8. KAPITEL


Wer auch immer dort kommen mochte, er haßte ihn! Wütend blickte Golo auf die Reste der Feuerstelle. Volker hatte die Glut mit der Suppe und der Himbeersauce gelöscht und dann noch einen Schlauch voll Wasser darüber gegossen. Daneben lagen die knusprig braunen Waldhühner im Gras. Sie waren fast gar gewesen! Über dieser Reise mußte ein Fluch liegen! Das wäre das erste halbwegs vernünftige Essen gewesen, seit sie Castra Bonna verlassen hatten.

Weiter unten am Windbruch ertönte das Heulen von Hunden. Der junge Ritter faßte seine Streitaxt fester. Wenn es ernst wurde, kämpfte er lieber mit dieser Waffe. Sie war langsamer als ein Schwert, aber wo er mit der Axt einmal richtig traf, stand meistens auch ein Gegner weniger. Er hatte diese Art zu kämpfen bei den Normannen im Poitou gelernt. So wie sie benutzte er auch einen langgezogenen tropfenförmigen Schild, der ihn vom Schienbein bis zum Kinn schützte. Beim Reiten war der riesige Schild zwar recht unhandlich, doch jetzt, im Fußkampf, würde er ihm gute Dienste leisten.

Gemeinsam mit Volker hatte sich Golo bis zu den übereinanderliegenden Baumstämmen ganz am Ende des Windbruchs zurückgezogen, so daß ihr Rücken gegen Angriffe geschützt war. Mechthild und Belliesa waren über die Baumpallisade davongeklettert. Die Bardin hatte versprochen, das Mädchen in Sicherheit zu bringen. Unruhig musterte der junge Ritter die Waldränder entlang des Windbruchs. Sie würden ihre Verfolger eine ganze Weile aufhalten müssen, wenn sie sicher sein wollten, daß die beiden Frauen entkamen.

Das Heulen der Hunde klang jetzt schon sehr nahe. Ob die Franken etwa versuchten, in ihren Rücken zu gelangen? Er warf Volker einen ängstlichen Blick zu.

»Ganz ruhig. Es sind Leichtbewaffnete. Sie werden einen schweren Stand gegen uns haben und...« Der Spielmann verstummte. Ihre Verfolger waren nur fünfzig Schritt entfernt aus dem Wald getreten. Es waren acht Krieger, die vier große, graue Wolfshunde an langen Lederleinen mit sich führten. Als die Tiere sie erblickten, bäumten sie sich wild kläffend auf. Golo schluckte! Die Zähne der Bestien erschienen ihm so lang wie kleine Dolche.

Die Krieger waren alle gleich gekleidet. Sie trugen braune Hosen, die an den Waden mit Lederriemen umwickelt waren, dazu lange schwarze Tuniken, die an den Ärmeln und am Hals breite rotweiße Borten schmückten. Soweit Golo erkennen konnte, waren die Männer mit Schwertern oder langen Messern bewaffnet, und jeder von ihnen trug eine kurzstielige Francisca, eine Wurfaxt, in seinem Gürtel. Alle Krieger hatten eiserne Helme, und mit Ausnahme der Hundeführer waren sie mit Rundschilden gewappnet, die einen roten Stierkopf auf weißem Grund zeigten. Ohne Zweifel waren es Männer Ricchars. Golo kannte keinen anderen Fürsten, der solchen Aufwand trieb, um seine Krieger gleich auszurüsten und zu kleiden.

Die Hundeführer nahmen jetzt die Leinen kurz, bereit, die Wolfshunde jeden Moment loszulassen. Einer der Krieger trat ein Stück vor und hob die Rechte zum Gruß.

»Wenn Ihr Euch jetzt ergebt, Herr Volker, muß es kein Blutvergießen geben. Man sagt, daß Ihr ein Freund des Grafen seid. Vielleicht wird unser Herr Euch begnadigen. Es ist offensichtlich, daß Euch die Zauberin in ihren Bann geschlagen hat. Ihr Schicksal ist besiegelt, laßt Euch nicht von Ihr in Euer Verderben ziehen, Herr!«

Der Spielmann lachte lauthals. »Ich fürchte, ich habe eine schlechte Nachricht für dich! Mich dünkt, daß ich immer noch unter dem Bann der Bardin stehe... Mein Kopf sagt mir, es wäre klug, sich dir zu ergeben, doch mein Herz heißt dies einen schändlichen Verrat. Jeder, der mich kennt, - und insbesondere die Damen - wissen, daß ich ein Mann bin, der stets nur auf sein Herz hört. Es wird also darauf hinauslaufen, daß ich dich und die Deinen töte, wenn du angreifst!«

