KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG SUCHER

Halrloprillalar hatte schreckliche Angst vor Der-zu-den-Tierenspricht, und Nessus traute sich nicht, sie aus dem Einfluß seines Tasps zu entlassen. Nessus meinte, wenn er den Tasp jedesmal verstärkte, wenn sie den Kzin erblickte, dann würde sie seinen Anblick schließlich sogar willkommen heißen. Bis dahin jedoch mieden sie beide seine ständige Gesellschaft.

So kam es, daß Nessus und Halrloprillalar woanders warteten, während Louis und Der-zu-den-Tieren-spricht auf dem Boden der Observationsplattform lagen und in das finstere Halbdunkel des Zellentrakts hinuntersahen.

»Fangen Sie an«, sagte Louis.

Der Kzin feuerte beide Läufe ab.

Donner rollte durch den Trichter und echote von den Wänden zurück. Ein greller Lichtpunkt, hell wie ein Blitz, erschien hoch oben an der Wand, direkt unterhalb der Decke. Er bewegte sich im Uhrzeigersinn und hinterließ eine rotglühende Spur auf der Mauer.

»Schneiden Sie kleine Stücke heraus«, wies Louis den Kzin an. »Wenn die gesamte Masse auf einmal fällt, machen wir vielleicht einen Satz wie Flöhe auf einem Hund, der sich schüttelt.«

Der-zu-den-Tieren-spricht änderte gehorsam den Schneidewinkel.

Trotzdem machte das schwebende Gefängnis einen Satz, als der erste Brocken von der Konstruktion abfiel. Louis klammerte sich am Boden fest. Durch das Loch erblickte er Sonnenschein, die Stadt tief unten — und Menschen.

Erst nachdem ein halbes Dutzend weiterer Brocken abgefallen waren, konnte Louis direkt nach unten sehen.

Dort stand — für einen kurzen Augenblick — ein hölzerner Altar mit einem darüber gespannten paraboloiden Bogen aus silbern glänzendem Metall. Dann krachte ein Brocken Zellentraktkonstruktion direkt daneben in den Boden, und Splitter flogen in alle Richtungen. Als der Staub sich gelegt hatte, war von dem Altar nur noch Kleinholz übrig. Die Menschen hatten sich lange vorher in Sicherheit gebracht.


»Menschen!« beschwerte Louis sich bei dem Puppenspieler. »Mitten im Herzen einer leeren Stadt, meilenweit von ihren Feldern entfernt! Das ist ein ganzer Tagesmarsch! Was suchen sie hier?«

»Sie verehren die Göttin Halrloprillalar. Sie sorgen dafür, daß Prill zu essen hat.«

»Ah. Opfergaben.«

»Selbstverständlich. Außerdem — macht es denn einen Unterschied, Louis?«

»Sie hätten getroffen werden können.«

»Vielleicht wurden einige sogar getroffen.«

»Ich dachte, ich hätte Teela dort unten gesehen. Nur für einen Augenblick.«

»Unsinn, Louis. Sollen wir unseren Antrieb testen?«

Das Flugrad des Puppenspielers war unter einem durchsichtigen, gelatinösen Hügel aus Kunststoff begraben. Nessus stand neben der freiliegenden Instrumentenkonsole.

Durch das große Fenster hatten sie einen phantastischen Ausblick auf die Stadt: die Docks, die Türme des Stadtzentrums, der sich ausbreitende Dschungel, der wahrscheinlich einst ein Park gewesen war — und all das mehrere tausend Fuß unter ihnen.

Louis hatte einen Gedanken: Der heroische Kommandant steht auf der Brücke, ein Vorbild für die gesamte Mannschaft. Die beschädigten Raketenantriebe können beim ersten Schub explodieren, doch es bleibt keine andere Möglichkeit. Die Schlachtschiffe der Kzinti müssen aufgehalten werden, bevor sie zur Erde durchbrechen können!

»Es wird niemals funktionieren«, sagte Louis Wu.

»Und warum nicht, Louis? Die Belastungen überschreiten auf keinen Fall die…«

»Ein fliegendes Schloß, Nessus! Um Finagles willen, mir ist gerade erst aufgegangen, wie verrückt das ganze ist! Wir scheinen den Verstand verloren zu haben! In der oberen Hälfte eines ehemaligen schwebenden Gefängnisses nach Hause zu zockeln…!« In diesem Augenblick setzte sich der Schwebebau in Bewegung, und Louis stolperte. Nessus hatte die Thruster gestartet.

Die Stadt zog unter ihnen vorbei. Immer schneller. Das Gefühl von Beschleunigung verging. Die Beschleunigung war zu keiner Zeit höher als einen Fuß pro Sekundenquadrat gewesen. Die Höchstgeschwindigkeit betrug vielleicht hundert Meilen pro Stunde. Das Gefängnis schwankte keinen Millimeter.

»Wir haben das Flugrad richtig zentriert«, sagte Nessus. »Der Boden ist waagerecht, wie Sie bemerkt haben werden, und das Bauwerk zeigt keinerlei Tendenz zu rotieren.«

»Es ist trotzdem verrückt.«

»Nichts ist verrückt, das funktioniert. Und jetzt verraten Sie mir, welche Richtung wir einschlagen sollen.«

Louis schwieg.

