»Ich glaubte, in meinem Traum eine dunkle und schreckliche Wildnis zu sehen«, sagte Volemak, aber als er es sagte, wußte er, daß sie nicht begreifen würden, was diese Worte für ihn bedeuteten. Nicht die heiße Wüste, die sie mittlerweile so gut kannten, so trüb diese Wildnis auch sein mochte. Dort, wo er in seinem Traum gegangen war, war es feucht, kalt und schmutzig, und es gab nur wenig Licht, kaum genug, um zu sehen, wohin er trat. Vielleicht waren in der Nähe Bäume, oder er befand sich unter der Erde, er konnte es nicht sagen. Er ging immer weiter, hatte zwar nicht die geringste Hoffnung, konnte aber trotzdem nicht zu hoffen aufhören, daß er diesem öden Ort irgendwann entkommen konnte, wenn er einfach immer nur weiter ging.
»Und dann sah ich einen Mann, der in ein weißes Gewand gekleidet war.« Wie ein Priester von Seggidugu, nur daß diese gewöhnliche Menschen sind und schwitzen, wenn sie ihre Riten ausführen. Dieser Mann wirkte jedoch so ruhig, daß ich sofort dachte, er müsse tot sein. Ich war an einem Ort, an dem Tote warteten, und überlegte, ich wäre vielleicht auch tot. »Er kam zu mir und blieb vor mir stehen, und dann sprach er zu mir. Sagte mir, ich solle ihm folgen.«
Volemak erkannte, daß die anderen sich allmählich langweilten — zumindest die kindlicheren von ihnen. Es war so frustrierend, ihnen nur mit Worten begreiflich machen zu können, wie der Traum gewesen war. Hätten sie gewußt, wie die Stimme klang, als der Mann sprach, wie freundlich er wirkte. Der Klang seiner Worte war das erste Licht an diesem dunklen Ort, und deshalb bin ich ihm auch gefolgt. Und sie würden wissen, warum es wichtig war, daß ich ihm folgte. Statt dessen ist es für sie nur ein Traum, und das ist eindeutig der langweilige Teil. Aber für mich war er nicht langweilig.
»Ich bin ihm viele Stunden lang durch die Dunkelheit gefolgt«, sagte Volemak. »Ich sprach zu ihm, aber er antwortete nicht. Da ich mittlerweile davon überzeugt war, daß dieser Mann von der Überseele geschickt worden war, begann ich, in meinem Geist mit der Überseele zu sprechen. Ich fragte sie, wie lange dies noch so gehen müsse, und wohin ich ginge, und was das alles zu bedeuten habe. Ich bekam keine Antwort. Also wurde ich ungeduldig und sagte ihr, wenn dies ein Traum sei, sei es jetzt an der Zeit für mich, aufzuwachen, und wenn sie mir etwas zeigen wolle, solle sie dies vielleicht vor dem Morgengrauen tun. Aber ich bekam keine Antwort. Also dachte ich, es sei vielleicht wirklich so, es würde ewig so weitergehen, dies würde uns nach dem Tode zustoßen. Wir gehen auf ewig durch eine schreckliche Einöde und folgen einem Mann, der uns nicht sagt, was mit uns geschieht.«
»Klingt wie das Leben, das wir in letzter Zeit geführt haben«, murmelte Mebbekew.
Volemak hielt inne, sah Meb aber nicht an, sondern wartete, bis die anderen ihn mit Blicken zum Schweigen gebracht hatten. Dann fuhr er fort. »Als mir der Gedanke kam, es könne vielleicht Wirklichkeit sein, bat ich die Überseele, oder wer auch immer über diesen Ort herrschte, Gnade zu zeigen und mir etwas zu erklären oder mich etwas sehen zu lassen, damit ich verstehen konnte, was hier passierte. Erst da, nachdem ich um Erleichterung gebeten hatte, wurde es hell — nicht wie ein Sonnenaufgang oder als trete man zu einem Lagerfeuer, nein, ich konnte keine Lichtquelle sehen, ich konnte einfach sehen wie am hellichten Tag, und ich trat aus dem steinernen Ort auf eine riesige Wiese mit hohem Gras und Blumen, die sich leicht im Wind neigten. Es war so eine Erleichterung — Leben zu sehen —, daß ich es euch gar nicht beschreiben kann. Und in einiger Entfernung — vielleicht dreihundert Meter oder so — stand ein Baum. Selbst auf diese Entfernung konnte ich sehen, daß sich zwischen dem hellen Grün der Blätter weiße Flecke befanden — Früchte, wie ich sofort wußte. Und plötzlich konnte ich die Früchte riechen, und ich wußte, was auch immer für Früchte es waren, sie waren köstlich, die perfekteste Nahrung, die es jemals gegeben hatte, und wenn ich nur von diesen Früchten probieren könnte, würde ich nie wieder hungrig sein.«
Er hielt einen Augenblick lang inne und wartete auf Mebbekews obligatorische, klugscheißerische Bemerkung, wie hungrig sie im Augenblick darauf waren, daß dieser Traum ein Ende nahm. Aber Meb war anscheinend zur Vernunft gebracht worden, denn er schwieg.
