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Es war das Zischen des Dampfes, der durch die alten Rohre pfiff und sie rasseln ließ, das mich über jene feine Grenzlinie zog, wo die Identität sich selbst überrascht. Ich bäumte mich sofort auf und wollte zurück, aber das Heizungssystem ließ mich nicht. Mit geschlossenen Augen klammerte ich mich an die wohltuende Freude, ohne Erinnerung zu sein. Dann erkannte ich, wie durstig ich war. Und dann, daß etwas Hartes und Unangenehmes meine rechte Seite peinigte. Ich wollte nicht aufwachen, ich war müde …

Doch der Zirkel der Wahrnehmung weitete sich, die Dinge gruppierten sich umeinander, das Zentrum manifestierte sich. Ich öffnete die Augen.

Ja …

Ich lag auf einer Matratze auf dem Boden eines unordentlichen, überladenen Raumes. Magazine, Flaschen, Zigarettenschachteln und Kleidungsstücke lagen wirr umher; Poster und grelle Bilder klebten an den Wänden wie Briefmarken an exotischen Päckchen. Perlenschnüre hingen in einem Türrahmen zu meiner Rechten, von einem Fenster direkt gegenüber fiel Licht herein, wahrscheinlich das Licht des Morgens. Vergoldete Staubwolken tanzten in den Sonnenstrahlen, aufgewirbelt wahrscheinlich von dem Esel, der an dem Blumenkasten knabberte, der auf dem Fenstersims stand. Eine orangefarbene Katze blinzelte mich von der Fensterbank her mißbilligend an, dann schloß sie die Augen.

Leiser Verkehrslärm drang von einem Punkt unterhalb des Fensters herauf. Durch das Muster des Sonnenlichtes auf der Scheibe konnte ich den oberen Rand eines Backsteingebäudes ausmachen, das entfernt genug war, um deutlich zu machen, daß in der Tat eine Straße zwischen uns lag. Ich machte die erste, trockene Schluckbewegung dieses Morgens und stellte wieder fest, wie durstig ich war. Die Luft war trocken und mit allerlei Aromen geschwängert, manche vertraut, manche exotisch.

Ich bewegte mich vorsichtig, um nach schmerzenden Stellen zu suchen. Nicht schlecht. Ein schwaches Pochen in den vorderen Sinuslappen, nicht stark genug, um wirklich als Kopfschmerz gewertet werden zu können. Ich streckte mich, spürte alle Knochen im Leibe.

Den scharfen Gegenstand, der in meine Seite stach, konnte ich als eine leere Flasche identifizieren. Ich winselte, als ich mich erinnerte, wie es dazu gekommen war. Die Party … o ja, da war eine Party gewesen …

Ich setzte mich auf. Ich sah meine Schuhe. Ich zog sie an. Ich stand auf.

Wasser … Es gab ein Badezimmer, hinten, um die Ecke. Ja.

Bevor ich mich in diese Richtung entfernen konnte, starrte der Esel mich an, kam mir entgegen.

In einem Sekundenbruchteil sah ich, sah ich zweifelsfrei, was mich erwartete, was nun kommen würde, noch bevor es geschah.

„Sie sind noch immer benommen“, sagte der Esel oder schien er zu sagen, die Worte hallten seltsam in meinem Kopf wider. „Gehen Sie daher erst einmal Ihren Durst löschen und Ihr Gesicht waschen. Aber benutzen Sie das Fenster dort hinten nicht als Ausgang. Das könnte Schwierigkeiten geben. Bitte kommen Sie in dieses Zimmer zurück, wenn Sie fertig sind. Ich habe Ihnen etwas mitzuteilen.“

Von einer Position jenseits jeglicher Überraschung antwortete ich: „Schon gut.“ Dann ging ich nach hinten und drehte den Wasserhahn auf.

Hinter dem Badezimmerfenster konnte ich nichts Ungewöhnliches feststellen. Kein Aufpasser war in Sicht, niemand, dem es hätte auffallen können, wenn ich zum nächsten Gebäude geklettert wäre und dann auf und davon. Ich hatte augenblicklich natürlich nicht den geringsten Wunsch, das zu tun, aber ich fragte mich doch, ob der Esel kein falscher Fuffziger war, eine Art unnötiger Panikmacher.

Das Fenster … Mein Geist glitt zurück, zu jenem schwarzen Rechteck, dem Laut des Schusses, zu dem splitternden Glas. Ich hatte mir beim Sprung meine Jacke aufgeschlitzt und mich an der Schulter verletzt. Ich rollte mich vornüber, kam auf die Beine, rannte sofort geduckt los …

Eine Stunde später befand ich mich in einer Bar, um dort den zweiten Teil meiner Instruktionen auszuführen. Das tat ich allerdings nicht zu schnell, da das Gefühl, ein Ausreißer zu sein, noch sehr frisch war und ich meine fünf Sinne lange genug beisammen behalten wollte, um mich emotional wieder aufrichten zu können. Also bestellte ich konsequenterweise ein Bier und nippte langsam daran.

Leichte Windstöße fegten Papierschnitzel die Straße entlang. Dazwischen mischten sich gelegentlich Schneeflocken, die überall, wo sie liegenblieben, feuchte Flecken hinterließen. Später wurde es dann geringfügig wärmer, Regentropfen klatschten an die Scheiben und flossen in kleinen Bächlein wieder ab.

