Kapitel Zwanzig

Die Welt wurde dunkel, und ein leises Dröhnen füllte Richards Kopf, wie das zornige Grollen von tausend wütenden Ungeheuern.

Er blinzelte in die Dunkelheit und hielt seine Tasche fest. Er fragte sich, ob es dumm von ihm gewesen war, das Messer wegzustecken.

Menschen drängelten sich an ihm vorbei. Richard zuckte vor ihnen zurück. Vor ihm befand sich eine Treppe. Er begann die Stufen emporzusteigen. Und während er das tat, löste die Welt sich auf und nahm neue Gestalt an. Das Grollen war der Verkehrslärm, und er tauchte aus einer Unterführung am Trafalgar Square auf.

Es war der Vormittag eines warmen Oktobertags, und er stand auf dem Platz, die Tasche in der Hand, und blinzelte ins Licht. Taxis und rote Busse und Autos jagten röhrend um den Platz herum, und Touristen warfen Taubenfutter für die Unmengen von pummeligen Tauben auf den Boden und fotografierten das Nelson-Denkmal und die riesigen Landseer-Löwen, die es flankierten.

Der Himmel war von dem vollkommenen, ungetrübten Blau eines Fernsehbildschirms, der auf einen leeren Kanal eingestellt war.

Er ging über den Platz und fragte sich, ob er selbst real war oder nicht. Die japanischen Touristen ignorierten ihn. Er versuchte, ein hübsches Mädchen anzusprechen, das lachte und etwas in einer Sprache sagte, die Richard für Italienisch hielt, doch in Wirklichkeit war es Finnisch.

Ein kleines Kind unbestimmten Geschlechts starrte ein paar Tauben an, während es mit dem Mund einen Schokoriegel vernichtete. Er hockte sich neben es.

»Ähm. Hallo, Kleines«, sagte Richard.

Das Kind lutschte konzentriert an seinem Schokoriegel und verriet mit keiner Reaktion, daß es Richard als menschliches Wesen erkannte.

»Hallo«, sagte Richard, und ein leichter Hauch von Verzweiflung stahl sich in seine Stimme. »Kannst du mich sehen? Kleines? Hallo?«

Zwei kleine Augen funkelten ihn wütend aus einem schokoladenverschmierten Gesicht an. Und dann ergriff das Kind die Flucht, schlang die Arme um die Beine der nächsten erwachsenen weiblichen Person und sagte: »Mami? Der Mann macht mir angst. Er macht mir angst, Mami. «

Wie eine Furie ging die Mutter des Kindes auf Richard los. »Was soll das?« fragte sie. »Was wollen Sie von unserer Leslie? Leute wie Sie sollte man einsperren.«

Richard begann zu lächeln. Es war ein riesiges und glückliches Lächeln. Dieses Lächeln wäre nicht mal erstorben, wenn man Richard einen Backstein auf den Hinterkopf geschlagen hätte.

»Es tut mir wirklich entsetzlich leid«, sagte er und grinste dabei wie eine Cheshire-Katze.

Und dann rannte er, seine Tasche fest in der Hand, über den Trafalgar Square, begleitet von dem plötzlichen Geflatter von Tauben, die sich aufgeschreckt in die Luft erhoben.



Er nahm seine Bankkarte aus der Brieftasche und steckte sie in den Geldautomaten.

Der Automat erkannte seine vierstellige Geheimzahl, wies ihn an, sie vor jedermann geheimzuhalten, und fragte, was er für ihn tun könne.

Richard bat um Bargeld, und er bekam reichlich davon. Er boxte vor Freude in die Luft und tat dann verlegen so, als habe er einem Taxi gewunken.

Daraufhin hielt ein Taxi vor ihm – es hielt! – vor ihm! –, und er stieg ein und setzte sich auf den Rücksitz und strahlte. Er sagte dem Fahrer, er solle ihn ins Büro bringen. Und als dieser ihn darauf hinwies, daß er zu Fuß fast schneller dort wäre, grinste Richard noch breiter, und er bat – bettelte den Taxifahrer praktisch an, ihn, Richard, mit seinen Ansichten zu den Themen Innerstädtische Verkehrsprobleme, Wie man am besten mit der Kriminalität fertig wird und Heikle Politische Themen des Tages zu ergötzen.

Der Taxifahrer unterstellte Richard, er würde ihn ›auf den Arm nehmen‹, und schmollte auf der ganzen fünfminütigen Fahrt bis zum Strand. Richard kümmerte das nicht. Er gab dem Mann trotzdem ein unglaublich hohes Trinkgeld.

Und dann ging er in sein Büro.

Als er das Gebäude betrat, spürte er, wie das Lächeln aus seinem Gesicht verschwand. Mit jedem Schritt wurde er ängstlicher, beklommener. Was, wenn er noch immer keinen Job mehr hatte? Was, wenn kleine, schokoladenverschmierte Kinder und Taxifahrer ihn sehen konnten, er jedoch für seine Kollegen unsichtbar blieb? Was, wenn …

Mr. Figgis, der Pförtner, schaute von einem Sexy-Lolitas-Club- Heft auf, das er in seiner Sun versteckt hatte, und er schniefte.

