»Es geht los!«
Ungeachtet seiner gewaltigen Größe hatte der Gleiter sanft wie ein fallendes Blatt aufgesetzt, nachdem er das gewaltige Schleusentor der Schwarzen Festung passiert hatte. Trotzdem hatte Hartmann den kaum spürbaren Ruck gefühlt. Nervös fuhr er sich mit der Zungenspitze über die Lippen, schloß noch einmal für einen Moment die Augen, um sich zu konzentrieren, und ließ seinen Blick dann über das sinnverwirrende Durcheinander von Instrumenten vor sich gleiten. Es war lange her, daß er in einem solchen Fahrzeug gesessen hatte. Und er hatte es niemals im Ernstfall kommandiert, sondern nur seine vorgeschriebenen Stunden im Simulator absolviert. Er sollte diesen Panzer nicht fahren. Aber von der Handvoll Männer, die von der einst gewaltigen Armee übriggeblieben war, war er vielleicht der mit der größten Erfahrung, so klein sie auch objektiv sein mochte.
Er verscheuchte den Gedanken und empfand gleichzeitig ein leises Gefühl von Verärgerung sich selbst gegenüber. Schließlich hatte er seinen Männern oft genug eingehämmert, an die Aufgabe zu denken, die vor ihnen lag, und nicht an das, was schiefgehen konnte.
Mit einem raschen Blick auf den Bildschirm überzeugte er sich davon, daß sich das dreieckige Tor des Laderaumes noch nicht geöffnet hatte, und drückte schnell zwei nebeneinanderliegende Tasten auf dem Pult vor sich. »Kuckucksei eins an zwei und drei«, sagte er. »Alles in Ordnung?«
Die Kommandanten der beiden anderen Panzer, die in den Ladeluken der zwei hinter ihnen hereingeschwebten Gleiter warteten, gaben ihr Okay durch, und Hartmann schaltete mit einem flüchtigen Lächeln wieder ab. Sie benutzten eine UKW-Frequenz, die die Moroni offensichtlich nicht abhörten. Trotzdem amüsierte sich Hartmann eine Sekunde lang an der Vorstellung, welches Kopfzerbrechen es den Moroni wohl bereiten mochte, die Bedeutung des Wortes zu erraten, sollten sie den Spruch wider Erwarten doch auffangen.
Der Sessel neben ihm knarrte, als sich Net auf den Copilotensitz fallen ließ. Hartmann löste seinen Blick nicht von den Monitoren, aber er konnte fühlen, wie Net ihn ansah. Und dann tat er etwas, was ihn selbst überraschte: Für einen kurzen Moment löste er die rechte Hand von den Kontrollen des Panzers, griff nach Nets Finger und drückte sie. Er spürte ihre Überraschung, aber dann erwiderte sie seinen Händedruck.
Ein neuerlicher sanfter Ruck lief durch den Laderaum und den Panzer, und die Illusion von Geborgenheit zerriß so rasch, wie sie gekommen war.
Hartmann warf einen schnellen Blick auf die Seitenmonitore und überzeugte sich davon, daß seine Männer in Stellung gegangen waren. Gleichzeitig aktivierte er mit einer einzigen, schnellen Bewegung sämtliche Waffensysteme des Leopard bis auf den gewaltigen Rubin-Laser, dessen Lauf aus dem gepanzerten Turm über ihren Köpfen ragte. Es tat Hartmann beinahe weh, ausgerechnet auf ihn verzichten zu müssen, denn er war nicht nur die schwerste Waffe des Leopard, sondern wahrscheinlich auch die einzige, mit der sie wenigstens die Spur einer Chance gehabt hätten, sich gegen die Übermacht zu behaupten, die im Inneren des Schiffes auf sie wartete.
Drei dünne Linien aus gelbem Licht, die ein nach unten offenes Rechteck bildeten, erschienen in der dem Panzer gegenüberliegenden Wand des Laderaumes und sagten Hartmann, daß sich die Ladeluke des Gleiters zu öffnen begonnen hatte. Seine Nervosität wuchs, allerdings ohne sein bewußtes Denken und Handeln zu beeinträchtigen.