Der Franke schüttelte den Kopf. »Seid Ihr närrisch, Herr? Wir sind acht und...«

»Ganz recht, mein Freund. Ihr seid nur acht! Vielleicht sollte ich meinem Freund verbieten, an meiner Seite zu kämpfen, damit das Verhältnis nicht zu sehr zu deinen Ungunsten ist.«

Golo leckte sich nervös über die Lippen. Volkers Stimme klang absolut zuversichtlich, so, als sei er sich völlig sicher, daß sie die Franken mit Leichtigkeit besiegen würden. Woher nahm er nur diesen Mut? Der junge Ritter wünschte, er könnte auch so denken... Zwei gegen acht... Es war klar, wie das enden würde.

»Ihr glaubt wohl, Burgunden seien unsterblich! Wie Ihr wollt! Ich hatte schon letztes Jahr das Vergnügen, einem Ritter Eures Königs zu zeigen, welche Farbe seine Eingeweide haben. Heute werden es die Hunde tun!« Der Krieger riß den Arm hoch, und im selben Augenblick ließen seine Männer die Hunde los.

»Ich hasse große Hunde!« Golo hob seine Axt. Die Bestien waren deutlich größer als Wölfe und konnten einem ausgewachsenen Mann mit Sicherheit mühelos die Pfoten auf die Schultern legen, wenn sie sich auf die Hinterbeine stellten.

»Sag ihnen das, vielleicht gehen sie dann wieder«, murmelte der Spielmann zynisch. Volker stand breitbeinig vor den Baumstämmen. Er hielt sein Schwert gesenkt, und es schien ihn nicht im mindesten zu beunruhigen, die vier Bestien auf sich zukommen zu sehen. Golo wünschte, er hätte das gleiche Gottvertrauen. Er hatte das Gefühl, daß in seinem Magen ein riesiger Stein lag, der ihn auf die Knie hinabzog. Ängstlich sah er den Hunden zu, wie sie über die Stämme der gestürzten Bäume hinwegsetzten, die kreuz und quer auf der Lichtung lagen. Der Speichel tropfte ihnen in langen Fäden von den Lefzen, so, als könnten sie es kaum erwarten, Blut zu schmecken. Mit einem letzten Satz sprangen sie über die verloschene Feuergrube hinweg und waren dann über ihnen.

Wie der Stoß eines Rammbocks traf Golo der Schlag, als der erste der Hunde gegen seinen Schild sprang. In flachem Bogen schwang seine Streitaxt herab. Ein schrilles Heulen ertönte. Um ein Haar hätte einer der anderen Köter seine Hand erwischt.

Die Bestien zogen sich zurück. Einer der Hunde lag ausgestreckt vor Volker. Ein anderer hatte einen langen blutigen Schnitt über der Schulter und hinkte. Drohend knurrend, blieben sie etwa fünf Schritt entfernt stehen. Sie hatten die Schwänze zwischen die Hinterbeine geklemmt.

Golo atmete erleichtert auf. Einer der Wolfshunde hatte die gebratenen Waldhühner neben der Feuergrube entdeckt und machte sich darüber her. Mit einem einzigen Happen verschwand das erste Huhn in seiner gewaltigen Schnauze. Die anderen beiden Hunde kamen hinzu, um sich ihren Teil von der Beute zu holen.

»Mögt ihr an den Knochen ersticken, ihr Ausgeburten der Hölle. Werkzeuge Satans und...«

»Spar dir lieber deinen Atem, Golo! Die Hunde waren nur das Vorgeplänkel. Jetzt geht der Tanz erst richtig los.« Die Franken hatten sich zu einem Halbkreis aufgefächert und waren nur noch weniger als zehn Schritt entfernt. Jeder von ihnen hatte eine Francisca in der Hand.

»Jetzt!« brüllte der Anführer der Krieger.

Golo duckte sich hinter seinen Schild. Kaum einen Atemzug später prallten die Äxte krachend in das zähe Holz. Nur wenige Fingerbreit über seinem Arm hatte die Spitze einer Axt den Schild durchschlagen. Der junge Ritter atmete langsam aus und erhob sich wieder. Ein kleines Stück tiefer, und der blinkende Stahl würde in seinem Fleisch stecken. Golo schüttelte sich. Für solche Überlegungen war jetzt keine Zeit mehr! Die Franken hatten ihre Schwerter gezogen und stürmten auf sie ein.

