KAPITEL NEUN SCHATTENBLENDEN

Gleißend ging die G2-Sonne hinter dem geraden schwarzen Rand des Ringes auf. Die Helligkeit schmerzte, bis Der-zu-den-Tierenspricht die Hülle polarisierte. Louis betrachtete die Sonnenscheibe, und er entdeckte einen scharfen dunklen Umriß, der eine Ecke der Sonnenscheibe verdeckte. Eine Schattenblende.

»Wir müssen vorsichtig sein«, warnte Nessus. »Wenn wir mit gleicher Geschwindigkeit wie der Ring über der inneren Oberfläche schweben, werden wir bestimmt angegriffen!«

Die Antwort von Der-zu-den-Tieren-spricht war ein fauchendes Gähnen. Nach so vielen Stunden hinter den Kontrollen schien der Kzin zu ermüden. »Mit welchen Waffen denn? Wir haben bereits festgestellt, daß die Ringweltkonstrukteure nicht einmal eine funktionierende Radiostation betreiben!«

»Wir wissen nichts über ihre Form der Kommunikation. Telepathie vielleicht, oder Resonanzschwingungen im Ringweltboden. Elektrische Impulse in metallenen Leitungen. Genausowenig wissen wir über ihre Waffen. Wenn wir über ihnen schweben, werden sie das als ernsthafte Bedrohung ansehen. Sie werden alles gegen uns richten, was sie haben.«

Louis nickte zustimmend. Er war von Natur aus nicht sehr vorsichtig, und die Ringwelt reizte seine Neugierde aufs äußerste. Doch der Puppenspieler hatte recht.

Wenn die Liar über der inneren Ringoberfläche schwebte, stellte sie einen potentiellen Meteor dar. Einen ziemlich großen Meteor. Wenn die Lying Bastard sich nur mit Orbitalgeschwindigkeit bewegte, stellte ihre Masse eine höllische Gefahr dar. Eine einzige Berührung der Atmosphäre, und sie würde kreischend und glühend mit mehreren hundert Meilen pro Sekunde auf die Oberfläche stürzen. Wenn sie sich schneller bewegte und unter Zuhilfenahme ihrer Antriebe eine gekrümmte Bahn verfolgte, würde die Bedrohung zwar geringer sein, dafür aber um so deutlicher: Falls die Antriebe versagten, würde die eigene Massenträgheit das Schiff auf bewohntes Land schleudern. Die Ringweltler würden Meteoriten nicht auf die leichte Schulter nehmen. Nicht, wenn eine einzige Perforation ausreichte, um die gesamte Atemluft der Ringwelt zwischen die Sterne entweichen zu lassen.

Der Kzin wandte sich von seinem Instrumentenpult ab und fand sich Auge in Auge mit den beiden flachen Köpfen des Puppenspielers wieder. »Also schön. Ihre Befehle?«

»Zuerst verzögern Sie das Schiff auf Orbitalgeschwindigkeit.«

»Und dann?«

»Beschleunigen Sie auf die Sonne zu. Wir können die Innenseite der Ringwelt bis zu einem gewissen Grad studieren, während sie unter uns kleiner wird. Unser wichtigstes Ziel sind im Augenblick die Schattenblenden.«

»Soviel Vorsicht ist unnötig und beschämend. Wir haben nicht das geringste Interesse an diesen Blenden.«

Tanj! dachte Louis. Er war hungrig und müde. Mußte er sich schon wieder als Friedensstifter für die beiden Aliens betätigen? Es war einfach zu lange her, daß einer von ihnen gegessen oder geschlafen hatte. Und wenn Louis schon müde war, dann war der Kzin vollkommen erschöpft und aggressiv.

Der Puppenspieler erwiderte: »Wir haben im Gegenteil ein ausgesprochen starkes Interesse an den Schattenblenden. Ihre Fläche fängt mehr Sonnenlicht ein als die gesamte Ringwelt. Sie würden ideale thermoelektrische Generatoren für die Energieversorgung der Ringwelt abgeben.«

Der Kzin schnarrte etwas Beleidigendes in der Heldensprache. Seine Antwort auf Interspeak klang dagegen geradezu lächerlich milde: »Sie sind unvernünftig. Wir haben absolut kein Interesse an der Energieversorgung dieser Welt. Lassen Sie uns landen, einen Eingeborenen suchen und ihn nach seiner Energieversorgung fragen.«

»Ich weigere mich, eine Landung in Betracht zu ziehen!«

»Zweifeln Sie an meinen Fähigkeiten als Pilot?«

»Zweifeln Sie an meinen Fähigkeiten als Hinterster?«

»Da Sie dieses Thema anschneiden…«

»Ich trage immer noch den Tasp bei mir, Sprecher-zu-den-Tieren! Ein Wort von mir, und die Long Shot und ihr Quantum II Hyperraumantrieb wird verschrottet! Ich bin der Hinterste an Bord dieses Schiffes! Das sollten Sie lieber nicht vergessen…«

»Aufhören!« befahl Louis scharf.

Sie starrten ihn an.

»Ihr Streit ist verfrüht«, sagte Louis müde. »Warum richten Sie nicht die Teleskope auf die Schattenblenden? Auf diese Weise haben Sie beide mehr Fakten, die Sie sich gegenseitig um die Ohren schlagen können. Das macht viel mehr Spaß.«

Nessus blickte sich selbst in die Augen. Der Kzin zog seine Krallen ein.