Die Linien verbreiterten sich und wurden zu einem breiten Spalt, als die Laderampe mit enervierender Langsamkeit nach außen schwang. Hartmann konnte ein Stück eines gewaltigen, stählernen Himmels erkennen: die Hallendecke, die sich scheinbar in unendlicher Ferne über ihren Köpfen befand, dann einen Teil der gegenüberliegenden Wand und dann ein schwarzes, glitzerndes Gewimmel, das er erst auf den zweiten Blick als eine ungeheuerliche Menge von Moroni-Ameisen identifizierte. Zum allerersten Mal begriff er, wie treffend die Bezeichnung war, die die Menschen ganz instinktiv für die Außerirdischen gefunden hatten. Sternenschiff oder nicht - er befand sich im Inneren eines gigantischen Ameisenhügels. Überall in der riesenhaften Halle bewegte es sich, hasteten Moroni hin und her, schoben sich in langen Dreierreihen vorwärts, trugen gewaltige Lasten hin und her oder waren gleich zu Hunderten damit beschäftigt, die scheibenförmigen Gleiter zu entladen, von denen eine große Anzahl in der Halle gelandet war. Es mußten Millionen sein, dachte er entsetzt. Großer Gott - und er hatte siebzig Mann und drei Panzer, um diese gewaltige Armee aufzuhalten!
»Das ist ... Wahnsinn«, keuchte Net entsetzt, als ihr Blick auf den Bildschirm fiel.
Hartmann schwieg, aber er verstand sie nur zu gut. Kyle hatte ihnen gesagt, was sie erwarten würde, und trotzdem lähmte sie der Anblick für einige Sekunden. Das trügerische Gefühl der Sicherheit, das von ihm Besitz ergriffen hatte, seit sie im Panzer waren, zerplatzte wie eine Seifenblase. Dort draußen waren genug Insektenkrieger zusammengezogen, um seine drei Panzerfahrzeuge mit bloßen Händen zu zerreißen.
»Wahnsinn«, flüsterte Net noch einmal. »Die Ameisen werden uns einfach überrennen.«
Hartmanns Blick irrte weiter durch die Halle, und nach einigen Sekunden fand er, wonach er suchte. Vielleicht hundert oder hundertfünfzig Meter von ihrem Landeplatz entfernt erhob sich ein gewaltiger Block aus einem nachtschwarzen Material. Über ihm, völlig schwerelos in der Luft schwebend, hing ein schimmernder Ring aus Metall, in dessen Innerem die Wirklichkeit aufgehört hatte zu existieren: der Transmitter. Ein ununterbrochener Strom von Moroni bewegte sich auf schräg gegen den Block geneigten Rampen hinauf und verschwand in dem wogenden Nichts des Dematerialisierungsfeldes. Über den Köpfen der gigantischen Insektenmasse schwebte eine ebenso ununterbrochene Kette von Gleitern heran, die ebenfalls in der wogenden Schwärze verschwand. Sie bewegten sich sehr langsam, denn ihr Durchmesser entsprach fast genau dem Feld des Transmitterrahmens.
Das Tor glitt weiter auf, stand für einen Moment waagerecht: wie eine aus dem Schiff herausragende stählerne Zunge, und berührte dann mit einem lang nachhallenden, dumpfen Dröhnen den Boden. Fast im gleichen Augenblick kamen die ersten Arbeiterinnen die Rampe hinauf, um mit dem Entladen des Gleiters zu beginnen.
Die Moroni blieben überrascht stehen, als sie den Panzer gewahrten, der den Laderaum des Gleiters fast völlig ausfüllte. Ihre Haltung drückte keinen Schrecken aus, sondern allerhöchstens Verblüffung, aber ihnen blieb keine Zeit mehr, wirklich zu begreifen, was für eine Waffe sie vor sich hatten, denn Hartmanns Leute eröffneten in der gleichen Sekunde das Feuer.
