12. Folge dem Seil!

Was konnte das bedeuten?

Welchem Seil sollte ich folgen?

Ach ja, da war doch die Schnur, mit der das Päckchen heruntergelassen worden war! Ich tappte ein wenig herum und fand sie. Sie hing von oben herunter, und als ich daran zog, entdeckte ich, daß sie irgendwo oben festgemacht war, vielleicht am Rand der Grube. Ich probierte ein wenig herum und fand, daß die Schnur zwar dünn aber ungeheuer kräftig war und leicht das Gewicht einiger Männer aushaken konnte. Dann machte ich noch eine Entdeckung. Etwa in Kopfhöhe war eine zweite Mitteilung angeknotet, und die konnte ich nun viel schneller entziffern.

»Bring das Seil mit. Jenseits der Knoten liegt Gefahr.«

Das war alles und offensichtlich sehr eilig formuliert und ein nachträglicher Einfall.

Ich hielt mich nicht damit auf, darüber nachzudenken, und obwohl ich den Sinn des Satzes nicht begriff, ›jenseits der Knoten liegt Gefahr‹, wußte ich doch, daß das hier ein Fluchtweg war, und je eher ich von dieser Möglichkeit Gebrauch machte, desto wahrscheinlicher war es, daß ich damit die Freiheit gewinnen konnte.

Eines war sicher: Schlimmer konnte es mir nirgends ergehen als in der Grube des Überflusses.

Es dauerte jedoch nicht lange, da fand ich heraus, daß ich noch viel übler dran gewesen wäre, hätte ich zwei Minuten länger in der Grube ausharren müssen.

Ich brauchte natürlich in meinem immerhin geschwächten Zustand eine gewisse Zeit, bis ich den Rand der Grube erreichen konnte. Ich hatte etwa zwanzig Meter zurückgelegt, als ich von oben einen Lärm vernahm. Zu meinem Kummer sah ich, daß der Deckel der Grube hoch oben abgenommen wurde, und im hellen Licht des Hofes bemerkte ich eine ganze Anzahl Gelber Krieger.

War es möglich, daß ich in eine Falle gelockt wurde? Waren die Mitteilungen gefälscht oder eine Böswilligkeit?

Gerade als meine Hoffnung und mein Mut auf ihrem allertiefsten Stand angekommen waren, sah ich zweierlei:

Das eine war der Körper eines riesigen, um sich schlagenden und knurrenden Apt, der an der Grubenwand zu mir heruntergelassen wurde, und das andere war eine Öffnung in der Wand des Schachtes, eine Öffnung, in welche das Seil führte und die größer war als eines Mannes Körper.

Gerade als ich in das dunkle Loch verschwand, kam der Apt an mir vorbei und versuchte mich mit seinen mächtigen Händen festzuhalten; er schnappte, knurrte und brüllte auf die erschreckendste Art. Jetzt wußte ich, welche schauerliche Todesart mir Salensus Oll zugedacht hatte. Erst quälte er mich mit Hunger und Durst bis zur Erschöpfung, und dann veranlaßte er, daß dieses furchtbare Tier in mein Gefängnis gelassen wurde – wahrlich eine höllische Fantasie, die der Jeddak hier entwickelte.

Und dann schoß ein weiterer Gedanke wie ein Blitz durch meinen Kopf. Neun Tage hatte ich wohl in der Grube gesessen – neun Tage von den zehn, die vergehen mußten, ehe Salensus Oll meine Dejah Thoris zu seiner Königin machen konnte. Der Apt soll also vor dem zehnten Tag für meinen sicheren Tod sorgen.

Am liebsten hätte ich nun schallend gelacht über die groteske Logik von Salensus’ Tat. Er wollte absolut sicher sein, daß das von ihm angestrebte Ende auch wirklich eintrat, und wenn sie den Apt allein in der Grube fanden, mußten sie annehmen, daß er seine Pflicht getan und mich restlos aufgefressen hatte. Kein Verdacht, ich könnte doch noch entkommen sein, würde dann eine Suche nach mir auslösen. Ich wickelte das Seil auf, das mich auf dieser seltsamen Reise geleitet hatte, und suchte nach dem anderen Ende, fand es aber nicht. Nun war mir der Satz klar: ›Folge dem Seil‹.

