1. KAPITEL


Golo hatte gewußt, daß es ein Fehler war, mit dem Spielmann zu reiten. Man folgte niemandem, der verrückt geworden war! Volker hatte sich tatsächlich in den Kopf gesetzt, den Feuervogel zu finden, ein Geschöpf, das der Phantasie eines Märchenerzählers entsprungen war... Verwechselte der Spielmann jetzt sein Leben mit dem der Helden aus den romantischen Liedern, die er seinen Damen sang? Wie konnte Volker nur an so etwas glauben? Golo erinnerte sich noch gut daran, wie sein Gefährte ihm seinen Glauben an die Feen hatte ausreden wollen. Mehr als ein Jahr war seitdem vergangen...

Man hatte den Spielmann freundlich am Hof von Worms aufgenommen, als sie zum Weihnachtsfest zurückgekehrt waren. Volker hatte ein neues Lied von seiner Reise mitgebracht, so wie es alle erwartet hatten. Die traurige Geschichte vom Nachtvolk hatte ihn noch berühmter gemacht, als er ohnehin schon war, und ganz besonders die Frauen bei Hof schienen wie verzaubert von ihm zu sein. Natürlich hielten alle das Epos um die Morrigan für erfunden. Und doch spürten gerade die Frauen, daß sich hinter dem Lied eine wahre Liebesgeschichte verbergen mußte. Es hatte mehr als eine gegeben, die versuchte, die Melancholie des Spielmanns zu vertreiben, und Volker war nicht der Mann, der sich den Wünschen von Frauen widersetzte... Doch keine hatte es geschafft, ihn die Heidenpriesterin vergessen zu lassen.

Der Gefährte des Ritters rutschte unruhig auf dem Sattel hin und her und suchte nach einer Position, die auch nur halbwegs bequem war. Obwohl er jetzt ein Ritter war, hatte er sich mit dem Reiten nie wirklich anfreunden können. Er war ein gutes Stück kleiner als Volker und sehr viel stämmiger. Nicht, daß er von sich sagen würde, er wäre dick... Das waren Muskeln! Und Rücklagen für schlechte Zeiten.

Mit seinen kurzgeschorenen, braunen Haaren und dem breiten, offenen Gesicht unterschied er sich sehr von dem Spielmann, an dessen Seite er ritt. Vor ein paar Tagen erst hatte einer der Ritter bei Hof seine Nase mit einer Gurke verglichen. Eine Frechheit! Sie war vielleicht groß, aber grün war sie nicht! Und überhaupt... Hieß es nicht, an der Nase eines Mannes erkennt man den Johannes? Der junge Ritter blickte verstohlen zum Spielmann und grinste. Wenn das auf alle Männer zutraf, dann konnte er nicht begreifen, was die Frauen an Volker fanden. Die Nase seines Gefährten war gerade und von edler Form, doch alles andere als groß. Wieder einmal merkte der Spielmann nicht, daß Golo zu ihm herüberblickte. Volker hatte sich in letzter Zeit sehr verändert. Golo hatte schon vor zwei Wochen gespürt, daß er den Entschluß gefaßt haben mußte, die Königsburg zu verlassen. Nicht daß er davon gesprochen hätte, doch der junge Ritter kannte seinen früheren Herren zu gut, um nicht zu bemerken, wie sich der Blick des Barden wandelte. Selbst wenn man direkt vor ihm stand und mit ihm sprach, schien er durch einen hindurchzusehen. Oft hatte Volker abends auf dem Söller gestanden und nach Westen geblickt, dorthin, wo Hunderte Meilen entfernt die Sümpfe Aquitaniens lagen. Dort hatte sich die Spur der Priesterin verloren. Golo wußte nur aus Volkers Erzählungen, was mit der Morrigan geschehen war, als der Bischof von Saintes die verborgene Stadt in den Sümpfen eroberte. Die Priesterin war tödlich verletzt gewesen, als ihre Getreuen sie in einem kleinen Boot tiefer in die Sümpfe gebracht hatten. Wahrscheinlich wollten ihre Anhänger verhindern, daß der Leichnam der Hohen Priesterin dem Bischof und seinen Söldnern in die Hände fiel.

Viele Wochen lang hatte er damals gemeinsam mit Volker nach der Insel in den Sümpfen gesucht, zu der die letzten aus dem Nachtvolk fliehen wollten. Doch all ihre Mühen waren vergebens gewesen. Vermutlich hatten die Getreuen der Morrigan die Leiche ihrer Hohepriesterin in den dunklen Fluten versenkt und sich danach in alle Winde zerstreut.

Für Volker aber lebte die Priesterin noch. Er war wie besessen von der Vorstellung, daß er sie wiederfinden würde. Hätte der fremde Barde nicht die Geschichte vom Feuervogel erzählt, dann wären sie jetzt wahrscheinlich auf dem Weg nach Aquitanien... Golo lächelte versonnen. So gesehen sollte er dem Mann sogar dankbar sein. Alles war besser, als den Spätsommer in den mückenverseuchten Sümpfen zu verbringen.

Im Grunde war Golo froh, Worms verlassen zu haben. Auf der Königsburg hatte er sich nicht mehr recht wohl gefühlt, seit sie im Winter aus Aquitanien zurückgekehrt waren. Er war vom Knecht zum Ritter geworden, doch die anderen Ritter bei Hof betrachteten ihn nicht als ihresgleichen und ließen es ihn überdeutlich spüren...

