2. Unter den Bergen

Als wir so dem Fluß folgten, der sich unter den Goldenen Klipper aus den Eingeweiden der Berge von Otz windet, um sich mit der dunklen Wassern des grimmigen, geheimnisvollen Iss zu vermischen wurde das schwache Glühen vor uns allmählich zu einem uns alle einhüllenden Schimmer.

Der Fluß verbreiterte sich zu einem großen See, dessen gewölbte phosphoreszierende Decke mit blitzenden Diamanten, Rubinen, Saphiren und den unzähligen anderen Edelsteinen von Barsoom durchsetzt war; der größte Teil dieser prachtvollen Klippen besteht jedoch aus hochwertigem Gold.

Hinter dieser Seekammer lag Dunkelheit, und was wiederum dahinter lag, konnte ich nicht einmal ahnen.

Man hätte mich sofort entdeckt, wäre ich dem Boot der Therns über das schimmernde Wasser gefolgt, und so mußte ich in Kauf nehmen, daß mir Thurid für ein paar Augenblicke außer Sicht kam. Ich wartete also in den Schatten, bis das Boot die andere Seeseite erreicht hatte. Erst dann paddelte ich in die Richtung, die sie genommen hatten, doch als ich, wie mir schien, nach einer Ewigkeit die andere Seite erreichte, entdeckte ich, daß der Fluß aus einer sehr niederen Öffnung kam; ich mußte Wula befehlen, sich ganz flach ins Boot zu legen, und auch ich mußte mich zusammenkauern, um durchzukommen.

Fast sofort wurde das Dach wieder höher, doch nun war der Tunnel nicht mehr hell erleuchtet. Nur da und dort befand sich im Dach oder an den Wänden ein schwach phosphoreszierender Fleck, und davon ging nur ein vages Leuchten aus.

Wenig später kam ich in eine kleinere Kammer, in die sich drei Tunnels öffneten. Thurid und die Therns waren nirgends zu sehen. In welches dieser drei dunklen Löcher sollte ich nun vordringen? Ich hatte nicht den geringsten Anhaltspunkt, wohin sie verschwunden waren, und so wählte ich die mittlere Öffnung in der Hoffnung, sie bald wieder zu finden.

Hier war der Wasserlauf so schmal, daß ich in der pechschwarzen Dunkelheit bald links, bald rechts an die Felswand prallte, und außerdem war auch der Tunnel alles andere als gerade.

Wenig später hörte ich weit vorne ein tiefes, düsteres Röhren, das immer lauter wurde, je mehr ich mich ihm näherte; und dann dröhnte es auf einmal donnernd in meine Ohren, als ich nach einer scharfen Kurve in eine kurze Strecke schwachbeleuchteten Wassers kam. Direkt vor mir donnerte von oben herab ein riesiger Wasserfall, der die schmale Schlucht von einer Seite bis zur anderen füllte und einige hundert Fuß hoch war. Es war das großartigste Naturschauspiel, das ich je gesehen hatte.

Aber das Röhren in dieser unterirdischen Höhle war einfach betäubend, und hätte ich einen Ausweg gefunden, dann wäre ich schnellstens vor diesem Tumult geflohen. Aber hier gab es keinen Weiterweg, und daher konnten auch die Therns diesen Tunnel nicht benützt haben.

Nun hatte ich also ihre Spur verloren. Sie hatten jetzt soviel Vorsprung vor mir, daß ich sie, wenn überhaupt, kaum mehr rechtzeitig finden konnte.

Ich hatte einige Stunden gebraucht, um mir den Weg zum Wasserfall gegen eine starke Strömung zu erkämpfen, und es mußten noch weitere Stunden für den Rückweg vergehen, wenn ich da wahrscheinlich auch rascher vorankäme.

Mit einem tiefen Seufzer drehte ich also den Bug meines Bootes wieder in die andere Richtung, und mit kräftigen Paddelschlägen arbeitete ich mich so schnell es ging durch den engen, niederen Tunnel, bis ich wieder in die Kammer gelangte, von der die drei Wasserläufe ausgingen.

Nun hatte ich noch zwischen zwei Löchern zu wählen, und auch jetzt hatte ich nicht den kleinsten Anhaltspunkt dafür, welchen Weg ich einschlagen sollte.