»Auf einer pragmatischeren Ebene«, fuhr Louis fort, »sind wir alle am Ende. Müde. Hungrig. Wer kämpft schon gern mit leerem Magen? Ich werde mich jetzt für eine Stunde unter die Schlafhaube legen. Ich schlage vor, Sie tun das gleiche.«

Teela war schockiert. »Du willst nicht hierbleiben? Wir werden die Innenseite sehen!«

»Sieh dir alles an. Erzähl mir später, was du gesehen hast.« Er ging.


Als er aufwachte, war er erledigt und heißhungrig. Hunger ließ ihn zwischen den Schlafplatten hervorkriechen und hielt ihn lange genug in der Kabine fest, um sich einen Imbiß zu wählen. Mit dem Essen in einer Hand schlenderte er in die Lounge.

»Was hat sich inzwischen getan?«

Unterkühlt antwortete Teela über den Rand eines Leseschirms hinweg: »Du hast alles versäumt! Slaver-Schiffe, Nebeldämonen, Weltraumdrachen, kannibalisierende Sternsäer, und alle griffen gleichzeitig an. Der-zu-den-Tieren-spricht mußte sie mit bloßen Krallen abwehren! Es hätte dir gefallen!«

»Nessus?«

Der Puppenspieler antwortete aus dem Kontrollraum. »Der-zuden-Tieren-spricht und ich haben uns darauf geeinigt, zuerst die Schattenblenden zu untersuchen! Der Kzin schläft gerade. Wir werden bald wieder im freien Raum sein.«

»Gibt es etwas Neues?«

»Ja, eine Menge. Ich zeige es Ihnen.«

Der Puppenspieler bediente die Bildschirmkontrollen. Er schien die Kzinti-Schriftsymbole irgendwoher zu kennen.

Das Bild auf dem Schirm sah aus wie die Erde aus großer Höhe: Gebirge, Seen, Täler, Flüsse und große, trockene Flächen, Ödland.

»Wüsten?«

»Es scheint so, Louis«, erwiderte Nessus. »Der-zu-den-Tierenspricht hat Temperatur- und Feuchtigkeitsspektren aufgenommen. Die Hinweise verdichten sich, daß die Ringweltler in die Barbarei zurückgefallen sind, zumindest teilweise. Weshalb sonst sollte es Wüsten geben?

Außerdem entdeckten wir einen weiteren tiefen Salzwasserozean auf der gegenüberliegenden Seite des Rings, genauso groß wie dieser hier. Die Spektren bestätigen das Salz. Offenbar hielten es die Konstrukteure für nötig, die gewaltigen Wassermassen auszubalancieren.«

Louis kaute auf seinem Imbiß.

»Ihr Vorschlag war übrigens gar nicht schlecht«, fuhr Nessus fort. »Sie sind vielleicht unser geschicktester Diplomat, obwohl Der-zuden-Tieren-spricht und ich darin ausgebildet sind. Nachdem wir die Teleskope auf die Schattenblenden gerichtet hatten, erklärte der Kzin sich bereit, die Blenden doch aus der Nähe zu untersuchen.«

»So? Und warum?«

»Wir entdeckten eine merkwürdige Besonderheit. Die Schattenblenden bewegen sich mit einer beträchtlich höheren als der Orbitalgeschwindigkeit.«

Louis hörte auf zu kauen.

»Das ist nicht unmöglich, Louis«, fügte der Puppenspieler hinzu. »Die Blenden bewegen sich vielleicht auf stabilen elliptischen Bahnen um die Sonne. Sie müssen nicht unbedingt einen konstanten Abstand einhalten.«

Louis schluckte angestrengt, um den Mund zu leeren. »Unsinn! Dann wären die Tage verschieden lang.«

»Wir überlegten, daß sie auf diese Weise vielleicht Sommer und Winter voneinander trennen wollten«, wandte Teela ein, »indem sie die Dauer der Nächte variierten. Winternächte sind natürlich länger. Aber das macht irgendwie keinen Sinn.«

»Macht es auch nicht. Die Blenden haben eine Umlaufzeit von knapp einem Monat. Wer braucht ein Jahr, das alle drei Wochen von vorn anfängt?«

»Sie sehen unser Problem«, flötete Nessus. »Die Anomalität war zu klein, als daß meine Artgenossen sie von der Weltenflotte aus hätten entdecken können. Was verursacht die Unregelmäßigkeit? Ist die Gravitation in der Nähe des Zentralgestirns möglicherweise unerwartet hoch, so daß eine höhere Orbitalgeschwindigkeit erforderlich ist? Jedenfalls sind die Schattenblenden einen genaueren Blick wert.«


Die Zeit verging. Ein rechteckiger Schatten schob sich vor die Sonne und gab sie wieder frei.

Der Kzin kam aus seiner Kabine, wechselte ein paar Höflichkeiten mit den beiden Menschen in der Lounge und ging dann, um Nessus im Kontrollraum abzulösen.

Kurz darauf kam der Puppenspieler zum Vorschein. Nichts deutete auf einen Streit oder Unstimmigkeiten hin; doch unvermittelt bemerkte Louis, daß der Puppenspieler vor dem mörderischen Blick des Kzinti zurückwich. Der-zu-den-Tieren-spricht sah aus, als wollte er Nessus umbringen.

»Okay«, seufzte Louis resignierend. »Was ist jetzt schon wieder?«

»Dieser Blätterfresser!« fauchte der Kzin und drohte an seiner Wut zu ersticken. »Unser schizophrener Führer-von-hinten hat den Kurs während meiner Freiwache so korrigiert, daß wir ein Minimum an Treibstoff verbrauchen! Bei dieser Geschwindigkeit dauert es vier Monate, bis wir den Gürtel der Schattenblenden erreichen!« Er fing an, in der Heldensprache zu fluchen.

»Sie haben uns selbst auf diesen Kurs gebracht«, widersprach der Puppenspieler sanft.

