Ein Schuß fällt

Der Geländewagen glitt schnell und leicht über den Sandboden. Die breiten Raupen hinterließen eine deutliche Spur. Da die weißgestrichene Karosserie die Sonnenstrahlen gut reflektierte, war es im Inneren des Wagens nicht heiß. Kamow und Paitschadse fühlten sich auf den weichen, bequemen Sitzen sehr wohl. Die Eintönigkeit der Umgebung wirkte zwar ein wenig ermüdend, aber sie gaben die Hoffnung nicht auf, endlich etwas Interessantes zu erblicken, und schauten aufmerksam nach allen Seiten aus.

Bisweilen mußten sie einen See umfahren, und einmal wäre der Wagen beinahe im Flugsand stecken geblieben. Die Raupen sanken plötzlich in den Boden ein, doch Paitschadse schaltete geistesgegenwärtig auf den Rückwärtsgang, und sie kamen glücklich aus der unerwarteten Falle wieder heraus.

„Ein richtiger Sumpf“, meinte Kamow, „nur daß er aus Sand ist. Diese Stelle muß noch untersucht werden.“

Vom Raumschiff trennten sie bereits mehr als hundert Kilometer, aber dieser Umstand brachte sie keineswegs aus der Ruhe, und der Geländewagen setzte seinen Weg unbeirrt in gleichbleibendem Tempo fort.

Kamow warf einen Blick auf die Uhr. „Halb zwölf. Wir haben hundertvierzig Kilometer zurückgelegt. Es wird Zeit, abzubiegen. Wir erforschen das Gelände noch ungefähr fünfzig Kilometer nach Süden und fahren dann zum Schiff zurück.“

„Soll ich wenden?“

Kamow erhob sich und beobachtete das vor dem Wagen liegende Gelände aufmerksam durchs Fernglas. Überall Sand und Gestrüpp. Er wollte schon die Hand mit dem Glas sinken lassen und die Erlaubnis zu einer Wendung um neunzig Grad geben, als er sich plötzlich mit einem Ruck nach vorn beugte. „Was ist denn das?“ fragte er. „Schauen Sie, Arsen Georgijewitsch!“

Paitschadse führte das Glas an die Augen.

In etwa zwei Kilometer Entfernung, rechts vom Wege des Wagens, erhob sich über dem blauen Pflanzenteppich ein länglicher mattglänzender Körper, der sich in dem ebenen Gelände deutlich von den bereits zur Gewohnheit gewordenen Formen der Marslandschaft unterschied.

„Es sieht wie Metall aus“, bemerkte Kamow.

Als sich der Geländewagen bis auf einen halben Kilometer genähert hatte, sagte Kamow, das Fernglas vor den Augen: „Ich weiß, was es ist. Ein Raumschiff, nur sehr viel kleiner als unseres.“

„Ein Raumschiff? …. Wir sind nicht allein auf dem Mars?“

„Offensichtlich nicht. Allem Anschein nach ist dies das amerikanische Raumschiff von Charles Hapgood.“

Der Wagen hielt zehn Schritte von dem amerikanischen Raumschiff, das wie ein sagenhafter geflügelter Walfisch auf dem Sand lag. Es war silbern gestrichen, etwa zwölf Meter lang und zweieinhalb Meter breit. Die langen, spitz zulaufenden Tragflächen, die aus dem unteren Teil des Rumpfes herausragten, verliehen ihm das Aussehen eines Transportflugzeugs. Räder hatte es nicht. Das ganze Heck bedeckte eine Masse starken Seidengewebes.

„Sehr interessant!“ sagte Kamow. „Ein Weltraumschiff, das mit Hilfe eines Fallschirms auf dem Planeten gelandet ist. So etwas ist mir überhaupt nicht in den Sinn gekommen. Die Tragflächen genügen doch voll und ganz für eine gleitende Landung.“

„Wo sind denn die Amerikaner?“ fragte Paitschadse.

In der Tat, neben dem Raumschiff war niemand zu sehen.

„Entweder schlafen sie, oder sie sind fortgegangen“, gab Kamow zur Antwort. Er sah sich aufmerksam um und packte seinen Begleiter plötzlich an der Schulter. „Sehen Sie!“

sagte er erregt. In ihrer Nähe hob sich ein dunkler Fleck vom Sandboden ab. Daneben lagen das Bein eines Menschen, das in einem dicksohligen Schuh steckte, eine große zerbrochene Uhr und eine zertrümmerte Magnesiumlampe.

