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Der zeremonielle Vorbeizug der Adligen hatte gerade begonnen, als Rhapsody zu ihrem Sitz neben Rial im zweitinnersten Ring der runden Basilika eilte. Die Menschenmenge, die nun den gesamten zentralen Platz Bethanias füllte und sich durch die Straßen bis nach Tannenhall ergoss, murmelte vor Erregung, schob und drängelte, um einen besseren Blick auf die Hochzeitsgesellschaft zu erhaschen.

Nacheinander kamen die Herzöge jeder orlandischen Provinz sowie die unwichtigeren Adligen, deren Linie für Roland eine historische Bedeutung hatte, über einen leuchtenden Teppich aus Königspurpur herunter, der den Südgang zum Tempel bedeckte. Ein ähnlicher Teppich schmückte den nördlichen Zugang und endete in der Mitte der runden Basilika. Jeder Stein in den Flammenmosaiken, welche das Äußere des runden Gebäudes schmückten und ihm das Aussehen der Sonne verliehen, waren auf Hochglanz poliert worden. Bei jedem vorüberflanierenden Adligen brach die Menge in Jubelrufe aus.

Quentin Baldasarre, der Herzog von Bethe Corbair, betrat gerade die Basilika, als Rhapsody sich setzte. Das Gesicht des Herzogs wirkte ausgezehrt und blass, und seine brennenden Augen sprachen der ansonsten unerschütterlichen Erscheinung Hohn.

»Wo bist du gewesen, meine Liebe?«, fragte Rial besorgt. »Ich hatte schon befürchtest, du hättest dich anders entschieden und wärest nach Ylorc zurückgekehrt.« Er ergriff ihre Hand und steckte sie durch seine Armbeuge. »Du siehst wunderbar aus.«

»Vielen Dank. Ich entschuldige mich für meine Verspätung; ich hatte mehrere Umstände falsch eingeschätzt.« Rhapsody erschauerte, als Ihrman Karsrick, der Herzog von Yarim, eintrat. Er war in eine schwarze Seidenhose, ein weißes Hemd und ein silbernes Wams gekleidet und trug auf dem Kopf einen großen gehörnten Helm wie die Gestalt, die dem Rakshas geholfen hatte, als sie im vergangenen Sommer in der Sternen-Basilika gegen ihn gekämpft hatte. Kurz darauf bemerkte sie, dass der Seligpreiser am Altar einen ähnlich gehörnten Helm trug, auch wenn seine Robe wie sein Helm rot war. Das muss Ian Steward, der Segner von Canderre-Yarim und Tristans Bruder sein, dachte sie und betrachtete das nüchterne Gesicht des jungen Mannes durch die Flammen des Feuers aus dem Herzen der Erde, das im Mittelpunkt der Basilika brannte.

Eine Trompetenfanfare erschallte und verursachte in der Menge einen wilden Aufruhr. Die geladenen Gäste erhoben sich. Es ertönte ein lautes Rufen, als Tristan in seinem himmelblauen und weißen Hochzeitsgewand sowie einem langen, weißen Umhang aus Hermelin am Rand des nördlichen Gangs erschien. Er suchte mit den Augen die Kreise der Basilika ab und richtete den Blick schließlich auf den Abschnitt, in dem Rhapsody und Rial standen. Dann schritt er mit zwei jungen Pagen im Schlepptau keck den Gang herab zum Altar des Feuers in der Mitte der Basilika und verneigte sich flüchtig vor seinem Bruder. Ein weiteres Jubeln setzte ein, lauter als alles andere. Rhapsody und Rial schauten nach Süden. Madeleine von Canderre war in eine wundervolle weiße Seidenrobe gekleidet, die im Glanz von tausend aufgesetzten Perlen erstrahlte. Ihre Hand lag auf dem ausgestreckten Arm ihres Vaters Cedric Canderre. Sie war modisch blass, hatte sich Gesicht und Hals weiß gepudert, das lange schwarze Haar streng zurückgekämmt und mit Staatsbändern sowie Blumen aus Canderre geschmückt. Das Gesicht des Herzogs wirkte milde, doch Rhapsody glaubte sogar aus der Ferne in den Augen eine große Traurigkeit zu erkennen.

Als die Braut und ihr Vater den Gang entlang schritten, gefolgt von zwei kleinen Mägden, die ähnliche Truhen trugen wie die Pagen, die Tristan hinter seiner lächerlich langen Schleppe zum Altar folgten, spürte Rhapsody eine sanfte Berührung am Ellbogen.