Die Laderampe schien in grellgrüner Glut aufzuflammen, und die Moroni brachen unter den Blitzen der Schockwaffen zusammen.
Hartmann stieß den Beschleunigungshebel des Panzers mit einem Ruck nach vorne. Der Leopard machte mit aufbrüllenden Turbinen einen Satz aus der Ladebucht heraus und brach durch die Front der völlig überraschten Ameisen.
Net feuerte. Eine Woge giftgrüner Helligkeit brach aus Bug und Flanken des Panzers, fuhr unter die Ameisen und schnitt eine gewaltige Bresche in ihre Front. Gleichzeitig deckten die Männer aus der Schleuse heraus die Bereiche vor dem Gleiter mit Feuer ein, die der Panzer nicht unmittelbar beschießen konnte. Auf einem seiner zahlreichen kleinen Monitore konnte Hartmann beobachten, wie auch aus den beiden anderen Schiffen zwei brüllende stählerne Monster herausschossen, um grünes Feuer über die Moroni zu speien.
Es ist zu leicht, dachte Hartmann. Viel zu leicht. Es kann nicht gutgehen.
Mit einem harten Ruck riß er den Panzer auf der Stelle herum, und die grellen Garben der Schockwaffe vollführten die Bewegung wie die leuchtende Klinge einer riesigen Sense mit und schleuderten weitere Moroni zu Boden. Net hielt den Daumen der linken Hand auf dem Auslöser der Waffe; mit der anderen gab sie kurze, gezielte Schüsse auf einzelne Moroni ab, die zu entkommen versuchten.
Hartmann warf einen hastigen Blick auf seine Kontrollen. Gleichzeitig schleuderte er den Leopard mit einem halsbrecherischen Manöver zur Seite, um einer größeren Ansammlung regloser Moroni auszuweichen. Trotzdem konnte er nicht verhindern, daß einige der Rieseninsekten unter die mahlenden Ketten des Fahrzeuges gerieten und zermalmt wurden. Kyle hatte ihnen eingeschärft, möglichst wenige Ameisen zu töten. Aber wenn das Spiel hier so weiterging, dann würden sie in wenigen Sekunden schlicht und einfach in der Menge der bewußtlosen Moroni steckenbleiben.
Aber natürlich ging es nicht so weiter.
Sowohl Hartmann selbst als auch die Kommandanten der beiden anderen Panzer taten, was Kyle ihnen eingeschärft hatte - aber die Moroni nahmen sehr viel weniger Rücksicht auf ihre eigenen Brüder. Hartmann hatte den Panzer auf siebzig Meter an den Transmitterring herangebracht, als sich etwas in der kochenden Bewegung vor ihm änderte.
Im allerersten Moment vermochte er es nicht genau auszumachen, aber dann schnitt ein grellweißer Lichtbalken eine qualmende Spur durch die Masse der flüchtenden Moroni und explodierte in der Flanke des Leopard. Hartmann und Net schrien gleichzeitig auf, als eine Flut unerträglich intensiven Lichtes über die Bildschirme in den Panzer hereindrang, ehe der Computer reagieren und die Filter einschalten konnte. Irgendwo unter ihnen heulte ein Generator auf, als der elektromagnetische Schild des Panzers versuchte, die aufgefangene Energie zu absorbieren. Es gelang ihm. Trotzdem wurde es für Sekunden so heiß, daß Hartmann sich vor Schmerzen krümmte.
Ein zweiter Energiestrahl zischte heran, verbrannte Dutzende von Moroni und strich knisternd über die Metallhaut des Panzers. Vor Hartmann begann eine ganze Batterie hellroter Warnlampen zu flackern; eine Sirene heulte.
»Sie bringen ihre eigenen Leute um!« schrie Net. »Großer Gott, Hartmann! Sehen Sie doch!«
Hartmann sah im Moment gar nichts. Vor seinen Augen tanzten bunte Farbflecke. Er erkannte nur Schemen - und den gigantischen Laserstrahl, der in diesem Moment zum dritten Mal aufzuckte und mit tödlicher Präzision den Leopard traf, nachdem er sich eine qualmende Spur durch die flüchtende Ameisen-Armee gebrannt hatte.