„Eine sonderbare Geschichte!“ sagte Kamow. „Hier hat sich eine Tragödie abgespielt! Sollte ihr wirklich die ganze Besatzung zum Opfer gefallen sein? — Bleiben Sie hier!“

verfügte er dann und setzte die Sauerstoffmaske auf. „Ich steige aus, das muß geklärt werden.“

„Seien Sie vorsichtig, Sergej Alexandrowitsch!“ Paitschadse stülpte sich ebenfalls die Maske übers Gesicht.

„Das waren die ›Wölfe‹, die wir noch nicht gesehen haben. Das ist ihr Werk.“

Kamow zog den Revolver aus der Tasche und steckte ihn in den Gürtel. Paitschadse nahm ein Gewehr in die Hand und drückte auf einen Knopf, worauf in den Fenstern die Scheiben herunterklappten.

„Bleiben Sie unter allen Umständen im Fahrzeug!“ ordnete Kamow an, öffnete die Tür und stieg aus.

Als er den dunklen Fleck erreicht hatte, bückte er sich und betrachtete aufmerksam das menschliche Bein, das unterhalb des Knies abgerissen war. Andere Körperteile waren nicht zu sehen.

›Was hat die Uhr hier zu suchen?‹ fragte er sich. ›Wie kommt sie hierher? Sind hier mehrere Menschen ums Leben gekommen oder nur einer? Wie ließ sich das nur feststellen? Das Schnappen eines Schlosses veranlaßte ihn, sich rasch wieder aufzurichten. Am Schiff öffnete sich eine Tür.

Ein Mann erschien in einem dunkelblauen Overall. Sein Gesicht bedeckte eine Sauerstoffmaske.

Wie überlegend blieb er auf der Türschwelle stehen, dann sprang er herunter und ging mit unsicheren Schritten auf Kamow zu. „Guten Tag! Sind Sie die russischen Raumschiffer?“ klang es dumpf hinter der Maske hervor.

„Ja“, antwortete Kamow. „Wer sind Sie?“

Bason schrak bei der unerwartet lauten Antwort zusammen. Kamow — er erkannte ihn — hatte ihn auf englisch angesprochen. „Ich gehöre zur Besatzung des amerikanischen Weltraumschiffes“, erwiderte er.

„Das habe ich mir schon gedacht. Ihrer Statur nach sind Sie zwar nicht Charles Hapgood, aber ich vermute, daß dieses Raumschiff unter seinem Kommando geflogen ist.

Wo ist Hapgood selbst?“

„Das ist alles, was von ihm übrig blieb.“ Bason wies auf das abgerissene Bein. „Heute nacht überfiel uns ein unbekanntes Tier. Es hat Charles Hapgood zerrissen. Ich selbst brachte mich mit Mühe in Sicherheit, nachdem ich alle Patronen verschossen hatte. Meinen Kameraden vermochte ich nicht mehr zu retten.“

„Wie sah das Tier aus?“ fragte Kamow rasch.

„Es war eine dicke, zottige Schlange von silbriger Farbe.

Ich sah sie nur beim Aufleuchten des Magnesiumblitzes und konnte sie nicht richtig erkennen.“

„Dann ist es nicht verwunderlich, daß Sie das Tier nicht getroffen haben“, meinte Kamow, „denn Sie schossen ja blind.“

Bason errötete, aber Kamow bemerkte es nicht.

„Wer ist noch bei Ihnen?“ fragte er.

„Niemand. Wir waren zu zweit.“

„Wie heißen Sie?“

„Ralph Bason, Korrespondent der ›New York Times‹.“

„Ihre Expedition verfolgte demnach keine wissenschaftlichen Zwecke?“

„Hapgood stellte Beobachtungen an.“

„Das stimmt, er war ein großer Gelehrter. Schade, daß er ums Leben gekommen ist.“ Plötzlich blitzte in Kamow ein Gedanke auf, und er sah den Amerikaner scharf an: „Sie sagten, das Tier hätte Sie heute nacht überfallen. Wann sind Sie gelandet?“

„Gestern am späten Abend. Und Sie?“

„Warum sind Sie nachts ausgestiegen? Ins unbekannte, gefahrdrohende Dunkel? Warum haben Sie nicht bis Tagesanbruch gewartet wie wir? Ich weiß, weshalb Sie das getan haben. Die Uhr und die Lampe verraten es besser als alle Worte. Aber erlauben Sie, Mr. Bason, daß ich Ihnen sage: Sie und Hapgood haben sich wie kleine Jungs benommen.“ Kamow war tief empört. Es dauerte ihn, daß Charles Hapgood so sinnlos ums Leben gekommen war.

