Der Abflug

Zweiunddreißig Stunden unterwegs …

Der erste Tag ist vergangen. Ich stelle das nach der Uhr fest. Einen Wechsel von Tag und Nacht gibt es in unserem Schiff nicht und wird es auch nicht geben. Ununterbrochen beleuchtet die Sonne die rechte Bordwand, und das Schiff dreht sich in bestimmten Abständen um seine Längsachse, damit sich seine gesamte Außenfläche gleichmäßig erwärme.

Die Motoren haben längst ihre Arbeit eingestellt, wir fliegen nach dem Trägheitsgesetz weiter, mit einer Geschwindigkeit von achtundzwanzigeinhalb Kilometern in der Sekunde. Wir merken das nicht.

Das Schiff schwebt in einem endlosen Raum.

Dieses Bild, das ich mir auf der Erde so grauenvoll vorgestellt hatte, ist hier gar nicht furchterregend. Wir haben überhaupt nicht das Empfinden, über einem Abgrund zu schweben, weil rings um uns die gleiche Leere ist und die Begriffe „oben“ und „unten“ sich schon längst verwischt haben. Sobald die Motoren aussetzten und das Schiff, seinem Beharrungsvermögen folgend, mit konstanter Geschwindigkeit weiterflog, schwand die Schwere, und mit ihr schwanden die üblichen Vorstellungen. Gewohnheitsgemäß gilt für mich noch alles, was unter meinen Füßen ist, als „unten“, und was über meinem Kopf ist, als „oben“; aber ich brauche mich nur um hundertachtzig Grad zu drehen, damit das, was eben noch oben war, nach unten rücke und umgekehrt. Dazu bedarf es eines ganz geringen Kraftaufwandes, wenn man als Anhaltspunkt einen fest angebrachten Gegenstand oder einfach die Wand benutzt.

Ich wiege nichts! Der Zustand der Schwerelosigkeit, an den ich vor dem Flug so oft und nicht ohne Bangen gedacht habe, ist in Wirklichkeit überhaupt nicht schlimm; im Gegenteil, er ist angenehm. Gleich am ersten Tag habe ich mich daran gewöhnt.

Augenblicklich halte ich mich am Tisch auf und schreibe.

Unsere Kajüte ist nicht groß. Eine Wand ist halbrund und hat ein rundes Fenster. Wenn das Fenster nicht gebraucht wird, ist es von außen mit einer dicken Stahlplatte abgedichtet. Die Rückwand ist gerade und reicht von einer Bordwand zur andern. In ihr befindet sich die „Tür“, eine runde Öffnung mit einem Durchmesser von einem Meter.

Wenn ich die Kajüte verlassen will, stoße ich midi irgendwo leicht ab und gleite durch die Tür hindurch wie ein Fisch. Die beiden Seitenwände stellen regelmäßige Halbkreise dar und haben keine Öffnungen. An die eine ist der Tisch festgeschraubt, an dem ich jetzt mitten in der Luft „sitze“.

Außer dem Tisch befindet sich in der Kabine ein Schrank, in dem wir neben Instrumenten und Geräten auch unsere Privatsachen halten. Er ist aus Aluminium und nimmt die ganze dem Tisch gegenüberliegende Wand ein.

Betten gibt es in der Kajüte nicht. Zu beiden Seiten des Fensters hängen zwei Netze mit Metallschnallen. In die Netze legen wir uns schlafen. Das geht so vor sich: Wir stoßen uns irgendwo ab, gleiten durch die Luft auf unsere Netze zu, kriechen hinein und schließen die Schnallen. Der schwerelose Körper übt keinerlei Druck aus, man schläft in jeder Lage wie auf Daunen. Das Netz verhindert, daß der Körper während des Schlafens in der Kajüte herumgeistert.

Wir dürfen nämlich nicht vergessen, daß in unserer schwerelosen Welt ab und zu eine kaum merkliche Schwerkraft entsteht, und zwar dann, wenn sich das Schiff um seine Längsachse dreht. So gering diese Kraft auch ist, genügt sie doch, um einen ganz woanders aufwachen zu lassen, als wo man sich „hingelegt“ hat. Genauer gesagt, ist das keine Schwerkraft, sondern eine Auswirkung der Fliehkraft.

Während der Drehung beginnt alles, was nicht niet- und nagelfest ist, zu wandern.