Golo seufzte. Die Zeiten, daß er sich des Nachts mit leerem Bauch zu Ruhe legen mußte, waren vorbei. Er durfte wie die Adligen und Lehnsmänner an der Tafel des Königs sitzen und ein Schwert an seiner Seite tragen. Der Preis dafür war Einsamkeit. Nur Volker behandelte ihn anständig. Die anderen machten hinter vorgehaltener Hand Späße über ihn und nannten ihn heimlich noch immer einen Knecht. Und die Freunde, die er einst unter dem Gesinde gehabt hatte, behandelten ihn je nach ihrem Charakter höflich oder unterwürfig. Doch spürte er bei allen den Neid. Ein Weg, wie er ihn gegangen war, stand den Unfreien nicht zu. Kein Bauerssohn und Knecht war jemals zu einem Gefolgsmann des Burgundenkönigs aufgestiegen. Heimlich tuschelte man darüber, auf welch hinterhältige Art er sich wohl die goldenen Sporen der Ritterschaft verdient haben mochte.

Golo stieß seiner Stute die Hacken in die Flanken und schloß dichter zu Volker auf, der jetzt ein kleines Stück vor ihm ritt. Selbst mit einem Verrücktem einem Vogel nachzujagen, der nur im Kopf eines Märchenerzählers existierte, war besser, als länger auf der Königsburg zu verweilen. Das Wetter war ihnen gnädig, und die Reise am Rhein entlang war ohne nennenswerte Zwischenfälle verlaufen.

Wieder blickte der junge Ritter zum Spielmann hinüber. Volkers Gesicht war wie versteinert. Schweigend folgten sie dem Treidelpfad am Ufer. Seit zwei Tagen ritten sie nun schon durch das Frankenland. Letzten Sommer erst hatte König Gunther eine blutige Fehde mit Merowech, dem König der Franken, ausgefochten und ihm die reiche Stadt Treveris entrissen... Seitdem war das Verhältnis zwischen Burgund und dem großen Königreich im Norden alles andere als gut. Wahrscheinlich lag es nur daran, daß Volker ein Barde war, daß man sie bislang stets freundlich aufgenommen hatte. Spielleute galten als unberührbar, und sein Ruf war weit über die Grenzen des Burgundenreiches bekannt. Dennoch hielt es Golo für alles andere als eine gute Idee, ausgerechnet im Königreich der Franken nach einem Abenteuer zu suchen.

Sie waren nicht mehr weit von Castra Bonna entfernt. Vermutlich würden sie die Stadt schon vom nächsten Hügelrücken aus entdecken können. Golos Blick schweifte über die weite Flußlandschaft. Es war kein Mensch zu sehen. Zwischen zwei Weiden am sumpfigen Ufer lag ein altes Fischerboot. Das Holz war grau und verschossen. Ein zerrissenes Netz hing in einem Busch. Zwei Reiher staksten auf ihren langen Beinen durch den Schlamm und spähten nach Fröschen.

Obwohl die Sonne schon tief am Himmel stand, war es noch immer sehr heiß. Dabei war der August nun fast schon zu Ende. Golo mußte an sein Heimatdorf denken und an seinen Onkel. Der alte Mann besaß einen steinigen Hügel, auf dem die Familie schon seit undenklichen Zeiten Wein zog. Bei dem Wetter würden prächtige Trauben heranreifen. Der Sommer war heiß gewesen, und doch hatte es auch genügend Regen gegeben. An den Wein dieses Jahres würde man sich noch lange erinnern... Golo seufzte. Manchmal malte er sich aus, was mit ihm geschehen wäre, wenn Volker ihn nicht zu seinem Knappen erwählt hätte.

Der junge Ritter schüttelte ärgerlich den Kopf. Es war müßig, über solchen Unsinn nachzudenken. Von dem Weg, den er beschritten hatte, gab es kein Zurück! Schwer spürte er das Schwert an seiner Seite. Nie wieder würde er einem Pflug über das Feld seines Vaters folgen. Zum Pfingstfest hatte er König Gunther den Treueeid geleistet. Er war nun ein Krieger, und wenn der König seine Lehnsmänner zu den Waffen rief, dann würde er mit ihnen reiten, ganz gleich, ob die anderen Ritter ihn heimlich verspotteten oder nicht. Man hatte ihn gelehrt zu töten. Auch wenn er kein sonderlich geschickter Schwertkämpfer war, so hatte er sich doch insgesamt als begabter Schüler erwiesen. Im Kampf mit der Lanze und der Streitaxt brauchte er nur wenige von Gunthers Rittern zu fürchten. Bei Hof sprach man viel darüber, daß es wohl bald wieder Krieg mit den Sachsen geben würde...

Golo blickte zu Volker hinüber, doch sein ehemaliger Herr bemerkte ihn nicht. Vielleicht dichtete der Spielmann in Gedanken ein neues Lied?