»Wohin sollen wir fliegen, Louis? Sie haben den Plan, nicht der Sprecher-zu-den-Tieren oder ich. Also, welche Richtung?«

»Steuerbord.«

»Sehr schön. Direkt nach Steuerbord?«

»Direkt nach Steuerbord. Wir müssen das Sturmauge umfliegen. Danach drehen wir um fünfundvierzig Grad nach Antispin.«

»Suchen Sie vielleicht die Stadt mit dem Schwebebau namens Himmel?«

»Genau. Können wir sie wiederfinden?«

»Das sollte kein Problem sein, Louis. Drei Stunden Flugzeit brachten uns her; wir sollten in dreißig Stunden wieder dort sein. Was kommt dann, Louis?«

»Das hängt davon ab.«


Das Bild war so lebendig. Es war reine Schlußfolgerung und Vorstellungskraft, und doch — so lebendig. Louis Wu tendierte zu Tagträumen in Farbe und 3D.

So lebendig. Aber war es tatsächlich real?

Erschreckend, wie schnell sein Vertrauen in das fliegende Gefängnis geschwunden war. Und doch bewegte sich der Schwebebau jetzt mit hundert Meilen in der Stunde voran. Louis Wu hatte nur die Idee geliefert. Mehr war nicht nötig gewesen.


»Der Blätteresser scheint zufrieden, daß Sie uns jetzt führen«, sagte Der-zu-den-Tieren-spricht.

Ein paar Fuß entfernt summten die Thruster des Flugrads leise vor sich hin. Draußen vor dem Fenster zog die Landschaft vorüber. Das Sturmauge lag weit entfernt an der Seite und starrte sie mit grauem Blick entmutigend an.

»Der Blätteresser hat den Verstand verloren«, sagte Louis Wu. »Ich hoffe, Sie sind vernünftiger.«

»Keine Spur. Wenn Sie einen Plan haben, dann folge ich Ihnen bereitwillig. Wenn wir allerdings in Kämpfe verwickelt werden sollten… vielleicht erzählen Sie mir ein wenig mehr darüber.«

»Hm.«

»Vielleicht sollten Sie mir trotzdem etwas erzählen, damit ich mir ein Bild machen kann und entscheiden, ob uns Auseinandersetzungen bevorstehen.«

»Das haben Sie schön formuliert.«

Der-zu-den-Tieren-spricht wartete schweigend.

»Wir suchen den Schattenblendendraht«, sagte Louis. »Sie erinnern sich an den Draht, mit dem wir kollidiert sind, nachdem die Meteoritenabwehr unser Schiff zum Wrack geschossen hatte? Später regnete der Draht über der Stadt mit dem schwebenden Schloß herab, eine Schleife nach der anderen, ohne ein Ende zu nehmen. Wahrscheinlich sind es Zehntausende von Meilen, viel mehr, als wir für das benötigen, was mir vorschwebt.«

»Und was schwebt Ihnen vor, Louis?«

»Wir müssen den Schattenblendendraht in unseren Besitz bringen. Die Chancen stehen nicht schlecht, daß die Eingeborenen ihn herausgeben, wenn Prill sie nett danach fragt und Nessus den Tasp einsetzt.«

»Und dann?«

»Dann werden wir herausfinden, wie verrückt ich tatsächlich bin.«


Wie ein Dampfer auf einem Fluß zog das schwebende Gebäude nach Steuerbord. Raumschiffe boten längst nicht so verschwenderisch viel Platz. Und was Luftschiffe anging, gab es im gesamten Bekannten Weltraum nichts Vergleichbares. Sechs Decks, auf denen sie herumklettern konnten. Reiner Luxus!

Andere Annehmlichkeiten fehlten ganz. Die Nahrung an Bord des fliegenden Wolkenkratzers bestand aus gefrorenem Fleisch, verderblichen Früchten und dem, was die Küchenautomatik von Nessus Flugrad lieferte. Puppenspielernahrung war für Menschen laut Nessus nicht verdaulich. Und so bestanden Louis’ Mahlzeiten aus Fleisch, das er mit seinem Flashlaser grillte, und knotigen roten Früchten.

Es gab kein Wasser an Bord.

Und natürlich keinen Kaffee.

Sie überredeten Prill, ein paar Flaschen eines alkoholischen Getränks zu öffnen. Sie hielten eine verspätete Schiffstaufe auf der improvisierten Brücke ab. Der-zu-den-Tieren-spricht zog sich höflich in eine Ecke des Raums zurück, während Prill mißtrauisch in der Nähe der Tür blieb. Niemand war mit dem von Louis vorgeschlagenen Namen Unwahrscheinlich einverstanden, und so gab es vier aufeinanderfolgende Taufzeremonien in vier verschiedenen Sprachen.

Das alkoholische Getränk war… sauer. Der-zu-den-Tieren-spricht fand es ungenießbar, und Nessus versuchte es erst gar nicht. Prill konsumierte eine ganze Flasche und packte die restlichen sorgfältig wieder weg.

Die Taufe wurde eine Unterrichtsstunde in Fremdsprachen. Louis lernte ein paar Floskeln in der Sprache der Ringweltkonstrukteure. Er stellte fest, daß der Kzin sehr viel schneller lernte als er selbst. Was in das Bild paßte. Der-zu-den-Tieren-spricht und Nessus waren ausgebildet worden, um mit menschlichen Sprachen, Denkweisen und Beschränkungen in der Lautbildung und im Hören umzugehen. Das hier war nichts weiter als mehr davon.

