Am vierten Tag nach der Landung auf dem Mars standen Belopolski und Melnikow eine Stunde vor Sonnenaufgang auf. Man hatte bemerkt, daß sich jeden Morgen vor dem Schiff die kleinen Tiere einfanden, die wie Hasen aussahen. Kamow hatte Anweisung gegeben, wenigstens eins davon zu erlegen. Als der Rand der Sonnenscheibe erschien, krochen die beiden Männer, ein Gewehr mit Scharfschützenvisier in der Hand, auf die Tragfläche des Schiffes. Sie brauchten nicht lange zu warten. Wie auch an den vorangegangenen Tagen, stellten sich die „Hasen“ mit den ersten Sonnenstrahlen ein. Fünf Tiere kamen mit weiten Sprüngen ans Ufer des Sees gehüpft. Zwei Schüsse knallten zu gleicher Zeit, und zwei „Hasen“ wurden Beute der Jäger.
Zufrieden kehrten sie an Bord zurück; der zweite Kühlraum nahm die beiden weiteren Vertreter der Marsfauna in Verwahrung.
Beim Frühstück drängte Kamow zur Eile. Auf der Fahrt zum amerikanischen Schiff wollte er noch eine neue Sumpfpflanze als Ersatz für die alte beschaffen.
Der Wagen legte rasch die fünfzig Kilometer zurück, die das Schiff vom „Sumpf“ trennten.
War es nun, daß Ihnen die Erfahrung vom Vortag half oder daß sie es mit einer „leichteren“ Pflanze zu tun hatten, jedenfalls hielten sie sich am „Sumpf“ kaum eine Stunde auf und jagten, nachdem sie ihr Gewächs auf dem Wagendach verstaut hatten, den Weg entlang, auf dem tags zuvor das Auftauchen der Springechse ihre Fahrt unterbrochen hatte. Die Uhr im Geländewagen zeigte zehn Uhr morgens, als am Horizont die Silhouette des amerikanischen Raumschiffes auftauchte. Zwei Minuten später waren sie am Ziel.
Kamow hielt aufmerksam Ausschau. Auf den ersten Blick schien sich in diesen zwei Tagen nichts verändert zu haben. Die Reste der Uhr und die zerbrochene Lampe lagen auf derselben Stelle. Die Tür des Raumschiffes war zu.
Bei näherer Untersuchung bemerkte er jedoch zahlreiche Spuren im Sand und noch mehr auf der Tragfläche des Schiffes, die stark zerkratzt war.
„Hier sind Tiere gewesen“, sagte er. „Und nicht nur eins, sondern mehrere. Wir müssen sehr vorsichtig sein.
Diese zottigen Springechsen sind verdammt gefährlich.“ Er überlegte. „Wir werden nach Hapgoods Überresten suchen, ohne den Wagen zu verlassen. Die Fenster müssen wir allerdings öffnen. Halten Sie das Gewehr bereit. Womit ist es geladen?“
„Mit Sprengpatronen.“
„Dann ist alles in Ordnung. Fahren wir!“
Der Geländewagen setzte sich in Bewegung.
Die Durchsuchung der Umgebung des Raumschiffes dauerte fast eine Stunde. Ringsum war alles still. Nicht ein Tier zeigte sich, obwohl im Sande häufig Spuren zu sehen waren.
Die Suche verlief ergebnislos. Als die beiden zum Schiff zurückkehrten, mußten sie sich bereits beeilen.
Abwechselnd verließen sie den Wagen, um mit dem Spaten eine tiefe Grube auszuheben. Dann las Kamow die Scherben der Uhr und eine Lampe auf, begab sich ins Innere des Schiffes und legte am Schaltbrett ein großes versiegeltes Kuvert hin. Das Kuvert barg ein Protokoll über die Landung der Amerikaner auf dem Mars mit einem Bericht über das Ende des Schiffskommandanten, Charles Hapgood. Das Protokoll war von Kamow in russischer und englischer Sprache abgefaßt und von ihm und Bason unterschrieben worden. An Bord fand Kamow eine amerikanische Flagge. Er nahm sie an sich nebst einem kleinen Metallkasten, in den er hineinlegte, was von Hapgood übriggeblieben war, und verließ das Schiff.
Kurz darauf versank der in das Sternenbanner gehüllte „Sarg“ in der Grube. Die Grube wurde zugeschüttet, und wenig später wölbte sich darüber ein kleiner Hügel. Mehr gab es hier nicht zu tun, und Kamow setzte sich wieder auf seinen Platz am Steuer. Es war gegen ein Uhr mittags. In anderthalb Stunden würden sie bei ihrem Schiff sein.
Der Wagen fuhr an. Als Melnikow sich noch einmal nach dem amerikanischen Schiff umsah, fiel ihm auf, daß das Wasser des darunterliegenden Sees dunkel geworden war und sich stark kräuselte. „Ein Wind kommt auf“, sagte er.
Kamow warf einen Blick auf den Himmel. Er war dunkelblau wie immer, hier und da leuchteten Sterne. Fast im Zenit, nicht weit von der Sonne, stand der Deimos, einer der beiden Trabanten des Mars. Nicht eine einzige Wolke war zu sehen.
