Flugmanöver nicht erforderlich. Er hatte daher keinen Dienst zu tun. Programmäßig fiel das Schiff im vorgeschriebenen Grenzbereich aus dem Warpraum und kehrte einhunderttausend Kilometer vor der Erde ins normale Kontinuum zurück. Bunte Lichter leuchteten auf der Kommunikationsanlage auf, als das Schiff von der nächsten Verkehrsstation angerufen wurde. Muller instruierte das Schiff, den Anweisungen der Station zu folgen.

„Passen Sie Ihre Geschwindigkeit der unseren an, Mr. Muller“, erklärte der Kontrollbeamte in der Station, „und wir schicken Ihnen einen Lotsenpiloten an Bord, der Sie zur Erde bringt.“

Das Schiff bremste ab. Die kupferfarbene Kugel der Verkehrsstation kam in Sicht. Eine Zeitlang schwebte sie vor dem Schiff, bis dieses längsseits gekommen war.

„Wir haben eine Übertragung von der Erde für Sie“, sagte der Kontrollbeamte. „Charles Boardman will Sie sprechen.“

„Senden Sie“, sagte Muller.

Boardmans Gesicht füllte den Bildschirm aus. Er wirkte gepflegt und frisch verjüngt, sah gesund und ausgeruht aus. Boardman lächelte und streckte eine Handfläche vor. „Dick“, rief er. „Mann, ist das schön, Sie wiederzusehen!“

Muller aktivierte den Tastsensor und legte seine Handfläche auf den Schirm. Er spürte Boardmans Hand. „Hallo, Charles. Eins zu fünfundsechzig, was? Nun, da bin ich wieder.“

„Soll ich Marta Bescheid geben?“

„Marta“, sagte Muller leise und gab sich einen Moment seinen Gedanken hin. Ja, dieses aufregende Mädchen mit den blauen Haaren, dem eleganten Hüftschwung und den tollen Beinen. „Ja, benachrichtigen Sie Marta. Es wäre nett, wenn sie mich am Landeplatz abholt. Mädchenwürfel sind auf die Dauer auch nicht das Wahre.“

Boardman brach in Gelächter aus, als wolle er sagen, du sprichst ein wahres Wort gelassen aus, mein Junge. Dann wurde er schlagartig wieder ernst und fragte: „Wie ist es denn gegangen?“

„Miserabel.“

„Haben Sie denn Kontakt herstellen können?“

„Ich habe die Hydrier gefunden, und sie haben mich nicht umgebracht.“

„Haben sie sich feindselig benommen?“

„Sie haben mich nicht umgebracht.“

„Ja, aber…“

„Ich lebe, Charles.“ Muller spürte, wie das Zucken in sein Gesicht zurückkehrte. „Ich habe ihre Sprache nicht erlernen können. Ich weiß nicht, ob ich einen guten Eindruck auf sie gemacht habe. Sie schienen ein gewisses Interesse zu haben, denn sie studierten mich lange und gründlich. Aber sie haben kein Wort gesagt.“

„Was sind sie denn, Telepathen?“

„Das weiß ich nicht, Charles.“

Boardman schwieg einen Moment lang. Dann: „Was haben sie mit Ihnen angestellt, Dick?“

„Nichts.“

„Das stimmt nicht.“

„Was Sie sehen, stammt von den Anstrengungen der Reise“, erklärte Muller. „Ich bin in guter Verfassung, höchstens ein wenig nervlich überbelastet. Ich möchte endlich wieder frische Luft atmen, richtiges Bier trinken, echtes Fleisch essen. Und ich möchte jemanden in meinem Bett haben. Danach werde ich wieder hundertprozentig der alte sein. Vielleicht kann ich dann ein paar interessante Vorschläge machen, wie eine Kontaktaufnahme mit den Hydriern vonstatten gehen sollte.“

„Wie ist der Empfang bei Ihnen, Dick?“

„Wie bitte?“

„Sie kommen viel zu laut hier an“, sagte Boardman.