Hartmann schlug die durchsichtige Kunststoffabdeckung über den Kontrollen des Turmlasers zurück und aktivierte den Zielcomputer. Das Elektronengehirn des Panzers erfaßte die Gefahr, identifizierte den Gegner und feuerte. Ein dunkelroter Lichtstrahl zuckte durch die gigantische Halle, traf die Laserkanone und verwandelte sie in einen Feuerball. Hartmann atmete hörbar auf. Über den Bildschirm tobten Flammen, und die Außenmikrofone hatten längst abgeschaltet, um die Insassen des Panzers vor dem Höllenlärm zu bewahren.
»Das war knapp«, sagte Net. Sie deutete auf einen Monitor, auf dem der Zustand des Panzers abzulesen war. Hartmann warf einen raschen Blick hin und verzichtete dann darauf, sich die Daten genauer anzusehen. Sehr viel mehr durften sie nicht abbekommen.
Hartmann ließ die Hand noch einige Sekunden auf den Kontrollen des Rubin-Lasers liegen, fest entschlossen, die Waffe wieder einzusetzen, sollte es nötig sein; ganz egal, was Kyle ihm befohlen hatte.
Aber die Herren der Schwarzen Festung schienen die Warnung verstanden zu haben. Hartmann zweifelte nicht daran, daß das Geschütz, das er ausgeschaltet hatte, nicht die einzige schwere Waffe an Bord des Sternenschiffes war; offensichtlich waren die Beherrscher dieses Schiffes paranoid (oder erfahren?) genug, selbst ihren eigenen Sklaven nicht zu trauen. Aber die Moroni schienen verstanden zu haben, daß er nicht gewillt war, wehrlos unterzugehen.
Andererseits waren sie auch offensichtlich nicht gewillt, ihm widerstandslos ihr Schiff zu überlassen ...
Die Ameisen, die sich in unmittelbarer Nähe der drei gelandeten Gleiter befunden hatten, hatten sich mittlerweile zurückgezogen, aber Hartmann beobachtete auch voller Sorge, daß sie ihre Überraschung wohl mittlerweile endgültig überwunden hatten, denn längst nicht mehr alle Moroni flohen. Inmitten des zurückflutenden Insektenheeres begann sich Widerstand zu formieren.
Hartmann aktivierte das Funkgerät. »Phase zwei«, sagte er. »Los!«
Die drei Panzer änderten ihren Kurs und strebten direkt auf den gewaltigen Quader des Transmitters zu. Gleichzeitig stürmten die Männer aus den Gleitern heraus und schleuderten Rauch- und Blendgranaten. Hinter ihnen, in dem Durcheinander aus grauem Qualm und gleißender Helligkeit drang eine Handvoll dunkler, pelziger Körper aus den Schleusentüren der Schiffe und stürzte sich auf die Moroni.
Hartmann blieb keine Zeit, dem Kampf wirklich zuzusehen, aber er bemerkte trotzdem, daß die Ameisen die mutierten Ratten offenbar ebensowenig als Gegner ansahen wie diese umgekehrt die Rieseninsekten. Die gewaltigen Nager rannten die Moroni zwar einfach über den Haufen, wo sie ihnen im Weg standen, machten aber keine Anstalten, sie direkt anzugreifen. Die Moroni ihrerseits feuerten auch nicht auf die Ratten, sondern konzentrierten sich ganz auf die drei Panzer und die Männer, die aus den Schiffen herausgekommen waren. Nach einigen Sekunden waren die Ratten irgendwo in der Ameisenarmee verschwunden. Ihr wirkliches Ziel lag woanders.