»Wir müssen Schulter an Schulter bleiben«, rief Volker, »dann können sie uns nicht mit mehr als zweien gleichzeitig angreifen, jedenfalls nicht, solange wir das Holz im Rücken haben.«

Statt eine Antwort zu geben, ließ Golo seine Axt auf den Vordersten der Angreifer niedersausen. Der Franke parierte den Hieb mit seinem Schild und die Schneide der Waffe grub sich krachend zwei Fingerbreit ins Holz. Mit einem Ruck riß Golo die Axt zurück und entging nur um Haaresbreite einem Schwertstreich, der auf sein Handgelenk gezielt hatte.

Dicht wie Hagelschlag prasselten die Schwerthiebe der Franken auf seinen Schild, und die Wucht ihres Angriffs drängte ihn um einen halben Schritt zurück, bis er mit dem Rücken gegen die Holzstämme stieß. Golo fluchte leise. So eingeengt konnte er mit seiner Axt nicht mehr richtig ausholen.

Mit einem Schmerzensschrei taumelte einer von Volkers Gegnern zurück. Wie die Sichel, die ins Heu fährt, zog die Klinge des Spielmanns blitzende Bögen und hielt die Angreifer auf Abstand.

Wieder führte der junge Ritter einen Hieb seitlich an seinem Schild vorbei. Einer der Angreifer machte einen Satz zurück. Mit einem Ruck bremste Golo die Waffe und führte einen Rückhandschlag. Klirrend traf die Schneide der Axt das Schwert des zweiten Angreifers. Der Arm des Mannes wurde zur Seite geprellt. Golo machte einen Schritt nach vorne und rammte seinem Gegner das spitze Ende seines Schildes gegen die Knie. Der Franke strauchelte. Er taumelte nach hinten und stürzte so unglücklich, daß er dabei auf seinem Schild landete. Noch einmal sauste Golos Axt nach vorne, und als er die Waffe mit einem Ruck zurückriß, war ihre Schneide mit dunklem Blut bedeckt.

Ein Schwerthieb traf ihn an der Schulter und glitt an seinem Kettenhemd ab. Er hatte sich zu weit vorgewagt, und seine Seite war nicht mehr durch Volker gedeckt. Wütend biß sich Golo auf die Lippen und trat zurück. Der getroffene Arm war wie taub. Golo konnte die Axt nicht mehr heben. Erneut prasselten Schwerthiebe auf seinen Schild. Neben ihm schrie einer der Franken auf. Aus den Augenwinkeln sah er, wie einer der Krieger sich die Hände auf den Bauch preßte und langsam in die Knie ging.

Etwas schnappte nach seinem Bein. Die Hunde! Eine der Bestien hatte ein Loch in seine Hosen gerissen. Golo verpaßte dem Wolfshund einen derben Stoß mit der Schildkante, und der Köter zog sich jaulend zurück. Endlich spürte der junge Ritter, wie mit einem Prickeln das Gefühl in seinen Arm zurückkehrte. Ein paar Augenblicke noch...

Mit dumpfem Schlag prallte etwas gegen seinen Helm und fiel zu Boden. Ein schwerer Ast hatte ihn gestreift. Erschrocken blickte Golo nach oben. Einer der Franken war auf den Holzstoß in ihrem Rücken gestiegen und schlug mit seinem Sachs auf die Zweige ein, um dann die dicksten Äste als Wurfgeschosse zu verwenden. Ein Schlag traf Golo dicht oberhalb der Hüfte. Er stöhnte vor Schmerz. Der kurze Blick nach oben hätte ihn fast das Leben gekostet! Blut sickerte durch die Panzerringe seines Kettenhemdes. Es waren zu viele! Die Franken würden sie in Stücke schneiden! Alles war verloren! Und das wegen eines Märchens... Wegen eines Vogels, den es nicht einmal gab! Wenn er schon sterben sollte, dann würde er mindestens noch einen Franken mit sich nehmen. Wenn er für ein Fabeltier sein Leben verschenkte, dann würde er diese Posse auch bis zum Ende treiben!

