Der Flieger, auf dem ich mich nach zwölf unendlich langen Jahren der Trennung mit Dejah Thoris befand, erwies sich als völlig unbrauchbar. Die Treibstofftanks waren so undicht, daß die Maschine nicht mehr ansprang. Wir schwebten also manövrierunfähig über dem arktischen Eis.
Das Schiffchen war inzwischen über den Abgrund hinweg getrieben, der Matai Shang, Thurid und Phaidor verschlungen hatte und hing nun über einem niederen Hügel. Ich öffnete die Tankventile, so daß es langsam sinken konnte, und als es aufsetzte, verließ ich mit Dejah Thoris das Deck. Hand in Hand machten wir uns auf den Weg zurück zur Stadt Kadabra.
Sie berichtete mir von jenem entsetzlichen Moment, ehe sich die Tür ihres Gefängnisses im Sonnentempel langsam zwischen uns schob. Phaidor hatte sie mit erhobenem Dolch angesprungen, und Thuvia hatte vor Angst geschrien, als sie Phaidors Absicht erkannte. Dieser Schrei hatte mir die ganze Zeit in den Ohren geklungen, denn er überließ mich grausamen Zweifeln um das Schicksal meiner geliebten Prinzessin. Ich hatte ja nicht mehr gesehen, daß Thuvia der Tochter Matai Shangs den Dolch entwand, ehe er Dejah Thoris oder sie selbst auch nur ritzen konnte.
Sie erzählte mir auch von der schrecklichen Unendlichkeit ihrer Gefangenschaft, von dem grausamen Haß Phaidors und der zärtlichen Zuneigung Thuvias, und wie selbst in den dunkelsten Stunden der Verzweiflung die beiden Roten Mädchen zusammengehalten hatten, wie sich eine an der anderen aufrichtete, wie sich beide an die Hoffnung klammerten, John Carter werde sicher einen Weg finden, sie zu befreien.
Nach dem weiten Marsch durch die Eiswüste kamen wir in den Palast zurück und erreichten den Raum, in dem Solan gelebt hatte und gestorben war. Ich verhielt mich nicht besonders vorsichtig, da ich es für ganz selbstverständlich hielt, daß der Palast fest in den Händen meiner Freunde sei.
Deshalb platzte ich auch in den Raum, in dem sich etwa ein Dutzend Edelleute vom Hof des toten Salensus Oll befand. Sie kamen aus dem Palastinnern und wollten ihren Weg zur Außenwelt fortsetzen. Sie blieben erstaunt stehen, als sie uns sahen, und dann flog ein hinterhältiges Lächeln über das Gesicht des Anführers.
»Ha! Da ist ja die Ursache unseres ganzen Unglücks!« rief er und deutete auf mich. »Nun werden wir wenigstens teilweise Rache nehmen können, denn wenn wir gehen, lassen wir die verstümmelten Leichen des Prinzen und der Prinzessin von Helium zurück. Und wenn die anderen sie finden, dann werden sie erkennen, daß die Rache der Gelben Männer an ihren Feinden schauerlich ist. Bereite dich auf den Tod vor, John Carter, denn dein Ende wird bitter sein. Vielleicht lasse ich mich erweichen, deiner Prinzessin gnädiger zu sein – ich werde mir überlegen, ob ich sie meinen Offizieren nicht als Spielzeug überlassen soll.«
Ich stand vor der Instrumentenwand, Dejah Thoris an meiner Seite. Sie sah zu mir empor, als die Krieger mit gezogenen Schwertern näher kamen. Das meine hing noch immer in seiner Scheide an meiner Seite, und ich lächelte nur.
Die Gelben schauten mich erstaunt an, denn sie fürchteten, da ich mich offensichtlich nicht gegen sie zu wehren gedachte, eine List. Ihr Anführer trieb sie jedoch weiter. Als sie etwa in Reichweite meines Schwertes waren, legte ich meine Hand auf einen großen polierten Hebel, lächelte noch immer und sah meine Feinde voll an. Wie ein Mann blieben sie alle vor mir stehen und warfen einander verwirrte Blicke zu.
