5. KAPITEL


Drei Tage lang hatte ihr Weg sie in die Berge geführt, und mit ihnen war der Regen nach Westen gezogen. Kaum einer Menschenseele waren sie unterwegs begegnet. Da waren ein Köhler und seine Familie, ein Waldbauer und ein Jäger gewesen und ein paar Reisende... Keiner von ihnen hatte vom Feuervogel gehört. Zumindest behaupteten sie das. Die Leute in den Bergen waren ein verschlossener Menschenschlag. Sie blieben den Gefährten gegenüber mißtrauisch, und Golo war sich sicher, selbst wenn der Feuervogel noch in der Nacht zuvor auf dem Giebel ihrer armseligen Hütten gesessen hätte, daß sie es Fremden gegenüber leugnen würden. Doch vielleicht gab es die Kreatur ja auch wirklich nicht...

Nach dem Buchenhain mit den Gepfählten waren sie auf keine weiteren Spuren des Ebers gestoßen. Offenbar hatten sich der Räuber und seine Gefolgschaft in irgendein unzugängliches Tal zurückgezogen. Noch immer lastete dieser schreckliche Morgen auf ihnen. Mechthild hatte seitdem kein Wort mehr gesprochen. Es war ganz so, als habe der Anblick der geschundenen Toten ihr die Zunge im Mund verdorren lassen. Volker hatte sich alle Mühe gegeben, sie den Schrecken vergessen zu lassen. Er hatte für sie gesungen und ihr stundenlang Geschichten erzählt, doch nichts vermochte ihr Schweigen zu brechen. Und so hatte sich schließlich die Stille wie ein böser Fluch auf die Gruppe gelegt. Jeder hing seinen Gedanken nach, und es waren allein der monotone Hufschlag auf der gepflasterten Straße und der tausendstimmige Gesang der Waldvögel zu hören.

Vor ihnen auf einer langgezogenen Hügelkuppe erhob sich eine kleine Stadt, Icorigium. Sie war von einer graubraunen Mauer umgeben, der man deutlich die Narben noch nicht allzulange zurückliegender Belagerungen ansah. An zwei Stellen, wo Breschen in die Mauer geschlagen worden waren, hatte man hölzerne Palisaden errichtet. Massive halbrunde Türme verstärkten in Abständen von vielleicht zwanzig Schritt die Verteidigungsanlagen. Der Köhler, bei dem sie die letzte Nacht verbrachten, hatte ein wenig über Icorigium erzählt. Es war eine Stadt der Schmiede und Bergleute. Eisenminen hatten die Siedlung reich gemacht, und Graf Ricchar ließ hier einen großen Teil der Waffen und Rüstungen für seine Krieger schmieden.

Dunkle Rauchfahnen stiegen hinter den hohen Mauern auf und wurden vom rauhen Wind zerpflückt. Auf den Hügelflanken schimmerten golden die Stoppeln abgeernteter Weizenfelder. Golo stutzte. Irgend etwas stimmte hier nicht. Er drehte sich im Sattel um und ließ den Blick über die dunklen Waldränder und die abgeholzten Hügelflanken schweifen. Keine Menschenseele zeigte sich. Und das, obwohl die Stadt Hunderte von Einwohnern haben mußte.

Unter dem Torbogen am Ende der Straße blinkte fahles Sonnenlicht auf poliertem Stahl. Der junge Ritter schirmte die Augen ab. Das Stadttor war geöffnet. Zwei Wachen standen dort.

Mit leichtem Schenkeldruck brachte der junge Ritter seine Stute näher zu Volkers Grauem hinüber.

»Wollen wir dort wirklich hinauf? Ich hab’ kein gutes Gefühl bei der Sache.«

Der Spielmann zuckte mit den Schultern. »Dort wird es warme Quartiere geben... Außerdem werden wir in der Stadt sicherlich jemanden finden, der den Feuervogel gesehen... oder zumindest von ihm gehört hat.«

Golo räusperte sich. Einen Augenblick lang überlegte er, ob es möglich wäre, seinen Kameraden doch noch zu überzeugen. Dann verwarf er den Gedanken. Volker war ein Dickkopf. Er hatte beschlossen, in Icorigium Quartier zu nehmen, und er würde es tun...