Der Wind strich heulend an der Tür vorbei, selbst mit meiner Jacke war mir kalt. Daher ging ich, zehn bis fünfzehn Minuten später, als ich mein Bier ausgetrunken hatte, hinaus, um mich nach einer wärmeren Bar umzusehen. Das redete ich mir vordergründig selbst ein, in Wirklichkeit war der Fluchtimpuls noch immer sehr stark vorherrschend.

Innerhalb der nächsten Stunde besuchte ich drei weitere Bars, in jeder trank ich ein Bier, dann ging ich weiter. Unterwegs ging ich schließlich in ein Geschäft und kaufte mir eine Flasche, da es schon spät wurde und ich mich zudem nicht sinnlos betrunken in der Öffentlichkeit sehen lassen wollte. Mittlerweile machte ich mir auch Gedanken darüber, wo ich die Nacht verbringen sollte. Ich beschloß, mir ein Taxi zu nehmen, mich von dem Fahrer in irgendein Hotel bringen zu lassen und dort den Prozeß des Betrinkens zu Ende zu führen. Es hatte keinen Zweck, über den Sinn dieser Maßnahme nachzudenken, und auch keinen, sie mit unnötiger Hast auszuführen. Im Augenblick wollte ich noch Menschen um mich haben, mich am Klang ihrer Stimmen laben. Während meine Erinnerungen an Australien schon verblaßt und sehr verschwommen waren, erinnerte ich mich an das reißende Geräusch meiner Jacke und an das Klirren der Scheibe noch sehr gut. Der Gedanke, daß jemand auf mich geschossen hatte, behagte mir überhaupt nicht.

Mit der fünften Bar, in die ich ging, hatte ich einen Glücksgriff getan. Drei oder vier Stufen unterhalb der Ebene der Straße, warm, sehr gemütlich und nur spärlich beleuchtet; es waren genügend Leute anwesend, um meinem Kontaktbedürfnis genüge zu tun, aber nicht so viele, daß ich keinen einsamen Tisch in einer Ecke mehr gefunden hätte. Ich zog meine Jacke aus und zündete eine Zigarette an. Hier wollte ich eine Weile bleiben.

So kam es, daß er mich hier fand, vielleicht eine halbe Stunde später.

Ich hatte mich schon sichtlich entspannt, hatte die turbulenten Ereignisse fast schon vergessen und erfreute mich an der Wärme und der Gemütlichkeit. Ich lauschte dem Heulen des Windes draußen, als eine vorübergehende Gestalt stehenblieb, sich umwandte und dann in dem Stuhl mir gegenüber Platz nahm.

Ich sah noch nicht einmal auf. Aus dem Augenwinkel hatte ich gesehen, daß es kein Bulle war, und ich fühlte mich davon abgesehen auch nicht in der Stimmung, um mit irgendeiner, wahrscheinlich fragwürdigen Existenz ein Gespräch anzufangen.

Fast eine halbe Minute saßen wir so da, schweigend, unbeweglich. Dann wurde etwas auf die Tischplatte geknallt, und ich sah automatisch hin.

Drei Fotos lagen vor mir, eindeutige Fotos, eine Blonde und zwei Brünette.

„Würden Sie sich nicht gerne mit so etwas aufwärmen, in einer so kalten Nacht wie heute?“ fragte eine Stimme, die meinen Verstand wachsam werden und meine Augen um fünfundvierzig Grad in die Höhe blicken ließ.

„Doktor Merimee!“ sagte ich.

„Psst!“ zischte er. „Betrachten Sie weiter die Bilder.“

Derselbe alte Trenchcoat, verschlissen und abgewetzt … Dieselbe lange Zigarettenspitze … Unglaublich scharfe Augen hinter einer Brille, bei der ich noch immer den Eindruck hatte, in ein Aquarium zu blicken. Wie viele Jahre war es schon her?

„Was, zum Teufel, machen Sie denn hier?“ fragte ich.

„Ich sammle Material für ein Buch, was denn sonst? Verdammt! Betrachten Sie die Bilder, Fred! Geben Sie vor, sie zu studieren. Na los. Ärger in Sicht. Wahrscheinlich für Sie!“

Also wandte ich meinen Blick wieder den reizenden Ladys zu.

„Was für Ärger?“ fragte ich.

„Sie scheinen verfolgt zu werden.“

„Wo ist er im Augenblick?“

„Auf der anderen Straßenseite. Dort habe ich ihn zuletzt in einem Tor stehen sehen.“

„Wie sieht er aus?“

„Kann ich nicht genau sagen. Er ist aber dem Wetter entsprechend gekleidet. Hut ins Gesicht gezogen. Kopf vornüber geneigt. Durchschnittliche Größe, mehr oder weniger. Wahrscheinlich etwas gebeugt.“

Ich kicherte.

