7. Neue Verbündete

Von Wachen umgeben marschierte ich also die Korridore des Palastes von Kulan Tith, Jeddak von Kaol, entlang und kam zum großen Audienzsaal, der im Mittelpunkt des riesigen Palastkomplexes lag. Die strahlend hell erleuchteten Räume waren mit den Nobilitäten von Kaol und den Offizieren des Gastjeddaks angefüllt, und natürlich richteten sich alle Augen auf mich. Auf der breiten Estrade am Ende des Audienzsaales standen drei Throne, auf denen Kulan Tith und seine Gäste Matai Shang und der Gastjeddak saßen.

Tödliches Schweigen herrschte, als wir den breiten Mittelgang entlangmarschierten und vor den Thronen stehenblieben.

»Bringt eure Klage vor«, sagte Kulan Tith und wandte sich dabei an einen, der unter den Edlen rechts von ihm stand. Daraufhin trat Thurid, der schwarze Dator der Erstgeborenen, vor und sah mich an.

»Edelster Jeddak«, sagte er zu Kulan Tith, »von Anfang an mißtraute ich diesem Fremden in deinem Palast. Deine Beschreibung seiner großartigen Tapferkeit deckt sich mit dem, was wir vom Erzfeind der Wahrheit auf Barsoom wissen.

Damit aber kein Irrtum geschehen kann, schickte ich einen Priester eures eigenen heiligen Kults aus, um einen Test zu machen, der seine Maskierung durchdringen und die Wahrheit enthüllen sollte. Und hier das Ergebnis!« Damit deutete Thurid auf meine Stirn. Alle Augen folgten Thurids Zeigefinger, und ich allein schien keine Ahnung zu haben, was er meinte und welch fatales Zeichen auf meiner Stirn zu finden sein könnte.

Der Offizier neben mir schien meine Verblüffung zu bemerken, und als Kulan Tith die Brauen drohend zusammenzog und sein Blick mich zu durchbohren versuchte, nahm der Edle einen kleinen Spiegel aus seiner Gürteltasche und hielt ihn mir vor das Gesicht. Mir genügte ein kurzer Blick in diesen Spiegel, dann gab ich ihn zurück.

Der nächtliche Besucher in meinem Schlafzimmer war also ein kriegerischer Thern gewesen, der mir in etwa Handbreite die rote Farbe von der Stirn gewischt hatte. Darunter erschien die Sonnenbräune meiner weißen Haut.

Thurid schwieg eine ganze Weile. Ich nehme an, er wollte damit den dramatischen Effekt dieser Entdeckung unterstreichen.

»Hier, o Kulan Tith!« schrie er. »Das ist der Mann, welcher die Tempel der großen Götter des Mars entweiht, der die Heiligen Therns in Person angegriffen hat, der eine ganze Welt von unserer uralten, heiligen Religion zum Abfall zu bringen versuchte! Vor dir, Jeddak von Kaol, Verteidiger der Heiligen, steht John Carter, Prinz von Helium!«

Kulan Tith sah zu Matai Shang hinüber, als erwarte er von dort eine Bestätigung dieser Anklage. Der Heilige Thern nickte auch.

»Das ist in der Tat dieser schlimmste aller Schänder«, sagte er.

»Selbst jetzt ist er mir in das Herz deines Palastes gefolgt, Kulan Tith, und seine einzige Absicht ist die, mich zu ermorden. Er...«

»Er lügt!« rief ich. »Kulan Tith, hör mir zu, damit du die Wahrheit erfährst! Höre, denn ich erzähle dir, weshalb John Carter diesem Matai Shang in deinen Palast gefolgt ist. Hör mir ebenso zu, wie du ihm zugehört hast, und dann beurteile meine Taten, die nur der normalen barsoomischen Ritterlichkeit und Ehre entspringen, anders als bei diesen rachsüchtigen und gierigen Männern, von deren grausamen Fesseln ich euren Planeten befreit habe!«