„Drei Tage war es windstill“, meinte er. „Kein Wunder, wenn diese Stille nun ein Ende nimmt. Auf dem Mars muß es Winde geben.“
Im Lautsprecher knackte es, dann meldete sich Belopolski: „Sergej Alexandrowitsch, hören Sie mich?“
„Wir hören“, antwortete Kamow.
„Wo befinden Sie sich?“
„In der Nähe des amerikanischen Raumschiffes. Sind gerade losgefahren.“
„Was haben Sie dort für Wetter?“
„Ein leichter Wind ist aufgekommen.“
Belopolski schien Paitschadse etwas zu fragen. „Wir bitten Sie, möglichst schnell zu fahren“, sagte er dann. „Alles deutet darauf hin, daß ein Sandsturm im Anzug ist.“
„Gut, Konstantin Jewgenjewitsch.“
Der Geländewagen jagte in rasendem Tempo vorwärts.
Die Glieder seiner Gleisketten verschmolzen zu blitzenden Streifen. Der Wind wehte genau von vorn, aber der starke Wagen schien das zu „übersehen“. Der Wind wurde stärker. Feiner Staub flog durch die Luft und verhängte den Horizont mit einem nebligen Schleier. „Der Sturm ist ganz nah“, sagte Kamow. Und wie zur Bestätigung dieser Worte wirbelte ein heftiger Windstoß eine Sandwolke vor dem Wagen auf und schleuderte sie gegen die Fenster.
Wieder knackte es im Lautsprecher. „Hier spricht Belopolski.“
„Wir hören.“
„Dem Raumschiff nähert sich von Osten eine riesige Sandmauer. Sie bewegt sich rasch vorwärts. Wir fürchten, Sie erreichen das Schiff nicht mehr rechtzeitig. Sind Sie schon am ›Sumpf‹ vorbei?“
„Noch nicht.“
„Ist es noch weit bis dahin?“
„Etwa zwanzig Kilometer. In zwölf Minuten werden wir dort sein.“
Am Horizont wuchs weithin eine riesenhafte Wand empor, bestehend aus dichten hochgewirbelten Sandmassen, die der Wind rasend schnell dem Wagen entgegentrieb. Die Begegnung mußte in wenigen Sekunden stattfinden. Die Sturmwand näherte sich mit Ungestüm. Vor ihr drehten sich Sandhosen wild im Kreise.
Kamow sah vorn bereits die Biegung der Wagenspur, die am „Sumpf“ vorbeiführte. Noch ein Stück! … Noch ein kleines Stück!
Sie schafften es! Die gefährliche Stelle lag hinter ihnen.
Da fuhr ein furchtbarer Wirbelsturm auf den Wagen nieder, als wollte er sich für die erlittene Niederlage rächen. Die Geschwindigkeit sank sofort auf vierzig Stundenkilometer.
Undurchdringliche Finsternis hüllte alles ringsum ein.
Schwere Sandmassen prasselten gegen die Wagenfenster, und die Scheiben knirschten, als riebe sie jemand mit Schmirgelpapier.
„Bitten Sie Belopolski, das Leitsignal zu geben!“
Wie als Antwort auf diese Worte leuchtete am Armaturenbrett ein verschwommener grüner Kreis auf, in dessen Mitte sich deutlich ein schwarzer Streifen abzeichnete.
„Bravo! Er ist von selbst daraufgekommen!“ sagte Kamow.
Nun galt es nur noch, die Richtung strikt einzuhalten.
Der schwarze Streifen durfte sich nicht verzerren und nicht breiter werden, denn dies würde bedeuten, daß der Geländewagen vom geraden Weg abgewichen war. Alles andere war Sache des Motors und der starken Wände des Wagens.
Etwa eine halbe Stunde war vergangen.
Plötzlich leuchtete vorn, inmitten der pechschwarzen Nacht, ein winziges helles Pünktchen auf.
„Der Scheinwerfer!“ sagte Kamow. „Wir sind also schon fast zu Hause.“
„Erstaunlich, daß er bei solch einem Sturm noch zu sehen ist.“
„Vierhundert Kilowatt! Das ist ja beinahe ein Leuchtfeuer.“
Melnikow schaltete das Mikrofon ein. „Wir sehen den Scheinwerfer“, meldete er.
„Großartig!“ erwiderte Belopolski. „Er brennt schon seit einer Viertelstunde. Dann sind Sie also ganz in der Nähe.
Sehen Sie ihn gut?“
„Ganz deutlich.“
Der Wagen verlangsamte seine Fahrt. Das Schiff war unmittelbar in der Nähe. Der Scheinwerfer leuchtete wie ein heller Stern, und in seinem Licht sah man verschwommen die vor dem Fenster wirbelnden Sandkörner. Der Sturm hielt mit unverminderter Kraft an, er wurde sogar noch heftiger. Aber er war nun nicht mehr gefährlich. Der Geländewagen näherte sich seinem Ziel.
Der Scheinwerferstrahl knüpfte ein unsichtbares Band zwischen ihm und dem Raumschiff, vereinte die beiden Männer mit den Freunden, die hinter den sicheren Bordwänden ungeduldig warteten.