KAPITEL ACHT RINGWELT

Die Puppenspielerwelten bewegten sich mit einer Geschwindigkeit knapp unterhalb der des Lichts in Richtung des galaktischen Nordens. Der-zu-den-Tieren-spricht hatte die G2-Sonne im Hyperraum umrundet und kam nun aus dem galaktischen Süden mit dem Ergebnis, daß die Lying Bastard, als sie in den Normalraum fiel, mit hoher Geschwindigkeit direkt in das Ringweltsystem eintauchte.

Die G2-Sonne war ein gleißender weißer Punkt. Louis hatte die irdische Sonne vom Rand des Solsystems aus gesehen, wenn er von anderen Sternen heimgekehrt war, und sie sah dieser hier sehr ähnlich. Nur, daß diese hier von einem kaum wahrnehmbaren Halo umgeben war. Louis würde den Anblick nie vergessen. Das erste Mal, daß er die Ringwelt sah. Selbst vom Rand des Systems aus war sie mit bloßem Auge zu erkennen.

Der-zu-den-Tieren-spricht ließ die großen Fusionsmotoren mit voller Kraft laufen. Er fuhr die flachen Thrusterscheiben aus dem Flügel, richtete sie nach achtern und fügte ihre Schubkraft zum Rückstoß der Fusionsmotoren hinzu. Die Lying Bastard glitt rückwärts in das System hinein wie eine strahlende Zwillingssonne und verzögerte mit beinahe zweihundertfacher Erdbeschleunigung.

Teela wußte nichts von alledem, weil Louis ihr nichts erzählte. Er wollte sie nicht unnötig in Angst versetzen. Falls die Kabinenschwerkraft auch nur für den Bruchteil einer Sekunde zusammenbrach —, sie alle würden so flachgequetscht wie eine Wanze unter einem Absatz.

Doch die Kabinengravitation arbeitete mit unaufdringlicher Perfektion. Im gesamten Lebenserhaltungssystem war lediglich die schwache Gravitation der Puppenspielerwelt zu spüren — und das stetige, dumpfe Dröhnen der Fusionsmotoren. Die Vibrationen bahnten sich einen Weg durch die einzige verfügbare Öffnung, einen Kabelschacht von Oberschenkeldicke, und nachdem sie erst einmal in der General-Products-Zelle waren, spürte man sie überall an Bord.

Selbst im Hyperraum zog Der-zu-den-Tieren-spricht es vor, ein transparentes Schiff zu steuern. Er wollte ein gutes Sichtfeld haben, und der Blinde Fleck schien ihm nichts auszumachen. Das Schiff war auch jetzt noch durchsichtig, mit Ausnahme der privaten Kabinen, und der resultierende Anblick war zumindest gewöhnungsbedürftig.

Lounge und Brücke, Wände, Decken und Böden, die alle ineinander übergingen, waren nicht so sehr durchsichtig als unsichtbar. In der Leere schwebten massive Blöcke: Der-zu-den-Tieren-spricht in seiner Pilotenliege, umgeben von der hufeisenförmigen Konsole mit den roten und grünen Lichtern und Schaltern; die neonleuchtenden Ränder von Durchgängen, die Ansammlung von Liegesitzen um den Tisch in der Lounge, der Block undurchsichtiger Kabinen im Heck und nicht zu vergessen das flache Dreieck des Deltaflügels. Dahinter und ringsum schimmerten Sterne. Das Universum schien sehr nahe… und irgendwie statisch. Der beringte Stern lag genau hinter dem Heck, versteckt hinter den Kabinen, und sie konnten nicht zusehen, wie er wuchs.

Die Luft roch nach Ozon und Puppenspielern.

Nessus, der sich wegen des dumpfen Grollens von zweihundert g eigentlich vor Angst hätte einrollen müssen, schien sich in Gesellschaft der anderen auf seinem Liegestuhl am Tisch der Lounge erstaunlich wohl zu fühlen.

»Sie kennen keine Hyperwellen«, sagte er. »Die Mathematik des Systems spricht eindeutig dafür. Hyperwellen sind ein Oberbegriff für die Antriebsmathematik des Hyperraums, und sie haben keinen Hyperraumantrieb.«

»Vielleicht haben sie die Hyperwellen zufällig entdeckt.«

»Nein, Teela. Wir können die Hyperwellenbänder abhorchen, da es während des Bremsmanövers sonst nichts zu tun gibt; aber…«

»Ich habe tanj genug vom Warten!« Teela sprang unvermittelt auf und rannte fast aus der Lounge.

Louis beantwortete den fragenden Blick des Puppenspielers mit einem ärgerlichen Schulterzucken.

Teela war in schlechter Stimmung. Die Woche im Hyperraum hatte sie vor Langeweile fast umgebracht, und die Aussicht, weitere eineinhalb Tage tatenlos darauf zu warten, daß das Bremsmanöver endete, brachte sie dazu, die Wände hochzugehen. Was erwartete sie von Louis? Konnte er die Gesetze der Physik ändern?

»Wir müssen warten«, stimmte Der-zu-den-Tieren-spricht zu. Er sprach aus seinem Kontrollraum, und vielleicht waren ihm die emotionalen Untertöne von Teelas letzten Worten entgangen. »Die Hyperbänder sind frei von Signalen. Ich kann garantieren, daß die Erbauer der Ringwelt keinen Versuch unternommen haben, sich vermittels irgendeiner bekannten Hyperfrequenztechnik mit uns in Verbindung zu setzen.«

Das Thema der Kontaktaufnahme war immer weiter in den Mittelpunkt gerückt. Solange sie sich nicht mit den Erbauern der Ringwelt in Verbindung setzen konnten, war ihre Anwesenheit in diesem bewohnten System Banditentum. Bisher deutete allerdings nichts darauf hin, daß man sie entdeckt hatte.