»Schweig!« brüllte der Jeddak, sprang auf und legte seine Hand auf den Knauf seines Schwertes. »Schweig, du Schänder! Kulan Tith wird es nicht erlauben, daß die Luft seines Audienzsaales von häretischen Reden entweiht wird, die aus deiner Kehle kommen! Du hast dich bereits selbst verdammt. Mir bleibt nur noch übrig, die Art deines Todes festzulegen. Nicht einmal der Dienst, den du dem Land und dem Heer von Kaol erwiesen hast, kann dich noch retten. Er war ja nur ein Vorwand, um dir Zugang zu meiner Stadt und meinem Palast zu verschaffen und an die Seite jener heiligen Männer zu kommen, nach deren Leben dich dürstet! In die Gruben mit ihm!«

Damit wandte er sich an die Offiziere, die mich bewachten. Jetzt steckte ich aber sehr in der Klemme. Welche Chance hatte ich schon gegen eine ganze Nation? Welche Hoffnung blieb mir noch? Aus der Hand des fanatischen Kulan Tith konnte ich keine Gnade erwarten, solange er auf solche Ratgeber hörte wie Matai Shang und Thurid. Der Schwarze grinste mir boshaft ins Gesicht.

»Diesmal, Erdenmensch, wirst du uns nicht entkommen«, feixte er. Die Offiziere schlössen sich enger um mich. Ein roter Nebel schob sich vor meine Augen. In mir kochte das Blut meiner virginischen Vorfahren, und die alte Kampfeslust war wieder in ihrer ganzen Wildheit da.

Mit einem Satz stand ich neben Thurid, und das teuflische Grinsen war noch nicht von seinem Gesicht verschwunden, als er schon meine Faust voll auf dem Mund spürte. Und als der gute, alte, bewährte, amerikanische Schlag ankam, flog der schwarze Dator ein paar Dutzend Meter weit nach rückwärts und landete schließlich als elendes Häufchen genau vor Kulan Tiths Thron und spuckte Blut und Zähne.

Dann zog ich mein Schwert, wirbelte herum und stellte mich einer ganzen Nation.

Im nächsten Moment waren die Wachoffiziere über mir, doch ehe sie noch einen Schlag führen konnten, erhob sich eine mächtige Stimme über das Geschrei der Krieger, und eine riesige Gestalt sprang von der Estrade neben Kulan Tith auf. Mit gezogenem Langschwert sprang der Riese zwischen mich und meine Gegner.

Es war der Jeddak, der zu Besuch gekommen war.

»Halt!« rief er. »Wenn dir meine Freundschaft etwas wert ist, Kulan Tith, und auch der uralte Friede, der zwischen unseren Völkern herrscht, dann ruf deine Schwertmänner zurück, denn für wen oder gegen wen auch immer John Carter, Prinz von Helium ficht, ich stehe an seiner Seite und kämpfe bis zum Tod mit ihm. Ich, Thuvan Dihn, Jeddak von Ptarth.«

Alle schwiegen, und die drohend erhobenen Schwerter senkten sich, als tausend Augen sich erst Thuvan Dihn erstaunt und dann Kulan Tith fragend zuwandten. Erst wurde der Jeddak von Kaol weiß vor Wut, aber ehe er zu sprechen begann, hatte er sich wieder in der Gewalt, so daß seine Stimme ruhig und gleichmütig klang, wie es sich zwischen zwei großen Jeddaks geziemte.

»Thuvan Dihn«, sagte er langsam, »muß ausgezeichnete Gründe haben, uralte Sitten zu verleugnen, die das Benehmen eines Gastes im Palast des Gastgebers bestimmen. Würde ich mich ebenso vergessen, wie es mein königlicher Freund getan hat, dann würde ich lieber schweigen, bis der Jeddak von Ptarth meine Zustimmung für seine Tat fand, indem er mir erklärt, was ihn dazu herausgefordert hat.«

Ich sah, daß der Jeddak von Ptarth jetzt am liebsten sein Metall in Kulan Tiths Gesicht geworfen hätte, aber er hatte sich ebenso in der Gewalt wie sein Gastgeber.