»Ich ging — ich lief— zu dem Baum, und die Früchte waren klein und süß. Ja, ich probierte von ihnen, und ich kann euch sagen, daß keine Nahrung, die ich je gegessen habe, so gut war.«
»Ja, wie Sex in Träumen«, sagte Obring, der anscheinend glaubte, für Meb einspringen zu müssen. Volemak neigte kurz den Kopf. Er hörte eine Bewegung — ja, Elemak war aufgesprungen. Volemak wußte, was geschah, ohne hinsehen zu müssen, denn Elemak hatte die Technik von ihm gelernt. Elemak stand da, sah Obring an und sagte nichts, bis Obring vor ihm verdorrte. Ja, und da kam sie, Obrings gemurmelte Entschuldigung: »Es tut mir leid, fahre fort, fahre fort.« Volemak wartete noch einen Augenblick, und dann kam das Geräusch, mit dem Elemak sich setzte. Nun konnte er fortfahren, vielleicht ohne weitere Unterbrechungen.
Aber der Augenblick war verdorben worden. Er hatte geglaubt, er wäre dabei, genau die richtigen Worte zu finden, mit denen er erklären konnte, wie der Geschmack der Frucht in seinem Mund gewesen war, wie er bewirkt hatte, daß er sich zum erstenmal lebendig fühlte. »Diese Furcht war das Leben«, sagte er, doch nun klangen seine Worte leer und unzureichend, und er wußte, daß der Augenblick der Klarheit verstrichen war und sie es nie verstehen würden. »Die Freude, die ich empfand, als ich sie schmeckte … sie war so perfekt … ich wollte, daß meine Familie sie auch kannte. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, daß ich diese perfekte Frucht, diesen Geschmack des Lebens in meinem Mund hatte und meine Familie nichts davon wußte, ihn nicht mit mir teilte. Also begann ich, nach euch zu suchen, hielt nach euch Ausschau. Ihr wart nicht in der Richtung, aus der ich gekommen war, und als ich mich umdrehte, sah ich, daß ein Fluß an dem Baum vorbei führte, und als ich flußaufwärts sah, sah ich Rasa und unsere beiden Söhne Issib und Nafai, und sie schauten sich um, als wüßten sie nicht, wohin sie gehen sollten. Also rief ich nach ihnen und winkte, und schließlich sahen sie mich und kamen zu mir, und ich gab ihnen die Frucht, und sie aßen sie und fühlten, was ich gefühlt hatte, und ich sah, daß es bei ihnen genauso war. Daß es, als sie die Frucht aßen, für sie war, als sei zum erstenmal das Leben in sie gekommen. Sie hatten natürlich die ganze Zeit über gelebt, aber nun wußten sie, warum sie lebten, und sie waren froh, am Leben zu sein.«
Volemak konnte nicht verhindern, daß Tränen seine Wangen hinabrannen. Die Erinnerung an den Traum war in ihm so frisch und stark, daß er ihn erneut erlebte, als er ihn erzählte, und die Freude, die er verspürte, konnte nicht im Zaum gehalten werden, nicht einmal jetzt, nach einem Tag der Gartenarbeit, nicht einmal, obwohl noch der Schweiß und der Staub der Wüste auf ihm klebten. Er schmeckte noch immer die Frucht in seinem Mund, sah noch immer den Ausdruck auf ihren Gesichtern. Spürte noch immer die Sehnsucht, die er in diesem Augenblick spürte, daß auch Elemak und Mebbekew davon probierten.
»Dann dachte ich an Elemak und Mebbekew, meine ersten beiden Söhne, und ich suchte nach ihnen, wollte, daß sie kamen und ebenfalls von der Frucht probierten. Und auch sie waren dort an der Quelle des Flusses, an der Rasa und Issib und Nafai gewesen waren. Und erneut rief ich sie und winkte, doch sie wollten nicht kommen. Ich versuchte, ihnen von der Frucht zu erzählen, brüllte geradezu, doch sie taten so, als könnten sie mich nicht hören, wenngleich ich in diesem Augenblick dachte, daß sie es wirklich nicht konnten. Schließlich wandten sie sich von mir ab und taten nicht einmal mehr so, als wollten sie zuhören. Da stand ich mit dieser perfekten Frucht in meiner Hand, diesem Geschmack in meinem Mund, diesem Duft in meiner Nase, und wußte, daß sie genauso voller Freude sein würden, wie ich es war, wenn sie kommen und probieren würden, doch ich war nicht imstande, sie zu holen.«
Zuvor waren seine Tränen solche der Freude gewesen; nun flössen sie wegen Elemak und Mebbekew, und sie schmeckten bitter. Aber über ihre Weigerung gab es nichts mehr zu sagen — er fuhr mit seinem Traum fort.