»Meine Empfänger sind offen«, sagte Der-zu-den-Tieren-spricht. »Sobald sie versuchen, sich auf elektromagnetischen Frequenzen mit uns zu verständigen, werden wir es wissen.«

»Nicht, wenn sie das Offensichtliche versuchen«, entgegnete Louis.

»Mag sein. Viele Spezies haben das kalte Wasserstoffband benutzt, um nach anderen Intelligenzen in der Umlaufbahn fremder Sonnen zu suchen.«

»Zum Beispiel die Kdatlyno. Sie haben die Kzinti auf diese Weise entdeckt.«

»Und wir haben sie unterworfen.«

Interstellarer Funk ist durch die Emissionen der Sterne verrauscht. Nur auf dem Einundzwanzig-Zentimeter-Band herrscht vergleichsweise Ruhe. Die Störungen werden durch endlose Kubiklichtjahre kalten interstellaren Wasserstoffes ausgesiebt. Es war das Band, das jede intelligente Spezies verwenden würde, um mit einer fremden Rasse in Verbindung zu treten. Unglücklicherweise machte der novaheiße Wasserstoff aus den Antrieben der Lying Bastard dieses Band nutzlos.

»Denken Sie daran,«, sagte Nessus, »daß unser geplanter Freifallorbit den Ring auf keinen Fall überkreuzen darf!«

»Das haben Sie schon viel zu oft gesagt, Nessus. Mein Gedächtnis ist ausgezeichnet.«

»Wir dürfen den Bewohnern der Ringwelt nicht als drohende Gefahr erscheinen. Ich hoffe, Sie vergessen das nicht!«

»Sie sind ein Puppenspieler. Sie vertrauen nichts und niemandem.«

»Nur die Ruhe«, sagte Louis müde. Die andauernden Reibereien waren ein Ärgernis, auf das er verzichten konnte. Er zog sich zum Schlafen in seine Kabine zurück.

Stunden vergingen. Die Lying Bastard fiel der beringten Sonne entgegen, während sie abbremste. Ein Zwillingsspeer aus Novalicht und Novahitze eilte ihr voraus.

Der-zu-den-Tieren-spricht fand keinen Hinweis auf nach dem Schiff tastendes kohärentes Licht. Entweder hatten die Ringweltler die Lying Bastard noch immer nicht bemerkt, oder sie besaßen keine Kommunikationslaser.

Während der Woche im Hyperraum hatte der Kzin einen Großteil seiner Freizeit mit den Menschen verbracht. Louis und Teela hatten Gefallen an der Kabine des Kzin entwickelt: an der leicht höheren Gravitation, den Hololandschaften aus orange-gelbem Dschungel und der fremdartigen alten Burg; den scharfen, ständig wechselnden Gerüchen der unbekannten Welt. Ihre eigene Kabine war eintönig dekoriert und zeigte lediglich ein paar Stadtlandschaften und Meeresfarmen, halb überwuchert von genetisch maßgeschneiderten Algenkulturen. Dem Kzin gefiel ihre Kabine besser als Louis und Teela selbst.

Einmal hatten sie sogar versucht, gemeinsam in der Kabine des Kzin zu essen. Doch der Kzin »aß« wie ein verhungernder Wolf, und er beklagte sich, daß menschliches Essen wie angebrannter Abfall roch. Damit war dieses Thema erledigt.

Jetzt unterhielten sich Teela und Der-zu-den-Tieren-spricht gedämpft am einen Ende des Loungetisches. Louis hing seinen Gedanken nach und lauschte auf das entfernte Dröhnen der Fusionsantriebe.

Er war daran gewöhnt, sein Leben einer künstlichen Kabinengravitation anzuvertrauen. Seine eigene Yacht beschleunigte mit dreißig g. Doch seine eigene Yacht wurde von Thrustern angetrieben, und Thruster verursachten keine Geräusche.

»Nessus?« fragte er in die Stille der brennenden Sonnen.

»Ja, Louis?«

»Was wissen Sie über den Blinden Fleck, was wir nicht wissen?«

»Ich verstehe die Frage nicht.«

»Der Hyperraum jagt Ihnen panische Angst ein. Dieses… mörderische Bremsmanöver auf einem sonnenheißen Feuerstrahl hingegen läßt Sie völlig kalt. Ihre Spezies hat die Long Shot gebaut. Sie wissen Dinge über den Hyperraum, die uns unbekannt sind.«

»Vielleicht. Vielleicht wissen wir etwas.«

»Was? Oder gehört das zu den sorgfältig gehüteten Geheimnissen Ihres Volkes?«

Teela und Der-zu-den-Tieren-spricht lauschten jetzt ebenfalls. Die Ohren des Kzin, die in zusammengefaltetem Zustand in Vertiefungen in seinem Kopffell Platz fanden, waren aufgerichtet wie zwei durchscheinende rosa Sonnenschirme.

»Wir wissen, daß kein Teil von uns unsterblich ist«, sagte Nessus. »Ich spreche nicht von Ihrer Spezies. Dazu habe ich nicht das Recht. Aber an meiner Spezies ist nichts Unsterbliches. Unsere Wissenschaftler haben es bewiesen. Wir fürchten den Tod, weil wir wissen, daß der Tod endgültig ist.«

»Und?«

»Schiffe verschwinden im Blinden Fleck. Kein Puppenspieler würde im Hyperraum einer Singularität zu nahe kommen; trotzdem verschwanden unsere Schiffe immer wieder, damals, als sie noch von Piloten gesteuert wurden. Ich vertraue den Ingenieuren, die die Lying Bastard gebaut haben. Deswegen verlasse ich mich auch auf die Kabinenschwerkraft. Doch selbst unsere Ingenieure fürchten den Blinden Fleck.«

In der Nacht schlief Louis schlecht und träumte lebhaft. Am nächsten Tag fanden Louis und Teela sich gegenseitig unerträglich. Sie hatte keine Angst. Louis vermutete, daß er sie niemals verängstigt erleben würde. Sie war einfach nur tödlich gelangweilt.

