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Sorbold

Der Vergnügungskomplex von Sorbold bildete die größte Häusergruppe im Stadtstaat Jakar und breitete sich bedrohlich am südlichen Ende des Bezirks von Nikkid’saar aus. An Tagen, an denen keine Gladiatorenkämpfe angesetzt waren, lag er mehr oder weniger ruhig da, wenn man von gelegentlichen Versorgungskarawanen und dem Strom der Sklaven und freien Arbeiter absah, deren Bemühungen den Komplex am Leben erhielten. Aber an den Kampftagen erzitterte dieser Teil des Bezirks vor menschlichem und tierischem Leben, wenn Zehntausende die Straßen um die Arena verstopften. Alles wimmelte vor Geschäftemacherei mit dem blutigen Sport, alles bebte vor Aufregung.

Rhapsody erkannte, dass Llauron Recht gehabt hatte, was das Schema der Ereignisse anging. Heute war ein Wettkampftag gewesen, und ein gewaltiger Menschenstrom einschließlich des dazugehörigen Lärms und Gestanks floss zurück in die Straßen um die Arena und erfüllte die Gassen mit Gedränge, Geschrei, Gelächter und Gezänk. Es war leicht, in diesem Chaos verloren zu gehen. Das tat Rhapsody mit Vergnügen. Sie verschmolz mit der Menge, bis sie den Eingang zur Arena fand, welcher dem wuchernden Anbau an der Rückseite des Komplexes am nächsten lag. Sie vermutete, dass sich in diesem Anbau die Quartiere der Gladiatoren befanden, und hielt nach einem Ausgang in der Nähe des südlichen Tores Ausschau, wo sie das Pferd zurückgelassen hatte und sich Khaddyr und die Verstärkung mit ihr treffen würde.

Rhapsody fand einen geschützten Ort, wo sie warten konnte, während ein leichter Schneefall einsetzte, der die Straßen in Matsch verwandelte und die Stimmung der Menge senkte. Während ihres Wartens sah sie sich aufmerksam um und bemerkte, dass es in der Tat einige Frauen gab, die ähnliche Kleidung wie die trugen, die ihr Mantel verbarg. Im Vergleich schienen die Kleider der anderen dezenter als ihr eigenes zu sein, aber vielleicht lag das nur an ihrem Unbehagen über die enthüllende Art dieser Kostümierung.

Außerdem wurden die Frauen, die wie sie angezogen waren, oft in den Komplex hinein und wieder aus ihm Herhausgetrieben, häufig unter Peitschenschlägen. Rhapsodys Blut kochte; sie spürte, wie das Feuer in ihr aufstieg, doch sie schluckte den Ärger über diesen Anblick herunter und wurde nur noch entschlossener. Sie war hier, um den Gladiator zu retten, und nicht, um die sorboldische Kultur zu verändern, so gern sie das auch getan hätte. Die Straßen in der Umgebung der Arena bestanden unter anderem aus Zubringern, die in kleine Innenhöfe führten. In jedem dieser Höfe, durch die Rhapsody gegangen war, hatte sie kleinere Kämpfe inmitten einer lockeren Menge aus Zuschauern, Bauern und Kaufleuten gesehen, die immer dann in besonders laute Freudenrufe ausbrachen, wenn ein außergewöhnlich blutiger Schlag gelandet worden war.

Die an diesen Straßenkämpfen Beteiligten schienen manchmal noch Kinder zu sein, Jungen und bisweilen sogar Mädchen von vielleicht neun Sommern, die einander mit so grimmiger Wildheit angriffen, dass der Sieger oft davon abgehalten werden musste, seinen zu Boden gegangenen Gegner auszuweiden. Rhapsody erschauerte, als sich bei einem dieser Kämpfe ein großer Freudenschrei erhob, der von hervorschießendem Blut begleitet wurde. Bei den beiden Gegnern handelte es sich um Jungen, die nicht älter als ihr adoptierter Enkel Gwydion Navarne waren.

