Edgar Rice Burroughs Der Kriegsherr des Mars

1. Am Fluß Iss

Die beiden schnellen Monde des Mars rasten auf ihrem meteorischen Weg über den sterbenden Planeten dahin, und ich kroch geduldig in den Schatten des Forstes, der die karmesinfarbene Ebene an der Verlorenen See von Korus im Tal Dor begrenzt, hinter einer dunklen Gestalt her, die voll beharrlicher Vorsicht von einer düsteren Stelle zur anderen huschte.

Sechs Marsmonate lang spukte ich nun in der Nähe des gehaßten Tempels der Sonne umher, in dessen langsam sich drehendem Turm unter der Marsoberfläche meine geliebte Prinzessin eingeschlossen war. Ich wußte nicht einmal, ob sie schon tot war oder noch lebte. Hatte Phaidors scharfer Dolch das zärtliche Herz durchbohrt? Nur die Zeit würde die Wahrheit enthüllen.

Sechshundertsiebenundachtzig Marstage mußten kommen und gehen, ehe sich die Zellentür wieder dem Tunnelende gegenüber befand, wo ich meine schöne Dejah Thoris zuletzt gesehen hatte. Die Hälfte dieser Tage war verstrichen; mein Gedächtnis hatte jedes Ereignis von vor- oder nachher ausgelöscht, doch die letzte Szene hatte sich meiner Erinnerung unauslöschlich eingeprägt, jene Szene nämlich, ehe der Rauch meine Augen blendete und der schmale Spalt, der mir einen Blick in ihre Zelle gestattete, sich immer mehr schloß und eine undurchdringliche Wand mich von der Prinzessin von Helium für ein langes Marsjahr trennte.

Als sei es erst gestern gewesen, sah ich noch immer das schöne Gesicht von Phaidor, der Tochter von Matai Shang, von eifersüchtiger Wut und Haß verzerrt, als sie mit erhobenem Dolch auf die Frau eindrang, die ich von ganzem Herzen liebte.

Ich sah das rote Mädchen, Thuvia von Ptarth, herbeirennen, um die ruchlose Tat zu verhindern.

Dann hatte der Rauch des brennenden Tempels diese tragische Szene verhüllt, aber in meinen Ohren klang noch immer dieser einzige Schrei, als der Dolch herunterzuckte. Dann herrschte Stille. Als der Rauch sich wieder verzogen hatte, war die Kammer mit den drei schönen gefangenen Frauen schon ein Stück weitergerückt, und nicht das leiseste Geräusch vernahm ich mehr.

Seit diesem schrecklichen Augenblick war viel geschehen, aber nicht einmal für einen kurzen Moment war die Erinnerung daran verblaßt. Die Neuerrichtung der Regierung der Erstgeborenen nach dem glorreichen Sieg unserer Flotte und Landstreitkräfte hatte mir viele Pflichten auferlegt, doch jede Minute, die ich hatte erübrigen können, verbrachte ich in der Nähe dieses Kerkers, in dem die Mutter meines Jungen, Carthoris von Helium, gefangen war.

Die Rasse der Schwarzen hatte seit unendlichen Zeiten Issus, die falsche Göttin des Mars, angebetet, und seit ich ihnen bewiesen hatte, daß sie nichts war als ein verschrobenes altes Weib, herrschte Chaos. In ihrer Wut hatten sie Issus in Stücke zerrissen.

Vom hohen Turm ihrer Selbstbewunderung und Ichsucht waren die Erstgeborenen in die Abgründe tiefster Demütigung gestürzt worden. Ihre Göttin war nicht mehr, und damit war das ganze Lügengebäude ihrer Religion zerstört. Ihre überhebliche Flotte war von den glorreichen Schiffen und Heeren der Roten Menschen von Helium vernichtet worden.

Die grünen Krieger von den ockerfarbenen Seegründen hatten ihre wilden Thoats durch die heiligen Gärten des Tempels der Issus gejagt, und Tars Tarkas, Jeddak von Thark, der wildeste von allen, regierte vom Thron der Issus aus die Erstgeborenen, während die Verbündeten über das Schicksal der besiegten Nation Beschlüsse faßten. Nahezu einstimmig wurde die Forderung erhoben, ich solle den alten Thron der schwarzen Männer besteigen, und selbst die Erstgeborenen wären damit einverstanden gewesen, aber ich wollte nicht. Mein Herz konnte sich nie für jene erwärmen, die soviel Schmach auf meine Prinzessin und meinen Sohn gehäuft hatten.