»Halt!« schrie ihr Anführer. »Du scheinst nicht zu wissen, was du tust!«
»Ich weiß es sehr genau, und ein John Carter stößt keine leeren Drohungen aus«, erwiderte ich. »Er weiß genau, was er tut. Noch einen Schritt wenn ihr euch Dejah Thoris, Prinzessin von Helium nähert, dann werde ich diesen Hebel herunterdrücken, und sie und ich werden zusammen sterben – aber nicht allein.«
Die Edlen wichen entsetzt zurück und flüsterten erregt miteinander. Dann wandte sich der Anführer an mich.
»Geh deiner Wege, John Carter«, sagte er. »Wir gehen die unseren.«
»Gefangene gehen nicht, wohin sie wollen«, erwiderte ich. »Und ihr seid Gefangene – die des Prinzen von Helium.«
Ehe sie darauf noch antworten konnten, ging eine Tür auf, und ein ganzer Trupp Gelber stürmte in den Raum. Die Edlen atmeten schon erleichtert auf, aber dann erkannte ihr Anführer den der Neuankömmlinge. Es war nämlich Talu, der Rebellenprinz von Marentina, und sie wußten, daß sie keine Gnade von ihm zu erwarten hatten. Mit einem Blick erfaßte Talu die Situation und lächelte.
»Das hast du gut gemacht, John Carter!« rief er. »Du wendest ihre eigene große Macht gegen sie. Es ist ein großes Glück für Okar, daß du hier warst, um ihre Flucht zu vereiteln, denn das sind die größten Schurken nördlich der Eisbarriere, und dieser da« – er deutete auf den Anführer – »hätte sich zum Jeddak der Jeddaks machen wollen, um den Thron des toten Salensus Oll einzunehmen. Dann hätten wir einen noch gemeineren, grausameren Tyrannen als Herrscher gehabt, als der verhaßte Tyrann es war, der von deinem Schwert fiel.«
Den Edelleuten von Okar blieb nichts anderes übrig, als sich zu ergeben, denn Widerstand hätte sowieso den sicheren Tod für sie bedeutet. Begleitet von Talus Kriegern begaben wir uns in den großen Audienzsaal, in dem sich zahlreiche Krieger versammelt hatten. Rote Männer von Helium und Ptarth, Gelbe aus dem Norden und Schwarze der Erstgeborenen, die unter meinem Freund Xodar bei der Suche nach meiner Prinzessin und mir geholfen hatten, rieben ihre Ellbogen aneinander. Auch wilde Grüne waren da von den Gründen der toten Seen im Süden und sogar etliche weißhäutige Therns, die ihrer Religion abgeschworen und Xodar Treue gelobt hatten.
Tardos Mors und Mors Kajak waren anwesend und ein großer, mächtiger Krieger, der mit prächtigen Waffengurten geschmückt war – Carthoris, mein Sohn. Diese drei fielen, als wir eintraten, über Dejah Thoris her, und obwohl königliche Familien auf dem Mars jede vulgäre Zurschaustellung von Gefühlen vermeiden, so glaubte ich, die drei Männer würden meine Dejah Thoris mit ihren Umarmungen erdrücken.
Und selbstverständlich war Tars Tarkas da, Jeddak von Thark, und auch Kantos Kan, meinen alten Freund sah ich. Mein treuer, alter Wula war ganz irr vor Freude und zerrte in seiner überströmenden Liebe an meinem Harnisch.
Lang und laut war das Jubelgeschrei, das sie bei unserem Anblick anstimmten, und in das Jubelgeschrei mischte sich das Klirren der Schwerter, die zu einem Triumphbogen für uns wurden, als wir an den salutierenden Edlen und Kriegern, an den Jeds und Jeddaks vorbeigingen.
Trotz allen Glückes war mir das Herz noch immer ein bißchen schwer, weil ich zwei geliebte Gesichter vermißte – das von Thuvan Dihn und Thuvia von Ptarth, denn sie befanden sich nicht im großen Audienzsaal.