„Das liegt doch wohl an der Relaisstation. Herr im Himmel, Charles, was hat denn der Empfang mit uns zu tun?“

„Ich weiß es nicht so recht“, antwortete Boardman. „Ich versuche nur festzustellen, warum Sie mich anbrüllen.“

„Ich brülle nicht“, schrie Muller.

Kurz danach brachen sie das Gespräch ab. Muller erhielt von der Verkehrsstation die Nachricht, daß sie bereit seien, den Piloten hinüberzuschicken. Muller öffnete die Luke und ließ den Lotsen herein. Er war ein strohblonder, sehr junger Mann mit vogelartigen Zügen und einer blassen Gesichtsfarbe. Sobald er den Helm abgenommen hatte, sagte er: „Ich heiße Les Christiansen, Mr. Muller, und ich möchte Ihnen sagen, daß ich es als außerordentliche Ehre und besonderes Privileg für mich betrachte, der Lotse für den ersten Menschen zu sein, der eine außerirdische Spezies besucht hat. Ich hoffe, ich verletze nicht die Sicherheitsbestimmungen, wenn ich Sie bitte, mir während des Flugs ein bißchen mehr über die Sache zu erzählen. Ich meine, das ist doch ein historischer Moment, ich als erster, der Ihnen nach Ihrer Rückkehr leibhaftig gegenübertreten darf. Und wenn das nicht zu aufdringlich klingt, würde ich Ihnen sehr dankbar sein, wenn Sie mir etwas von den Höhepunkten… Ihrer… von… den…“

„Ich denke schon, daß ich Ihnen ein wenig berichten darf“, sagte Muller leutselig. „Also, zuallererst: Haben Sie den Würfel von den Hydriern gesehen? Ich meine, er sollte öffentlich vorgeführt werden und…“

„Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich mich einen Moment hinsetze, Mr. Muller?“

„Tun Sie sich keinen Zwang an. Sie haben sie also gesehen, die großen, spindeldürren Wesen mit den vielen Armen…?“

„Ich fühle mich auf einmal so benebelt“, sagte Christiansen. „Ich weiß gar nicht, was mit mir los ist.“ Sein Gesicht war auf einmal krebsrot angelaufen. Schweißperlen glitzerten auf seiner Stirn. „Ich glaube, ich werde krank. Ich… wissen Sie, das dürfte eigentlich nicht vorkommen…“ Der Lotse taumelte und fiel in einen Netzschaumsessel. Er kauerte dort wie ein Seekranker und bedeckte das Gesicht mit den Händen. Muller, dessen Stimme vom langen Schweigen während seiner Mission immer noch rauh und heiser klang, stand hilflos daneben. Endlich packte er den Jungen am Ellenbogen und führte ihn in die medizinische Abteilung. Christiansen fuhr vor ihm zurück, als ob ihn glühendes Metall berührt hätte. Durch die Ruckartigkeit seiner Bewegung verlor er die Balance und stürzte kopfüber zu Boden. Er rappelte sich auf die Knie hoch und kroch so weit von Muller weg, wie das nur eben möglich war. Mit erstickter Stimme fragte er: „Wo ist sie?“

„Diese Tür dort.“

Christiansen stürzte mit überraschender Eile auf sie zu, schloß hinter sich ab und rüttelte noch einmal an der Tür, um sicherzugehen, daß sie auch wirklich verschlossen war. Zu seiner großen Überraschung hörte Muller würgende Geräusche und dann etwas, was wie trockenes Schluchzen klang. Er wollte gerade die Verkehrsstation davon verständigen, daß der Lotse erkrankt sei, als die Tür sich einen Spalt öffnete und Christiansen mit schwacher Stimme sagte: „Könnten Sie mir bitte meinen Helm reichen, Mr. Muller?“

Muller kam der Bitte nach.

„Ich kehre am besten zur Station zurück, Mr. Muller.“

„Es tut mir leid, daß es zu so etwas kommen mußte. Lieber Gott, ich hoffe nur, ich habe keine ansteckende Krankheit mitgebracht.“

„Ich… ich bin nicht krank. Ich fühle mich einfach… einfach elend.“ Christiansen befestigte rasch den Helm an der Halswinde. „Es ist mir ein Rätsel, am liebsten würde ich mich irgendwo verkriechen und drauflosheulen. Bitte, lassen Sie mich gehen, Mr. Muller. Es… ich… das geht… ich kann es nicht länger aushalten. Ja, genauso geht es mir!“ Er rannte zur Luke. Bestürzt sah Muller zu, wie er den leeren Raum zur nahen Verkehrsstation durchquerte.