Dieselbe Kraft erzeugt auch das Trugbild, das wir vom Fenster aus genießen können. Im Augenblick der Drehung entsteht der Eindruck, daß sich das ganze Weltall in Bewegung setzt und langsam um das Schiff kreist. Ein unbeschreibliches Schauspiel!

Eine wichtige Einzelheit muß ich noch erwähnen. Die runde Tür ist stets durch einen Deckel hermetisch abgeschlossen. Wenn wir uns von einem Raum in den andern begeben, sind wir verpflichtet, alle Türen hinter uns zu schließen; dazu braucht man nur auf einen Knopf zu drücken. Diese Maßnahme hat ihren Grund. Der Weltraum ist nicht leer. In ihm bewegen sich zahllose Materieteilchen aller Größen, vom Staubkorn bis zu großen Massen. Nach Kamows Ansicht ist ein Zusammenstoß mit derartigen wandernden Körpern kaum möglich, und dennoch ist er nicht ausgeschlossen. Wenn einer dieser Körper, und sei es auch nur ein winziges Teilchen, gegen das Schiff flöge, käme es bei der beiderseitigen gewaltigen Geschwindigkeit zu einer mehr oder minder starken Explosion. In der Bordwand entstünde ein Leck, und da außerhalb des Schiffes ein absolutes Vakuum herrscht, würde die im Inneren vorhandene Luft unaufhaltsam durch dieses Leck entweichen.

In wenigen Sekunden wäre die gesamte Besatzung des Raumschiffes tot. Da das Schiff in hermetisch abgeschlossene Zellen eingeteilt ist, kommt aber ein derartiges Ende der Expedition kaum in Betracht.

Wird die Bordwand in einem Augenblick durchschlagen, da sich jemand in der Kajüte aufhält, und ist die Explosion nicht allzu stark, so kann sich der Betreffende retten, indem er ein Pflaster auf die Einschlagstelle legt. Solche Pflaster liegen überall in verschiedenen Größen griffbereit.

Soeben hatte Paitschadse die Kajüte „betreten“. Um die Schranktür zu öffnen, nahm er eine solche Stellung ein, daß er im rechten Winkel über meinem Kopf hing.

Ich wußte, daß sowohl er als auch die im Schrank enthaltenen Gegenstände nicht auf mich herunterfallen konnten, aber die Macht der „irdischen“ Gewohnheit ließ mich eine Bewegung zur Seite tun. Das Heft flog sofort in die entgegengesetzte Richtung.

Paitschadse bemerkte es und lachte. Er nahm ein Gerät aus dem Schrank und glitt dann durch eine geschickte Wendung in der Luft an meine Seite. Dabei gelang es ihm, mein Heft aufzufangen. „Darf ich darin lesen?“ fragte er.

Ich nickte. Er studierte aufmerksam die letzten Seiten.

„Die physikalischen Erscheinungen in dem Schiff sind gut geschildert“, sagte er, als er mir das Heft zurückgab, „warum haben Sie aber den Start nicht beschrieben?“

„Dieses. Tagebuch ist nur ein Konzept“, sagte ich. „Ich schreibe, wie es gerade kommt. Den Start schildere ich noch.“

„Man darf nie etwas tun, wie es gerade kommt!“ Er legte mir die Hand auf die Schulter, worauf ich sogleich etwas absackte. „Sie nehmen mir’s doch nicht übel, was?“

„Aber nein, Arsen Georgijewitsch! Natürlich nicht.“

* * *

In der Nacht vor dem Start schlief ich wider Erwarten gut.

Punkt sieben Uhr holte mich Paitschadse mit dem Wagen ab. Ich nahm meinen kleinen Koffer, der mich auf allen meinen Reisen begleitet hatte, und bestieg den Wagen mit einem Gefühl der Erleichterung. Endlich hatte das Warten ein Ende. Nun gab es kein Zurück mehr! Der Wagen ließ das Dynamo-Stadion hinter sich und jagte die Leningrader Chaussee entlang. Unser Raumschiff sollte seine Reise vom Ufer der Kljasma aus antreten. Von dort war Kamow bereits zu seinen ersten beiden Flügen gestartet.

Als wir ankamen, war es neun Uhr morgens.

Der von einer hohen Mauer umgebene Raketenflugplatz stellte ein riesiges Feld von fünfzehn Kilometer Durchmesser dar. In der Mitte des Flugfeldes erwartete uns das startbereite Schiff. Es ruhte dreißig Meter über dem Erdboden auf dem stählernen Gerüst des Startturms. In einem großen einstöckigen Gebäude, das wir im Scherz „Weltraumbahnhof“ nannten — es beherbergte Werkstätten und Laboratorien zur Instandhaltung des Schiffes —, trafen wir Kamow, Belopolski und die Mitglieder der Regierungskommission.