Sie trennten sich, um zu Abend zu essen. Nessus aß allein, indem er seine Küchenautomatik beanspruchte. Louis und Prill aßen gegrilltes Fleisch, und der Kzin zog sich ebenfalls zurück, um seine Ration roh zu essen.

Anschließend ging der Sprachunterricht weiter. Louis haßte es. Die anderen waren ihm so weit voraus, daß er sich vorkam wie ein Kretin.

»Louis, wir müssen die Sprache lernen! Unsere Reisegeschwindigkeit ist gering, und wir benötigen Nahrung! Wir werden immer wieder mit den Eingeborenen handeln müssen!«

»Ich weiß. Ich mochte Fremdsprachen noch nie.«

Es wurde dunkel. Selbst in dieser Entfernung vom Sturmauge war die Wolkendecke lückenlos. Die Nacht war schwarz wie das Innere eines Drachenschlunds. Louis verlangte nach einer Pause im Unterricht. Er war müde und gereizt und völlig verunsichert. Die anderen ließen ihn ausruhen.

In zehn Stunden würden sie das Sturmauge passieren.


Er warf sich unruhig im Bett hin und her und fand keinen richtigen Schlaf, als Prill zu ihm zurückkehrte. Ihre Hände streichelten ihn lasziv, und er wollte sie zu sich ziehen.

Sie wich zurück. Dann redete sie in ihrer eigenen Sprache, allerdings stark vereinfacht, damit Louis sie verstehen konnte.

»Du Anführer?«

Verschlafen dachte Louis nach. »Ja«, sagte er schließlich, weil die tatsächliche Situation zu komplex war.

»Machen, daß Zweiköpfiger mir geben Maschine.«

»Was?« Louis suchte krampfhaft nach Worten. »Geben was?«

»Maschine, die machen Halrloprillalar glücklich. Halrloprillalar wollen. Du nehmen.«

Louis lachte auf. Er meinte zu wissen, auf was sie hinauswollte.

»Du wollen Halrloprillalar? Du nehmen Maschine«, sagte sie wütend.

Der Puppenspieler hatte etwas, das sie wollte. Sie hatte keine Macht über ihn, weil er kein Mensch war. Louis Wu war der einzige Mensch in der Gruppe. Ihre Macht würde ihn zu ihrem Diener machen. Es hatte immer funktioniert; war sie nicht eine Göttin?

Vielleicht hatte Louis’ Behaarung sie in die Irre geführt. Vielleicht hatte sie angenommen, daß Louis zu einer der behaarten unteren Kasten gehörte, vielleicht ein halber Baumeister wegen seines kahlen Gesichts, doch auf keinen Fall mehr. Folglich war er nach dem Fall der Städte geboren worden und kannte die Lebensdroge nicht. Er war also noch jung und unerfahren.

»Die Idee war gar nicht schlecht«, sagte Louis auf Interspeak. Prill ballte wütend die Fäuste, als sie seinen Spott bemerkte. »Ein dreißigjähriger Mann wäre Wachs in deinen Händen. Aber ich bin keine Dreißig.« Er lachte erneut.

»Die Maschine. Wo Zweiköpfiger haben?« In der Dunkelheit beugte sie sich über ihn, ein verführerischer, wunderschöner Schatten. Ihr nackter Schädel glänzte schwach, und das schwarze Haar fiel wallend über die Schultern. Ihr Duft benebelte Louis.

Er fand die Worte, um zu sagen: »Unter Haut, an Knochen festgemacht. Ein Kopf.«

Prill gab ein knurrendes Geräusch von sich. Sie schien verstanden zu haben; das Gerät war chirurgisch implantiert. Sie wandte sich ab und ging.

Louis überlegte kurz, ob er ihr folgen sollte. Er wollte sie mehr, als er sich selbst einzugestehen bereit war. Doch sie würde Macht über ihn besitzen, wenn er das zuließ, und ihre Motive deckten sich nicht mit denen von Louis Wu.


Das Rauschen des Windes wurde nach und nach stärker. Louis Schlaf wurde leichter… und ging in einen erotischen Traum über.

Er schlug die Augen auf.

Prill kniete rittlings über ihm wie ein Sukkubus. Ihre Finger streichelten sanft über seine Brust und seinen Unterleib. Ihre Lippen bewegten sich rhythmisch, und Louis bewegte sich mit ihnen. Sie spielte auf ihm wie auf einem Musikinstrument.

»Wenn ich mit dir fertig bin, gehörst du mir«, summte sie leise. In ihrer Stimme lag Erregung, doch es war nicht die Erregung einer Frau, die mit einem Mann schlief. Es war die Erregung, die jemand verspürt, der Macht über einen anderen ausübt.

Ihre Berührung bereitete Louis überirdische Freuden. Sie kannte ein schreckliches, uraltes Geheimnis: daß jede Frau mit einem Tasp geboren wird, und daß seine Macht grenzenlos ist, wenn sie lernt, ihn richtig einzusetzen. Halrloprillalar würde ihn einsetzen, ihn wieder wegnehmen, erneut einsetzen, erneut wegnehmen… bis Louis darum betteln würde, ihr dienen zu dürfen.