»Da bist du ja, meine Liebe«, hörte sie Llaurons warme, kultivierte Stimme sagen. »Ich freue mich so sehr, dass es dir gut geht und du an der Hochzeit teilnehmen kannst.« Er beugte sich verschwörerisch mit einem Augenzwinkern vor. »War das ein Kesselflickerwagen, aus dem du ein paar Straßen entfernt ausgestiegen bist? Ein bemerkenswertes Transportmittel für einen Gast des Herrschers.«

»Hallo, Llauron«, erwiderte sie, küsste den Fürbitter höflich auf die Wange und sah ihn misstrauisch an. Trotz der sieben Jahre, die sie bei den Rowans verbracht hatte, war sie immer noch wütend darüber, dass er ihr keine Verstärkung nach Sorbold geschickt hatte. »Wir Landleute reisen für gewöhnlich in solchen Karren und werden nur selten zu höfischen Ereignissen eingeladen.« Sie drehte sich wieder um und sah beeindruckt zu, wie Madeleine den Altar des Feuers erreichte. »Ich habe noch nie eine rolandische Hochzeitszeremonie gesehen.«

»Sie ist barbarisch«, meinte Rial belustigt und beugte sich dem Fürbitter zu. »Ich nehme an, Ihr stimmt mir zu, Euer Ehren?«

Llauron kicherte. »Allerdings. Wir vom wahren Glauben bevorzugen Einfachheit und halten nichts von diesen rohen Ritualen. Das ist doch seltsam, wenn man bedenkt, dass wir die Natur in all ihrer ungezähmten Pracht anbeten, während die Leute hier der angeblich zivilisierteren Sekte angehören. Nun gut.«

»Für mich hat es nichts Barbarisches«, wandte Rhapsody ein, als Tristan auf ein Knie sank und sich vor seiner Braut verneigte.

»Warte ab, meine Liebe«, sagte Llauron mit einem Lächeln. »Die Vereinigung hat noch nicht einmal begonnen.«

»Welchen Brautpreis bietest du?«, fragte der Seligpreiser Cedric Canderre.

»Vierzigtausend Goldstücke, hundert orlandische Platinbarren, fünfzig Stangen altes Zinn«, erwiderte Cedric Canderre fest. »Das ist der Preis, den wir in Einklang mit den Gebräuchen der Kirche und Gesetze Rolands festgesetzt haben.«

»Ich wette, er hätte viel mehr bezahlt, um seine Tochter loszuwerden, wenn Tristan es verlangt hätte«, flüsterte ein Gast vor Rhapsody zu der elegant gekleideten Dame neben ihm, die ernsthaft nickte.

»Was ist ein Brautpreis?«, fragte Rhapsody Llauron.

»Die Summe, die der Vater bereit ist, Tristan Steward zu zahlen, damit er seine Tochter nimmt«, erwiderte der Fürbitter kichernd. »Das ist der Brauch bei allen Hochzeiten, doch in diesem Fall ist die gewaltige Summe außerordentlich bemerkenswert.«

Rhapsody beobachtete zweifelnd, wie Cedric Canderre ein Pergament und einen Federkiel hervorholte. »Ich vermute, es ist nichts anderes als die Mitgift, die in der bäuerlichen Gesellschaft gezahlt wurde, aus der ich stamme«, sagte sie verunsichert, während Tristan das Schriftstück las, nickte, den Kiel nahm und das Pergament auf einem Wachstablett unterzeichnete, das ihm der Seligpreiser hinhielt. »Das Geld wurde aber üblicherweise als Geschenk der Brautfamilie angesehen, das dem Paar einen guten Anfang ermöglichen sollte.«

»Das war vielleicht bei euch so. Wenn bei uns der Bräutigam innerhalb eines Jahres zu der Meinung gelangt, dass seine Frau den Brautpreis nicht wert ist, kann er sie ihrem Vater zurückgeben und muss ihm die Hälfte zurückzahlen.«

»Die Hälfte?«, fragte Rhapsody ungläubig, als Cedric Canderre Madeleine auf die Wange küsste und sich zu seinem Sitz im Inneren Kreis zurückzog. »Nur die Hälfte? Warum?«

»Sie hat an Wert verloren, weil sie ... äh ... nicht mehr unberührt ist.«

»Aber...«

»Ganz ruhig, Rhapsody, es ist eine gute Regelung«, sagte Llauron scherzhaft. »Im Glauben des Patriarchen ist der erste Jahrestag ein besonders festliches Ereignis, weil er bedeutet, dass der Mann sich entschieden hat, die Frau auf Dauer zu behalten. Wie ich hörte, sind diese Feiern ganz besonders glanzvoll. Sei doch nicht so verblüfft, meine Liebe. Dein Gesicht ist so rot wie eine Rübe und passt gar nicht mehr zu deinem hübschen Kleid. Ich war der Meinung, du hättest gelernt, nicht über die Gebräuche anderer Völker zu höhnen.« Er beugte sich näher zu ihr und flüsterte ihr ins Ohr: »Ich kann dir gar nicht sagen, wie er erleichtert ich bin, dass du dein Schicksal gemeistert hast und Khaddyrs Versagen dich nicht das Leben gekostet hat. Im Gegenteil, du bist sogar erfolgreich gewesen. Ich bin sehr stolz auf dich.«