Noch nie im Leben war ich so unentschlossen gewesen, und ich litt sehr an meinen Zweifeln, denn sie kosteten Zeit. Von der richtigen Wahl hing unendlich viel ab, und die Zeit wurde immer knapper. Die Stunden, die ich bereits eingebüßt hatte, konnten das Schicksal meiner unvergleichlichen Dejah Thoris besiegeln, wenn sie nicht schon tot war. Weitere Stunden nutzlos zu vertun, indem ich einer blinden Spur folgte, konnte fatal werden.

Ein paarmal versuchte ich in den rechten Tunnel vorzudringen, aber ein merkwürdiger Instinkt warnte mich, daß dies nicht der richtige Weg sei. Da ich die Erfahrung gemacht hatte, daß ich mich recht zuverlässig auf diesen Instinkt verlassen konnte, konzentrierte ich mich auf den linken Tunnel; doch auch hier hatte ich noch gewisse Zweifel. Immer wieder schaute ich hinüber zu den dunklen, rollenden Wassern aus dem rechten Tunnel, und dann musterte ich erneut den linken.

Und als ich so unentschlossen schaute, kam mir aus der undurchdringlichen Dunkelheit buchstäblich ein Fingerzeig entgegengeschwommen – auf dem Fluß tanzte die Schale einer der großen, saftigen Früchte des Sorapusbaumes.

Am liebsten hätte ich nun einen Schrei der Erleichterung ausgestoßen, denn dieser unvernünftige Botschafter, der an mir vorbeischwamm, sagte mir, daß die Marsianer, die ich suchte, vor mir auf diesem Flußarm waren. Sie hatten von dieser großartigen Frucht gegessen. Die Schale der Sorapusnuß ist groß und sehr hart, das Innere von köstlichem Wohlgeschmack. Die Schale hatten sie dann über Bord geworfen, und sie konnte von niemand anders stammen, als von diesen Leuten.

Ich ließ also jeden Gedanken an den linken Tunnel fahren, und wenige Augenblicke später drang ich in den rechten vor. Anfangs war er noch sehr schmal, doch er wurde bald breiter, und zahlreiche phosphoreszierende Flecken erhellten meinen Weg.

Ich kam eigentlich recht schnell vorwärts, obwohl ich mir dessen natürlich bewußt war, daß die, denen ich folgte, etwa einen Tag Vorsprung hatten. Seit dem vergangenen Tag hatte ich ebensowenig gegessen wie Wula, dem das allerdings wenig ausmachte, denn praktisch alle Tiere, die vom Grund der toten See stammen, können unglaublich lange Zeiten ohne jede Nahrung aushaken.

Leiden mußte ich aber auch nicht. Das Wasser des Flusses war süß und frisch, denn es war nicht von verwesenden Körpern verseucht wie der Iss, und zu essen brauchte ich nichts, da mich der Gedanke an meine geliebte Prinzessin über jedes körperliche Bedürfnis hinaushob.

Nach einiger Zeit wurde dieser Flußarm schmaler, die Strömung rascher und viel unruhiger; sie wurde bald so heftig, daß ich alle Mühe hatte, mit meinem Boot voranzukommen. Ich glaube, mehr als hundert Meter schaffte ich in der Stunde niemals, und als ich schließlich an eine starke Flußbiegung kam, sah ich vor mir eine ganze Reihe von Stromschnellen. Das Wasser schäumte und schien zu kochen. Mir wurde das Herz schwer. Die Schale der Sorapusnuß war also ein falscher Prophet gewesen, und meine Intuition, dem linken Flußlauf zu folgen, wäre wohl richtiger gewesen.

Wäre ich eine Frau gewesen, hätte ich wohl geweint, doch genützt hätte das auch nichts. Rechts von mir war ein großer, sich langsam bewegender Wirbel, der unter den überhängenden Felsen kreiste, und so ließ ich mein Boot, um meine angestrengten Muskeln ein wenig ausruhen zu lassen, in die Umarmung dieses Wirbels treiben. Die Enttäuschung war ein schwerer Schlag für mich, denn wieder brauchte ich einen halben Tag, um zu jener Kammer umzukehren und nun den dritten, den einzigen noch unerforschten Tunnel zu befahren. Welch höllisches Schicksal hatte mich vor drei Möglichkeiten gestellt, von denen zwei falsch sein mußten?