In den der Arena näher gelegenen Höfen herrschten die Halbprofessionellen; Gladiatoren, die noch nicht für würdig erachtet wurden, in der Arena zu kämpfen, die sich aber in den meisten Fällen schon eine große und ergebene Gefolgschaft unter den Zuschauern errungen hatten. Außerdem wurde überall gespielt; erfahrene Spieler heizten die Menge an und versuchten den Leuten die sorboldischen Goldsteine abzuknöpfen, die sie mitgebracht hatten, um damit in der Arena zu wetten.

Im letzten dieser Höfe unmittelbar vor der Gladiatorenarena stand eine hölzerne, von brüchigem Metall gehaltene Waage mit zwei riesigen Scheiben darauf, die groß genug für das Wiegen eines Ochsen war. Rhapsody erkannte das Instrument als eine gröbere Version der Waagen, die in den einzelnen Kampfgruben innerhalb des Komplexes standen. Im Rahmen ihrer Planung hatte Llauron ihr den Sinn dieser Waagen erklärt.

Am entscheidenden Punkt eines jeden größeren Kampfes wurde ein Gladiator, der entwaffnet oder verletzt war, durch den Gong des Arenameisters als Towrik oder Angeschlagener ausgewiesen. Dann wandte sich die Menge den gewaltigen Waagen zu und entschied mit ihnen das Schicksal des Kämpfers.

Zum größten Teil lag das Land Sorbold auf der windgeschützten Seite der Zahnfelsen, wodurch es dort trocken und unfruchtbar war ein Reich beinahe endloser Sonne und Wüste. Obwohl Sorbold eine dem Patriarchen in Sepulvarta treu ergebene Diözese war, hatte sich hier noch etwas von der Verehrung aus alten heidnischen Tagen gehalten, eine Hingabe an das Gleichgewicht in der natürlichen Welt. In einem Land, in dem die Überbewässerung eines Feldes den endgültigen Verlust der Trinkwasserquellen eines ganzen Dorfes bedeuten konnte, war das Gleichgewicht der Natur eine Sache auf Leben und Tod.

So war es auch in der Gladiatorenarena. Beim Klang des Gongs nahm die Menge ihren Gesang auf: Towrik, Towrik, Towrik. Diese Worte hallten dann zitternd durch die ganze Arena, wurden stärker und drängender, wütender, bis die Sitze erzitterten; zumindest hatte Llauron es so beschrieben.

Während der Sieger des Kampfes zum Gewinnerthron ging, um dort die Schmeicheleien und Preisungen der Menge und des Adels entgegenzunehmen, wurde der unglückliche Verlierer wie ein Götteropfer in die Mitte der Arena geschleppt und unsanft auf eine der Wiegeplatten geworfen. Je zwei Karrengäule mit angeschirrten Wagen standen zu beiden Seiten des Mechanismus; jede der Wiegeplatten ruhte auf einem Wagen.

Nun setzte das Handeln ein. Wenn der Kämpfer ein Sklave und für seinen Besitzer wertvoll war, hielt dieser oft eine Tafel mit einem Angebot für sein Leben hoch. Auf ein Zeichen des Arenameisters hin wurden große, bunte Gewichte, die dem Angebot des Besitzers entsprachen, auf die andere Waagschale gelegt. Anderen Mitgliedern des Adels und schließlich auch der Menge wurde es erlaubt, ihre Angebote für das Leben des Verlierers ebenfalls in die Waagschale zu werfen. Manchmal wurden sogar andere Sklaven, sowohl Männer als auch Frauen, angeboten, besonders wenn der Kämpfer im Ruf der Geschicklichkeit und Nützlichkeit stand.