»Was...«

»Psst, meine Liebe. Die Zeremonie geht weiter.« Llauron richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Altar. Rhapsody kniff die Augen zusammen. Ihr Ärger verflog; gegen ihren Willen verspürte sie eine gewisse Belustigung. Llaurons freundliche Art war wie immer entwaffnend. Sie nahm sich vor, ihn nicht in Ruhe zu lassen, bis er ihr eine Erklärung für die Missgeschicke im Wald gegeben hatte, und wandte sich wieder der Hochzeitszeremonie zu. Ian Steward sprach nun seinen Bruder an. »Tristan Steward, Sohn des Malcolm Steward, Herrscher über Roland und Prinz von Bethania, was gelobst du dieser Frau?«

Tristan richtete sich auf; sein kastanienbraunes Haar glänzte im Licht des Altarfeuers schweißnass und dunkel.

»Feld und Vermögen, Familie und Treue im Glauben des Feuers, das gelobe ich ihr«, stimmte Tristan an.

Als der Seligpreiser dasselbe von Madeleine verlangte und erhielt, sah sich Rhapsody um und suchte Ashe. Obwohl sie sich nicht bei der Zisterne getroffen hatten, hoffte sie, er werde ihr auf der Hochzeit begegnen. Ob er sich jetzt irgendwo in der Menge befand, war unmöglich herauszufinden, vor allem da ihn sein Nebelumhang vor den Blicken gewöhnlicher Menschen verbarg. Sie seufzte, lehnte sich zurück und beobachtete weiter die Zeremonie.

Der Ruf des reinen Feuerelements aus der Quelle drang ihr ins Ohr. Musik lag in den Flammen eine Musik, die süßer war als die Weisen des Orchesters, das in der Basilika spielte.

Wie lange sie gedöst hatte, wusste sie nicht, aber bei den nächsten Worten des Seligpreisers war sie plötzlich wieder hellwach.

»Das Gelöbnis des Feldes«, sagte er. Die Stimme war eine trockenere, klarere Version seines Bruders. Tristan drehte sich um und nickte seiner Dienerschaft zu, Madeleine tat dasselbe. Rasch wurden je eine Truhe geöffnet und zwei Pergamentschriften Braut und Bräutigam übergeben. Dabei handelte es sich um eine Karte der Besitztümer. Sie legten die beiden Karten auf den Altar und setzten sie zusammen, um damit die Einheit ihrer Ländereien zu dokumentieren.

»Das Gelöbnis des Vermögens«, sagte der Seligpreiser.

Die Truhen wurden erneut geöffnet und zwei große, mit schweren Juwelen besetzte Halsketten hervorgeholt. Bei den Steinen in der Staatskette von Bethania handelte es sich um Diamanten und Rubine, während das königliche Halsband von Canderre aus Smaragden bestand, die so grün wie die Felder dieser Provinz waren.

Der Seligpreiser nahm das Halsband von Canderre und legte es vorsichtig Tristan Steward um den Hals, der sich dabei verneigte. Dann verfuhr er bei Madeleine mit dem Halsband von Bethania auf dieselbe Weise; auch sie verneigte sich.

»Da haben wir’s. Mit einem einfachen Austausch von Landkarten und Schmuckstücken wurde soeben das Schicksal zweier Länder besiegelt«, sagte Rial gelassen. »Die Leute aus den Provinzen schwören durch die Adligen, denen ihr Land gehört, nicht einer Person, sondern einem Halsband ihre Treue einer Juwelenkette, die von Generation zu Generation weitergegeben wird, ohne dass auf die Weisheit ihrer Träger geachtet würde. Tristan hat gerade nicht nur das Gelöbnis seiner Frau, sondern auch aller Einwohner ihres Landes erhalten, bloß weil sie ihm ein Halsband geschenkt hat. Ich finde das seltsam.«