Muller trat an das Funkgerät. „Senden Sie mir keinen zweiten Piloten“, erklärte er dem Kontrollbeamten. „Christiansen brach sofort hilflos zusammen, als er den Helm abnahm. Möglicherweise habe ich einen Krankheitserreger eingeschleppt. Wir wollen uns lieber vergewissern.“

Der Kontrollbeamte machte eine unglückliche Miene, stimmte aber zu. Er bat Muller, in die medizinische Abteilung zu gehen, sich dort an den Diagnostat anzuschließen und so bald wie möglich die Ergebnisse durchzugeben. Wenig später erschien das ernste, schokoladenfarbene Gesicht des Stationsarztes auf Mullers Bildschirm. Er sagte: „Sehr, sehr merkwürdig, Mr. Muller.“

„Was denn?“

„Ich habe Ihre Diagnostatergebnisse in unsere Anlage eingespeist. Keinerlei unübliche Symptome sind zu erkennen. Ich habe auch Christiansen untersuchen lassen — mit dem gleichen Ergebnis. Er behauptet, sich jetzt wieder gut zu fühlen. Er sagte mir, daß er in dem Augenblick, als er Ihnen gegenübertrat, von akuten Depressionen befallen worden sei, die sich rasch zu einer Art Paralyse des ganzen Metabolismus ausgeweitet hätten. Mit anderen Worten, er habe sich so scheußlich gefühlt, daß er sich kaum noch auf den Beinen halten konnte.“

„Neigt er zu solchen Depressionen?“

„Nein, eigentlich nie“, antwortete der Mediziner. „Ich würde mich gern selbst davon überzeugen. Darf ich zu Ihnen kommen?“

Der Arzt brach nicht wie Christiansen vor Schmerz zusammen. Aber er blieb auch nicht lange, und als er ging, rannen ihm Tränen über das Gesicht. Die Sache verblüffte ihn genauso wie Muller. Als der neue Pilot zwanzig Minuten später erschien und dem Schiff den richtigen Kurs für die Landung auf der Erde eingab, legte er den Helm nicht ab. Er saß stocksteif an den Kontrollen und kehrte Muller den Rücken zu. Er sprach während des ganzen Fluges kein einziges Wort und schien Mullers Anwesenheit kaum wahrzunehmen. Wie die Vorschriften es verlangten, bremste er das Schiff in einer großen Schleife ab, bis es in den Wirkungsbereich des auf der Erde stehenden Landungsregulators gekommen war. Danach verließ er unverzüglich das Schiff. Muller sah das Gesicht des Mannes: angespannt, schweißglänzend, zusammengepreßte Lippen. Der Lotse nickte kurz und verschwand durch die Luke. Ich muß einen scheußlichen Geruch ausströmen, dachte Muller, daß er mich selbst durch einen Schutzanzug hindurch riechen kann.

Die Landung wurde automatisch vorgenommen und war reine Routine.

Am Raumhafen gelangte er rasch durch die Kontrollen. Die Entscheidung über seine Einreiseerlaubnis wurde schon nach einer halben Stunde gefällt. Muller, der solche Computeruntersuchungen schon hunderte Male mitgemacht hatte, sagte sich, daß er mit dreißig Minuten so etwas wie einen neuen Rekord aufgestellt hatte. Er hatte befürchtet, das riesige Raumhafendiagnostat würde auf das seltsame Leiden stoßen, das sein eigenes Gerät und der Arzt auf der Verkehrsstation nicht hatten entdecken können. Aber er durchlief ohne Schwierigkeiten die Anlage: Er ließ sich mit Schallwellen duschen und sich diverse Proben entnehmen, aber nach einiger Zeit hatte er diese Untersuchung hinter sich gebracht, ohne daß Klingeln schrillten oder Warnlämpchen zu blinken anfingen. Genehmigt. Als nächstes trat er vor den Zollautomaten. Woher kommen Sie? Welches Reiseziel? Genehmigt. Seine Papiere waren in Ordnung. Ein Schlitz in der Wand erweiterte sich zu einem normalen Durchlaß. Durch ihn gelangte er in ein weiteres Zimmer, wo ihn zum ersten Mal seit der Landung ein Mensch erwartete.