Die Stimme des Kzin wurde noch lauter. »Ich hatte die Absicht, langsam von der Ringwelt wegzusteuern, damit wir die innere Oberfläche möglichst lange beobachten konnten! Anschließend hätten wir direkt auf die Blenden zu beschleunigen können und wären in ein paar Stunden dort eingetroffen, anstatt in Monaten!«

»Sie brauchen gar nicht so zu brüllen, Sprecher-zu-den-Tieren! Wenn wir direkt auf die Schattenblenden zusteuern, kreuzen wir die Ebene der Ringwelt. Das will ich unter allen Umständen vermeiden!«

»Er kann ja direkt auf die Sonne zusteuern«, meinte Teela.

Alle drehten sich zu ihr um.

»Wenn die Ringweltler Angst haben, daß wir auf sie fallen«, erklärte Teela geduldig, »dann berechnen sie bestimmt gerade unseren wahrscheinlichen Kurs. Wenn unser Kurs direkt auf die Sonne zielt, bedeuten wir keine Gefahr. Verstehen Sie?«

»Das könnte funktionieren«, sagte der Kzin.

Der Puppenspieler erschauerte. »Sie sind der Pilot. Machen Sie, was Sie wollen. Aber vergessen Sie nicht…«

»… ich habe nicht die Absicht, durch die Sonne zu steuern, Nessus. Wenn es soweit ist, drehen wir ab und passen unseren Kurs dem Gürtel der Schattenblenden an.« Der Kzin machte kehrt und stampfte in den Kontrollraum zurück. Es ist gar nicht leicht für einen Kzin zu stampfen.

Die Lying Bastard ging auf einen Parallelkurs zur Ebene der Ringwelt. Der Kzin hielt sich an die Befehle des Puppenspielers und benutzte lediglich Thruster, und so war mit bloßem Auge nicht viel Veränderung zu erkennen. Der-zu-den-Tieren-spricht verringerte die Orbitalgeschwindigkeit, so daß das Schiff auf einer Spirale der Sonne entgegenfiel. Schließlich schwang er den Bug herum und beschleunigte direkt auf die Sonne zu.

Die Ringwelt war ein breites blaues Band, überzogen von Wolkenfeldern und -wirbeln aus blendendem Weiß. Sie schrumpfte nun sichtlich. Der Kzin hatte es eilig.

Louis wählte zwei Gefäße mit Mokka und reichte eins davon Teela über den Tisch.

Er konnte den Ärger des Kzin gut verstehen. Die Ringwelt machte ihm Angst. Er war davon überzeugt, daß er landen mußte… und er wollte es hinter sich bringen, bevor er endgültig die Nerven verlor.


Der-zu-den-Tieren-spricht kehrte in die Lounge zurück. »Wir erreichen den Orbit der Schattenblenden in ungefähr vierzehn Stunden«, sagte er. »Nessus, die Krieger des Patriarchats werden von Jugend an zur Geduld erzogen, aber ihr Blätteresser besitzt die Geduld eines Leichnams!«

»Wir kommen vom Kurs ab«, sagte Louis plötzlich und erhob sich halb. Der Bug des Schiffs schwenkte von der Sonne weg.

Nessus schrie auf und machte einen Satz quer durch die Lounge. Er war mitten im Sprung, als die Liar aufflackerte wie das Innere einer Blitzlichtbirne. Das Schiff machte einen Satz…


Diskontinuität.


… das Schiff machte einen Satz, der trotz der Kabinengravitation zu spüren war. Louis griff nach der Rückenlehne eines Liegestuhls und hielt sich daran fest. Teela fiel mit unglaublicher Zielgenauigkeit in ihre eigene Crashliege. Der Puppenspieler war zu einer Kugel zusammengerollt, als er gegen die Kabinenwand prallte. Alles war in intensiv violettes Leuchten getaucht. Dann: Die Dunkelheit dauerte nur einen Sekundenbruchteil und wich einem düsteren Licht von der Farbe einer UV-Röhre.

Es kam von draußen. Von überall rings um die Hülle.

Der Kzin hatte anscheinend das Steuermanöver beendet und dem Autopiloten die Kontrolle überlassen. Und dann, überlegte Louis blitzschnell, hat der Autopilot den Kurs nachgerechnet, entschieden, daß die Sonne ein gefährliches Hindernis auf Kollisionskurs war, und Maßnahmen ergriffen, um einem Zusammenstoß auszuweichen.

Die Kabinenschwerkraft erreichte wieder ihren Normalwert. Louis rappelte sich vom Boden auf. Er war unverletzt. Das gleiche galt offensichtlich auch für Teela. Sie stand an der Kabinenwand und starrte durch das violette Licht in den Raum hinaus.

»Die Hälfte meiner Instrumentenkonsole ist ausgefallen«, verkündete Der-zu-den-Tieren-spricht.

»Und die Hälfte Ihrer Instrumente«, ergänzte Teela. »Der Deltaflügel ist nämlich verschwunden.«

»Bitte?«

»Der Deltaflügel ist verschwunden!«

Er war tatsächlich verschwunden. Genau wie alles, was am Flügel montiert gewesen war: Thruster, Fusionsantriebe, Kommunikationsausrüstung, Landevorrichtung. Nichts war von der Lying Bastard übriggeblieben, das nicht durch die General-Products-Zelle geschützt gewesen war.

»Man hat uns beschossen!« fauchte Der-zu-den-Tieren-spricht. »Wir werden noch immer beschossen, wahrscheinlich mit Röntgenlasern! Dieses Schiff befindet sich ab sofort im Kriegszustand! Ich übernehme das Kommando!«

Nessus widersprach nicht. Der Puppenspieler war noch immer zu einer Kugel zusammengerollt. Louis kniete neben ihm nieder und tastete ihn vorsichtig ab.