„Totaler Durchschnittsmensch. Woher wissen Sie, daß er mir folgt?“

„Ich habe Sie schon vor Stunden gesehen, einige Bars zurück. Die, in der ich Sie gesehen habe, war ziemlich überfüllt. Gerade als ich auf Sie zugehen wollte, sind Sie gegangen. Ich habe gerufen, aber Sie haben mich in dem Lärm nicht gehört. Bis ich aufgestanden war und bezahlt hatte, waren Sie schon ein gutes Stück die Straße hinaufgegangen. Ich wollte hinter Ihnen hergehen, da sah ich diesen Burschen, der aus einer Toreinfahrt herauskam und das ebenfalls tat. Zuerst dachte ich mir nichts dabei, aber Sie sind eine Weile herumgelaufen, und er ist allen Ihren Schritten gefolgt. Als Sie in die nächste Bar gegangen waren, blieb er einfach stehen, starrte sie an und verschwand dann wieder unter einem Torbogen. Er zündete eine Zigarre an, hustete mehrere Male, dann wartete er, immer die Bar im Auge behaltend. Daher ging ich weiter bis an die Ecke. Dort war eine Telefonzelle, ich ging hinein und gab vor zu telefonieren, während ich ihn beobachtete. Sie blieben nicht besonders lange dort, und als Sie herauskamen und weitergingen, tat er dasselbe. Ich folgte euch beiden noch zwei Bars weiter, um ganz sicherzugehen. Nun bin ich überzeugt. Sie werden verfolgt oder zumindest beobachtet.“

„Na schön“, sagte ich. „Ich glaube Ihnen.“

„Ihr ruhiges Akzeptieren dieser Situation bringt mich zu der Überzeugung, daß sie nicht vollkommen unerwartet kommt.“

„Genau.“

„Kann ich irgend etwas tun, um Ihnen zu helfen?“

„Nichts, was die Ursache der Schwierigkeiten angeht. Aber vielleicht etwas, um die gegenwärtige Situation zu bereinigen …“

„Etwa, Sie hier wegzubringen, ohne daß der dort draußen es bemerkt?“

„Daran hatte ich beispielsweise gedacht.“

Er gestikulierte mit einer bandagierten Hand.

„Kein Problem. Lassen Sie sich Zeit mit Ihrem Getränk. Entspannen Sie sich. Betrachten Sie alles als gelaufen. Geben Sie weiter vor, meine Bilder zu studieren.“

„Warum?“

„Warum nicht?“

„Was ist denn mit Ihrer Hand passiert?“

„Ein bedauerlicher Unfall. Mit einem Fleischermesser. Hat man Sie inzwischen graduieren lassen?“

„Nein. Sie bemühen sich noch immer darum.“

Ein Kellner kam vorbei, stellte ein Glas vor ihn, legte eine Serviette daneben, warf einen Blick auf die Fotos, blinzelte mir zu und verschwand dann wieder hinter der Theke.

„Ich dachte, ich hätte Sie in Geschichte umzingelt gehabt, als ich ging“, sagte er, hob sein Glas, nippte, wischte sich die Lippen ab, nippte wieder. „Was geschah?“

„Ich entkam in die Archäologie.“

„Zweifelhaft. Sie hatten bereits zuviel Anthropologie und Frühgeschichte, um damit lange durchkommen zu können.“

„Richtig. Aber ich hatte das kommende Semester über meine Ruhe, und mehr wollte ich nicht. Im Herbst starteten sie dann Geologie Vorlesungen. Die belegte ich eineinhalb Jahre lang, in der Zwischenzeit hatten sich dann neue Möglichkeiten aufgetan.“

Er schüttelte den Kopf. „Wie absurd“, sagte er.

„Vielen Dank.“

Ich schluckte trocken.

Er räusperte sich.

„Wie ernst ist die Situation denn?“

„Ich würde sagen, ernst genug – wenn sie auch auf einem Mißverständnis basiert.“

„Ich meine, haben die Behörden ihre Hände im Spiel oder nur Privatleute?“

„Beides, wie es scheint. Warum? Haben Sie noch andere Einfälle, wie Sie mir helfen können?“

„Nein, natürlich nicht! Ich versuchte nur, mir über Ihre Gegner Klarheit zu verschaffen.“

„Tut mir leid“, sagte ich. „Ich schätze, ich schulde Ihnen einiges für das Risiko, das Sie eingehen …“

Er hob eine Hand, um mich zum Schweigen zu bringen, aber ich sprach trotzdem weiter.

„Ich habe keine Ahnung, wer das dort draußen ist. Aber wenigstens einige der Personen, die in die Angelegenheit verwickelt sind, scheinen gefährlich zu sein.“

„Schon gut, das genügt“, sagte er. „Ich bin, wie immer, ausschließlich allein für meine Handlungen verantwortlich, und ich habe mich entschlossen, Ihnen zu helfen. Genug!“

Wir tranken darauf. Er legte lächelnd die Bilder zurecht.

„Ich könnte Ihnen wirklich eine davon für heute nacht besorgen“, sagte er. „Wenn Sie wollen.“

„Danke. Aber heute nacht muß ich mich betrinken.“

„Es sind keine besonders anspruchsvollen Gespielinnen.“

„Aber nicht heute nacht.“

„Nun“, sagte er achselzuckend, „ich will Ihnen nichts aufzwingen. Sie haben lediglich meine Hochachtung errungen. Erfolg tut das meistens.“

„Erfolg?“

„Sie sind eine der wenigen erfolgreichen Personen, die ich kenne.“

„Ich? Warum?“

„Sie wissen genau, was Sie wollen, und das machen Sie auch. Und zwar gut.“

„Aber ich mache nicht besonders viel.“

„Und selbstverständlich bedeutet Ihnen die Quantität nicht viel, auch nicht die Bedeutung, die andere Ihrem Tun beimessen. In meinen Augen macht Sie das erfolgreich.“

„Weil mich nichts kümmert? Aber das stimmt nicht, das wissen Sie auch.“

„Natürlich, natürlich! Das ist lediglich eine Frage des Stils, eine Bewußtheit des eigenen …“

„In Ordnung“, sagte ich „Bewunderung erkannt und im richtigen Rahmen akzeptiert. Nun …“

„… Selbstwertes, und das macht Sie zu einer bewundernswerten Person“, sagte er. „Ich bin genauso wie Sie.“

„Natürlich. Das wußte ich schon die ganze Zeit. Wie wäre es, wenn Sie mich nun hier herausbringen würden …“

„Hier gibt es eine Küche mit einer Hintertür“, sagte er. „Am Tag transportieren sie dort ihre Waren herein. Wir werden dort hinausgehen. Der Barmann ist ein Freund von mir. Kein Problem.