Auf meinen Vorschlag hin wurde Xodar der Jeddak der Erstgeborenen. Er war Dator, also ein Prinz gewesen, ehe Issus ihn degradiert hatte, und deshalb war seine Eignung für dieses hohe Amt unbestritten.

Nachdem auf diese Art der Frieden im Tal Dor sichergestellt war, kehrten die grünen Krieger zu ihren einsamen Seegründen zurück, während wir von Helium wieder in unser Land reisten. Auch hier wurde mir ein Thron angeboten, denn von Tardos Mors, dem Jeddak von Helium und Großvater von Dejah Thoris, war noch immer keine Nachricht eingetroffen, auch nicht von seinem Sohn Mors Kajak, Jed von Helium, Dejah Thoris’ Vater.

Mehr als ein Jahr war vergangen, seit man die ganze nördliche Halbkugel nach Carthoris abgesucht hatte, und schließlich hatte das verzagte Volk die Gerüchte von ihrem Tod als Wahrheit hingenommen.

Auch diesen Thron lehnte ich ab, denn ich konnte nicht daran glauben, daß der mächtige Tardos Mors oder sein großer Sohn tot seien.

»Laßt euch von einem eures eigenen Blutes regieren, bis sie zurückkehren«, sagte ich zu den versammelten Edlen von Helium, als ich zuihnen im Tempel der Vergeltung auf der Tribüne der Wahrheit neben dem Thron der Gerechtigkeit sprach. Dort hatte ich auch vor einem Jahr gestanden, als Zat Arras das Todesurteil über mich aussprach. Als ich so redete, legte ich meine Hand auf die Schulter von Carthoris der in der vordersten Reihe der Edlen stand.

Die Edlen und das Volk hoben ihre Stimmen zu einem langen, einzigen Jubelschrei. Zehntausend Schwerter wurden blitzend geschwungen, und die glorreichen Kämpfer des alten Helium begrüßten Carthoris als Jeddak von Helium.

Dieses Amt sollte er auf Lebenszeit behalten oder so lange, bis sein Urgroßvater oder Großvater zurückkehrte. Mit Carthoris’ Amtseinsetzung hatte ich eine wichtige Pflicht für Helium erfüllt, und am folgenden Tag machte ich mich auf zum Tal Dor, um an jenem schicksalhaften Tag, da sich der Kerker öffnen sollte, dem Tal der Sonne nahe zu sein, in dem meine verlorene Liebe schmachtete. Hör Vastus und Kantos Kan ließ ich zusammen mit meiner eigenen Leibgarde bei Carthoris in Helium, damit er sich immer an ihrer Weisheit, ihrem Mut und ihrer Treue aufrichten konnte, wenn seine Pflichten allzu schwer auf ihn drückten. Nur Wula, mein Marshund, begleitete mich.

Lautlos tappte jetzt das treue Tier hinter mir her. Wula war etwa so groß wie ein Shetlandpony, hatte einen häßlichen Kopf und gefährliche Fangzähne und bot einen furchterregenden Anblick, als er so auf zehn kurzen, kräftigen Beinen daherlief. Für mich war er die Verkörperung anhänglicher Liebe und Treue.

Die Gestalt vor mir war die des schwarzen Prinzen der Erstgeboren nen Thurid, dessen erbitterte Feindschaft ich mir zugezogen hatte, als ich ihn im Hof des Tempels der Issus mit bloßen Händen besiegte und ihn vor den edlen Männern und Frauen, die er noch wenige Minuten vorher mit seinen Prahlereien beeindruckt hatte, mit seinen eigenen Waffengurten band.