Sie hatten das Tor jetzt fast erreicht. Zwei fränkische Krieger in schlichten grauen Tuniken standen dort Wache. Ihre schweren eisernen Helme lagen neben ihnen auf dem Boden. Im Toreingang lehnten rote Rundschilde. Einer der Männer baute sich mitten unter dem Torbogen auf und versperrte den Weg, während der andere seinen Speer fortlegte und ihnen entgegenkam.

»Woher des Weges, Fremde?«

Volker hob die Rechte zum Gruß. »Wir kommen aus Castra Bonna und waren dort Gäste des Grafen Ricchar. Unsere Reise führt uns nach Treveris. Wir wollen hier einige Tage Quartier nehmen.«

Der Wächter runzelte die Stirn. »Ihr solltet besser nicht zu lange bleiben. Bald wird der Regen kommen. Dann ist es keine Freude, über die Berge zu müssen. Aber das soll nicht meine Sorge sein. Ihr habt für jedes Bein, das unsere Stadt betritt ein Kupferstück Torzoll zu entrichten, Herr.«

Der Spielmann griff nach dem Geldbeutel an seinem Gürtel, öffnete ihn und warf dem Soldaten zwei Silberstücke zu. Golo biß grimmig die Zähne aufeinander. Volker war zu großzügig! Dieser Torzoll war Wucher, und dem Franken auch noch mehr zu geben, als er verlangte... Die Adligen wußten einfach nicht mit Geld umzugehen! Wenn Volker so weitermachte, wäre ihre Reisekasse noch vor Mitte des Winters dahin.

Der Wachposten unter dem Torbogen trat beiseite und ließ sie passieren. »Reitet die Straße gerade hinauf bis zum Marktplatz«, rief der Soldat ihnen nach. »Dort hält unser Magister Equitum Gericht. Wenn Ihr Euch beeilt, könnt Ihr sicher noch der Urteilsvollstreckung beiwohnen.«

Volker nickte beiläufig. »Wo finde ich eine Schenke, in der wir Nachtquartier nehmen können.«

»Am Marktplatz. Jedenfalls wenn Ihr eine Unterkunft sucht, die Eurem Rang entspricht, Herr. Vielleicht könnt Ihr auch im Praetorium untergebracht werden, wenn Ihr den Magister Equitum fragt. Als Gäste des Grafen Ricchar hättet Ihr ein Anrecht darauf.«

Golo zuckte bei den letzten Worten zusammen. Er verspürte nicht die geringste Lust, schon wieder die Gastfreundschaft von Franken zu genießen. Golo wartete, bis sie außer Hörweite der Wachen waren. »Wir werden doch nicht bei diesem fränkischen Statthalter absteigen, oder?«

Der Spielmann drehte sich im Sattel um und grinste. »Du möchtest also lieber Geld für unsere Unterkunft ausgeben? Du drehst doch sonst jedes Kupferstück zweimal um... Nun, wir sollten versuchen, dem Statthalter aus dem Weg zu gehen. Sonst würden wir womöglich noch eingeladen, und dann gäbe es kein Zurück mehr.«

»Das heißt, wir nehmen die Schenke?«

»Ich will heute abend mit meiner Laute auf dem Schoß zwischen einfachen Leuten sitzen und meine Lieder spielen. So werde ich gewiß mehr über den Feuervogel erfahren als in einer Tafelrunde zwischen Offizieren. Wir nehmen die Schenke!«

Golo war erleichtert. Den Magister Equitum zu meiden konnte ja nicht so schwer sein. Neugierig betrachtete Golo die Häuser entlang der Straße. Sie waren zum größten Teil aus Stein oder aus gebrannten Ziegeln errichtet, und fast alle hatten zwei oder drei Geschosse. Nur hier und dort gab es einfachere Fachwerkbauten, die Wände mit Lehm verputzt und die Dächer aus schlichten Holzschindeln oder Ried.

Am Ende der Straße konnten sie einen Pulk von Menschen sehen. Sie schienen jemandem zu lauschen. Der Wind trug einzelne Wortfetzen zu ihnen. »Empörer... in die ewige Finsternis stoßen... der Fürst des Lichtes...«

Golo blickte zu Volker. Der Spielmann blickte starr zum Ende der Straße, so, als würde er von einer unsichtbaren Macht dorthin gezogen. Mechthild hatte sich dicht an seine Schulter gedrängt. Golo schluckte. Das Mädchen tat ihm leid. Sie hätte nicht hier sein sollen. Er räusperte sich. Er wollte etwas sagen, doch sein Mund war trocken wie Staub. Der Abstand zu Volker hatte sich etwas vergrößert. Dumpf hallte der Hufschlag ihrer Pferde von den Häuserwänden. Einige der Schaulustigen am Ende der Straße wandten sich zu ihnen um. Die Stimme des Redners war verstummt. Einen Atemzug lang herrschte Stille. Dann lief ein Raunen wie Meeresbrandung durch die Menge.