»Für den Feuervogel!« Golo stürmte vorwärts. Der Schmerz in seinem Arm erlaubte es ihm nicht, die Axt bis hoch über den Kopf zu heben, doch war es ihm möglich, in flachem Bogen seitlich Hiebe zu führen. Krachend rammte er seinen Schild gegen den des Franken, der unmittelbar vor ihm stand. Durch die Wucht des Aufpralls gerieten beide Männer für einen Atemzug ins Taumeln. Hinter dem Burgunden ertönte das Splittern brechender Äste, und etwas Schweres schlug dort, wo er noch einen Atemzug zuvor gestanden hatte, auf den Boden. Doch Golo achtete nicht weiter darauf.

Er hatte sein Gleichgewicht wiedergefunden und verpaßte dem Mann vor ihm erneut einen Stoß mit dem Schild, während er mit der Axt einen Schwerthieb parierte, der auf seinen rechten Oberschenkel zielte. Mit einer raschen Drehung wand er dem unvorsichtigen Angreifer die Waffe aus der Hand und ließ noch aus derselben Bewegung heraus das stumpfe Ende der Waffe gegen den Rippenbogen des Kriegers krachen.

»Für den Feuervogel!« Wie glühende Wellen brandete die Kampfeswut durch seinen Leib. Golo spürte jetzt keinerlei Schmerz mehr und konnte seine Axt auch wieder hoch über den Kopf heben. Vor sich sah er zwei angstweite graue Augen. Die Waffe senkte sich und grub sich tief in das Fleisch eines der Franken. Golo riß die Axt zurück und rannte weiter. Er wollte Blut! Sie sollten dafür büßen, daß sie ihn töten wollten. Viele würden ihr Leben dafür geben müssen!

Einer der Hunde sprang ihn von der Seite an. Knirschend drangen die langen Fänge der Bestie durch seinen Kettenpanzer, aber nicht tief genug, um ihn ernstlich zu verletzen. Er versetzte dem Tier einen Tritt, doch der Wolfshund ließ nicht mehr los. Wild knurrend zerrte er an Golos Waffenarm. Derart in seiner Bewegung behindert, konnte er keinen Axthieb gegen den Hund führen.

»Mithras!« schrie irgend jemand neben ihm. Ein schwerer Schlag gegen den Schild brachte den jungen Krieger aus dem Gleichgewicht. Wieder zerrte der Hund an seinem Arm. Golo strauchelte. Ein Tritt riß seinen Schild zur Seite. Der Burgunde schlug auf den Rücken. Neben ihm heulte der Wolfshund auf. Die Bestie hatte ihn losgelassen, und im nächsten Augenblick spürte er den Druck der mächtigen Pfoten des Untiers auf der Brust. Die Welt schien nur noch aus langen, weißen Reißzähnen zu bestehen, von denen Geifer tropfte. Die tödlichen Fänge senkten sich hinab zu seiner Kehle. Golo schloß die Augen. Es war vorbei. Mochte die Jungfrau Maria ihm gnädig sein!

Etwas Schweres fiel auf seine Brust. Golo hielt noch immer die Augen geschlossen. In sein Schicksal ergeben, wartete er darauf, den heißen Atem der Bestie auf seiner Kehle zu spüren.

»Schickt diese fränkischen Bastarde alle zu ihrem Stiergott!« tönte eine dunkle Stimme über die Lichtung.

Blinzelnd schlug Golo die Augen auf. Auf seiner Brust lag der Kadaver des Wolfshundes. Ein Pfeilschaft ragte schräg aus dem Hals der Bestie.

»Heilige Mutter Gottes! Ich werde dir hundert Kerzen weihen, wenn ich jemals wieder im Münster zu Worms stehen werde.« Golo blieb noch einen Augenblick liegen und murmelte leise ein Ave Maria, dann rollte er den Hund zur Seite und richtete sich stöhnend auf.

»Schaut euch das an! Der Berserker lebt ja immer noch«, erklang hinter ihm die fremde Stimme.

Noch halb benommen drehte Golo sich um. Überall auf der Lichtung waren Männer mit langen Bögen zu sehen. Es mußten mindestens ein Dutzend sein. Sie trugen Kleidung aus grober selbstgesponnener Wolle, Lederwämse und Stiefel aus weicher Tierhaut, die vorn mit Lederschnüren zusammengehalten wurden. Von ihren Schultern hingen Köcher voller Pfeile, und in ihren Gürteln steckten lange Dolche oder Kurzschwerter. Die meisten der Krieger waren groß und hager. Gestählt von einem Leben in der Wildnis. Nur ihr Wortführer, der Mann mit der dunklen Stimme, hob sich auffällig von ihnen ab. Er war klein und gedrungen, sein Gesicht von roten Pockennarben entstellt.