Dreihundert Schritt von ihnen entfernt erhoben sich auf einem Hügel nahe dem Ufer drei große schwarze Weiden. Raben kauerten dort im Geäst. Vom Stamm des mittleren Baumes hing etwas Helles hinab. Golo konnte es nicht genau erkennen, doch schienen sich die Raben sehr dafür zu interessieren. In dunklem Rot erglühende Wolken hatten sich vor die Sonne geschoben. Ein leichter Windhauch wehte vom Fluß herüber. Die Brise ließ Golo erschauern. Irgend etwas hatte sich verändert. Unsicher musterte er die Bäume, und einige Augenblicke verstrichen, bis er wußte, was plötzlich anders war. Es war still. Die Vögel im Uferdickicht, die sie den ganzen Tag über mit ihrem Konzert begleitet hatten, und die Grillen im hohen Gras, sie alle waren verstummt. Seine Stute hatte die Ohren steil aufgerichtet und schnaubte leise. Selbst Volker hob jetzt den Kopf, so als habe ihn etwas aus seinen Gedanken aufgeschreckt.

Ein Vogelschrei beendete das Schweigen. Es war einer der Raben auf der Weide vor ihnen. Mit heiserem Krächzen hatte er sich von dem dicken Ast abgestoßen, drehte einen Kreis über dem Hügel und flog dann dem jenseitigen Ufer entgegen. Einen Atemzug später folgten ihm die anderen Raben mit schwerem Flügelschlag.

Der Hügel vor ihnen war jetzt nur noch wenig mehr als hundert Schritt entfernt, und als Golo den Blick vom Himmel wandte, konnte er erkennen, was vom Stamm der mittleren Weide hing. Es war eine Frau, die man mit dem Kopf nach unten an den Baum gebunden hatte. Deutlich sah er die großen dunklen Flecken auf ihrem Gewand, und wie krumme Spinnenbeine ragten zerbrochene Pfeilschäfte aus ihrem Leib.

Hinter dem Hügel erklang das Donnern von Hufen. Unwillkürlich glitt die Hand des jungen Ritters zum Schwert an seiner Seite.

»Laß das!« zischte Volker scharf. »Das werden zu viele für uns sein. Vergiß nicht, daß ich als Barde unberührbar bin. Jedenfalls solange ich nicht mit der Waffe in der Hand angetroffen werde. Du wirst unter meinem Schutz stehen. Vertrau mir...«

»Ich glaube nicht, daß eine Horde plündernder Sachsen sich darum schert, daß du dich darauf verstehst, die Laute zu schlagen. Die verstehen nur eine Sprache.« Golo zog blank und griff nach dem Schild, der von seinem Sattel hing. »Ich möchte nicht so enden wie die Frau dort oben am Baum.«

»Du hältst dich zurück!« Der Spielmann zog die Laute von seiner Schulter und löste die lederne Schutzhülle, in die das Instrument eingeschlagen war.

Auf der Hügelkuppe erschien ein einzelner Reiter. Ein großer Rundschild deckte seine linke Seite von der Schulter bis zu den Knien. In der Rechten hielt er eine Drachenstandarte, ein Feldzeichen, gekrönt von einem goldenen Drachenkopf, hinter dem ein langer Stoffschlauch flatterte, so daß man glauben mochte, daß es sich nicht um ein Banner, sondern um ein lebendes Wesen handelte. Das Zaumzeug und die Rüstung des Reiters funkelten, so als seien sie aus Gold und Silber gefertigt. Golo kniff die Augen zusammen, um den Mann besser erkennen zu können, und erstarrte wie vom Donner gerührt. Das Gesicht des Reiters war blauschimmerndes Eisen, sein Haar und seine Augenbrauen lauteres Gold!

»Bei allen Heiligen, was ist das, Volker?«

»Die Männer aus Eisen, in deren Brust ein Herz aus Flammen lodert«, murmelte der Barde leise. Volker zügelte sein Pferd und starrte zu dem Reiter auf der Hügelkuppe hinauf.

Hinter dem Standartenträger erschien eine Phalanx von Reitern. Sie alle sahen aus wie Statuen aus Erz. Jeder der Männer mußte zwei Schritt oder mehr messen, und ihre Pferde waren so riesig wie Kutschrösser.

Golo flüsterte ein Gebet. Wenn sie jetzt die Zügel herumrissen und im gestreckten Galopp davonjagten, würden sie diesen Dämonen vielleicht entkommen können.

»Seid Ihr Volker von Alzey, der Barde des Königs von Burgund?« Der Mann mit der Drachenstandarte hatte gesprochen. Seine Stimme war dunkel und klang seltsam unnatürlich.

»Wer will das wissen?« entgegnete Volker kühl.

Golo verfluchte den Spielmann innerlich. Wie konnte er diesen Dämon auch noch reizen? Wenn er den Tod suchte, war das seine Sache, doch es wäre eine nette Geste, wenn er auch einmal an ihn denken würde. Unauffällig spähte der junge Ritter über seine Schulter. Der Treidelpfad hinter ihnen war frei. Einer Flucht stand nichts im Wege und...

Volker trieb seinen Hengst den Hügel hinauf. Golos Mund war so trocken, als hätte er einen ganzen Eimer voll Staub geschluckt. Was tat dieser verrückte Kerl da nur! Einige Herzschläge lang zögerte der Ritter, dann folgte er seinem Freund.

