Es war Tag, als mich eine ständige leise Bewegung aufweckte. Auch Wula streckte sich und spähte mit gesträubter Mähne durch die Büsche zur Straße hinüber.
Erst konnte ich gar nichts sehen, aber dann entdeckte ich ein bißchen glänzendes, glattes Grün, das sich zwischen dem Gelb, Purpur und Scharlach der Vegetation bewegte.
Ich bedeutete Wula, er solle dort bleiben, wo er war und kroch ein Stück vorwärts. Hinter einem dicken Baum sah ich eine lange Reihe grüner Krieger aus den Gründen der Toten See, die sich im dichten Dschungel neben der Straße versteckten.
Soweit ich sehen konnte, war es eine Reihe von Tod und Zerstörung, die sich bis zur Stadt Kaol hinzog. Die grünen Krieger schienen den Auszug einer größeren Truppe Roter aus dem Stadttor zu erwarten, und nun lagen sie im Hinterhalt, um sie zu überfallen. Ich schuldete dem Jeddak von Kaol keine Untertänigkeit, aber er gehörte derselben edlen Rasse Roter Menschen an wie meine Prinzessin, und ich würde auf keinen Fall dabeigestanden haben, um zu sehen, wie die Grünen, die grausamen, herzlosen Dämonen der barsoomischen Wüsten, diese noblen Menschen abschlachteten.
Sehr vorsichtig zog ich mich also zu Wula zurück, gebot ihm Schweigen und bedeutete ihm, mir zu folgen. Ich schlug einen großen Bogen, um nicht den Grünen versehentlich in die Hände zu fallen und erreichte schließlich die große Mauer.
Gute hundert Yards rechts von mir lag jenes Tor, aus dem offensichtlich die Truppen erwartet wurden; wenn ich es jedoch erreichen wollte, mußte ich mich an der Flanke der Grünen entlangbewegen, und da konnten sie mich natürlich beobachten. Mein Plan, die Kaolianer zu warnen, wäre damit sicher durchkreuzt worden, und deshalb entschied ich mich für die linke Seite, wo in etwa einer Meile Entfernung ein weiteres Tor in die Stadt führte.
Ich wußte, daß das Wort, das ich brachte, der beste Paß für Kaol sein würde, und ich muß zugeben, daß meine Vorsicht eher auf meinen dringenden Wunsch, in die Stadt zu kommen, zurückzuführen war als auf den, einen Zusammenstoß mit den Grünen zu vermeiden. Ich liebe den Kampf, und ich kann mich auch nicht immer zurückhalten, aber jetzt hatte ich gewichtigere Dinge zu bedenken als die, wie ich das Blut fremder Krieger vergießen konnte.
Konnte ich hinter die Stadtmauern gelangen, dann mußte sich auch in der allgemeinen Verwirrung und Aufregung wegen der Invasionsversuche der Grünen eine Möglichkeit finden lassen, zum Palast des Jeddak zu kommen, wo Matai Shang und seine Gruppe sicher Quartier erhalten hatten.
Doch kaum hatte ich hundert Schritte zum weiter entfernten Tor getan, als das Stampfen marschierender Truppen, das Klirren von Metall und das Quieken der Thoats jenseits der Stadtmauer mir sagten, daß sich die Kaolianer schon zum anderen Tor bewegten. Nun durfte ich keine Zeit mehr verlieren. Im nächsten Moment konnte sich schon das Stadttor öffnen, um die Truppenspitze auf die vom lauernden Tod gesäumte Straße hinauszuschicken.
Ich kehrte also zu dem gefährdeten Tor um, rannte in riesigen Sprüngen die Lichtung entlang und bediente mich wieder einmal meiner irdischen Muskelkraft, die mich gleich zu Anfang auf Barsoom berühmt gemacht hatte. Für einen kräftigen, gestählten Erdenmann sind Sprünge von hundert Fuß Weite auf dem Mars keine Unmöglichkeit.
Die Grünen, an denen ich entlangrannte, starrten mich erst entgeistert an; dann war natürlich das ganze Geheimnis gelüftet, und nun versuchten mich einige der Krieger aufzuhalten und mir den Weg zum Tor abzuschneiden.
Und schon schwang auch das große Portal auf. Die Truppenspitze der Roten erschien. Etwa ein Dutzend Grüne hatten inzwischen einen Punkt zwischen mir und dem Tor erreicht, aber die meisten wußten kaum etwas davon, wen sie aufzuhalten versuchten. Ohne meine Geschwindigkeit auch nur um eine Spur herabzusetzen, tat ich einen Satz mitten unter sie, und als die ersten unter meinen Schwertstreichen fielen, erinnerte ich mich der zahlreichen Kämpfe, die ich Schulter an Schulter mit Tars Tarkas, Jeddak von Thark, dem mächtigsten und tapfersten aller grünen Männer auf dem Mars, durchgestanden hatte. Wir hatten gemeinsam unsere Feinde niedergemäht, bis deren Leichen höher sich türmten, als ein stattlicher Mann groß war.