»Finagle weiß, daß ich kein Arzt bin. Schon gar nicht für Aliens. Ich kann keine Verletzungen entdecken.«

»Er hat Angst, das ist alles. Er würde sich am liebsten in seinem eigenen Bauch verkriechen. Sie und Teela werden ihn festschnallen und in Ruhe lassen.«

Louis war nicht weiter überrascht, den Befehlen zu gehorchen. Er war vollkommen durcheinander. Einen Augenblick zuvor war das hier noch ein Raumschiff gewesen, und jetzt war es nicht mehr viel mehr als eine gläserne Nadel, die auf die Sonne zustürzte.

»Wir haben es nicht mit einer friedliebenden Zivilisation zu tun«, fauchte der Kzin. »Ein Röntgenlaser ist ohne jeden Zweifel eine Kriegswaffe. Gäbe es nicht unsere unverwundbare Schiffszelle, wären wir jetzt alle tot!«

»Das Slaver-Stasisfeld muß sich ebenfalls eingeschaltet haben«, sagte Louis. »Wer weiß, wie lange wir in Stasis verbracht haben.«

»Höchstens ein paar Sekunden«, erwiderte Teela. »Dieser violette Nebel rings um das Schiff muß vom Metall unseres Flügels stammen. Er fluoresziert noch.«

»Angeregt vom Laserbeschuß!« knurrte Louis. »Es wird gleich vergehen.« Tatsächlich hatte die Intensität des Leuchtens bereits abgenommen.

»Idiotisch, daß unsere automatischen Systeme so stur auf Defensive programmiert sind! Diese Puppenspieler haben nicht die geringste Ahnung von Angriffswaffen!« fauchte Der-zu-den-Tieren-spricht. »Selbst unsere Fusionsmotoren waren auf dem Flügel! Der Gegner beschießt uns immer noch! Er wird bald spüren, was es heißt, einen Kzin anzugreifen!«

»Sie wollen den Angriff erwidern?«

Der Kzin kannte keinen Sarkasmus. »Das werde ich!«

»Und womit?« explodierte Louis. »Wissen Sie eigentlich, was uns noch geblieben ist? Ein Hyperantrieb und das Lebenserhaltungssystem — das ist alles! Wir besitzen nicht einmal mehr Korrekturdüsen. Sie müssen größenwahnsinnig sein, wenn Sie glauben, in diesem Ding noch einen Krieg zu gewinnen!«

»Das glaubt der Feind! Er hat ja gar keine Ahnung…«

»Welcher Feind?«

»… was es bedeutet, einen Kzin herauszufordern…«

»Automatische Laser, Sie Idiot! Ein Feind hätte in dem Augenblick auf uns zu schießen angefangen, in dem wir in Reichweite seiner Waffen kamen!«

»Ich habe mich schon über die komische Strategie gewundert.«

»Automatiken! Röntgenlaser zur Meteoritenabwehr! Darauf programmiert, alles aus dem Raum zu schießen, was den Ring treffen könnte. Als unser vorausberechneter Kurs die Ebene des Rings kreuzte — Peng! Laser.«

»Das… ist möglich.« Der Kzin klappte Deckel über ausgefallenen Instrumenten zu. »Trotzdem hoffe ich, Sie täuschen sich.«

»Sicher. Dann könnten Sie die Schuld auf jemand anderen abwälzen, nicht wahr?«

»Das meinte ich nicht. Ich hoffe, unser Kurs kollidiert nicht mit dem Ring.« Der Kzin hatte die Hälfte der Instrumente zugeklappt. Er klappte weitere Deckel herab, während er redete. »Unsere Geschwindigkeit ist hoch. Wir würden aus dem System getragen, aus dem Bereich der lokalen Singularität heraus. Dann könnten wir den Hyperraumantrieb benutzen und zur Weltenflotte der Puppenspieler zurückkehren. Das geht aber nur, wenn wir nicht auf den Ring stürzen.«

So weit hatte Louis noch gar nicht gedacht. »Sie müssen es verdammt eilig gehabt haben, nicht wahr?« sagte er bitter.

»Wenigstens stürzen wir nicht in die Sonne. Die Laser hätten nicht gefeuert, wenn unser projizierter Kurs nicht an der Sonne vorbeigeführt hätte.«

»Die Laser feuern noch immer«, berichtete Teela. »Ich kann Sterne durch den Dampf hindurch erkennen, doch das violette Leuchten ist noch da. Das bedeutet, daß wir auf die Ringwelt stürzen, oder?«

»Das bedeutet genau das, falls die Laser von Automatiken gesteuert werden«, fluchte Louis.

»Werden wir sterben, wenn wir den Ring treffen?«

»Da mußt du Nessus fragen. Seine Leute haben die Liar gebaut. Versuch, ob du ihn dazu bewegen kannst, sich auseinanderzurollen.«

Der Kzin schnaubte angewidert. Inzwischen hatte er den größten Teil der Instrumentenkonsole zugeklappt. Ein paar traurige Leuchtdioden glühten weiter und deuteten an, daß wenigstens ein Teil der Lying Bastard noch lebte.

Teela Brown beugte sich über den Puppenspieler, der noch immer zu einer Kugel zusammengerollt unter dem dünnen Netz seiner Crashliege lag. Entgegen Louis’ Vorhersage hatte sie nicht das leiseste Anzeichen von Panik gezeigt, seit der Laserbeschuß eingesetzt hatte. Jetzt streichelte sie mit den Händen über die beiden Hälse des Puppenspielers und kraulte ihn sanft, wie sie es zuvor bei Louis gesehen hatte.