»Morgen, Mister Mayhew«, sagte er. Es war kein einladendes ›Morgen‹. Es war ein ›Morgen‹, das besagte, daß es dem Sprecher gleichgültig war, ob der Empfänger lebte oder starb – ganz zu schweigen davon, ob es überhaupt Morgen war.

»Figgis!« rief Richard vergnügt. »Auch Ihnen einen guten Morgen, Mister Figgis, Sie Ausnahmeportier!«

Niemand hatte je so etwas zu Mr. Figgis gesagt, nicht einmal die nackten Damen seiner Fantasie. Er starrte Richard mißtrauisch an, bis er im Aufzug war und aus dem Blickfeld verschwand. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder den sexy Lolitas zu, von denen, wie ihm langsam der Verdacht kam, keine unter neunundzwanzig war, Lollis hin, Lollis her.

Richard stieg aus dem Aufzug und ging zögernd den Korridor entlang.

Alles wird gut, sagte er sich, wenn bloß mein Schreibtisch da ist. Wenn mein Schreibtisch da ist, wird alles gut.

Er betrat das Großraumbüro, in dem er drei Jahre lang seinem Job nachgegangen war. Menschen arbeiteten an Schreibtischen, führten Telefongespräche, wühlten in Aktenschränken, tranken schlechten Tee und noch schlechteren Kaffee. Es war sein Büro.

Und da war die Stelle am Fenster, wo einmal sein Schreibtisch gestanden hatte, die jetzt von einer grauen Ansammlung von Aktenschränken und einer Yucca-Palme eingenommen wurde.

Er wollte sich gerade umdrehen und weglaufen, als ihm jemand einen Styroporbecher mit Tee reichte.

»Die Rückkehr des verlorenen Sohns, he?« sagte Garry. »Hier, nimm.«

»Hallo, Garry«, sagte Richard. »Wo ist mein Schreibtisch?«

»Hier entlang«, antwortete Garry. »Wie war’s denn so auf Mallorca?«

»Mallorca?«

»Fährst du nicht immer nach Mallorca?« fragte Garry. Sie gingen die Treppe hinauf, die zum dritten Stock führte.

»Diesmal nicht«, erwiderte Richard.

»Ich wollt’ schon sagen«, sagte Garry. »Braun bist du nicht gerade geworden.«

»Nein«, pflichtete Richard ihm bei. »Na ja. Du weißt schon. Ich hatte mal ein bißchen Veränderung nötig.«

Garry nickte. Er deutete auf eine Tür, die, solange Richard dort arbeitete, die Tür zum Raum für die Chefakten und das Büromaterial gewesen war.

»Eine Veränderung? Tja, die hast du jetzt jedenfalls. Und darf ich der erste sein, der dir gratuliert?«

Auf dem Türschild stand:

R. B. MAYHEW


JUNIORPARTNER

»Herzlichen Glückwunsch«, wiederholte Garry. Er zog ab, und Richard ging in sein Büro.

Es war sein Schreibtisch. Seine Trolle lagen alle fein säuberlich in einer Schreibtischschublade, und er nahm sie alle heraus und verteilte sie im Büro. Er hatte ein eigenes Fenster mit einem schönen Blick auf den Fluß und die South Bank. Es gab sogar eine große Grünpflanze mit riesigen wächsernen Blättern, eine von der Sorte, die künstlich aussieht, es aber nicht ist. Sein altes cremefarbenes Computerterminal war durch ein viel eleganteres schwarzes ersetzt worden, das auf dem Schreibtisch weniger Platz wegnahm.

Er schaute aus dem Fenster, während er seinen Tee trank. »Und, sind Sie mit allem zufrieden?«

Er blickte auf. Frischgestärkt und effizient stand Sylvia, die Chefsekretärin, in der Tür. Sie lächelte, als sie ihn sah.

»Ähm. Ja. Hören Sie, ich muß noch zu Hause ein paar Dinge erledigen … meinen Sie, ich könnte mir den Rest des Tages freinehmen und – «

»Ganz wie Sie wollen. Sie müssen ohnehin eigentlich erst morgen wieder hier sein.«

»Ja?« fragte er. »Gut.«

Sylvia runzelte die Stirn. »Was ist denn mit Ihrem Finger passiert?«

»Den hab’ ich mir gebrochen«, erklärte er.

Sie schaute besorgt seine Hand an. »Sie sind doch wohl nicht in eine Schlägerei geraten, oder?«

»Ich?«

Sie grinste. »Ich wollte Sie nur aufziehen. Ich nehme an, Sie haben ihn in der Tür eingeklemmt. So war’s jedenfalls bei meiner Schwester.«

»Nein«, platzte Richard heraus. »Ich bin in eine Schl …« Sylvia zog eine Augenbraue hoch. »Eine Tür geraten«, beendete er den Satz lahm.