Am Abend kam im Verlauf einer halben Stunde der beringte Stern hinter dem heckwärts gelegenen Kabinenblock hervor. Die Sonne war klein und weiß, eine Spur weniger intensiv als Sol, und sie war umgeben von einer bleistiftschmalen Linie aus geschwungenem Blau.


Sie standen hinter dem Kzin und blickten ihm über die Schulter, während Der-zu-den-Tieren-spricht den Teleskopschirm aktivierte. Er fand die lichtbogenblaue Linie der inneren Ringweltoberfläche und betätigte den Vergrößerungsknopf…

Eine Frage beantwortete sich beinahe augenblicklich von allein.

»Da ist etwas am Rand«, sagte Louis.

»Richten sie das Teleskop auf den Rand«, befahl Nessus.

Der Rand der Ringwelt expandierte auf dem Schirm. Es war eine Mauer, die sich auf der Innenseite der Sonne entgegenreckte. Sie konnten ihre schwarze, dem Weltraum zugekehrte Außenseite gegen die Silhouette der sonnenüberfluteten blauen Landschaft dahinter erkennen. Es war ein niedriger Randwall — aber nur im Vergleich mit dem Ring selbst.

»Wenn der Ring eine Million Meilen Durchmesser besitzt, dann ist der Rand wall wenigstens tausend Meilen hoch. Schön, jetzt wissen wir es also. Deswegen bleibt die Luft drinnen.«

»Und das funktioniert?«

»Theoretisch ja. Der Ring dreht ungefähr mit Erdbeschleunigung. Im Verlauf von Jahrtausenden mag vielleicht ein wenig Luft über die Ränder entweichen, doch diese Luft kann leicht ersetzt werden. Um den Ring überhaupt erschaffen zu können, mußten sie eine billige Methode der Transmutation besitzen. Ein paar Zehntelstars pro Kilotonne. Ganz zu schweigen von den vielen anderen Unmöglichkeiten.«

»Ich frage mich, wie er von innen aussieht.«

Der-zu-den-Tieren-spricht hatte es gehört und bediente einen Kontrollsensor. Die Szene geriet in Bewegung. Die Vergrößerung reichte noch nicht aus, um Einzelheiten zu erkennen. Helles Blau und noch helleres Weiß glitten über den Teleskopschirm, und der verschwommene Rand eines marineblauen Schattens…

Der gegenüberliegende Randwall kam in Sicht. Er war nach außen geneigt.

Nessus stand im Eingang und reckte die Köpfe über die Schultern von Der-zu-den-Tieren-spricht. »Stellen Sie auf äußerste Vergrößerung!« befahl er.

Das Bild auf dem Schirm expandierte.

»Berge!« rief Teela. »Wie hübsch!« Der Randwall war unregelmäßig geformt, behauen oder ausgewaschen wie erodierter Fels, und besaß die Farbe des irdischen Mondes. »Tausend Meilen hohe Berge!«

»Ich kann nicht mehr weiter vergrößern. Für noch mehr Einzelheiten müssen wir näher heran.«

»Wir wollen zuerst versuchen, Kontakt mit den Bewohnern aufzunehmen«, sagte der Puppenspieler. »Steht das Schiff?«

Der Kzin konsultierte den Schiffsrechner. »Wir nähern uns mit einer Geschwindigkeit von rund dreißig Meilen pro Sekunde der Sonne. Ist das langsam genug?«

»Ja. Beginnen Sie mit den Übertragungen.«

Kein Laserlicht peilte die Lying Bastard an.

Die Suche auf den übrigen elektromagnetischen Bändern war schwieriger. Radio, Infrarot, Ultraviolett, Röntgen. Das gesamte Spektrum mußte abgetastet werden, angefangen bei der zimmerwarmen Emission der dunklen Außenseite der Ringwelt bis hin zu Lichtquanten von so hoher Energie, daß sie ohne weiteres in Materie und Antimaterie zerfallen konnten. Das EinundzwanzigZentimeter-Band war leer, genau wie die einfacheren Multiplikanden und Divisoren, die vielleicht nur deshalb benutzt wurden, weil das Wasserstoffband so offensichtlich war. Darüber hinaus spielte Der-zu-den-Tieren-spricht mit seinen Empfängern nur noch Blinde Kuh.

Die großen, mit Kommunikationseinrichtungen vollgestopften Behälter auf dem Flügel der Lying Bastard waren weit geöffnet. Die Lying Bastard sandte pausenlos Radiobotschaften auf dem Wasserstoffband und sämtlichen anderen elektromagnetischen Bändern. Sie badete sukzessive Bereiche der inneren Oberfläche mit Laserlicht zehn verschiedener Frequenzen und sandte Morsebotschaften auf Interspeak, indem die Fusionsmotoren im Takt feuerten.

»Unser Autopilot wird jede eintreffende Botschaft entschlüsseln«, sagte Nessus. »Wir müssen annehmen, daß ihre stationären Computer mindestens ebenso leistungsfähig sind.«

Der-zu-den-Tieren-spricht antwortete giftig: »Kann Ihr lobotomisierter Computer auch völlige Stille übersetzen?«

»Konzentrieren Sie die Sendungen auf den Rand. Falls sie Raumhäfen besitzen, befinden sie sich am Rand. Es wäre viel zu gefährlich, mit einem Raumschiff irgendwo anders zu landen.«

Der Kzin fauchte einen lästerlichen Fluch in der Heldensprache seiner Heimat. Damit war die Unterhaltung faktisch beendet. Trotzdem blieb Nessus stehen, wo er nun bereits seit Stunden stand, und spähte dem Kzin weiter über die Schultern.