»Sie sind ein kleiner Feigling«, tadelte sie den verängstigten Puppenspieler. »Kommen Sie schon, zeigen Sie sich! Sehen Sie mich an! Ihnen entgeht ja der ganze Trubel!«


Zwölf Stunden später befand sich Nessus noch immer im Zustand der Katatonie. »Wenn ich ihm gut zurede, rollt er sich nur noch fester zusammen.« Teela war den Tränen nahe. Sie hatten sich zum Abendessen in ihre Kabine zurückgezogen, doch Teela brachte nichts hinunter. »Ich mache es falsch, Louis. Ich weiß es!«

»Du betonst dauernd die Aufregung. Nessus ist nicht auf Aufregungen aus«, erklärte ihr Louis. »Vergiß es. Er tut niemandem weh. Wenn wir ihn brauchen, wird er sich schon aufrollen, und wenn es nur ist, um sein Leben zu verteidigen. Soll er bis sich dahin ruhig in seinem Bauch verstecken.«

Teela ging unglücklich auf und ab. Es war ein halbes Taumeln — sie hatte sich noch immer nicht richtig an den Unterschied zwischen Schiffsgravitation und Erdschwere gewöhnt. Sie setzte an zu reden, überlegte es sich anders, überlegte erneut und sprudelte dann hervor: »Hast du Angst?«

»Ja.«

»Dachte ich mir.« Sie nickte und ging wieder auf und ab. Schließlich fragte sie: »Warum hat Der-zu-den-Tieren-spricht keine Angst?«

Weil der Kzin seit dem Angriff nicht mehr zur Ruhe gekommen war: Waffenbestand katalogisieren, einfache trigonometrische Berechnungen, um den Kurs festzulegen, gelegentlich knappe, rationale Befehle, die augenblicklichen Gehorsam verlangten.

»Ich glaube, der Sprecher-zu-den-Tieren leidet unter entsetzlicher Angst. Erinnerst du dich noch, wie er reagierte, als er die Welt der Puppenspieler zum ersten Mal sah? Er hat Angst, aber er will nicht, daß Nessus es weiß.«

Teela schüttelte den Kopf. »Das begreife ich nicht! Das begreife ich einfach nicht! Warum hat jeder außer mir Angst?«

Liebe und Mitleid stritten in Louis wider und verursachten einen Schmerz, der so alt, so fast vergessen war, daß er sich schon beinahe wieder neu anfühlte. Ich bin neu hier, und alle wissen Bescheid, nur ich nicht! Er versuchte, es ihr zu erklären: »Nessus hatte nicht ganz unrecht. Du hast dich in deinem Leben niemals verletzt, oder? Du hattest zuviel Glück, um verletzt zu werden. Wir haben Angst, uns zu verletzen, und das kannst du nicht verstehen, weil du niemals diese Erfahrung gemacht hast.«

»Das ist verrückt! Ich habe mir nie einen Knochen oder sonstwas gebrochen, aber das ist doch keine PSI-Kraft oder etwas in der Art!«

»Nein. Glück hat nichts mit PSI zu tun. Glück ist eine statistische Größe, und du bist ein mathematischer Glückspilz. Es gibt dreiundvierzig Milliarden Menschen im Bekannten Weltraum. Es hätte mich überrascht, wenn Nessus niemanden wie dich gefunden hätte. Verstehst du nicht, was er getan hat?

Er suchte gezielt nach Nachkommen von Gewinnern der Geburtsrechts-Lotterie. Er sagt, es gäbe Tausende, doch ich gehe jede Wette ein: Wenn er unter all diesen Tausenden nicht gefunden hätte, wonach er suchte, dann wäre er die Gruppe durchgegangen, bei der nur einer der Vorfahren seine Geburt der Lotterie verdankt. Das hätte ihm eine millionenfache Auswahl beschert…«

»Was hat er denn nun wirklich gesucht?«

»Dich. Er fing mit den paar tausend Leuten an, die in Frage kamen, und eliminierte all diejenigen, die irgendwann mal Pech hatten. Hier einer, der sich mit dreizehn den Finger gebrochen hat. Dort ein Mädchen mit psychischen Problemen. Ein anderes mit Akne. Der Mann gerät in Streitereien und verliert. Der andere gewinnt, aber er verliert anschließend den Prozeß. Ein Bursche, der Modellraketen steigen ließ, bis er sich den Daumennagel verbrannte. Ein Mädchen, das ständig beim Roulette verliert… verstehst du jetzt? Du bist das Mädchen, das immer Glück gehabt hat. Bei dir fiel der Toast nie auf die gebutterte Seite.«

Teela blickte ihn nachdenklich an. »Es hat was mit Wahrscheinlichkeit zu tun, ja? Aber Louis, ich gewinne nicht immer beim Roulette.«

»Aber du hast auch nie soviel verloren, daß es dir weh getan hat.«

»N-nein.«

»Und genau danach hat Nessus gesucht.«

»Du willst damit sagen, daß ich eine Art Mißgeburt bin!«

»Tanj nein! Ich sage genau das Gegenteil! Nessus eliminierte immer weiter Kandidaten, die Pech gehabt haben, bis er bei dir landete. Er meint, er habe eine neues grundlegendes Prinzip entdeckt. Was er in Wirklichkeit entdeckt hat, ist das ganz weit außen liegende Ende einer Gaußschen Normalverteilung.

