5

Ziegelbrennerei, Yarim Paar

Omet mochte den neuen Lehrling nicht. Unter gewöhnlichen Umständen wäre Omet so beschäftigt gewesen, dass er den Neuen gar nicht bemerkt hätte. Als er selbst zwei Jahre vor seiner Gesellenzeit Lehrling gewesen war, war ihm die Arbeit unendlich und das Leben schlaflos erschienen. Er hatte keine Zeit für Meinungen, Gefühle oder irgendetwas anderes gehabt, das ihn davon ablenkt hätte, die Temperatur der backenden Ziegel zu überprüfen oder alle zwei Stunden aufzustehen, um die Feuer der Öfen während der Nacht mit Torf, Kohle, Dung und seltener Holz zu bestücken.

Der rote Lehm von Yarim taugte nicht zum Ackerbau, doch er ergab wunderbare Ziegel. In seiner besten Zeit hatte Yarim den größten Teil aller Nutz und Pflastersteine produziert, aus denen die cymrischen Städte bestanden, sowie die Mosaiken und Keramikziegel, mit denen sie geschmückt waren. Yarim selbst hatte sich von den glitzernden Wasserbecken, die den Herzogspalast umgaben, bis zu den Wänden des Orakeltempels mit den schönsten Stücken herausgeputzt. Selbst jetzt, in den Jahren des Niedergangs und unter den Beschränkungen der Wasserknappheit, stellte Yarim noch immer Ziegel und Töpferwaren für den Export her. Die gewaltige Brennerei war neben den verschiedenen Verwaltungsgebäuden und dem Tempel des Orakels das größte Bauwerk der Stadt. Zum Teil leer, stand es am südöstlichen Rand der Stadt, in der Nähe der größten Fernstraße. Ätzender schwarzer Rauch von den Tag und Nacht brennenden Feuern hing schwer in der Luft über dem Gebäude und den angrenzenden Straßen und machte das Atmen zur Qual, weswegen in der Nähe nur wenige andere Gebäude und keine Wohnhäuser lagen.

Als seine Mutter ihn zur Eigentümerin der Ziegelei in die Lehre geschickt hatte, war ihr sehr wohl bewusst gewesen, zu welchem Leben sie ihren Sohn damit verdammte. Die Eigentümerin der Ziegelei war eine kleine Frau von halb menschlicher, halb lirinscher Abstammung und hieß Esten. Man kannte ihren Anblick, Namen und Ruf nicht nur in der ganzen Provinz Yarim, sondern auch im Westen bis Canderre und im Süden bis Bethe Corbair.

Estens geringe körperliche Größe stand in unmittelbarem Gegensatz zu ihrem sozialen Rang; sie war die Eigentümerin und Betreiberin von Yarims größter Ziegelbrennerei. Noch weiter bekannt war ihre Stellung als Vorsteherin der blutrünstigen Rabengilde, eines eingeschworenen Zirkels aus Erpressern, Raubmördern und Dieben, welcher in Yarim während der dunklen Stunden herrschte.

Trotz ihres abenteuerlichen Rufs hatte Esten ein hübsches, exotisches Gesicht mit klaren Linien und hohen Wangenknochen, die sie vermutlich ihrem Lirin-Blut verdankte. Dass es überhaupt schon jemand gesehen hatte, war ein Zeichen für ihre Stellung, denn die meisten Frauen in Yarim trugen den Schleier.

Das Ungewöhnlichste an ihrem Gesicht waren die Augen: dunkel und stechend wie die des Vogels, nach dem ihre Gilde benannt worden war. In diesen Augen lag immer eine gewisse Belustigung, selbst wenn sie schwarz vor Wut waren, und sie waren durchdringender als ein Eispickel. Omet hatte sich bei seiner Annahme als Lehrling vorgenommen, ihren Blick so weit wie möglich zu meiden.

Die wenigen Sekunden, in denen er zu dessen Ziel geworden war, hatten ihn so erschreckt, dass er schon befürchtet hatte, vor Angst in die Hose zu machen. Es überraschte ihn nicht, dass seine Mutter ihn in den letzten fünf Jahren nicht besucht hatte.