Der Tunnel, durch den ich kroch, war eng und dunkel. Ich hatte einige hundert Meter zurückzulegen, als ich plötzlich einen Knoten unter meinen Fingern spürte. ›Jenseits der Knoten liegt Gefahr‹, so hatte der zweite Satz geheißen.

So vorsichtig wie überhaupt möglich kroch ich weiter und kam an eine scharfe Biegung im Tunnel, nach der ich durch eine enge Öffnung in einen großen, strahlend hell erleuchteten Raum kam. Der Tunnel war ständig leicht angestiegen, und daher nahm ich an, daß der Raum, in dem ich nun stand, entweder im Erdgeschoß des Palastes oder unmittelbar darunter liegen mußte.

An der Wand, die der Tunnelöffnung gegenüberlag, waren viele seltsame Instrumente und Geräte aufgestellt, und im Mittelpunkt des Raumes stand ein großer Tisch, an dem zwei Männer saßen, die sich ernsthaft miteinander unterhielten.

Der eine, der sein Gesicht mir zugewandt hatte, war ein Gelber Mann, ein alter, kleiner, ziemlich vertrockneter Herr mit großen Augen in einem sehr blassen Gesicht, und an ihm fiel mir besonders auf, daß der Augapfel um die ganze Iris herum gut zu sehen war. Sein Gefährte war ein Schwarzer, und niemand brauchte mir zu sagen, daß es nur Thurid sein konnte, denn jenseits der Eisbarriere gab es außer ihm keinen Erstgeborenen.

Thurid sprach, als ich so nahe war, daß ich die Stimmen der beiden Männer hören konnte.

»Solan, hier gibt es überhaupt kein Risiko, und die Belohnung ist sehr hoch. Du weißt selbst, wie sehr du Salensus Oll hassest und daß nichts dir größeres Vergnügen bereiten würde, als wenn du seinen Lieblingsplan durchkreuzen könntest, mit dem er mehr als nur spielt. Jetzt ist sein Lieblingsplan der, die schöne Prinzessin von Helium zu heiraten, aber auch ich will sie haben, und mit deiner Hilfe könnte ich sie gewinnen.

Dazu brauchst du nichts anderes zu tun, als nur einen Augenblick aus diesem Raum hinauszugehen, sobald ich dir ein Zeichen dazu gebe. Den Rest werde dann schon ich besorgen. Wenn ich gegangen bin, kommst du wieder herein und legst den großen Schalter wieder um, wie er vorher war, dann ist alles wieder so, wie es war, und keiner bemerkt etwas. Ich brauche eine Stunde Vorsprung, um vor dieser höllischen Macht sicher zu sein, die du hier in dieser versteckten Kammer unter dem Palast deines Herrn kontrollierst. Siehst du, wie leicht das ist«, schloß er, stand auf, querte den Raum und legte seine Hand auf einen großen glänzenden Schalthebel, der aus der Wand gegenüber herausragte, »Nein, nein!« schrie der alte kleine Mann, lief ihm nach und war schrecklich aufgeregt. »Nicht den! Nein, den nicht! Das ist doch der für den Sonnenstrahlentank, und wenn du ihn allzu weit nach unten drückst, verbrennt ganz Kadabra, ehe ich ihn wieder an die richtige Stelle rücken könnte. Geh weg! Du weißt nicht, mit welchen Kräften du spielst. Das hier ist der Hebel, den du suchst. Du mußt dir genau das Symbol merken, das hier in Weiß auf der schwarzen Oberfläche eingelegt ist.«

Thurid näherte sich dem bezeichneten Hebel und musterte ihn.

»Ah, ein Magnet«, stellte er fest. »Ich werde mir’s merken. Wir sind uns also einig, nicht wahr?«

Der alte Mann zögerte. Ein Ausdruck von Gier und Verachtung prägte seine nicht allzu schönen Züge. »Verdopple die Zahl«, antwortete er. »Und sogar der Betrag ist noch viel zu niedrig für den Dienst, den ich dir erweisen soll. Ich riskiere mein Leben ja schon allein dadurch, daß ich mich hier in den geheimen Räumen meiner Station mit dir unterhalte. Erführe Salensus Oll davon, dann würde er mich den Apts vorwerfen, ehe noch der Tag zur Neige geht.«

»Das wird er nicht wagen, Solan, und das weißt du auch recht genau«, widersprach ihm der Schwarze. »Deine Macht über Leben und Tod des Volkes von Kadabra ist viel zu groß, als daß Salensus Oll auch nur das Risiko eingehen könnte, dir den Tod anzudrohen. Ehe seine Schergen Hand an dich legen könnten, brauchst du ja nur den Hebel herunterzudrücken, den du mir eben gezeigt und vor dem du mich gewarnt hast. Mit einem Druck deiner Hand würdest du eine ganze Stadt ausradieren.«

»Und um meinen Kopf geht es«, sagte Solan und schüttelte sich.