»Mich schickt mein Herr, Graf Ricchar, Heermeister des Königs Merowech und Gebieter über alles Land von hier bis zu den Mauern von Treveris. Er entbietet Euch seinen Gruß, Herr Volker, und lädt Euch und Euren Begleiter ein, ihm die Ehre zu erweisen, mit ihm an seiner Tafel zu speisen.«

»Wir nehmen diese Einladung mit Freuden an.«

Golo hatte inzwischen die Kuppe des Hügels erreicht. Mißtrauisch musterte er den Bannerträger. Der Mann hatte kalte graue Augen. Seine ehernen Lippen waren zu einem Lächeln erstarrt. Er trug eine Maske! Um seinen Hals war ein roter Schal geschlungen, über dem ein schmaler Streifen heller Haut schimmerte. Doch das hieß noch nicht, daß er kein Dämon war! Der Kerl überragte ihn um mehr als Haupteslänge. Kein gewöhnlicher Mensch war so groß! Golo beschloß, den Bannerträger nicht aus den Augen zu lassen.

»Wird das Land Eures Herren von Sachsenhorden heimgesucht?« Volker nickte in Richtung der Frau. Sie hing mit dem Kopf nach unten am Stamm, doch hatte man sie nicht gebunden, so wie Golo zuerst geglaubt hatte, sondern an den Baum genagelt. Ihre Arme waren dabei weit ausgebreitet, und es schien, als hätten Heiden den Tod verhöhnen wollen, den der Heiland einst am Kreuze gestorben war. Wohl zwei Dutzend Pfeile hatten ihren Körper durchbohrt, und das Gesicht des Weibes war bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt, was wohl das Werk der Raben war, die hier ihr Mahl gefunden hatten. Geronnenes Blut hatte das goldene Haar der Frau dunkel gefärbt. Sie war schlank und von zierlicher Statur gewesen. Der junge Ritter schätzte, daß sie kaum mehr als zwanzig Sommer gesehen haben mochte.

»Die Sachsen wagen sich hier nicht über den Rhein«, tönte die dunkle Stimme hinter der Maske. »Das Weib hat mit seinen Reden den Namen des Grafen besudelt. Der Elenden ist dafür die gebührende Strafe widerfahren! Man hat sie heute morgen gerichtet.«

»Dein Herr regiert seinen Gau mit strenger Hand, und mir scheint, es ist leicht, seinen Zorn zu erwecken.«

Golo zuckte zusammen. Wenn Volker so weitermachte, würden sie auch noch an irgendwelche Bäume genagelt werden.

»Das Urteil mag Euch zu streng erscheinen, Herr Volker, doch glaube ich nicht, daß Euer König Gunther Gnade walten ließe, wenn man ihn den Bastard einer Magd nennen würde. Dies Weib war von der Finsternis durchdrungen... Doch im Tod hat sie das Licht des Mithras erblickt und ward erlöst.«

»Ihr sagtet, Ihr sollt uns an den Hof Eures Fürsten geleiten...« Volker musterte den Standartenträger kalt. »Wir werden Euch folgen.«

Der Krieger mit der eisernen Maske wendete wortlos sein Pferd. Dann gab er den anderen Reitern ein Handzeichen, und sie nahmen die beiden Burgunden in ihre Mitte.

Voller Mißtrauen verfolgte Golo die Bewegungen der Krieger. Sie alle waren außergewöhnlich groß. Die eisernen Masken, die immer dasselbe jugendliche Gesicht zeigten, ließen die Männer wie Brüder aussehen. Mit geradezu unheimlicher Präzision teilte sich ihre Formation in zwei gleichlange Reihen. Sie formierten sich rechts und links des Weges, der über den Hügel führte. Ob sie vielleicht doch Dämonen waren, die alle von einem Geist beherrscht wurden? Keiner der Krieger sprach oder neigte auch nur den Kopf, um Volker und ihn zu mustern. So verhielten sich keine gewöhnlichen Männer! Und wer war Mithras? Ein heidnischer Götze? Ein Diener Satans vielleicht?

Die Eskorte brachte sie zwei Meilen weiter den Rhein hinauf. Seitlich des Weges gab es nun einige Äcker, doch kein Mensch war zu sehen. Das Land wirkte wie tot. Zur Linken lagen Hügel, die langsam in niedrige Berge übergingen. Auf einem der Hügel stand ein großes ausgebranntes Steinhaus, aus dessen Fenstern die Äste junger Eichen wuchsen.

Der Ritt verlief schweigend. Die Stille wurde nur durch den dumpfen Klang der Hufe und die Rufe der Vögel im Uferdickicht des großen Flusses gestört. Endlich führte der Weg sie auf einen zweiten Hügel, von dem aus sie Castra Bonna vor sich liegen sahen. Dicht entlang des mit steinernen Kais befestigten Ufers verlief die Mauer des Legionslagers aus alter Zeit. Sie war an die zehn Schritt hoch und zusätzlich durch zahlreiche Türme gesichert. Golo war von der Größe der Stadt überrascht. Die quadratische Festungsanlage hatte eine Seitenlänge von fast einer halben Meile. Auch außerhalb der Mauern lagen viele Häuser, doch selbst von weitem war zu erkennen, daß sie verfallen und verlassen waren. Nicht einmal innerhalb der Wälle waren alle Wohnhäuser in einem guten Zustand. Hier und dort konnte man eingestürzte Dächer erkennen, und zwischen den alten Steinbauten erhoben sich Dutzende von Fachwerkhäusern mit lehmverputzten Wänden und breiten Rieddächern.