Paitschadse und ich waren die letzten. Kamow unterhielt sich mit dem Vorsitzenden der Kommission, dem Akademiemitglied Woloschin. Belopolski setzte sich gleich, nachdem er uns begrüßt hatte, in den Wagen und fuhr zum Schiff. „Es ist Zeit!“ sagte er.

Woloschin umarmte ihn. Er war sichtlich erregt. „Wir wünschen Ihnen von ganzem Herzen Erfolg!“ sagte er.

„Nun werden wir es kaum erwarten können, bis Sie zurückkehren.“

Er umarmte auch Paitschadse und mich, und dann verabschiedeten wir uns von den anderen Kommissionsmitgliedern. Alle waren sehr aufgeregt, nur Kamow schien die Ruhe selbst.

Ein letzter Händedruck, letzte gute Wünsche, und der Wagen fuhr an. Acht Minuten später waren wir am Schiff.

Belopolski erwartete uns am Aufzug. Neben ihm stand Ingenieur Larin, der Leiter der technischen Vorbereitungen.

Bis auf ihn hatte das gesamte Flugplatzpersonal den Startplatz bereits verlassen.

Über unseren Köpfen, etwa zehn Stockwerke hoch, schimmerte der weiße Rumpf des Raumschiffes in der Sonne. Siebenundzwanzig Meter lang und sechs Meter breit, erinnerte es in seiner Form an eine riesengroße Melone.

Kamow wechselte einige Worte mit Larin, worauf der Ingenieur sich von uns verabschiedete und mit seinem Wagen wegfuhr. Es war fünfzehn Minuten vor zehn. Mit Larins Abfahrt war unsere letzte Verbindung zu den Menschen abgebrochen.

„Gehen wir!“ sagte Kamow.



Der Aufzug beförderte uns rasch zur Plattform hinauf.

Von dieser Höhe aus konnte man den ganzen Raketenflugplatz überblicken. Das letzte, was ich sah, ehe ich durch die Eingangsöffnung des Schiffes kroch, war eine fern am Horizont aufsteigende rote Rakete.

„Schnell!“ sagte Kamow. Er folgte mir, und wir schlossen durch einen Druck auf den Knopf die Luke.

„Was ist das für eine Rakete?“ fragte ich Kamow.

„Das Zeichen, daß es bis zum Start nur noch zehn Minuten sind“, antwortete er.

Wir befanden uns nun im vorderen Teil des Schiffes mit dem Observatorium und dem Leitstand. Der Raum war von elektrischem Licht durchflutet.

Paitschadse reichte uns große Lederhelme. Ich fragte, wozu wir sie brauchten.

„Zum Schutz der Ohren“, erwiderte er. „Setzen Sie den Helm auf, ziehen Sie die Riemen fest an, und legen Sie sich hin.“ Er wies auf eine breite Matte, die auf dem Fußboden lag. „Die Beschleunigung beträgt zwanzig Meter.

Das ist nicht viel, aber im Liegen kann man’s leichter ertragen. Es wird fast eine halbe Stunde dauern.“

„Wir werden also gar nichts sehen?“ fragte ich enttäuscht.

„Doch. Wenn die Motoren aussetzen, öffnen wir die Fenster.“

Er setzte sich den Helm auf und legte sich zu Belopolski auf die Matte. Mir blieb nichts anderes übrig, als es ihm gleichzutun.

Kamow, der den gleichen Helm aufhatte wie wir, nahm in dem Ledersessel am Steuerpult Platz und ließ die Stoppuhr nicht aus den Augen. Dieser Sessel, der mit dem Pult ein Ganzes bildet, kann sich mit ihm, entsprechend der Schiffslage, nach allen Richtungen drehen. Er wird nur beim Start und in der Nähe von Planeten benutzt. Unterwegs, wenn die Schwerkraft im Raumschiff aufgehoben ist, braucht man ihn natürlich nicht mehr.

Ich schaute auf die Uhr. Zwei Minuten vor zehn.

Was ich in diesem Augenblick empfand, ist schwer zu beschreiben. Meine Erregung hatte sich bis zur Qual gesteigert.

Noch eineinhalb Minuten … Noch eine Minute.