Die Ringwelt lag draußen vor der Hülle und wartete, ein geschecktes blaues Band, das sich über den Himmel zog.

»Du wolltest mir von Dyson-Sphären erzählen«, sagte Teela.

»Und du hast gesagt, ich solle verschwinden und mir die Läuse aus den Haaren filzen.« Louis hatte einen Artikel über DysonSphären in der Schiffsbibliothek gefunden. Begeistert von der Idee hatte er den Fehler begangen, Teela bei einer Partie Solitaire zu unterbrechen, um ihr davon zu erzählen.

»Dann erzähl’s mir jetzt«, lockte sie.

»Geh und filz dir die Läuse aus den Haaren.«

Sie wartete.

»Also schön, du hast gewonnen«, sagte Louis. Seit einer Stunde hatte er brütend auf den Ring gestarrt. Er langweilte sich genausosehr wie Teela.

»Eine Ringwelt ist ein Kompromiß zwischen einer Dyson-Sphäre und einem normalen Planeten.

Dyson war einer der alten Naturphilosophen zu Beginn des Atomzeitalters. Er wies darauf hin, daß jede Zivilisation durch die verfügbare Energiemenge beschränkt ist. Um alle Energie in Reichweite zu nutzen, könnte die menschliche Rasse kugelförmige Schalen um die Sonne herum errichten und jeden einzelnen Sonnenstrahl einfangen.

Wenn du für eine Minute aufhören könntest zu kichern, würdest du die Idee dahinter verstehen. Auf der Erde trifft nur der fünfhundertmilliardste Teil der Sonnenenergie auf. Wenn wir sämtliche Energie nutzen könnten…

Nun, damals erschien die Idee nicht verrückt. Es gab nicht einmal eine theoretische Grundlage für Überlichtgeschwindigkeit. Wir erfanden den Hyperraumantrieb niemals selbst, falls du dich erinnerst. Wir hätten ihn auch niemals zufällig entdeckt, weil wir niemals daran dachten, unsere Experimente außerhalb der Singularität vorzunehmen.

Angenommen, das Schiff der Outsider wäre nicht zufällig über den Ramrobot der United Nations gestolpert? Angenommen, die Kontrolle des Bevölkerungswachstums hätte nicht funktioniert? Bei einer Trillion menschlicher Wesen, Schulter an Schulter, und den Ramjets als schnellstem verfügbarem Antrieb — wie lange wären wir mit Kernfusion hingekommen? In hundert Jahren hätten wir sämtlichen Wasserstoff verbraucht, der in den Weltmeeren gespeichert ist.

Aber eine Dyson-Sphäre kann mehr als nur Sonnenlicht auffangen.

Angenommen, man baut eine Schale mit einem Radius von einer astronomischen Einheit. Man müßte natürlich sämtliche Körper im Sonnensystem entfernen, also benutzt man die Planeten als Baumaterial. Es würde reichen, um eine Kugelschale aus Chromstahl herzustellen, die, sagen wir, ein paar Meter dick ist. Dann stellt man überall auf der Schale Schwerkraftgeneratoren auf. Man erhält einen Lebensraum, der eine Milliarde Mal größer ist als die Oberfläche der Erde. Eine Billion Menschen könnten ihr ganzes Leben lang darauf umherwandern, ohne daß jemals zwei sich treffen.«

Teela kam endlich zu Wort. »Du willst Schwerkraftgeneratoren einsetzen, um alles auf dem Boden zu halten?«

»Ja. Auf der Innenseite. Wir bedecken die Innenseite mit Erde…«

»Was, wenn einer der Generatoren versagt?«

»Schlimm, schlimm, schlimm. Nun, eine Milliarde Leute würden auf die Sonne zutreiben. Und sämtliche Luft hinterher. Ein Tornado, so groß wie die Erde. Kein Gebet würde eine Rettungsmannschaft zu dem defekten Generator durchbringen — nicht bei einem derartigen Sturm…«

»Das gefällt mir nicht!« sagte Teela entschieden.

»Nicht so hastig. Sicher gibt es Mittel und Wege, einen Schwerkraftgenerator narrensicher zu bauen…«

»Das meine ich nicht. Man könnte die Sterne nicht sehen.«

Daran hatte Louis noch gar nicht gedacht. »Na ja, egal. Der Punkt bei den Dyson-Sphären ist, daß jede intelligente, industrialisierte Spezies irgendwann eine benötigt. Technologische Zivilisationen besitzen die Tendenz, im Lauf ihrer Entwicklung mehr und mehr Energie zu verbrauchen. Der Ring ist ein Kompromiß zwischen einem normalen Planeten und einer Dyson-Sphäre. Mit einem Ring erhält man nur einen Bruchteil des möglichen Raumes und fängt auch nur einen Bruchteil der Sonnenenergie ein. Aber man kann die Sterne sehen und braucht sich keine Gedanken um die Schwerkrafterzeugung zu machen.«

Im Kontrollraum stieß Der-zu-den-Tieren-spricht einen unverständlichen Fluch aus. Teela kicherte.