Wenn der Kämpfer ein Freier war, wurden die Lebensangebote der Masse seiner Bewunderer innerhalb der Adelsschicht überlassen, wodurch auf altehrwürdige Weise der hohe Preis der Freiheit versinnbildlicht wurde. Daher zogen es viele der besten Gladiatoren von, in der Sklaverei zu bleiben, obwohl sie genug persönlichen Reichtum und genug Kredit erworben hatten, um sich freizukaufen, denn auf diese Weise erhöhte sich ihre Aussicht, gerettet zu werden, wenn sie sich im Towrik befanden. Constantin war keiner von ihnen.

Wenn alle Lebensangebote abgegeben waren, schlug der Gong des Arenameisters erneut, und die Pferde wurden langsam von der Waage weggeführt. In der Arena wurde es völlig still, während die Menge darauf wartete, dass die gewaltige Maschine das Gewicht ermittelte. Wenn die Waagschalen im Gleichgewicht waren oder zum Vorteil des Kämpfers ausschlugen, nahmen die Ärzte der Arena ihn von der dicken Scheibe herunter und führten oder trugen ihn unter Beifall und Hohngezischel fort. Die Hälfte der Lebensangebote wurden beiseite geschafft, um die Schatztruhen des Herrschers zu füllen, dessen Stadtstaat die Arena gehörte, während die andere Hälfte unter Jubelgeschrei dem Sieger zum Geschenk gemacht wurde. Wenn die Waage aber gegen den Verlierer ausschlug, ertönte ein noch lauteres Brüllen aus der Menge. Dann wurde der gesamte Inhalt der Schale dem Sieger geschenkt, und die Vorbereitungen für das Ereignis, auf welche die Menge ihr höchstes Interesse richtete, wurden getroffen. Ein langes Schwert mit einer Sägeklinge wurde so vor die Waage gelegt, dass es von der Herrscherloge aus zu sehen war, während um die Fußknöchel des Verlierers lange Lederriemen gebunden wurden, die ihn an die Pferde fesselten. Dann kippte man ihn von der Schale. Der Arenameister wartete so lange, bis die Waage wieder im Gleichgewicht war, bevor er den Gong ein letztes Mal schlug.

Wenn es dem unglücklichen Kämpfer gelang, in der Zwischenzeit zu dem Schwert zu kriechen, konnte er die ihm angebotene Möglichkeit ergreifen und sein Leben auf eine halbwegs ehrenhafte Weise beschließen, indem er sich in die Waffe stürzte. Solche gelungenen Versuche wurden stets von wütendem Zischen begleitet, da sie die gierige Menge ihrer eigentlichen Freude beraubte. Denn wenn der Kämpfer das Schwert nicht erreichte, bevor der Gong wieder ertönte, wurden die Pferde losgebunden, die unter dem taub machenden Lärm umherrasten. Die Menge brach in orgiastisches Geschrei aus, und die Tribünen erzitterten, während der Unglückliche einen schrecklichen und schmählichen Tod erlitt. Oft wurden die Pferde erst dann angehalten, wenn der Kopf des Toten abgerissen und irgendwo liegen geblieben war.

Rhapsody schüttelte diese Gedanken ab und stählte ihre Entschlossenheit. Sie wartete auf den richtigen Augenblick, die Arena zu betreten.

Als die Nacht hereinbrach, ebbte der Menschenstrom ab. Sie überquerte vorsichtig die Straße und schlüpfte in den Eingang, der sie wahrscheinlich zu ihrem Ziel bringen würde. Als sie drinnen war, drückte sie sich gegen die dunkle Mauer und huschte still durch die stinkenden Korridore, bis sie vor sich hallende Geräusche hörte, die sie als eine Versammlung von Menschen erkannte.