Als mir unmittelbar vor dem geschnitzten Stadttor von Kaol ein paar von ihnen zu nahe kamen und ich mit meinem Schwert nicht mehr richtig ausholen konnte, sprang ich einfach über ihre Köpfe hinweg und bediente mich der Taktik der grausamen, häßlichen Baummänner vom Tal Dor, indem ich auf die Köpfe meiner Feinde einschlug, als ich über sie hinwegsetzte.
Aus der Stadt stürmten die Roten Krieger heraus, und aus dem Dschungel kamen die Grünen, und ich befand mich mitten im schönsten, blutigsten Kampf, den man sich nur vorstellen konnte. Diese Kaolianer sind tapfere, edle Kämpfer, und die grünen Marsmänner der Äquatorialzonen sind keine Spur weniger kriegerisch als ihre kalten, grausamen Verwandten der gemäßigten Zone. Gar manchmal hätte sich eine Gelegenheit für beide Seiten geboten, sich ehrenvoll aus diesem Kampf zurückzuziehen, um die Feindseligkeiten zu beenden, aber keine der beiden Seiten gab nach. Ich hatte eigentlich nur mit einem kleinen Scharmützel gerechnet, aber das schien sich nun zu einer Schlacht auszuwachsen, die mit der völligen Vernichtung mindestens der einen Seite enden würde.
Nachdem nun einmal die Kampfeslust in mir geweckt war, machte mir dieser Blitzkrieg auch ungeheuren Spaß. Die Kaolianer klatschten mir wiederholt Beifall, wenn mir wieder ein besonders glücklicher Schwertstreich gelungen war.
Es mag manchmal den Anschein haben, als bilde ich mir auf meine kämpferischen Fähigkeiten zuviel ein; man möge es mir deshalb nachsehen, weil ja der Kampf mein Lebensberuf ist. Ist man dazu berufen, Pferde zu beschlagen oder Bilder zu malen und kann man das besser tun als andere, die Pferde beschlagen oder Bilder malen, dann wäre man ein Narr, nicht darauf stolz zu sein. Deshalb bin auch ich stolz darauf zu wissen, daß auf den beiden Planeten kein größerer Kämpfer je gelebt hat als John Carter, Prinz von Helium. An diesem Tag übertraf ich mich selbst, denn ich wollte einen Weg zu den Herzen – und zur Stadt – der Kaolianer gewinnen. Ich wurde auch nicht enttäuscht.
Wir fochten, bis die Straße rot vom Blut und mit Leichen gepflastert war. Der Kampf wogte hin und her, aber das Stadttor von Kaol war nie wirklich in Gefahr.
Ab und zu war mir eine winzige Atempause vergönnt, und da konnte ich mit den Kaolianern, die neben mir fochten, ein paar Worte wechseln. Einmal legte mir der Jeddak Kulan Tith persönlich die Hand auf die Schulter und fragte mich nach meinem Namen.
»Ich bin Dotar Sojat«, erwiderte ich, denn ich erinnerte mich des Namens, den mir vor vielen Jahren die Tharks verliehen hatten nach den beiden ersten ihrer Krieger, die ich getötet hatte. Das ist dort so Sitte.
»Du bist ein mächtiger Krieger, Dotar Sojat«, sagte er zu mir, »und wenn dieser Tag vorüber ist, werde ich wieder mit dir im großen Audienzsaal sprechen.«
Dann ging der Kampf wieder weiter, und wir wurden getrennt, aber mein Herzenswunsch war der Erfüllung nahe. Mit frischem Eifer und fröhlicher Seele schwang ich mein Langschwert, bis der letzte grüne Krieger genug davon hatte und sich durch den Wald zu seinen Seegründen zurückzog.
Erst als der Kampf vorüber war, erfuhr ich, weshalb die Truppen der Roten an diesem Tag auszogen. Kulan Tith schien den Besuch eines mächtigen Jeddak aus dem Norden zu erwarten, einen starken und den einzigen Verbündeten der Kaolianer, und es war sein Wunsch gewesen, den Verbündeten eine volle Tagesreise von Kaol entfernt zu empfangen.