»Falls die Puppenspieler in den gleichen Bahnen gedacht haben wie Dyson«, fuhr Louis fort, »dann kann es durchaus sein, daß sie erwarten, die Magellanschen Wolken mit Ringwelten vollgestopft vorzufinden. Von einem Rand zum andern.«

»Und das ist der Grund, aus dem wir dabei sind.«

»Ich hasse es, die Hintergedanken eines Puppenspielers erraten zu müssen. Aber wenn ich wetten müßte, dann würde ich genau darauf setzen.«

»Kein Wunder, daß du die ganze Zeit in der Bibliothek verbracht hast.«

»Unverschämt!« fauchte der Kzin. »Beleidigend! Sie ignorieren uns! Sie zeigen uns die kalte Schulter und fordern einen Angriff geradezu heraus!«

»Unwahrscheinlich«, widersprach Nessus. »Wenn Sie keine Funksignale auffangen, dann verwenden sie eben keinen Funk. Selbst wenn sie routinemäßig Radiolaser einsetzten, müßten wir etwas auffangen.«

»Sie verwenden keine Laser, sie verwenden keinen Funk, sie verwenden keine Hyperwellen. Was verwenden sie dann für ihre Kommunikation? Telepathie? Briefpost? Große Spiegel?«

»Papageien«, schlug Louis vor. Er stand auf und stellte sich in den Eingang des Kontrollraums. »Riesige Papageien, speziell gezüchtet auf überdimensionale Lungen. Sie sind zu groß zum Fliegen. Sie sitzen einfach auf den Bergspitzen herum und kreischen sich gegenseitig zu.«

Der-zu-den-Tieren-spricht wandte sich um und blickte Louis in die Augen. »Seit vier Stunden versuche ich jetzt, mit der Ringwelt Kontakt aufzunehmen. Seit vier Stunden ignorieren mich die Bewohner einfach! Ihre Verachtung kann gar nicht größer sein! Nicht ein einziges Wort haben sie mir geschenkt. Meine Muskeln zittern aus Mangel an Training! Mein Fell ist matt, meine Sicht ist verschwommen, meine stondhat-begotten Kabine ist viel zu klein für mich, mein Mikrowellenofen erhitzt sämtliche Nahrung auf die gleiche Temperatur, und es ist die falsche Temperatur, und ich kann ihn nicht reparieren. Louis, ohne Ihre Hilfe und Ihre Vorträge würde ich glatt verzweifeln!«

»Kann es sein, daß ihre Zivilisation untergegangen ist?« sinnierte Nessus nachdenklich. »Es wäre zu dumm, wenn man es genau betrachtet.«

»Vielleicht sind sie tot«, erwiderte der Kzin böse. »Das wäre ebenfalls dumm. Uns zu ignorieren ist dumm. Lassen Sie uns landen und es herausfinden.«

Nessus stieß einen schrillen panischen Pfiff aus. »Auf einer Welt landen, deren Urbevölkerung ausgerottet ist? Sind Sie wahnsinnig?«

»Wie sonst sollen wir mehr erfahren?«

»Er hat recht«, mischte sich Teela ein. »Wir sind nicht den weiten Weg hierher gekommen, um uns einfach nur im Kreis zu drehen!«

»Ich verbiete es! Sprecher-zu-den-Tieren, setzen Sie Ihre Bemühungen fort, mit der Ringwelt Kontakt aufzunehmen!«

»Ich habe derartige Bemühungen abgeschlossen.«

»Dann fangen Sie noch einmal von vorne an!«

»Das werde ich nicht!«

Louis trat dazwischen. Der Amateurdiplomat. »Ruhig Blut, mein haariger Sportsfreund. Nessus, er hat recht. Die Ringweltler haben uns nichts mitzuteilen. Ansonsten wüßten wir es inzwischen.«

»Was sollen wir denn tun, außer es weiter versuchen?«

»Wir machen weiter wie geplant. Wir lassen den Ringweltlern Zeit, sich ein Bild von uns zu machen.«

Widerstrebend gab der Puppenspieler nach.


Sie trieben auf die Ringwelt zu.

Der-zu-den-Tieren-spricht hatte die Lying Bastard auf einen Kurs gebracht, der sie außen an der Ringwelt vorbei führte: ein Zugeständnis an Nessus. Der Puppenspieler befürchtete, die hypothetischen Ringweltler könnten es als Bedrohung auffassen, wenn der Kurs des Schiffes durch den Ring hindurchging. Außerdem meinte er, Fusionsantriebe, die so stark waren wie die der Lying Bastard, würden aussehen wie Waffen. Somit schob sich die Liar allein mit ihren Thrustern vorwärts.

Mit dem bloßen Auge war die Größe nicht abzuschätzen. Es vergingen Stunden, bis der Ring seine Lage zu verändern schien. Viel zu langsam. Wegen der künstlichen Kabinenschwerkraft spürte das Innenohr keinerlei Bewegung. Die Zeit verstrich zäh, und Louis war zum ersten Mal seit ihrem Aufbruch von der Erde soweit, daß er am liebsten auf den Fingernägeln gekaut hätte.

Schließlich war das Schiff auf gleicher Höhe mit dem Ring. Derzu-den-Tieren-spricht setzte die Thruster ein und bremste die Liar auf einen Orbit um die Sonne. Dann ließ er das Schiff auf den Rand zutreiben.

Jetzt herrschte Bewegung.

Der Rand der Ringwelt wuchs von einer schmalen Linie, die nur wenige Sterne verdeckte, zu einer schwarzen Mauer. Einer Mauer, die tausend Meilen hoch war und glatt, obwohl Einzelheiten allein aufgrund der höllischen Geschwindigkeit nicht auszumachen gewesen wären. In einer Entfernung von fünfhundert Meilen versperrte sie neunzig Grad des Horizonts, während sie mit höllischen 770 Meilen pro Sekunde an der Lying Bastard vorbeiraste. Die Enden konvergierten zu Fluchtpunkten, die in der Unendlichkeit verschwanden, und an jedem der beiden Fluchtpunkte schoß ein schmales hellblaues Band steil in den Raum hinauf.