Er fuhr mit dem Taxi zu seiner alten Wohnung. Er wußte nicht recht, ob er es sich schon wieder zutrauen konnte, mit der U-Bahn zu fahren. Noch nicht.

Da er keinen Schlüssel hatte, klopfte er an seine Wohnungstür und war enttäuscht, als sie von der Frau geöffnet wurde, die Richard, so weit er sich erinnerte, zuletzt in seinem Badezimmer getroffen oder vielmehr nicht getroffen hatte.

Er stellte sich als der Vormieter vor und erfuhr, daß a) er, Richard, nicht mehr dort wohnte, und daß sie b) keine Ahnung hatte, was aus seinem persönlichen Besitz geworden war. Richard machte sich ein paar Notizen, und dann verabschiedete er sich sehr freundlich und nahm ein weiteres Taxi, um den Mann im Kamelhaarmantel aufzusuchen.

Der Mann im Kamelhaarmantel hatte seinen Mantel nicht an und war beträchtlich weniger zuckersüß als das letzte Mal, als Richard ihm begegnet war.

Sie saßen in seinem Büro, und er hatte sich Richards Vorwürfe mit einem Gesichtsausdruck angehört, als habe er aus Versehen eine lebende Spinne verschluckt und würde gerade spüren, wie sie anfing, sich zu bewegen.

»Nun ja«, gab er zu, nachdem er in die Akten geschaut hatte. »Sie haben ganz recht, es scheint wirklich so etwas wie ein Problem gegeben zu haben. Ich verstehe gar nicht, wie das passieren konnte.«

»Ich finde, es ist unwichtig, wie es passiert ist«, sagte Richard ganz vernünftig. »Tatsache ist, daß Sie, während ich ein paar Wochen fort war, meine Wohnung an«, er warf einen Blick auf seine Notizen, »George und Adele Buchanan vermietet haben. Die nicht vorhaben, wieder auszuziehen.« Der Mann klappte die Akte zu. »Nun ja«, sagte er. »Fehler kommen vor. Menschliches Versagen. Ich fürchte, wir können es nicht ändern.«

Richard war sich vollkommen darüber im klaren, daß der alte Richard, derjenige, der in dem jetzigen Zuhause der Buchanans gewohnt hatte, an diesem Punkt klein beigegeben, sich für die Störung entschuldigt hätte und gegangen wäre. Statt dessen sagte er: »Wirklich? Sie können es nicht ändern? Sie haben eine Wohnung, die ich rechtmäßig bei ihrer Firma gemietet habe, an jemand anderen vermietet und dabei all meinen persönlichen Besitz verloren, und Sie können es nicht ändern? Also, ich bin zufälligerweise der Meinung, und mein Anwalt wird ebenfalls der Meinung sein, daß Sie daran eine ganze Menge ändern können.«

Der Mann ohne Kamelhaarmantel sah aus, als würde ihm die Spinne langsam wieder die Kehle hochkrabbeln. »Aber wir haben keine anderen freien Wohnungen in dem Gebäude, die der Ihren entsprechen«, sagte er. »Nur die Penthouse-Suite steht leer.«

»Das«, erklärte Richard kalt, »wäre mir recht …«

Der Mann entspannte sich. »… als zeitweise Unterbringung. Jetzt«, sagte Richard, »lassen Sie uns über die Entschädigung für mein verlorengegangenes Eigentum reden.«



Die neue Wohnung war viel schöner als die, die er damals zurückgelassen hatte. Sie hatte mehr Fenster und einen Balkon, ein geräumiges Wohnzimmer und ein richtiges Gästezimmer. Richard lief unzufrieden hin und her.

Der Mann-ohne-Kamelhaarmantel hatte die Wohnung äußerst widerwillig mit einem Bett, einem Sofa, mehreren Stühlen und einem Fernseher ausstatten lassen.

Richard legte Hunters Messer auf den Kaminsims.

Er kaufte sich bei dem indischen Restaurant gegenüber ein Currygericht zum Mitnehmen, setzte sich auf den Teppichboden seiner neuen Wohnung, aß und fragte sich, ob er wirklich jemals spät in der Nacht auf einem Straßenmarkt auf dem Deck eines an der Tower Bridge liegenden Kriegsschiffes Curry gegessen hatte. Es schien nicht sehr wahrscheinlich, wenn er recht darüber nachdachte.

Es klingelte an der Tür. Er stand auf und öffnete.

»Wir haben einen Großteil Ihrer Sachen gefunden, Mr. Mayhew«, sagte der Mann, der wieder seinen Kamelhaarmantel trug. »Es hat sich herausgestellt, daß sie eingelagert wurden. Also, bringt das Zeug herein, Jungs.«

Zwei stämmige Männer schleppten mehrere große, mit Richards Sachen gefüllte Teekisten herein.

»Danke«, sagte Richard.