Jetzt war natürlich der Marsch der Begrüßungstruppe verzögert worden, und erst am folgenden Morgen konnten die Krieger erneut aufbrechen. Man hatte mich nach dem Kampf nicht zu Kulan Tith gebeten, doch er hatte einen Offizier geschickt, der mich suchen und zu einem bequemen Quartier bringen sollte, welches in jenem Teil des Palastes lag, der für die Offiziere der königlichen Garden reserviert war.
Dort verbrachte ich zusammen mit Wula eine behagliche Nacht und erhob mich am Morgen gestärkt und erfrischt nach den Mühen der vergangenen Tage. Wula hatte mir im gestrigen Kampf energisch beigestanden, und der Instinkt und das Training der marsischen Kriegshunde hatte sich wieder einmal als äußerst nützlich erwiesen. Die grünen Horden von den Seegründen hielten sich meistens große Meuten dieser Tiere.
Selbstverständlich waren auch wir beide nicht ganz unbeschädigt durch den Kampf gekommen, aber die wunderbaren Heilsalben der Barsoomianer hatten genügt, uns über Nacht so gut wie neu zu machen.
Ich frühstückte zusammen mit mehreren Offizieren, die sehr höfliche und aufmerksame Gastgeber waren, etwa so wie die Edlen von Helium, die berühmt sind für ihre ausgezeichnete Erziehung und ihre blendenden Manieren. Das Mahl war noch nicht zu Ende, als ein Bote von Kulan Tith ankam, um mich zu ihm zu bringen.
Der Jeddak stand auf, als ich den Audienzsaal betrat und stieg von der Estrade herunter, auf welcher der herrliche Thron stand. Er ging mir sogar entgegen, und das ist eine ganz ungeheure Ehre, die sonst nur anderen Regenten erwiesen wird.
»Kaor, Dotar Sojat!« begrüßte er mich. »Ich habe dich zu kommen gebeten, weil ich dir den Dank der Leute von Kaol aussprechen will. Hättest du in deiner heroischen Tapferkeit uns nicht gewarnt, dann wären wir ganz bestimmt in die ausgelegte Falle gegangen. Erzähle mir mehr von dir selbst. Aus welchem Land kommst du, und was brachte dich an den Hof von Kulan Tith?«
»Ich komme aus Hastor«, antwortete ich, und das war nicht einmal eine Lüge, denn in dieser südlichen Stadt, die zum Staatsgebiet von Helium gehört, besaß ich einen kleinen Palast.
»Eigentlich bin ich rein zufällig im Land Kaol, da mein Flieger am südlichen Rand eures großen Forstes abstürzte und zerschellte. Als ich mich der Stadt näherte, um Eingang zu finden, entdeckte ich die im Hinterhalt lauernden grünen Horden, die auf deine Truppen warteten.«
Wenn Kulan Tith sich wunderte, welches Geschäft mich in einem Flieger zum Rand seiner Länder geführt haben mochte, so ließ er sich das nicht anmerken und bestand auch nicht auf einer Erklärung, die ich ihm gar nicht gerne gegeben hätte.
Während meiner Audienz beim Jeddak betrat hinter mir eine andere Gruppe den Saal, so daß ich deren Gesichter nicht sehen konnte. Kulan Tith ging an mir vorbei, um sie zu begrüßen und lud mich ein, ihm zu folgen, damit er mich den anderen vorstellen könne. Ich drehte mich also um und hatte die größte Mühe, mein Mienenspiel unter Kontrolle zu halten, denn vor mir standen meine intimsten Erzfeinde Matai Shang und Thurid, die aufmerksam Kulan Tiths Lobreden auf mich lauschten.
»Heiliger Hekator der Heiligen Therns«, sagte der Jeddak, »schütte deinen Segen aus über Dotar Sojat, den tapferen Fremden aus dem fernen Hastor, dessen großartiger Heldenmut und wunderbarer Kampfgeist gestern die Stadt Kaol gerettet hat.«
Matai Shang trat vor und legte mir eine Hand auf die Schulter. Nichts in seinem Gesicht ließ erkennen, daß er wußte, wer ich war. Meine Maskierung schien gut zu sein.
Er sprach sehr freundlich mit mir und stellte mich Thurid vor. Auch der Schwarze ließ sich anscheinend täuschen. Dann unterhielt sie Kulan Tith zu meinem geheimen Vergnügen mit Einzelheiten meiner Taten auf dem Schlachtfeld.