Die Wahrscheinlichkeitsrechnung sagt, daß es dich geben muß. Sie sagt auch, daß deine Chance zu verlieren, wenn du das nächste Mal eine Münze wirfst, genauso hoch ist wie meine: Fünfzig Prozent. Madame Glück besitzt nämlich kein Gedächtnis.«

Teela ließ sich in einen Sessel fallen. »Ein schöner Glücksbringer bin ich! Der arme Nessus. Ich habe bei ihm versagt.«

»Geschieht ihm recht.«

Ihre Mundwinkel zuckten. »Wir könnten es herausfinden.«

»Was?«

»Nimm eine gebutterte Scheibe Toast. Wir werfen sie hoch.«


Die Schattenblende war schwärzer als schwarz — ein Schwarz von der schwer herstellbaren, definitiven Sorte, die man in der Schule bei Experimenten mit Schwarzen Körpern einsetzt. Eine Ecke schob sich in scharf umrissenem Winkel über das blau durchbrochene Band der Ringwelt. Mit dieser Ecke als Anhaltspunkt waren Auge und Gehirn imstande, sich den Rest der Blende auszumalen — ein schmales rechteckiges Stück Weltraumschwärze ohne jeden Stern darin. Schon überdeckte es einen beträchtlichen Teil des Blickfelds, und es wuchs weiter.

Louis trug gewölbte Augengläser aus einem Material, das sich partiell verdunkelte, wo zuviel kohärentes Licht auftraf. Die Polarisation der Schiffshülle reichte nicht mehr aus. Der-zu-den-Tierenspricht war im Kontrollraum und kontrollierte, was von den Instrumenten noch zu kontrollieren war. Er trug ebenfalls eine Brille. Sie hatten zwei einzelne Gläser mit jeweils einem kurzen Gummiband daran gefunden und sie Nessus mit sanfter Gewalt auf die Köpfe gezwungen.

Für Louis mit seiner Brille war die nur zwölf Millionen Meilen entfernte Sonne ein verschwommener Flammenring rings um eine große schwarze Scheibe. Alles war so heiß, daß man es kaum anfassen konnte. Die Lufterneuerer heulten wie ein Wirbelsturm.

Teela öffnete ihre Kabinentür und schloß sie hastig wieder. Als sie erneut hervorkam, trug sie ebenfalls eine Brille. Sie gesellte sich zu Louis am Tisch in der Lounge.

Die Schattenblende war ein bedrohliches Nichts. Es war, als wäre jemand mit einem nassen Tuch über eine schwarze Tafel gegangen und hätte einen Streifen aus Kreidesternen ausgewischt.

Das Heulen der Klimaanlage machte jede Unterhaltung unmöglich.

Wie entledigte sich die Klimaanlage nur ihrer Abwärme, wo die Sonne draußen so heiß war wie ein Hochofen? Überhaupt nicht, entschied Louis. Sie mußte die Hitze speichern. Irgendwo im Lufterneuerungssystem war eine Stelle, die so heiß war wie ein Stern und mit jeder Sekunde heißer wurde.

Eine Sache mehr, um die sie sich sorgen mußten.

Das schwarze Rechteck wuchs weiter.

Es war die schiere Größe, die es scheinbar so langsam näher kommen ließ. Die Schattenblende war so breit wie die Sonne, fast eine Million Meilen, und ein gutes Stück länger: zweieinhalb Millionen Meilen. Beinahe unvermittelt wurde sie gigantisch. Ihr Rand glitt über die Sonne, und plötzlich herrschte Dunkelheit.

Die Schattenblende verdeckte das halbe Universum. Ihre Ränder waren ein vages, schrecklich anzusehendes Schwarz in Schwarz.

Hinter dem Kabinenblock glühte ein Teil des Schiffes weiß. Die Lufterneuerungsanlage strahlte Abwärme ab, solange sie Gelegenheit dazu hatte. Louis zuckte die Schultern und wandte sich ab, um die Schattenblende zu beobachten.

Das Kreischen der Lufterneuerung brach ab und hinterließ ein Rauschen in Louis’ Ohren.

»So weit, so gut«, sagte Teela unsicher.

Der-zu-den-Tieren-spricht kam aus dem Kontrollraum. »Eine Schande, daß der Teleskopschirm nicht mehr funktioniert. Wir könnten eine Antwort auf zahlreiche Fragen finden.«

»Zum Beispiel?« erkundigte sich Louis.

»Warum bewegen sich die Schattenblenden schneller, als es ihrer Orbitalgeschwindigkeit entspricht? Dienen sie tatsächlich der Energiegewinnung für die Ringwelt? Was hält sie stets der Sonne zugekehrt? All die Fragen, die der Blätteresser gestellt hat, könnten wir beantworten, wenn wir einen funktionierenden Teleskopschirm hätten.«

»Werden wir in die Sonne stürzen?«

»Selbstverständlich nicht. Das habe ich ihnen doch schon erklärt, Louis. Wir werden eine halbe Stunde lang hinter dieser Blende bleiben. Eine Stunde darauf werden wir zwischen der nächsten Blende und der Sonne hindurchschießen. Falls die Hitze zu groß wird, können wir das Stasisfeld einschalten.«

Die Stille machte sich bemerkbar. Die Schattenblende war ein konturloses Schwarz ohne Grenzen. Ein menschliches Auge kann mit reinem Schwarz nichts anfangen.

Schließlich kam die Sonne wieder hervor. Erneut war die Kabine erfüllt vom Heulen der Lufterneuerer.

Louis suchte den Himmel ab, bis er die nächste Blende gefunden hatte.

Er beobachtete, wie sie näher kam, als der Blitz erneut einschlug.

Es sah jedenfalls aus wie ein Blitz. Und es kam wie ein Blitz, ohne Vorwarnung. Einen Augenblick lang war es entsetzlich hell, Weiß mit einer Spur Violett. Das Schiff machte einen Satz…


Diskontinuität.


machte einen Satz, und das Licht war verschwunden. Louis steckte zwei Finger unter seine Brille und rieb sich die schmerzenden Augen.