Die beiden Ritter hatten jetzt fast das Ende der Straße erreicht. Einige der Männer und Frauen wichen vor ihnen zurück. Sie hatten verhärmte Gesichter. Deutlich konnte Golo hören, wie ein Weib mit schwarzem Kopftuch dem Mann an ihrer Seite zuflüsterte: »Das hatte Pater Anselmus nicht verdient. Er hat nie etwas Unrechtes getan. Sie hätten ihn verjagen sollen, aber das...«

Golo konnte jetzt den ganzen Platz überblicken. Man hatte dort einen Galgen errichtet. Ein Mann in langer brauner Kutte schwang am Ende des Seils. Golo bekreuzigte sich und flüsterte ein Vaterunser. Wie konnten diese Ketzer es wagen, einen Mann der Kirche zu richten? Einige berittene Krieger mit eisernen Masken hielten die Schaulustigen von der Mitte des Platzes zurück. Neben dem Galgen war ein Scheiterhaufen errichtet worden, auf dem eine Frau in weißem Büßerinnenhemd stand. Sie hatte langes rotgelocktes Haar, das ihr bis weit über die Schultern hinabfiel. Ein Krieger in prächtiger Rüstung, der einen Rappen ritt, näherte sich dem Scheiterhaufen. Er hielt eine brennende Fackel in der Rechten. Sein Pferd tänzelte unruhig. Waffenknechte, die kleine Fässer schleppten, eilten herbei und tränkten das trockene Holz des Scheiterhaufens in Lampenöl. Der Krieger auf dem schwarzen Hengst wandte sich zur Menge. Auch er trug einen Maskenhelm. Sein silbern funkelndes Gesicht war von unirdischer Schönheit. Aus Bronze gehämmerte Locken rahmten seine Stirn. Er wies mit der Fackel zu der Frau auf dem Scheiterhaufen. »Ihr alle kennt Belliesa, die Zauberin. Sie hat sich an Sol Invictus vergangen, aufrührerische Reden geführt und den Gott des Lichtes gelästert.« Der Reiter winkte einem Soldaten zu, der eine gesattelte Stute herbeiführte. Er nahm eine kostbare Laute vom Sattelhorn und hielt sie hoch in die Luft. Das Instrument war aus dunklem Holz gefertigt und mit kostbaren Elfenbeinintarsien geschmückt.

»Seht diese Laute, die von Ahrimans dunklen Dienern geschaffen wurde. Finsterer Zauber ist in diesem Holz gefangen und hat ihm alle Farbe genommen. Wer immer dem Instrument lauschte, ward von seiner dämonischen Macht umsponnen, und die liebliche Stimme der Zauberin tat das ihre, der aufrührerischen Saat ihrer Lieder fruchtbaren Boden zu bereiten.«

Golo warf einen besorgten Blick zu Volker. Der Barde hob Mechthild vom Pferd.

»Kümmere dich um das Mädchen, Golo!«

Der junge Ritter schüttelte den Kopf. »Du hast versprochen, daß wir uns unauffällig verhalten. Ist das deine Art, dein Wort zu halten?«

»Ich bin zu spät gekommen, um das erste Unrecht zu verhindern, das hier auf diesem Platze geschehen ist. Meine Ehre als Ritter verbietet mir, dem Mord an der Bardin zuzusehen, ohne meine Stimme zu erheben.«

»Glaubst du, sie werden sie vom Scheiterhaufen holen, nur weil du sie darum bittest?« fragte Golo zynisch. »Es sind viel zu viele. Du kannst nicht gegen sie gewinnen.«

»Die Aussicht zu gewinnen spielt keine Rolle, wenn es darum geht, eine ritterliche Entscheidung zu treffen. Man darf einem Unrecht niemals unwidersprochen beiwohnen. Sieg oder Niederlage sind unwesentlich... Auch wenn du dir die goldenen Sporen verdient hast, mein Freund, fürchte ich, bist du noch weit davon entfernt, ein wahrer Ritter zu sein.«

»Aber...«

Volker hob einen Finger an die Lippen und schüttelte dann den Kopf. »Sag nichts mehr. Bedenke meine Worte, und wünsche mir Glück. Ich werde es brauchen können.«

Der Spielmann gab seinem Pferd die Sporen. Vor ihm bildete sich eine Gasse in der Menge, und der Krieger mit dem Maskenhelm wurde auf ihn aufmerksam.