Wie viele seiner Gefährten schien er die neue Ordnung der Dinge mit gutem Anstand akzeptiert zu haben, und Xodar, seinem neuen Herrscher hatte er Treue geschworen; ich wußte jedoch, daß er mich haßte, daß er in seinem Herzen auch Xodar beneidete und haßte, so daß ich immer ein Auge auf ihn hatte. Bald kam ich zu der Überzeugung, daß er in irgendeine Intrige verwickelt war. Ein paarmal hatte ich ihn dabei beobachtet, wie er nach Dunkelwerden die ummauerte Stadt der Erstgeborenen verließ und den Weg zum schrecklichen Tal Dor einschlug, wo es für keinen ehrlichen Menschen ein ehrliches Geschäft gab. Er huschte jetzt am Rande des Waldes entlang, bis er außer Hör- und Sehweite der Stadt war; dann ging er über den roten Rasen hinunter zum Ufer der Verlorenen See von Korus. Der nähere Mond schwang sich über das Tal, und in seinen Strahlen glitzerte Thurids juwelenbesetzter Harnisch in tausend ständig wechselnden Lichtern; sein ebenholzschwarzer glatter Körper schimmerte. Zweimal wendete er den Kopf und schaute zum Wald zurück in der Art eines Mannes, der etwas zu verbergen hat, doch er schien nicht mit einer Verfolgung zu rechnen. Im hellen Mondschein durfte ich ihm natürlich nicht folgen, denn es war mein Plan, den seinen nicht zu stören. Ich wollte, daß er seinen Bestimmungsort erreichte, ohne daß er mißtrauisch geworden war, da ich den Wunsch hatte, genau zu erfahren, wohin er ging und was er zu tun gedachte. Deshalb versteckte ich mich, bis Thurid über den Rand des steilen Seeufers verschwunden war, das etwa 500 Meter vom Waldrand entfernt lag, dann eilte ich zusammen mit Wula über die Wiese hinter ihm her.

Grabesstille lag über diesem geheimnisvollen Tal des Todes, das sich tief in das warme Nest am versunkenen Südpol des sterbenden Planeten schmiegte. In der Ferne ragte die mächtige Barriere der Goldenen Klippen in den sternenhellen Himmel, und die mit kostbaren Metallen und Edelsteinen durchsetzten Felsen funkelten im hellen Licht der beiden herrlichen Marsmonde. Hinter mir lag der parkartig gepflegte Wald, der ebenso wie der Rasen von den häßlichen Baummännern abgeweidet wurde. Vor mir hatte ich die Verlorene See von Korus; etwas weiter entfernt erkannte ich das schimmernde Band des Iss, des Flusses der Geheimnisse, der unter den Goldenen Klippen herausströmte und sich in den Korus ergoß, zu dem seit unendlichen Zeiten die verzweifelten, enttäuschten und unglücklichen Marsianer der äußeren Welt in einer freiwilligen Pilgerschaft zu einem trügerischen Himmel kamen. Die Baummänner mit ihren blutdürstigen Händen und die grausamen weißen Affen, die das Tal Dor auch bei Tag zu einem Alptraum machen, schliefen jetzt in ihren Verstecken.

Jetzt stand kein Heiliger Thern mehr auf dem Balkon in den Goldenen Klippen über dem Iss, um mit seinem geisterhaften Schrei jene Opfer anzulocken, die in dem kalten, breiten Bett des alten Iss in ihr Verderben schwammen.

Die Flotte von Helium und die Erstgeborenen hatten die Festungen und die Tempel der Therns gesäubert, als sie sich weigerten, sich zu ergeben und die neue Ordnung anzunehmen, die ihre falsche Religion von dem seit langem unter ihr leidenden Mars wegschwemmte. In wenigen abgelegenen Ländern besaßen sie noch immer die alte Macht; aber Matai Shang, der Vater der Therns, war aus seinem Tempel vertrieben worden. Unter großen Anstrengungen hatten wir ihn einzufangen versucht, aber er war mit einigen seiner Getreuen entkommen, und wir hatten keine Ahnung wohin.

Als ich vorsichtig zum Rand des niederen Steilufers vordrang, sah ich Thurid, der auf einem kleinen Boot in die schimmernden Wasser der Verlorenen See von Korus eintauchte; es war eines jener uralten, seltsam gearbeiteten Boote der Heiligen Therns, die von den Priestern und niederen Therns an den Ufern des Iss bereitgestellt wurden, um den Opfern die lange Reise zu erleichtern.

Es lagen also noch viele ähnliche Boote am Ufer. Jedes hatte eine lange Stange, an deren einem Ende eine Spitze, am anderen Ende ein Paddel angebracht war. Thurid hielt sich an die Küste, und als er hinter einem Felsvorsprung außer Sicht kam, schob ich eines der Boote ins Wasser, rief Wula zu mir und stieß vom Ufer ab.

Thurids Verfolgung führte mich an der Küste entlang zur Mündung des Iss. Der fernere Mond stand niedrig über dem Horizont und warf dichte Schatten unter die Klippen, welche das Wasser einrahmten. Thuria, der nähere Mond, war untergegangen und erst wieder in vier Stunden zu erwarten, so daß ich für einige Zeit mit einer schützenden Dunkelheit rechnen konnte.