»Erst dann, nachdem meine beiden ältesten Söhne sich geweigert hatten, zu dem Baum zu kommen, bemerkte ich, daß wir nicht die einzigen Menschen auf dieser großen Wiese waren. Ihr wißt, wie es in Träumen ist — im einen Augenblick sind gar keine Menschen da, und im nächsten tausende. Aber da waren nicht nur Menschen, sondern auch andere — einige flogen, einige huschten auf dem Boden —, aber ich wußte, daß auch sie Menschen waren, wenn ihr wißt, was ich meine. Viele von ihnen hatten den Baum gesehen. Ich dachte, vielleicht haben sie gehört, was ich Elja und Meb zugerufen habe, wie die Früchte waren, wie sie schmecken und so weiter, und nun wollen alle zum Baum gelangen. Aber sie waren jetzt viel weiter entfernt als zuvor, und ich hatte den Eindruck, als könnten sie den Baum selbst nicht sehen, sondern wüßten nur ungefähr, wo er steht. Ich dachte, wie wollen sie ihn finden, wenn sie ihn nicht sehen können?
Da sah ich, daß eine Art Geländer am Flußufer verlief und ein schmaler, kleiner Pfad direkt neben dem Geländer, und ich sah, daß dies der einzige Weg war, dem sie folgen konnten, wenn sie zu dem Baum gelangen wollten. Und die Leute, die versuchten, den Baum zu finden, erblickten das eiserne Geländer und folgten dem Pfad und hielten sich an dem Geländer fest, wann immer der Boden schlüpfrig war, damit sie nicht ins Wasser fielen. Sie drängten vorwärts, doch dann kamen sie in einen Nebel, einen dichten und schweren Nebel, der vom Fluß hochtrieb, und jene, die sich nicht an dem Geländer festhielten, verirrten sich, und einige fielen in den Fluß und ertranken, und andere wanderten in den Nebel und verirrten sich auf der Wiese und fanden den Baum nie.
Aber diejenigen, die sich an dem Geländer festhielten, schafften es, sich den Weg durch den Nebel zu bahnen, und schließlich traten sie ins Licht und waren dem Baum nun so nah, daß sie ihn mit eigenen Augen sehen konnten. Da kamen sie herbeigestürmt und scharten sich um mich und Rasa und Issib und Nafai, und sie griffen hinauf und nahmen die Früchte, und für jene, die nicht hoch genug greifen konnten, pflückten wir die Früchte und gaben sie ihnen, und als es nicht mehr genug gab, die man vom Boden aus erreichen konnte, kletterten Nafai und Issib den Baum hinauf …«
»Ich kletterte«, flüsterte Issib. Alle hörten ihn, doch niemand sagte etwas, denn sie wußten, was er nun wohl denken mußte. Die Vorstellung, er klettere neben Nafai einen Baum hinauf …
»Kletterten den Baum hinauf, pflückten weitere Früchte und gaben sie ihnen«, sagte Volemak. »Und ich sah in ihren Gesichtern, daß sie alle schmeckten, was ich geschmeckt hatte, und fühlten, was ich gefühlt hatte. Erst jetzt fiel mir auf, daß viele, nachdem sie von den Früchten gegessen hatten, sich verstohlen umschauten, als schämten sie sich, von den Früchten gegessen zu haben, und hätten Angst, jemand habe sie beobachtet. Ich konnte nicht glauben, daß sie so empfanden, doch dann sah ich in die Richtung, in die viele von ihnen geschaut hatten, und dort, auf der anderen Seite des Flusses, sah ich ein großes Gebäude. Es war wie die Gebäude Basilikas, nur viel größer, mit hundert Fenstern, und in jedem Fenster sehen wir reiche Leute, extravagante Leute, modische und wunderschöne Leute, die lachten und tranken und sangen, wie sie es in Puppenstadt und Dauberville tun, nur viel lauter. Sie lachten und hatten ihre helle Freude. Doch da wurde mir klar, daß es keine Wirklichkeit war, daß der Wein sie glauben machte, sie hätten Freude — oder vielmehr, sie hatten Freude, doch der Wein machte sie glauben, es wäre wichtig, Freude zu haben, wo ich doch hier, direkt auf dem anderen Flußufer, die Frucht hatte, die ihnen die Freude geben würde. Es war in gewisser Hinsicht so traurig. Doch dann erkannte ich, daß viele der Leute, die hier bei mir waren, Leute, die tatsächlich die Frucht aßen, zu den Leuten in dem großen Gebäude schauten und neidisch auf sie waren. Sie wollten dorthin, die Frucht des Baumes aufgeben und sich zu denjenigen gesellen, die so laut lachten und so fröhlich sangen.«
Volemak erzählte ihnen nicht, daß einen Augenblick lang auch er einen schwachen Stachel des Neids verspürt hatte, denn als er sah, wie sie auf dem anderen Flußufer lachten und feierten, kam er sich alt vor und bedauerte es, nicht dazu zu gehören. Der Anblick erinnerte ihn daran, daß er, als er jung gewesen war, mit Freunden zusammen gewesen war, die mit ihm gelacht hatten; er hatte Frauen geliebt, deren Küsse ein Spiel gewesen war, und sie zu liebkosen, war gewesen, als hätte er getanzt und sich auf dem weichen Gras und kühlen Moos gerollt. Und in jenen Tagen hatte auch er gelacht und Lieder mit ihnen gesungen und den Wein getrunken, und es war wirklich gewesen, o ja, es war die Wirklichkeit gewesen. Wirklich, aber auch unerreichbar, denn das erste Mal war immer das beste Mal, und alles, was man wiederholte, war nie so gut, wie es zuvor gewesen war, bis es einem schließlich entglitt und nur noch eine Erinnerung war. Und dann, wenn die Freuden der Jugend nicht mehr wiederzuerlangen waren, dann wußte man, daß man alt war. Einige seiner Freunde hatten es versucht, hatten so getan, als wären diese Freuden nie für sie verblichen — doch jene Männer und Frauen waren selbst verblichen, zu geschminkten Puppen geworden, zu schlecht gemachten, abgenutzten Puppen, die nur eine Nachäfferei der Jugend darstellten.