Am nördlichen Ende der Stadt war ein kleiner Palast mit Säulengängen und weiß getünchten Mauern zu sehen. Davor lag ein großer Platz, auf dem Krieger in schimmernden Waffen aufmarschiert waren. Golo schluckte. Was für ein Empfang! Man konnte meinen, der Gaugraf erwarte ein burgundisches Heer und nicht nur zwei Ritter.



Graf Ricchar war viel jünger, als Volker ihn sich vorgestellt hatte. Der Reitergeneral gehörte zu den einflußreichsten Männern im Frankenreich. Er kommandierte die Reiterei des Königs, und es hieß, er habe noch niemals eine Schlacht verloren. Obwohl Ricchar schon der Held vieler Bardenlieder war, mochte er höchstens fünfunddreißig Sommer zählen. Sein Gesicht war von der Sonne gebräunt, und erste schmale Falten zeigten sich um seine klaren blauen Augen. Sein hellblondes gelocktes Haar trug er kurzgeschoren, wie es unter Kriegern üblich war. So wie die Reiter, die der Graf ihnen als Eskorte entgegengeschickt hatte, war auch Ricchar auffällig groß. Vom Scheitel bis zur Sohle mochte er knapp zwei Schritt messen.

Die Rüstung und Kleidung des Kriegers waren für einen Franken außergewöhnlich. Über einer dunkelroten Tunika, die bis zur Mitte der Oberschenkel reichte, trug der Fürst einen weißen Leinenpanzer, dessen Bruststück mit einer aufgestickten Sonnenscheibe mit breitem Strahlenkranz verziert war. Seine Füße steckten in Bundschuhen aus feinem Leder, deren Verschnürung hinter feinziselierten Beinschienen verschwand. An der linken Seite trug der Graf ein langes Reiterschwert, das er ungewöhnlich hoch gegürtet hatte.

Entlang des gepflasterten Platzes vor dem Palast waren mehr als hundert Soldaten aufmarschiert. Sie alle waren einheitlich ausgerüstet. Ricchar mußte ein reicher Mann sein, denn die Kämpfer waren ohne Ausnahme mit Kettenhemden und eisernen Helmen gewappnet.

Ein wenig beschämt blickte Volker an sich herab. Auch er trug ein Kettenhemd, doch das war hier ja nichts Besonderes. Sein flammend roter Umhang und sein weißer Waffenrock waren vom Staub der Reise beschmutzt. Auf dem schönen Platz und zwischen all den Kriegern in schimmernder Wehr kam er sich unscheinbar und unbedeutend vor. Die Reiter ihrer Eskorte waren zu den Seiten des Platzes hin abgeschwenkt. Volker zügelte seinen Hengst und schwang sich aus dem Sattel. Ricchar kam ihm mit ausgebreiteten Armen entgegengeeilt, ganz so, als seien sie alte Waffengefährten.

»Volker von Alzey! Endlich ist es mir vergönnt, Euch zu begegnen. Ihr seid mir ein Licht in dieser dunklen, zerstörten Stadt am Ende der Welt. Kaum wage ich zu hoffen, daß Ihr länger als eine Nacht verweilen werdet, weiß ich doch nun den größten Schatz des Burgundenkönigs in meinen Mauern.«

Der Spielmann räusperte sich verlegen und verneigte sich. »Die Ehre ist ganz auf meiner Seite. Wenn man den Erzählungen über Eure Taten lauscht, so will man glauben, ein Held aus alten Zeiten sei wiedererstanden.«

Ricchar schloß ihn in die Arme. Obwohl der Franke eher schlank war, hatte er die Kräfte eines Bären. »Lassen wir die Förmlichkeiten, Volker. Ich kenne deine Lieder und ahne in dir einen Verwandten im Geiste. Erlaube, daß ich offen zu dir rede, so wie Freunde es tun. Dieselbe Offenheit erwarte ich auch von dir. Ich kann mir sehr wohl denken, wie man am Hof zu Worms von mir spricht. Immerhin habe ich den Rittern des Königs im letzten Herbst manche Schlappe beigebracht, auch wenn ich zu spät kam, um zu verhindern, daß Hagen Treveris eroberte. Ich weiß, daß du keinen Anteil an diesem Krieg hattest und zu jener Zeit im fernen Aquitanien weiltest.« Der Graf lächelte. »Du siehst, ich kenne dein Epos über das Nachtvolk... Und ich bin gespannt, deine neuen Lieder zu hören, wenn du mir dann die Ehre erweisen magst, das Licht der hohen Dichtkunst in meine Festhalle zu tragen. Sei gewiß, daß niemand dich und deinen Begleiter hier in meinem Gau als einen Feind betrachtet, auch wenn meine Krieger darauf brennen, erneut gegen die Burgunder ins Feld zu ziehen und über den Mauern von Treveris wieder das Banner unseres Königs aufzupflanzen.«

»Eure Worte erfüllen mich mit Stolz, und doch macht es mich auch zugleich verlegen, Euch in dieser Weise von meiner Dichtkunst sprechen zu hören, die allzuoft nur unvollkommen und...«

»Willst du mich beschämen, mein Freund? Ich habe dir angeboten, mit mir wie mit einem Kameraden zu reden. Ich halte nichts von dem förmlichen Geschwätz von Gesandten und Höflingen. Ich ziehe jederzeit das offene Wort irgendwelchen nichtssagenden Floskeln vor. Und was die Dichtkunst angeht, Volker, so muß ich gestehen, daß auch ich mich darin schon versucht habe und kläglich gescheitert bin. In Stabreimen, wie sie die Alten pflegen, bin ich zwar wohlbewandert, aber deine neue Reimtechnik des Langzeilenverses vermag ich nicht zu kopieren.«

Der Spielmann starrte den Fürsten verblüfft an. Nach allem, was er über Ricchar gehört hatte, hatte er einen blutdürstigen Barbaren erwartet. Doch vor ihm stand statt dessen ein Mann, der, obwohl er zum höchsten Kriegeradel des Frankenreiches gehörte, ihm kaum, daß sie sich begrüßt hatten, zu vertrautestem Umgang einlud und der obendrein auch noch in der Dichtkunst bewandert zu sein schien.