Hartmann fluchte erneut, stoppte den Panzer und setzte ein Stück zurück, als die Moroni sich auf das Fahrzeug einzuschießen begannen. Ihre winzigen Laserpistolen vermochten dem stählernen Koloß zwar im Grunde kaum etwas anzuhaben, aber der Leopard wurde von Hunderten von Schüssen gleichzeitig getroffen, und Hartmann wußte nur zu gut, daß selbst der Panzer auf Dauer dieser Belastung nicht gewachsen sein würde.
Aber Kyle hatte von drei, höchstens fünf Minuten gesprochen. Wo zum Teufel blieb die geheimnisvolle Verstärkung, die er ihnen angekündigt hatte?
Hartmann sah flüchtig auf die Uhr und begriff, daß seit ihrem Angriff noch keine zwei Minuten vergangen waren. Er zweifelte plötzlich, ob sie wirklich fünf Minuten durchhalten würden. Sein Blick suchte den Transmitterring, während seine Hände fast von selbst über die Waffenkontrollen des Panzers huschten und die Moroni abwechselnd mit Schocksalven und Blendgranaten eindeckten. Die Außenlautsprecher des Leopard stießen ein schrilles Heulen aus, das die empfindlichen Ohren der Ameisen peinigte und sie zusätzlich verwirrte.
Der Strom von Ameisen, der sich in das Transmitterfeld ergoß, war zum Erliegen gekommen, denn immer mehr und mehr der Insektenkrieger ließen ihre Last fallen und wandten sich um, um sich den so überraschend aufgetauchten Angreifern entgegenzuwerfen, aber die Kette der Gleiter verschwand noch immer in gleichmäßigem Tempo in dem wogenden schwarzen Nichts; schimmernden Perlen aus Stahl gleich, die durch eine Öse gezogen wurden.
Und dann, als hätten die Moroni nur auf diesen Moment gewartet, um ihm seine ganze Machtlosigkeit zu demonstrieren, schwenkte der erste Gleiter plötzlich zur Seite, verharrte einen Moment reglos - und nahm Kurs auf die drei Panzer!
Weitere Gleiter gesellten sich binnen Sekunden hinzu, und dann blitzte es plötzlich grellweiß und blendend auf. Im nächsten Moment verwandelte sich einer der drei Panzer in einen explodierenden Vulkan aus Feuer und schmelzendem Stahl.
Hartmann dachte nicht mehr - er handelte.
In einer einzigen, blitzschnellen Bewegung löste er seine Sicherheitsgurte, sprang auf, schlug mit der Faust auf die Kontrollen des Autopiloten und zerrte mit der anderen Hand Net in die Höhe. »Raus hier!« brüllte er.
Über ihren Köpfen heulte der Rubin-Laser auf. Der dunkelrote Lichtstrahl zerfetzte einen der Gleiter und brannte ein faustgroßes Loch in die Hallendecke hundert Meter darüber. Auch die Kanone des zweiten Leopard stieß einen tödlichen Blitz aus. Feuer und weißglühende Trümmerstücke prasselten zu Boden, aber im gleichen Moment wurde auch der zweite Panzer getroffen und explodierte. Keine Sekunde, nachdem sich Hartmann und Net mit einem gewaltigen Satz aus der Tür des Leopard herausgeworfen hatten, traf etwas den Turm und verwandelte den Kampfpanzer in ein weißglühendes Gebilde aus zerlaufendem Stahl und Flammen. Die Druck- und Hitzewelle schleuderte Hartmann und Net meterweit über den Boden und preßte ihnen die Luft aus den Lungen.
Für einen kurzen, schrecklichen Moment drohte Hartmann das Bewußtsein zu verlieren. Die Hitze war unerträglich. Sein Gesicht und seine Hände schienen zu brennen. Er konnte nicht mehr atmen. Stöhnend tastete er um sich, fühlte im ersten Moment nichts anderes als den glühenden Boden und berührte dann Nets Arm.