Zweimal prallte mein langsam im Wirbel treibendes Boot an den Felsen, und als es zum drittenmal leicht dort anstieß, vernahm ich ein anderes Geräusch – es war so, als scharre Holz an Holz. Sofort war ich hellwach. In diesem unterirdischen Fluß konnte es kein Holz geben, wenn es nicht von Menschenhand dorthin gebracht worden war. Als ich dieses Geräusch vernahm, schoß auch schon gleichzeitig meine Hand in jene Richtung, und eine Sekunde später griffen meine Finger um das Schanzdeck eines anderen Bootes. Wie versteinert saß ich eine Weile so da und lauschte angestrengt in die Stille; meine Augen bohrten sich in die tiefe Dunkelheit, um zu erkennen, ob das Boot besetzt war.

Es war natürlich möglich, daß sich Menschen an Bord befanden, die von meiner Nähe noch gar nichts ahnten, denn das Boot schabte mit einer Seite ein wenig an den Felsen, so daß die leichte Berührung durch mein Boot wahrscheinlich ganz unbemerkt blieb.

Da meine Augen die Dunkelheit nicht durchdringen konnten, lauschte ich um so angestrengter auf Atemzüge in meiner Nähe; außer dem Lärm der Stromschnellen vernahm ich jedoch nichts als das leise Scheuern der Boote und das leise Klatschen des Wassers an die Bootswände. Und nun überlegte ich, wie es meine Gewohnheit war, sehr schnell.

Am Boden meines eigenen Bootes hatte ich ein aufgerolltes Seil liegen. Das hob ich ganz leise auf, befestigte das eine Ende am Bronzering meines Buges und stieg leise auf das andere Boot hinüber. In einer Hand hatte ich das Seil, in der anderen hielt ich mein gutes Langschwert.

Mindestens eine volle Minute blieb ich bewegungslos dort stehen. Das Boot hatte unter meinem Gewicht ein wenig geschwankt, aber es war natürlich das scharrende Geräusch, das Aufmerksamkeit erregen mußte, falls sich jemand auf dem anderen Boot befand. Aber es geschah nichts, und dann tastete ich mich weiter und fand, daß das Boot verlassen war.

Nun griff ich an den Felsen, an dem das Boot verankert war und tastete mich auch hier weiter. Ich entdeckte eine schmale Felsleiste, die von jenen als Weg benutzt worden sein mußte, die vor mir gekommen waren. Selbstverständlich war ich überzeugt, daß es niemand anderer gewesen sein konnte als Thurid mit seiner Gruppe, denn das schloß ich aus der Größe und Form des Bootes.

Leise rief ich nach Wula, der sofort zu mir kam und hinter mir auf die schmale Felsleiste stieg. Das große wilde Tier lief lautlos wie auf Katzenpfoten und ebenso geschmeidig hinter mir her.

Als er durch das fremde Boot ging, das Thurid und die Therns gebracht hatte, knurrte er einmal tief und grollend. Dann stand er neben mir, und ich griff in seine Mähne, die sich vor Zorn sträubte. Wula muß wohl telepathisch die kürzliche Anwesenheit eines verhaßten Feindes gespürt haben, denn ich hatte mir nicht die geringste Mühe gegeben, ihn über die Natur jener, die wir verfolgten, aufzuklären oder ihm zu sagen, welchen Zweck unsere Reise hatte.

Ich sah natürlich ein, daß dies ein Versäumnis war, und so holte ich das Unterlassene eiligst nach, indem ich, wie es die grünen Marsmenschen mit ihren Tieren tun, ihn auf dem seltsamen und noch recht geheimnisvollen Weg telepathischer Gedankenübermittlung und unterstützt von wenigen Worten erklärte, daß wir der Spur jener folgen würden, die einige Zeit in dem Boot, das wir eben durchquerten, verbracht und es vor einiger Zeit verlassen hatten.