Immer weiter ruderte der schwarze Krieger, bis er zur Mündung des Iss kam. Ohne auch nur einen Moment zu zögern, lenkte er das Boot in den düsteren Fluß und paddelte mit kräftigen Stößen gegen die Strömung an.

Ich folgte ihm mit Wula und verkürzte dabei die Entfernung ein wenig, da der Mann vollauf damit beschäftigt war, sein Boot flußaufwärts zu lenken und daher kaum bemerkte, was hinter ihm vorging. Auch jetzt hielt er sich an das Ufer, wo die Strömung weniger stark war.

Bald kam er zu einem höhlenartigen Portal in den Felsen der Goldenen Klippen, und nun ruderte er in diese höllische Dunkelheit hinein.

Ich konnte meine Hand vor den Augen nicht mehr sehen, und es erschien mir unmöglich, ihm zu folgen. Fast wollte ich schon die Verfolgung aufgeben und mich zur Flußmündung zurücktreiben lassen, um ihn dort zu erwarten, aber da kam ich um eine Biegung und sah einen Lichtschimmer vor mir.

Nun erkannte ich mein Wild wieder deutlich, und im heller werdenden Licht der phosphoreszierenden Flecken im Dach der Höhle wurde seine Verfolgung wesentlich leichter.

Dies war meine erste Reise auf dem Fluß Iss, und alles, was ich dort sah und erlebte, grub sich unauslöschlich in mein Gedächtnis ein. Es waren schreckliche Erlebnisse, aber noch viel schlimmer mußte dort alles gewesen sein, ehe Tars Tarkas, der große grüne Krieger, Xodar, der schwarze Dator und ich das Licht der äußeren Welt in diese Dunkelheit brachten und den irren Ansturm der Millionen auf die freiwillige Pilgerschaft zu dem, wie sie glaubten, wundervoll friedlichen Tal des Glückes und der Liebe, aufhielten. Auch jetzt noch waren die winzigen, niederen Inseln im breiten Strom mit den Skeletten und halb aufgefressenen Leichen jener übersät, die in einem plötzlichen Erwachen zur Wahrheit ihre Reise unmittelbar vor ihrem Ende abbrachen.

Im schrecklichen Gestank dieser grauenhaften Leicheninseln kreischten und jammerten ausgemergelte Irre, die um die Reste ihrer kannibalischen Mahlzeiten kämpften; auf jenen Inseln, auf denen es nur noch saubere Knochen gab, kämpften sie miteinander, da die Schwächeren den Stärkeren zur Nahrung dienten; oder sie griffen mit ihren Klauenhänden nach den aufgedunsenen Leichen, die der Strom mitbrachte.

Aber Thurid beachtete diese kreischenden Wesen nicht, die ihm weder bedrohlich noch erbarmenswürdig erschienen, da er vermutlich mit diesem entsetzlichen Anblick vertraut war. Etwa einen Kilometer weit fuhr er den Fluß hinauf; dann lenkte er zum linken Ufer hinüber und zog sein Boot auf eine Felsleiste hinauf, die fast auf gleicher Höhe mit dem Wasserspiegel lag.

Ich konnte ihm natürlich nicht quer über den Fluß folgert, denn er hätte mich sonst sicher gesehen. Deshalb hielt ich auf meiner Flußseite unter einem überhängenden Felsen an, in dessen dichten Schatten ich kaum bemerkt werden konnte. Hier konnte ich Thurid gut beobachten.

Der Schwarze stand neben seinem Boot auf der Felsleiste und schaute flußaufwärts, als erwarte er aus jener Richtung jemanden.

Wie ich bemerkte, ging eine ziemlich starke Strömung zur Flußmitte hin, so daß es mir ziemlich schwer fiel, mein Boot unter dem Felsen festzuhalten. Ich fuhr also näher an das Ufer heran, um dort einen Halt zu finden, doch umsonst. Ich mußte also dort bleiben, wo ich war, und gegen die Strömung paddeln, die mich sonst weggeschwemmt hätte.

Es war mir nicht klar, woher diese Strömung kam, denn der Hauptkanal des Flusses war deutlich zu erkennen, und ich sah auch die Stelle mit der unruhigen Wasseroberfläche, wo sich der Fluß mit jener geheimnisvollen Strömung vereinte, die meine Neugier erweckte.