Also beneidete Volemak die Leute in dem Gebäude und erinnerte sich daran, einmal zu ihnen gehört zu haben, oder dies zumindest versucht zu haben — war irgend jemand jemals ein wirklicher Bestandteil dieser vergänglichen Gemeinschaft des Vergnügens, die in einer einzigen Nacht verdampfte und sich immer wieder neu bildete, tausendmal in einer Woche? Sie existierte nie richtig, diese Familie der Frohlockenden, sie schien immer nur zu existieren, schien immer gerade drauf und dran zu sein, wirklich zu werden — und zog sich dann immer knapp außer Reichweite zurück.
Doch hier an diesem Baum, erkannte Volemak, hier ist die Wirklichkeit. Hier, mit dem Geschmack dieser Früchte in unserem Mund, sind wir Teil von etwas, das nicht nur eine Illusion ist. Wir sind Teil des Lebens, Ehefrauen und Gatten, Eltern und Kinder, der gewaltige, vorwärts gerichtete Fluß von Genen und Träumen, Körpern und Erinnerungen, eine Generation nach der anderen, Zeit ohne Ende. Wir schaffen hier etwas, das uns überdauern wird, das ist diese Frucht, das ist das Leben, und was sie drüben auf dem anderen Flußufer haben, ihr wahnsinniges Streben nach jeder möglichen Sinnesempfindung, ihr hektisches Vermeiden alles Schmerzhaften oder Schwierigen läßt sie von vornherein nicht erkennen, was es überhaupt bedeutet, lebendig zu sein. Nichts, was neu ist, ist jemals zweimal neu. Dahingegen sind die wahren Dinge auch beim nächsten Mal noch wahr; ja sogar wahrer, weil sie erprobt wurden, weil sie geschmeckt wurden, und sie sind immer reif, immer bereit …
Doch nichts davon konnte Volemak den Leuten erklären, die sich um ihn geschart hatten, denn er wußte, daß diese Gefühle seine ureigenen waren. Eigentlich nicht Teil des Traums selbst, sondern eher seine Reaktion auf den Traum, und vielleicht nicht einmal das, was der Traum bedeuten sollte.
»Die Leute in dem Gebäude sahen zu uns hinaus, die wir uns an dem Baum versammelten, und sie zeigten auf uns und lachten, und ich hörte, wie sie über uns spotteten, weil wir getäuscht worden waren und um einen Baum herumstanden und Früchte aßen, wo wir doch das Leben wirklich erfahren konnten, wenn wir nur über den Fluß gingen und uns zu ihnen gesellten. Zu der Feier gesellten.«
»Ja«, flüsterte Obring scharf.
»Ich sah, daß viele von denen, die die Früchte probiert hatten, die Reste ins Gras warfen und zum Fluß liefen, um ihn zu durchschwimmen und zu dem Gebäude zu gelangen, und viele von denen, die sie nicht probiert hatten oder nicht mal in die Nähe des Baums gekommen waren, liefen auch zu der endlosen Feier hinüber, die dort drüben abgehalten wurde. Einige von ihnen ertranken im Fluß und wurden flußabwärts getrieben, aber viele schafften es hinüber und gingen tropfnaß zu dem Gebäude und hinein, und ich sah, daß sie an die Fenster traten und auf uns zeigten und lachten. Aber ich war nicht wütend auf sie, denn nun sah ich etwas, das ich zuvor nicht gesehen hatte. Denn wißt ihr, der Fluß war schmutzig. Abwasser floß in ihm. Der gesamte Abfall einer verwahrlosten Stadt trieb flußabwärts, und als sie aus dem Wasser kamen, tropfte das Zeug von ihrer Kleidung, und so rochen sie auch, als sie sich zu den Feiernden gesellten, und in dem Gebäude waren alle mit dem Matsch aus dem Fluß bedeckt, und der Geruch war unaussprechlich. Und wenn man in das Gebäude schaute, sah man, daß es niemandem Freude bereitete, neben einem anderen zu stehen, weil alle so schmutzig waren Und stanken. Sie waren für eine kurze Zeit zusammengekommen, doch irgendwann würde der üble Gestank der Kleidung der anderen Personen sie wieder forttreiben. Und doch schien dies niemand zu begreifen — sie alle waren so versessen darauf, den Fluß zu durchschwimmen und bei der Feier mitzumachen. Sie alle schienen Angst zu haben, abgewiesen zu werden, wenn sie sich nicht beeilten und sofort dorthin gingen.«
Volemak richtete sich auf und lehnte sich auf dem Stein zurück, auf dem er saß. »Das war alles. Einmal abgesehen davon, daß ich mich zum Schluß erneut nach Elemak und Mebbekew umsah und hoffte, sie würden zu mir zum Baum kommen. Denn ich hielt noch immer die Frucht in meiner Hand und hatte ihren Geschmack in meinem Mund. Und sie war noch immer köstlich und perfekt, und sie verblich nicht; jeder Biß war besser als der vorherige, und ich wollte, daß meine gesamte Familie, all meine Freunde, daran teilhatten. Daß sie Teil des Lebens der Frucht waren. Und dann wußte ich, daß ich aufwachte — ihr wißt, wie das in einem Traum ist —, und ich dachte, ich kann sie noch immer schmecken. Ich kann die Frucht noch in meinen Händen spüren. Wie wunderbar — nun kann ich sie Elja und Meb bringen, und sie können sie selbst probieren, denn nur, wenn sie sie probieren, werden sie zu dem Rest von uns am Baum kommen.