Er griff in die erste Kiste, und der erste Gegenstand, den er auswickelte, stellte sich als gerahmte Photographie von Jessica heraus. Er starrte sie eine Weile an, und dann legte er sie wieder in die Kiste zurück.

Schließlich fand er die Kiste mit seiner Kleidung und packte sie aus, die anderen jedoch blieben mitten im Zimmer stehen. Von Tag zu Tag bekam er ein schlechteres Gewissen, weil er sie nicht auspackte. Aber er tat es trotzdem nicht.



Er saß in seinem Büro am Schreibtisch und starrte aus dem Fenster, als die Gegensprechanlage summte. »Richard? « sagte Sylvia. »Der Chef hat in zwanzig Minuten in seinem Büro ein Meeting anberaumt, um den Wandsworth-Bericht zu besprechen.«

»Ich komme«, sagte er.

Dann nahm er, weil er die nächsten zehn Minuten nichts anderes zu tun hatte, einen orangen Troll und bedrohte einen ein wenig kleineren grünhaarigen Troll damit.

»Ich bin der größte Krieger von Unter-London. Mach dich auf den sicheren Tod gefaßt!« sagte er mit gefährlich trolliger Stimme und wackelte mit dem orangen Troll. Dann nahm er den grünhaarigen Troll und sagte: »Aha! Aber erst trinkst du eine schöne Tasse Tee …«

Jemand klopfte an die Tür, und schlechten Gewissens stellte er die Trolle wieder hin.

»Herein!«

Die Tür ging auf, und Jessica kam herein und blieb im Türrahmen stehen. Sie sah nervös aus.

Er hatte vergessen, wie schön sie war.

»Hallo, Richard«, sagte sie.

»Hallo, Jess«, sagte Richard, und dann verbesserte er sich. »Entschuldigung – Jessica.«

Sie lächelte und warf die Haare zurück. »Oh, Jess ist in Ordnung«, sagte sie und sah aus, als würde sie das beinahe ernst meinen. »Jessica – Jess. Mich hat schon ewig keiner mehr Jess genannt. Ich vermisse es beinahe.«

»Und«, sagte Richard, »was bringt, welche Ehre, dich her, ähm.«

»Ich wollte dich eigentlich nur sehen.«

Er wußte nicht recht, was er sagen sollte. »Das ist nett«, sagte er.

Sie schloß die Bürotür und ging ein paar Schritte auf ihn zu. »Richard. Weißt du was? Es ist seltsam, aber ich erinnere mich, die Verlobung gelöst zu haben. Ich weiß jedoch kaum noch, worüber wir uns gestritten haben.«

»Nein?«

»Das ist allerdings auch gar nicht wichtig. Oder?« Sie schaute sich im Büro um. »Du bist befördert worden.«

»Ja.«

»Das freut mich für dich.« Sie griff in ihre Manteltasche und zog eine kleine braune Schachtel hervor. Sie stellte sie auf Richards Schreibtisch.

Er öffnete die Schachtel, obgleich er wußte, was darin war.

»Das ist unser Verlobungsring. Ich dachte, nun ja, vielleicht gebe ich ihn dir zurück und dann, also, wenn alles wieder in Ordnung käme, na ja, vielleicht würdest du ihn mir eines Tages wiedergeben.«

Er glitzerte im Sonnenlicht: Der größte Betrag, den er je für etwas ausgegeben hatte.

Er schloß die Schachtel und gab sie ihr zurück.

»Behalte du ihn, Jessica«, sagte er. Und dann: »Es tut mir leid.«

Sie biß sich auf die Unterlippe. »Hast du jemanden kennengelernt?«

Er zögerte. Er dachte an Lamia und Hunter und Anaesthesia und sogar an Door, doch keine von denen war in dem Sinne ein Jemand, wie sie es meinte.

»Nein. Niemand anders«, sagte er. Und dann sagte er und bemerkte gleichzeitig, daß es wahr war: »Ich habe mich nur verändert, mehr nicht.«

Seine Gegensprechanlage summte. »Richard? Wir warten auf Sie.«

Er drückte auf den Knopf. »Komme sofort, Sylvia.« Er sah Jessica an.

Sie sagte nichts. Vielleicht traute sie es sich nicht zu, noch etwas zu sagen. Sie ging hinaus, und sie schloß leise die Tür hinter sich.

Richard nahm mit einer Hand die Papiere, die er brauchen würde. Mit der anderen Hand fuhr er sich übers Gesicht, als ob er etwas wegwischte: Kummer vielleicht, oder Tränen, oder Jessica.

Er begann wieder mit der U-Bahn zur Arbeit und zurück zu fahren. Allerdings kaufte er sich morgens und abends keine Zeitungen mehr. Lieber musterte er die Gesichter der anderen Leute im Zug und fragte sich, ob sie alle aus Ober-London stammten, fragte sich, was hinter ihren Augen vorging. Ein paar Tage nach seiner Begegnung mit Jessica glaubte er in der abendlichen Rush-hour Lamia am anderen Ende des Waggons zu sehen, mit dem Rücken zu ihm, die dunklen Haare hochgesteckt und das Kleid lang und schwarz. Sein Herz begann in seiner Brust zu hämmern.

