KAPITEL 30

»Es kommt eine!«, rief Neala.

Robbins eilte zur Tür und ergriff das Gewehr. Er sank auf ein Knie, zielte und beobachtete, wie das Mädchen zwischen den Kreuzen hindurchwankte, dabei einige rammte.

»Ist sie betrunken?«, fragte Sherri.

»Irgendetwas stimmt eindeutig nicht mit ihr«, meinte Neala.

Robbins senkte das Gewehr.

»Um Himmels willen, erschieß sie!«

»Von den anderen kommt keiner«, sagte er.

»Na und?«

»Sie sieht verrückt aus«, fand Neala.

Robbins stand auf und trat ins Sonnenlicht.

»Was hast du vor?«, wollte Sherri wissen.

»Moment.« Er rannte zur Ecke der Hütte und sah nach den Krulls auf der Seite. Auch von dort näherte sich niemand.


»Johnny, was ...«

Er lief nach hinten, hielt dort Ausschau und kehrte zur Vorderseite zurück. »Alles in Ordnung«, verkündete er. »Sie ist die Einzige.«

»Du lässt sie doch nicht etwa herkommen, oder? Sieh dir nur das verdammte Schwert an.«

»Genau das tue ich ja«, gab Robbins zurück. »Ich will es haben.«

Das Mädchen stolperte und krachte durch ein halbes Dut­zend Kreuze, bevor es ausgestreckt auf dem Boden landete. Sie hob den Kopf, rappelte sich auf Hände und Knie. Dann stützte sie sich mit dem Schwert ab und stand auf. Sie schaute zurück, als wollte sie sehen, wie weit sie bereits gekommen war. Schließlich drehte sie sich zur Hütte um. Mit zusammengekniffenen Augen hob sie einen Arm, um sich Schweiß von der Stirn zu wischen.

Die Bewegung lenkte Robbins' Blick auf ihre Brüste. Für ein so zierliches Mädchen waren sie riesig, und sie glänzten vor Schweiß. Robbins spürte eine sich anbahnende Erregung. Sein Blick wanderte zu ihrem Bauch und zum dunklen Keil ihres Schamhaars hinab.

»Seht nur«, meldete sich Sherri zu Wort. »Sie hat Bade­anzugslinien.«

Sherri hatte recht. Der Busen und der Schambereich des Mädchens wirkten deutlich blasser als der Rest.

»Das ist Cordelia!«, stieß Neala hervor.

Robbins musterte das Gesicht. Wenngleich es verschwol­len und mit blauen Flecken und Kratzern übersät war, ähnelte es tatsächlich dem des Mädchens, das in der vergan­genen Nacht bei ihnen gewesen war.

»Cordelia?«, rief er.

Ihr Kopf nickte leicht.

»Heilige Scheiße«, murmelte Sherri.

Cordelia taumelte weiter. Sie stieg über umgestürzte Pfähle hinweg und duckte sich unter Querbalken hindurch.

»Großer Gott, was haben die mit ihr gemacht?«

»Ich glaube, sie hat einen Schock«, meinte Robbins.

Sie wankte weiter und fiel auf die Knie.

Robbins schlang sich das Gewehr auf den Rücken und setzte sich in Bewegung.

»Johnny, das könnte ein Trick sein.«

»Vielleicht«, räumte er ein.

Er bahnte sich den Weg zwischen den Kreuzen hindurch, bis er sie erreichte. Immer noch auf den Knien starrte sie zu ihm empor. Ihre Augen wirkten groß und ausdruckslos.

Er schob die Hände unter ihre Achseln und zog sie auf die Beine.

»Alles in Ordnung«, sagte er leise.

Sie hob das Schwert an.

»Johnny!«, rief Neala.

Seine Hand wanderte nach oben und packte ihren schwa­chen Arm.

»Alles in Ordnung«, wiederholte er.

Sein anderer Arm umschlang ihren Rücken und er zog sie an sich. Dann drückte er sie fest an seinen Körper, ohne den Arm mit dem Schwert loszulassen, schwang sie herum und trug sie zwischen den umgestürzten Kreuzen hindurch.

Vor der Hütte nahm ihr Neala das Schwert aus der Hand. Robbins trug sie hinein und legte sie auf den Boden. Sie rollte sich zur Seite, zog die Beine an die Brust und ver­harrte so. Ihr Mund nuckelte an einem Knie.

»Cordelia?«

Sie reagierte nicht.

Robbins drehte sich zu Neala und Sherri um. »Vielleicht sollten wir sie besser eine Weile in Ruhe lassen.«

Er ging zur Tür. Neala folgte ihm.

»Ich bleibe bei ihr«, bot sich Sherri an. »Sie könnte jemanden brauchen.«

»Gut.«

Sie ließen Sherri bei dem Mädchen und gingen hinaus. Auf der Rückseite der Hütte fanden sie etwas Schatten. Dort setzten sie sich nebeneinander hin. Sie hielten Händchen und unterhielten sich leise. Neala legte sich auf den Rücken und bettete den Kopf auf Johnnys Schoß. Er streichelte ihr Haar. Als sie gähnte, forderte Robbins sie auf, zu schlafen. Sie schüttelte den Kopf. Aus ihren Augen sprach Besorgnis. »Wir haben so wenig Zeit«, meinte sie.

»Wir haben noch Jahre«, entgegnete er.

Tränen traten ihr in die Augen. Er wischte sie von ihren Augenwinkeln.

Neala öffnete die Lider. Sie lag auf der Seite, das Gesicht dicht vor Johnnys nackter Brust. Es fühlte sich an, als hätte sie lange geschlafen. Der Wind wehte in warmen, unregel­mäßigen Stößen über ihre Haut.