Die meiste Zeit war es ihm gelungen, Estens Aufmerksamkeit zu entgehen. Sie kam jeden Neumond her, um die Fortschritte beim Tunnelbau zu überprüfen, und wenn sie sah, dass er die Kindersklaven ausreichend fütterte und die Öfen gut schürte, beschränkten sich ihre Begegnungen auf reine Zufälle.

Vielleicht war seine Entscheidung, ihrer Aufmerksamkeit zu entgehen, ein Fehler gewesen. Seit Vincane, der neue Lehrling, aus dem Tunnel gezogen worden war und neben Omet und den anderen arbeitete, war er diesem aus dem Weg gegangen, denn Vincane tat alles, um sich bei Esten einzuschmeicheln und ihre Gunst durch etliche sklavische Dienste zu erringen, die Omet den Magen umdrehten. Seine Possen schienen Esten den Kopf verdreht zu haben. Nun zog sie Vincane vor, brachte ihm kleine Leckereien und zauste ihm das Haar. Sie lachte mit ihm und neckte ihn. In Vincanes Augen lag etwas Dunkles und Neugieriges, das Esten stark ähnelte, und es verhalf ihm zu seiner Stellung als ihr Schoßtier.

Doch es war nicht diese Vorzugsbehandlung, die Omet beunruhigte; es war eher die kalte Grausamkeit, die Vincane manchmal Omet und den anderen Lehrlingen, häufig aber den Sklavenkindern gegenüber herauskehrte, ohne dafür getadelt zu werden.

Meistens sah man nicht viel von diesen Kindern. Nahrung und Wasser wurden mehrmals am Tag als Belohnung für die Erfüllung der Förderquote den Schacht hinuntergelassen. Fünfzig Lehmkübel kamen hoch, ein Eimer Wasser wurde in die Tiefe geschickt. Hundert Lehmkübel kamen hoch, eine Kiste mit Essen nahm den Weg nach unten. Hoch, hinunter, hoch, hinunter. So sah das Leben eines Lehrlings im fünften Lehrjahr aus: Er zog die Kübel aus dem Schacht, schüttete den Lehm aus, warf den Kübel wieder hinunter und bedachte die dunklen, kleinen Wesen, die wie Ratten auf dem Boden des Schachts und in dem Tunnel dahinter herumhuschten, zuweilen mit ein wenig Brühe oder Brot. Dazwischen trugen sie die Bretter mit Ziegeln und Mörtel umher, wobei sie es peinlich vermieden, den Öfen zu nahe zu kommen. Sie überprüften die großen Fässer mit Lehm, der in der gewaltigen Hitze buk, und läuteten die Glocke, um die Gesellen aus dem Nebengebäude herbeizurufen, in dem sie lebten und arbeiteten, wenn die Feuerungen ausgebrannt waren.

Bis vor kurzem war Vincane selbst eines der Sklavenkinder gewesen. Er war eine Unterschicht-Waise und entweder gestohlen oder verkauft worden und hatte erstaunliche Zähigkeit beim Graben gezeigt. Überdies war seine Fähigkeit, Schmerzen zu ertragen, beinahe übermenschlich. Omet hatte einmal gesehen, wie er die Hand mitten in den Brennofen gesteckt und ein Rost mit grün glasierten Ziegeln herausgeholt hatte, ohne zurückzuzucken, als er den glühend heißen Draht berührte. Dies und seine Bereitschaft, die kleinen Geheimnisse seiner Mitsklaven zu verraten sie hatten den Tunnel einige Hand breit erweitert, um zusätzlichen Schlafraum zu schaffen; sie hatten die zerbrochenen Stücke einer Kelle versteckt, anstatt sie zurückzugeben , hatten ihm Estens Zuneigung und dadurch die einzigartige Möglichkeit verschafft, dem Tunnel zu entkommen und als Lehrling zu arbeiten. Zuerst hatten die Gesellen befürchtet, die Sklavenkinder könnten sich nun gegeneinander wenden, um dieselben Vorteile zu bekommen, wodurch die Grabungen gestört würden, doch Esten hatte diese Gefahr im Keim erstickt. Jeglicher Aufruhr würde dazu führen, dass Vincane zurück in den Tunnel kam, hatte sie mit süßlicher Stimme während des morgendlichen Luftholens zu den Sklavenkindern gesagt. Und es würde ihm erlaubt sein, einige seiner Spielzeuge mitzubringen. Die Sklaven hatten ihr Frühstück plötzlich noch stiller gegessen, und in ihren beinahe blinden Augen hatte sich ihr Entsetzen widergespiegelt. Omet verspürte kein besonderes Mitleid mit den Sklavenkindern, denn schließlich war auch sein eigenes Leben nichts, um das man ihn beneiden konnte; dennoch war er von Vincanes Grausamkeiten erschüttert. Manchmal ließ dieser ein Brett mit Essen herunter, nach dem zwei Dutzend schmutziger Hände gierig griffen, auf dem sich aber lediglich zwei harte Semmeln und ein wenig Seil von der Verpackungsabteilung befanden. Vincanes hohes, kreischendes Gelächter angesichts des blutigen Aufruhrs, der dann einsetzte, hatte Omet trotz der Hitze aus den Öfen eine Gänsehaut bereitet.