»Keiner weiß besser als Thuvan Dihn«, antwortete er, »welche Gesetze die Handlungen der Menschen in den Hoheitsgebieten ihrer Nachbarn bestimmen. Aber Thuvan Dihn schuldet höheren Gesetzen als diesen Achtung und Gehorsam, dem Gesetz der Dankbarkeit. Keinem anderen Mann gegenüber hat er eine größere Dankesschuld abzutragen als John Carter, Prinz von Helium.

Vor jähren, Kulan Tith, warst du anläßlich deines letzten Besuches bei mir von der Anmut und Liebenswürdigkeit meiner Tochter Thuvia sehr angetan. Du sahst, wie ich sie anbetete, und später erfuhrst du ja, daß sie aus mir unverständlichen Gründen die letzte, lange, freiwillige Pilgerfahrt in das kalte Bett des geheimnisvollen Iss angetreten hatte. Ich war untröstlich.

Vor einigen Monaten hörte ich nun von der Expedition, die John Carter gegen Issus und die Heiligen Therns geführt hatte. Man sprach von Scheußlichkeiten, welche seit undenklichen Zeiten von den Therns an jenen verübt wurden, die den mächtigen Iss hinabwanderten. Und diese Gerüchte kamen mir zu Ohren.

Ich hörte auch, daß Tausende von Gefangenen befreit wurden, von denen nur wenige in ihre Heimatländer zurückzukehren wagten, weil all denen, die aus dem Tal Dor zurückkommen, ein entsetzlicher Tod droht.

Lange konnte ich diese Häresien nicht glauben, und ich betete darum, daß meine geliebte Tochter Thuvia gestorben sein möge, ehe sie das Sakrileg beging, in die Außenwelt zurückkehren zu wollen. Aber dann siegte doch meine väterliche Liebe über diese alten Ansichten, und ich bekehrte mich dazu, lieber die ewige Verdammnis auf mich nehmen zu wollen als weiterhin von ihr getrennt zu sein, falls sie gefunden werden konnte.

Ich sandte also Kundschafter nach Helium und an den Hof von Xodar, Jeddak der Erstgeborenen und auch an den, der jetzt die regiert, die aus der Thern-Nation stammen und sich von ihrer Religion losgesagt haben. Und von allen Seiten wurden mir die Geschichten von unvorstellbaren Grausamkeiten bestätigt, welche die Heiligen Thern im Namen ihrer Religion an den armen, schutzlosen Opfern dieses Glaubens begangen haben.

Es gab viele, die meine Tochter gesehen oder gekannt hatten, und von Therns, die einmal Matai Shang nahegestanden hatten, erfuhr ich, welche Würdelosigkeiten dieser Mann persönlich auf sie gehäuft hatte. Ich war sehr froh zu hören, daß Matai Shang gleichzeitig mit mir dein Gast ist, denn ich hätte ihn sowieso gesucht, und wenn darüber mein ganzes Leben vergangen wäre.

Und ich hörte auch noch von der ritterlichen Freundlichkeit, die John Carter meiner Tochter erwiesen hatte. Man sagte mir, er habe für sie gekämpft und sie gerettet, und er habe gegen die wilden Warhoons gekämpft, sie aber auf seinem eigenen Thoat in die Sicherheit geschickt, und anschließend habe er auch noch gegen die grünen Krieger gefochten.

Kannst du dich noch wundern, Kulan Tith, daß ich selbst mein Leben und den Frieden meiner Nation, ja sogar deine Freundschaft aufs Spiel setze, die mir mehr wert ist als alles andere, nur um den Prinzen von Helium zu schützen und zu verteidigen?«

Einen Augenblick lang schwieg Kulan Tith. Ich beobachtete sein Mienenspiel und stellte fest, daß er sehr perplex war. Und dann sprach er.