Boardman war zu seiner Begrüßung erschienen. Und er brachte Marta mit. Ein dicker brauner Mantel, der von matten Metallfäden durchwirkt war, hüllte Boardman fast vollständig ein. Die vielen Ringe an seinen Fingern schienen ihn zu Boden zerren zu wollen. Seine mächtigen Augenbrauen waren so dicht wie dunkles Tropenmoos. Marta trug ihr Haar kurz und seegrün gefärbt. Sie hatte silbernen Lidstrich aufgetragen und den langen, schlanken Hals golden gefärbt. Sie sah aus wie eine schmuckbehangene Statuette ihrer selbst. Muller, der sich noch erinnern konnte, wie sie nackt und naß aus dem kristallklaren See gekommen war, gefielen diese „Verschönerungsversuche“ nicht. Und er bezweifelte, daß sie ihm zuliebe gemacht worden waren. Aber er wußte, Boardman gefielen Frauen in solcher Aufmachung. Es konnte kaum ein Zweifel daran bestehen, daß die beiden zusammen ins Bett gestiegen waren. Muller hätte ein solches Geständnis kaum überrascht; im Gegenteil, er wäre sogar etwas schockiert gewesen, wenn es nicht dazu gekommen wäre, Boardmans Hand umschloß Mullers Handgelenk zum Gruß. Der Schreck des Nichtwahrhabenwollens ließ die Finger jedoch Sekundenbruchteile später schon wieder erschlaffen. Die Hand wurde rasch eingezogen, bevor Muller den Griff erwidern konnte. „Wie schön, Sie wiederzusehen, Dick“, sagte Boardman ohne Überzeugungskraft, während er ein paar Schritte zurücktrat. Seine Wangen schienen einzufallen, so als stünden sie unter starker Gravitation. Marta trat zwischen die beiden und drückte sich an Richard. Muller umarmte sie, berührte ihre Schulterblätter und ließ die Finger sanft bis zu ihrem kleinen, aber festen Hintern hinabwandern. Aber er küßte sie nicht. Ihre Augen blendeten ihn, als er in sie sah, und er kam sich zwischen den zurückprallenden Spiegelbildern seiner selbst verloren vor. Ihre Nasenflügel bebten. Sie versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien. Er spürte, wie ihre Muskeln sich unter dem dünnen Fleisch anspannten. „Dick“, flüsterte sie. „Ich habe jede Nacht für dich gebetet. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich dich vermißt habe.“ Sie kämpfte noch stärker gegen seine Umarmung an. Er ließ die Hände auf ihre Hüften sinken und preßte sie so heftig an sich, daß er glaubte, die Biegungen und Verrenkungen ihres Beckens spüren zu können. Seine Beine zitterten, und er fürchtete, sie würde hinfallen, wenn er sie losließe. Sie drehte den Kopf zur Seite. Er legte seine Wange an ihr zartes Ohr. „Dick“, wisperte sie, „ich fühle mich so seltsam… Ich bin so froh, dich wiederzusehen, daß in meinem Innern alles durcheinandergeraten ist… Laß mich los, Dick, ich fühle mich so, als müßte ich mich übergeben…“

Ja, sicher. Natürlich. Er ließ sie los.

Boardman schwitzte und fuhr sich nervös mit einem Tuch über das Gesicht. Er schluckte rasch ein Beruhigungsmittel, konnte trotzdem seiner Nervosität nicht Herr werden und marschierte unruhig auf und ab. Muller hatte noch nie zuvor ein solches Verhalten bei ihm bemerkt. „Ich glaube, ich lasse Euch beide jetzt ein paar Minuten allein, was?“ meinte Boardman schließlich. Seine Stimme klang eine halbe Oktave höher als gewöhnlich. „Dieser ständige Wetterwechsel macht mir doch zu schaffen, Dick. Wir sehen uns morgen und reden. Für Ihre Unterbringung ist bestens vorgesorgt worden.“ Boardman floh geradezu. Muller spürte jetzt zum ersten Mal, wie Panik in ihm aufstieg.