Während ich noch darüber nachdachte, erregte Thurid wieder meine Aufmerksamkeit, denn er hob beide Hände mit den Handflächen nach vorne über den Kopf in der allgemeinen Grußgeste der Marsianer, und einen Moment später folgte sein »Kaor!«, das Grußwort auf Barsoom.

Ich sah in die Richtung, in die er sich gewandt hatte, soweit es mir von meinem Versteck aus gelang, und erblickte auch sofort ein langes Boot, das mit sechs Männern besetzt war. Fünf waren an den Paddeln der sechste nahm den Ehrensitz ein.

Die weiße Haut, die langlockigen gelben Perücken auf den kahlen Schädeln und die großartigen Goldreifen mit den Diademen auf den Perücken wiesen sie als Heilige Therns aus.

Sie legten neben der Felsleiste an, auf der Thurid sie erwartete, und der Mann im Bug des Bootes stieg heraus. Ich sah, daß es kein anderer war als Matai Shang, Vater der Therns.

Die offensichtliche Herzlichkeit, mit der die beiden Männer einander begrüßten, verwunderte mich, denn schwarze und weiße Menschen sind und waren auf Barsoom seit uralten Zeiten Feinde. Ich habe noch nie erlebt oder gehört, daß die beiden einander anders als im Kampf gegenübergestanden hätten.

Es schien, als hätten die Ereignisse der letzten Zeit diese beiden Völker einander nähergebracht, und zwischen den beiden Männern mochte es sogar eine Allianz gegen den gemeinsamen Feind geben; jetzt verstand ich auch, warum Thurid so häufig in das nächtliche Tal Dor gegangen war, und ich vermutete, daß sich eine Verschwörung anbahnte, die sich gegen meine Freunde oder auch nur gegen mich richtete.

Hätte ich nur eine sichere Stelle gefunden, die nahe genug war, um das mithören zu können, was sie sprachen! Da ich jedoch den Fluß nicht überqueren konnte, beobachtete ich sie. Sicher hätten sie viel dafür gegeben, wäre ihnen bekannt geworden, wie nahe ich ihnen war! Wie leicht hätten sie mich mit vereinter Kraft überwältigen und töten können!

Ein paarmal deutete Thurid in meine Richtung, doch ich glaube nicht, daß dies auch mir galt. Etwas später bestieg Thurid zusammen mit Matai Shang dessen Boot, das sofort in den Fluß drehte und auf mich zu steuerte.

Ich bewegte mein Boot noch tiefer unter die überhängenden Felsen, aber das andere Boot schien mich zu verfolgen. Die fünf Ruderer brachten es auf eine solche Geschwindigkeit, die mir als einzelnem Mann niemals möglich gewesen wäre.

Jeden Moment konnte mein Boot an den Felsen krachen, und das Licht vom Fluß her war nicht mehr zu sehen, doch ganz in der Ferne erkannte ich über dem noch immer offenen Wasser einen schwachen Lichtschimmer.

Da wurde es mir mit einem Mal klar, daß ich einem unterirdischen Fluß folgte, der sich an jener Stelle, an der ich mich befand, in den Iss ergoß.

Das Rudergeräusch des anderen Bootes überdeckte das meine, aber nun mußte ich damit rechnen, daß sie mich im Schein des vor uns liegenden Lichtes erkannten.

Ich durfte also keine Zeit verlieren. Was auch immer ich tun wollte, es mußte blitzschnell geschehen. Ich schwang den Bug meines Bootes nach rechts zur felsigen Seite des Flusses und blieb dort liegen, während Matai Shang und Thurid sich an die Mitte des Wasserlaufes hielten, der viel schmaler war als der Fluß Iss.

Nun, da sie mir näher waren, vernahm ich auch ihre Stimmen, die sie im Streit erhoben hatten.

»Ich sage dir, Thern«, sprach der schwarze Prinz, »daß ich mich nur an John Carter, Prinz von Helium, rächen will. Ich führe euch in keine Falle. Was könnte ich schon dadurch gewinnen, daß ich euch an jene verrate, die mein Volk und mein Haus zerstört haben?«

»Laß uns hier ein wenig anhalten, damit ich deine Pläne hören kann«, erwiderte der Hekator. »Dann können wir vielleicht einander und unsere Pflichten besser verstehen.«

Das Boot setzte sich wieder in Bewegung und legte höchstens ein Dutzend Schritte von mir entfernt am felsigen Ufer an. Da sie zwischen dem Lichtschimmer und mir lagen, war ich vor Entdeckung etwa so sicher, als wäre ich Kilometer von ihnen entfernt gewesen. Die paar Worte, die ich verstanden hatte, erregten erst recht meine Neugier, und ich konnte es kaum mehr erwarten, zu hören, welche Rache sich Thurid gegen mich ausgedacht hatte. Ich brauchte auch nicht lange zu warten, und dann spitzte ich selbstverständlich die Ohren.