Zum Zeichen, daß er mich verstanden hatte, schnurrte Wula wie eine große Katze. Ich bedeutete ihm, er solle mir folgen, und wandte mich auf der Felsleiste nach rechts. Kaum hatte ich das getan, als ich spürte, wie seine mächtigen Fangzähne an meinem Lederzeug zerrten. Ich drehte mich zu ihm um, da ich wissen wollte, weshalb er das tat; da zog mich Wula in die entgegengesetzte Richtung, und er ließ nicht davon ab, bis ich ihm bedeutete, daß ich ihm folgen würde. Noch niemals habe ich festgestellt, daß mein guter, treuer Wula sich in einer Spur getäuscht hätte, und so bewegte ich mich mit vollkommener Ruhe und Sicherheit hinter dem riesigen Tier durch die Dunkelheit. Es war wirklich nur eine sehr schmale Felsleiste, die an dem tobenden Fluß entlangführte.

Nach einiger Zeit kamen wir unter den überhängenden Felsen heraus in ganz schwaches Licht, und nun entdeckte ich, daß der Pfad aus dem gewachsenen Fels herausgeschlagen war und daß er über die Stromschnellen weiterführte.

Stundenlang folgten wir dem dunklen, spukhaften Fluß und kamen dabei immer tiefer in die innersten Eingeweide des Mars. Aus Richtung und zurückgelegter Entfernung konnte ich leicht ausrechnen, daß wir uns mindestens unter dem Tal Dor befanden, vielleicht sogar unter der See von Omean, und nun konnte es nicht mehr weit sein zum Sonnentempel.

Diesen Gedanken hatte ich noch nicht zu Ende gedacht, als Wula unvermittelt vor einem schmalen Torbogen in den Klippen neben dem Pfad anhielt. Sofort duckte er sich wieder vom Eingang weg und schaute mich gleichzeitig aufmerksam an.

Worte hätten nicht deutlicher auszudrücken vermocht, daß Gefahr in der Luft lag, und so huschte ich neben ihm weiter und warf dabei einen raschen Blick in die Türöffnung.

Vor mir lag eine ziemlich große Kammer, und so, wie sie aussah, mußte sie vor einiger Zeit einmal ein Wachraum gewesen sein. Es gab Waffenständer und eine etwas erhöhte Plattform für die Schlafseiden und Pelze der Krieger, aber jetzt waren nur zwei jener Therns anwesend, die in Begleitung von Thurid und Matai Shang gekommen waren.

Die Männer unterhielten sich ernst, und aus ihrer Unterhaltung und ihrem Benehmen konnte ich schließen, daß sie nicht im geringsten mit Lauschern rechneten.

»Ich rate dir«, sagte der eine zum anderen, »trau diesem Schwarzen nicht. Es besteht nicht die geringste Notwendigkeit dafür, daß er uns hier ließ, um den Weg zu bewachen. Gegen wen, bitte sehr, sollten wir gegebenenfalls diesen unterirdischen, längst vergessenen Pfad verteidigen? Es war eine List, um uns von den anderen zu trennen. Er wird Matai Shang dazu überreden, daß er unter irgendeinem Vorwand noch einen oder zwei an einer anderen Stelle zurückläßt, und dann wird er plötzlich mit seinen Mitverschwörern über uns herfallen und uns alle abschlachten.«

»Ich glaube dir, Lakor«, antwortete ihm der andere. »Zwischen den Therns und den Erstgeborenen kann es niemals etwas anderes als tödlichen Haß geben. Und was hältst du von der lächerlichen Sache mit dem Licht? ›Laßt das Licht scheinen mit der Kraft von drei Radiumeinheiten für fünfzig Tals, und für ein Xat laßt es scheinen mit der Kraft einer Radiumeinheit, dann für fünfundzwanzig Tals mit neun Einheiten.‹ Das hat er wörtlich gesagt, und ich verstehe nicht, wie der alte, weise Matai Shang auf solche Ungereimtheiten hören kann.«

»Wirklich, es ist töricht«, pflichtete ihm Lakor bei. »Nichts anderes wird dabei herauskommen als ein schneller Tod für uns alle. Er mußte ja irgend etwas antworten, als Matai Shang ihn offen fragte, was er tun solle, wenn er zum Sonnentempel käme, und so sagte er nur schnell etwas, das ihm gerade einfiel. Ich würde das Diadem eines Hekators dafür wetten, daß er nicht mehr wiederholen könnte, was er gesagt hat.«