Was ihn am meisten beeindruckt zu haben schien, war meine ungewöhnliche Beweglichkeit, und er beschrieb genau und in allen Einzelheiten die Sprünge, mit denen ich über meine Gegner hinwegsetzte, wie ich ein paarmal dabei den Feinden die Schädel gespalten hatte, wenn ich mitten im Sprung mein Langschwert schwang. Ich glaubte zu bemerken, daß Thurids Augen sich ein paarmal während dieser Erzählung weiteten, und einigemale ertappte ich ihn sogar dabei, wie er mich aus zusammengekniffenen Augen musterte. Vermutete er schon etwas? Und dann erzählte Kulan Tith auch von dem wilden Kalot, der zusammen mit mir gekämpft habe, und nun keimte auch in Matai Shangs Augen Mißtrauen auf. Oder bildete ich mir das nur ein?
Gegen Ende der Audienz kündigte Kulan Tith an, daß er meine Begleitung wünsche, wenn er nun seinem königlichen Gast entgegenreite. Als ich zusammen mit einem Offizier schied, der mich mit einem passenden Harnisch und einem geeigneten Reittier versorgen sollte, schienen beide ihr ehrliches Vergnügen, mich kennengelernt zu haben, auszudrücken. Ich verließ den Saal allerdings mit einem Seufzer der Erleichterung und versuchte mich selbst davon zu überzeugen, daß es nur mein schlechtes Gewissen war, das mich glauben machte, einer meiner Feinde könne mich erkannt haben.
Eine halbe Stunde später ritt ich mit der Begleittruppe von Kulan Tith zum Stadttor hinaus, um seinen Freund und Verbündeten einzuholen. Obwohl ich Augen und Ohren während meiner Audienz mit dem Jeddak und auf meinen verschiedenen Wegen durch den Palast weit offen hielt, hatte ich von Dejah Thoris oder Thuvia von Ptarth nichts gesehen oder gehört. Sie mußten sich aber irgendwo in diesem riesigen Palast befinden, und ich hätte viel dafür gegeben, wäre es mir möglich gewesen, während Kulan Tiths Abwesenheit den Palast nach ihnen abzusuchen.
Gegen Mittag trafen wir auf die Spitze der Kolonne, die zu treffen wir ausgezogen waren.
Es war ein großartiger Zug, der den ankommenden Jeddak begleitete, und meilenweit erstreckte er sich über die weiße, breite Straße nach Kaol. Die mit Juwelen und Gold besetzten Waffenriemen der berittenen Truppe glitzerten im Sonnenlicht, und dann kamen tausend großartige Wagen, die von prächtig geschmückten Zitidars gezogen wurden.
Diese niederen, sehr bequemen Wagen fuhren immer zu zweit nebeneinander, und links und rechts von ihnen marschierten dichte Reihen berittener Krieger, denn die Wagen waren mit den Frauen und Kindern des königlichen Gefolges besetzt. Auf dem Rücken eines jeden Zitidar ritt ein junger Edler, und da diese Tiere ungeheuer groß sind, war dies ein äußerst eindrucksvolles Bild. Ich mußte an meine allerersten Tage auf Barsoom denken, die nun schon zweiundzwanzig Jahre zurückliegen, damals hatte ich das wundervolle Schauspiel der Karawanen der grünen Horden von Thark zum erstenmal erlebt. Noch nie vorher hatte ich Zitidars im Dienst Roter Männer gesehen. Diese Tiere sind eine Art Mastodons, die selbst neben den sehr großen Grünen riesig wirken; die Thoats erscheinen neben ihnen ziemlich klein und bescheiden. Wenn dann noch ein relativ kleiner Roter Mann darauf sitzt, dann wirken diese Tiere noch wesentlich größer, als sie schon sind.
Die Tiere waren reich mit Juwelen geschmückt, und die Sattelpolster bestanden aus bunten, wunderbar bestickten Seiden, die zusätzlich noch mit Diamant-, Perl-, Rubin- und Smaragdschnüren verziert waren, von den zahllosen anderen auf dem Mars heimischen kostbaren Steinen ganz zu schweigen. Und jeder Wagen führte eine ganze Anzahl Standarden, Flaggen und Fähnlein mit sich, die fröhlich im Wind flatterten.
Vor dem Wagen ritt ganz allein auf einem reinweißen Thoat – diese sind äußerst selten – der Jeddak, der zu Besuch kam. Nach den Wagen kamen in nicht enden wollenden Reihen berittene Speerträger, Flintenschützen und Schwertkämpfer. Es war ein ungemein eindrucksvolles Schauspiel.
Der ganze Zug bewegte sich fast lautlos voran; nur ab und zu klirrte Metall, quiekte ein zorniges Thoat und brummte kehlig ein Zitidar. Weder Thoat noch Zitidar haben Hufe, sondern breite Pfoten mit dicken Ballen, und um die breiten Wagenräder liegt ein elastisches Material, das keinerlei Lärm macht.