Dann werde ich Sie auf Umwegen mit zu mir nehmen. Dort sollte eigentlich mittlerweile eine Party im Gange sein. Nehmen Sie daran teil, so lange Sie Lust haben, und schlafen Sie dann, wo immer Sie ein warmes Plätzchen finden.“

„Klingt alles sehr einladend, besonders das warme Plätzchen. Danke.“

Wir tranken aus, er steckte die Ladys wieder in seine Tasche. Dann ging er hinüber, um mit dem Barkeeper zu sprechen, und der nickte. Danach wandte er sich wieder mir zu und gestikulierte mit den Augen nach hinten. An der Küchentür trafen wir wieder zusammen.

Er führte mich durch die Küche, zur Hintertür hinaus und in die Allee. Ich stülpte meinen Kragen hoch, um mich vor dem Nieselregen zu schützen, während ich rechts neben ihm entlangtrottete. An einer Kreuzung wandten wir uns nach links, gingen an den dunklen Schatten von großen Frachtcontainern vorbei, stapften durch eine Pfütze, wobei meine Socken naß wurden, und kamen schließlich nahe des nächsten Blocks wieder heraus.

Drei oder vier Blocks und etwa doppelt so viele Minuten später folgte ich ihm eine Treppe hinauf; dies war das Gebäude, in dem er seine Wohnung hatte. Die Feuchtigkeit hatte einen leichten Modergeruch hervorgerufen, die Stufen knarrten, als wir hochgingen. Im Hochgehen hörte ich leise Musik, durchsetzt mit Gesprächsfetzen und Gelächter.

Wir folgten diesen Geräuschen, bis wir vor einer Tür standen. Wir traten ein, er stellte mich Dutzenden von Leuten vor, dann nahm er mir den Mantel ab. Ich fand ein Glas und Eis, mixte mir einen Drink und setzte mich dann in einen Stuhl, um zu reden oder mich auch nur umzusehen, wobei ich hoffte, die Geselligkeit und die gute Laune könnten ansteckend sein. Ich trank mich immer weiter zu dieser großen, allumfassenden Leere vor, die mich irgendwo im Vollrausch erwartete.

Ich fand sie schließlich auch, aber erst nachdem ich mich lange Zeit durch die Party gequält hatte. Da jeder der Anwesenden Interessen hatte, die alle in dieselbe Richtung führten, fühlte ich mich nicht zu sehr von den Ereignissen ausgeschlossen. Durch den Nebel um meinen Verstand, die Geräusche, die Musik schien alles vollkommen normal zu sein, auch als Merimee wieder hereinkam, nur noch mit einem Lendenschurz aus Palmwedeln bekleidet und auf dem Rücken eines grauen Esels, dessen Heimat eines der Hinterzimmer war. Ein grinsender Zwerg ging mit einem Zimbel voraus. Eine Weile schien das überhaupt niemand zu bemerken. Die Prozession hielt schließlich vor mir.

„Fred?“

„Ja?“

„Bevor ich es vergesse, wenn Sie morgen früh verschlafen und ich schon weg bin – der Speck ist in der unteren rechten Schublade des Kühlschrankes, das Brot verwahre ich im Küchenschrank daneben auf. Die Eier sind sofort zu sehen. Bedienen Sie sich.“

„Vielen Dank. Ich werde daran denken.“

„Noch etwas …“

Er beugte sich nach vorn und sprach leiser weiter.

„Ich habe eine Menge nachgedacht“, sagte er.

„Oh?“

„Über diesen Ärger, den Sie haben.“

„Ja?“

„Ich weiß nicht so recht, wie ich es ausdrücken soll … Aber … Halten Sie es für möglich, daß Sie im Verlauf der Ereignisse getötet werden könnten?“

„Ich denke schon.“

„Nun … also, wenn es besonders schlimm werden sollte, vergessen Sie nicht … Ich will sagen, ich habe auch einige Kumpels, die als Leibwächter fungieren könnten. Wenn … Wenn es für Ihr eigenes Wohlbefinden notwendig sein sollte, daß jemand Sie beschützt, möchte ich Sie bitten, sich an meine Telefonnummer zu erinnern. Wenn Sie Ihre Verfolger beseitigen wollen, dann rufen Sie an, beschreiben Sie den Mann und teilen Sie mit, wo er gefunden werden kann. Ich schulde Ihnen noch den einen oder anderen Gefallen. Das könnte einer davon sein.“

„Ich … ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll. Vielen Dank. Ich hoffe natürlich, ich muß nicht auf Ihr freundliches Angebot zurückkommen. Ich hatte nicht erwartet …“