Neben dem Narbengesicht kniete ein Krieger über dem Leichnam des Anführers der Franken. Vergebens bemühte sich der Kerl, dem Toten einen dünnen silbernen Ring vom Finger zu ziehen. Ihre Retter waren Leichenfledderer! In was für Gesellschaft waren sie jetzt nur geraten!

Der Plünderer zückte leise fluchend ein Messer und schnitt dem Toten den Finger ab. Golo preßte die Lippen zusammen. Er sollte besser nichts dazu sagen! Immerhin hatten die Männer ihm das Leben gerettet!

»Na, der Berserker ist wohl ein wenig zart besaitet«, höhnte der gedrungene Kerl.

Golo blickte hilfesuchend zu Volker herüber. Der Spielmann lehnte erschöpft gegen die umgestürzten Baumstämme. Zu seinen Füßen lagen drei tote Franken. Der Burgunde trug immer noch seinen geschlossenen Topfhelm. Golo stutzte. Normalerweise nahm der Ritter den schweren Helm sofort nach dem Kampf ab. Irgend etwas stimmte hier nicht...

»Na, wie heißt du denn, Berserker?« Der gedrungene Bogenschütze war jetzt an die Seite des jungen Ritters getreten. »Selten habe ich einen Mann mit solcher Wut kämpfen sehen, wie du es eben getan hast.«

»Golo. Ich bin Ritter im Gefolge des Königs Gunther von Burgund.«

Der Narbige runzelte die Stirn. »Golo? Ein Burgunde. Was macht ihr beiden hier, so weit von Treveris entfernt?« Er drehte sich zu Volker um. »Und du da hinten, was ist dein Name!«

»Ich bin ein fahrender Ritter.«

»Das sehe ich selbst. Ich will wissen, wie du heißt! Nimm deinen Helm ab. Ich mache mir nur selten die Mühe, jemandem das Leben zu retten. Ich will wenigstens wissen, wie du aussiehst. Wenn die Franken sich nicht erdreistet hätten, hier in meinen Bergen Jagd auf euch zu machen, hätte ich keinen Finger gerührt.«

»Ein Gelübde verbietet es mir, den Helm abzunehmen, bis ich in Santiago de Compostella eine Kerze zu Ehren des heiligen Jacob angezündet habe.«

»So ein Unsinn! Du mußt den Helm ja wohl auch abnehmen, wenn du essen oder trinken willst. Du wirst dein Gesicht doch nicht etwa vor deinem Lebensretter verbergen und mich damit beleidigen wollen.«

»Manchmal ist Unwissenheit ein Segen, Eber

Golo zuckte zusammen. Er jetzt begriff er, wer dort vor ihnen stand! Ihr Retter war der blutdürstige Räuberhauptmann. Sie waren vom Regen in die Traufe gekommen!

Der Eber lachte schallend. »Wie ich sehe, hast du schon von meinem ruhmreichen Namen gehört. Nun will ich auch wissen, wer du bist. Herunter mit dem Helm, oder ich laß dich niederschießen wie einen Hasen und schau mir dann dein Gesicht an.«

Volker löste den Kinnriemen und hob dann mit beiden Händen den schweren Topfhelm vom Kopf. Einige Herzschläge herrschte beklemmende Stille.

»Du!« Der Eber machte einen Schritt in Volkers Richtung. »Du bist doch der Kerl, der an der Seite des ketzerischen Grafen gekämpft hat.«

Volker lächelte breit. »Ich habe dir doch gesagt, daß Wissen einen nicht immer glücklicher macht.«

»Du Bastard bist mir doch in die Scheune nachgelaufen, um dir meinen Kopf zu holen.«

Der Spielmann nickte. »Richtig. Und ich muß sagen, es tut mir aufrichtig leid, daß wir beide uns dort verfehlt haben.«

»Nun, das können wir ja jetzt nachholen.«

Golo konnte es nicht fassen. Kaum waren sie einer Gefahr entronnen, brachte sie der Spielmann in den nächsten Schlamassel. Es war schon schlimm genug, daß der Eber ihn wiedererkannt hatte, aber hätte er nicht wenigstens auf dieses Duell verzichten können! Man konnte den Eindruck haben, daß Volker an seinem Leben nichts mehr gelegen war. Unauffällig blickte Golo sich nach einer Fluchtmöglichkeit um. Sollte der Spielmann allein sterben!