Dreißig Sekunden … Zwanzig … Zehn …

Kamow warf einen Hebel am Pult herum, dann noch einen. Durch den Helm, der die Ohren fest umschloß, war ein zunehmendes Dröhnen zu hören. Ich fühlte, wie der Schiffsleib erbebte. Dann drückte mich eine sanfte Gewalt fest zu Boden. Mein Arm mit der Uhr sank unwillkürlich herab. Ich mußte mich anstrengen, ihn wieder zu heben. Er war merklich schwerer als sonst.

Eine Minute nach zehn …

Wir flogen also schon!

Das Dröhnen nahm jetzt nicht mehr zu, war aber so stark, daß es ohne den über den Kopf gestülpten Schutzhelm wohl kaum zu ertragen gewesen wäre.

Das Schiff steigerte mit jeder Sekunde seine Geschwindigkeit um zwanzig Meter und flog immer schneller.

Ich bedauerte, daß ich die entschwindende Erde nicht auf die Platte bannen konnte. Das wären sehr effektvolle Aufnahmen geworden.

Die Zeit verging. Seit dem Start waren etwa fünfzehn Minuten verstrichen. Wir befanden uns weit außerhalb des Bereichs der Atmosphäre und flogen im luftleeren Raum.

Mich ergriff fieberhafte Ungeduld. Ich konnte einfach nicht mehr still liegen. Der Lärm, den unsere Atomdüsenantriebe verursachten, zerrte an den Nerven und weckte den quälenden Wunsch, wenigstens für einen Augenblick davon befreit zu sein.

Etwa zwanzig Minuten nach dem Start stand Kamow plötzlich auf und trat an eines der Fenster. Er schob die Fensterplatte etwas beiseite und sah durch einen schmalen Spalt hinaus. Ich hätte viel darum gegeben, an seiner Stelle zu sein.

Die letzten Minuten zogen sich unglaublich in die Länge.

Es blieben noch drei Minuten, noch zwei …

Unser Schiff erreichte allmählich die ungeheure Geschwindigkeit von achtundzwanzigeinhalb Kilometern in der Sekunde. Nach dem Verstummen der Motoren würden wir mit dieser Geschwindigkeit vierundsiebzig Tage lang fliegen, bis wir die Venus erreicht haben.

Als nur noch eine Minute geblieben war, schloß ich die Augen und bereitete mich auf die gewaltige Umstellung vor, die nun erfolgen sollte: von doppelter Schwere zu völliger Schwerelosigkeit.

Plötzlich geschah etwas. In meinen Ohren dröhnte es zwar noch immer, aber ich fühlte mit meinem ganzen Körper, daß eine Veränderung vor sich gegangen war. Ein leichter Schwindel befiel mich, ging aber sofort wieder vorüber. Die Matte, auf der ich lag, wurde plötzlich so weich, daß ich sie nicht mehr spürte. Mir war, als läge ich auf Wasser. Das Dröhnen ebbte rasch ab, und was ich noch zu hören wähnte, war nur der Nachhall in meinen Ohren.

Ringsum herrschte Stille. Die Motoren hatten ihre Arbeit eingestellt. Als ich die Augen wieder aufschlug, sah ich Kamow am Pult stehen.

Er stand — aber seine Füße berührten den Boden nicht.

Unbeweglich und ohne jeden Halt hing er in der Luft.

Ich lag da und konnte mich nicht entschließen, auch nur ein Glied zu rühren.

Paitschadse nahm den Helm ab und erhob sich. Kein Akrobat auf der Erde hätte das auf diese Weise fertiggebracht. Er zog ein Bein an, setzte den Fuß auf den Boden und richtete sich allmählich zu seiner vollen Größe auf.

Belopolski setzte sich auf und nahm mit sonderbaren, unsicheren Bewegungen ebenfalls den Helm ab. An seinen Lippen merkte ich, daß er etwas sagte. Paitschadse reichte ihm die Hand, und plötzlich schwebte Konstantin Jewgenjewitsch in der Luft. Zum ersten Male sah ich sein sonst so unbewegliches Gesicht erregt. Er wollte sich auf die Beine stellen, kippte aber um und stand kopf. Paitschadse half ihm lachend, seine vorherige Lage wieder einzunehmen. Er sagte etwas, doch durch den Helm hörte ich keinen Laut.

Totenstille umgab mich.