»Du schätzt das offene Wort, Ricchar? Dann laß dir gesagt sein, daß du mich erstaunst. Du bist in der Tat nicht der Mann, den ich hier anzutreffen glaubte.«

Der Fürst lächelte und nickte in Richtung des Palastes. »Laß uns hineingehen. Ich habe heute morgen eine Wildsau erlegt, und meine Köche haben sie einen halben Tag lang gebraten, weil ich ihnen für den Abend einen besonderen Gast angekündigt habe. Wir sollten uns zur Tafel begeben, bevor man in der Küche anfängt, sich die Haare zu raufen, weil die Schwarte langsam so schwarz wie Holzkohle wird. Ich muß gestehen, ich hatte schon früher mit dir und deinem Freund gerechnet. Seid ihr aufgehalten worden?«

Volker schüttelte den Kopf. »Wir ahnten nicht, daß man uns erwartet. Darf ich dir meinen Freund und Weggefährten Golo vorstellen?«

Der Graf bedachte den jungen Ritter mit einem kurzen Blick und führte die beiden dann die Stufen zum Palast hinauf. Hinter ihnen auf dem Hof erschollen einige scharfe Kommandorufe, und die Krieger rückten in geordneten Kolonnen zu ihren Quartieren ab. Stallburschen eilten herbei, um die Pferde der Reiter fortzuführen. Aus den Augenwinkeln sah Volker, wie einer der Kämpen offensichtlich erleichtert seine eiserne Gesichtsmaske abschnallte. Es war ein junger Kerl, der sich nun, da er seinen Helm abgenommen hatte, zumindest äußerlich in nichts von den anderen Kriegern unterschied, die auf dem Platz versammelt gewesen waren.

Ricchar führte sie durch einen langen Flur auf einen Hof mit einem prächtigen Mosaikboden. Es gab hier auch einen kleinen Brunnen, durch den es trotz der spätsommerlichen Hitze angenehm kühl war. Es waren niedrige Tische aufgestellt worden, um die herum breite gepolsterte Liegen standen.

Ricchar verharrte und wies mit ausgebreiteten Armen auf die Klinen. »Nehmt Platz, meine Freunde! Es soll ein römisches Gastmahl werden, zu dem ihr geladen seid. Wir werden unser Essen im Liegen einnehmen, und ich muß euch warnen, nehmt nicht zuviel von den ersten Gerichten, die aufgetragen werden, denn sonst werdet ihr nicht bis zum Ende des Mahls durchhalten. Meine gallischen Köche haben etliche erlesene Köstlichkeiten vorbereitet, wie sie kaum ein Germane mehr kennt, seit die Römer das Land verlassen haben.« Der Fürst klatschte in die Hände, und zwei Diener mit silbernen Trinkpokalen und einem mächtigen Tonkrug erschienen aus einer der zahlreichen Türen, die auf den Hof führten.

»Zunächst möchte ich euch von einem Wein kosten lassen, der aus dem fernen Kreta stammt. Ein Roter, in dem die Glut der südlichen Sonne gefangen ist und mit dem sich auch die besten und ältesten Weine aus meinem Gau nicht messen können.«

Bewundernd drehte Volker den kostbaren Silberpokal zwischen den Fingern und trank in kleinen Schlucken von dem weitgereisten Wein. Kreta... Jene Insel, auf der einst der legendäre König Minos und sein stierköpfiger Sohn herrschten. Volker dachte an Hafenstädte mit weißen Häusern und den Duft des Meeres. Ob es ihm bestimmt war, auch einmal so weit zu reisen?

»Einige meiner Freunde werden uns bei dem Mahl Gesellschaft leisten.« Ricchar hatte sich auf einer Liege niedergelassen. Er lag seitlich, auf den linken Ellenbogen aufgestützt, und wies ihnen mit der Rechten die Liegen an seiner Seite zu.

»Was sagt der Bischof des Gaus zu diesem heidnischen Luxus, Fürst Ricchar?« fragte Golo, der eine Miene schnitt, als habe man ihm schimmeliges Brot serviert.

Der junge Graf lachte. »Wir wissen doch alle, daß es sich die Abte und Kirchenmänner in ihren Klöstern und Palästen selber recht gutgehen lassen. Warum sollte ich ein schlechtes Gewissen haben, nur weil ich meine Freunde mit einem köstlichen Mahl verwöhne. Ich kann daran nichts Schlimmes finden. Im Gegenteil, ich beweise doch nur, daß ich meinen Reichtum gerne mit anderen teile. Ist dies nicht sogar eine christliche Tugend

»Nur dann, wenn man teilt, um sich mit seiner Freizügigkeit nicht über die anderen zu erheben.«

»Hat man deinen Gefährten in einer Klosterschule großgezogen, Volker?« Ricchar schüttelte den Kopf und gab einer Dienerin ein Zeichen, ihm seinen Weinpokal nachzufüllen.