Sie nahm rasch den wollenen Mantel ab und zog ihre Stiefel aus, denn sie hatte draußen vor der Arena an den Füßen der Sklavinnen keine Schuhe bemerkt. Sie sah sich einen Moment lang um und entdeckte schließlich eine kleine Nische, wo sie ihre Kleidungsstücke verstecken konnte. Hoffentlich wären sie noch da, wenn sie später wieder nach draußen kam. Dann befestigte sie an ihrem Hüftband den kleinen Beutel mit der Flasche, die Llauron ihr gegeben hatte, um den Gladiator bewusstlos zu machen. Sie bemerkte die Kleider der weiblichen Sklaven. Einige waren sehr enthüllend, wie ihre eigenen, doch öfter sah sie einfache Hemden und Kniehosen. Die Frauen, die diese Kleidung trugen, schienen auf einer höheren Ebene der Ausbildung zu stehen und hatten oft Verbände umgelegt. Rhapsody wünschte sich, sie hätte davon gewusst, doch andererseits kannte Llauron die sorboldische Kultur gut, und sie vertraute seiner Entscheidung.

So zog sie den eisgrauen Schleier vor das Gesicht und folgte dem Korridor in den Bauch der Arena, wobei sie über Pfützen aus geschmolzenem Schnee sprang, der durch Risse und Spalten hereingeweht worden war. Je tiefer sie kam, desto bevölkerter wurde der Korridor, bis sie schließlich vor dem unterirdischen Haupteingang zur Arena stand, von dem aus viele Tunnel zurück zu den Unterkünften der Kämpfer führten.

Aus der Ferne hörte sie einen tief dröhnenden Gong, dem eine Welle aus Geschrei folgte:

Tovvrik, Tovvrik, Tovvrik. Sie eilte den rollenden Freudenschreien voraus, huschte in den Tunnel zurück und floh vor dem schrecklichen Lärm der Lustbarkeit.

Eine grobe Liste der Gladiatoren und ihrer Kämpfe war mit Kreide auf die Wand des Gewölbes geschrieben, das in die Eingeweide der Arena führte. Bei jedem Kampf war einer der beiden Namen durchgestrichen. Es war nicht schwer, den von Constantin zu finden. Es war der letzte Kampf am Abend des Hauptprogramms, und wenn sie das Nummernsystem der sorboldischen Sprache richtig deutete, war es der Kampf mit den höchsten Wetten. Sklaven irrten in den muffigen Hallen umher und trugen Essen, Medizinflaschen und Wein, und die Frauen, die wie Rhapsody gekleidet waren, hatten sich in einem pferchartigen Bereich links von dem Durchgang versammelt. Rhapsody zog den Schleier enger um den Kopf und reihte sich in den Strom des menschlichen Verkehrs ein, der sie in den Pferch trug, wo sie hoffte, an der richtigen Stelle zu sein.

Einen Moment später wurde ihre Vorahnung bestätigt. Ein kleiner, muskulöser Mann mit ausgedünntem grauem Haar und viel wertvollerer Kleidung, als die Sklaven sie trugen, erschien am anderen Ende des Tunnels. Als er sich näherte, verstummten die Frauen, sahen einander an und warteten ahnungsvoll. Er schlenderte durch den Tunnel, trat in den gewölbten Durchgang und stieg dann einige Stufen zu einem Podest vor dem Pferch hoch, wobei er den Blick abwechselnd auf die Masse der Sklavenfrauen und die Kreideinschriften hinter ihm richtete.

Er drehte sich um und rief einem der Diener im Gewölbe etwas zu. Kurz darauf kam ein weiterer Mann den Korridor hinunter und übergab ihm ein Pergamentblatt. Der Sklave verneigte sich respektvoll vor ihm und nannte ihn Treilus. Rhapsody merkte sich den Namen und versuchte hinter den größeren, eifrigeren Frauen zu verschwinden, bis Constantins Name an die Reihe kam.

»Ich brauche Heilerinnen für diesen Abend«, kündigte Treilus an.

Ihr drehte sich der Magen um, als sie dem Prozess der Auslese zusah. Die meisten Sklavinnen wetteiferten um die Gelegenheit, auserwählt zu werden, und stellten ihren Körper so vorteilhaft wie möglich zur Schau. Rhapsody vermutete, dass es für sie noch schlimmere Pflichten gab.