Die beiden Astronomen begaben sich zum Fenster. Genauer gesagt, tat das nur Paitschadse. Belopolski schwebte, seine Hand fest umklammernd, hinter ihm her. Nachdem er die Wand erreicht hatte, hielt er sich an einem der zahllosen Riemen fest, die überall angebracht waren, und bekam offenbar Halt. Paitschadse drückte auf einen Knopf, und die metallene Platte vor dem Fenster glitt zur Seite. Neugierde bewog mich, die schutzbietende Matte zu verlassen.

Langsam löste ich die Riemen und nahm den Helm ab. Es war eigenartig, die Schwerelosigkeit seiner Arme zu spüren. Ich warf den Helm auf die Matte, aber er fiel nicht hinab, sondern blieb in der Luft hängen.

Bemüht, jede heftige Bewegung zu vermeiden, stellte ich mich vorsichtig auf die Beine. Alles ging gut, und selbstzufrieden dachte ich schon, daß ich Belopolskis Beispiel nicht folgen würde. Als ich aber merkte, daß ich in der Luft schwebte, suchte ich instinktiv nach einem Halt.

Dabei tat ich eine unwillkürliche Bewegung, meine Füße berührten einen kurzen Augenblick den Boden, und ich flog leicht wie eine Feder zur Decke oder, besser, zu dem Teil des Raumes, den ich bisher als Decke angesehen hatte.

Das Schiff schien sich blitzartig gedreht zu haben. Der „Fußboden“ und alles, was sich auf ihm befand, war nun „oben“, Kamow, Paitschadse und Belopolski dagegen hingen mit dem Kopf nach unten.

Das Herz schlug mir vor Aufregung bis zum Halse, und ich unterdrückte mit knapper Not einen Schrei. Kamow sah mich an. „Machen Sie keine schroffen Bewegungen“, sagte er. „Sie wiegen jetzt nichts mehr. Denken Sie daran, was ich Ihnen auf der Erde gesagt habe! Schwimmen Sie durch die Luft, als ob sie Wasser wäre. Stoßen Sie sich von der Wand ab, aber nur ganz leicht, und bewegen Sie sich auf mich zu.“

Ich folgte seinem Rat, konnte aber die Stärke des Stoßes nicht genau berechnen und flog an Kamow vorbei, worauf ich ziemlich heftig gegen die Wand prallte.

Es lohnt nicht, alle die Vorfälle, die sich in diesen ersten Stunden ununterbrochen mit mir und Belopolski ereigneten, ausführlich zu beschreiben. Wären uns alle diese unfreiwilligen Flüge und Purzelbäume auf der Erde passiert — wir hätten uns längst das Genick gebrochen; jedoch in dieser unwahrscheinlichen Welt kamen wir mit ein paar blauen Flecken davon.

Kamow und Paitschadse hatten bereits auf dem vorhergehenden Flug Erfahrungen sammeln können, und mit ihrer Hilfe eigneten wir uns auch die ersten Fertigkeiten in der Fortbewegung an. Aber selbst ihnen unterliefen bisweilen Fehler.

Wir brachten mehrere Stunden am Fenster des Observatoriums zu. Das Fenster war nicht sehr groß, ungefähr einen Meter im Durchmesser, bot aber trotz der beträchtlichen Stärke des Glases eine erstaunlich gute Sicht.

Die Sternenwelt machte auf uns einen überwältigenden Eindruck. Einen besonders verblüffenden Anblick boten in diesen ersten Flugstunden jedoch die Erde und der Mond.

Die Entfernung, in der wir uns befanden, ließ uns die beiden Himmelskörper ungefähr gleich groß erscheinen. Zwei riesige Kugeln, die eine blaßblau, die andere gelb, hingen hinten, ein wenig links von der Flugbahn des Schiffes, im Raum.

Etwa eine Stunde lang herrschte an Bord tiefes Schweigen. Alles schaute der fernen Erde nach. Auf ihrer Scheibe konnte ich fast keine Einzelheiten unterscheiden, und sie hatte keinerlei Ähnlichkeit mit einem Globus oder den Abbildungen in den Schulbüchern.

Während ich durch das Schiffsfenster den frei im All schwebenden Erdball betrachtete, dachte ich daran, daß die Menschen jahrtausendelang ihren kleinen Planeten für den Mittelpunkt der Welt gehalten hatten. Es zog mich zur Kamera. Ich wollte dieses Bild auf den Zelluloidstreifen bannen. Millionen Menschen sollten sehen, was wir vier Glücklichen nun mit eigenen Augen erblickten.

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