Llauron nickte. »Zu früheren Zeiten wurden der Herr und die Herrin immer durch die Menschen selbst auf dem großen Gerichtshof bestätigt. Das Land, auf dem das Konzil stattfand, war magisch; es hatte die Macht, die Bestätigungen der Menschen zu zählen und den Anspruch auf den Thron entweder zu bejahen oder zu verneinen. Aber wie bei fast allem aus jenen Tagen ist auch diese Bedeutung verloren gegangen. Es war so wie bei der Religion des Patriarchen, wo der Einzelne zu Vermittlern betet; diese wiederum wenden sich an höher stehende Vermittler, diese an die Seligsprecher und diese an den Patriarchen, der allein das Recht hat, zu ihrem Gott zu beten.«

Rhapsody erwiderte nichts darauf. Sie war als Bauernmädchen in einem Dorf aufgewachsen und hatte noch nie die politischen Gepflogenheiten eines Landes aus der Nähe beobachtet. Daher überraschte sie keines der Rituale anlässlich dieser Machtübergabe. So etwas hatte schon immer jenseits ihres Verständnisses gelegen. Sie erinnerte sich daran, dass ihre Mutter als Lirin unter Menschen dasselbe gesagt hatte wie Rial.

»Das Gelöbnis der Familie«, fuhr der Seligpreiser fort.

Ein erregtes Murmeln brandete durch die Menge. An jedem Ende des mit Teppichen belegten Ganges erschien ein Soldat, gekleidet in die Uniformen von Canderre und Bethania. Die beiden Männer zogen gleichzeitig das Schwert und schritten den Gang hinab, während sie das Paar grüßten.

»Was geschieht jetzt?«, flüsterte Rhapsody Rial zu. Der Oberste Schutzherr neigte den Kopf in Richtung des Altars.

»Das Siegel des Blutes«, sagte er.

Die kleinen Pagen griffen wieder in die hölzernen Truhen und zogen weiße Leinenlaken in der Form großer Taschentücher hervor.

»Ich glaube nicht, dass ich mir das ansehen will«, meinte Rhapsody.

»Wie du bemerkt haben wirst, hält die Menge das für den besten Teil des Ganzen«, sagte Llauron, während das Paar die Handgelenke entblößte. »Es wäre sehr angemessen, wenn die Braut dabei ohnmächtig wird.«

Rial sah besorgt aus. »Wenn es dich wirklich zu sehr aufregt, begleite ich dich hinaus«, bot er an.

Rhapsody zog eine Grimasse, als das Hochzeitspaar die Handgelenke über die reglosen Klingen der Soldaten zog und sie dann zusammenpresste.

»Der Anblick von Blut macht mir nichts aus. Aber das soll eine Hochzeit sein?« Sie sah verblüfft zu, als sich Madeleine gelassen das Handgelenk mit dem Leinentuch abwischte, das ihr Page ihr hinhielt, und dann theatralisch zu Boden sank.

»Das ist ein Symbol für die Vereinigung des königlichen Blutes und das Gelöbnis, die Zukunft mit der Zeugung von Kindern zu segnen«, erklärte Rial. »Vor fünfzehn Jahren habe ich die Hochzeit von Herzog Stephen in Navarne gesehen. Er und seine Frau haben sich stattdessen geküsst. Ich wette, das tun die meisten Paare patrizianischen Glaubens. Vielleicht will der Fürst von Roland sicherstellen, dass er eine große Nachkommenschaft haben wird.«

»Madeleines und Tristans Kinder nun, das ist ein netter Gedanke«, murmelte Llauron, als der Herr von Roland seine Frau vom Boden der Basilika aufhob. Rial kicherte.

Rhapsody schüttelte den Kopf. »Ihr beiden seid schlimmer als alte Fischweiber. Ehrlich.«

»Beim Feuer, es ist vollbracht«, erklärte der Seligpreiser. Dem frisch verheirateten Paar wurde ein Messingstab mit einem langen Docht daran übergeben. Gemeinsam hielten sie ihn in das Feuer des Altars und entzündeten dann eine Schale mit Öl am Ende eines Kanals, der bis zum Dach der Basilika lief. Blitzartig sprang eine Flamme auf, verbreitete sich durch den Kanal bis zur runden Decke des Tempels und loderte in einer silbernen Pfanne höher auf als eine menschliche Gestalt. Als die Menge jubelte, winkte das königliche Paar und gab sich unter dem brennenden Bild der Sonne die Hand.

»Jetzt wird es viele Vergnügungen geben, die leider von langen und gewichtigen Reden getrübt werden«, sagte Llauron und drehte sich zum Palast um, auf dem die Flaggen von Bethania und Canderre in der steifen Winterbrise flatterten. Er wandte sich wieder an Rhapsody und lächelte herzlich.

»Ich hoffe, meine Liebe, du wirst deinen alten Lehrer mit einem oder zwei Tänzen erfreuen.«

Es war schwer, der Wärme in seiner Stimme zu widerstehen

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