Erinnerungen an ihre eigene, ferne Vergangenheit drohten sie mit einer Art psychischer Galle zu überfluten. Sie kämpfte hart darum, diese Gedanken im Zaum zu halten. Angesichts von Llaurons Naivität wurde ihr übel. Treilus sagte zwar, er suche Heilerinnen, aber sie erkannte einen Zuhälter sofort. Ihr Plan zerplatzte in einem Knall der Verzweiflung. Die Rettung t Constantins war zweitrangig geworden. Nun ging es erst einmal darum, das Kommende zu überleben.

Die ersten beiden Kämpfer, für die die Frauen ausgewählt wurden, hatten eindeutig Verbindung zu mächtigen Leuten, denn die Sklavinnen kratzten und balgten sich, um sich selbst am vorteilhaftesten darzustellen. Dann wurde Constantins Name aufgerufen, und das Drücken und Putzen hörte auf. Die Masse der Sklavinnen wurde unheimlich still. Das verhieß für Rhapsody nichts Gutes.

Sie schluckte ihre Angst herunter, senkte den Schleier, der Gesicht und Haare bedeckt hatte, und stellte sich ins Blickfeld, als Treilus auf seine Liste sah. Als er den Blick von dem Dokument hob, schaute er sie an. Er erbebte, als er den Mund aufsperrte und sich die Liste vor den Unterleib hielt, um eine plötzliche Veränderung in dieser Körperregion zu verbergen. Sie hoffte, dass ihm seine Aufgabe wichtiger als alles andere war; es war ihr bisher nicht in den Sinn gekommen, dass er nicht nur nach medizinischer Betreuung für seine Gladiatoren, sondern auch nach einem eigenen Vergnügen für den Abend Ausschau halten könnte. Treilus schritt die Stufen herunter und bahnte sich einen Weg durch die Menge der Sklavenfrauen, bis er unmittelbar vor ihr stand. Er wanderte mit den Augen unverfroren über ihren Körper, während er sie umrundete und aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtete. Als er wieder vor ihr stand, packte er den Schal, der ihr als Leibchen diente, und zog sie roh zu sich. Er glotzte auf ihre Brüste unter dem dünnen Stoff. Dann ließ er den Schal mit einer kalten, berufsmäßigen Bewegung wieder los und streckte geistesabwesend die Hand aus, um eine ihrer Haarlocken zu untersuchen. Er liebkoste mit den Fingern die goldenen Strähnen und zog sie durch seine Lippen, als schmeckte er sie oder prüfte ihre Weichheit. Anscheinend fand er sie befriedigend, denn er hüstelte und sah zu ihr herunter, während sich Zustimmung über sein Gesicht legte. »Ich kenne dich nicht«, sagte er mit unangenehm hoher Stimme. »Wer bist du? Wem gehörst du?«

Rhapsody starrte ihn an und versuchte so auszusehen, als habe sie ihn nicht verstanden.

»Sprichst du Altlirin?«, fragte sie in ihrer Muttersprache. Er sprach es eindeutig nicht, aber der ausdruckslose Blick, der bei ihrer Antwort über sein Gesicht huschte, wurde beinahe sofort von einem erfreuten Lächeln abgelöst.

»Eine Gefangene!«, sagte er und rieb sich freudig die Hände. »Constantin wird sehr erfreut sein.« Die Sklavenfrauen sahen einander an. Einige wirkten grimmig, andere erleichtert. Treilus winkte nach einem der Diener, der eine Flasche mit einem Öl herbeibrachte und ihm übergab.

»Kannst du mich verstehen?«, fragte er mit erregter Stimme. Sie nickte leicht und versuchte, weiterhin ein wenig verwirrt zu wirken. »Gut, dann hör mir zu«, fuhr er fort und reichte ihr die Flasche. Rhapsody steckte sie in den Schal zwischen die Brüste und schenkte ihm ein dümmliches Grinsen. Treilus brach in Gelächter aus und rieb sich wieder die Hände. »Oh, du bist vollkommen«, sagte er und streichelte ihr die Wange. »Man wird dich zu Constantins Raum bringen, wo du all seine Bedürfnisse befriedigen wirst. Bist du in Massage geübt?«

Rhapsody nickte eifrig. »Du bist eine Kröte«, sagte sie sanft in bestem Altlirin.