»Lakor, ich glaube, es ist klüger, wir bleiben nicht länger hier«, begann nun wieder der andere Thern. »Wenn wir ihnen jetzt nacheilen, kommen wir möglicherweise gerade noch rechtzeitig, um Matai Shang zu retten und an dem schwarzen Prinzen Rache zu nehmen. Was sagst du dazu?«

»Noch niemals in meinem langen Leben habe ich dem Befehl des Vaters der Therns nicht gehorcht«, erwiderte Lakor. »Ich bleibe hier, bis ich verrotte, wenn er nicht rechtzeitig kommt, um mich anderswohin zu schicken.«

Lakors Gefährte schüttelte den Kopf. »Du bist mein Vorgesetzter, und ich kann nichts tun, was du nicht gutheißen willst«, antwortete er. »Ich glaube allerdings noch immer, daß wir recht dumm sind, wenn wir bleiben.«

Genau dasselbe dachte ich mir auch, denn aus Wulas Verhalten konnte ich schließen, daß unser Pfad durch diesen Raum führen mußte, in dem die beiden Therns Wache hielten. Ich hatte nicht den leisesten Grund, dieser Rasse sich selbst vergöttlichender Dämonen Liebe entgegenzubringen, und doch wäre ich am liebsten so an ihnen vorbeigegangen, daß ich sie dabei nicht belästigt hätte.

Da uns auf jeden Fall ein Kampf sehr aufgehalten hätte, wollte ich es auch so versuchen oder sogar meine Suche ganz aufgeben. Bessere Männer als ich haben schon vor geringerwertigen Kämpfern kapituliert als vor den unerbittlichen Thernkriegern.

Ich gab Wula ein Zeichen, er solle sich eng an mich halten, und trat plötzlich vor die beiden Männer. Als sie mich sahen, rissen sie ihre Schwerter aus den Scheiden, doch ich hob meine Hand in einer abwehrenden Geste.

»Ich suche Thurid, den schwarzen Dator«, sagte ich. »Mit ihm habe ich Streit, nicht mit euch. Laßt mich daher in Frieden vorbeigehen, denn ich weiß es, daß er euer Feind genauso ist wie der meine, und ihr habt nicht den geringsten Grund, ihn zu schützen.«

Sie senkten die Schwerter, und Lakor sprach für sie beide.

»Ich weiß nicht, wer du bist, du mit der weißen Haut der Therns und dem schwarzen Haar eines Roten Mannes, aber ginge es nur um Thurid, dessen Sicherheit auf dem Spiel steht, so könntest du ruhig vorbeigehen, und soweit es uns betrifft, wärst du uns auch noch willkommen.

Sag uns deshalb, wer du bist und welche Aufgabe dich in diese unbekannte Welt unter dem Tal Dor führt, und dann sehen wir vielleicht eine Möglichkeit, dich vorbeigehen zu lassen, damit du deinen Auftrag erfüllen kannst, den wir ebenso gerne übernehmen würden, ließen unsere Befehle es zu.«

Es erstaunte mich, daß keiner von den beiden mich erkannte, denn ich glaubte eigentlich ausreichend bekannt zu sein, entweder aus persönlichen Erfahrungen heraus oder aus den Erzählungen anderer Leute. Jeder Thern auf ganz Barsoom hätte mich in jedem Landesteil sofort erkennen müssen. Ich war nämlich wirklich der einzige weißhäutige Mann auf dem Mars, dessen Haar schwarz und dessen Augen grau waren – das heißt, der einzige außer meinem Sohn Carthoris. Enthüllte ich meine Identität, so forderte ich damit einen Kampf heraus, denn jeder Thern auf ganz Barsoom wußte, daß sie den Sturz ihrer seit undenklichen Zeiten geltenden geistigen Überlegenheit in erster Linie mir zu verdanken hatten. Andererseits aber war mein Ruf als Kämpfer so unumstritten, daß mein Name genügen konnte, mir freien Durchgang zu gewähren, denn die beiden konnten sich sonst ausrechnen, daß es sonst zu einem Kampf auf Leben und Tod kommen mußte.

Ich will ganz ehrlich sein: Mit solchen Sophistereien hielt ich mich nicht auf, denn ich wußte nur allzu gut, daß es auf dem kriegerischen Mars nur ganz wenige ausgemachte Feiglinge gibt, und daß jeder Mann, egal ob Prinz, Priester oder Bauer, in einem ernstlichen Kampf seine Glorie sieht. Deshalb griff ich also ein wenig fester um mein Langschwert, als ich mich Lakor zuwandte.