„Wo gehen wir hin?“ fragte er.

„Draußen wartet ein Kokongleiter — automatisch, natürlich. Wir haben ein Zimmer im Starport Inn. Hast du kein Gepäck?“

„Ist noch an Bord des Schiffes“, antwortete Muller. „Aber es kann warten.“

Marta biß sich unablässig auf die Unterlippe. Er nahm ihre Hand, und sie verließen auf dem Gleitband die Empfangshalle in Richtung Parkplatz. Nun mach schon, dachte Muller, sag mir, daß du dich im Moment nicht wohl fühlst. Erzähl mir endlich, daß du ganz urplötzlich von einer sonderbaren Übelkeit befallen worden bist.

„Warum hast du dir das Haar schneiden lassen?“

„Das ist eines der weiblichen Vorrechte. Gefällt dir meine neue Frisur nicht?“

„Nicht besonders.“ Sie stiegen in den Kokongleiter. „Es war vorher so lang, hatte einen tiefblauen Tonfall und sah so aus wie das Meer an einem stürmischen Tag.“ Der Gleiter schoß auf einer Quecksilberspur davon. Sie hielt deutlichen Abstand von ihm und preßte sich an ihre Tür. „Und erst dein Make-up. Tut mir leid, Marta, ich wünschte, es würde mir besser gefallen.“

„Ich wollte mich nur für deine Heimkehr hübsch machen.“

„Warum läßt du deine Unterlippe nicht in Ruhe?“

„Wieso, was tue ich denn?“

„Nichts“, sagte er. „Wir sind schon da. Ist das Zimmer schon gebucht?“

„Ja, auf deinen Namen.“

Sie betraten das Hotel. Muller legte die Handfläche auf die Registrationsplatte. Sie leuchtete grün auf. Die beiden gingen zum Fahrstuhl. Das Hotel begann auf dem fünften Sublevel und reichte fünfzig Stockwerke tief in die Erde. Ihr Zimmer befand sich in einer der tiefsten Etagen. Das Beste ist gerade gut genug, dachte Muller, wahrscheinlich die Fürstensuite. Sie traten in ein Zimmer mit kaleidoskopartigen Wandbehängen und einem breiten Bett mit allem erdenklichen Komfort. Die Beleuchtung war taktvoll matt. Muller dachte an die langen Monate, die er allein mit den Mädchenwürfeln verbracht hatte, und schon begann es in seinem Unterleib zupochen. Er wußte, daß er Marta nichts zu erklären brauchte. Sie verließ ihn und verschwand im Umkleideraum. Sie blieb sehr lange dort. Muller zog sich aus.

Nackt kam sie wieder herein. Das falsche Make-up war verschwunden, die Haare waren wieder blau.

„Wie das Meer“, sagte sie. „Tut mir leid, daß ich es dort drin nicht waschen lassen konnte. Unglücklicherweise war die dortige Anlage nicht auf so etwas programmiert.“

„Es sieht viel besser aus“, erklärte er ihr.

Sie standen zehn Meter auseinander. Sie kehrte ihm die Seite zu, und er bewunderte die Konturen ihres zerbrechlichen, aber festen Körpers, die kleinen, hochstehenden Brüste, den knabenhaften Po und die geschwungenen Hüften.