Und dann wachte ich wirklich auf und stellte fest, daß meine Hände leer waren, und Rasa schlief neben mir und hatte ihren eigenen Traum, und so hatte sie doch nicht von der Frucht gekostet, und Nafai und Issib waren noch in ihren Zelten, und es war nicht geschehen.«
Volemak lehnte sich wieder vor. »Aber ich schmeckte sie noch immer. Ich kann sie selbst jetzt noch schmecken. Und deshalb mußte ich es euch erzählen. Obwohl die Überseele abstreitet, mir den Traum geschickt zu haben, fühlte er sich echter, wirklicher an als jeder andere Traum, den ich je zuvor gehabt hatte. Nein, er fühlte — erfühlt — sich wirklicher als die Wirklichkeit an, und als ich die Frucht aß, war ich lebendiger denn je zuvor in meinem Leben. Hat das irgendeine Bedeutung für euch?«
»Ja, Volja«, sagte Rasa. »Eine größere, als du ahnst.«
Es folgte ein allgemeines Murmeln der Zustimmung, und als Volemak sich in der Gruppe umsah, erkannte er, daß die meisten von ihnen nachdenklich dreinschauten und viele von ihnen sogar gerührt waren — vielleicht eher durch Volemaks Gefühle als durch die Geschichte des Traums selbst, doch zumindest hatte irgend etwas daran sie ergriffen. Er hatte getan, was er konnte, um seine Erfahrung mit ihnen zu teilen.
»Der Traum hat mich sogar richtig hungrig gemacht«, sagte Dol. »Das ganze Gerede von Früchten und so.«
»Und die Fäkalien im Fluß. Hmm«, sagte Kokor. »Was gibt es zum Abendessen?«
Sie lachten. Die ernste Stimmung war gebrochen. Doch Volemak konnte nicht wütend sein. Er konnte nicht erwarten, daß sein Traum sie für den Rest ihres Lebens verwandelte.
Aber er hat etwas zu bedeuten. Selbst, wenn er nicht von der Überseele gekommen ist, ist er wahr, und er ist wichtig, und ich werde ihn nie vergessen. Oder falls ich ihn vergessen sollte, werde ich deshalb zu bedauern sein.
Diejenigen, die das Abendessen zubereitet hatten, erhoben sich, um ihre Vorbereitungen abzuschließen und es zu servieren. Rasa setzte sich neben Volemak und legte den Arm um ihn. Volemak schaute zu Issib hinüber und sah, daß Tränen seine Wangen hinabflössen, und Nafai und Luet gingen Arm in Arm nachdenklich und zärtlich miteinander — so gut, so richtig, die beiden. Die meisten anderen kannte Volemak kaum. Sein Blick glitt instinktiv über sie hinweg zu Mebbekew und Elemak. Und als er die beiden sah, war er überrascht, denn sie wirkten weder bewegt noch wütend. Wenn Volemak hätte bezeichnen müssen, was er auf ihren Gesichtern sah, hätte er es Angst genannt.
Wie konnten sie diesen Traum hören und sich fürchten?