Irgend etwas veränderte sich in ihr. Ihr Gesicht konnte es nicht zum Ausdruck bringen, doch Louis merkte, wie Halrloprillalars Erregung stieg. Mit einem Mal spürte auch sie Lust. Sie bewegte sich anders.

Sie kamen gemeinsam. Eine Woge der unglaublichsten Wonne rollte über Louis hinweg.

Sie blieb die ganze Nacht über bei ihm. Hin und wieder wachten sie auf und liebten sich, um anschließend weiterzuschlafen. Wenn Prill zu diesen Zeiten Enttäuschung spürte, behielt sie es für sich. Vielleicht lag es auch daran, daß Louis es nicht sah. Er wußte nur, daß sie nicht mehr länger mit ihm spielte wie mit einem Instrument. Sie spielten ein Duett.

Irgend etwas war mit ihr geschehen. Und Louis hatte auch schon einen Verdacht, was das gewesen sein mochte.


Der Morgen dämmerte grau und stürmisch. Wind pfiff um das alte Bauwerk. Regen klatschte gegen das große Panoramafenster der Brücke und wurde vom Wind durch zerbrochene Fenster weiter oben gepeitscht. Die Unwahrscheinlich befand sich sehr nah am Sturmauge. Louis zog sich an und verließ die Brücke. Er traf Nessus draußen im Korridor.

»Sie!« brüllte er.

»Ja, Louis?« erwiderte der Puppenspieler.

»Was haben Sie letzte nacht mit Prill angestellt?«

»Zeigen Sie ruhig ein wenig Dankbarkeit, Louis. Sie hat versucht, Macht über Sie zu gewinnen. Sie wollte Sie konditionieren, einen gefügigen Diener aus Ihnen machen. Ich habe es selbst gehört.«

»Sie haben den Tasp gegen sie verwendet!«

»Ich gab ihr drei Sekunden auf halber Energie, während Sie beide in reproduktive Aktivitäten verwickelt waren. Jetzt ist sie konditioniert, Louis.«

»Sie Monstrum! Sie egoistisches Monstrum!«

»Kommen Sie nicht näher, Louis!«

»Prill ist ein Mensch mit einem freien Willen!«

»Was ist mit Ihrem eigenen freien Willen?«

»Ich war nicht in Gefahr. Sie kann mich nicht kontrollieren!«

»Macht Ihnen sonst noch etwas Sorgen? Louis, Sie beide sind nicht das erste menschliche Paar, dem ich bei reproduktiven Aktivitäten zugesehen habe. Wir hatten das Gefühl, wir müßten alles über Ihre Spezies in Erfahrung bringen. Kommen Sie nicht näher, Louis!«

»Sie hatten kein Recht dazu!« Louis hatte nicht vorgehabt, den Puppenspieler anzugreifen. Er ballte wütend die Fäuste, doch er beabsichtigte nicht, sie zu benutzen. Zornig trat er einen weiteren Schritt vor…

… und befand sich in allerhöchster Ekstase.

Inmitten der reinsten Glückseligkeit, die er jemals verspürt hatte, wußte Louis, daß der Puppenspieler den Tasp gegen ihn einsetzte. Ohne einen einzigen Gedanken an die Konsequenzen trat Louis aus.

Er nahm alle Kraft zusammen, die der Tasp ihm gelassen hatte. Es war nicht viel, doch er setzte sie ein, und er trat den Puppenspieler in den Larynx unterhalb des linken Kiefers.

Die Konsequenzen waren schrecklich. Nessus sagte: »Glup!« und stolperte rückwärts, und er schaltete den Tasp ab.

Er schaltete den Tasp ab.

Sämtliche Sorgen und Ängste der Menschheit brachen gleichzeitig über Louis Wu herein. Er ließ die Schultern hängen und wandte sich von Nessus ab. Er wollte weinen, aber mehr noch als das wollte er, daß der Puppenspieler sein Gesicht nicht sehen konnte. Louis ging.


Er wanderte ziellos umher. In seinem Innern war nichts als Traurigkeit. Reiner Zufall brachte ihn zur Treppe.

Er hatte genau gewußt, was er Prill angetan hatte. Kopfüber über einem neunzig Fuß tiefen Abgrund war er geradezu begierig gewesen zu sehen, wie Nessus den Tasp gegen die Baumeisterfrau einsetzte. Louis hatte Drahtköpfe gesehen und wußte, was die Stimulation des Lustzentrums aus ihnen gemacht hatte.

Konditioniert! Wie ein Versuchstier! Und sie wußte es! Letzte Nacht — es war ihr letzter tapferer Versuch gewesen, sich der Macht des Tasps zu entziehen.

Jetzt hatte Louis am eigenen Leib gespürt, was ihr widerfahren war. Wogegen sie angekämpft hatte.

»Ich hätte es nicht zulassen dürfen«, sagte er zu sich selbst. »Ich nehme es zurück.« Ein seltsamer Gedanke, selbst in Louis’ tiefer Verzweiflung. Man konnte etwas Derartiges nicht zurücknehmen.

