14. Die Wogen des Kampfes

Aber Solans letzter lauter Schrei war nicht ganz zwecklos gewesen. Einen Moment später barst eine Gruppe von mindestens zehn Mann Palastwachen in den Raum. Es war mir gerade noch gelungen, den Schalter soweit zu verderben, daß man ihn nicht so ohne weiteres mehr in die alte Stellung zurückdrehen konnte. Der Magnet der Zerstörung war also mindestens für einige Zeit unwirksam gemacht. Die Ankunft der Palastwachen hatte mich gezwungen, mich im erstbesten Korridor zu verstecken, den ich erreichen konnte, aber leider war es keiner von denen, die ich schon kannte.

Die Soldaten mußten gehört oder gesehen haben, wohin ich verschwunden war, denn ich war erst ein kurzes Stück weitergekommen, als ich Verfolger hinter mir hörte. Ich hatte keine Lust, mich mit einem Kampf gegen diese Männer aufhalten zu lassen, da doch überall in der ganzen Stadt Kadabra Kämpfe stattfanden, mit denen für meine Leute und mich viel mehr erreicht werden könnte, als mit dem nutzlosen Abschlachten dieser Männer in einem Korridor unter dem Palast.

Sie kamen mir aber immer näher und kannten ja auch den Weg. Bald mußten sie mich also einholen, außer ich fand einen Platz, an dem ich mich verstecken konnte, bis sie vorüber waren. Dann konnte ich auf dem kürzesten Weg entweder zum Turm zurückkehren, oder auch einen Ausgang zur Stadt finden.

Der Korridor war sehr steil angestiegen, verlief aber nun eben, gerade und hell erleuchtet soweit ich sehen konnte. Sobald meine Verfolger dieses gerade Stück erreichten, sahen sie mich ja, und ich hatte keine Aussicht mehr, ihnen unentdeckt zu entkommen.

Zum Glück entdeckte ich eine ganze Reihe von Türen, die an beiden Korridorseiten lagen, und alle sahen gleich aus. Ich versuchte es mit der ersten Tür, durch die ich in ein kleines, sehr luxuriös eingerichtetes Zimmer kam; es schien das Vorzimmer eines Audienzsaales oder eines anderen offiziellen Raumes zu sein.

Dieser Tür gegenüber war eine andere Tür, an der schwere Vorhänge hingen. Dahinter vernahm ich das Summen von Stimmen. Ich huschte sofort hinüber, schob die Vorhänge auseinander und schaute in einen großen Raum hinein.

Etwa fünfzig prächtig gekleidete Edelmänner und Hofleute standen vor dem Thron, auf dem Salensus Oll saß. Der Jeddak der Jeddaks sprach zu den Edelleuten:

»Die Stunde ist nun gekommen, und wenn auch die Feinde in den Mauern Okars sind, so wird doch nichts und niemand Salensus Oll daran hindern können, seinen Willen durchzusetzen. Die große Zeremonie muß entfallen, damit nicht ein Mann unnötig der Verteidigung entzogen wird. Nur die fünfzig Edelleute, welche von unseren Gebräuchen vorgeschrieben sind, werden Zeugen sein dafür, daß Okar eine neue Königin erhält.

Diese kleine Zeremonie wird uns nicht lange aufhalten, so daß wir in den Kampf zurückkehren können. Sie, die jetzt noch die Prinzessin von Helium ist, wird dann vom Turm der Königin herabschauen und Zeugin der Niederlage ihrer früheren Landsleute werden. Dann wird sie erst die Größe ihres Gatten erkennen.«

Nun wandte er sich an einen Höfling, dem er etwas zuflüsterte. Der Mann eilte zu einem kleinen Tor am entgegengesetzten Ende des Raumes und öffnete es weit. »Weg frei für Dejah Thoris, die künftige Königin von Okar!« rief er laut.

Zwei Mann der Leibgarde erschienen, welche die unfreiwillige Braut zum Altar zerrten. Ihre Hände waren ihr noch am Rücken gefesselt, damit sie keinen Selbstmordversuch unternehmen konnte. Ihr Haar war ungeordnet und ihr Busen wogte. Offensichtlich hatte sie sich trotz der Fesselung erbittert zur Wehr gesetzt.

Als Salensus Oll sie sah, stand er auf und zog sein Schwert. Die Schwerter der fünfzig Edelleute flogen aus den Scheiden und formten einen Bogen, unter dem die arme, schöne Dejah Thoris in ihr Verhängnis gezerrt wurde.