„Wir sind vierundzwanzig Stunden vor Ihnen auf dem Mars angekommen“, fuhr er fort, da Bason keine Antwort gab, „haben unser Schiff jedoch erst gestern früh verlassen.

Und haben keine Uhr fotografiert.“

„Wir wollten die ersten sein“, sagte Bason. „Wir fürchteten, Sie, Mr. Kamow, könnten uns zuvorkommen.“

„Sie kennen mich?“

„Wer kennt den ›Mondkolumbus‹ nicht! Sie und Mr.

Paitschadse sind so berühmt, daß man Sie gleich erkennt, vor allem auf dem Mars.“

„Was gedachten Sie denn nach Hapgoods Tod zu tun?“

fragte Kamow. „Können Sie das Schiff steuern?“

„Nein“, gab Bason freimütig zu. „Ich wollte mir das Leben nehmen und hätte es auch schon getan, wenn nicht Sie im letzten Moment dazwischengekommen wären.“

Kamow begann der Mann leid zu tun. „Entschuldigen Sie“, sagte er, „wenn ich heftig zu Ihnen war. Mich schmerzt, daß Charles Hapgood für nichts und wieder nichts umgekommen ist. Das hat mich etwas aus der Fassung gebracht. Sie brauchen sich durchaus nicht das Leben zu nehmen. Sie fliegen ganz einfach mit uns zur Erde zurück.“

Kamow ging zu dem Geländewagen und wiederholte Paitschadse sein Gespräch mit Bason. „Sie haben beide ihren Leichtsinn teuer bezahlen müssen“, sagte er. „Dieser Reporter ist noch ganz jung, hat aber schon graues Haar.

Wahrscheinlich hat er es in dieser Nacht bekommen.“

Während Kamow mit Paitschadse sprach, überdachte Bason angestrengt seine Lage. Der Siegeslorbeer war ihm entgangen. Die Russen hatten sie überflügelt. Ein jäh in ihm aufzuckender Gedanke benahm ihm den Atem … Kamow war hier … Er konnte ein Weltraumschiff steuern.

Ihn festnehmen und zwingen, zur Erde zu fliegen!

Der Amerikaner war von den furchtbaren Ereignissen der voraufgegangenen Nacht so geschwächt, daß ihm das Denken Mühe machte. Er legte sich keine klare Rechenschaft über sein Vorhaben ab. Aber eines war ihm klar: Kamows Angebot annehmen hieße sich blamieren und alles verlieren. Er mußte es versuchen.

Kamow trat wieder auf ihn zu. „Wir müssen den Rückweg antreten“, sagte er. „Bis zu unserem Schiff sind es an die hundertfünfzig Kilometer. Nehmen Sie Ihr privates Gepäck mit. Es ist doch nicht viel?“

„Nein, gar nicht viel“, beteuerte Bason. „Ich bin gleich fertig. Kommen Sie doch mit auf unser Schiff und sehen Sie es sich einmal an! Schade, daß wir es hier zurücklassen müssen. Aber was bleibt uns übrig, wenn sein Kommandant tot ist? Haben Sie denn auf Ihrem Schiff noch Platz für mich?“

„Den haben wir“, erwiderte Kamow lachend. „Bei uns könnten noch zehn Mann unterkommen.“

„Warten Sie, ich lasse die Leiter herunter“, sagte Bason, als sie am Schiff angelangt waren. Aber Kamow griff schon mit beiden Händen nach dem unteren Rand des Türrahmens, zog sich empor und sprang behende ins Innere. Der Amerikaner folgte ihm und schloß die Tür. In der engen Kammer hatten sie zu zweit kaum Platz zum Stehen, um so weniger, als sich auch die Innentür in Angeln bewegte. Kamow staunte über die Enge des Raumes. Freier Platz fand sich sehr wenig. Offenbar hatte das Schiff nur eine Kajüte, in der sich die Besatzung zwischen den Geräten und der gesamten Ausrüstung aufhalten mußte.