„Das ist das mindeste, was ich tun kann, um den letzten Willen Ihres Onkels wahren zu helfen.“

„Sie kannten meinen Onkel Albert? Seinen letzten Willen? Das haben Sie ja nie zuvor erwähnt …“

„Ihn gekannt? Al und ich waren Schulkameraden an der Sorbonne. Im Sommer fuhren wir immer zusammen nach Afrika. Ich habe mein Geld dabei verplempert. Er hat seines zusammengehalten und immer noch mehr verdient. Etwas von einem Poeten, etwas von einem Schrapnell. Das scheint in Ihrer Familie zu liegen. Geradezu klassisch versponnene Iren. O ja, ich kannte Al.“

„Warum haben Sie das denn nicht schon vor Jahren erwähnt?“

„Sie hätten gedacht, ich würde Ihnen das alles nur erzählen, um Sie zum Graduieren zu bringen. Es wäre einfach nicht fair gewesen – mich in Ihren Standpunkt einzumischen. Nun helfen mir Ihre gegenwärtigen Schwierigkeiten, meine Scheu zu überwinden.“

„Aber …“

„Genug!“ sagte er. „Laßt uns weiterfeiern!“

Der Zwerg schlug das Becken mit aller Kraft zusammen, Merimee streckte eine Hand aus. Jemand legte eine Weinflasche hinein. Er warf den Kopf zurück und nahm einen langen, tiefen Zug.

Der Esel begann herumzutänzeln. Ein verschlafen dreinblickendes Mädchen, das in der Nähe gesessen hatte, sprang plötzlich auf und riß an ihren Haaren und an ihrer Bluse, während sie unaufhörlich schrie: „Evoe! Evoe!“

„Bis später, Fred.“

„Tschüs.“

So habe ich die Szene wenigstens in Erinnerung. Das Vergessen war schon ein gutes Stück nähergerückt, es berührte fast meinen Kragen. Ich lehnte mich zurück und ließ es noch näher kommen.

Der Schlaf, der das sorgenschwere Gespinst meiner Gedanken schließlich endgültig auslöschte, fand mich später auf dem Fußboden, dort, wo die Leute nacheinander hinausgingen. Ich schaffte es noch bis zu der Matratze in der Ecke, legte mich hin und sagte der Decke gute Nacht.

Dann …

Mit dem Einströmen des Wassers in das Waschbecken, das Gesicht voller Rasierschaum, Merimees Rasiermesser in der Hand, mein Gesicht im Spiegel, glitten die Nebel auseinander, und inmitten der dunkelsten Orte meiner Erinnerung ragte der Fuji empor. Im dunkelsten Zentrum meines Gehirns war schließlich das Ding, das ich gesucht und irgendwie durch mein Tun selbst befreit hatte:

KANNST

DU

MICH

HÖREN, FRED?

JA.

GUT.

DIE EINHEIT

IST ORDENTLICH

PROGRAMMIERT.

FÜR UNSERE ZWECKE

WIRD ES GENÜGEN.

WAS SIND

UNSERE ZWECKE?

EINE EINZIGE

TRANSFORMATION,

MEHR WIRD NICHT

NÖTIG SEIN.

WAS FÜR EINE TRANSFORMATION?

EINE PASSAGE DURCH DEN MOBILATOR DER N-AXIALEN INVERSIONSEINHEIT.

DU

MEINST DIE

ZENTRALE

KOMPONENTE DER

RHENNIUS-

MASCHINE?

DEFINITIV.

UND WAS SOLL ICH DENN DURCHLAUFEN LASSEN?

DICH SELBST

MICH SELBST?

DICH SELBST.

WARUM?

LEBENSWICHTIGE

TRANSFORMATION.

WELCHER ART?

INVERSION, NATÜRLICH.

WESHALB INVERSION?

UNUMGÄNGLICH.

SIE WIRD ALLES WIEDER

IN DIE RICHTIGE

ORDNUNG BRINGEN.

INDEM ICH UMGEKEHRT WERDE?

EXAKT.

KONNTE ES GEFÄHRLICH FÜR MEINE GESUNDHEIT SEIN?

NICHT

MEHR

ALS VIELE

ANDERE DINGE,

DIE DU TÄGLICH MACHST.

WAS FÜR GARANTIEN HABE ICH DAFÜR?

MEINE.

WENN ICH MICH RECHT ERINNERE, DANN BIST DU EINE AUFZEICHNUNG.

ICH-XXXX

xxxxxxxxxxx xxxxxxxxxxxx

XXX ICH-XXX

XXXXXXXXXXXXX

XXXXXXXXXX ICH-

XXXXSPEICHERSPEIC

HERSPEICHERSPEICHE

RSPEICHERXXXXXX

XXXXXXXXXXXXXX

VERGISS ES.

XXXXXXXXXXXXX XXXXXXXXXXXXXX

KANNST DU MICH

HÖREN, FRED? KANNST DU MICH

HÖREN, FRED?

ICH BIN IMMER NOCH DA.

WIRST DU ES TUN?

NUR EINMAL DURCH DIESES DING?

KORREKT.

NICHT MEHR UND

NICHT WENIGER.

WARUM NICHT? WAS WÜRDE GESCHEHEN, WENN ICH DEN PROZESS WIEDERHOLEN WÜRDE?