Die Wasteländerin reagierte mit einem schmerzerfüllten Stöhnen auf seine Berührung, doch es war dieser Laut, der Hartmann vollends wieder ins Bewußtsein zurückriß. Mit einer Kraft, von der er selbst nicht mehr wußte, woher er sie nahm, stemmte er sich auf Hände und Knie, ergriff Nets Arme und zerrte sie zurück zum brennenden Wrack des Leopard, das ihnen zumindest für einen Moment Schutz vor den wütenden Lasersalven der Moroni geben mochte. Seine Augen tränten, und wie durch einen blutgetränkten Neben hindurch sah er, wie die Moroni heranstürmten und ununterbrochen schossen. Ihr Feuer war nicht sehr präzise, und die Körperschilde der Männer absorbierten die meisten Treffer. Trotzdem brach einer nach dem anderen getroffen zusammen. Die Übermacht war einfach zu groß.
»Das ist ... Irrsinn«, stöhnte Hartmann. »Kanonenfutter. Sie sind nichts als ... Kanonenfutter für ... diese Bestien.«
Ein Laserstrahl schlug dicht neben ihm in das Panzerwrack und überschüttete sie mit weißglühenden Tropfen zerschmolzenen Metalls. Hartmann schrie vor Schmerz auf, aber er hatte nicht einmal mehr die Kraft, schützend die Arme zu heben. Alles verschwamm rings um ihn herum, wurde unwirklich, leicht ... Er begriff, daß er starb, auch er wurde ein Opfer dieser völlig sinnlosen Schlacht, in die er seine Männer wider besseren Wissens geführt hatte.
Mit dem letzten Rest Kraft, den er noch in sich fand, streckte er die Hand aus und versuchte, Net zu berühren. Er wollte sie fühlen, in seinem allerletzten Moment.
Ein riesiger, mißgestalteter Schatten wuchs plötzlich über ihm empor. Stahlharte Klauen packten seine Hand, schlugen sie beiseite und näherten sich seiner Kehle. Hartmann bäumte sich verzweifelt auf, hämmerte beide Fäuste in das ausdruckslose Insektengesicht über sich und sank mit einem Schmerzensschrei wieder zurück, als die Klauen des Moroni seinen Unterarm aufrissen. Zwei seiner furchtbaren Krallen hielten Hartmanns Arme wie Stahlklammern gepackt; die beiden anderen näherten sich abermals seiner Kehle, und diesmal hatte er nicht mehr die Kraft, sich zu wehren.
Plötzlich erschien ein Schatten unter der Tür des brennenden Panzers. Der Moroni fuhr überrascht herum, wobei er Hartmann wie eine Puppe einfach mit sich zerrte - und ging unter dem Anprall eines schweren Körpers zu Boden, der sich in einem gewaltigen Satz auf ihn warf.
Hartmann stürzte. Wieder drohten seine Sinne zu schwinden, und wahrscheinlich war es einzig das unglaubliche Bild, das sich ihm bot, das ihm noch einmal die Energie gab, die Bewußtlosigkeit zurückzudrängen.
Es war Kyle.
Sein Anzug war bis zur Unkenntlichkeit verkohlt, und sein Gesicht, seine Arme und sein Rücken eine einzige, fürchterliche Brandwunde. Auch ein Mann mit seinen Fähigkeiten hätte einfach nicht mehr leben dürfen! Aber er bewegte sich nicht nur - er hatte auch noch die Kraft, den riesigen Moroni niederzuringen!
Die Ameise bäumte sich auf, versuchte, den viel kleineren Gegner abzuschütteln und schlug mit ihren schrecklichen Klauen nach dem ungeschützten Gesicht des Gegners.
Dann erstarrte die Ameise.
Es bot sich ihnen das gleiche, unheimliche Bild, das Hartmann schon auf den Monitoren in der Eifelstation beobachtet hatte - aber jetzt sah er es aus unmittelbarer Nähe.
Die Bewegungen des Moroni erlahmten. Hartmann konnte regelrecht sehen, wie alle Kraft aus dem schlanken Insektenkörper wich und irgend etwas in seinen Facettenaugen erlosch.
Für eine Sekunde. Dann trat ein anderer Ausdruck in die Augen des Insektenkriegers.
Kyle ließ die Ameise los, stemmte sich auf Hände und Knie hoch und verharrte einen Moment reglos.