Er drängelte sich durch das voll besetzte Abteil. Als er näher kam, fuhren sie in eine Haltestelle ein, und sie stieg aus. Doch es war nicht Lamia: bloß so ein junges Londoner Goth-Mädchen, stellte er enttäuscht fest, unterwegs zu einem Abend in der Stadt.



Eines Mittwochs sah er auf den Mülltonnen hinter den Newton Mansions eine große braune Ratte sitzen, die dreinschaute, als gehörte ihr die Welt.

Als Richard sich ihr näherte, sprang sie auf den Gehweg, wartete im Schatten der Mülltonne und starrte ihn aus schwarzen Augen an. Richard hockte sich hin.

»Hallo«, sagte er sanft. »Kennen wir uns?«

Die Ratte sagte nichts, aber sie lief auch nicht weg.

»Ich heiße Richard«, fuhr er mit leiser Stimme fort. »Ich bin kein richtiger Rattensprecher, aber ich, ähm, kenne ein paar Ratten, und ich wüßte gern, ob du eine Bekannte von Lady Door bist …«

Er hörte hinter sich einen Schuh scharren, und als er sich umdrehte, bemerkte er die Buchanans, die ihn neugierig anschauten.

»Haben Sie … etwas verloren?« fragte Mrs. Buchanan.

Richard hörte das barsche Flüstern ihres Mannes: »Nur ein paar Tassen aus dem Schrank«, doch er beachtete es nicht.

»Nein«, sagte Richard ehrlich. »Ich habe … jemandem Guten Tag gesagt, einer …«

Die Ratte huschte davon.

»War das eine Ratte?« bellte George Buchanan. »Ich werde mich bei der Behörde beschweren. Es ist eine Schande. Das ist wieder typisch London, was?«

Ja, pflichtete Richard ihm bei. Typisch.



Seine Sachen standen weiterhin unausgepackt in Teekisten mitten in seinem Wohnzimmer.

Er schaltete den Fernseher nicht ein. Er kam abends nach Haus und aß etwas. Dann stand er am Fenster und schaute hinaus auf London, auf die Autos und die Dächer und die Lampen, während die Dämmerung zur Nacht wurde und in der ganzen Stadt die Lichter angingen. Und schließlich zog er sich widerstrebend aus, stieg ins Bett und schlief ein.



Eines Freitagnachmittags kam Sylvia in sein Büro.

Er öffnete gerade Briefe, wobei er sein Messer – Hunters Messer – als Brieföffner benutzte.

»Richard?« sagte sie. »Ich wollte mal was fragen. Kommen Sie derzeit viel unter Menschen?«

Er schüttelte den Kopf.

»Nun ja, ein paar von uns gehen heute abend aus. Haben Sie Lust mitzukommen?«

»Ähm. Klar«, sagte er. »Ja. Liebend gern.«



Er haßte es.

Sie waren zu acht: Sylvia und ihr junger Mann, der etwas mit Oldtimern zu tun hatte, Garry aus der Buchhaltung, der sich kürzlich aufgrund eines Mißverständnisses von seiner Freundin getrennt hatte (er hatte geglaubt, sie würde verständnisvoller darauf reagieren, daß er mit ihrer besten Freundin schlief, als sie es tatsächlich tat, kaum daß sie es herausgefunden hatte), diverse nette Leute und Freunde von netten Leuten und das neue Mädchen aus der Computer-Service-Abteilung.

Erst sahen sie sich im Odeon am Leicester Square einen Film an. Der Gute siegte am Ende, und bis dahin gab es jede Menge Explosionen und umherfliegende Gegenstände.

Sie aßen im La Reache in der Old Compton Street und stopften sich mit Couscous und kleinen exotischen Knabbereien voll, und von da aus gingen sie auf einen Tip von Sylvia hin in einen Pub in der Berwick Street, und sie tranken ein paar Gläser, und sie schwatzten.

Das neue Mädchen aus der Computer-Service-Abteilung lächelte Richard im Laufe des Abends oft an, und er hatte ihr rein gar nichts zu sagen. Er gab eine Runde aus, und das Mädchen aus der Computer-Service-Abteilung half ihm, die Getränke an den Tisch zu bringen.

Garry ging aufs Klo, und das Mädchen aus der Computer-Service-Abteilung kam und setzte sich neben Richard, da, wo Garry gesessen hatte. Richards Kopf war voll von dem Klirren der Gläser und dem Plärren der Jukebox und dem Geruch von Bier und verschüttetem Bacardi und Zigarettenrauch. Er versuchte, den Unterhaltungen am Tisch zuzuhören, und er stellte fest, daß er sich auf nichts von dem, was gesagt wurde, konzentrieren konnte, und daß er sich für keinen der Gesprächsfetzen, die er verstand, interessierte.