»Wenn du sowieso sterben müßtest, hättest du auch den Mut, es zu tun«, erwiderte Thurid.

»Ja«, murmelte Solan. »Oft habe ich schon mit diesem Gedanken gespielt. Nun, Erstgeborener, ist diese Rote Prinzessin überhaupt den Preis wert, den ich für meine Dienste verlange? Oder willst du von hier weggehen und sie morgen abend in den Armen von Salensus Oll wissen?«

»Nun, Gelber, du sollst das bekommen, was du verlangst. Die Hälfte jetzt, die andere Hälfte dann, wenn du deinen Kontrakt erfüllt hast.«

Damit und mit einem Fluch warf er einen gut gefüllten Geldbeutel auf den Tisch.

Solan zog die Schnur des Beutels auf und zählte mit zitternden Fingern dessen Inhalt. Seine merkwürdigen Augen wurden noch gieriger, und sein struppiger Kinn- und Schnurrbart hüpfte bei jeder Mundbewegung mit. Thurid schien die Schwäche dieses kleinen Mannes genau erraten zu haben, denn selbst die Handbewegungen

- seine Finger sahen wie Klauen aus – drückten die unendliche Habgier des Alten aus.

Als Solan das Geld gezählt und festgestellt hatte, daß die Summe stimmte, strich er alles wieder in den Beutel und stand auf.

»Nun, bist du ganz sicher, daß du den Weg zu deinem Ziel kennst?« fragte er. »Du mußt dich sehr beeilen, um zu der Höhle zu kommen und von dort aus über die Große Macht. Und das alles innerhalb einer kurzen Stunde. Mehr kann ich dir nicht zugestehen.«

»Ich will es wiederholen«, schlug Thurid vor, »damit du siehst, wie genau ich alles weiß.«

»Dann fang an.«

»Durch jene Tür«, begann er und deutete auf ein Tor am anderen Ende des großen Raumes, »dann folge ich einem Korridor und gehe an drei davon rechts abzweigenden Korridoren vorbei. Im vierten gehe ich solange geradeaus weiter, bis ich dorthin komme, wo drei Gänge aufeinander treffen. Hier folge ich wieder dem rechten, halte mich aber sehr eng an die linke Wand, um nicht in die Grube zu fallen. Am Ende des Korridors komme ich zu einem Spiralgang, auf dem ich nach unten gehe, nicht nach oben. Dann führt der Weg weiter über einen Korridor ohne Abzweigungen. Ist das so richtig?«

»Genau richtig, Dator«, bestätigte Solan. »Und jetzt verschwinde. Du hast das Schicksal schon allzu sehr herausgefordert, da du so lange an diesem verbotenen Ort gewesen bist.«

»Heute abend oder morgen kannst du also das Signal erwarten«, sagte Thurid und erhob sich, um zu gehen.

»Heute abend oder morgen«, wiederholte Solan, und als sich die Tür hinter seinem Gast geschlossen hatte, murmelte der alte Mann noch lange vor sich hin. Er wandte sich dem Tisch zu, auf den er wieder den Inhalt des Beutels leerte, und dann wühlten seine Finger in dem Haufen glänzenden Metalls; er machte kleine Türme aus den Münzen, zählte sie, zählte sie noch einmal und streichelte zärtlich seinen Reichtum. Und dabei murmelte er ununterbrochen.