ICH BIN GEHANDICAPT DURCH DAS UNVERMÖGEN, EINE ALGEBRAISCHE LÖSUNG EINER GLEICHUNG DES FÜNFTEN GRADES ANZUGEBEN.

DANN SAG ES MIR MIT EINFACHEN WORTEN.

ES WÄRE

GEFÄHRLICH FÜR

DEINE GESUNDHEIT.

WIE GEFÄHRLICH?

SEHR GEFÄHRLICH.

ICH BIN

NICHT SICHER, OB

MIR DIE IDEE GEFÄLLT.

NOTWENDIG.

ES WIRD

ALLES WIEDER IN

ORDNUNG BRINGEN.

BIST DU GANZ SICHER, DASS ES DEN EFFEKT HABEN WIRD, DIE DINGE ZU KLÄREN UND ORDNUNG IN DIE GEGENWÄRTIGE VERFAHRENE SITUATION ZU BRINGEN?

OH JAXXXXX

XXJAXXJAXX

JAJAJA

JAJAJA

JAJAJA

XXXXXXXJA.

ICH BIN FROH,

DASS DU

SO ÜBERZEUGT

BIST.

DANN WIRST DU ES TUN?

ES IST

ZIEMLICH BIZARR, NUR EIN RÄDCHEN IM GETRIEBE ZU SEIN.

BITTE ERKLAREN.

JA.

DEFINITIV.

ICH WERDE ES TUN.

DU WIRST ES NICHT BEDAUERN.

HOFFEN WIR ES. WANN SOLL ICH MICH DENN DARAN MACHEN?

SO BALD WIE MÖGLICH.

ALSO GUT. ICH WERDE MIR ETWAS EINFALLEN LASSEN, UM NOCH EINMAL HINEINZUKOMMEN.

DAS

WAR

DANN ALLES 00000000000000000000000000000000000 000000000000000000000000000000000000000000000000

000000000000000000000000000000000000000000000000

000000000000000000000000000000000000000000000000

000000000000000000000000000000000000000000000000


Da hatte ich es also in seiner Ganzheit. Eine unverzügliche Antwort in kürzerer Zeit als ich benötigte, um meine Hand an die Wange zu heben und eine Straße durch den Rasierschaum zu ziehen. Mein namenloser Gesprächspartner war tatsächlich durchgekommen, und dieses Mal hatte er ein zufriedenstellendes Resultat versprochen. Ich begann vor mich hinzusummen. Selbst eine so verschwommene Aussicht auf Besserung ist besser als überhaupt keine Hoffnung.

Als ich fertig war, ging ich durch das Zimmer schnurstracks in die Küche. Es war ein enger Raum mit einer Spüle voller Schüsseln, ein Geruch nach Curry lag in der Luft. Ich machte mich daran, mir mein Frühstück zusammenzustellen.

In der untersten Schublade des Kühlschrankes lag eine kurze Notiz auf der Packung mit dem Schinken. „Erinnern Sie sich an die Nummer und was ich diesbezüglich gesagt habe“, las ich.

Also spulte ich die verschiedensten Zahlenkombinationen in meinem Geist ab, während ich rührte, anbriet und toastete. Dann, gerade als ich mich an den Küchentisch setzte, kam der Esel herein und starrte mich an.

„Kaffee?“ fragte ich ihn.

„Hören Sie auf damit!“

„Womit?“

„Mit diesen Zahlen. Das ist mehr als ärgerlich.“

„Was für Zahlen?“

„Die, an die Sie denken. Sie schwirren in Ihrem Verstand herum wie Insekten.“

Ich strich Marmelade auf eine Toastscheibe und biß hinein.

„Gehen Sie zum Teufel“, sagte ich. „Meine Verwendungsmöglichkeiten für telepathische Esel sind sehr begrenzt, und was ich in der Abgeschiedenheit meines eigenen Kopfes anstelle, das ist meine Sache.“

„Der menschliche Verstand, Mister Cassidy, lohnt nur selten einen Besuch. Ich habe auch nicht um die Ehre, den Ihren beobachten zu dürfen, ersucht. Nun ist es offensichtlich, ich habe mich geirrt; ich setzte eine gewisse Freundlichkeit bei Ihnen voraus, die aber nicht vorhanden ist. Ich glaube, ich sollte mich entschuldigen.“

„Fahren Sie fort.“

„Gehen Sie doch zum Teufel.“

Ich wandte mich dem Speck und den Eiern zu. Ein oder zwei Minuten vergingen.

„Mein Name ist Sibla“, sagte der Esel schließlich.

Ich entschied, daß mir das ziemlich egal war, und aß weiter.

„Ich bin ein Freund von Ragma – und Charv.“

„Ich verstehe“, sagte ich. „Und die haben Sie als Spion hierhergeschickt, damit Sie in meinem Verstand herumstochern sollen.“

„Das ist nicht richtig. Ich hatte den Auftrag, Sie zu beschützen, bis Sie eine Botschaft erhielten und gemäß dieser Botschaft handeln konnten.“

„Wie haben Sie mich denn beschützt?“

„Indem ich dafür sorgte, daß Sie unverdächtig wirkten …“

„Als Esel, der mir ständig hinterherlief? Wirklich, ausgesprochen unverdächtig.“

„In diesem Fall bin ich mir der Auffälligkeit meines Äußeren durchaus bewußt. Wie ich Ihnen eben erklären wollte, bestand meine Aufgabe darin, Ihre mentale Unauffälligkeit zu wahren. Als Telepath bin ich imstande, Ihre Gedankenausstrahlung zu dämpfen. Das war allerdings nicht nötig, denn der Alkohol dämpft sie schon außerordentlich. Aber ich bin noch immer hier, um Ihre Person vor einer Aufspürung durch einen anderen Telepathen zu schützen.“