Ein grimmiges Lächeln umspielte meine Lippen, als ich an das rauhe Erwachen dachte, das dem Herrscher von Okar bevorstand, und es juckten mir die Finger, die um den Knauf meines Schwertes lagen. Die Prozession bewegte sich langsam dem Thron entgegen. Sie bestand nur aus ein paar Priestern, die Dejah Thoris und den beiden Leibwächtern folgten. Ich bemerkte auch flüchtig ein schwarzes Gesicht, das zwischen den Portieren durchspähte, welche die Wand hinter der Estrade schmückten, auf der Salensus Oll seine Braut erwartete.

Die Leibwächter zerrten nun die Prinzessin von Helium die wenigen Stufen zur Estrade hinauf und hielten sie neben dem Tyrannen von Okar fest. Ich sah natürlich nur noch meine geliebte Dejah Thoris und sonst nichts mehr. Ein Priester öffnete ein Buch, hob eine Hand und begann den Singsang eines Rituals. Salensus Oll griff nach der Hand seiner Braut.

Ich hatte erst beabsichtigt, solange zu warten, bis mir die Umstände ein erfolgreiches Eingreifen ermöglichten, denn auch dann, wenn die Zeremonie vollendet wurde, hatte sie keine Gültigkeit, solange ich lebte. Was mir am meisten am Herzen lag, war selbstverständlich Dejah Thoris’ Rettung, und ich wollte sie, falls irgendwie möglich, aus dem Palast von Salensus Oll wegbringen. Im Grund war es unwichtig, ob dies vor oder nach der ja doch ungültigen Zeremonie geschah. Als ich jedoch sah, daß Salensus Oll seine lasterhafte Hand nach meiner geliebten Prinzessin ausstreckte, konnte ich mich nicht mehr zurückhalten. Ehe die Edlen von Okar auch nur ahnten, was geschah, sprang ich schon mit einem großen Satz auf die Estrade vor Dejah Thoris und Salensus Oll.

Mit dem flachen Schwert schlug ich seine brutale Hand weg, packte Dejah Thoris um die Taille und schwang sie hinter mich. Ich stand nun mit dem Rücken zu den Portieren der Estrade und hatte vor mir den Tyrannen des Nordens und seine edlen Krieger.

Der Jeddak der Jeddaks war ein Berg von einem Mann, ein häßlicher, dicker, brutaler Kerl, und er stand wie ein Turm vor mir. Sein schwarzer Schnurrbart sträubte sich vor Wut, und ich kann mir recht gut vorstellen, daß ein weniger erfahrener Krieger als ich vor ihm zitterte.

Knurrend sprang er mir mit dem gezogenen Schwert entgegen, aber ich konnte nie herauskriegen, ob Salensus Oll ein tüchtiger Schwertkämpfer war oder nicht, denn mit Dejah Thoris hinter meinem Rücken war ich kein Mensch mehr, sondern ein Supermensch, und da hätte mir keiner mehr widerstehen können.

»Für die Prinzessin von Helium!« rief ich und stieß meine Klinge kraftvoll durch das verrottete Herz von Okars verrottetem Herrscher, und vor den Augen seiner erblaßten Edlen rollte Salensus Oll, im Tod schauerlich grinsend, die Stufen hinunter, die von seinem Hochzeitsthron auf der Estrade in den Saal führten.

Gespanntes Schweigen herrschte im Hochzeitsraum. Dann drangen die fünfzig Edelleute auf mich ein. Es war ein furioser Kampf, aber der Vorteil war auf meiner Seite. Ich stand ja oben auf der Estrade und focht für die großartigste Frau aus einer glorreichen Rasse, und ich kämpfte um eine große Liebe und die Mutter meines Sohnes. Hinter meiner Schulter vernahm ich die silberne Stimme meiner Liebsten; sie sang die ruhmreiche Hymne von Helium, welche die Frauen singen, wenn ihre Männer ausziehen, um zu siegen. Das allein genügte, um meinen Siegeswillen anzufeuern, und wäre die Übermacht der anderen noch größer gewesen, als sie schon war! Ich bin ganz ehrlich davon überzeugt, daß ich diesen ganzen Hochzeitsraum voll Gelber Krieger an jenem Tag ganz allein besiegt und erledigt hätte, wäre nicht etwas für mich Hilfreiches geschehen. Immer wieder sprang einer der Edlen aus Salensus Olls Gefolge die Stufen zur Estrade hinauf, und der Kampf war heftig und erbittert. Aber immer fiel er wieder zurück, getroffen von einem Schwert, das seit dem Duell mit Solan Zauberkräfte zu haben schien. Zwei drängten sich so nahe an mich heran, daß ich mich kaum zu rühren vermochte. Da hörte ich eine Bewegung hinter mir, und nun bemerkte ich auch, daß die Hymne von Helium nicht mehr gesungen wurde. Machte sich Dejah Thoris bereit, neben mir zu kämpfen? Heroische Tochter einer heroischen Welt! Es sähe ihr tatsächlich ähnlich, wenn sie ein Schwert nahm und an meiner Seite kämpfte. Wenn auch die Frauen vom Mars nicht in den Kriegskünsten unterwiesen und geschult werden, so ist ihnen der Kampfgeist doch angeboren, und man weiß von zahllosen Gelegenheiten, bei denen Frauen unerschrocken neben ihren Männern gekämpft haben.