»Er spart es sich für später auf«, sagte Mebbekew. »Diese Sache mit dem Traum, wir von der Familie abgeschnitten – er wird uns beide enterben.«
»Ach, halt doch die Klappe«, sagte Elemak. »Er läßt uns nur wissen, daß er weiß, was in der Wüste passiert ist. Er wird nicht viel Aufhebens darum machen, aber er weiß es. Er läßt es wahrscheinlich auf sich beruhen — vorausgesetzt, keiner von uns macht eine wirklich große Dummheit.«
Meb betrachtete ihn kalt. »Wie ich mich erinnere, hast du in der Wüste den Pulsator auf Nafai gerichtet und nicht ich. Also zeige nicht mit dem Finger auf die Leute und nenne sie dumm.«
»Ich scheine mich an einen jüngeren Zwischenfall zu erinnern.«
»Bei dem du der einzige Zeuge warst. Sogar der liebe Njef hat keine Ahnung. Und es stimmt einfach nicht, du hast dir alles ausgedacht, du elende Pißnelke.«
Elemak ignorierte den Kraftausdruck. »Hoffentlich sehe ich nie so dumm aus wie Vater gerade. Vor allen Leuten zu weinen — wegen eines Traums.«
»Ja, alle sind dumm, nur Elemak nicht«, sagte Mebbekew. »Du bist so klug, daß du durch die Nase furzt.«
Elemak konnte nicht glauben, wie ausgesprochen kindisch Meb sich benehmen konnte. »Sind wir noch immer zwölf Jahre alt, Meb? Glaubst du, du bist erwachsen, wenn du pissen und furzen sagst?«
»Das ist ja gerade die Ironie, du armer, klotzköpfiger Depp«, sagte Meb mit seinem freundlichsten Tonfall. »Aber du bist ja so klug, daß du Ironie nie begreifst. Kein Wunder, daß du alle anderen für so dumm hältst — du kapierst nie, was sie sagen, und glaubst deshalb, sie würden nicht verständlich sprechen. Ich will dir ein Geheimnis verraten, das alle anderen in diesem Lager kennen, Elja, mein lieber Bruder. Du weißt vielleicht, wie man lebendig durch die Wüste kommt, aber das ist auch das einzige, was du weißt. Selbst Eiadh scherzt mit den anderen Frauen, du wärest bei ihr immer so schnell fertig, sie würde gar nicht mitbekommen, daß du überhaupt angefangen hast. Du weißt nicht mal, wie man eine Frau befriedigt. Und, Elja, laß mich dir eins sagen, Frauen sind sehr leicht zu befriedigen.«
Elemak ließ die Beleidigungen und versteckten Andeutungen von sich abprallen. Er kannte Meb, wenn er in solch einer Stimmung war. Als sie noch Kinder gewesen waren, hatte Elemak ihn immer verprügelt — aber dann war ihm schließlich klargeworden, daß Mebbekew genau das wollte. Als hätte er nichts gegen den Schmerz, solange er Elemak so wütend und mit rotem Gesicht sah, schwitzend und mit wunden Händen, weil er so lange auf Mebbekew eingeschlagen hatte. Denn dann wußte Meb, daß er alles unter Kontrolle hatte.
Also ließ Elemak sich nicht anstacheln. Statt dessen stand er auf und ging zu den anderen, die sich an der Kochstätte ihr Essen holten. Eiadh schenkte aus dem großen Topf ein – sie hatten keine Zeit gehabt, den Hasen zu kochen, so daß nur wenig Fleisch in dem Eintopf war, doch Rasa hatte viele Gewürze hinzugegeben, damit die Suppe heute abend wenigstens nach etwas schmeckte. Und Eiadh sah so süß aus, wie sie die Suppe in die Schüsseln austeilte, daß er augenblicklich Lust auf sie verspürte. Er wußte genau, daß Meb log — Eiadh hatte nicht den geringsten Grund, sich über seine Fähigkeiten als Liebhaber zu beschweren —, und wenn noch kein Baby in ihr war, würde bald eins in ihr sein. Dieses Wissen schmeckte für Elemak in der Tat süß. Dies habe ich bei all diesen Reisen gesucht, dachte er. Und wenn sein Vater das mit seinem Baum des Lebens gemeint hatte – an dem großen Unternehmen Liebe, Sex, Geburt, Leben und Tod teilzunehmen —, dann hatte Elemak in der Tat von der Frucht dieses Baums gekostet, und sie war köstlich, köstlicher als alles andere, was das Leben anzubieten hatte. Wenn sein Vater also glaubte, Elemak würde sich schämen, weil er in dessen Traum nicht zu dem Baum gekommen war, würde er enttäuscht sein, denn Elemak hatte den Baum bereits gefunden, und sein Vater mußte ihm nicht den Weg zeigen.
Nach dem Abendessen gingen Nafai und Luet zum Indexzelt. Sie wären schon vor dem Essen gegangen, so begierig waren sie darauf — aber sie wußten, daß man ihnen keine Portion aufbewahren würde. Sie mußten essen, wenn die Mahlzeiten serviert wurden. Und so zogen sie nun, als die Dunkelheit sich senkte, die Tür auf und traten hinein, nur um festzustellen, daß Issib und Huschidh bereits dort waren und die Hände auf den Index gelegt hatten.
»Verzeihung«, sagte Luet.
»Kommt herein«, sagte Huschidh. »Wir bitten um eine Erklärung des Traums.«
Luet und Nafai lachten. »Obwohl völlig klar ist, was er bedeutet?«
»Also hat Vater es euch auch gesagt«, erwiderte Issib. »Nun, wahrscheinlich hat er recht — es ist eine allgemeine moralische Lektion, daß man sich um seine Familie kümmern und die Freuden des Lebens ignorieren muß und so weiter — wie die Bücher, die man Kindern gibt, damit sie sich in Zukunft anständig benehmen.«
»Aber«, sagte Nafai.
»Aber warum ausgerechnet jetzt? Warum wir?« sagte Issib. »Das wollen wir herausfinden.«
»Vergiß nicht, daß er gesehen hat, was wir anderen auch gesehen haben«, sagte Luet. »Was General Muuzh gesehen hat.«
»Was meinst du?« fragte Issib.