Und da stand es ihm so deutlich vor Augen wie auf der großen Leinwand des Odeon am Leicester Square: Er würde heute mit dem Mädchen aus der Computer-Service-Abteilung nach Haus gehen, und sie würden miteinander schlafen, und da morgen Samstag war, würden sie den Morgen im Bett verbringen. Und dann würde er aufstehen, und sie würden zusammen seine Sachen aus den Teekisten auspacken, und in einem Jahr würde er das Mädchen aus der Computer-Service-Abteilung heiraten und noch einmal befördert werden, und sie würden zwei Kinder bekommen, einen Jungen und ein Mädchen, und sie würden hinaus in die Vorstadt ziehen, nach Harrow oder Croydon oder Hampstead oder sogar ins entlegene Reading.

Und es wäre kein schlechtes Leben. Auch das wußte er. Manchmal kann man einfach nichts tun.

Als Garry von der Toilette zurückkam, schaute er sich verblüfft um. Alle waren da, bis auf:

»Richard?« fragte er.

Das Mädchen aus der Computer-Service-Abteilung zuckte mit den Schultern.

Garry ging hinaus auf die Berwick Street. Die Kälte der Nachtluft wirkte wie eine Ladung Wasser ins Gesicht. Er schmeckte den Winter. Er rief: »Dick? Hey? Richard?«

»Hier drüben.«

Richard lehnte an einer Wand, im Schatten. »Wollte nur mal frische Luft schnappen.«

»Alles in Ordnung?« fragte Garry.

»Ja«, sagte Richard. »Nein. Ich weiß nicht.«

»Tja«, sagte Garry, »mehr Möglichkeiten gibt es nicht. Möchtest du darüber reden?«

Richard sah ihn ernst an. »Du wirst mich auslachen.«

»Das tu ich sowieso.«

Richard schaute Garry an. Dann sah Garry ihn zu seiner Erleichterung lächeln, und er wußte, daß sie immer noch Freunde waren. Garry warf einen Blick zurück zum Pub. Dann steckte er die Hände in die Manteltaschen.

»Komm«, sagte er. »Laß uns spazierengehen. Du kannst mir dein Herz ausschütten. Dann lache ich dich aus.«

»Mistkerl«, sagte Richard und klang sehr viel mehr nach Richard als in den gesamten letzten Wochen.

»Dafür sind Freunde schließlich da.«

Sie schlenderten langsam unter den Straßenlaternen los.

»Hör mal, Garry«, begann Richard. »Fragst du dich jemals, ob das hier alles ist?«

»Was?«

Richard machte eine vage, allumfassende Geste. »Arbeit. Zuhause. Der Pub. Mädchen kennenlernen. In der Stadt wohnen. Das Leben. Ist das alles?«

»Ich glaube, das wär’s, ja«, sagte Garry.

Richard seufzte. »Also«, sagte er, »erstens bin ich nicht nach Mallorca gefahren. Ich meine, ich bin wirklich nicht nach Mallorca gefahren.«



Richard erzählte, während sie in dem Gewirr von Seitenstraßen zwischen der Regent Street und der Charing Cross Road auf und ab gingen. Er erzählte und erzählte. Er begann damit, wie er ein blutendes Mädchen auf der Straße gefunden hatte und ihr helfen wollte, weil er sie da nicht einfach liegenlassen konnte, und erzählte alles, was danach passiert war. Und als es ihnen zum Spazierengehen zu kalt wurde, gingen sie in ein schmieriges Nachtcafé. Ein richtiges Nachtcafé, eins, in dem alles in Schmalz gesotten und anständiger Tee in großen angestoßenen, fettglänzenden weißen Bechern serviert wurde.

Richard und Garry setzten sich, und Richard erzählte, und Garry hörte zu, und sie bestellten Spiegeleier und Baked Beans und Toast und saßen da und aßen, während Richard weiter erzählte und Garry weiter zuhörte. Sie tunkten die Eigelbreste mit dem Toast auf. Sie tranken noch mehr Tee, bis Richard schließlich sagte: »… und dann machte Door irgendwas mit dem Schlüssel, und ich war wieder zurück. In Ober-London. Also, dem echten London. Und, na ja, den Rest kennst du.«

Stille.

»Das ist alles«, sagte Richard. Er trank seinen Tee aus.

Garry kratzte sich am Kopf. »Hör mal«, sagte er endlich. »Ist das hier echt? Nicht irgendeine schreckliche Verarschung? Ich meine, es wird nicht gleich jemand mit einer Kamera hinter dem Grill hervorspringen oder so und mir sagen, daß ich bei Versteckte Kamera bin?«

»Das will ich nicht hoffen«, sagte Richard. »Du … glaubst du mir?«

Garry schaute auf die Rechnung auf ihrem Tisch, zählte Pfundmünzen ab und warf sie auf das Resopal. »Ich glaube, daß, na ja, offensichtlich irgendwas mit dir geschehen ist … was ausschlaggebender ist: Glaubst du es?«

Richard starrte ihn an. Unter seinen Augen zeichneten sich dunkle Ringe ab. »Ob ich es glaube? Ich weiß es nicht mehr. Ich hab’s geglaubt. Ich war da. Einmal bist sogar du aufgetaucht, weißt du.«

»Das hast du gar nicht erwähnt.«

»Es war ziemlich schrecklich. Du hast mir gesagt, ich sei verrückt geworden und würde bloß halluzinierend durch London laufen.«

Sie verließen das Café und gingen in Richtung Süden, zum Piccadilly.