»Ausgezeichnet«, rief Treilus aus und wurde noch erregter. »Erinnere dich aber an Folgendes:

Was immer du tust, du musst vor morgen früh seine Muskeln an Schultern und Rücken massieren. Morgen Nachmittag muss er in guter Kampfverfassung sein. Wenn er das nicht ist, werde ich dich gnadenlos durchprügeln lassen. Verstehst du das?«

»Natürlich. Mögest du mit unaufhörlichem Durchfall gesegnet sein«, antwortete sie und senkte ehrfürchtig den Blick.

»Am besten fängst du mit diesem Teil an«, sagte er, während sich ein bösartiger Ausdruck in seine Augen stahl. »Danach bist du vielleicht nicht mehr in der Lage dazu. Geh also und diene ihm gut.«

»Ich hoffe, du wirst dafür unter schrecklichen Schmerzen sterben«, sagte sie in ihrer unverständlichen Sprache. »Und ich hoffe, dass ich dir persönlich dazu verhelfen kann.« Sie verneigte sich und folgte dem Diener in den Korridor, der zu den Schlafquartieren der Gladiatoren führte.

»Welch ein wunderschönes Geschöpf«, sagte Treilus zu einem anderen Diener. Er stemmte die Faust in die Seite und versuchte die plötzliche Gaswelle zu unterdrücken, die durch seine Eingeweide wehte. »Sorge dafür, dass sie morgen früh in meine Gemächer gebracht wird, wenn Constantin mit ihr fertig ist falls sie dann noch lebt.«

Palast des Fürbitters, der Kreis, Gwynwald

Es klopfte an der uralten Tür. Llauron schreckte aus seinem Tagtraum hoch.

»Herein.«

Die Tür wurde geöffnet und Khaddyr blieb auf der Schwelle stehen. Er wirkte ungewöhnlich atemlos.

»Ihr wolltet mich sprechen, Euer Gnaden?«

Llauron lächelte. »Ja, Khaddyr. Vielen Dank, dass du so schnell gekommen bist.« Der Fürbitter erhob sich aus seinem Sessel und bedeutete seinem Hauptheiler hereinzukommen. Khaddyr gehorchte und schloss die Tür hinter sich. »Hier ist ein Tablett mit Abendessen. Bitte bediene dich.«

Khaddyr nickte, nahm aber nichts von den Speisen, sondern hängte stattdessen seinen schweren Wintermantel an einen der Haken neben der Tür. Dann ging er zum Kamin, stellte sich vor den Rost und wärmte sich auf. Der Wind war bitter kalt geworden, und ein Sturm zog auf. Auf der Reise von der Herberge bis hierher waren ihm beinahe die Hände erfroren. Llauron goss sich ein Glas Branntwein ein. »Wie geht es den Patienten?«

»Die meisten erholen sich ganz gut, Euer Gnaden.«

»Gut, gut. Mir ist besonders am Zustand der Überlebenden des Lirin-Überfalls auf Herzog Stephens Grenzpatrouille heute Morgen gelegen.«

»Von ihnen hat keiner überlebt, Euer Gnaden.«

Llauron riss überrascht die Augen auf. »Keiner?«

»Nein, sie waren offenbar viel schlimmer verwundet, als wir ursprünglich vermutet hatten.«

Der Fürbitter sog den Duft des Branntweins ein, nahm dann einen Schluck und ließ sich die Flüssigkeit durch den Mund und über die Zunge gleiten. Dann schluckte er sie herunter.