„Was für einen anderen Telepathen?“

„Um der Wahrheit die Ehre zu geben, ich weiß es nicht. Auf höchster Ebene wurde die Möglichkeit des Einsatzes eines Telepathen in Betracht gezogen. Ich wurde hergeschickt, sowohl um Ihre Gedanken zu dämpfen als auch um alle unfreundlichen Gedanken anderer Telepathen abzublocken. Zudem wurde ich beauftragt, Identität und Auftrag dieses anderen Individuums herauszufinden.“

„Nun, und was geschah?“

„Nichts. Sie waren betrunken, und niemand versuchte, Sie zu erreichen.“

„Also war die Vermutung falsch.“

„Möglicherweise. Möglicherweise auch nicht.“

Ich aß weiter. Zwischen zwei Bissen fragte ich: „Welchen Rang, oder Status oder was auch immer haben Sie? Denselben wie Charv und Ragma? Oder einen höheren?“

„Weder noch“, antwortete der Esel. „Ich gehöre der Abteilung Kostenplanung und Budgetanalyse an. Ich wurde nur ausgewählt, weil ich der einzige verfügbare Telepath war.“

„Haben Sie irgendwelche Auflagen bezüglich dessen, was Sie mir erzählen dürfen?“

„Man sagte mir, ich solle meine eigene Urteilskraft und meine Vernunft zu Rate ziehen.“

„Seltsam. Nichts in dieser ganzen Angelegenheit scheint irgendwie rational zu sein. Man scheint keine Zeit gehabt zu haben, Sie ausreichend zu instruieren.“

„Richtig. Es war eine recht überstürzte Sache. Ich hatte gerade genug Zeit, herzukommen und den Rollentausch vorzunehmen.“

„Was für einen Rollentausch?“

„Der richtige Esel ist draußen angebunden.“

„Ah ja.“

„Ich lese Ihren Verstand, und ich bin nicht bereit, Ihnen irgendwelche Antworten zu geben, die Ragma nicht geben wollte.“

„Schon gut. Wenn Ihr Urteilsvermögen und Ihr Verstand Ihnen befehlen, Informationen zurückzuhalten, die für meine Sicherheit lebenswichtig sein könnten, dann lassen Sie es eben.“

Ich schluckte die letzte Gabel voll hinunter. „Was ist mit dieser Nachricht, die Sie erwähnten?“

Der Esel sah weg.

„Sie haben ein wenig Bereitwilligkeit ausgedrückt, in dieser Angelegenheit zu kooperieren, nicht wahr?“

„Hatte ich … früher“, sagte ich.

„Aber Sie wollten diese Welt nicht verlassen, um sich bei einem telepathischen Analytiker in Behandlung zu begeben.“

„Das ist korrekt.“

„Wir fragten uns, ob Sie mir eine solche Behandlung erlauben würden – hier und jetzt.“

Ich nahm einen Schluck Kaffee.

„Haben Sie denn große Erfahrung auf diesem Gebiet?“

„Jeder Telepath weiß über die zugehörigen Theorien Bescheid, zudem verfüge ich über eine lebenslange Erfahrung als Telepath …“

„Wenn ich Sie vorhin recht verstanden habe, dann sind Sie ein Buchhalter“, sagte ich. „Versuchen Sie also nicht, sich hier vor einem Eingeborenen aufzuspielen.“

„Schon gut. Ich verfüge über keine große Erfahrung. Aber ich glaube trotzdem, daß ich es schaffen kann. Und die anderen auch, sonst hätte man mich nicht für diesen Versuch ausgewählt.“

„Wer sind ‚die anderen’?“

„Nun … oh, zum Teufel. Charv und Ragma natürlich.“

„Ich habe das Gefühl, in dieser Angelegenheit halten sie sich nicht unbedingt sehr genau an die Dienstvorschriften, habe ich recht?“

„Agenten in Ausübung ihrer Pflicht haben einen außerordentlich großen Freiraum. Den müssen sie haben.“

Ich zündete mir seufzend eine Zigarette an.

„Wie alt ist die Organisation, für die Sie arbeiten?“ fragte ich. Als ich sein Zögern bemerkte, fügte ich noch hinzu: „Sicherlich richtet es keinerlei Schaden an, wenn Sie es mir erzählen.“

„Vermutlich nicht. Einige tausend Jahre – nach Ihren Zeitmaßstäben.“

„Ich verstehe. Mit anderen Worten, es handelt sich um eine der größten und ältesten Bürokratien überhaupt.“

„Ich sehe in Ihrem Verstand, worauf Sie hinauswollen, aber …“

„Lassen Sie es mich trotzdem in Worte fassen. Als Student der Wirtschaftswissenschaften weiß ich, für eine solche Organisation gibt es Evolutionsregeln wie für jeden lebenden Organismus auch. Je länger sie existiert, desto mehr Auswüchse entwickelt sie, die ihre eigene Arbeit und Funktion hemmen. Sie erreicht die Entropie in einem Zustand des totalen Narzißmus. Nur noch die weit entfernten Leute können funktionell arbeiten – und auch das nur, indem sie bei jedem einzelnen ihrer Schritte ein Dutzend Regeln übertreten.“