»Was willst du, Fremder?« Der Mann mit der eisernen Maske hatte sein Pferd gewendet und starrte zu Volker herüber. Auf dem weiten Marktplatz war es fast totenstill. Nur das leise Knarren des pendelnden Galgenseils, von dem der tote Priester hing, störte die Ruhe.

Volker zog sein Schwert. Einige der Krieger, die den Platz abgeriegelt hatten, hoben drohend ihre Speere.

»Ich stelle meine Klinge zwischen dich und die Bardin. Ich verlange ein Gottesurteil. Nach altem Recht darf jeder zum Tode Verurteilte einen Streiter für seine Sache stellen. Ich werde für Belliesa kämpfen.«

»Hier gilt das Recht des Gaugrafen Ricchar. Wer bist du, daß du es wagst, seine Autorität in Frage zu stellen?«

Der Spielmann reckte stolz das Haupt. »Man nennt mich Volker von Alzey. Ich bin der Barde des Königs Gunther von Burgund. Mag es sein, daß du die Kraft meines Gottes fürchtest, oder warum weichst du dem Kampf aus? Du bist der Kläger. Nenne einen Streiter, der für dich kämpfen soll!«

Der Krieger lachte. »Ich bin Heliodromus, der Statthalter von Icorigium und Magister Equitum im Heer des Grafen Ricchar. Ich habe in meinem Leben noch niemals jemanden gebraucht, der für mich gekämpft hat. Kein Krieger vermochte es, mich je zu besiegen. Hat dich die Zauberin mit einem Bann belegt, daß du es wagst, mich zu fordern, du Narr. Ich biete dir an, dich nun in Ehren zurückzuziehen, statt in einem sinnlosen Kampf dein Leben zu verlieren.«

Volker lächelte selbstsicher. »Mein Leben liegt in der Hand Gottes. Es besteht für mich also kein Anlaß zur Sorge. Bist du bereit, meine Forderung anzunehmen?«

Heliodromus blickte zu dem Gehängten. »Auch er vertraute auf den Christengott. Mich dünkt, er hat eine schlechte Wahl getroffen.« Einige der Soldaten lachten. Der Magister Equitum winkte einem Krieger in der Nähe, gab ihm die Zügel seines Hengstes und ließ sich aus dem Sattel gleiten. »Du hast mich gefordert, Volker. Also obliegt mir die Wahl der Waffen. Ich entscheide mich für Reiterschwerter!« Heliodromus nahm die Waffe, die von einem der Hörner seines römischen Sattels hing, und zog blank.

Auch Volker stieg ab. Der Franke war verdammt selbstsicher. Der Spielmann spürte, wie sein Herz schneller zu schlagen begann. Er durfte jetzt keinen Fehler machen! Er würde Heliodromus zunächst einmal angreifen lassen, um zu sehen, was für ein Kämpfer er war. »Nach welchen Regeln streiten wir?«

»Du berufst dich auf das alte Recht, Burgunde, also kämpfen wir bis zum Tode. Schließlich ist dies ein Gottesurteil, und wer immer unterliegt, hat offenbar die Gnade seines Gottes verloren. Ich weiß nicht, wie es bei dir steht, Christ, doch ich würde in dem Bewußtsein, die Gunst Mithras’ verloren zu haben, nicht weiterleben wollen. Selbst wenn du mich nicht töten würdest, müßte ich nach dem alten Recht auf den Scheiterhaufen gestellt werden, da ich als Verleumder dastünde und mir die Strafe zuteil werden müßte, die ich einer offenbar Unschuldigen zugedacht hatte. Doch sei unbesorgt! Dazu wird es nicht kommen. Ich weiß, daß dieses Weib sich der Zauberei schuldig gemacht hat.«

Volker murmelte ein kurzes Gebet und blickte zu Belliesa. Die Franken hatten ihr einen Knebel angelegt, so, als schienen sie selbst jetzt noch ihre Worte zu fürchten. Die Bardin wirkte blaß. Als sie bemerkte, daß er zu ihr hinübersah, nickte sie ihm kurz zu. Ob der Franke im Recht war? Konnte sich hinter soviel Schönheit eine finstere Zauberin verbergen?