Die Fluchtpunkte wirkten wie Übergänge in ein anderes Universum, ein Universum von wahrhaft geometrischer Ordnung mit geraden Linien und rechten Winkeln und anderen Abstraktionen. Louis starrte fasziniert auf einen der Fluchtpunkte. War er der Anfang oder das Ende? Entsprang die schwarze Mauer dort oder versank sie wieder?

… irgend etwas schoß aus diesem Punkt der Unendlichkeit auf sie zu!

Es war ein Sims, das abstrakt aus der Basis des Ringwalls wuchs. Zuerst erschien das Sims, dann eine Reihe aufrecht darauf montierter Ringe. Sie kamen direkt auf die Lying Bastard zu — direkt auf Louis Wus Nasenspitze. Louis schloß entsetzt die Augen und warf die Arme hoch, um den Kopf zu schützen. Er hörte ein ängstliches Wimmern.

Der Tod hätte ihn in diesem Augenblick ereilen müssen. Als nichts geschah, öffnete Louis vorsichtig wieder die Augen. Die Ringe passierten sie in einem stetigen Strom, und Louis erkannte, daß sie nicht mehr als fünfzig Meilen im Durchmesser besaßen.

Nessus hatte sich zu einer Kugel zusammengerollt. Teela hatte die Handflächen gegen die durchsichtige Wand gepreßt und starrte begeistert hinaus in den Raum. Der-zu-den-Tieren-spricht konzentrierte seine Instrumente. Er zeigte keinerlei Furcht. Vielleicht konnte er Entfernungen besser abschätzen als Louis.

Vielleicht tat er aber auch nur so. Das Wimmern konnte ebensogut von dem Kzin stammen.

Nessus entrollte sich. Er betrachtete den Strom aufrechter Ringe, die jetzt kleiner wurden.

»Sprecher-zu-den-Tieren, Sie müssen die Geschwindigkeit der Liar der Ringwelt anpassen. Das müssen wir uns ansehen.«

Zentrifugalkraft ist eine Illusion, nichts als eine Manifestation der Trägheitsgesetze. In Wirklichkeit gibt es nur die Zentripetalkraft, die im rechten Winkel zum Geschwindigkeitsvektor von Massen wirkt. Die Masse setzt einen Widerstand dagegen und ist bestrebt, ihre Richtung beizubehalten.

Auf Grund ihrer Geschwindigkeit und wegen der Massenträgheit tendierte die Ringwelt dazu auseinanderzubrechen. Die starre Konstruktion verhinderte das. Die Ringwelt richtete ihre eigene Zentrifugalkraft gegen sich selbst. Die Liar hingegen mußte gegen die Zentripetalkraft ankämpfen, wenn sie sich der Umlaufgeschwindigkeit von 770 Meilen pro Sekunde anpassen wollte.

Der Kzin arbeitete konzentriert. Die Liar schwebte relativ bewegungslos über dem Randwall, im Gleichgewicht gehalten durch einen Schub von 0,992-facher Erdbeschleunigung, während ihre Besatzung den Raumhafen in Augenschein nahm.

Der Raumhafen: Ein schmales Sims — so schmal, daß es wie eine dimensionslose Linie aussah, bis Der-zu-den-Tieren-spricht das Schiff näher heransteuerte. Plötzlich war das Sims groß, so groß, daß zwei gewaltige Raumschiffe, die auf dem Feld parkten, wie Fingerhüte auf einem langgestreckten Balkon wirkten. Die Raumschiffe waren Zylinder mit abgeflachten Nasen und beide vom gleichen Design: Unvertraut, doch eindeutig Ramjetschiffe mit Fusionstriebwerken. Diese Schiffe betankten sich während der Fahrt selbst, indem sie mit riesigen elektromagnetischen Schaufeln interstellaren Wasserstoff einsammelten. Eins der Schiffe war ausgeschlachtet worden. Es stand mit aufgerissenen Eingeweiden da und gab den Blick auf seine innersten Geheimnisse preis.

Das andere, unversehrte Schiff wies im Oberteil der zylindrischen Zelle Reihen von Bullaugen auf und gestattete dem Auge des Betrachters, seine Größe zu schätzen. Das Glitzern der Fenster im schwachen Sternenlicht erinnerte verblüffend an einen mit Kristallzucker bestreuten Kuchen. Tausende von Fenstern. Das Schiff war wirklich groß.

Und es war dunkel. Der gesamte Raumhafen war dunkel. Vielleicht benötigten seine Benutzer kein Licht im »sichtbaren« Frequenzbereich. Trotzdem — für Louis Wu sah der Raumhafen verlassen aus.

»Ich verstehe nicht, wozu die Ringe dienen«, sagte Teela.

»Eine elektromagnetische Kanone«, murmelte Louis geistesabwesend. »Für Startmanöver.«

»Nein«, widersprach Nessus.

»Wie?«

»Die Kanone diente dazu, die Raumschiffe zu landen. Man kann sogar die Methode erahnen, die angewendet wurde. Das Schiff mußte in einen Orbit parallel zum Ringwall gehen. Es brauchte seine Geschwindigkeit nicht an die der Ringwelt anzupassen, sondern lediglich einen Abstand von fünfundzwanzig Meilen zum unteren Rand einzuhalten. Der Ring rotiert, und die Spulen der elektromagnetischen Kanone fangen das Schiff ein, um es auf die gleiche Geschwindigkeit zu beschleunigen wie der Ring. Meine Hochachtung zu dieser Lösung. Das Schiff brauchte nie so nah an den Ring zu manövrieren, daß es gefährlich werden konnte.«

»Man kann die Spulen aber auch zum Start verwenden.«

»Nein. Werfen Sie einen Blick auf die Anlage zu Ihrer Linken…«

»Ich will verdammt sein!« flüsterte Louis Wu.