Ab und zu war das fröhliche Lachen einer Frau oder etwas Kindergeschrei zu hören, denn die Roten Marsmenschen sind ein geselliges, vergnügtes Volk – ganz anders als die kalte, morbide Rasse der grünen Krieger.
Die Zeremonien der Begegnung dieser beiden Jeddaks dauerten eine volle Stunde, und dann kehrten wir nach Kaol zurück, das die Spitze der Kolonne gerade noch vor Anbruch der Nacht erreichte. Es muß aber schon fast Morgen gewesen sein, bis die letzten Reiter der Nachhut das Tor passierten.
Zum Glück ritt ich mit an der Spitze der Truppe, und nach dem großen Bankett, an dem ich zusammen mit den Offizieren der königlichen Garde teilnahm, stand es mir frei, mich zur Ruhe zurückzuziehen. Die ganze Nacht hindurch herrschte ein reges Kommen und Gehen im Palast, und das war weiter nicht verwunderlich, da ständig hohe Offiziere aus dem Gefolge des Jeddaks eintrafen. Bei dieser Betriebsamkeit konnte ich es mir nicht erlauben, auf die Suche nach Dejah Thoris zu gehen, und so kehrte ich, sobald es mir angemessen erschien, in mein Quartier zurück.
Als ich die Korridore zwischen der Banketthalle und den Wohnräumen, die mir zugewiesen waren, entlangschritt, hatte ich plötzlich das Gefühl, überwacht zu werden. Blitzschnell drehte ich mich um und sah gerade noch eine Gestalt, die durch eine offene Tür verschwand. Ich lief schnell dorthin zurück, wo dieser Beschatter verschwunden war, konnte aber keine Spur von ihm entdecken; ich hätte jedoch schwören mögen, ein weißes Gesicht gesehen zu haben, über dem eine dichte gelbe Perücke sich auftürmte.
Nun hatte ich allerhand nachzudenken und zu überlegen. Hatte ich mich nämlich nicht getäuscht – das erschien mir unwahrscheinlich –, dann mußten mich Matai Shang und Thurid erkannt haben, oder sie waren wenigstens mißtrauisch geworden. Stimmte das, dann konnte mich nicht einmal mehr der Dienst, den ich Kulan Tith erwiesen hatte, vor diesen Religionsfanatikern retten.
Ich ließ mich allerdings nie von furchtsamen Überlegungen und düsteren Ausblicken in die Zukunft sehr beeindrucken und schon gar nicht im Schlaf stören. Kaum hatte ich mich auf meinen Schlafseiden und Pelzen zur Ruhe gelegt, da fiel ich auch schon in einen tiefen, traumlosen Schlummer.
Kalots sind innerhalb der Palastmauern nicht gestattet, und so hatte ich den armen Wula im Stall zurückzulassen, in dem die königlichen Thoats gehalten werden. Er war geradezu luxuriös untergebracht, aber ich hätte viel dafür gegeben, wäre er bei mir gewesen. Dann wäre auch das nicht passiert, was in jener Nacht noch geschah. Ich konnte noch gar nicht lange geschlafen haben, als ich ganz plötzlich davon aufwachte, daß mir etwas Kaltes, Feuchtes über die Stirn strich. Sofort sprang ich auf und griff in jene Richtung, in die das Ding verschwunden sein mußte. Meine Hand berührte für einen Moment menschliches Fleisch. Dann tat ich einen Satz, um meinen ungebetenen Besucher festzuhalten, aber in der Dunkelheit verfing sich mein Fuß in den Schlafseiden, und ich stürzte der Länge nach zu Boden.
Als ich wieder auf die Beine kam und den Lichtknopf fand, war mein Besucher schon verschwunden. Sorgfältig durchsuchte ich den ganzen Raum, fand jedoch nichts, was auf die Person des nächtlichen Gastes oder ihre Absichten schließen ließ.
An die Absicht, etwas zu stehlen, konnte ich nicht glauben, da es Diebe auf Barsoom kaum gibt. Mord ist dagegen an der Tagesordnung, aber wenn ein Besucher vorgehabt hätte, mich zu ermorden, dann hätte er genug Zeit und Gelegenheit gehabt.
Ich gab schließlich die fruchtlose Suche auf und wollte mich wieder schlafen legen, als etwa ein Dutzend kaolinischer Wächter meine Wohnung betraten. Der leitende Offizier war mein liebenswürdiger Gastgeber vom Morgen, aber jetzt drückte seine Miene keine freundschaftlichen Gefühle mehr aus.
»Kulan Tith befiehlt dein Erscheinen vor ihm«, sagte er. »Komm!«