»Er war nicht dort«, erinnerte Huschidh sie. »Und ich habe ihm noch nichts von meinem Traum erzählt.«
»Wir haben Träume gehabt«, sagte Luet. »Und obwohl all unsere Träume verschieden waren, hatten sie etwas gemeinsam. Wir alle haben diese haarigen Fluggeschöpfe gesehen — ich hielt sie für Engel, obwohl sie nicht besonders nett aussahen. Und die Überseele hat uns gesagt, daß General Muuzh sie ebenfalls gesehen hat — und Huschidh und mein Vater. Und auch unsere Mutter, die Frau namens Durstig, die verhindert hat, daß Huschidh General Muuzh heiraten mußte. Und dann sind da auch die Wesen, die auf dem Boden …«
Huschidh ergriff das Wort. »Ich habe gesehen, wie die Rattenähnlichen unsere … Kinder gefressen haben. Oder es zumindest versucht haben.«
»Und Vaters Traum gehört dazu«, sagte Luet, »denn obwohl er sich von den anderen unterscheidet, kommen trotzdem die Ratten und Engel darin vor. Erinnert ihr euch? Er hat gesagt, er habe jemanden fliegen und jemanden über den Boden huschen sehen. Aber er habe gewußt, daß es sich auch bei diesen Wesen um Menschen handelte.«
»Jetzt fällt es mir wieder ein«, sagte Issib. »Aber er ist einfach darüber hinweggegangen.«
»Weil er nicht erkannt hat, daß dies das Zeichen war«, sagte Luet.
»Wofür?«
»Daß der Traum nicht von der Überseele kam«, sagte Luet.
»Aber das hat Vater gewußt«, erwiderte Issib. »Die Überseele hat es ihm gesagt.«
»Ja, aber von wem kam er dann?« fragte Nafai. »Hat die Überseele ihm das gesagt?«
»Vom Hüter der Erde«, sagte Luet.
»Wer ist das?« fragte Issib.
»Das ist derjenige, den die Überseele auf der Erde aufsuchen will«, sagte Luet. »Wegen ihm kehren wir alle zur Erde zurück. Versteht ihr nicht? Der Hüter der Erde ruft uns alle in unseren Träumen, einen nach dem anderen, und teilt uns etwas mit. Und was in Vaters Traum passiert ist, ist wichtig, weil es in der Tat vom Hüter kommt. Wenn wir es nur zusammensetzen und begreifen könnten …«
»Aber wenn etwas von der Erde kommt, muß es überlicht-schnell reisen«, sagte Issib. »Und das ist unmöglich.«
»Oder er hat diese Träume vor hundert Jahren mit Lichtgeschwindigkeit auf den Weg geschickt«, sagte Nafai.
»Träume zu Menschen geschickt, die noch nicht einmal geboren sind?« sagte Luet. »Ich dachte, diese Idee hättest du aufgegeben.«
»Ich glaube noch immer, daß die Träume gewissermaßen in … in der Luft sein können«, sagte Nafai. »Und wer von uns gerade schläft, wenn der Traum eintrifft, bekommt ihn.«
»Das ist nicht möglich«, sagte Huschidh. »Mein Traum war viel zu spezifisch.«
»Vielleicht hast du einfach nur das, was der Hüter dir mitteilen will, in deinen Traum eingearbeitet«, sagte Nafai. »Das wäre doch möglich.«
»Nein, wäre es nicht«, sagte Huschidh. »Mein Traum war aus einem Guß. Wenn ein Teil davon vom Hüter der Erde kam, dann auch der gesamte Traum. Und der Hüter kannte mich. Verstehst du, was das bedeutet? Der Hüter kannte mich, und er hat … alles gewußt.«
Einen Augenblick lang senkte sich Schweigen über die Gruppe.
»Vielleicht schickt der Hüter diese Träume nur Menschen, von denen er will, daß sie zurückkommen«, sagte Issib.
»Hoffentlich irrst du dich«, sagte Nafai. »Denn ich hatte noch keinen solchen Traum. Ich habe diese Ratten und Engel noch nicht gesehen.«
»Ich auch nicht«, sagte Issib. »Ich dachte nur, vielleicht …«
»Aber du warst in meinem Traum«, sagte Huschidh, »und wenn der Hüter mich ruft, dann will er auch dich haben.«
»Und wir beide kamen in Vaters Traum vor«, sagte Nafai. »Deshalb müssen wir herausfinden, was er bedeutet. Es steckt offensichtlich mehr dahinter als nur die Aufforderung, uns zu benehmen. Und sollte das doch seine Aufgabe gewesen sein, hat der Traum eine ziemlich lausige Arbeit geleistet, denn Elemak und Mebbekew sind wütend darüber, in dem Traum ausgesondert worden zu sein, weil sie sich geweigert haben, zu dem Baum zu gehen.«
»Also macht mit«, sagte Issib. »Berührt den Index und fragt.«
Der längere Arm von Issibs Stuhl hielt den Index, so daß er die Hand darauflegen konnte. Die anderen scharten sich um ihn und berührten ihn ebenfalls. Berührten und befragten ihn, stellten immer wieder Fragen, stumm, in ihren Köpfen …
»Nein«, sagte Issib, »nichts passiert. So funktioniert es nicht. Wir müssen eine Frage nach der anderen stellen.«
»Dann sprich du für uns«, sagte Huschidh. »Stell du die Fragen für uns alle.«
Während ihre Hände auf dem Index lagen, äußerte Issib ihre Fragen. Er fragte; sie warteten. Er fragte erneut. Sie warteten erneut. Nichts.