Die »Anlage« war nicht viel mehr als eine riesige Falltür, durch die Schiffe einfach ins All gekippt wurden. Der Pilot konnte augenblicklich die Fusionstriebwerke zünden und weiter beschleunigen.

»Der Raumhafen scheint verlassen zu sein«, sagte Der-zu-denTieren-spricht.

»Keine Energieemissionen?«

»Meine Instrumente zeigen nichts. Keine anomalen heißen Flecke, keine größeren elektromagnetischen Aktivitäten. Was die Sensoren anbelangt, die den Linearbeschleuniger steuern, so verbrauchen sie vielleicht weniger Energie, als unsere Geräte zu messen imstande sind.«

»Was schlagen Sie vor?«

»Die Anlage ist vielleicht noch in betriebsbereitem Zustand. Das können wir leicht feststellen, indem wir das Schiff zum Eingang des Linearbeschleunigers manövrieren und uns einfädeln.«

Nessus rollte sich zu einem Ball zusammen.

»Das würde nicht funktionieren«, entgegnete Louis rasch. »Wahrscheinlich braucht man ein Schlüsselsignal, um das Ding zu starten. Vielleicht reagiert es auch nur auf Metallrümpfe. Wenn wir versuchen, uns mit der Umlaufgeschwindigkeit der Ringwelt in die Kanone einzufädeln, rammen wir eine der Spulen und zerstören alles.«

»Ich habe derartige Manöver in Kriegssimulatoren ausgeführt!« fauchte der Kzin.

»Und wie lange ist das her?«

»Vielleicht zu lange. Vergessen Sie es. Was schlagen Sie vor?«

»Die Unterseite«, sagte Louis. Der Puppenspieler entrollte sich augenblicklich wieder.


Sie schwebten mit angepaßter Geschwindigkeit unter dem Boden der Ringwelt. Die Thruster erzeugten einen nach innen gerichteten Schub von 0,94 Metern pro Sekundenquadrat. »Scheinwerfer!« sagte Nessus.

Die Scheinwerfer richteten sich auf den fünfhundert Meilen entfernten Boden. Wenn ihr Licht überhaupt bis zur Unterseite des Rings reichte, so kehrte es jedenfalls nicht wieder zurück. Die Scheinwerfer dienten normalerweise zum Landen.

»Haben Sie immer noch blindes Vertrauen zu Ihren Konstrukteuren, Nessus?«

»Sie hätten diesen unerwarteten Fall vorhersehen müssen.«

»Aber ich habe es. Ich kann die Ringwelt anleuchten, wenn ich die Fusionsantriebe einsetzen darf.«

»Tun Sie das.«

Der-zu-den-Tieren-spricht zündete alle vier: die beiden größeren Motoren, die nach hinten gerichtet waren, und das vordere Paar. Das vordere Paar, das als Notbremse und vielleicht als Waffe gedacht war, zündete er mit weit geöffneter Ausströmöffnung. Wasserstoff schoß zu rasch durch die Kammer und trat aus, bevor er vollständig verbrennen konnte. Die Temperatur in der Fusionskammer sank, bis die ausströmenden Gase, gewöhnlich heißer als der Kern einer Nova, nur noch so warm waren wie die Oberfläche eines gelben Zwergs. Licht schoß in einer Zwillingslanze hervor und fiel auf die schwarze Unterseite der Ringwelt.

Als erstes sahen sie, daß die Unterseite keineswegs flach war. Sie zeigte Einbuchtungen und Erhebungen.

»Ich dachte, sie wäre glatt«, flüsterte Teela.

»Modelliert«, erwiderte Louis beeindruckt. »Jede Wette. Wo immer wir eine Ausbuchtung sehen, befindet sich auf der Oberseite ein See oder ein Meer. Eine Senke bedeutet auf der Oberseite ein Gebirge.«

Die Formationen waren winzig. Kaum zu erkennen, bis Der-zuden-Tieren-spricht das Schiff näher heransteuerte.

Die Lying Bastard glitt vom Rand der Ringwelt heran, fünfhundert Meilen weit unter ihrer Unterseite. Herausgearbeitete Senken und Erhebungen glitten vorbei, unregelmäßig, doch irgendwie angenehm, ästhetisch…

Viele Jahrhunderte schon schwebten Ausflugsschiffe von der Erde in genau der gleichen Weise über die Mondoberfläche. Die Aussicht hier war in mancherlei Hinsicht ähnlich: luftleere Mulden und Krater und Gipfel, übergangslose Wechsel zwischen Schwarz und Weiß, auf der dunklen Rückseite des irdischen Mondes offenbart durch mächtige Scheinwerfer, die die Schiffe mitführten. Und doch gab es einen Unterschied. In welcher Höhe auch immer man über dem Mond dahinglitt — stets war der Horizont zu sehen, der sich in einer sanften Rundung scharf und zackig vom schwarzen Hintergrund des Alls abhob.

Der Horizont der Ringwelt besaß keine Zacken und war nicht gerundet. Er bildete eine gerade Linie, wie mit dem Lineal gezogen, unvorstellbar weit entfernt und kaum sichtbar, schwarz vor dem schwarzen All.

Wie hält der Kzin das nur aus? fragte sich Louis. Er steuert die Lying Bastard schon seit Stunden unter dem Bauch dieses… Artefaktes dahin.

Louis erschauerte. Nur allmählich wurde ihm die Größe, der gigantische Maßstab der Ringwelt bewußt. Es war unangenehm — wie alle Lernprozesse.