Immer wenn es Vincanes Aufgabe war, die Körbe mit den Sklaven zur monatlichen Frischluft hochzuziehen, wurde die Hälfte dabei blutig verletzt und gegen die Ziegelmauern des Schachtes geschlagen. Wütendes Gejammer und Faustkämpfe setzten regelmäßig ein, wenn er die monatlichen Rationen austeilte. Vincane erklärte sich jeweils unschuldig daran und klagte die anderen selbstgerecht an. Es beunruhigte Omet sehr, dass Vincanes Augen noch erregter funkelten, wenn er sah, wie ein Sklavenkind auf seine Anklage hin durchgeprügelt wurde. Manchmal dachte Omet daran, Vincane zurück in den Schacht zu werfen, wenn er gerade einmal nicht aufpasste.

Vincane hatte sogar einmal zum Scherz Omet im Schlaf die Haare gestutzt; dieser hatte sich die ganze Nacht in schrecklichen Träumen hin und her gewälzt und darin Vincane grinsend und mit einem Messer über ihn gebeugt gesehen. Er war inmitten seiner unregelmäßig abgeschnittenen Haare erwacht. Omet hatte daran gedacht, Vincane die verdiente Prügel zu geben, doch selbst wenn es ihm gelungen wäre, hätte es Estens Aufmerksamkeit erregt, und das war etwas, das niemals geschehen durfte. Also hatte er den Ärger heruntergeschluckt, sich den Kopf völlig kahl geschoren und empfand dies angesichts der Hitze zwischen den Öfen als durchaus angenehm.

Der einzige Fehltritt, der Vincane bisher unterlaufen war, hatte darin bestanden, dass er in den Wassereimer uriniert hatte, bevor er ihn herunter gelassen hatte; er hatte das als einen tollen Spaß angesehen. Er hatte mit dem Rücken zur Tür gestanden und nicht bemerkt, dass Esten bereits für ihre monatliche Inspektion des Tunnels eingetroffen war. Diese Wasserverschwendung war in Yarim Paar ein Verbrechen, und obwohl Esten täglich etliche Gesetze selbst brach, war dieses offenbar eines, das sie als sehr wichtig ansah. Sie hatte Vincane an den Ohren gepackt und sie so heftig gezwirbelt, dass sie diese beinahe ausgerissen hätte; darauf waren Schläge auf beide Seiten seines blutenden Kopfes gefolgt. Aus dieser Erfahrung hatte Vincane gelernt und seinen Scherz nicht wiederholt; zumindest hatte Omet es nicht bemerkt. Doch die Schmerzen schien er kaum wahrgenommen zu haben.