Kamow trat ans Steuerpult und betrachtete es aufmerksam.

„Beeilen Sie sich!“ sagte er. „Wir können nicht lange warten. Packen Sie ein, was Sie brauchen.“

Er wollte sich umdrehen, als er plötzlich spürte, wie sich ihm ein Riemen um den Leib schlang. Seine Arme preßten sich fest an die Seiten. Noch einmal wurde der Riemen um ihn herumgeschlungen, und er war gefesselt.

Aber Kamow verlor die Ruhe nicht, gelassen wandte er den Kopf. „Was soll das heißen, Mr. Bason?“

Der Amerikaner gab keine Antwort, setzte sich die Maske auf und verließ rasch das Schiff. Die Tür der Ausstiegkammer klappte hinter ihm zu.

Kamow spannte alle Muskeln an, doch der starke Riemen gab nicht nach. ›Bason ist zu Paitschadse gegangen‹, überlegte er. ›Was hat der Mann vor? Welchen Zweck verfolgt er mit diesem rätselhaften Überfall? Der Amerikaner begab sich unterdessen zum Geländewagen. Der Plan, nach dem er vorgehen wollte, stand für ihn fest. Er war aus der Verzweiflung geboren, in die Bason nach den Erlebnissen der vergangenen Stunden geraten war. Er wollte Paitschadse töten und den Sauerstoff, der sich im Wagen befinden mußte, an sich bringen. Kamow würde dann nichts anderes übrigbleiben, als das amerikanische Raumschiff zur Erde zu fliegen. Sonst dachte er an nichts.

Paitschadse saß im Wagen und wartete geduldig auf Kamow. Die Zeit des vereinbarten Gesprächs mit dem Raumschiff rückte heran. Er war überzeugt, daß der Kommandant diesen Augenblick nicht versäumen würde.

Gleich mußte er herauskommen, sie würden den Freunden von dem unerwarteten Ereignis berichten und den Rückweg antreten. Er sah, wie sich die Schiffstür öffnete und Bason herabsprang. Kamow konnte er nicht sehen.

Bason kam näher und blieb stehen. Paitschadse gefiel der Blick des Amerikaners nicht. Er spürte eine leichte Unruhe und erhob sich. „Was gibt’s?“ fragte er.

Bason riß die Hand hoch. Durch die dünne Luft peitschte der schwache Knall eines Schusses. Paitschadse fiel schwer gegen die Tür, die aufging, und plumpste in den Sand.

Bason zitterte vor Aufregung. Er trat näher, bemüht, den Toten nicht anzusehen. Die Sache mußte zu Ende geführt werden. Ihm blieb keine andere Möglichkeit, die Erde wiederzusehen, wenn er jetzt nicht handelte. Um Kamow jede Fluchtmöglichkeit zu nehmen, mußte er den Wagen unbrauchbar machen.

Den Revolver hielt Bason noch immer in der Hand. Er steckte ihn in die Tasche. Da das Metallgehäuse über dem Motor zugeschraubt war, begann er nach einem Schraubenschlüssel zu suchen. Der mußte im Werkzeugkasten liegen.

Aber wo war der Kasten? Sicherlich unter dem Sitz.

Bason bückte sich.



„Halt! Nicht rühren!“ ertönte da hinter ihm eine Stimme.

Der Amerikaner drehte sich hastig um. Zwei Schritte vor ihm stand Paitschadse. Er hielt in der linken Hand einen Revolver, der auf Basons Kopf gerichtet war.

„Wo ist Kamow? Wenn ihm was passiert ist, schieße ich Sie über den Haufen. Antworten Sie!“

„Ich habe ihn nur gefesselt.“

„Ihr Glück, wenn es so ist!“ Paitschadse atmete erleichtert auf. „Kehren Sie mir den Rücken zu, nehmen Sie den Revolver aus der Tasche und werfen Sie ihn fort!“

Bason gehorchte. Die Erregung von vorhin war verflogen. Sein Wille war gebrochen.