»Was war das?« rief Teela benommen.

Louis’ Sicht wurde langsam wieder klar. Er sah, daß Nessus einen bebrillten Kopf hervorgestreckt hatte, daß der Kzin sich an einem der Schränke zu schaffen machte; daß Teela ihn anstarrte… Nein, sie starrte auf etwas hinter seinem Rücken. Louis drehte sich um.

Die Sonne war eine große schwarze Scheibe, kleiner als vorhin, umgeben von einem gelb-weißen Flammenkranz. Sie war während des Augenblicks im Stasisfeld beträchtlich geschrumpft. Der »Augenblick« mußte Stunden gedauert haben. Das Kreischen der Lufterneuerungsanlage hatte sich zu einem unangenehmen Wimmern abgeschwächt.

Irgend etwas brannte dort draußen.

Ein gewundener Faden in Schwarz, extrem dünn, umgeben von violett-weißem Leuchten. Es waren keine Enden zu erkennen.

Ein »Ende« verlor sich in der schwarzen Scheibe, hinter der sich die Sonne verbarg. Das andere verlief im Raum vor der Liar, bis es zu klein wurde, um es mit bloßem Auge zu sehen.

Der Faden zuckte und wand sich wie ein verwundeter Regenwurm.

»Es scheint, als wären wir mit irgend etwas zusammengestoßen«, sagte Nessus mit erstaunlicher Gelassenheit. Fast, als wäre er nie in Katatonie gewesen. »Sprecher-zu-den-Tieren, Sie müssen nach draußen gehen und sich die Sache ansehen. Bitte steigen Sie in Ihren Raumanzug.«

»Wir befinden uns im Kriegszustand«, fauchte der Kzin. »Ich befehle jetzt!«

»Großartig. Und was gedenken Sie zu tun?«

Der Kzin enthielt sich klugerweise einer Antwort. Er war schon fast fertig mit dem Anziehen seines großen, aus vielen Ballons bestehenden Raumanzugs mit dem schweren Rückentornister. Offensichtlich beabsichtigte er, nach draußen zu gehen.


Der Kzin nahm eins der Flugräder: ein hantelförmiges, thrustergetriebenes Vehikel mit einem Sitz in der Mitte.

Sie beobachteten, wie er an dem zuckenden schwarzen Faden entlangmanövrierte. Er hatte sich zwischenzeitlich beträchtlich abgekühlt: Der Saum aus grellem Licht um das von der Brille induzierte Schwarz herum war von Violettweiß über Reinweiß in Orangeweiß übergegangen. Sie beobachteten, wie die massige Gestalt von Derzu-den-Tieren-spricht das Flugrad verließ und um den heißen, zuckenden Faden herum schwebte.

Sie konnten den Kzin atmen hören. Einmal stieß er ein erschrockenes Fauchen aus. Die ganze Zeit über sprach er kein Wort in sein Anzugmikrophon. Er blieb eine geschlagene halbe Stunde draußen. Das heiße Ding kühlte sich derweil soweit ab, daß es kaum noch sichtbar war.

Schließlich kehrte der Kzin an Bord zurück. Als er die Lounge betrat, erwartete ihn stumme, respektvolle Aufmerksamkeit.

»Das Zeug ist wirklich nicht dicker als ein Faden«, berichtete der Kzin. »Da — sehen Sie sich das an!«

Er hielt eine ruinierte Zange hoch. Die Backen waren entlang einer ebenen Oberfläche sauber vom Griffteil abgetrennt, und die Schnittfläche glänzte wie ein polierter Spiegel.

»Als ich nah genug heran war, um zu erkennen, wie dünn der Faden ist, wollte ich die Zange benutzen. Der Faden schnitt glatt durch den Stahl. Ich spürte keinen nennenswerten Widerstand!«

»Ein Varioschwert leistet dasselbe«, entgegnete Louis.

»Aber die Klinge eines Varioschwerts ist ein Metalldraht, der von einem Slaver-Stasisfeld umschlossen ist. Sie läßt sich nicht verbiegen. Dieser Faden hat sich dauernd bewegt, wie Sie selbst sehen konnten.«

»Dann ist es eben ein Material, das wir noch nicht kennen«, beharrte Louis. Ein Material, das jeden Stoff so glatt durchschnitt wie ein Varioschwert. Leicht, dünn, reißfest und außerhalb der technologischen Möglichkeiten der Menschheit.

Etwas, das sogar noch bei Temperaturen fest blieb, wo jedes normale Material zu heißem Plasma wurde. »Etwas ganz Neues also. Aber was hatte es in unserem Weg zu suchen?«

»Überlegen Sie. Wir trieben zwischen zwei Schattenblenden hindurch, als wir mit einem nicht identifizierten Objekt zusammentrafen. Anschließend fanden wir einen scheinbar endlosen Faden mit einer Temperatur vergleichbar dem Innern eines Sterns. Offensichtlich haben wir den Faden getroffen. Er hat die Hitze des Aufpralls absorbiert. Ich vermute, der Faden war zwischen den Schattenblenden gespannt.«

»Wahrscheinlich war er das. Aber warum?«

»Wir können lediglich Spekulationen anstellen«, erwiderte Der-zuden-Tieren-spricht. »Die Konstrukteure der Ringwelt verwendeten die Blenden, um Nachtintervalle zu erzeugen. Dazu müssen die Rechtecke das Sonnenlicht abhalten, was sie aber nicht können, wenn sie mit der flachen Seite der Sonne zugewandt sind.