»Also«, sagte Garry. »Du mußt schon zugeben, das klingt immer noch wahrscheinlicher als dein magisches London unter uns, wo die Leute hinkommen, die durchs Netz fallen. Ich bin schon an Leuten vorbeigekommen, die durchs Netz fallen, Richard: Sie schlafen in Ladeneingängen, den ganzen Strand entlang. Sie landen nicht in einem speziellen London. Sie erfrieren im Winter.«

Richard sagte nichts.

Garry fuhr fort. »Ich glaube, du hast vielleicht sowas wie einen Schlag auf den Kopf bekommen. Oder eine Art Schock, als Jessica mit dir Schluß gemacht hat. Eine Zeitlang warst du ein bißchen verrückt. Dann ging es dir wieder besser.«

Richard schauderte. »Weißt du, was mir angst macht? Ich glaube, du könntest recht haben.«

»Das Leben ist also nicht aufregend?« fuhr Garry fort. »Prima. Her mit der Langeweile. Zumindest weiß ich, wo ich heute abend essen und schlafen werde. Am Montag werde ich immer noch einen Job haben. Ja?« Er drehte sich um und sah Richard an.

Richard nickte zögernd. »Ja.«

Garry schaute auf seine Uhr. »Verdammter Mist!« rief er aus. »Es ist schon nach zwei. Hoffen wir, daß noch ein paar Taxis unterwegs sind.« Sie gingen in die Brewer Street. Garry redete über Taxis. Er sagte nichts Originelles oder gar Interessantes. Er erfüllte nur seine Pflicht als Londoner, über Taxis zu murren. »… hatte sein Licht an und alles«, erzählte er gerade, »ich sagte ihm, wo ich hinwollte, er meinte, tut mir leid, ich bin auf dem Heimweg, ich sagte, wo wohnt ihr Taxifahrer denn bloß alle? Und warum wohnt keiner von euch bei mir in der Nähe? Der Trick ist nämlich, erst einzusteigen und ihm dann zu sagen, daß man südlich der Themse wohnt, ich meine, was wollte er mir damit sagen? Der tat ja ganz so, als läge Battersea in Katmandu …«

Richard hatte ihn ausgeblendet. Er starrte in das Fenster des Zeitschriftenantiquariats, starrte die Modelle vergessener Filmstars an und die Poster und Comics und Magazine in der Auslage. Es war wie ein Blick in eine Welt des Abenteuers und der Fantasie.

Und es war nicht real. Das sagte er sich.

»Und, was meinst du?« fragte Garry.

Richard schreckte zurück in die Gegenwart. »Wozu?«

Garry stellte fest, daß Richard kein Wort von dem, was er gesagt hatte, verstanden hatte. Er wiederholte es: »Wenn es keine Taxis gibt, können wir den Nachtbus nehmen.«

»Ja«, sagte Richard. »Prima. Gut.«

Garry schnitt eine Grimasse. »Ich mach’ mir Sorgen um dich.«

»Tut mir leid.«

Sie gingen die Windmill Street zum Piccadilly hinunter.

Richard steckte die Hände tief in die Taschen. Einen Moment lang machte er ein verdutztes Gesicht und zog eine ziemlich zerknickte schwarze Krähenfeder hervor, um deren Kiel ein roter Faden gebunden war.

»Was ist das?« fragte Garry.

»Das ist ein – « Er unterbrach sich. »Das ist bloß eine Feder. Du hast recht. Es ist nur Müll.«

Er warf die Feder in den nächsten Abfalleimer und schaute sich nicht mehr um. Garry zögerte. Dann sagte er, die Worte mit Bedacht wählend: »Hast du schon mal daran gedacht, dir professionelle Hilfe zu suchen?«

»Professionelle Hilfe? Hör mal, ich bin nicht verrückt, Garry.«

»Bist du da sicher?«

Ein Taxi kam auf sie zu. Sein gelbes Licht brannte.

»Nein«, sagte Richard ehrlich. »Da ist ein Taxi. Nimm du’s. Ich nehme das nächste.«

»Danke.« Garry hielt das Taxi an und stieg ein, bevor er dem Fahrer sagte, daß er nach Battersea wollte. Er drehte das Fenster herunter, und als das Taxi ausscherte, sagte er: »Richard – dies ist die Realität. Gewöhn dich dran. Darüber hinaus gibt es nichts. Bis Montag.«

Richard winkte ihm nach und sah zu, wie das Taxi wegfuhr. Dann drehte er sich um und ging fort von den Lichtern des Piccadilly, zurück zur Brewer Street.