»Es gibt da keine Verpflichtungen, Vater der Therns«, fuhr der Erstgeborene fort. »Thurid, der Prinz der Issus, hat keinen Preis. Wenn unser Plan richtig vollendet ist, dann werde ich mich freuen, wenn du dafür sorgst, daß ich richtig empfangen werde, wie es meinem hohen Rang und meiner Abstammung zukommt. Es muß ein Hof sein, an dem man dem alten Glauben noch treu anhängt, denn ich kann nicht in das Tal Dor oder in ein anderes Land zurückkehren, das der Gewalt des Prinzen von Helium untersteht. Doch selbst das verlange ich nicht, sondern es geschehe alles nach deinem Wunsch und wie die Verhältnisse es zulassen mögen.«

»Es soll so sein, wie du es wünschest, Dator«, erwiderte Matai Shang; »doch das ist noch lange nicht alles. Ehren und Reichtümer warten deiner, wenn du meine Tochter Phaidor befreist und Dejah Thoris, Prinzessin von Helium, in meine Hände übergibst.«

Sein Gesicht war eine bösartige Fratze, als er fortfuhr: »Der Erdenmann aber soll leiden für die Schmach, die er auf die Heiligsten der Heiligen gehäuft hat, und keine Schlechtigkeit kann schlecht genug sein für seine Prinzessin. Stünde es in meiner Macht, dann würde ich ihn sogar zwingen, die Demütigung und Erniedrigung der Roten Frau als Zeuge mitzuerleben.«

»Ehe noch ein Tag vorüber ist, sollst du dich rächen können, Matai Shang«, sagte Thurid. »Du brauchst nur ein Wort zu sagen.«

»Ich habe vom Tempel der Sonne gehört, Dator«, erwiderte Matai Shang. »Doch noch nie hörte ich, daß einer der Gefangenen befreit werden konnte, ehe das Jahr der Einkerkerung vorüber war. Wie willst du also das Unmögliche vollbringen?«

»Man kann sich zu jeder Zelle des Tempels und jederzeit Zugang verschaffen«, erklärte Thurid. »Nur Issus wußte es, und es war nicht die Gewohnheit der Issus, mehr Geheimnisse preiszugeben, als nötig. Aber nach ihrem Tod bin ich zufällig auf die alten Tempelpläne gestoßen, und dort fand ich die genauesten Anweisungen dafür, wie man nach Belieben zu den Zellen gelangen kann.

In vergangenen Zeiten sind viele Männer für Issus diese Wege gegangen, um den Gefangenen Tod und Pein zu bringen. Die aber, die das Geheimnis erfuhren, starben auf geheimnisvolle Weise, nachdem sie der grausamen Issus Bericht erstattet hatten.«

»Dann wollen wir also beginnen«, antwortete Matai Shang schließlich. »Ich muß dir vertrauen, doch ich muß auch dein Vertrauen verlangen, denn wir sind sechs Männer gegenüber einem.«

»Ich fürchte mich nicht, und auch du hast nichts zu fürchten. Es genügt, daß wir unseren gemeinsamen Feind hassen, denn der Haß festigt unsere gegenseitige Loyalität. Wenn wir die Prinzessin von Helium entführt haben, dann haben wir noch mehr Grund für unsere Allianz, denn ich glaube kaum, daß ich das Temperament ihres Herrn falsch einschätze.«

Matai Shang gab den Ruderern eine Anweisung, und das Boot setzte sich weiter in Bewegung.

Am liebsten wäre ich nun auf diese gemeinen Verschwörer eingedrungen, um sie zu erschlagen, doch ich sah natürlich ein, daß ich nicht die geringsten Aussichten hatte, mich gegen eine solche Übermacht zu behaupten. Ich hätte Dejah Thoris nicht genutzt, wenn ich den einzigen Mann erschlagen hätte, der mich vor Ablauf des Jahres zu meiner Prinzessin führen konnte.

Wenn er also Matai Shang zu diesem Ort bringen konnte, dann konnte auch John Carter, Prinz von Helium, ihm folgen. Und mit diesem Gedanken tauchte ich mein Paddel ein und folgte dem großen Boot.

Загрузка...