Der Burgunde leckte sich nervös über die Lippen. »Ich bin bereit, Heliodromus.«

Der Magister Equitum machte keine Anstalten anzugreifen. Ruhig stand er vor dem Scheiterhaufen, das Schwert leicht erhoben, und wartete auf Volker. Der Spielmann schluckte. Er haßte es, wenn seine Gegner sich in der Darstellung gelassener Selbstsicherheit präsentierten. Offenbar fehlte dem Franken die Phantasie, sich überhaupt nur vorstellen zu können, daß er im Schwertkampf auch einmal unterliegen könnte...

Mit einem plötzlichen Satz nach vorne griff Volker an, das Schwert weit vorgestreckt, um es dem Statthalter geradewegs durch den Leib zu rammen. Ein leises Raunen ging durch die Menge. Erst im allerletzten Moment machte der Franke einen Schritt zur Seite. Seine Klinge fuhr in einem blitzenden Halbkreis hinab und verfehlte den Kopf des Barden, der sich hastig duckte, um weniger als einen Fingerbreit. Deutlich hatte Volker den Luftzug der Waffe gespürt. Mit zwei schnellen Schritten brachte er sich außer Reichweite des Kriegers. Statt ihm nachzusetzen, nahm Heliodromus wieder seine abwartende Stellung ein. Volker krampfte wütend seine Faust um den Schwertgriff. Der Franke wollte ihn nicht allein besiegen, er wollte ihn vorführen, demütigen...

Volker zwang sich zur Ruhe. Wie man einen Auftritt in Szene setzte, wußte er mit Sicherheit besser. Der Spielmann drehte sein Langschwert, so daß es mit der Spitze zum Boden zeigte. In der Rechten hielt er den Schwertgriff nur noch zwischen Daumen und Zeigefinger. Seine linke Hand legte der Spielmann auf den fein ziselierten Scheibenknauf seiner Waffe. Er hatte diese ungewöhnliche Schwerthaltung erst in einigen Übungsstunden mit Hagen erprobt, doch selbst den finsteren Recken hatte er damit zu beeindrucken vermocht. Kein vernünftiger Mensch hielt seine Waffe auf diese Art...

Heliodromus schien irritiert. Volker wünschte, er könne durch die eiserne Maske hindurch das Gesicht seines Gegners sehen. Die kalten, ebenmäßigen Züge der Maske verbargen jede Regung seines Gegenübers. Sie unterstrichen die zur Schau gestellte Gelassenheit. Ein blechernes Lachen erklang. »Sollte ich dich am Kopf getroffen haben, daß du nicht mehr weißt, wie man ein Schwert in Händen hält, Barde.« Der Statthalter ernte mit seiner Bemerkung einige Lacher. Die meisten Zuschauer jedoch blieben ruhig. Es schien, als sei der Franke nicht sonderlich beliebt in der Stadt.

»Komm her und lehre mich, wie ich eine Waffe zu führen habe. Oder bist du mit dem Boden verwachsen, Heliodromus?«

Der Krieger verlagerte sein Gewicht von einem Bein auf das andere. Einen Augenblick lang schien er unschlüssig. Das Schwert zur Parade erhoben, kam der Recke langsam näher. In gespannter Unruhe folgte Volker jeder Bewegung. Heliodromus war ein gewandter Schwertkämpfer. Nicht einen Atemzug lang gab er sich eine Blöße. Volker fluchte innerlich. Könnte er nur das Gesicht des Franken sehen! Den meisten Kriegern sah man es an, wenn sie sich zu einem überraschenden Angriff entschlossen. Sie preßten die Lippen aufeinander, ihr Blick wurde härter... Es gab Dutzende kleiner Vorzeichen, die den Gedanken an einen Schwerthieb einen halben Herzschlag, bevor er erfolgte, verrieten. Doch Heliodromus war nichts anzumerken, bis er plötzlich vorwärtsschnellte. Wie ein Pfeil, der von der Sehne eines Bogens flog, kam die funkelnde Schwertklinge des Franken auf Volker zugeschossen.