Die Ringweltkonstrukteure benutzten ihren seltsamen Faden, um die Blenden zu einer Kette zusammenzubinden. Dann versetzten sie die Kette in eine Kreisbewegung, die schneller war, als für eine stabile Umlaufbahn um die Sonne nötig, um Spannung auf die Fäden zu bringen. Sind die Fäden straff, liegen die Blenden mit der Breitseite parallel zum Ring.«

Eine seltsame Vorstellung. Zwanzig Schattenblenden, die einen Ringelreigen um die Sonne tanzten, an den Enden mit fünf Millionen Meilen langen Drähten untereinander verbunden… »Wir brauchen diesen Faden«, sagte Louis. »Wer weiß, was wir damit alles vollbringen könnten.«

Der Kzin zuckte die Achseln. »Ich hatte keine Möglichkeit, ihn an Bord zu schaffen. Oder auch nur ein Stück davon abzuschneiden.«

Der Puppenspieler wechselte das Thema. »Möglicherweise sind wir durch die Kollision auf anderen Kurs gebracht worden. Können wir irgendwie herausfinden, ob wir noch immer an der Ringwelt vorbeisteuern?«

Niemand wußte eine Antwort.

»Vielleicht treffen wir nicht auf den Ring. Die Kollision kann uns aber genausogut zuviel Schwung gekostet haben, und wir fallen für alle Ewigkeit in einen elliptischen Orbit«, jammerte der Puppenspieler. »Teela, Ihr Glück hat uns im Stich gelassen.«

Teela zuckte die Achseln. »Ich habe nie behauptet, daß ich ein Glücksbringer bin.«

»Es war der Hinterste, der mich das glauben machte. Wäre er jetzt hier bei mir, würde ich meinem arroganten Verlobten ein paar passende Worte sagen.«


Das Abendessen wurde zu einem Ritual. Die Besatzung der Lying Bastard nahm ein letztes Souper in der Lounge. Teela sah einfach hinreißend aus. Sie trug ein fließendes, schwarz und orangefarbenes Kleid, das nicht mehr als einen Hauch wiegen konnte.

Hinter ihrem Rücken wurde die Ringwelt langsam größer. Gelegentlich drehte Teela sich um und beobachtete sie. Sie alle beobachteten die Ringwelt. Louis hatte keine Ahnung, welche Gedanken die beiden Aliens bewegten. In Teelas Augen sah er nur Erwartung. Sie spürte es, genau wie Louis: Sie würden die Ringwelt nicht verfehlen.

Nachts liebte er Teela mit einer Wildheit, die sie zuerst verblüffte. Dann genoß sie es. »Das macht also die Angst aus dir! Das muß ich mir merken!«

Er erwiderte ihr Lächeln nicht. »Ich denke dauernd daran, daß es vielleicht das letzte Mal ist.« Und nicht nur mit dir, ergänzte er in Gedanken.

»Oh, Louis! Wir befinden uns in einer General-Products-Zelle!«

»Und wenn das Stasisfeld versagt? Der Rumpf mag vielleicht den Aufprall überstehen, doch wir werden zu Mus zerquetscht.«

»Um Finagles willen, hör endlich auf, dir dauernd Sorgen zu machen!« Sie schlang die Arme um ihn und fuhr mit den Fingernägeln über seinen Rücken. Er zog sie nah an sich, damit sie sein Gesicht nicht sehen konnte…

Als sie tief und fest schlief und wie ein schöner Traum zwischen den beiden Platten schwebte, stand Louis auf. Erschöpft und befriedigt räkelte er sich in einem heißen Bad. Auf dem Rand stand ein kalter Bourbon.

Es gab schließlich noch mehr Freuden, die er ein letztes Mal genießen wollte.


Babyblau mit weißen Streifen und dunkelblau ohne Einzelheiten — so spannte sich die Ringwelt über das All. Zuerst enthüllten nur die Wolken Details: Stürme, parallele Strömungen, wollige Fliese, und alles winzig klein. Wachsend. Dann die Umrisse von Seen… Die Ringwelt bestand fast zur Hälfte aus Wasser…

Nessus lag angeschnallt auf seiner Crashliege und hatte sich wieder einmal schutzsuchend zusammengerollt. Der-zu-den-Tierenspricht, Teela Brown und Louis Wu lagen ebenfalls angeschnallt auf ihren Liegen, doch sie beobachteten die Annäherung.

»Sie sollten besser ebenfalls aufpassen«, riet Louis dem Puppenspieler. »Die Topographie könnte später vielleicht wichtig werden.«

Nessus folgte seinem Rat: Ein flacher Pythonkopf schob sich hervor und studierte die herannahende Oberfläche.

Ozeane, geschwungene glitzernde Flußläufe, eine Gebirgskette.

Kein Zeichen von Leben war zu sehen. Man muß schon niedriger als tausend Meilen gehen, um Anzeichen von Zivilisation zu bemerken. Die Ringwelt raste derart schnell vorbei, daß das Land nur verschwommen zu sehen war. Es spielte keine Rolle; sie würden weit entfernt in unbekanntem Territorium aufschlagen.

Geschätzte Eigengeschwindigkeit des Schiffes: zweihundert Meilen pro Sekunde. Völlig ausreichend, um die Lying Bastard sicher aus dem System zu tragen — wäre nicht die Ringwelt im Weg gewesen.

Das Land raste ihnen entgegen und seitwärts, mit 770 Meilen in der Sekunde seitwärts. Ein salamanderförmiger See kam ihnen schräg von der Seite entgegen, wurde unter ihnen größer und war wieder verschwunden. Plötzlich erstrahlte die Landschaft in grellem violettem Licht!


Diskontinuität.

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