„Ich gebe zu, dieser Blickwinkel entbehrt nicht eines Körnchens Wahrheit, aber in unserem Fall …“

„Ihre Vorgehensweise verletzt einige Regeln. Ich weiß das. Und ich muß kein Telepath sein, um zu wissen, daß Sie eben deswegen nicht besonders glücklich sind. Oder stimmt das etwa nicht?“

„Ich bin nicht befugt, über Politik oder interne Operationsprozeduren Auskunft zu geben.“

„Natürlich“, sagte ich. „Aber das mußte gesagt werden. Und nun erzählen Sie mir von dieser Analyse. Wie gehen Sie dabei vor?“

„Sie ist vergleichbar mit dem einfachen Wortassoziationstest, mit dem Sie ja vertraut sind. Der einzige Unterschied ist, ich werde es von innen her tun. Ich werde Ihre Reaktionen nicht erraten müssen. Ich werde sie genau wissen.“

„Wie ich dem entnehmen kann, sind Sie außerstande, direkt in mein Unterbewußtsein zu blicken.“

„Das ist richtig. Das kann ich nicht. Ich kann nur Ihre oberflächlichen Gedanken lesen. Wenn ich auf diese Weise etwas Interessantes erfahre, dann kann ich diesem Gedanken aber bis an seine Wurzeln folgen.“

„Ich verstehe. Dann gehört dazu also auch eine beträchtliche Kooperationsbereitschaft von meiner Seite, ohne die sie wenig ausrichten können.“

„O ja. Nur ein außerordentlich erfahrener Profi könnte gegen Ihren Willen eindringen.“

„Gott sei Dank sind keine verfügbar, ein Glück für mich.“

„Ich wünschte, wir hätten welche. Ich bin sicher, die Prozedur wird mir keinen sonderlichen Spaß machen.“

Ich trank meinen Kaffee leer und schenkte mir noch eine Tasse ein.

„Was halten Sie davon, wenn wir heute nachmittag beginnen?“ fragte Sibla.

„Warum nicht gleich?“

„Ich würde lieber warten, bis Ihr Nervensystem wieder seinen Normalzustand erreicht hat. Die Alkoholika, die Sie konsumiert haben, bewirken noch immer beträchtliche Nebeneffekte. Diese machen das Gedankenlesen schwieriger.“

„Ist das immer so?“

„Im Prinzip, ja.“

„Interessant.“

Ich nippte an meinem Kaffee.

„Jetzt machen Sie es ja schon wieder!“

„Was?“

„Diese Zahlen. Nur Zahlen!“

„Tut mir leid. Es ist schwer, nicht an sie zu denken.“

„Das ist nicht der Grund.“

Ich stand auf. Ich streckte mich.

„Entschuldigen Sie mich bitte. Ich muß noch einmal das Badezimmer benutzen.“

Sibla sprang auf, um mir den Weg zu verstellen, aber ich war schneller.

„Sie denken doch nicht daran, sich aus dem Staub zu machen? Sind das die Gedanken, die Sie vor mir verbergen?“

„Ich habe nichts dergleichen gesagt.“

„Das ist auch nicht nötig. Ich kann es fühlen. Sie machen einen Fehler, wenn Sie das tun.“

Ich ging zur Tür. Sibla beeilte sich, mir zu folgen.

„Ich werde Ihnen nicht erlauben zu gehen – nicht nach all den Erniedrigungen, die ich in diesem miesen Körper Ihretwegen habe hinnehmen müssen.“

„Das ist keine Art, mit jemandem zu reden“, sagte ich. „Schon gar nicht, wenn man von dem Betreffenden etwas will.“

Ich rannte den Korridor entlang ins Klo hinein. Sibla kam hinterhergeklappert.

Wir tun Ihnen einen Gefallen! Sie sind nur zu dumm, um das zu erkennen!“

„,Uninformiert’ wäre wohl das bessere Wort – und das ist einzig und allein Ihre Schuld!“

Ich schlug die Tür zu und verriegelte sie.

„Warten Sie! Hören Sie zu! Wenn Sie jetzt gehen, dann können Sie in ernsthafte Schwierigkeiten kommen!“

Ich lachte. „Tut mir leid. Sie tragen ein wenig zu dick auf!“

„Dann gehen Sie eben, Sie ungebildeter Affe! Werfen Sie Ihre Chance auf Zivilisation weg!“

„Wovon sprechen Sie?“

Stille.

Dann: „Nichts. Tut mir leid. Aber Sie müssen wissen, es ist sehr wichtig.“

„Das wußte ich bereits. Was ich noch wissen möchte ist, warum?“

„Das kann ich Ihnen nicht sagen.“

„Dann gehen Sie zum Teufel“, sagte ich.

„Ich wußte, es würde den Aufwand nicht wert sein“, sagte Sibla. „Nach allem, was ich gesehen habe, ist Ihre Rasse lediglich ein Haufen von Barbaren und Degenerierten.“

Ich wandte mich dem Fenster zu, öffnete es weit. Dann schwang ich mich auf den Sims, wo ich einen Moment verharrte, um die Entfernung zu schätzen.

„Immer noch besser als ein Haufen Klugscheißer“, sagte ich, dann sprang ich.



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