Ich fragte bei allen Nationen nach ihnen, und schließlich erfuhr ich von einem Gelben Kriegsgefangenen, daß sie, während ich dort lag, die Grube des Überflusses zu erreichen versucht hatten und von einem Offizier der Palastwache dabei ertappt wurden.
Selbstverständlich wußte ich, weshalb sie diesen Versuch unternommen hatten, der mutige Jeddak und seine treue Tochter. Nun lagen die beiden, so sagte mir mein Gewährsmann, in einem der tiefen Kerker des Palastes, wohin man sie geworfen hatte, bis der Tyrann des Nordens über ihr Schicksal entschied.
Im nächsten Moment waren schon Suchtrupps ausgeschickt, und wenig später war mein Glück vollkommen, denn eine jubelnde Ehrengarde führte sie in den Saal.
Thuvia lief sofort auf Dejah Thoris zu. Es gab keinen besseren Beweis für die herzliche Liebe, welche die beiden verband, als die aufrichtige Freude, mit der sie ihr Wiedersehen feierten.
Und über all dieser Herzlichkeit und dieser Freude stand düster und leer der Thron von Okar.
Dieser Thron hatte seit undenklichen Zeiten wahrscheinlich sehr viele Jeddaks der Jeddaks gesehen, aber keiner von ihnen konnte sich mit dem vergleichen, auf den ich nun herunterschaute, als ich über die Vergangenheit und Zukunft der lange nur für eine Legende gehaltenen Rasse der Gelben nachdachte. Da standen sie nun vor mir, diese schwarzbärtigen Männer, die nun einer helleren, nützlicheren Zukunft im Kreis freundlicher Nationen entgegengingen. Es war eine große Familie, die sich vom Süd- bis zum Nordpol ausbreitete. Vor zweiundzwanzig Jahren wurde ich vom Schicksal nackt und fremd in eine wilde, fremde Welt geworfen. Damals hatten alle Rassen und Nationen einander bekriegt. Heute standen Rote und Weiße, Schwarze, Grüne und Gelbe einträchtig und in freundschaftlichem Gespräch beisammen, und das hatte mein Schwert und die Loyalität meiner Freunde zuwege gebracht.
Natürlich waren die Nationen von Barsoom noch nicht völlig geeint, aber die ersten Schritte diesem Ziel entgegen waren schon getan. Wenn jetzt noch die Gelben, diese leidenschaftliche, kriegerische Rasse, in die Gemeinschaft der anderen Nationen einbetoniert wurde, dann war eigentlich mein Lebenswerk vollendet, und ich hatte dem Mars wenigstens einen Teil meiner Dankesschuld dafür abgetragen, daß er mir meine Dejah Thoris geschenkt hatte.
Als ich das so dachte, sah ich nur eine einzige Möglichkeit und einen einzigen Mann, der den Erfolg meiner Hoffnungen sichern konnte. Auch in diesem Fall handelte ich so wie immer – ohne lange zu überlegen und ohne Rat einzuholen.
Jene, die mich, meine Pläne und meine Art zu handeln nicht mögen, haben immer Schwerter an ihrer Seite, mit denen sie ihre Mißbilligung nachdrücklich bekunden können. Jetzt wurde aber keine Stimme laut, die Einspruch erhoben hätte, als ich Talus Arm nahm und ihn zum Thron zog, der einmal Salensus Oll gehört hatte.
»Krieger von Barsoom!« rief ich. »Kadabra ist gefallen und mit der Stadt der gehaßte Tyrann des Nordens. Aber Okars Integrität muß erhalten bleiben. Der Rote Krieger wird von roten Jeddaks beherrscht, der Grüne erkennt keinen anderen an als einen Mann aus seiner Mitte, die Erstgeborenen des Südpols erkennen das Gesetz an, das ihnen der Schwarze Xodar gibt. Es läge nicht im Interesse der Roten oder Gelben, wenn auf dem Thron von Okar ein anderer säße als ein Gelber.