Zuvor hatte sie keinen Wind gespürt. Mit einem Ruck rollte sie sich auf den Rücken. Der Schatten der Hütte war lang geworden.

»O Gott«, stöhnte sie und drehte sich Johnny zu. »Es ist schon so spät.«

»Wir haben noch ein paar Stunden.«

»Ich will nicht, dass du gehst. Nicht ohne mich.«

»Du bist hier sicher.«

»Ist mir egal, ob ich hier sicher bin. Ich will mitkommen.«

»Mal sehen. Ich ...«

»He, Leute!«, rief Sherri durch die Wand. »Ihr solltet besser reinkommen.«

»Schnell«, sagte Johnny.

Neala setzte sich auf. Sie schaute nicht zur Wand. Das

hatte sie den ganzen Nachmittag lang vermieden. Falls Sherri sie wieder beobachtete, wollte sie es nicht wissen.

Johnny und sie zogen sich an. Sie eilten zur Vorderseite der Hütte und traten durch die offene Tür.

Cordelia saß aufrecht da.

»Sie will uns etwas sagen«, erklärte Sherri.

»Ja«, bestätigte Cordelia. »Es geht darum, weshalb sie mich hergeschickt haben. Ihr sollt rauskommen.«

»Was für eine Überraschung.«

»Sie werden euch nicht töten, wenn ihr es tut.«

»Sicher doch«, sagte Sherri. »Da würde ich glatt drauf wetten.«

»Nein, wirklich. Sie werden euch aufnehmen. Ihr könnt euch ihnen anschließen. Sie werden euch nicht töten.«

»Warum nicht?«, wollte Neala wissen.

»Sie brauchen euch ... Sie haben zu viel Inzucht.«

»Sie wollen uns, damit wir Babys bekommen?«

»Ja.«

»Was ist mit Johnny. Er kann wohl kaum Babys ...«

»Er kann auch kommen.«

»Bleib bei der Wahrheit«, warnte Johnny.

Sherrie drehte sich ihm zu. »Du weißt, wovon sie redet?«

»Ich weiß, dass sie manchmal Frauen aufnehmen. Junge. Hübsche. Zur Fortpflanzung. Oder eher zur Zucht. Wahr­scheinlich wollen sie deshalb nicht, dass die Männer aus Barlow an ihnen rummachen. Aber sie nehmen nie Männer auf.«

»Stimmt das?«, wollte Sherri von Cordelia wissen.

Das Mädchen nickte.

»Du meinst, sie würden Johnny töten?«, fragte Neala.

»Ich denke schon.«

»Du Miststück! Wieso hast du gelogen?«

»Es tut mir leid«, flüsterte Cordelia. Sie hob die linke

Hand und löste einen dreckigen Fetzen davon. »Seht ihr, was sie getan haben?«

Neala erblickte den Stumpf und schaute schnell weg.

»Einer von ihnen hat ihn abgebissen. Um mir eine Lektion zu erteilen. Um mir zu zeigen, was sie mit mir machen, wenn ich es nicht schaffe, euch zu überreden, rauszukommen.«

Sherri lachte kurz und spöttisch. »Klingt ja nach einer tollen Truppe. Zuerst ficken sie uns, dann beißen sie uns die Finger ab.«

»Und sie töten Johnny«, fügte Neala hinzu.

»Danke, aber ich passe«, sagte Sherri.

Cordelia schaute nacheinander alle an. »Wenn ihr nicht mitkommt, werdet ihr alle getötet.«

»Hier können sie nicht an uns ran«, entgegnete Johnny. »Wenn sie es könnten, hätten sie nicht dich geschickt, um uns rauszulocken.«

»Nicht von ihnen. Von ... jemand anderem.« Die Angst in ihren Augen jagte Neala einen eisigen Schauder über den Rücken. »Ich habe ihn letzte Nacht gesehen«, fuhr sie fort. Ihre Stimme senkte sich zu einem heiseren Flüstern. »Er hat Ben getötet. Und seinen Kopf auf einen Pflock gespießt. Er hat all diese Köpfe auf die Kreuze gespießt. Sie nennen ihn den Teufel, und sie kommen euch nicht holen, weil das seine Hütte ist. Und er wird zurückkommen?«

»Wann?«, fragte Johnny.

»Vielleicht schon heute Nacht.«

»Sie versucht schon wieder, uns übers Ohr zu hauen«, sagte Sherri.

»Nein, wirklich. Er ist echt und er ist... grauenhaft!«

»Wir waren vergangene Nacht hier«, warf Johnny ein. »Da ist er nicht gekommen.«

»Er war unterwegs zum Töten. Er hat Ben umgebracht. Mich hätte er fast erwischt, aber ich habe mich versteckt.«

»Wenn er kommt, verstecken wir uns eben auch«, meinte Sherri.

»Ihr seid verrückt. Er wird euch alle töten.« Cordelia stemmte sich auf die Füße. »Ich gehe zurück und sage ihnen, dass ihr nicht kommt.«

»Tu das nicht«, riet Johnny. »Bleib hier. Wir schaffen es alle hier raus.«

»Nein, werdet ihr nicht. Ich habe ... habe ihn gesehen. Ich gehe zurück.«

Mit wackeligen Beinen steuerte sie auf die offene Tür zu.

»Cordelia, nicht.«

»Ihr seid Idioten«, sagte sie und deutete hinaus. »Morgen früh werden eure Köpfe dort draußen sein.«

Ihr Schwert lehnte neben der Tür. Sie griff danach.

»Lass das hier«, forderte Johnny sie auf.

»Na gut«, willigte Cordelia ein.

Dann packte sie die Waffe, wirbelte herum und griff an.

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