Sie kam jedoch nicht, und ich war froh darüber, denn ich hätte sie ja beschützen und gleichzeitig gegen eine Übermacht fechten müssen. Es wäre mir ja doch nichts anderes übrig geblieben, als sie aus der Kampfzone zurückzuschicken. Ich dachte, sie plante wohl etwas ganz besonders Schlagkräftiges und kämpfte also weiter in dem sicheren Bewußtsein, daß meine geliebte Prinzessin hinter mir stand. Mindestens eine halbe Stunde muß ich so gekämpft haben, und noch immer war es keinem gelungen, auch nur einen Fuß auf die Estrade zu setzen, auf der ich stand. Aber dann formten sich die Männer unter mir zu einer letzten, verzweifelten Attacke. Als sie jedoch begannen, auf mich einzudringen, wurde die Tür am anderen Ende aufgerissen, und ein vor Schreck verstörter Bote rannte herein.

»Der Jeddak der Jeddaks!«schrie er. »Wo ist der Jeddak der Jeddaks? Die Stadt ist gefallen unter dem Ansturm der Horden von jenseits der Barriere, und jetzt ist auch das große Palasttor gestürmt worden, so daß die Krieger des Südens in die geheiligten Räume eindringen. Wo ist Salensus Oll? Er allein kann den schwindenden Mut unserer Krieger wieder anfeuern. Er allein kann uns und Okar retten. Wo ist Salensus Oll?«

Die Edlen traten von der Leiche ihres Herrschers zurück, und einer von ihnen deutete auf das im Tod noch grinsende Gesicht. Der Bote taumelte vor Entsetzen zurück, als habe ihm jemand einen Schlag ins Gesicht versetzt.

»Dann flieht, Edle von Okar!« rief er. »Denn nichts kann euch mehr retten! Ha! Sie kommen!«

Während er noch sprach, vernahmen wir schon das tiefe Röhren vieler zorniger Stimmen auf dem Korridor, dann das Klirren von Metall und von Schwertern.

Ohne mich, den Zuschauer dieses traurigen Schauspiels, noch einmal anzuschauen, wirbelten die Edlen herum und flohen durch einen anderen Ausgang.

Fast im selben Moment erschien eine Truppe Gelber Krieger aus dem Korridor, durch den der Bote gekommen war. Sie zogen sich kämpfend in das Hochzeitsgemach zurück und leisteten einer Handvoll Roter Krieger erbitterten Widerstand, die sie langsam aber unaufhaltsam weitertrieben.

Von meinem erhöhten Platz auf der Estrade hatte ich einen recht guten Überblick. Sofort erkannte ich meinen alten Freund Kantos Kan. Er führte den kleinen Trupp an, der sich bis ins Herz des Palastes von Salensus Oll durchgekämpft hatte.

Sofort wurde ich mir darüber klar, daß ich jetzt die Okarianer nur von hinten anzugreifen brauchte, um sie völlig zu verwirren, so daß sie ihren Widerstand recht schnell aufgeben müßten. Mit diesem Gedanken sprang ich von der Estrade herunter, warf ein Wort der Erklärung für Dejah Thoris über die Schulter, schaute mich aber nicht um.

Für sie, die nun allein neben dem Thron stand, gab es keine Gefahr mehr, denn zwischen ihr und dem Feind stand ich, und Kantos Kan gewann mit seinem Häuflein Getreuer schnell an Boden.

Ich wollte, daß mich die Männer von Helium sahen und daß sie auch wußten, daß die Prinzessin Dejah Thoris hier war. Ich wußte ja, daß diese Gewißheit sie zu den unwahrscheinlichsten Taten anfeuern würde, obwohl es schon unwahrscheinlich genug war, daß diese paar Leute in das Herz des uneinnehmbaren Palastes des Tyrannen des Nordens vorgedrungen waren.

Ich querte den Raum, um die Kadabraner von rückwärts anzugreifen. Da ging links von mir eine Tür auf, und unter ihr erschienen Matai Shang, der Vater der Therns und Phaidor, seine Tochter, die in das Hochzeitsgemach hereinspähten.

Sie taten nur einen schnellen Blick. Entsetzt sahen sie den Leichnam von Salensus Oll, dessen Blut den Boden rot gefärbt hatte, und sie sahen auch die zahlreichen Leichen der Edlen, die im Kampf mit mir gefallen waren, und dann beobachteten sie ein paar Augenblicke lang den Kampf, der an der anderen Tür sich abspielte.