»Thuvan Dihn«, sagte er, und sein Ton war freundlich, wenn auch recht traurig, »wer bin ich, der einen Mitmenschen beurteilen darf? In meinen Augen ist der Vater der Therns noch immer heilig, und die Religion, die er lehrt, die einzig wahre. Stünde ich jedoch dem gleichen Problem gegenüber wie du, dann könnte ich keinen Augenblick daran zweifeln, daß ich auch so denken und handeln würde wie du. Was nun den Prinzen von Helium angeht, so kann ich handeln; in dem, was zwischen dir und Matai Shang ist, kann ich höchstens meine Vermittlung anbieten. Der Prinz von Helium soll in Sicherheit zur Grenze meines Landes geleitet werden, ehe die Sonne erneut untergegangen ist, und von dort aus ist er frei zu gehen, wohin er will. Bei Todesstrafe ist ihm jedoch untersagt, das Land Kaol wieder zu betreten.

Wenn es zwischen dir und dem Vater der Therns Streit gibt, dann brauche ich euch nicht aufzufordern, diesen Streit solange zurückzustellen, bis ihr die Grenzen meines Landes hinter euch habt. Bist du damit zufrieden, Thuvan Dihn?«

Der Jeddak von Ptarth nickte, aber Matai Shang, dieser teiggesichtige Göttling, zog eine finstere Miene.

»Der Prinz von Helium ist keinesfalls zufrieden!« rief ich und brach damit den ausgerufenen Frieden, denn ich hatte keine Lust zu einem Frieden, der ausschließlich auf meine Kosten ging.

»Ich bin dem Tod in mehr als einem Dutzend Formen entkommen, als ich Matai Shang folgte, um ihn einzuholen, und ich denke nicht daran, mich wie ein müdes altes Thoat zum Schlächter führen zu lassen, indem ich das Ziel aufgebe, dem ich mich mit der Kraft meiner Arme und der Geschicklichkeit meines Schwertes genähert habe. Und auch Thuvan Dihn, Jeddak von Ptarth, wird nicht mehr zufrieden sein, wenn er mich angehört hat! Weißt du, daß ich Matai Shang und Thurid, dem schwarzen Dator, von den Forsten des Tales Dor über eine halbe Welt gefolgt bin und dabei undenkbare Mühen auf mich genommen habe?

Glaubst du, daß John Carter, Prinz von Helium, sich einer Morddrohung beugt? Kann Kulan Tith ein so großer Narr sein, daß er die Lügen glaubt, die ihm von einem Heiligen Thern oder von Dator Thurid ins Ohr geflüstert werden?

Ich bin Matai Shang nicht gefolgt, um ihn zu töten, obwohl der Gott meines eigenen Planeten weiß, wie sehr es mich in den Fingern juckt, gerade das zu tun und meine Hände um seine Kehle zu legen. Ich folgte ihm, Thuvan Dihn, weil er zwei Gefangene bei sich hat – meine Gattin, Dejah Thoris, die Prinzessin von Helium, und deine Tochter, Thuvia von Ptarth.

Würdest du nun glauben, daß ich zulassen könnte, über die Grenze von Kaol geführt zu werden, wenn nicht die Mutter meines Sohnes mich begleitet und deine Tochter befreit ist?«

Thuvan Dihn wandte sich nun wieder an Kulan Tith. Wut flammte in seinen scharfen Augen, aber er war von solcher Selbstbeherrschung, daß er mit ruhiger Stimme sprechen konnte.

»Wußtest du davon, Kulan Tith?« fragte er. »Wußtest du, daß meine Tochter in deinem Palast gefangen gehalten wird?«

»Das konnte er nicht wissen«, fiel Matai Shang ein, der leichenfahl geworden war; ich glaube, bei ihm war es weniger Wut als Angst. »Er konnte es deshalb nicht wissen, weil es eine Lüge ist.«

Ich hätte ihn am liebsten auf der Stelle erwürgt, aber Thuva Dihn legte mir eine schwere Hand auf die Schulter.

