KAPITEL 15

Lander kauerte hoch in einem Baum und hörte das Geschnatter von Stimmen. Sie befanden sich nicht weit entfernt. Wahr­scheinlich in der Nähe des Bachs. Die Worte ergaben keinen Sinn, aber einige klangen aufgeregt, andere wütend. Eine Frauenstimme sagte etwas, das für allgemeines Gelächter sorgte.

Dann sprach jemand in herrischem Tonfall. Es folgte eine kurze Diskussion. Anschließend verstummte das Gerede.

Lander vernahm die knirschenden Geräusche von Leuten, die sich über Laub durch den Wald bewegten. Er hörte sie sowohl weit zu seiner Linken als auch weit zu seiner Rech­ten. Sie hatten sich verteilt.

Sie suchen nach mir, wurde ihm klar. Scheiße, Scheiße.

Er umklammerte den dicken Ast und presste die Ober­schenkel dagegen, als sich seine Eingeweide vor Angst zusammenkrampften.


Auf dem Boden unter seinem Baum tauchten drei Gestalten auf. Eine Frau, zwei Männer. Bewaffnet mit Speeren und Messern.

Lander begann zu zittern.

Beruhig dich, sagte er sich.

Mit denen kann ich es aufnehmen, wenn es sein muss.

Immerhin habe ich schon ... wie viele getötet? Jedenfalls reichlich.

Und ich werde noch etliche mehr umbringen.

Sie glauben, dass sie mich jagen. Aber da irren sie sich. Ich bin der Gefährliche. >Gar wohl weiß die Gefahr, Cäsar sei noch gefährlicher als sie. <

Verdammt richtig.

> Wir sind zwei Leun, an einem Tag geworfen, und ich der ältre und der schrecklichste. <

Verdammt noch mal richtig!

Aber sieh nur, was aus Caesar geworden ist.

Drauf geschissen.

Sollen sie nur versuchen, mich zu kriegen. Sollen sie es nur versuchen.

Die drei gingen weiter und verschwanden zwischen den Bäumen. Er hörte, wie ihre Füße über Zweige und Laub knirschten.

Rasch kletterte er von seinem Baum. Kurz stand er reglos da und lauschte. Er konnte sie kaum noch hören. Vielleicht sollte er sie jagen, sich von hinten an einen nach dem ande­ren anschleichen und ihnen die Kehlen durchschneiden.

Ihnen zeigen, wie gefährlich Caesar sein konnte.

Nein, nein, nein. Wenn er sie im Wald verfolgte, wäre er im Nachteil. Eine schlechte Strategie.

Er wandte sich von ihnen ab und ging zum Bach. Lander watete hinein, schwamm zum anderen Ufer und kletterte an Land.

Die nasse Weste klebte an ihm wie eine zweite Haut. Ist sie ja auch, dachte er und lachte.

Reiß dich zusammen.

Er umfasste seinen Penis.

Das ist nicht witzig, schalt er sich.

Verdammt noch mal, hier ist überhaupt nichts witzig.

Ich muss ruhig bleiben, einen kühlen Kopf bewahren. Sonst schnappe ich über.

Bald erreichte er den Rand des Dorfs. Er arbeitete sich nach links vor und blieb zwischen den Bäumen, bis er die Stelle sehen konnte, an der er Ruth gefunden hatte.

Ruth.

Tot.

Aber das ist schon in Ordnung, schließlich bin ich selbst bereits tot, nicht wahr?

Nein - noch nicht ganz.

Lander entfernte sich vom Dorf und suchte nach der Stelle, wo er Ruths Leiche zurückgelassen hatte, ohne jedoch wirk­lich damit zu rechnen, sie dort zu finden. Nachdem er den Bereich einige Minuten lang durchforstet hatte, gab er es auf.

Er kehrte zum Dorf zurück und kauerte sich neben eine Hütte. Aus seiner Deckung sah er ein Dutzend Gestalten in der Nähe der Glut der Lagerfeuer liegen, außerdem etwa 20, die sich beim Hauptfeuer herumtrieben. Die 20 wirkten zurückhaltend, als wollten sie die Schlafenden nicht stören.

Lander richtete sich auf, schob das Messer und das Beil unter seine Weste und ging direkt auf die Gruppe zu. Sein Herz hämmerte wie Donnerschläge in der Brust, und er konnte kaum atmen, trotzdem lief er weiter, leicht gebückt und humpelnd.

Eine Frau sah ihn an ... und wandte den Blick beiläufig wieder ab.

Als er den Rand der Gruppe erreichte, spähte er in die Mitte. Mehrere kniende Gestalten hantierten mit Messern, schnitten Arme und Beine von Leichen ab - der Frau, die das Messer vor der Scham getragen hatte, des Mannes, dem Lander das Beil abgenommen hatte, des anderen, der Ruth aufgespießt hatte. Und von Ruth selbst.

Ein Arm fehlte bereits.

Während er zusah, trennte eine Frau Ruths anderen Arm ab und warf ihn auf einen Haufen blutiger Gliedmaßen neben dem Feuer.

Zwei Männer schnitten ihre Beine ab.

Lander taumelte rücklings. Alles um ihn herum drehte sich. Er wandte sich ab und fürchtete, er könnte sich über­geben oder das Bewusstsein verlieren. Lander atmete tief durch und lief mitten durch das Dorf.