Doch sie saßen in der Falle. Jeder Versuch einer Flucht war aussichtslos. Golo wußte, daß er den Bogenschützen niemals davonlaufen könnte. Inzwischen verfolgten sie zwar alle gespannt den Streit zwischen ihrem Anführer und Volker, doch wenn er versuchte, die Lichtung zu verlassen, dann würde ihnen das kaum entgehen. Golo fluchte leise. Warum nur hatte ihn das Schicksal an diesen verrückten Barden gekettet.

Der Spielmann blickte zu den toten Franken zu seinen Füßen und grinste dann wieder zum Eber herüber. »Gegen nur einen wie dich zu kämpfen ist gegen meine Ritterehre! Zu gering wäre deine Aussicht auf Erfolg, um den Kampf gerecht nennen zu können. Ich werde dir mit meinem Gefährten zeigen, wie gut ich das Schwert zu führen verstehe, damit du Gelegenheit hast, es dir noch einmal zu überlegen, ob du wirklich gegen mich antreten willst. Immerhin hast du meinem Freund Golo das Leben gerettet, und dafür stehe ich in deiner Schuld. Mit verbundenen Augen werde ich gegen den Recken kämpfen und dir zeigen, daß ich selbst blind einen Schwertkampf zu gewinnen vermag. Golo, bring mir ein Tuch, damit ich mir die Augen verbinden kann!«

Golo mußte sich beherrschen, damit man ihm die Erleichterung nicht allzu deutlich ansah. An seinem Freund war ein wahrer Schmierenkomödiant verlorengegangen! Hundertmal und öfter hatten sie den Kampf mit den verbundenen Augen geübt. Die Reihenfolge seiner Angriffe war genau festgelegt, und Volker gab ihm durch unauffällige Gesten, wie ein Federn in den Knien oder ein scheinbar nervöses Zucken mit den Fingern jeweils den Einsatz für seine neuen Attacken. Dem unbedachten Beobachter aber blieb dies verborgen. Für jeden, der es nicht besser wußte, mußte es so aussehen, als könne der Spielmann mit verbundenen Augen genauso sicher kämpfen wie ein Sehender. Selbst Angriffe in seinen Rücken wehrte er mit spektakulären Paraden ab. Bislang hatten sie noch jeden, dem sie diesen Schaukampf vorführten, damit zutiefst beeindruckt.

»Du glaubst doch wohl nicht, daß ich mich durch Zauberwerk narren lassen werde!« grollte der Eber. »Du wirst dir nicht mit dem Tuch, das dir dein Freund bringt, die Augen verbinden. Wahrscheinlich ist es durch Hexerei für deine Augen durchsichtig gemacht. Nimm das hier stattdessen.« Der Räuber zog sich einen Schal aus fleckigem, braunem Tuch vom Hals.

Volker blieb gelassen. »Dein Mißtrauen kränkt mich. Ein vollkommener Schwertkämpfer hat solche Betrügereien nicht nötig. Aber wie du willst... Komm her und verbinde mir selbst die Augen, damit du sicher sein kannst, daß alles mit rechten Dingen zugeht.«

Golo legte seinen Schild zur Seite und zog sein Schwert. Vorsichtig tastete er nach der Wunde über seiner Hüfte. Die Verletzung blutete nicht mehr. Wahrscheinlich war es nur ein leichter Schnitt und nichts Ernstes. Müde streckte er seine schmerzenden Glieder. Zum Glück würde der Kampf mit Volker nicht sehr lange dauern. Der Spielmann war niedergekniet und ließ sich vom Eber die Augenbinde anlegen. Als dies geschehen war, erhob er sich und streckte die Rechte ein wenig affektiert in Golos Richtung. »Man führe mich zum Kampfplatz!«

»Das wird nicht notwendig sein, du Geck.« Der Eber lächelte grausam. »Warum sollte ich zusehen, wie dein Kamerad dir den Kopf abschlägt, wenn ich dieses Vergnügen genausogut selbst auskosten kann.« Der Räuber zog sein Schwert und einen breiten Dolch.

»Das ist gegen die Vereinbarung!« rief Golo empört und wollte sich zwischen die beiden stellen, als er von den Spießgesellen des Ebers gepackt wurde.