»Warte«, riet er mir und wandte sich wieder an Kulan Tith. »Das ist keine Lüge. Ich kenne den Prinzen von Helium aus allem, was ich über ihn gehört habe, so gut, daß ich weiß, er ist kein Lügner. Antworte mir, Kulan Tith. Ich habe dich etwas gefragt.«

»Drei Frauen kamen mit dem Vater der Therns«, antwortete Kulan Tith. »Phaidor, seine Tochter und zwei andere, die sie als ihre Sklavinnen bezeichnete. Wenn diese beiden Thuvia von Ptarth und Dejah Thoris von Helium sind, so wußte ich es nicht, denn ich habe beide nicht gesehen. Sind sie es, dann sollen sie morgen zurückgegeben werden.«

Während er noch sprach, sah er Matai Shang an, doch nicht so, wie ein Gläubiger seinen Hohenpriester anzusehen hätte, sondern als Herrscher, der einem anderen einen strengen Befehl erteilt. Dem Vater der Therns mußte inzwischen klar geworden sein, daß die Enthüllung seines Charakters den Glauben von Kulan Tith bereits beträchtlich geschwächt hatte. Es war nicht mehr viel nötig, um den mächtigen Jeddak zu seinem erklärten Feind zu machen. Trotzdem ist der seit unendlichen Zeiten in den Völkern wurzelnde Aberglauben so stark, daß selbst der große Kaolianer noch zögerte, das letzte Band zu durchschneiden, das ihn noch an der alten Religion festhielt. Matai Shang war wenigstens klug genug so zu tun, als akzeptiere er den Entscheid seines Gastgebers und Gläubigen und versprach, die beiden Sklavinnen am folgenden Morgen in den Audienzsaal zu bringen.

»Jetzt ist es fast Morgen«, sagte er, »und es wäre mir unangenehm, den Schlaf meiner Tochter zu stören, sonst würde ich die beiden sofort herholen, um zu beweisen, daß der Prinz von Helium einem Irrtum unterliegt.«

Diese letzten Worte sprach er mit solchem Nachdruck, der mich wissen ließ, daß er mich auf ganz subtile Art beleidigen wollte, die es mir nicht gestattete, ihn dafür zur Rechenschaft zu ziehen. Ich war schon dabei, gegen jede Verzögerung zu protestieren und zu verlangen, daß die Prinzessin von Helium sofort gebracht werde, als Thuvan Dihn das für unnötig erscheinen ließ.

»Ich würde es vorziehen, meine Tochter sofort zu sehen«, erklärte er.

»Wenn aber Kulan Tith mir versichern will, daß niemand in dieser Nacht den Palast verläßt und daß weder Dejah Thoris noch Thuvia von Ptarth zwischen jetzt und dem Zeitpunkt, da sie vor uns gebracht werden – in diesem Raum und bei Tageslicht – ein Leides geschieht, dann beharre ich nicht darauf.«

»Niemand wird heute nacht den Palast verlassen«, erwiderte der Jeddak von Kaol, »und Matai Shang wird uns versichern, daß den beiden Frauen nichts Böses getan wird. Versprichst du das?«

Vater der Thern nickte. Ein paar Augenblicke später gab Kulan Tith zu verstehen, daß die Audienz beendet sei, und da Thuvan Dihn mich einlud, begleitete ich den Jeddak von Ptarth in seine Gemächer, wo wir bis zum Morgen zusammensaßen. Ich mußte ihm von meinen Erlebnissen auf diesem Planeten berichten und von allem, was seiner Tochter in der Zeit, die wir zusammen verbracht hatten, zugestoßen war.

Thuvias Vater war ein Mann nach meinem Herzen, und diese Nacht war der Beginn einer Freundschaft, die sich immer mehr vertiefte und die nun der am nächsten kommt, die zwischen Tars Tarkas, dem grünen Jeddak von Thark, und mir besteht.