Volker warf Golo einen ärgerlichen Blick zu. Was war nur in ihn gefahren? Bislang hatte der junge Ritter noch nie ein Festmahl verschmäht? »In der Tat muß ich gestehen, daß er nicht an einem Fürstenhof aufgewachsen ist. Das mag erklären, warum er manchmal ein wenig befremdlich dem Weltlichen gegenübersteht.«

Der Frankenfürst seufzte. »Ich kenne das Problem nur zu gut. Es sind die Kirchenmänner, die uns in den engen Grenzen ihrer knapp bemessenen Horizonte gefangen halten und den freien Flug des Geistes verhindern wollen, indem sie diesem schillerndsten aller Vögel seine Schwingen beschneiden.« Ricchar schüttelte den Kopf. »Entschuldige, wenn ich mich ereifere, läßt meine Rhetorik an Schliff vermissen, und ich neige dazu, meine Rede mit allzu üppigen Bildern zu schmücken.«

»Nicht doch, mein Freund!« Volker setzte den Weinpokal vor sich auf den Tisch und nahm auf einer der Liegen Platz. »Es ist eine Freude, einmal einem Krieger zu lauschen, dessen Rede nicht so hart und spröde wie eine Felslandschaft ist.«

Eine Gruppe von Offizieren und Amtmännern trat auf den Hof. Sie grüßten den Fürsten und ließen sich so selbstverständlich auf den Klinen nieder, als seien sie es schon lange gewohnt, auf diese ungewöhnliche Art zu tafeln. Volker dachte an den Hof zu Worms und daran, was Königin Ute wohl dazu sagen würde, wenn er ihr vorschlagen würde, ein solches Festmahl nach römischem Vorbild abzuhalten. Der Spielmann grinste. Vermutlich würde sie noch wesentlich drastischere Worte für diese heidnischen Verrücktheiten finden, als Golo es getan hatte.

Volker griff nach seinem Pokal und nahm einen tiefen Schluck. Dabei fiel sein Blick auf das Mosaik unter dem Tisch. Es zeigte einen Krieger mit Schwert, der einen mächtigen Stier niederstach.

Kretischer Wein, Stiermosaiken... War er wirklich noch in einer kleinen, halb verfallenen Stadt am Rhein? Der Spielmann dachte an die Reiter mit den eisernen Masken und die Truppenparade auf dem Platz vor dem Palast. Alles hier war fremd, so als sei er in eine andere Welt hineingeraten. Doch war dies nicht ein gutes Omen für die Suche nach einem wunderbaren Vogel, von dem jeder vernünftige Mensch behauptete, daß er nur in den Geschichten der Märchenerzähler existierte.



»Wir sollten hier so schnell wie möglich verschwinden«, flüsterte Golo heiser.

»Warum? Das war doch ein wunderbares Fest!« Volker stützte sich an der Wand des langen Flurs ab. Er hatte Mühe, sich noch auf den Beinen zu halten. Soweit Golo gesehen hatte, mußte sein Freund mindestens zwei Krüge von dem schweren, kretischen Wein getrunken haben.

»Leise!« zischte der junge Ritter ärgerlich. Der Diener, der sie zu ihren Gemächern bringen sollte, hatte sich bereits nach ihnen umgedreht. Es war ein kleiner untersetzter Mann, der ihnen mit einer Öllampe, auf der drei Flammen brannten, in dem dunklen Gang voranging.

»Warum sollte ich leise sein?« grölte der Spielmann. »Die ganze Welt darf wissen, was ich von diesem Fest halte! Es war...« Volker hob seine Arme in großer Geste zur Decke hin. »Es war... großartig. Bacchos selbst hätte kein prächtigeres Fest ausrichten können, obwohl ich sagen muß..., daß ich Mänaden und Flötenspielerinnen... vermißt habe. Ein wenig Tanz wäre auch...« Der Spielmann versuchte, auf einem Bein den Gang hinaufzuhüpfen, verlor das Gleichgewicht und torkelte krachend gegen eine Tür.

Golo fing ihn auf, bevor Volker zu Boden stürzte. »Wir reden morgen weiter, du Stolz der christlichen Ritterschaft.«

»Stolz... Jawohl, das bin ich.« Volker rollte mit den Augen und fing dann an zu lachen. »Weißt du, was das Problem mit dir ist? Du kannst dich einfach nicht amüsieren, Golo. Den ganzen Abend hast du ein Gesicht gemacht, als würdest du am Totenbett deiner Mutter sitzen... Du beleidigst unseren Gastgeber...«

»Dafür hast du meine Verfehlungen dann ja mehr als ausgeglichen. Hast du die Frau an der Weide vergessen? Ricchar mag dich vielleicht mit gelehrten Reden umgarnen, aber in meinen Augen ist er immer noch ein blutdürstiger Barbar. Wir sollten diese Stadt so schnell wie möglich verlassen. Ist dir aufgefallen, daß nicht ein einziger Geistlicher bei dem Fest zugegen war? Das ist kein gutes Zeichen!«