»Sogar diese ... wie heißt sie noch gleich ... diese Cedelia, die nur eine Beinwunde hatte?«

»Ja, Euer Gnaden. Sie muss sich entzündet haben.«

Llaurons kalte blaugraue Augen verengten sich beinahe unmerklich. »Ich verstehe. Konntest du irgendetwas aus ihnen herausbekommen, bevor sie gestorben sind?«

Khaddyr ging zu dem Tablett und nahm sich einen Teller. Er füllte ihn und warf dabei einen Blick zurück auf den Fürbitter, der aus dem Fenster schaute. »Das Übliche, Euer Gnaden. Angeblich wussten sie nicht, warum sie in Navarne waren oder dass sie durch Avonderre gereist sind und an einer solchen Sachte teilgenommen haben. Sie erinnerten sich nur daran, dass sie in Tyrian gewesen waren, und dann wachten sie verwundet auf dem navarnischen Waldboden auf. Ich wünschte, sie hätten mehr gewusst.«

»In der Tat.« Llauron ließ sich schwer in seinen Sessel sinken.

Khaddyr nahm vor ihm Platz. »Um ein anderes Thema anzusprechen: Wann wollt Ihr Eure Reise beginnen?«

Llauron leerte das Branntweinglas. »In etwa einem Monat. Der genaue Zeitpunkt hängt von einigen Umständen ab, die noch nicht geklärt sind. Ich werde dafür sorgen, dass während meiner Abwesenheit alles zu deiner Zufriedenheit laufen wird.«

Khaddyr lächelte. »Vielen Dank, Herr. Ich bin sicher, dass alles gut gehen wird, so lange Ihr unterwegs seid. Ich werde mich darum kümmern.«

Llauron erwiderte sein Lächeln. »Dessen bin ich mir sicher.«

»Stimmt es, was die Wachen gesagt haben? Dass Rhapsody vorhin hier gewesen ist?«

Khaddyr rieb sich die Hände, um die Kälte aus den Knöcheln zu vertreiben.

Llauron faltete die Hände. Das war höchst interessant, denn sie war durch den geheimen Eingang gekommen. Die Lücke in seinem Sicherheitssystem war breiter, als er vermutet hatte.

»Ja«, sagte er. »Sie war hier, um Heilkräuter und Salben für die Krankenhäuser von Ylorc zu holen. Sie ist inzwischen dorthin zurückgekehrt. Es tut mir Leid, dass du sie verpasst hast, aber sie wollte die Bolg keine Minute länger als nötig allein lassen. Anscheinend befinden sie sich mitten in einer schrecklichen Grippewelle.«

»Wie schade«, sagte Khaddyr mitfühlend. »Können wir unsere Hilfe anbieten? Ich habe ein paar Schüler, die gerade ihre medizinische Ausbildung beendet haben; Ihr könntet sie mit der nächsten Postkarawane nach Ylorc schicken, damit sie in den Krankenhäusern aushelfen.«

Der Fürbitter stand auf und ging zum Tablett mit dem Abendessen. Er nahm sich einen Teller, füllte ihn und versuchte, einen Appetit vorzutäuschen, der ihm völlig vergangen war.

»Welch ein freundlicher Gedanke. Ich fürchte aber, dazu ist es zu spät. Sie war sehr aufgeregt. Als sie aus Ylorc fortging, war schon der größte Teil des Heeres erkrankt. Ich fürchte, bei ihrer Rückkehr werden nur noch Reste der Bevölkerung übrig sein. Solche Epidemien sind eine schreckliche Sache, und für primitive Kulturen sind sie sogar noch verheerender.«

»Ich verstehe. Es tut mir sehr Leid, das zu hören. Wollt Ihr sonst noch etwas mit mir besprechen, Euer Gnaden?«

Llauron drehte sich zum Feuer um. »Nein, nichts Besonderes. Ich wollte dich nur zum Abendessen einladen. Es ist lange her, dass wir ein gutes Gespräch miteinander hatten. Ich vermute, ich wollte nur sehen, wie es meinem alten Schützling geht.«

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