Reiner Zufall, daß er die Treppe hinunterstieg, anstatt nach oben. Vielleicht erinnerte sich sein Kleinhirn auch an eine Woge der Lust, die über ihn hinweggerollt war, irgendwann letzte Nacht. Eine Woge, die er bewußt kaum wahrgenommen hatte.

Ringsum brüllte der Wind. Regen prasselte aus allen Richtungen auf Louis ein, als er die Plattform erreicht hatte. Es lenkte einiges an Aufmerksamkeit von seinem inneren Kummer ab und nach draußen. Allmählich verlor sich die Trauer, die sich mit dem Abschalten des Tasps eingestellt hatte.

Einst hatte sich Louis Wu geschworen, ewig zu leben.

Heute, viele Jahre später, wußte er, daß eine solche Entscheidung auch Verpflichtungen mit sich brachte.

»Ich muß sie heilen«, sagte er zu sich. »Aber wie? Keinerlei physische Entzugserscheinungen… aber das hilft ihr auch nicht, wenn sie sich entschließt, aus einem zerbrochenen Fenster zu springen. Wie heile ich mich selbst?« Irgendein Teil in seinem Innern weinte noch immer und sehnte sich nach dem Tasp, und er würde niemals damit aufhören.

Die Sucht bestand aus nichts weiter als einer unterbewußten Erinnerung. Wenn er die Frau irgendwo zusammen mit ihrem Vorrat an Lebensdroge absetzte, würde die Erinnerung eines Tages verblassen…

»Tanj! Wir brauchen sie!« Sie wußte zu gut über die Maschinen der Unwahrscheinlich Bescheid. Louis konnte sie nicht entbehren.

Also mußte er Nessus dazu bringen, daß er wenigstens den Tasp nicht mehr einsetzte. Und Halrloprillalar für eine Weile beobachten. Anfangs würde sie entsetzlich deprimiert sein…

Abrupt registrierte sein Verstand, was seine Augen bereits seit einiger Zeit gesehen hatten.

Der Wagen befand sich zwanzig Fuß unterhalb der Beobachtungsplattform. Eine pfeilförmige braune Konstruktion mit schmalen Fensterschlitzen schwebte antriebslos im heulenden Wind, eingefangen von dem elektromagnetischen Feld, das abzuschalten sie alle vergessen hatten.

Louis blickte einmal hin- und noch einmal, um sicherzugehen, daß er ein Gesicht hinter der Scheibe gesehen hatte. Dann stürmte er die Treppe hinauf und rief nach Prill.

Er kannte die Worte nicht. Er nahm sie bei der Hand, zog sie hinter sich her die Treppe hinunter und zeigte es ihr. Sie nickte und ging wieder hoch, um das Polizeifeld zu manipulieren.

Der braune Pfeil schwebte zum Rand der Plattform. Der erste Insasse kletterte hinaus. Er hielt sich mit beiden Händen fest, so stark heulte der Wind.

Es war Teela Brown. Louis war nicht sonderlich überrascht.

Der zweite Passagier verkörperte so sehr einen bestimmten Typ, daß Louis in lautes Lachen ausbrach. Teela sah ihn erschreckt und beleidigt an.


Sie passierten das Sturmauge. Der Wind fuhr durch das Treppenhaus, welches zur Aussichtsplattform hinaufführte. Er pfiff durch die Korridore des untersten Stockwerks und heulte durch die zerbrochenen Fenster weiter oben. Die Räume waren naß vom Regen.

Teela und ihr Begleiter sowie die Besatzung der Unwahrscheinlich saßen in Louis’ Schlafzimmer, der Brücke. Teelas braungebrannter Begleiter unterhielt sich leise in einer Ecke mit Halrloprillalar. Prill hielt die ganze Zeit über ein wachsames Auge auf den Kzin und ein anderes auf das Fenster des Raums gerichtet. Die anderen umringten Teela, die ihre Geschichte erzählte.


Das Polizeifeld hatte den größten Teil der Aggregate in Teelas Flugrad zerstört. Den Peilsender, die Schallfalte und die Küchenautomatik waren auf einen Schlag ausgebrannt.

Teela war noch am Leben, weil die Schallfalte sich wie eine stehende Welle verhielt. Sie hatte den plötzlichen Fahrtwind gespürt und augenblicklich das Retrofeld aktiviert, bevor der Wind ihr bei zweifacher Schallgeschwindigkeit den Kopf abreißen konnte. Innerhalb von Sekunden war sie unter die zulässige Höchstgeschwindigkeit zurückgefallen. Das elektromagnetische Polizeifeld stand im Begriff, ihren Thruster durchbrennen zu lassen, doch dann deaktivierte es sich. Der Wind war auf ein erträgliches Maß zurückgegangen, als die Schallfalte schließlich in sich zusammenfiel.

Aber Teela war geschockt. Sie war dem Tod zu nahe gewesen, als sie im Sturmauge nach unten tauchte. Das war jetzt das zweite Mal, und in zu schneller Folge. Sie steuerte das Flugrad nach unten und suchte in der Dunkelheit nach einer Stelle, wo sie landen konnte.

Sie fand eine gepflasterte Mall, die von Geschäften umgeben war. Lichter brannten: ovale Türen, durch die ein orangefarbener Schein nach draußen fiel. Das Flugrad setzte hart auf, doch das war ihr zu diesem Zeitpunkt egal. Sie war unten.