Paitschadse trat mit dem Fuß auf die am Boden liegende Waffe. Nach einigem Zögern steckte er seinen Revolver in den Gürtel und befühlte mit der Linken die Taschen des Amerikaners. „Drehen Sie sich um!“ befahl er dann. „Gehen Sie auf Ihr Schiff zurück. Ich folge Ihnen. Bei der geringsten falschen Bewegung schieße ich.“

„Lassen Sie mich hier“, bat Bason mit matter Stimme.

„Ich möchte nicht wieder zur Erde zurück.“

„Das bestimmt Kamow. Von mir aus können Sie hierbleiben.“

Gesenkten Hauptes begab sich Bason zum Schiff. Er sah nicht, daß Paitschadse taumelte und sich mit der linken Hand an der Wagentür festhielt, um nicht zu fallen. Unter Aufbietung aller Willenskraft überwand Paitschadse seine Schwäche und folgte dem Amerikaner. Sein rechter Arm hing kraftlos von der Schulter herab. „Lassen Sie die Leiter herunter!“ gebot er.

Schweigend führte Bason auch diesen Befehl aus.

Kamow stand ans Schaltbrett gelehnt und blickte den eintretenden Bason fragend an. Als er hinter seinem Rücken Paitschadse bemerkte, lächelte er und nickte, als wollte er sagen: ›Ich wußte, daß es so kommen würde. Bason löste die Riemen.

„Ich danke Ihnen, Arsen Georgijewitsch!“ Kamow streckte ihm die Hand hin. Erst jetzt merkte er, daß sein Gefährte totenblaß war. „Was ist Ihnen? Sind Sie verletzt?“

Paitschadse berichtete kurz den Vorfall. „Die Kugel traf mich in die rechte Schulter“, sagte er. „Ist wohl nicht weiter schlimm. Tut auch nicht sehr weh. Nur schwach bin ich.“

„Na, wir werden gleich sehen!“ sagte Kamow. Sich vor Wut kaum beherrschend, wandte er sich an Bason: „Wo ist hier Verbandzeug?“

Der Journalist zeigte auf einen kleinen Kasten mit einem roten Kreuz auf dem Deckel.

„Helfen Sie dem Verwundeten beim Ausziehen!“

Kamow machte den Kasten auf. Was er brauchte, fand er. Die Kugel war unterhalb des rechten Schlüsselbeins eingedrungen. Als Kamow dann den Rücken des Verwundeten untersuchte, stellte er fest, daß sie im Körper steckengeblieben war. Dadurch wurde die Sache weit ernster.

„Ich fürchte, wir werden um eine Operation nicht herumkommen“, meinte er. „Auf jeden Fall müssen wir so schnell wie möglich zu unserem Schiff zurück.“ Flink und geschickt legte er den Verband an. „So, nun geht’s! Bleiben Sie noch ein Weilchen ruhig sitzen. Sich mit einer solchen Wunde niederfallen zu lassen, war immerhin sehr riskant.“

„Der Angriff kam zu überraschend“, sagte Paitschadse.

„Ich konnte nichts anderes tun. Er hätte sonst noch einmal geschossen und vielleicht besser getroffen. Es war natürlich eine primitive List, aber mir schien, daß er in solchen Dingen noch unerfahren ist. Was er vorhatte, begreife ich nicht. Was wollte er mit dem Überfall bezwecken?“

„Ich glaube, ich habe seine Absicht durchschaut“, antwortete Kamow und fuhr, zu Bason gewandt, auf englisch fort: „Haben Sie wirklich geglaubt, ich würde mich bereit erklären, mit Ihnen zu fliegen und meine Kameraden im Stich lassen? Als einziges kann ich Ihnen zugute halten, daß Ihnen die Nerven durchgegangen sind. Wenn Sie sich wieder besonnen haben, werden Sie sich selber schämen.

Beeilen Sie sich!“ fuhr Kamow fort. „Nehmen Sie Ihre Sachen und kommen Sie!“

„Er bittet darum, hierbleiben zu dürfen. Er möchte nicht zur Erde zurück. Ich kann ihn verstehen.“

„Unsinn!“

Bason holte gehorsam einen kleinen Koffer hervor. Teilnahmslos nahm er auf, was mit ihm und um ihn geschah.