Sein Atem ging schnell. Er zitterte am ganzen Körper, und sein Gesicht zuckte vor Schmerz.
Aber gleichzeitig regenerierte es sich. Aus ungläubig aufgerissenen Augen beobachtete Hartmann, wie die fürchterlichen Wunden des Megamannes heilten, sich zu schließen begannen, und neue, unverletzte Haut über den verbrannten Stellen heranwuchs...
Der Anblick war fast mehr, als er verkraften konnte. Charity hatte ihm von den unheimlichen Fähigkeiten des Megamannes erzählt, aber es war eine Sache, davon zu hören, und eine ganz andere, es zu sehen.
Für einen Moment hatte er Angst, einfach nur Angst, sonst nichts. Kyle richtete sich weiter auf, warf einen raschen Blick auf die heranrasenden Moroni und kroch dann auf ihn und Net zu, aber im allerersten Moment prallte Hartmann vor ihm zurück; denn für eine Sekunde fürchtete er den Megamann mehr als alle Moroni zusammen.
»Sind Sie in Ordnung?« fragte Kyle.
Hartmann zitterte. Er hätte nicht antworten können, auch wenn er es gewollt hätte. Fassungslos starrte er Kyle an. Er wußte, was er sah, aber etwas in ihm weigerte sich einfach, es zu begreifen.
»Es tut mir leid«, murmelte Kyle. »Ich ...«
Er wankte, kämpfte einen Moment mit einem neuen Schwächeanfall und begann dann von neuem: »Es war schwerer, als ich geglaubt hatte. Können Sie gehen?«
Hartmann antwortete immer noch nicht.
Selbst Kyles Kleidung begann sich zu regenerieren, als wäre auch sie etwas Lebendiges, das von den unheimlichen Kräften des Megamannes erfüllt war.
Das Gesicht Kyles wies kaum noch ein Spur der furchtbaren Verletzungen auf, die es noch vor Augenblicken gezeigt hatte.
Der Moroni, den Kyle niedergerungen hatte, bewegte sich plötzlich. Hartmann stieß einen warnenden Ruf aus, aber Kyle wandte nicht einmal den Blick, sondern streckte nur die Hand aus und half ihm und danach Net auf die Füße.
Auch der Insektenkrieger hatte sich aufgeplagt. Unsicher und mit ausgestreckten Armen, als müsse er so seine Balance halten, stand er da, blickte sich einen Moment lang vollkommen verwirrt um - und schritt dann davon, als ginge ihn das alles hier nichts mehr an.
Hartmann beobachtete fassungslos, wie er sich einem anderen Insektenkrieger näherte, fast gemächlich die Glieder ausstreckte und ihn an der Schulter berührte, worauf auch diese Ameise plötzlich in der Bewegung erstarrte und sekundenlang reglos dastand.
»Kommen Sie allein zurecht?« fragte Kyle. Seine Stimme klang gehetzt, nervös. »Halten Sie noch einen Augenblick durch, und wir haben es geschafft.«
Hartmann hörte seine Worte nicht mehr. Er bemerkte nicht einmal, daß es rings um sie herum jetzt von Ameisen wimmelte, die wütend und scheinbar ziellos auf alles feuerten, was sich bewegte.
Er starrte einfach den Moroni an, der weitergegangen war, und eine weitere Ameise berührt hatte, die unter seiner Berührung ebenso erstarrte wie die erste.
Und plötzlich drehte sich auch der zweite Ameisenkrieger herum, senkte seine Waffe und streckte alle vier Hände nach einem anderen Moroni aus. Dann waren es vier, acht, sechzehn ...
Fassungslos starrte Hartmann das unglaubliche Bild an, dann wieder Kyle.
Der Megamann lächelte, doch die Furcht in seinen Augen blieb.
»Sie haben recht, Hartmann«, sagte er. »Es ist genau, wie Sie denken. Sie können uns nicht aufhalten. Aber wir haben noch nicht gewonnen. Kommen Sie.«