Selbst die wenigen Eigenschaften Vincanes, die man als eher angenehm ansehen konnte, wurden auf die eine oder andere Weise in ihr widerwärtiges Gegenteil verkehrt. Im Gegensatz zu den übrigen Lehr jungen hatte Vincane keine Bedenken, die Leichname der Sklavenkinder, die im Tunnel gestorben waren, herauszuholen und in den Ofen im Gesellenflügel zu werfen. Der Gesellenofen wurde seit jenem unglücklichen Tag als Krematorium benutzt, als einer der Sklavenjungen den Fehler begangen hatte, während der monatlichen Frischluft entkommen zu wollen. Esten hatte ihn in den größten Brennofen gesteckt und die Tür zugeschlagen. Der Gestank hinterher war gering gewesen, doch das Brenngut war wegen der zusätzlichen Feuchtigkeit verdorben; sechs Bretter mit Ziegeln waren ruiniert gewesen. Daher benutzte Vincane von jenem Tag an nur den Ofen in dem weit entfernten Gebäudeteil, um die Leichname der Sklavenkinder zu verbrennen. Einmal war Omet dorthin gegangen, um herauszufinden, warum der Lehrling so lange fort war, und hatte sich übergeben müssen, als er mit angesehen hatte, welche Rituale Vincane vor der Einäscherung durchführte. Glücklicherweise war in letzter Zeit nur einer aus der gegenwärtigen Belegschaft gestorben; der Haufen schien diesmal ziemlich zäh zu sein. Niemand sprach im Tunnel; es war bei Todesstrafe verboten, sich außerhalb der Brennerei zu unterhalten. Die Brennerei selbst war nur die Fassade für das Graben, das weder bei Tag noch bei Nacht ein Ende fand. Die Vorderseite der Brennerei, die auch als Vorzimmer bekannt war, enthielt einen kleinen Ofen und einige Keramiköfen für das Steingut und die Ziegel, die in ganz Yarim und Roland verkauft wurden. Dort dienten die Lehrlinge im ersten und zweiten Jahr und lernten die richtige Zusammensetzung und das rechte Maß für das Brenngut sowie das Herstellen von Gussformen. Außerdem mussten sie die schweren Ziegelbretter aus den kleineren Öfen umschichten.

Aber die wirkliche Arbeit wurde im rückwärtigen Teil hinter großen Doppeltüren geleistet, wo die größeren Öfen standen. Die Lehrlinge im dritten, vierten und fünften Jahr lebten und arbeiteten hier und stellten Ziegel für Bewässerungsanlagen und Straßenpflasterungen her. Die kunstvollere Arbeit fand man in den Seitenflügeln der Gesellen. Die Lehrlinge im sechsten Jahr sowie im ersten Gesellenjahr verbrachten ihre Tage damit, unter der Leitung ihrer Meister architektonische Zeichnungen und Handbemaltes Porzellan herzustellen. Während seines vierten Jahres hatte Omet als Aufseher für die jüngeren Lehrlinge gearbeitet und rasch die wichtigste Lektion der Beaufsichtigung gelernt: die Peitsche bei denjenigen anzuwenden, die unter einem selbst standen. Es war eine einfache Zeit gewesen, und er freute sich darauf, wieder der angenehmen Tätigkeit eines Aufsehers nachzugehen, sobald sein Gesellenjahr vorbei war.

Früher war die Tätigkeit, in der er ausgebildet wurde, einmal eine künstlerische Berufung für ihn gewesen. Nun aber hasste Omet Ziegel, hasste die harte Arbeit des Gießens und Backens, des Formens und Schleppens, und er hasste den roten Lehm, der Hände und Arme mit der Farbe getrockneten Blutes sprenkelte.

Und Omet hasste den neuen Lehrjungen.

Estens Stimme hallte durch den Schacht hoch.

»Erledigt.«

Omet fuhr damit fort, die zerbeulten Zinnteller aus den schmutzigen Händen der Gräber entgegenzunehmen, und beobachtete aus den Augenwinkeln, wie zwei Gesellen auf den Schacht zustürmten und den Haken herabließen.

Einen Augenblick später erschien Estens Kopf. Einer der Gesellen bot ihr die Hand und zog sie über den Rand des Schachtes. Sie klopfte sich den lockeren Lehm von den dunklen Kleidern bei ihren monatlichen Inspektionen trug sie jedes Mal ein einfaches schwarzes Hemd und eine schwarze Hose und schüttelte den langen schwarzen Zopf. Ihr Gesicht verzog sich zu einem blitzenden Lächeln, als sie sich an die kleine Gruppe verwilderter Seelen wandte, die sich an der anderen Wand der Ziegelei zusammendrängten und von bewaffneten Gesellen umstellt waren.

»Prima gemacht, Jungs, ihr seid sehr gut«, sagte sie besänftigend. Die Augen der Kinder, das einzig deutlich Sichtbare in den Feuerschatten der offenen Öfen, leuchteten in den dunkelroten Gesichtern.