»Ich glaube, du wirst bald einsehen, wie weise es von dir ist, wenn du mich unbelästigt vorbeigehen läßt, denn es würde dir gar nichts nützen, hier in den felsigen Eingeweiden von Barsoom zu sterben, nur weil du den Erbfeind deines Volkes, nämlich Thurid, Dator der Erstgeborenen, beschützen willst.

Daß ihr beide sterben werdet, falls ihr es vorzieht, euch mir zu widersetzen, beweisen all die verwesenden Leiber der vielen großen Krieger von Barsoom, die unter diesem Schwert gefallen sind – ich bin John Carter, Prinz von Helium.«

Mein Name schien die beiden Männer für eine ganze Weile zu lahmen; dann stieß der jüngere der beiden einen abscheulichen Fluch aus und drang mit gezücktem Schwert auf mich ein.

Er hatte ein Stückchen hinter seinem Gefährten Lakor gestanden, und jetzt griff der ältere Mann nach seinem Harnisch und zog ihn zurück.

»Halt!« befahl Lakor. »Wir haben noch genug Zeit zum Kämpfen, wenn wir es für klug halten, überhaupt zu kämpfen. Es kann gute Gründe für jeden Thern auf ganz Barsoom geben, mit Vergnügen das Blut eines Abtrünnigen und Schänders zu vergießen, doch laß uns Weisheit mit unserem gerechten Haß vereinen. Der Prinz von Helium hat sich aufgemacht, eine Aufgabe zu erfüllen, die wir noch vor wenigen Minuten selbst ausführen wollten.

Laß ihn also gehen und den Schwarzen erschlagen. Wenn er zurückkehrt, werden wir noch hier sein, um ihm den Weg in die äußere Welt zu verwehren, und auf diese Weise entledigen wir uns zweier Feinde; darüber hinaus ist es ein großer Vorteil für uns, wenn wir nicht die Unzufriedenheit des Vaters der Therns herausfordern.«

Während er sprach, entging mir natürlich nicht das boshafte Glitzern in seinen Augen. Seine Begründung war durchaus logisch, und trotzdem fühlte ich – vielleicht unterbewußt –, daß seine Worte ein ganz bestimmtes Ziel verfolgten. Offensichtlich sehr erstaunt wandte sich ihm der andere Thern zu, aber Lakor wisperte ihm ein paar Worte ins Ohr. Daraufhin zog sich der andere zurück und nickte zustimmend zum Vorschlag seines Vorgesetzten.

»Geh weiter, John Carter«, sagte Lakor. »Aber wisse, daß, wenn Thurid dich nicht niederschlägt, andere hier auf dich warten, die dafür sorgen werden, daß du niemals mehr das Sonnenlicht der oberen Welt erblicken wirst. Und jetzt geh!«

Während unserer Unterhaltung hatte sich Wula grollend und mit gesträubtem Fell eng neben mir gehalten. Ab und zu sah er zu mir auf und winselte dabei sehnsüchtig, als warte er auf ein Wort Von mir, das ihm erlaube, diese beiden nackten Kehlen vor ihm anzuspringen und zu zerfleischen. Selbst das Tier spürte die abgrundtiefe Schlechtigkeit hinter den glatten Worten.

Als wir an den Therns vorbei waren, öffneten sich einige Türen vom Wachraum aus, und Lakor zeigte auf die am weitesten rechts liegende. »Hier kommst du zu Thurid«, sagte er.

Als ich jedoch nach Wula rief, wollte er mir nicht gehorchen, sondern stemmte sich winselnd ein und zerrte an mir. Dann lief er rasch zur ersten Tür links, wo er ein paarmal hustend bellte, als wolle er mich drängen, ihm doch auf dem richtigen Weg zu folgen.

Ich sah Lakor fragend an.

»Das Tier irrt sich kaum einmal«, erklärte ich ihm. »Obwohl ich nicht an deinem überlegenen Wissen zweifle, Thern, glaube ich doch, daß es für mich besser ist, wenn ich auf die Stimme des Instinkts höre, die von Liebe und Treue geleitet wird.«

Dazu lächelte ich grimmig, so daß er unmißverständlich wußte, wie sehr ich ihm mißtraute.