Sie stand im Begriff abzusteigen, als das Flugrad wieder in die Höhe stieg. Die unvermittelte Bewegung schleuderte sie zur Seite. Sie stemmte sich auf Ellbogen und Knie und schüttelte benommen den Kopf. Als sie nach oben blickte, war das Flugrad nur noch ein sich rasch entfernender Schatten hoch in der Luft.

Teela fing an zu weinen.

»Wahrscheinlich hast du im Halteverbot geparkt«, sagte Louis.

»Es ist mir egal, warum es geschah! Ich fühlte…« Ihr fehlten die richtigen Worte. Sie versuchte es trotzdem. »Ich wollte mit jemandem reden, wollte ihm sagen, daß ich mich verirrt hatte. Es war niemand da. Also setzte ich mich auf eine der Steinbänke und weinte.

Ich weinte stundenlang. Ich hatte Angst, mich von der Stelle zu bewegen, weil ich wußte, daß ihr kommen und nach mir suchen würdet. Dann… kam er.« Sie nickte ihrem Begleiter zu. »Er war überrascht, mich zu finden. Er fragte mich etwas… Ich verstand kein Wort. Er versuchte mich zu trösten. Ich war froh, daß er da war, auch wenn er mir nicht helfen konnte.«

Louis nickte. Teela würde jedem vertrauen. Sie würde ohne jeden Unterschied bei jedem Fremden Hilfe suchen, der ihren Weg kreuzte. Und sie wäre in völliger Sicherheit. Nichts würde ihr geschehen.

Ihr Begleiter war eine ungewöhnliche Erscheinung.

Er war ein Held. Man erkannte es auf den ersten Blick. Man mußte nicht erst sehen, wie er Drachen bekämpfte. Der Anblick seiner Muskeln, seiner Größe und des schwarzen Schwertes reichte aus. Die maskulinen Züge, hart und verwegen wie die Drahtskulptur in dem Schloß namens Himmel. Die höfliche Art und Weise, wie er mit Prill sprach, anscheinend ohne zu bemerken, daß sie dem anderen Geschlecht angehörte. Vielleicht, weil sie die Frau eines anderen Mannes war?

Er war glatt rasiert. Nein, das war unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher gehörte er zur Hälfte zur Rasse der Baumeister. Sein Haar war lang und aschblond und nicht zu sauber, und unter dem Haaransatz wölbte sich eine edle Stirn. Um den Leib trug er eine kurze Tunika aus der Haut eines Tieres.

»Er gab mir zu essen«, berichtete Teela. »Er gab auf mich acht. Gestern versuchten vier Männer, uns zu überfallen, und er vertrieb sie allein mit seinem Schwert. Und er hat in ganz kurzer Zeit sehr viel Interspeak gelernt.«

»Tatsächlich?«

»Er hat sehr viel Übung mit Fremdsprachen.«

»Das ist nicht nett von dir.«

»Was?«

»Vergiß es. Erzähl weiter.«

»Er ist sehr alt, Louis. Er hat eine massive Dosis von irgendwas genommen, das so ähnlich wirkt wie Boosterspice, Louis. Es ist schon lange her. Er sagt, er hätte es einem bösen Magier weggenommen. Er ist so alt, daß seine Großeltern sich an den Fall der Städte erinnerten!

Weißt du, was er macht?« Ihr Lächeln wurde lausbübisch. »Er ist auf einer Art Wallfahrt. Vor langer Zeit hat er einen Eid geschworen, zum Anfang des Bogens zu gehen. Und das macht er. Seit Hunderten von Jahren.«

»Zum Anfang des Bogens?«

Teela nickte. Sie lächelte entzückend, und sie genoß den Scherz ganz offensichtlich, doch in ihren Augen stand noch mehr.

Louis hatte Liebe in Teelas Blicken gesehen, aber niemals Zärtlichkeit.

»Und du bist deswegen auch noch stolz auf ihn! Du kleiner Dummkopf, du weißt doch, daß es keinen Bogen gibt!«

»Ich weiß das, Louis.«

»Und warum sagst du es ihm dann nicht?«

»Wenn du es ihm verrätst, hasse ich dich. Er hat zuviel Zeit seines Lebens damit verbracht, den Anfang des Bogens zu suchen. Und er tut Gutes. Er kennt ein paar Dinge, und er verbreitet sie über die Ringwelt, während er spinwärts wandert.«

»Was kann er schon wissen? Er scheint mir nicht besonders intelligent zu sein.«

»Nein, ist er auch nicht.« So, wie sie es sagte, machte es ihr nichts aus. »Aber wenn ich mit ihm reise, kann ich vielen Leuten sehr viel beibringen.«

»Ich wußte, daß das kommen würde«, sagte Louis. Trotzdem tat es weh.

Ob sie wußte, daß es ihn schmerzte? Sie sah ihm nicht in die Augen. »Wir waren einen ganzen Tag in der Mall, bevor mir klar wurde, daß ihr meinem Flugrad folgen würdet und nicht mir. Er erzählte mir von Hal-Hal-… von dieser Göttin und dem schwebenden Gefängnis, das Fahrzeuge einfing. Und so sind wir hergekommen.