»Hatten wir eine Vereinbarung?« höhnte der Räuber. »Ich lasse mir von euch beiden doch nichts vormachen!« Der Eber hob seine Waffen und wandte sich wieder Volker zu. »Bist du bereit zu deinem letzten Spiel, Kerl?«

»Ich hoffe, daß ich dich nicht verletzen werde, mein Freund. Wenn doch ein Unglück geschieht, solltest du mir zugute halten, daß ich die Augen verbunden hatte und daß es dein eigener Wunsch war, dich in Gefahr zu begeben. Bevor wir nun beginnen uns abzuschlachten, möchte ich dir gerne einen kleinen Handel vorschlagen. Wenn ich gewinne, schenkst du mir und meinem Freund das Leben, sollte ich aber verlieren, überlasse ich dir meinen Kopf, auf den Graf Ricchar eine ansehnliche Summe Goldes ausgesetzt hat.«

Golo konnte nicht fassen, wie gelassen Volker auftrat. War das Mut oder war Volker nur vollkommen verrückt geworden?

»Genug der Worte!« Der Eber machte überraschend einen Satz nach vorne und zielte mit seinem Schwert auf Volkers Brust. Der Burgunde trat leicht nach hinten. Klirrend glitt die Klinge über sein Kettenhemd. Diesmal hatte er noch Glück gehabt. Tänzelnd bewegte er sich zur Seite. Nicht einen Lidschlag lang blieb er stehen. Er war also doch nervös, dachte Golo. Spielerisch warf Volker sein Schwert von der Rechten in die Linke und wieder zurück. Der Eber versuchte, mit ein paar raschen Schritten in die Flanke des Ritters zu gelangen, doch Volker drehte sich mit dem Räuber mit.

»Auch wenn du dich windest wie ein Aal, wird das am Ausgang unseres kleinen Kampfes nichts ändern, Ritter!« Wieder sprang der Eber vor und führte einen Hieb, der auf die Brust des Recken zielte. Mit einer ungelenken Parade blockte Volker die Waffe ab. Der Eber versuchte mit dem Dolch in seiner Linken dem Spielmann ins Bein zu stechen, doch Volker drehte sich zur Seite weg und verpaßte seinem Gegner noch einen Stoß mit dem Ellenbogen.

»Bringen wir es zu Ende!« Der Ritter hob das Schwert mit beiden Händen und schlug nach dem Kopf des Räubers. Mit gekreuzten Klingen parierte der Eber den Schlag. Kreischend traf Metall auf Metall. Die Wucht des Hiebes ließ den Räuber in die Knie gehen. Der Eber rollte sich über die Schulter ab und versuchte außer Reichweite des blinden Ritters zu gelangen.

Golo folgte dem Kampf mit angehaltenem Atem. Für einen Strauchdieb war der Eber ein ausgezeichneter Schwertkämpfer.

Volker drehte suchend seinen Kopf von rechts nach links. Sein Gegner war jetzt wieder auf den Beinen, verharrte jedoch regungslos, um sich nicht durch ein Geräusch zu verraten. Unsicher trat der Spielmann einen Schritt vorwärts. Vorsichtig tastete sein Fuß über den Boden, der mit dem dürren Astwerk der gestürzten Bäume bedeckt war. Dann erst verlagerte der Ritter langsam sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen.

Der Eber hatte einen dürren Ast aufgehoben. Golo ahnte, was der Räuber plante. Er wollte seinen Freund durch einen Ruf warnen, doch der Kerl, der ihn gepackt hielt, verstärkte seinen Griff. »Ein Laut und ich schneide dir die Kehle durch«, zischte der Strauchdieb leise.

Der Eber holte weit aus und schleuderte den Ast quer über den Kampfplatz, so daß er ein paar Schritt hinter Volker zu Boden fiel. Sofort fuhr der Spielmann herum. Im selben Augenblick stürmte der Räuber auf Volker zu, seine beiden Waffen gesenkt und vorgestreckt, so wie ein Eber, der sein Opfer auf seinen mörderischen Hauern aufspießen wollte.

Volker wirbelte erneut herum. Wie hatte er wissen können, was in seinem Rücken geschah? Die Rechte am Griff, hielt er mit der Linken die Klinge seiner Waffe umklammert und führte sein Schwert nun wie einen Kampfstab. Aus der Drehung schlug er die Waffen des Ebers zur Seite, zuckte zurück und versetzte seinem Gegner einen Stoß mit dem Schwertknauf in den Magen. Stöhnend ging der Räuber in die Knie. Im selben Moment traf ihn ein mit der flachen Seite geführter Schlag vor den Kopf, und er fiel wie ein Sack zu Boden.