Statt auszuweichen drückte Volker die Hand auf seinem Schwertknauf herunter, und gleich einem stählernen Stachel ragte die Waffe nun waagerecht dem Franken entgegen, wobei die Spitze dicht unterhalb des Halses auf sein Brustbein zielte. Erschrocken zuckte Heliodromus zurück. Volker machte einen Ausfallschritt nach vorne. Seine Schwertspitze schrammte über das Kettenhemd des Franken, der fast das Gleichgewicht verlor und sich taumelnd außer Reichweite der Waffe brachte. Mit einer schnellen Drehung riß der Burgunde sein Schwert herum und führte einen Schlag nach dem Kopf des Statthalters. Heliodromus versuchte seine Klinge zur Parade hochzureißen, doch er war zu langsam. Funken stoben, als Volkers Schwertspitze kreischend über die eiserne Gesichtsmaske schrammte. So als habe ihn die Faust eines Riesen getroffen, schwankte der Statthalter und brach dann in die Knie. In der eisernen Maske klaffte ein Schnitt, der von der Schläfe bis zum Kinn reichte. Dunkles Blut floß über das polierte Metall. Heliodromus fiel die Waffe aus den Händen. Im Licht der Fackel, die er vor Beginn des Kampfes zu Boden gelegt hatte, blinkte ein Ring mit einem goldenen Löwenkopf. Ein ungewöhnlicher Schmuck für einen Kämpfer...

Einige Herzschläge lang herrschte atemlose Stille auf dem Marktplatz. Dann eilten einige der Krieger des Statthalters herbei, um den Magister Equitum aufzuheben und fortzutragen. Volker schob sein Schwert in die Scheide und dankte Gott in einem stummen Gebet.

Ein Krieger mit einem Maskenhelm, über dem sich ein breiter Federkamm erhob, trat vor den Barden. »Für heute hast du gewonnen, Burgunde. Nimm die Zauberin und sieh, daß du davonkommst. Heliodromus hat dir versprochen, daß der Sieger freies Geleit bekommt. Ich werde sein Wort nicht in Frage stellen, doch glaube ich nicht, daß du auf ehrliche Weise gewonnen hast. Jeder konnte sehen, auf welch wunderliche Art du dein Schwert führst, Burgunde. Das haben dich Dämonen gelehrt! In ehrbarem Kampf hättest du den Statthalter niemals besiegt. Wisse also, daß ich dich der schändlichen Zauberei anklage, und von morgen an werden meine Männer dich jagen und dich und die Deinen töten, wo immer sie dich finden.«

Volker bedachte den Offizier mit einem abfälligen Blick, dann zog er seinen Dolch und stieg auf den Scheiterhaufen, um die Fesseln der Bardin zu lösen. Belliesa nickte ihm dankbar zu und massierte einen Augenblick lang ihre blutunterlaufenen Handgelenke. Dann löste sie den Knebel und sprang mit einem Satz von dem Holzstoß. Der Spielmann sah ihr verwundert nach. Er hatte nicht gerade erwartet, daß sie ihm um den Hals fiel und küßte, aber mit etwas mehr Dank für ihre Rettung hatte er schon gerechnet. Belliesa ging auf ihr Pferd zu, holte einen langen schwarzen Umhang aus den Satteltaschen und legte ihn sich um die Schultern. Mit einem Satz war sie im Sattel und blickte zu ihm. »Kommt, Barde, wir haben noch einen weiten Weg bis zur Dämmerung.«

Volker wollte etwas sagen, biß sich aber im letzten Moment auf die Lippen. Wenn er jetzt etwas auf ihre Frechheiten erwiderte, würde die ganze Sache peinlich für ihn. Wie konnte sie es wagen, einfach die Führung an sich zu reißen? Jeder, der zugesehen hatte, mußte denken, er sei ihr Lakai! Wütend stieg er in den Sattel. Belliesa verbeugte sich vor den Städtern, die den weiten Platz umstanden, so daß man meinen könnte, das Ganze sei eine Schmierenkomödie, aufgeführt von einer fahrenden Gauklertruppe. Dem Spielmann blieb nicht verborgen, daß viele der Einwohner Icorigiums offenbar froh darüber waren, daß die Bardin dem Scheiterhaufen entkommen war. Wer war diese Frau?

Belliesa hob die Rechte und winkte Volker zu, ihr zu folgen. Dann gab sie ihrer prächtigen Stute die Sporen und preschte auf das Ende des Platzes zu, an dem Golo wartete. Eine breite Gasse bildete sich zwischen den Zuschauern. »Möge Gott seine schützende Hand über dich halten, Belliesa«, ertönte aus den Gedränge die Stimme einer jungen Frau.


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