Wir blieben in der Nähe des Altars und warteten darauf, daß eure Flugräder auftauchten. Dann fiel das Gefängnis auf einmal auseinander. Anschließend meinte Sucher…«

»Sucher?«

»So nennt er sich. Wenn ihn jemand nach dem Grund fragt, so kann er erzählen, daß er zum Anfang des Bogens geht, und von den zahlreichen Abenteuern, die er unterwegs erlebt hat… verstehst du?«

»Ja.«

»Er probierte die Motoren in all den alten Wagen aus. Er meinte, daß die Fahrer ihre Maschinen abstellten, wenn sie vom Polizeifeld erfaßt wurden, damit sie nicht ausbrannten.«

Louis und Der-zu-den-Tieren-spricht und Nessus blickten sich an. Die Hälfte der Wracks über dem Abgrund hatte wahrscheinlich noch funktioniert!

»Wir fanden einen Wagen, der noch flog«, fuhr Teela fort. »Wir jagten euch hinterher, aber wir verpaßten euch in der Dunkelheit. Zum Glück hat uns das Polizeifeld wegen überhöhter Geschwindigkeit wieder eingefangen.«

»Zum Glück. Ich glaube, ich habe gestern abend den Überschallknall gehört, aber ich bin nicht sicher«, sagte Louis.

Sucher hatte aufgehört zu reden. Er lehnte bequem an der Wand des Gouverneursschlafzimmers und starrte den Kzin an. Auf seinem Gesicht stand die Andeutung eines Lächelns. Der-zu-den-Tierenspricht erwiderte seinen Blick. Louis gewann den Eindruck, daß beide sich fragten, wie es sein würde, gegeneinander zu kämpfen.

Prill sah aus dem Fenster, und auf ihrem Gesicht stand Furcht. Als das Heulen des Windes zu einem Kreischen anschwoll, durchfuhr sie ein Schauer.

Vielleicht hatte sie Gebilde wie das Sturmauge schon früher gesehen. Kleine Asteroidenlöcher, normalerweise rasch wieder repariert, traten wahrscheinlich andauernd irgendwo auf der Ringwelt auf. Sie waren stets eine Nachricht wert gewesen und ein Bild im 3DFernsehen oder dem Ringweltäquivalent davon. Ein Sturmauge verursachte Furcht. Atemluft, die in den interplanetaren Raum entwich. Ein auf der Seite liegender Hurrikan, mit einem Abfluß am Boden, der so endgültig war wie der Abfluß einer Badewanne, wenn man erst einmal in den Sog geriet.

Das Heulen des Windes wurde vorübergehend noch lauter. Auf Teelas Stirn zeigten sich Sorgenfalten. »Ich hoffe, das Gebäude ist stabil genug«, sagte sie.

Louis staunte. Wie sie sich verändert hat! Andererseits hatte das Sturmauge ihr Leben bedroht, als sie das letzte Mal durchgeflogen waren…

»Ich brauche deine Hilfe«, sagte sie. »Ich will Sucher, weißt du?«

»Ja.«

»Er will mich auch, aber er hat einen merkwürdigen Ehrenkodex. Ich versuchte ihm von dir zu erzählen, Louis, als er mich in das schwebende Gebäude bringen sollte. Er wurde sehr unruhig und hörte auf, mit mir zu schlafen. Er denkt, ich gehöre dir.«

»Sklaverei?«

»Sklaverei für Frauen, glaube ich. Du sagst ihm doch, daß ich dir nicht gehöre, oder?«

Louis spürte einen Stich in der Brust. »Vielleicht können wir uns überflüssige Erklärungen sparen, wenn ich dich einfach an ihn verkaufe. Wenn es das ist, was du dir wünschst.«

»Du hast recht, Louis. Und ja, das wünsche ich mir. Ich will mit ihm über die Ringwelt reisen. Ich liebe ihn, Louis.«

»Sicher tust du das, Teela. Ihr seid füreinander geschaffen«, erwiderte Louis Wu. »Es war Schicksal. Ihr mußtet euch begegnen. Die hundert Milliarden Paare, die genau das gleiche füreinander fühlen wie ihr…«

Sie blickte ihn zweifelnd an. »Jetzt bist du aber nicht… sarkastisch, Louis, oder?«

»Vor einem Monat wußtest du nicht einmal, was Sarkasmus überhaupt ist. Nein, es mag seltsam klingen, aber ich bin nicht sarkastisch. Die hundert Milliarden Paare sind nicht von Bedeutung, weil sie nicht Teil eines tanj geplanten Zuchtexperiments der Puppenspieler sind.«

Plötzlich hatte er die ungeteilte Aufmerksamkeit aller Anwesenden. Selbst Sucher starrte ihn an, wohl um herauszufinden, wohin alle auf einmal sahen.

Louis hatte nur Augen für Teela Brown.

»Wir stürzten auf die Ringwelt«, fuhr er in freundlichem Ton fort, »weil die Ringwelt die ideale Umgebung für dich ist. Du mußtest Dinge lernen, die du auf der Erde oder sonst irgendwo im Bekannten Weltraum offensichtlich nicht lernen konntest. Vielleicht gab es auch noch andere Gründe — ein besseres Boosterspice zum Beispiel, und mehr Lebensraum —, doch der Hauptgrund, aus dem du hier bist, ist zum Lernen.«

»Was soll ich denn lernen?«

»Schmerz. Furcht. Verlust. Ich weiß es nicht. Du bist eine andere Frau als die Teela Brown, die herkam. Vorher warst du eine Art… Abstraktion. Hast du dir eigentlich jemals den großen Zeh gestoßen?«

»Was für eine lustige Vorstellung. Nein, ich glaube nicht.«

»Hast du dir jemals die Fußsohlen verbrannt?«

Sie funkelte ihn an. Sie erinnerte sich nur zu gut an den Vorfall.