Nur einen Krieger gibt es, der alle Gaben hat, die dem alten, mächtigen Titel Jeddak der Jeddaks des Nordens zustehen. Männer von Okar, erhebt eure Schwerter zum Gruß für euren neuen Herrscher
- Talu, der Rebellenprinz von Marentina lebe hoch!«
Ein Freudenschrei erhob sich unter den freien Männern von Marentina und den Gefangenen von Kadabra, denn alle hatten geglaubt, die Roten, die das Land mit Waffengewalt besetzt hatten, würden nun auch in Zukunft die Herrschaft ausüben wollen.
Die kriegerischen Sieger, die Carthoris in den Norden gefolgt waren, fielen in diese Demonstration der Freude ein, und ich benützte den Tumult und das allgemeine Freudengeschrei, um mich mit Dejah Thoris in den großartigen Garten zurückzuziehen, den einer der Jeddaks in einem Palasthof von Kadabra angelegt hatte. Wula wich nicht mehr von unseren Fersen, und als wir uns auf einer kunstvoll geschnitzten Bank niederließen, die unter einem prachtvollen Busch mit purpurnen Blüten stand. Und da sahen wir dann auch die beiden an uns vorbeigehen, die unmittelbar nach uns den Saal verlassen haben mußten – Thuvia von Ptarth und Carthoris von Helium.
Der schöne Kopf unseres Sohnes neigte sich über das liebliche Gesicht seiner Begleiterin. Ich sah Dejah Thoris an, die mich lächelnd an sich zog. »Warum nicht?« flüsterte sie mir ins Ohr. In der Tat, warum nicht? Was sagt ein Altersunterschied von ein paar Jahren in dieser Welt ewiger Jugend?
Wir blieben als Talus Gäste in Kadabra, bis er mit allen Zeremonien in sein hohes Amt eingeführt worden war. Dann bestiegen wir die mächtigen Schiffe, die ich glücklicherweise vor der Zerstörung hatte retten können, und segelten über die Eisbarriere nach Süden. Zuvor hatten wir aber noch die völlige Zerstörung des grimmigen Wächters des Nordens überwacht, denn dazu hatte der neue Jeddak der Jeddaks den Befehl gegeben.
»In Zukunft steht es der Flotte der Roten und der Schwarzen Krieger frei zu kommen und zu gehen, wie sie will, so als sei sie in ihrem eigenen Land.
Die Höhlen von Carrion werden gesäubert, damit die Grünen einen leichten Weg finden, die Gelben zu besuchen, und die Jagd auf den geheiligten Apt sei in Zukunft der Sport meiner Edlen, bis keines dieser furchtbaren Tiere mehr den Norden unsicher macht.«
Dann schieden wir voll Bedauern von unseren neuen Freunden und nahmen Kurs auf Ptarth. Dort blieben wir einen Monat lang als Gäste von Thuvan Dihn, und wäre Carthoris nicht der Prinz von Helium gewesen, dann wäre er wohl am liebsten ganz geblieben. Über den riesigen Forsten von Kaol schwebten wir mit unseren Schiffen, bis ein Wort von Kulan Tith uns zu seinem Landeturm brachte, wo unsere Schiffe einen ganzen Tag und eine halbe Nacht lang ihre Mannschaften ausluden. Wir besuchten natürlich auch die Stadt Kaol, um die neuen Bande zwischen Kaol und Helium zu festigen, und wenig später erblickten wir von weitem die hohen, schlanken Türme der Zwillingsstädte von Helium. Dieser Tag ist unauslöschlich in unser Gedächtnis eingegraben.
Das Volk hatte sich schon lange auf unsere Ankunft vorbereitet. Am Himmel schwebten zahllose Flieger, an denen fröhlich die Fähnchen flatterten. Jedes Dach in den beiden Zwillingsstädten war mit kostbaren Seiden und Teppichen belegt.
Dächer, Straßen und Plätze waren mit Gold und Juwelen bestreut. Die beiden Städte funkelten und blitzten, weil jeder Sonnenstrahl von Millionen bunter Steine und poliertem Metall tausendfach reflektiert wurde.