Die Dämmerung ist auf dem Mars sehr kurz, und im ersten Morgenlicht kamen Boten von Kulan Tith, die uns in den Audienzsaal riefen, wo Thuvan Dihn nach Jahren der Trennung seine Tochter in Empfang nehmen und ich mit der glorreichen Tochter von Helium nach einer fast ununterbrochenen Trennung von zwölf Jahren wieder vereint werden sollte.

Mein Herz klopfte sehr stürmisch, und ich glaubte, jeder im Saal müsse es hören. Es machte mich fast ein wenig verlegen. Meine Arme sehnten sich danach, die unvergleichliche, ewig junge und schöne Geliebte meines Herzens wieder zu umschließen.

Endlich kam der Bote zurück, der Matai Shang hatte holen sollen. Ich verdrehte mir fast den Hals, um den zu sehen, der ihm folgte, aber der Bote kam allein.

Er trat vor den Thron und sprach den Jeddak mit so leiser Stimme an, daß sie kaum zu vernehmen war.

»O Kulan Tith, mächtigster der Jeddaks«, sagte er, »dein Bote kehrt allein zurück, denn als er die Wohnung des Vaters der Therns erreichte, fand er sie leer und ebenso die Gemächer, die seine Suite bewohnte.«

Kulan Tith wurde aschfahl. Thuvan Dihn, der neben mir stand, knurrte bedrohlich. Er hatte den Thron neben seinem Gastgeber nicht eingenommen. Einen Augenblick lang herrschte tödliches Schweigen im großen Audienzsaal des Kulan Tith, Jeddak von Kaol. Dann war dieser es, der den Bann brach.

Er stand von seinem Thron auf und trat von der Estrade herunter zu Thuvan Dihn. In seinen Augen schimmerten Tränen, als er seinem Freund beide Hände auf die Schultern legte.

»O Thuvan Dihn!« rief er. »Daß dir das im Palast deines besten Freundes zustoßen muß! Mit meinen eigenen Händen hätte ich diesem Matai Shang den Hals umgedreht, hätte ich vermutet, was in seinem verrottetem Herzen ist. Vergangene Nacht wurde mein Glaube, der mich ein Leben lang begleitet hat, erschüttert, und jetzt ist er völlig zerbrochen. Aber es ist zu spät. Zu spät!

Um deine Tochter und die Gattin dieses königlichen Kriegers aus den Klauen dieses Erzfeindes zu befreien, brauchst du dich nur aller Hilfsmittel zu bedienen, die eine mächtige Nation zur Verfügung hat. Ganz Kaol steht zu deiner Verfügung. Was willst du, daß wir tun? Sprich nur ein Wort!«

»Zuerst«, schlug ich vor, »müssen wir diejenigen deiner Leute finden, die verantwortlich dafür sind, daß Matai Shang und sein Gefolge entwischen konnte. Ohne Hilfe der Palastwache oder von einigen unter ihnen wäre das ja gar nicht möglich gewesen. Such die Schuldigen, und von denen wirst du eine Erklärung erzwingen müssen, damit wir erfahren, wie sie flohen und wohin sie sich wandten.«

Ehe Kulan Tith noch die nötigen Befehle erteilen konnte, um die Nachforschungen anzustellen, trat ein sehr gut aussehender junger Offizier vor seinen Jeddak und sprach ihn an.

»O Kulan Tith, mächtigster der Jeddaks, ich allein bin verantwortlich für diesen traurigen Irrtum. Ich hatte während der vergangenen Nacht das Kommando über die Palastwache. Ich machte Dienst in einem anderen Teil des Palastes, als die Audienz in den frühen Morgenstunden stattfand, und daher wußte ich nichts von dem, was beschlossen wurde. Als der Vater der Therns mich rief und mir erklärte, es sei dein Wunsch, daß er mit seinem Gefolge eiligst die Stadt verlasse, da sich sein Todfeind hier aufhalte, der nach dem Leben des Heiligen Hekators trachte. Ich tat dann nur, was mich zu tun mein Leben lang gelehrt wurde, ich gehorchte ihm, in dem ich den Herrscher von uns allen erblickte, der selbst mächtiger ist als du, mächtigster aller Jeddaks.