„Die Hydrier haben entweder fünf Geschlechter oder gar keins“, sagte Muller, „ich bin nicht sicher, was davon zutrifft. Daran kann schon ermessen werden, wie gut ich während meines dortigen Aufenthalts mit ihnen vorangekommen bin. Aber wie sie es dort auch treiben mögen, ich glaube, sie haben mehr Spaß daran als wir. Warum bleibst du so weit von mir weg, Marta?“

Schweigend trat sie auf ihn zu. Er legte einen Arm um ihre Schultern und umfaßte mit der anderen Hand eine ihrer Brüste. Bei früheren Liebkosungen dieser Art hatte er gespürt, wie unter der Hand ihre Brustwarze vor Verlangen steinhart geworden war. Nicht so dieses Mal. Sie zitterte leicht, wie eine Stute, die vor dem Decken durchgehen will. Er drückte seine Lippen auf die ihren. Doch sie waren trocken, angespannt und abweisend. Als er ihr mit den Fingern über den Unterkiefer strich, schien sie Schüttelfrost zu bekommen. Er zog sie nach unten, und sie saßen nebeneinander auf dem Bett. Ihre Hand kam ihm fast widerstrebend näher. Er sah Schmerz in ihren Augen.

Sie rollte von ihm weg, ihr Kopf prallte geradezu auf das Kissen. Er beobachtete ihr Gesicht, das sich vor kaum zu unterdrückenden Qualen verzerrte. Dann nahm sie seine Hände in die ihren und zog ihn zu sich heran. Sie legte die Knie an und öffnete die Oberschenkel.

„Nimm mich, Dick“, sagte sie in etwas übertriebenem Tonfall. „Jetzt!“

„Warum solche Eile?“

Sie versuchte, ihn mit aller Kraft auf sich zu zerren, in sich hinein zu ziehen. Aber so wollte er es nicht haben. Er machte sich von ihr los und setzte sich auf. Sie war krebsrot im Gesicht und am Hals. Tränen glitzerten auf ihren Wangen. Er wußte jetzt, was los war, kannte die Wahrheit. Aber er konnte nicht anders, er mußte sie fragen.

„Sag mir, was nicht stimmt, Marta?“

„Ich weiß nicht.“

„Du benimmst dich, als ob du krank wärst.“

„Ich glaube, das bin ich auch.“

„Seit wann fühlst du dich denn unwohl?“

„Ich… ach, Dick, was soll diese Fragerei? Bitte, komm zu mir, komm ganz nahe.“

„Das willst du doch gar nicht wirklich, nicht wahr? Du bemühst dich nur, nett zu mir zu sein.“

„Ich… ich versuche, dich glücklich zu machen, Dick. Es… es ist entsetzlich… so entsetzlich.“

„Was denn?“

Aber sie wollte ihm darauf keine Antwort geben. Sie begann, mit dem Becken zu kreisen und ihn an sich heranzuziehen. Er sprang aus dem Bett.

„Dick, o Dick! Ich habe dich gewarnt, dorthin zu gehen! Ich habe dir erklärt, ich besäße so etwas wie das zweite Gesicht. Und daß dir dort etwas zustoßen könnte, du aber nicht getötet würdest.“

„Sag mir, was dir Schmerzen bereitet.“

„Ich kann nicht. Ich… ich weiß es nicht.“

„Das ist eine Lüge… Wann hat es angefangen?“

„Heute morgen, als ich aufgestanden bin.“

„Schon wieder eine Lüge. Ich muß die Wahrheit wissen!“

„Bitte, laß uns miteinander schlafen, Dick. Ich kann nicht länger warten. Ich kann…“

„Was?“

„Ich kann es… nicht aushalten…“

„Was kannst du nicht aushalten?“

„Nichts. Gar nichts.“ Sie war auch aus dem Bett gesprungen und preßte sich gegen ihn wie eine zusammengerollte Katze. Muskeln zuckten in ihrem Gesicht. Die Augen waren weit aufgerissen.

Er packte sie an den Handgelenken und zog sie zu sich heran.

„Marta, sag mir jetzt, was du nicht mehr aushalten kannst?“

Sie keuchte. Er zog stärker. Sie drängte so weit wie möglich von ihm weg. Ihr Kopf war weit nach hinten zurückgeworfen, und die Brüste standen fast senkrecht hoch. Ihr Körper glänzte ölig vor Schweiß. Ihre Nacktheit machte ihn wahnsinnig, ließ sein Verlangen unerträglich werden.

„Sag es mir“, befahl er, „du kannst es nicht ertragen…“

„… in deiner Nähe zu sein“, schluchzte sie.

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