Nach zwölf langen Jahren war endlich die königliche Familie in ihrer eigenen mächtigen Stadt wieder vereint, und Millionen vor Freude fast irrer Menschen drängten sich an den Palasttoren. Frauen und Kinder und sogar kraftvolle Krieger weinten vor Dankbarkeit, weil ihnen das Schicksal ihren geliebten Tardos Mors und die göttliche Prinzessin zurückgegeben hatte, denn beide wurden von der ganzen Nation zutiefst verehrt, Keiner von uns, die jene Expedition voll unglaublicher Gefahren und Triumphe hinter sich hatten, brauchte sich über einen Mangel an Applaus zu beklagen.
Als ich nachts mit Dejah Thoris und Carthoris auf dem Dach meines Stadtpalastes saß, wo wir einen hübschen Garten angelegt hatten, damit wir fern vom Pomp und Zeremoniell des Hofes miteinander glücklich sein konnten, kam ein Bote, der uns aufforderte, zum Tempel der Vergeltung zu kommen, »wo einer heute nacht abgeurteilt werden soll«, wie die Botschaft lautete.
Ich zerbrach mir den Kopf, welch wichtiger Fall anhängen konnte, der die Anwesenheit der königlichen Familie erforderlich machte. Es war ja schließlich unser erster Abend zu Hause nach einer Abwesenheit von vielen Jahren. Aber wenn der Jeddak ruft, muß jeder seiner Aufforderung Folge leisten.
Als unser Schweber die Landebühne auf dem Tempeldach berührte, sahen wir zahllose andere ankommen und wieder abfliegen. In den Straßen unter uns drängten sich gewaltige Menschenmengen den Tempeltoren entgegen. Und da fiel mir schließlich jener unheilvolle Tag ein, da mir Zat Arras nach meiner Rückkehr vom Tal Dor und der Verlorenen See von Korus für diese Sünde den Prozeß gemacht hatte.
War es möglich, daß ein überzogener Gerechtigkeitssinn die Menschen auf dem Mars beherrschte, so daß sie vergaßen, was alles an Gutem aus meiner Häresie für sie entstanden war? Hatten sie vergessen, daß sie in meiner Schuld standen, weil ich sie von den Fesseln dieses schrecklichen Glaubens befreit hatte? Konnten sie wirklich die Tatsache übersehen, daß es mir und mir allein zu verdanken war, wenn sie Carthoris, Dejah Thoris, Mors Kaja und Tardos Mors wieder hatten?
Niemals! Nein, das konnte ich wirklich nicht glauben. Und doch – zu welch anderem Zweck konnten sie mich unmittelbar nach Tardos Mors’ Rückkehr auf seinen Thron in den Tempel rufen? Als ich den Tempel betrat und mich dem Thron der Gerechtigkeit näherte, war meine erste Überraschung die Reihe jener Männer, welche als Richter füngierten. Kulan Tith, Jeddak von Kaol war da, dem wir doch erst vor ein paar Tagen in seinem Palast lebewohl gesagt hatten. Ich sah Thuvan Dihn, Jeddak von Ptarth, und wie kam er so schnell wie wir nach Helium?
Tars Tarkas, Jeddak von Thark und Xodar, Jeddak der Erstgeborenen fehlten nicht, und ich sah auch Talu, Jeddak der Jeddaks des Nordens, und ich hätte doch schwören mögen, daß er noch in seinem von Eis umgebenen Treibhaus jenseits der Eisbarriere war. Unter ihnen saßen Tardos Mors und Mors Kajak und viele kleine Jeds und Jeddaks, und es waren die einunddreißig, die das Gesetz vorschrieb, wenn sie über einen Ihresgleichen zu Gericht saßen.
Es war in der Tat ein königliches Tribunal, und ich garantiere dafür, daß die lange Geschichte des alten, sterbenden Mars eine so glanzvolle Richterschaft noch nie verzeichnet hatte.
Als ich eintrat, schwieg mit einem Schlag das gesamte Auditorium. Dann erhob sich Tardos Mors.