Laß die Strafe dafür allein auf mich fallen, denn ich allein bin schuldig. Die anderen von der Palastwache, die bei der Flucht halfen, taten das nur auf meinen Befehl hin.«

Kulan Tith sah erst mich und dann Thuva Dihn an, als wolle er von uns wissen, was wir von diesem Mann hielten. Der Irrtum war aber so offensichtlich entschuldbar, daß keiner von uns beiden das Herz gehabt hätte, den jungen Offizier für einen Fehler leiden zu sehen, den jeder andere auch gemacht hätte.

»Wie sind sie aus dem Palast weggekommen und welche Richtung haben sie eingeschlagen?« fragte Thuvan Dihn.

»Sie verließen den Palast so, wie sie kamen, mit ihrem eigenen Flieger«, erwiderte der Offizier. »Ich beobachtete sie noch eine Weile nach ihrem Abflug, und ihre Lichter verschwanden in nördlicher Richtung.«

»Wo im Norden könnte Matai Shang Asyl finden?« fragte Thuvan Dihn an Kulan Tith gewandt.

Der Jeddak von Kaol dachte eine ganze Weile scharf nach. Dann hob er den Kopf.

»Ich habe es!« rief er. »Erst gestern ließ Matai Shang etwas von seinem Bestimmungsort durchsickern. Er sprach von einer Menschenrasse, die sich von uns unterscheidet und die weit im Norden wohnt. Sie, sagte er, sei den Heiligen Therns sehr gut bekannt und sie seien auch ergebene Jünger des alten Kultes. Bei ihnen würde er einen dauernden Hafen des Friedens finden, denn dort gebe es keine lügenhaften Häretiker, die ihn verfolgten. Dorthin wird sich Matai Shang gewandt haben.«

»Und in ganz Kaol gibt es keinen einzigen Flieger, in dem ich ihm folgen könnte!« rief ich.

»Wohl aber in Ptarth«, sagte Thuvan Dihn.

»Warte!« rief ich. »Am südlichen Rand dieses großen Forstes liegt das Wrack jenes Thern-Fliegers, der mich über eine lange Strecke hierher gebracht hat. Wenn du mir ein paar Männer zur Verfügung stellst, die es holen und ein paar tüchtige Handwerker, die mir helfen, dann kann ich ihn in zwei Tagen reparieren, Kulan Tith.«

Ich traute dem Jeddak von Kaol nicht ganz und hielt seinen so plötzlichen Gesinnungswandel nicht für recht ernst, doch er überraschte mich damit, daß er ohne zu zögern und voller Eifer auf meinen Vorschlag einging. Sofort stellte er Offiziere und Männer zu meiner Verfügung, und das beseitigte meine letzten Zweifel.

Zwei Tage später stand der Flieger auf einem der Wachttürme und war wieder flugtüchtig. Thuvan Dihn und Kulan Tith hatten mir alle Hilfsmittel zweier Nationen angeboten – Millionen von tüchtigen Kämpfern –, aber mein Flieger konnte außer Wula und mir nur noch eine Person aufnehmen.

Als ich an Bord ging, nahm Thuvan Dihn den Platz neben mir ein. Ich warf ihm einen Blick des Staunens zu, und er wandte sich an den höchsten Offizier, der ihn nach Kaol begleitet hatte.

»Dir vertraue ich mein ganzes Gefolge an«, sagte er. »Du bringst es sicher nach Ptarth. Dort regiert in meiner Abwesenheit mein Sohn. Der Prinz von Helium soll nicht allein in das Land seiner Feinde reisen. Ich habe gesprochen, und du hast mich gehört. Leb wohl!«

Загрузка...