Er blieb neben einer alten Frau stehen, die fest schlafend in einem Ladeneingang lag. Sie war mit einer zerrissenen alten Decke zugedeckt, und ihre paar Besitztümer – zwei kleine Pappschachteln voll Krimskrams und ein schmutziger, ehemals weißer Schirm – lagen zusammengeschnürt neben ihr, und die Schnur war um ihr Handgelenk gebunden, damit niemand ihr etwas klaute, während sie schlief. Sie trug ein wollene Pudelmütze von undefinierbarer Farbe.

Er zog seine Brieftasche, fand eine Zehn-Pfund-Note und beugte sich vor, um der Frau den zusammengefalteten Schein in die Hand zu schieben.

Ihre Augen öffneten sich, und sie schreckte hoch. Sie blinzelte das Geld mit alten Augen an. »Was ist das?« fragte sie verschlafen und ärgerlich, daß man sie geweckt hatte.

»Behalten Sie’s«, sagte Richard.

Sie faltete das Geld auseinander und schob es in ihren Ärmel. »Waswollnse?« fragte sie Richard mißtrauisch.

»Nichts«, sagte Richard. »Ich will wirklich nichts. Gar nichts.« Und dann wurde ihm klar, wie sehr das stimmte; und wie furchtbar es war. »Haben Sie jemals alles bekommen, was Sie sich je gewünscht hatten? Und dann festgestellt, daß es gar nicht das war, was Sie wollten?«

»Kann ich eigentlich nicht sagen«, sagte sie und pulte sich den Schlaf aus den Augenwinkeln.

»Ich dachte, ich hätte dies hier gewollt«, sagte Richard. »Ich dachte, ich hätte ein nettes normales Leben gewollt. Ich meine, vielleicht bin ich verrückt. Na ja, vielleicht. Aber wenn das hier alles ist, will ich nicht vernünftig sein. Verstehen Sie?« Sie schüttelte den Kopf. Er griff in seine Innentasche. »Sehen Sie das?« fragte er. Er hielt das Messer hoch. »Das hat Hunter mir gegeben, als sie starb«, erklärte er.

»Tun Sie mir nichts«, sagte die alte Frau. »Ich hab’ doch gar nichts angestellt.«

Seine Stimme war seltsam eindringlich. »Ich habe ihr Blut von der Klinge gewischt. Ein Jäger pflegt seine Waffen. Der Earl hat mich damit zum Ritter geschlagen. Er hat mir die Freiheit der Unterseite verliehen.«

»Davon weiß ich nichts«, sagte sie. »Bitte. Stecken Sie’s weg. Seien Sie ein guter Junge.«

Richard wog das Messer in der Hand. Dann stürzte er sich auf die Backsteinmauer neben dem Eingang, in dem die Frau geschlafen hatte. Er hieb dreimal darauf ein, einmal horizontal, zweimal vertikal.

»Was tun Sie da?« fragte die Frau argwöhnisch.

»Ich mache eine Tür«, sagte er ihr.

Sie schniefte. »Tun Sie das lieber weg. Sonst werden Sie noch wegen Waffenbesitz eingesperrt.«

Richard sah den Türumriß an, den er in die Mauer gekratzt hatte. Er steckte sein Messer wieder in die Tasche, und er begann, mit den Fäusten an die Mauer zu hämmern. »Hey! Ist da jemand? Hört ihr mich? Ich bin’s – Richard! Door? Irgend jemand?«

Er riß sich die Hände auf, aber er bearbeitete den Backstein weiter.

Und dann verflog der Wahnsinn, und er hörte auf.

»Entschuldigung«, sagte er zu der alten Frau.

Sie antwortete nicht. Entweder war sie wieder eingeschlafen, oder, was wahrscheinlicher war, sie tat nur so. Altes Schnarchen, echt oder vorgetäuscht, ertönte aus dem Eingang.

Richard setzte sich auf den Gehweg und fragte sich, wie man sich bloß das Leben so ruinieren konnte wie er.

Dann schaute er wieder zu der Tür, die er in die Wand gekratzt hatte.

In der Mauer war ein türförmiges Loch, dort, wo er den Umriß hineingeritzt hatte. Ein Mann stand im Eingang, die Arme theatralisch verschränkt. Er blieb dort stehen, bis er sicher war, daß Richard ihn gesehen hatte. Und dann hielt er sich eine dunkle Hand vor den Mund und gähnte ausgiebig. Der Marquis de Carabas zog eine Augenbraue hoch. »Nun?« fragte er leicht gereizt. »Kommen Sie?«

Richard starrte ihn einen Herzschlag lang an.

Dann nickte Richard, denn er wagte es nicht, zu sprechen, und stand auf. Und gemeinsam gingen sie durch das Loch in der Wand, zurück in die Finsternis, und ließen nichts zurück, nicht einmal die Tür.

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