Und dann hörte er auf einmal mit seinem Spiel auf. Die Augen wurden noch größer und drohten ihm aus dem Kopf zu fallen, als er zu jener Tür hinschaute, durch die Thurid verschwunden war. Der alte Mann schimpfte streitsüchtig vor sich hin, und dann knurrte er böse. Schließlich stand er vom Tisch auf, schüttelte seine Faust zur geschlossenen Tür und rief nun so laut, daß ich jedes einzelne Wort klar verstehen konnte: »Du Narr! Du erbärmlicher Narr! Glaubst du vielleicht, deines Glückes wegen würde Solan sein Leben opfern? Wenn du entkommst, dann weiß Salensus Oll, daß du das nur mit meiner Hilfe konntest. Und dann schickt er nach mir. Und was wolltest du von mir? Ich soll die ganze Stadt und mich selbst zu Asche verbrennen? Nein, mein Freund, du elender Narr, es gibt eine viel bessere Möglichkeit – die nämlich, daß Solan das Geld hier behalten und sich gleichzeitig an Salensus Oll rächen kann.« Und dazu lachte er boshaft und keckernd.

»Du armer Narr! Du kannst ruhig den großen Schalter herumwerfen, der dich frei macht von der Luft von Okar. Und dann gehst du mit der Roten Prinzessin in eine trügerische Sicherheit – in die des Todes. Wenn du auf deiner Flucht über diesen Raum hinausgekommen bist, was kann Solan davon abhalten, den Schalter wieder so zu stellen, wie er war, ehe deine gemeine Hand in berührt hat? Nichts! Und dann wird der Wächter des Nordens dich und die Frau sehen und melden, und wenn Salensus Oll eure toten Leiber sieht, wird er nicht im Traum daran denken, daß Solan damit etwas zu tun hatte.«

Schließlich murmelte er wieder leise vor sich hin; vieles verstand ich nicht, und andere Dinge lassen sich nicht wiedergeben. Jedenfalls konnte ich mir jetzt eine ganze Menge zusammenreimen, und ich dankte der gütigen Vorsehung, die mich zur richtigen Zeit in diesen Raum geführt hatte, weil sie so ungeheuer wichtig war für Dejah Thoris und mich selbst.

Aber wie sollte ich nun an dem alten Mann vorbeikommen? Das dünne Seil war auf dem Boden nahezu unsichtbar, aber es lief quer durch den ganzen Raum bis zu einer Tür an der anderen Seite. Da es keine andere Möglichkeit gab, mußte ich es wagen, denn der Anweisung ›folge dem Seil‹ mußte ich ja gehorchen, wenn ich die Freiheit gewinnen wollte. Doch wie sollte ich von dem alten Mann unentdeckt quer durch dieses riesige Zimmer kommen?

Selbstverständlich hätte ich ihn anspringen und mit bloßen Händen für immer zum Schweigen bringen können, aber ich hatte genug mit angehört, um diese Möglichkeit erst gar nicht ins Auge zu fassen. Ich war, ganz im Gegenteil, davon überzeugt, daß er mir lebend wesentlich mehr nützen konnte, denn tötete ich ihn und trat ein anderer an seine Stelle, dann käme Thurid ganz gewiß nicht mit Dejah Thoris hierher, wie es doch anscheinend seine Absicht war.

Da stand ich nun im Schatten des dunklen Tunnelmundes und zermarterte mir das Gehirn nach einem Plan, der sich auch ausführen ließe, und sah dem alten Mann zu – wie eine Katze, die vor dem Mauseloch auf der Lauer liegt –, wie er den Geldbeutel nahm, zum anderen, entfernten Ende des Raumes ging, niederkniete und an einem Brett der Wandverkleidung herumfummelte.

Hier hatte er also sein Versteck! Und während er, den Rücken mir zugewandt, in seinen Reichtümern wühlte, schlich ich auf Zehenspitzen quer durch das Zimmer, immer dem Seil nach.

Dreißig Schritte waren es etwa, aber in meiner von der Spannung überzogenen Fantasie schien die Wand Meilen weg zu sein. Doch schließlich erreichte ich sie, hatte aber auch nicht für einen Moment den Rücken des habgierigen Alten aus den Augen gelassen. Er richtete sich erst auf, als meine Hand auf der Türklinke lag, und dann drehte er sich sogar von mir weg, als ich durch den Türspalt schlüpfte und leise wieder zumachte.