Sie schlenderte hinüber zu dem Beutel, den sie neben der Tür abgestellt hatte, ergriff ihn und kehrte zu der Gruppe zurück. Beinahe jedes dünne Glied zuckte zurück, denn die Jungen drückten sich bei ihrem Herannahen noch enger gegen die Wand. Esten öffnete den Sack, kramte darin herum, holte eine Hand voll Süßigkeiten heraus und warf sie in die zitternde Menge. Sofort erhob sich tosender Lärm, und sie lachte zufrieden.

»Sind sie nicht süß?«, sagte sie zu den Gesellen und kniete sich, um die einzelnen Mitglieder der Gruppe besser betrachten zu können. »Omet, wo ist Tidd?«

Omet spürte, wie seine Kehle trockener als die Entudenin wurde. »Tot, Mutter«, sagte er. Die Worte kamen in einem Krächzen heraus.

»Tidd tot? O je.« Das Lächeln verschwand, und Esten betrachtete die Gruppe eingehender.

»Welch eine Schande. Er hatte einen guten Richtungssinn. Hm, wen sollen wir jetzt zum Anführer machen?«

Ein ganzer Wald von Armschösslingen ging hoch und winkte verzweifelt, begleitet von dünnen Rufen. Estens Lächeln kehrte zurück. Sie stand wieder auf.

»Das sind meine Jungen. Welch eine eifrige Bande. Mal sehen. Haverill, Avery, nein, ihr seid blind wie eine Fledermaus, nicht wahr, meine Lieben? Iyn, Collin, nein. Gume, hm, du auch nicht. Du machst immer die Arbeit der anderen und hast ein zu weiches Herz. Hallo, Vincane, wen haben wir denn hier?« Sie blieb vor einem kleinen, gelbhaarigen Jungen mit großen Augen und kantigem Gesicht stehen, der heftig zitterte und die Arme um die gebeugten, spindeldürren Knie geschlungen hatte.

»Das ist Arie«, krähte Vincane wichtigtuerisch. »Er ist neu Ersatz für Tidd.«

»Kein guter Tausch, nicht wahr, mein Knabe?« Esten drehte sich wieder um und lächelte einen großen Jungen an, dessen Haare früher weißblond gewesen, nun aber genauso schmutzig rot wie die der anderen waren. »Ernst, was ist mit dir? Würdest du gern Anführer sein?«

Der große Junge grinste breit und zeigte dabei die Zähne, die ihm noch verblieben waren. »Ja, Mutter.«

»Gut, gut. Dann komm, Junge. Wir gehen zurück in den Tunnel und unterhalten uns über die Richtung, in der ihr diesen Monat graben sollt.«

Nachdem Esten aus dem Schacht zurückgekehrt war und sich die Kinder wieder unten befanden, trat sie zur Tür und nahm ihren Mantel vom Kleiderhaken. Dann ging sie durch die Doppeltür hinaus, ohne einen Blick zurück zu werfen. Omet schnappte einige Worte auf, die sie zu dem Gesellen im Vorzimmer sagte.

»Hast du gesehen, wie groß Ernst geworden ist? Womit füttert ihr ihn?«

»Mit demselben wie die anderen. Sie prügeln sich drum, ’s gibt keine milden Extragaben.«

»Hm. Das könnte bald zum Problem werden. Sag den Lehrlingen, sie sollen den Schacht gut bewachen und die Ohren offen halten. Wir werden nächsten Monat entscheiden, wie es weitergehen soll falls wir bis dahin noch nicht durchgestoßen sind.« Ihr Lächeln glitzerte in den dunklen Schatten der Brennkammer. »Ich vermute, wir müssen dann eine Versammlung einberufen. Die Gesellen sollen mich sofort rufen, wenn die Zeit gekommen ist.«

»Ja, Mutter.«

Von fern hörte Omet, wie sich die Tür öffnete; das Heulen des Winterwindes lag noch immer in der Luft, als die Tür bereits geschlossen war. Nach einer Weile erkannte er jedoch, dass das leise Jammern nicht mehr die Stimme des Windes war, sondern aus dem Schacht heraufdrang. Dann war es verschwunden.

Загрузка...