»Wie du willst«, erwiderte der Thern achselzuckend. »Am Ende ist es ja doch völlig einerlei.«

Ich folgte also Wula in den Gang links, und dabei spitzte ich die Ohren, da ich ja den Rücken meinen Feinden zugewandt hatte. Ich hörte jedoch keine Geräusche, die auf eine Verfolgung schließen ließen. Dieser Korridor war mit einigen Radiumbirnen schwach beleuchtet; es sind dies die auf Barsoom üblichen Lichtquellen.

Diese Lampen taten vielleicht schon seit unendlichen Zeiten ihren Dienst in den unterirdischen Kammern, denn sie bedürfen keiner Wartung und sind so konstruiert, daß sie selbst in Jahrzehnten oder Jahrhunderten kaum etwas von ihrer Substanz abgeben.

Wir brauchten nicht weit zu gehen, bis wir auf immer neue abzweigende Gänge trafen, aber Wula zögerte nicht ein einziges Mal. Einmal vernahm ich an der Einmündung eines Ganges rechts von mir Geräusche, die dem Kämpfer John Carter mehr sagten als Worte meiner Muttersprache – das Klirren des Metalls vom Harnisch eines Kriegers –, und sie kamen aus dem Gang rechts von mir und ein Stück weiter drinnen.

Auch Wula hörte es, und wie ein Blitz wirbelte er herum und stellte sich der drohenden Gefahr. Seine Mähne war gesträubt; die Lefzen hatte er über die funkelnden Reihen seiner gefährlichen Reißzähne zurückgezogen, und dazu knurrte er drohend. Mit einer Geste beruhigte ich ihn wieder, und Seite an Seite drangen wir in einen anderen Korridor ein Stück ein, wo wir dann warteten.

Es dauerte nicht lange, bis wir die Schatten zweier Männer erkannten, die auf den Boden des Hauptganges aus dem Gang rechts fielen. Die beiden Männer bewegten sich äußerst behutsam vorwärts, und das metallische Klirren, das mich alarmiert hatte, wiederholte sich nicht.

Bald kamen sie an unserem Versteck vorbei, und es erstaunte mich absolut nicht, sie zu sehen – nämlich Lakor und seinen Gefährten aus dem Wachraum.

Sie tappten sehr leise dahin, und in der rechten Hand eines jeden schimmerte ein scharfes Langschwert. Fast unmittelbar vor dem Zugang zu unserem Versteck blieben sie stehen und flüsterten miteinander.

»Kann es sein, daß wir sie schon überholt haben?« fragte Lakor.

»Entweder das, oder das Tier hat den Mann auf einen falschen Pfad geführt«, erwiderte der andere. »Der Weg, den wir nahmen, ist ja wesentlich kürzer für jene, die ihn kennen. John Carter hätte allerdings entdeckt, daß es für ihn ein kurzer Todesweg gewesen wäre, hätte er den genommen, den wir ihm vorschlugen.«

»Ja«, antwortete Lakor. »Nicht einmal seine unbestreitbaren Kämpfereigenschaften hätten ihn vor dem Drehstein retten können. Sicher wäre er draufgetreten, und wenn die Grube darunter einen Boden hat, was Thurid verneint, dann hätte er sich ihm überaus rasch genähert, und das wäre seiner Gesundheit nicht zuträglich gewesen. Dieses Untier, das ihn vor diesem Pfad gewarnt und ihn auf einen besseren geführt hatte, soll verflucht sein!«

»Vor ihm liegen noch viel mehr Gefahren«, entgegnete Lakors Gefährte. »Denen entrinnt er vielleicht nicht ganz so leicht, falls es ihm jetzt gelingen sollte, unseren guten Schwertern zu entkommen. Überlege doch zum Beispiel, welche Chance er noch hat, wenn er unerwarteterweise in die Kammer der...«

Viel hätte ich gegeben, wäre es mir möglich gewesen, auch noch den Rest dieses Gespräches mitzuhören, denn dann wäre ich vor einigen der vor mir liegenden Gefahren gewarnt gewesen. Aber leider mußte ich ausgerechnet in jenem Moment, der mir dafür als der ungeeignetste erschien, heftig niesen.

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