Da blieb ich nun für ein paar Augenblicke stehen und atmete erst einmal tief durch. Dann legte ich mein Ohr an die Türfüllung, um zu erraten, ob er etwas bemerkt hatte, aber es war nichts Verdächtiges von drinnen zu hören, das auf Mißtrauen und Verfolgung hätte schließen lassen. Ich folgte nun weiter dem Seil, das ich im Weitergehen aufwickelte und mitnahm.

Ein kleines Stück weiter kam ich zum Ende des Seils, und zwar ausgerechnet an einer Stelle, an der fünf Korridore gleichzeitig einmündeten. Was sollte ich nun tun? Welchen der fünf Gänge sollte ich wählen? Ich war ratlos.

Eine sorgfältige Prüfung des Seilendes brachte mich zur Überzeugung, daß es mit einem scharfen Instrument abgeschnitten worden war. Diese Tatsache und der Hinweis darauf, daß jenseits der Knoten Gefahr liege, ließ mich annehmen, daß es abgeschnitten worden war, nachdem es mein Freund zu meiner Führung ausgelegt hatte. Ich war nur an einem einzigen Knoten vorbeigekommen, während mein Freund ausdrücklich im Plural sprach und deshalb zwei oder mehr Knoten dagewesen sein mußten.

Jetzt steckte ich wieder einmal in einer richtigen Klemme. Ich wußte ja nicht, welchem Gang ich folge sollte oder welche Gefahr meiner wartete. Da ich nicht damit gewann, wenn ich blieb, wo ich war, mußte ich einem der Korridore folgen.

Ich wählte den mittleren und drang mit einem Gebet auf den Lippen in die dunkle Tiefe vor.

Der Tunnel stieg sofort ziemlich steil an, und dann endete er abrupt vor einer Tür.

Durch diese Tür konnte ich nichts hören. Schnell entschlossen wie immer stieß ich sie also weit auf und stand in einem Raum, in dem sich viele Gelbe Krieger befanden.

Der erste, der mich sah, riß erstaunt die Augen auf, und gleichzeitig spürte ich wieder jenes rasche Prickeln an meinem Finger, das mir die Anwesenheit eines Ringfreundes anzeigte.

Auch andere sahen mich nun, und eine allgemeine Bewegung ging nun durch sie, als wollten sie Hand an mich legen. Die Männer gehörten nämlich alle der Palastwache an, und mein Gesicht war ihnen gut bekannt.

Der erste, der mich erreichte, war der Ringträger. »Ergib dich mir«, flüsterte er mir zu und rief dann mit lauter Stimme: »Du bist mein Gefangener, Mann mit der weißen Haut!« Und dann drohte er mir mit seinen beiden Waffen.

Und so ergab sich also John Carter, Prinz von Helium, wie ein Schwächling einem einzigen Gegner. Die anderen bildeten nun einen Kreis um uns, stellten eine Menge Fragen, die ich zu beantworten ablehnte, und schließlich erklärte mein – was war er eigentlich? Sieger kann ich ihn ja nicht nennen, und mein Gefangenenwärter war er ja auch nicht. Jedenfalls erklärte der Mann, dem ich mich ergeben hatte, er müsse mich nun sofort in meine Zelle zurückbringen. Ein Offizier stellte noch ein paar weitere Krieger zu unserer Begleitung ab, und dann waren wir auch schon auf dem Weg dorthin, woher ich gekommen war. Mein Freund ging ganz nahe neben mir und stellte eine ganze Menge törichter Fragen über das Land, aus dem ich gekommen sei, bis seine Kameraden gar nicht mehr auf ihn und sein dummes Geplapper hörten.

Er hatte anfangs mit lauter Stimme gesprochen, war aber nach und nach immer leiser geworden, so daß es kein Aufsehen erregte, als er schließlich mit mir flüsterte. Das war eine äußerst geschickte List und bewies, wie wenig sich Talu in der Intelligenz des Mannes und in seiner Eignung für die gefahrvolle Aufgabe, die ihm gestellt war, getäuscht hatte.

Als die anderen überhaupt nicht mehr zuhörten und er sich davon überzeugt hatte, wollte er wissen, weshalb ich nicht dem Seil gefolgt sei, und da erzählte ich ihm, daß es an der Stelle, wo die fünf Korridore zusammenliefen, geendet hatte, und er vermutete, jemand müsse es wohl abgeschnitten haben, weil er gerade ein Stück Schnur brauchte, denn »diese dummen Kadabraner wären nie darauf gekommen, welchen Zweck dieses Seil hatte«, wie er sagte. Ehe wir die Stelle erreichten, an der die fünf Korridore sich vereinigten, war es meinem Freund gelungen, zusammen mit mir das Ende der Kolonne zu erreichen, und die anderen waren alle vor uns.