Er wandte die Augen von dem furchteinflößenden Horizont ab und betrachtete die angeleuchtete Fläche über und unter der Lying Bastard.

»Die Wasserflächen weisen anscheinend sämtlich ungefähr die gleiche Größe auf«, sagte Nessus.

»Ich habe ein paar kleinere Seen entdeckt«, widersprach Teela. »Und dort, sehen Sie — das ist ein Fluß. Es muß ein Fluß sein. Aber bis jetzt habe ich noch kein richtig großes Meer gesehen.«

Seen gab es in Hülle und Fülle, wenn Louis sich nicht irrte und die vielen flachen Ausbuchtungen Seen waren. Natürlich waren nicht alle gleich groß, aber sie schienen regelmäßig verteilt, und keine Region blieb ohne Wasser. Und… »Flach. Alle Seen haben einen flachen Boden!«

»Ja«, sagte Nessus.

»Wenn alle Seen flach sind, bedeutet das, daß die Ringweltler keine Wasserbewohner sind. Sie nutzen lediglich die oberen Schichten der Seen. So wie wir.«

»Aber die Seen sind unregelmäßig geformt«, sagte Teela. »Und die Ränder wirkten ausgefranst. Was bedeutet das?«

»Buchten. So viele Buchten, wie man sich nur wünschen kann.«

»Also sind Ihre Ringweltler Landbewohner, aber sie fürchten das Wasser nicht. Sonst würden sie nicht so viele Buchten benötigen«, sagte Nessus und blickte Louis an. »Louis, diese Wesen scheinen Ihnen ähnlich zu sein. Die Kzinti hassen Wasser, und meine Spezies fürchtet sich vor dem Ertrinken.«

Man kann eine Menge über eine Welt erfahren, wenn man ihre Kehrseite betrachtet, dachte Louis. Eines Tages würde er eine Monographie über dieses Thema verfassen…

»Es muß schön sein, wenn man sich die Welt so gestalten kann, wie man sie haben will«, sagte Teela.

»Gefällt dir deine Welt etwa nicht, Playmate?«

»Du weißt genau, was ich meine.«

»Macht?« Louis mochte Überraschungen; er hatte keine Meinung zu Macht. Er war nicht kreativ; er schuf keine Dinge — er bevorzugte es, sie zu entdecken.

Voraus sah er irgend etwas. Eine höhere Auswölbung… und eine daraus hervorragende Flosse oder Finne, schwarz im Licht der gedrosselten Antriebe und sicher Hunderttausende von Quadratmeilen groß.

Wenn die anderen Erhebungen Seen waren, dann war das hier ein Ozean; der König aller Ozeane. Er zog sich endlos unter/über ihnen dahin, und sein Boden war nicht glatt. Er sah aus wie eine topographische Karte des irdischen Pazifik: Täler, Gräben, Untiefen, bodenlose Tiefen und Gipfel, die weit genug aufragten, um auf der Oberseite Inseln zu bilden.

»Sie wollten die Fauna und Flora ihrer Heimat erhalten«, vermutete Teela. »Dazu brauchten sie einen tiefen Ozean. Und diese Flosse dient wahrscheinlich dazu, die unteren Wasserschichten kühl zu halten. Eine Kühlrippe.«

Ein Ozean, der zwar nicht tief genug, aber ausgedehnt genug war, um die Erde zu verschlucken.

»Das reicht«, sagte der Kzin plötzlich. »Wir sollten als nächstes die Innenseite untersuchen!«

»Zuerst werden wir Messungen vornehmen. Ist der Ring wirklich rund? Schon die geringste Abweichung würde genügen, um Luft in den Raum schwappen zu lassen!«

»Wir wissen doch, daß es Luft gibt, Nessus!« wandte Louis Wu ein. »Die Verteilung des Wassers auf der inneren Oberfläche wird uns verraten, wie weit der Ring von der Kreisform abweicht!«

Nessus gab sich geschlagen. »Nun gut. Sobald wir den Rand des gegenüberliegenden Ringwalls erreicht haben.«

Sie entdeckten Löcher von Meteoriteneinschlägen. Es gab nicht viele, aber sie waren vorhanden. Amüsiert überlegte Louis, daß die Ringweltler vielleicht doch nicht ihr ganzes Sonnensystem gesäubert hatten. Nein — die Meteoriten mußten von draußen gekommen sein, aus dem interstellaren Raum. Ein konischer Krater glitt im Licht der Fusionsantriebe vorüber, und Louis entdeckte ein Glitzern am Boden des Kraters. Etwas Nacktes, Reflektierendes.

Es mußte ein Stück blanker Ringweltboden sein. Der Boden bestand aus einem Material, das dicht genug war, um vierzig Prozent aller Neutrinos aufzuhalten, und wahrscheinlich ungeheuer fest. Über dem Boden, auf der Innenseite: Erdboden und Wasser und Städte, und darüber Luft. Unter dem Ringboden, dem All zugekehrt: ein schwammiges Material wie Schaumplastik vielleicht, um Meteoriteneinschlägen die Wucht zu nehmen. Die meisten Meteoriten würden in dem dicken, schaumigen Material verdampfen. Aber einige kamen durch und hinterließen konische Löcher mit glänzenden Böden…

Weit voraus, beinahe hinter der unendlichen, unendlich sanften Wölbung, entdeckte Louis eine Vertiefung. Das muß ein großer Brocken gewesen sein, dachte er. So groß, daß man den Krater selbst aus dieser Entfernung im Sternenlicht erkennen kann.

Er machte die anderen nicht auf seine Entdeckung aufmerksam. Louis Augen und Verstand waren noch nicht an die Dimensionen der Ringwelt gewöhnt…

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