»John Carter«, sagte er mit tiefer, tönender Stimme, »nimm Platz auf dem Podium der Wahrheit, denn ein gerechtes, unparteiisches Tribunal deiner Mitmenschen wird dir den Prozeß machen.«
Mit hocherhobenem Kopf tat ich, wie er mich geheißen hatte, und dann warf ich einen Blick über die Reihen jener Männer, in denen ich noch vor wenigen Minuten meine besten Freunde gesehen hatte. Und jetzt bemerkte ich nicht einen freundlichen Blick; nur strenge, unbestechliche Richter, die ihre Pflicht zu tun hatten, sah ich vor mir. Ein Schreiber stand auf und las aus einem großen Buch eine lange Liste von Taten vor, auf die ich eigentlich stolz gewesen war. Die Liste reichte über zweiundzwanzig Jahre und begann an jenem ersten Tag auf dem Mars, da ich als nackter Fremdling auf dem ockerfarbenen Seeboden neben dem Inkubator der Tharks gestanden hatte. Und er las auch alles vor, was in den Bergen von Otz geschehen war, wo ich gegen die Heiligen Therns und die Erstgeborenen gekämpft hatte. So ist es eben auf Barsoom. Kommt es zu einem Prozeß, dann werden die guten Taten eines Mannes ebenso verlesen wie die bösen, und deshalb überraschte es mich gar nicht, daß alles, was vorgelesen wurde, zu meinen Gunsten war. Diese Liste kannten meine Richter auswendig und sie reichte bis zu diesem Moment.
Als der Schreiber geendet hatte, stand Tardos Mors auf.
»Edle und gerechte Richter!« rief er. »Ihr habt alles gehört, was von John Carter, Prinz von Helium, bekannt ist – das Gute wie das Schlechte. Wie lautet euer Urteil?«
Langsam erhob sich Tars Tarkas. Er entfaltete sich geradezu zu seiner imponierenden Höhe, bis er, eine grün-bronzene Statur, wie ein Turm über uns stand. Dann wandte er mir ein finsteres Auge zu – er, Tars Tarkas, mit dem ich zahllose Kämpfe gewonnen hatte, den ich wie einen Bruder liebte.
Ich hätte weinen mögen, wäre ich nicht so unbeschreiblich wütend gewesen, daß ich am liebsten mein Schwert gezogen und einen nach dem anderen erschlagen hätte.
»Richter«, sagte er, »hier kann es nur ein Urteil geben. Nicht länger mehr soll John Carter Prinz von Helium bleiben, sondern...« – und hier legte er eine Pause ein – »er soll der Jeddak der Jeddaks werden, der Kriegsherr von Barsoom!«
Einunddreißig Richter sprangen auf die Füße und zogen ihre Schwerter, um darzutun, daß sie dem Urteil alle ohne Ausnahme zustimmten. Ein Jubelsturm brach aus, der das ganze riesige Gebäude zu erschüttern drohte, und ich hatte wirklich Angst, das Dach könnte von diesem Geschrei vielleicht doch einstürzen.
Erst jetzt ging mir der grimmige Humor auf, der in ihrer Methode lag, mich auf so außerordentliche Weise zu ehren. Ich wußte aber, daß in dem Spaß, den sie sich mit mir gemacht hatten, nicht die kleinste Spur einer bösen Absicht war, denn erst die Richter und dann die Edlen gratulierten mir mit solcher Herzlichkeit, wie ich sie auf dem kriegerischen Mars nie für möglich gehalten hätte.
Dann marschierten fünfzig der mächtigsten Edlen des größten Königshofes auf dem Mars den breiten Mittelgang entlang, den Gang der Hoffnung. Auf ihren Schultern trugen sie einen prächtigen Wagen, und als die Leute sahen, wer in diesem Wagen saß, donnerte neuer Jubel durch das riesige Gebäude, denn es war Dejah Thoris, meine und des ganzen Volkes geliebte Prinzessin von Helium. Zum Thron der Gerechtigkeit wurde sie getragen, und dort half ihr Tardos Mors aus dem Wagen, um sie an meine Seite zu führen.
»Die schönste Frau unserer Welt möge die Ehre ihres Gatten teilen«, sagte er.
Vor allen Menschen zog ich meine geliebte Frau an mich und küßte sie auf die Lippen.