»Lauf in den ersten Gang rechts hinein«, flüsterte er mir zu, als wir unmittelbar vor den Korridoren standen. »Er führt zum Wachtturm an der Südmauer. Ich werde deine Verfolgung im nächsten Gang aufnehmen. Damit versetzte er mir einen aufmunternden Stoß, der mich ein Stück in den dunklen Gang hinein beförderte, und gleichzeitig tat er einen lauten Schmerzensschrei und warf sich so auf den Boden, als habe ich ihn zusammengeschlagen und sei dann entwischt. Die Stimmen der erregten Palastwachen hallten die Korridore entlang, aber sie wurden sehr schnell schwächer, als Talus Spion mit ihnen einen falschen Gang in meiner Verfolgung entlang rannte. Und ich rannte im dunklen Gang unter dem Palast von Salensus Oll um mein Leben. Ich muß ein recht seltsamer Anblick gewesen sein, denn sicher war ich noch recht blaß, weil ja der Tod praktisch noch immer neben mir her lief, aber gleichzeitig lachte ich breit, wenn ich an die Hilfsbereitschaft und den Einfallsreichtum meines namenlosen Freundes dachte, dem ich mein Leben verdankte.

Ja, das ist der Stoff, aus dem auch die Männer von meinem geliebten Helium gemacht sind. Wann immer ich einen Mann dieser Art treffe, egal welcher Rasse oder Farbe er ist, dann geht mein Herz ihm entgegen, wie es dies bei meinem neuen, heldenhaften Freund aus Marentina tat, der nur deshalb für mich Unbekannten sein eigenes Leben riskierte, weil ich das Gegenstück zu seinem Ring am Finger trug, die sein Herrscher und mein prinzlicher Freund uns an die Finger gesteckt hatte.

Der Korridor, durch den ich rannte, verlief ein langes Stück ganz gerade und endete am Fuß einer Spiralrampe, die mich in eine runde Kammer im Erdgeschoß eines Turmes brachte.

Hier arbeiteten etwa ein Dutzend Roter Männer als Sklaven. Sie polierten oder reparierten Waffen der Gelben. An den Wänden standen lange Schwertständer für gerade und Hakenschwerter, Speere und Dolche. Ich schien also in einem Arsenal gelandet zu sein, und nur drei Krieger bewachten die Sklaven.

Mit einem Blick überschaute ich den ganzen Raum. Hier gab es Waffen in Hülle und Fülle! Und hier waren auch kräftige, sehnige Rote Krieger, die mit ihnen umzugehen verstanden.

Und John Carter, Prinz von Helium, brauchte jetzt sowohl Waffen als auch Krieger.

Als ich den Raum betrat, sahen Sklaven und Wächter gleichzeitig auf. Unmittelbar neben dem Eingang befand sich ein Ständer mit geraden Schwertern, und als sich meine Hand um den Schwertgriff schloß, der sich fast sofort und von selbst meinen Fingern anbot, fiel mein Blick auf die Gesichter zweier Männer, die nebeneinander arbeiteten. Einer der Wächter trat mir entgegen. »Wer bist du?« fragte er. »Und was hast du hier zu suchen?«

»Ich komme um Tardos Mors, Jeddak von Helium, und seinen Sohn Mors Kajak zu holen!« schrie ich und deutete auf die beiden Gefangenen, die sofort aufgesprungen waren und mich aus großen, fassungslosen Augen musterten.

»Erhebt euch, Rote Männer! Ehe wir sterben, werden wir im Palast des Tyrannen von Okar noch eine Erinnerung zurücklassen, die für ewig in den Annalen von Kadabra zur Ehre und Glorie von Helium stehen wird!«

Ich hatte nämlich gesehen, daß alle Gefangenen Angehörige von Tardos Mors’ Flotte waren.

Dann waren die ersten Wächter über mir, und der Kampf war in schönstem Gang, als ich bemerkte, daß alle Roten Sklaven an den Fußboden gekettet waren.

Загрузка...