„Brechen wir auf!“ sagte Kamow und beugte sich zu Paitschadse. „Wie fühlen Sie sich, Arsen Georgijewitsch?“

„Ganz gut.“ Paitschadse erhob sich, taumelte jedoch und wäre umgefallen, wenn Kamow ihn nicht aufgefangen hätte. „Mir ist so schwindlig.“

„Fassen Sie mich um den Hals“, sagte Kamow. „Wir müssen nur das Stück bis zum Wagen schaffen, dann bringe ich Sie schnell nach Hause. Gehen Sie voran!“ befahl er Bason.

Der Amerikaner gehorchte schweigend. Er sprang zu Boden und half Kamow, den Verwundeten herunterzulassen. „Ich bedaure sehr, Mr. Kamow“, sagte er, „daß ich mich zu dieser sinnlosen Tat hinreißen ließ. Ich begreife selber nicht, wie ich dazu fähig war. Ich muß nicht bei Sinnen gewesen sein. Charles Hapgoods Tod hat mich ganz durcheinandergebracht.“

„Das ist nicht verwunderlich“, erwiderte Kamow. „Hinzu kommt, daß Sie in der letzten Zeit viel getrunken haben.

Ich denke, das Gericht wird das in Betracht ziehen. Legen Sie Hapgoods Bein ins Schiff.“

Er nahm Paitschadse auf die Arme.

„Bin ich Ihnen nicht zu schwer, Sergej Alexandrowitsch?“

„Keine Spur! Sie haben wohl vergessen, daß wir auf dem Mars sind?“

Er trug den Kameraden zum Geländewagen und legte ihn bequem auf den Rücksitz hin.

Ehe sie losfuhren, schaltete Kamow den Sender ein.

„Endlich!“ ertönte Belopolskis Stimme. „Was ist passiert, Sergej Alexandrowitsch?“

„Ich werde alles erzählen, wenn wir zurück sind“, erwiderte Kamow. „Jetzt aber hören Sie gut zu. Paitschadse ist verwundet. Bereiten Sie eine bequeme Lagerstatt vor.

Wenn Sie den Geländewagen kommen sehen, soll Melnikow von Bord gehen und mir helfen, Paitschadse ins Schiff zu tragen. Außerdem bringen wir noch jemand mit. Richten Sie für ihn eine Reservekajüte ein.“

„Einen Menschen? … Woher?“

„Er gehört zur Besatzung des amerikanischen Raumschiffes. Zu Erklärungen ist jetzt keine Zeit. Gedulden Sie sich noch ein wenig. Unser Wagen wird mit Höchstgeschwindigkeit fahren. Unterwegs bin ich nicht zu sprechen.

In anderthalb Stunden sind wir zurück. Alles klar?“

„Nein, bis jetzt ist noch gar nichts klar“, antwortete Belopolski. „Aber Ihre Anordnungen werden ausgeführt.“

„Also bis nachher!“ Kamow schaltete das Mikrofon aus und drehte sich zu Paitschadse um. „Liegen Sie bequem, Arsen Georgijewitsch?“

„Sehr bequem, seien Sie unbesorgt!“

„Ich lasse den Wagen auf Höchsttouren laufen, Arsen Georgijewitsch. Wir kennen den Weg, es ist also nicht gefährlich. Wenn die Geschwindigkeit Ihnen Beschwerden macht, sagen Sie es.“

„Es wird schon gehen“, antwortete Paitschadse. „Ich fühle mich ganz wohl.“

Der Rückweg nahm keine anderthalb Stunden in Anspruch. Der Wagen fuhr mit einer Geschwindigkeit von hundertzehn Stundenkilometern und folgte genau seiner alten Spur, die auf dem festen glatten Boden deutlich zu erkennen war. Die starke Federung der Passagierkabine und die Polstersitze erleichterten die Beförderung des Verwundeten, und Kamow hoffte, daß es ohne Komplikationen abgehen werde. Zum Glück handelte es sich um keine schwere Wunde. Man würde zwar die Kugel entfernen müssen, aber das machte Kamow als Arzt keine Sorge.

Im Raumschiff war alles vorhanden, was zu einer Operation benötigt wurde. Wäre die Wunde gefährlich gewesen, dann hätte sich eine bedrohliche Situation ergeben können.

In drei Tagen sollte das Raumschiff wieder vom Mars starten. Die verdoppelte Schwerkraft beim Aufstieg könnte einem ernsthaft Erkrankten gefährlich werden. Kamow wußte sehr wohl, daß er, um die anderen Besatzungsmitglieder nicht ins Verderben zu stürzen, selbst dann starten müßte, wenn es für Paitschadse den Tod bedeutete.