»Die Liar stürzte ab, um dich herzubringen. Wir reisten mehrere hunderttausend Meilen weit, um dich zu deinem Sucher zu bringen. Dein Flugrad trug dich direkt zu ihm, und das Polizeifeld fing dich genau über ihm ein, weil Sucher der Mann ist, den zu lieben du geboren wurdest.«

Teela lächelte, als Louis das sagte, doch Louis erwiderte ihr Lächeln nicht. »Dein Glück verlangte, daß dir genügend Zeit blieb, ihn kennenzulernen. Aus diesem Grund hingen Der-zu-den-Tierenspricht und ich mehr als zwanzig Stunden kopfüber…«

»Louis!«

»… neunzig Fuß über einem Abgrund. Aber es kommt noch schlimmer.«

Der Kzin polterte: »Das kommt auf den Standpunkt an.«

Louis ignorierte ihn. »Teela, du hast dich in mich verliebt, weil du dadurch ein Motiv hattest, dich unserer Expedition zur Ringwelt anzuschließen. Du bist nicht mehr in mich verliebt, weil es nicht mehr nötig ist. Du bist da. Und ich — ich war aus dem gleichen Grund in dich verliebt. Das Glück der Teela Brown benutzte mich als Marionette…

… doch die wirkliche Marionette bist du selbst. Du wirst für den Rest deines Lebens an den Fäden deines Glücks tanzen. Finagle weiß, ob du überhaupt einen freien Willen besitzt. Wenn, dann wirst du sicherlich Schwierigkeiten haben, ihn durchzusetzen.«

Teela war leichenblaß geworden. Ihre Schultern waren steif und gerade. Sie weinte nicht, doch es kostete sie sichtliche Selbstbeherrschung. Früher hatte sie diese Selbstbeherrschung nicht besessen.

Sucher kniete in der Ecke und beobachtete Louis und Teela, während sein Daumen gedankenverloren über die Schwertklinge strich. Es konnte ihm kaum entgangen sein, daß Teela unglücklich war wegen dem, was Louis ihr zu sagen hatte. Er schien noch immer zu glauben, daß sie Louis Wu gehörte.

Louis wandte sich zu dem Puppenspieler um. Er war nicht überrascht zu sehen, daß Nessus sich zu einer Kugel zusammengerollt, die Köpfe unter den Bauch gesteckt und sich aus dem Universum zurückgezogen hatte.

Louis packte den Puppenspieler am Knöchel seines Hinterbeins. Er stellte fest, daß er den Puppenspieler mit ein wenig Anstrengung auf den Rücken drehen konnte. Nessus wog kaum mehr als Louis Wu.

Und es gefiel ihm überhaupt nicht. Der Knöchel zitterte in Louis’ Hand.

»Sie sind für all das verantwortlich«, sagte Louis zu ihm. »Sie mit Ihrer monströsen Selbstgefälligkeit! Ihre Selbstgefälligkeit macht mir mindestens genausoviel zu schaffen wie der gewaltige Fehler, den Ihre Rasse begangen hat. Wie kann jemand so mächtig und entschlossen und gleichzeitig so unglaublich dumm sein kann, ist mir ein absolutes Rätsel. Kapieren Sie endlich, daß alles, was uns zugestoßen ist, nichts weiter ist als ein Nebeneffekt von Teela Browns Glück?«

Die Kugel, die Nessus war, zog sich womöglich noch enger zusammen. Sucher beobachtete den Puppenspieler fasziniert.

»Wenn Sie wieder zu Hause bei Ihrer Weltenflotte sind, dann erzählen Sie Ihren Hintersten, daß es gefährlich ist, sich in menschliche Paarungsgewohnheiten einzumischen. Erzählen Sie ihnen, daß genügend Teela Browns sämtliche Gesetze der Wahrscheinlichkeit umstoßen könnten. Und auf atomarer Ebene sind selbst die Naturgesetze nichts weiter als Wahrscheinlichkeiten. Erzählen Sie ihnen, das Universum sei ein zu kompliziertes Spielzeug für ein intelligentes vorsichtiges Wesen.

Erzählen Sie ihren Hintersten das, wenn ich Sie wieder nach Hause gebracht habe«, sagte Louis Wu. »Und jetzt rollen Sie sich gefälligst wieder auseinander! Augenblicklich! Ich brauche den Schattenblendendraht, und Sie werden ihn für mich suchen! Wir sind fast am Sturmauge vorbei. Kommen Sie heraus, Nessus…!«

Der Puppenspieler entrollte sich und stand auf. »Sie beschämen mich, Louis Wu…«, setzte er an zu protestieren.

»Das wagen Sie hier vor allen zu sagen?« Der Puppenspieler verstummte. Wortlos drehte er sich um und beobachtete durch das Panoramafenster den Sturm.

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