Volker kicherte. »Das war ja auch nicht gerade ein Kirchenfest. Stell dir vor, der Bischof zu Worms hätte so einem Fest am Hof von Gunther beiwohnen müssen... Dem wären die Perlen aus seiner Mitra gefallen vor Entsetzen. Der gute Fredegar... Jeder weiß, daß er ein Säufer ist, aber von der Kanzel predigt er so ergreifend gegen dieses Laster, als habe er noch niemals einen Weinpokal in Händen gehalten. Dabei läßt er sich den Meßwein mit Schnaps versetzen, weil er ihm sonst zu fade ist. Ricchar hat solche doppelzüngigen Kleingeister von seinem Hof verbannt. Ich kann darin nichts Falsches sehen.«

»Hier ist das Gemach für den erlauchten Barden«, murmelte der Diener, öffnete eine Tür und wies mit dem Licht in eine große Kammer, in der ein Bett, ein mit prächtigen Intarsien verzierter Tisch und zwei hochbeinige Stühle standen. »Für den Herrn Ritter gibt es ein zweites Gemach, das an dieses hier angrenzt.«

Golo musterte den kleinen Kerl. Er hatte den Eindruck, daß etwas Heimtückisches in der Stimme des Dieners lag. Oder amüsierte der Kerl sich nur über den Zustand Volkers?

Der junge Ritter hatte sich Volkers rechten Arm um die Schulter geschlungen und brachte den Spielmann bis zum Bett. »Laß mich in Morpheus Schoß ruhen«, lallte der Barde. »Morgen werden wir weiterreden.«

»Schon gut.« Golo setzte Volker auf den Rand des Bettes und zog ihm die Stiefel aus.

»Brauchen die erlauchten Herren noch meine Dienste?«

»Bring einen Eimer und einen Krug mit frischem Wasser her! Ich glaube, mein Freund wird das diese Nacht noch brauchen. Und dann stell ein Licht auf den Tisch dort drüben, das bis zum Morgengrauen brennt. Er soll sehen können, wo er sich befindet, wenn er wach wird.«

»Wie Ihr befehlt, Herr!« Der Diener verbeugte sich knapp und verschwand auf den dunklen Gang. Seine Öllampe hatte er auf dem Tisch stehen lassen.

Volker war nach hinten auf das Bett gesunken und schnarchte leise. Golo betrachtete ihn eine Weile. Im weichen Licht der Öllampe waren die Falten in den Mundwinkeln des Spielmanns verschwunden. Er konnte Volker nicht lange böse sein. Seit den Ereignissen in den Sümpfen Aquitaniens hatte sich der Spielmann von Grund auf verändert. Golo wünschte ihm, daß er den Feuervogel finden würde, damit er endlich Gewißheit über das Schicksal der Morrigan erlangte. In der letzten Nacht, als sie am Ufer des Rheins schliefen, hatte er Volker den Namen der heidnischen Priesterin im Schlaf flüstern hören. Sie ließ ihn nicht mehr los... Vielleicht hatte sie ihn ja verflucht?

Vor der Tür erklangen Schritte. Der Diener kehrte zurück. Ohne ein Wort stellte er einen hölzernen Eimer und einen Wasserkrug neben das Bett. Dann trat er einen Schritt zurück und blickte Golo erwartungsvoll an.

»Du kannst gehen. Ich werde alleine den Weg in meine Kammer finden. Danke.«

Der kleine Mann verneigte sich knapp. »Wie Ihr meint, Herr.« In der Tür blieb er noch einmal stehen und blickte zurück.

»Ja?« fragte Golo ärgerlich. Er wollte allein sein.

Der Diener räusperte sich verlegen. »Es geht mich ja nichts an, aber ich habe Euch eben über einen Bischof reden hören. Nicht, daß ich lauschen wollte, Herr... Ihr spracht so laut, daß es mir unmöglich war, das Gesagte zu überhören.«

»Und?«

»Es wäre klüger, wenn Ihr in Gegenwart des Grafen und seiner Gefolgsleute nicht von Kirchenmännern sprecht.«

Golo richtete sich auf und musterte den kleinen Kerl mißtrauisch. Der Mann hatte flachsblondes Haar und ein breites, ehrliches Gesicht. »Was willst du damit sagen?«

»Nichts. Nur, daß man hier Kirchenmänner nicht sonderlich zu schätzen weiß und... Hütet Euch, daß Ihr in diesen Mauern Euer Seelenheil nicht verliert.« Der Diener blickte ängstlich auf den Gang hinaus.

Einen Moment lang glaubte Golo, ein Geräusch wie von leisen Schritten zu hören. Dann war es wieder still. »Wie meinst du das? Ein Gelage wie an diesem Abend ist zwar gewiß nicht gottgefällig, doch warum sollte unser Seelenheil in Gefahr sein?«

»Ich habe schon zu viel gesagt«, flüsterte der Mann ängstlich. »Ich muß nun gehen.« Er verneigte sich ein wenig linkisch und eilte dann mit langen Schritten den Gang hinab.

Golo deckte den Spielmann zu und ging zu seiner Kammer. Dabei klangen ihm immer wieder die Worte des Dieners in den Ohren. Hütet Euch, daß Ihr in diesen Mauern Euer Seelenheil nicht verliert. Was mochte der Kerl damit nur gemeint haben?


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