Sie versuchten nicht einmal den Saal zu betreten, sondern schauten nur schnell in alle Ecken. Plötzlich veränderte sich die Miene von Matai Shang zu einer Maske kalter Wut, und Phaidors Lippen umspielte ein kaltes, spöttisches Lächeln.

Dann waren sie wieder verschwunden, aber ich hörte noch, wie Phaidor höhnisch lachte.

Den Grund von Matai Shangs Wut oder Phaidors höhnischer Freunde begriff ich nicht, nur das eine wußte ich, daß beides nichts Gutes für mich zu bedeuten hatte.

Im nächsten Augenblick hockte ich schon auf den Rücken der Gelben Männer, und als die Roten Männer von Helium mich über den Schultern ihrer Feinde sahen, ertönte ein gewaltiger Kampfschrei, in dem jeder andere Lärm unterging.

»Für den Prinzen von Helium!« schrien sie. Und wie hungrige Löwen über ihre Beute herfallen, so fielen sie voll neugestärkter Kampfeslust über die nun allmählich schwächer werdenden Krieger des Nordens her.

Die Gelben standen nun zwischen zwei Feinden und kämpften mit der Verzweiflung der Hoffnungslosen. An ihrer Stelle hätte ich ebenso gekämpft, wenn auch nur aus dem Grund, daß ich möglichst viele Feinde mitnehmen wollte, wenn ich selbst schon sterben müßte. Es war ein glorreicher Kampf, eine richtige Schlacht im Kleinformat. Der Ausgang schien ganz eindeutig festzustehen, als plötzlich aus dem Korridor hinter den Roten Kriegern eine große Formation Gelber heranstürmte.

Jetzt wendete sich das Blatt, und die Männer von Helium schienen jene zu sein, die zwischen zwei Mühlsteine geraten waren. Sie mußten sich jetzt den weit überlegenen Angreifern zuwenden, so daß ich mich den Resten der Gelben im Hochzeitsraum nun allein gegenüber sah.

Ich hatte alle Hände voll zu tun, und ich machte mir schon ernsthaft Gedanken darüber, ob ich sie wirklich alle erledigen könnte. Langsam drückten sie mich immer weiter in den Raum hinein, und dann schloß und verriegelte einer die Tür; aber damit hatten sie auch Kantos Kan und seine Männer ausgeschlossen.

Das war ein raffinierter Schachzug, denn nun war ich der Gnade von einem Dutzend Verzweifelter und Wütender ausgeliefert; ich konnte von nirgends her Hilfe erwarten, aber auch meine Freunde hatten keine Fluchtmöglichkeit, falls die neuen Gegner allzu übermächtig waren.

Ich habe aber schon viel schwierigere Situationen erfolgreich durchgestanden als an jenem Tag, und ich wußte auch, daß Kantos Kan sich mit seinem Häuflein Männer durch hundert gefährliche Fallen und mehr gekämpft hatte. Deshalb kam es mir gar nicht in den Sinn, verzweifelt zu sein.

Nur an Dejah Thoris mußte ich immer wieder denken, und ich sehnte mich nach der Minute, da der Kampf zu Ende war und ich sie nach so langer Zeit wieder einmal in die Arme schließen konnte. Und dann würde sie mir jene Liebesworte zuflüstern, die ich so viele Jahre hatte entbehren müssen.

Während des Kampfes hatte ich nicht einmal für einen flüchtigen Blick dorthin Zeit gehabt, wo ich sie vermutete. Ich wunderte mich allerdings darüber, daß sie mich nicht mehr anfeuerte und daß sie auch die Hymne von Helium nicht mehr sang. Mir genügte allerdings das Wissen, für sie zu kämpfen, denn das mobilisierte meine besten Kräfte.

Es wäre sehr ermüdend, alle Einzelheiten dieser blutigen Schlacht zu schildern, wie wir uns durch die ganze Länge des Saales kämpften, bis endlich zu Füßen des Thrones mein Schwert das Herz des letzten Gegners durchbohrte.

Mit einem Freudenschrei drehte ich mich um, streckte die Arme aus und wollte meine Prinzessin an meine Brust drücken, meine Lippen auf die ihren pressen und von ihr den süßen Lohn für die beschwerlichen Abenteuer empfangen, die ich allein ihretwegen bestanden hatte, als ich ihr vom Süd- zum Nordpol folgte.

Aber der Freudenschrei erstarb auf meinen Lippen, und meine Arme fielen schlaff und wie lahm herunter. Wie einer, der unter der Bürde der Sterblichen zusammenbricht, taumelte ich die Stufen zum Thron hinauf.

Dejah Thoris war verschwunden.

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