Vor der entferntesten Hütte schliefen zwei Frauen und ein Mann. Der Kopf des Mannes ruhte auf dem flachen Bauch der Jüngeren der beiden. Neben ihr schnarchte eine fette, ältere Frau, deren Brüste seitwärts hingen. Ringsum lagen Knochen verstreut.

Lander sank auf die Knie. Er holte seine Waffen hervor, kroch an der Fetten vorbei und durch den mit einem Fell verhangenen Eingang der Hütte.

Langsam rückte er in die Dunkelheit vor.

In der Hütte befand sich jemand. Er hörte Atemgeräusche und hielt inne, um zu lauschen. Zwei Personen. Lander klemmte sich das Messer zwischen die Zähne und tastete mit einer Hand umher.

Er berührte einen Fuß, der sich daraufhin ein wenig regte, und er vernahm ein schläfriges Stöhnen. Das Stöhnen eines Mannes. Seine Hand wanderte das Bein hinauf, bis er auf feuchte, schlaffe Genitalien stieß. Ein weiteres Stöhnen, das diesmal beinah wie ein wohliges Seufzen klang. Seine Hand

arbeitete sich über den Bauch und die Brust des Mannes vor. Schließlich fand er den Hals, dann den Mund.

Lander legte das Beil beiseite, schlug eine Hand über den Mund des Mannes und schlitzte ihm die Kehle auf.

Warme Flüssigkeit spritzte ihm ins Gesicht. Die Arme und Beine zuckten, allerdings nur für wenige Sekunden. Die feuchten, gurgelnden Geräusche klangen laut.

»Onich?« Eine Frauenstimme.

Lander streckte in der Dunkelheit den Arm aus und berührte eine nackte Schulter. Er kroch näher hin. Seine Hand legte sich auf eine kleine, feste Brust.

Finger strichen über seinen Körper hinab und massierten seine Hoden, ehe sie sich um sein anschwellendes Glied legten. Plötzlich sog die Frau scharf die Luft ein. Ihre Hand zog sich zurück. Ihr Körper drehte sich herum, doch Lander hielt sie an der Brust fest und stieß mit dem Messer zu. Es bohrte sich tief in sie. Die Frau schrie auf. Er tastete nach ihrem Mund, fand ihn und dämpfte ihr Gebrüll mit einer Hand, dann rammte er ihr das Messer knapp unter dem Ohr seitlich in den Hals. Ihr Körper erstarrte unter ihm, zuckte kurz und erschlaffte schließlich.

Lauschend lag er auf ihr.

Wie laut war ihr Aufschrei gewesen? Hatte er die anderen geweckt?

Eine lange Weile rührte er sich nicht. Als er letztlich über­zeugt davon war, dass niemand etwas gehört hatte, kletterte er leise von der Frau herunter.

Er setzte sich zwischen die beiden Leichen und überlegte, was er als Nächstes tun sollte. Vielleicht sollte er sie ver­stümmeln. Ihnen die Köpfe abhacken. Oder dem Kerl den Schwanz abschneiden und ihn der Frau in den Mund stopfen. Vielleicht sollte er ihr auch etwas in die Scheide schieben.

Bei dem Gedanken bekam er eine Erektion.

Nein. Scheiße, nein.

Ich bin keine Bestie, um Himmels willen.

Ein Rächer, keine Bestie. Ein Racheengel.

Der Engel des Todes!

Wieder lachte er und unterdrückte den Laut sofort. Dann berührte er sich im Schritt. Seine Erektion war erschlafft.

Gut. Ich bin ein Rächer, kein rasender Lustmolch.

Er kroch durch die Dunkelheit und schob die Fellklappe vor dem Eingang beiseite. Von draußen strömte Luft herein und kühlte seine verschwitzte Haut. Er robbte hinaus.

Lander kauerte sich neben die Asche des erloschenen Feuers, wo immer noch der Mann und die beiden Frauen schliefen. Sein Blick wanderte über weitere Gestalten, die in der Nähe lagen. Die Nächsten waren zwei Männer, etwa 15 Meter entfernt. Die Gruppe am Hauptfeuer arbeitete nach wie vor. Sie hatten das Feuer geschürt. Darüber hingen von einem Gestell mehrere abgetrennte Arme.

Sie braten das Fleisch, bevor es verdirbt.

Lander hob sein Beil an.

Hier kommt Nachschub für euch, dachte er. Ich sorge dafür, dass ihr euch mästen könnt.

Mit einem kräftigen Hieb schlug er der älteren Frau den Schädel ein. Er sprang weiter, kauerte sich wieder hin und schwang das Beil erneut. Es grub sich in die Stirn des Mannes. Rasch zog Lander es heraus. Die junge, schlanke Frau öffnete die Augen. Gleich daraufkreischte sie. Lander zielte auf ihre Nase, verfehlte sie, schlitzte stattdessen ihre linke Gesichtshälfte auf und brachte ihr Auge zum Platzen.

Ein Speer zischte an Landers Stirn vorbei. Er sah, dass mehrere Gestalten auf ihn zukamen - die gesamte Rotte.

Er stand auf, schwenkte das Beil über dem Kopf und brüllte: »Fahrt zur Hölle, ihr Missgeburten!«

Dann ergriff er die Flucht.

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