Ungläubig starrte Golo auf den Kampfplatz. Wie im Namen aller Heiligen hatte Volker das gemacht? Wie konnte ein Blinder gegen einen Schwertkämpfer wie den Eber bestehen? Das mußte ein Wunder sein! Es gab keine andere Erklärung! Voller Inbrunst begann der junge Ritter ein Dankgebet aufzusagen. Gott selbst hatte sich ihnen gnädig gezeigt!

Volker hatte sich inzwischen die Augenbinde heruntergezogen. Zwei der Männer des Ebers waren zu ihrem niedergestreckten Anführer gelaufen und knieten neben ihm. Keiner der Räuber wagte es, dem Spielmann direkt ins Gesicht zu sehen. Mit einer selbstsicheren Gelassenheit, die man wohl nur erlangen konnte, wenn man von Kindesbeinen an als Adliger erzogen wurde, trat der Burgunde auf Golo zu.

Der junge Ritter verneigte sich ehrfürchtig. »Ich muß gestehen, daß ich oft an Euch gezweifelt habe, Herr Volker, und Euch auch manchmal für keinen guten Christenmenschen gehalten habe. Vergebt mir! Jeder konnte sehen, daß die Hand Gottes selbst Euer Schwert führte und...«

Der Spielmann hob die Hand. »Genug, mein Freund.« Er grinste. »Es wäre mir übrigens lieber, wenn du wieder ganz normal mit mir reden würdest und...«

»Aber Ihr seid ein Heiliger! Kein normaler Sterblicher hätte mit verbundenen Augen...«

»Laßt mich mit meinem Freund allein, oder eure finsteren Seelen werden bis ans Ende aller Zeiten im Fegefeuer schmoren.«

Volker warf den beiden Strauchdieben, die Golo festhielten, einen Blick zu, der den jungen Ritter an das Mosesbild im Münster zum Worms denken ließ. Nur wer von Gottes Kraft durchdrungen war, konnte solch heiligen Zorn in seinen Augen lodern lassen!

Die beiden Räuber machten sich davon und gesellten sich zu ihren Kumpanen, die sich nun um den niedergestreckten Eber versammelten.

Plötzlich war aller Ernst aus Volkers Gesicht gewichen. Er zog den schmuddeligen Schal von seinem Hals und bohrte den kleinen Finger seiner Rechten durch ein winziges Loch. »So sieht dein Wunder aus, mein Freund, und jetzt hör bitte auf, mich zu behandeln, als stünde ein leibhaftiger Jünger Jesu vor dir!«

Fassungslos starrte der junge Ritter auf das Loch im Schal. Er konnte nicht glauben, daß das, was sich gerade ereignet hatte, kein Wunder gewesen sein sollte. »Das ist kein Zufall. Gott hat es so gefügt. Es war sein Wille, daß du diesen Sünder in die Hölle geschickt hast, und daß er...«

»Weg mit euch stinkenden Hurensöhnen!« tönte die dunkle Stimme des Ebers über die Lichtung. »Sehe ich vielleicht aus wie ein frischgeborenes Rehkitz, das Hilfe braucht, um auf die Beine zu kommen.« Leicht schwankend erhob sich der stämmige Krieger und blickte dann mit wutblitzenden Augen in ihre Richtung. »Ich weiß nicht, mit was für einem schändlichen Trick es dir gelungen ist, mich zu besiegen, Ritter, aber ich werde mein Wort halten. Ich schenke dir dein jämmerliches Leben. Ihr beide seid meine Gefangenen und kommt mit in unser Lager. Mal sehen, wer mehr für euch zahlt, die Burgunden in Treveris oder aber unser liebenswerter Graf.«

»Das ist gegen die Vereinbarung«, brauste Golo wütend auf.

Der Eber schüttelte unwillig den Kopf. »Ich kann mich nicht erinnern, irgendeinem Handel zugestimmt zu haben.« Dann lächelte er böse. »Liegt vielleicht an dem Schlag vor den Kopf, wenn ich etwas vergessen haben sollte.«

»Du...«

»Wir nehmen gerne deine Gastfreundschaft an«, erklärte Volker laut und fuhr dann leise zu Golo gewandt fort. »Laß es gut sein, mein Freund. Er hat zehn Bogenschützen. Wir können nicht gewinnen. Aber solange sie mit uns beschäftigt sind, werden sie Belliesa und Mechthild nicht auf die Spur kommen.«


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