Der Wagen näherte sich dem weißen Giganten. Da ging die Schiffstür auf, und Melnikow sprang zu Boden. In den Händen hielt er einen länglichen Gegenstand. Eine Tragbahre.

Der Wagen hielt. Als Kamow sich umdrehte, sah er, daß Paitschadse bewußtlos war. Die Fahrt hatte ihn doch zu sehr angestrengt. Das Gesicht des Verwundeten schien leblos. Kamow fühlte ihm besorgt den Puls. Gott sei Dank, es war nur eine Ohnmacht. Jetzt hieß es, keine Zeit verlieren!

Von der Schnelligkeit, mit der die Operation durchgeführt wurde, hing viel ab.

Rasch stülpte er Paitschadse die Maske über und öffnete den Hahn des Luftschlauches. Nachdem er dem Amerikaner durch Zeichen bedeutet hatte, das gleiche zu tun, machte er die Tür auf und stieg aus.

„Was hat Arsen Georgijewitsch? Wieso ist er verwundet?“ Trotz der Maske sah man, wie erregt Melnikow war.

Er schaute auf den reglosen Körper des Kameraden, ohne Bason zu beachten, den er ganz vergessen hatte.

Zu zweit klappten sie die Tragbahre auseinander und betteten den Verwundeten darauf. Er kam nicht zu sich. Sie trugen den Verwundeten stumm ins Innere des Schiffes, wo Belopolski ihnen besorgt entgegentrat. Hinter ihnen ging Bason mit gesenktem Kopf.

„Folgen Sie mir!“ sagte Melnikow dann, zu Bason gewandt.

Nachdem er den Amerikaner in die Reservekajüte geführt hatte, kehrte er ins Observatorium zurück, wo Kamow die Operation vorbereitete. Da Paitschadse immer noch bewußtlos war, wollte Kamow den Eingriff ohne Narkose vornehmen. Die Kugel müßte sich in höchstens fünf Minuten entfernen lassen. Tatsächlich war fünf Minuten später alles bereits vorüber.

„jetzt nichts als Ruhe und Pflege“, ordnete Kamow an.

„Ist er außer Gefahr?“

„Zweifellos. Die Wunde ist nicht gefährlich. Die Ohnmacht rührt vom Transport her. Ich denke, in drei Tagen, bis zu unserem Start, wird Arsen Georgijewitsch sich genügend erholt haben.“

Nach etwa drei Minuten schlug Paitschadse die Augen auf.

„Wie fühlen Sie sich?“ fragte Kamow.

„Gut.“

„Liegen Sie möglichst still.“

„Gestatten Sie mir, den Verwundeten zu pflegen“, bat Melnikow.

„Bei Arsen Georgijewitsch wird ununterbrochen gewacht“, sagte Kamow. „Der Reihe nach.“

„Sie haben immer noch nicht erzählt, was sich zugetragen hat“, mahnte Melnikow.

„Ich tue es gleich.“

Nachdem Kamow ausführlich über die Ereignisse des Tages berichtet hatte, meinte er: „Dieses Unglück macht uns wirklich einen Strich durch unseren Plan. Aber das ist nicht ganz so schlimm, wie es scheint. Der Planet stellt eine Wüste dar. Den ›Sumpf‹ untersuchen, Pflanzenproben sammeln und Jagd auf vorhandene Tiere machen, können wir auch zu dritt. Morgen fahren Boris Nikolajewitsch und ich zu dem amerikanischen Schiff. Wir werden nach Hapgoods sterblichen Überresten suchen und sie begraben. Unterwegs sehen wir uns dann auch noch einmal den ›Sumpf näher an. Konstantin Jewgenjewitsch wird wieder an Bord bleiben müssen.“

„Ich werde Pflanzen sammeln“, erwiderte Belopolski.

„Aber erst nach unserer Rückkehr. Solange wir weg sind, dürfen Sie das Schiff nicht verlassen. Vergessen Sie nicht, daß noch niemand weiß, was es alles für Tiere auf dem Mars gibt. Hapgoods Tod hat deutlich genug gezeigt, daß wir sehr vorsichtig sein müssen.“

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