»Komm schon«, sagte Nafai. »Wir haben alles getan, was du verlangt hast. Selbst, wenn du uns nur sagen kannst, daß du genauso verwirrt bist, wie wir es sind, sage uns zumindest das.«
»Ich bin genauso verwirrt wie ihr«, erklangt augenblicklich die Stimme des Index.
»Nun, warum hast du das nicht von Anfang an gesagt?« fragte Issib wütend.
»Weil ihr mich nicht gefragt habt, was ich davon halte, sondern was der Traum zu bedeuten hat. Ich habe versucht, es zu ergründen. Ich kann es nicht.«
»Du meinst, noch nicht«, sagte Nafai.
»Ich meine, ich kann es nicht«, sagte der Index. »Ich habe nicht genug Informationen. Ich kann nicht intuitiv vorgehen, wie es euch Menschen möglich ist. Mein Verstand ist zu einfach und direkt. Bittet mich nicht um mehr, als ich bewältigen kann. Ich weiß alles, was man durch Beobachtungen erfahren kann, aber ich kann nicht vermuten, was der Hüter der Erde beabsichtigt, und ihr erschöpft mich, wenn ihr verlangt, daß ich es versuche.«
»Na schön«, sagte Luet. »Es tut uns leid. Aber wenn du irgend etwas erfährst …«
» .. .werde ich euch alles sagen, was ihr meines Erachtens wissen müßt.«
»Sage es uns auch, wenn du nicht dieser Auffassung bist«, verlangte Issib.
Aber die Stimme des Index meldete sich nicht mehr.
»Man kann so wütend werden, wenn man sich mit der Überseele befassen muß!« sagte Nafai.
»Sprich mit Respekt von ihr«, sagte Huschidh. »Vielleicht wird sie dann kooperativer sein.«
»Zeige ihr zu viel Respekt, und der Computer hält sich wirklich noch für einen Gott«, sagte Issib. »Und dann werden wir erst recht schwer mit ihm auskommen.«
»Komm zu Bett«, sagte Luet zu Nafai. »Wir setzen unser Gespräch morgen früh fort, aber jetzt brauchen wir unseren Schlaf.«
Es bedurfte nur wenig Überredungskunst, und Nafai folgte ihr in ihr Zelt. Huschidh und Issib blieben allein zurück.
Sie saßen eine Weile schweigend da. Issib fühlte die Unbehaglichkeit, als wäre sie Rauch in der Luft; er konnte kaum noch atmen. Vaters Traum hatte sie hier zusammengebracht, damit sie durch den Index mit der Überseele sprachen. Er konnte Huschidh problemlos zeigen, wie geschickt er im Umgang mit dem Index war; wenn es um den Index ging, war er sehr selbstsicher, auch wenn die Überseele selbst verwirrt war und nicht richtig antworten konnte. Doch nun war kein Index zwischen ihnen — er ruhte stumm in seinem Behälter, in den Nafai ihn gelegt hatte, und nun gab es nur noch Huschidh und Issib, und die beiden sollten heiraten, und Issib fiel nichts ein, was er sagen konnte.
»Ich habe von dir geträumt«, sagte Huschidh.
Ah! Sie hatte als erste gesprochen! Augenblicklich brachte der aufgestaute Drang, etwas zu sagen, Worte auf Issibs Lippen. »Und du bist schreiend aufgewacht?« Nein, diese Erwiderung war eine Dummheit gewesen. Aber er hatte es nun einmal gesagt, und — ja, sie lächelte. Sie wußte, daß es ein Scherz war, also mußte es ihm nicht peinlich sein.
»Ich habe geträumt, daß du fliegst.«
»Das tue ich ziemlich oft«, sagte er. »Aber nur in anderer Leute Träumen. Hoffentlich hast du nichts dagegen.«
Und sie lächelte.
Er hätte nun etwas anderes sagen sollen, etwas Ernstes, denn er wußte, daß sie den schwierigen Part übernommen hatte — sie sagte ernste Dinge, und er hielt Witze dagegen. Auf diese Weise konnten sie sich zwar besser kennenlernen, aber damit lenkte er auch ständig von den schwierigen Dingen ab, die sie sagen wollte. Er wußte also, er sollte ihr eigentlich helfen, diese ernsten Dinge zu sagen, und doch wußte er nicht, was er sagen sollte, wo er nun allein mit ihr hier im Indexzelt saß. Abgesehen davon, daß er Angst hatte, denn sie brauchte einen Gatten, und er mußte dieser Gatte sein, aber er hatte keine Ahnung, ob er seine diesbezüglichen Verpflichtungen erfüllen konnte. Natürlich hatte er nicht die Sprache verloren, und er kannte Huschidh gut genug, um zu wissen, daß auch sie gut mit jemandem reden konnte, den sie kannte — er hatte gehört, wie sie im Unterricht leidenschaftliche Reden führte; das galt auch für die Privatgespräche, die er zufällig aufgeschnappt hatte. Also würden sie sich wahrscheinlich unterhalten können, aber um zu reden, mußten sie nicht heiraten, oder? Was für ein Vater werde ich sein? Komm sofort her, mein Sohn, oder ich überfahre dich mit meinem Stuhl!
Ganz zu schweigen von der Frage, wie er überhaupt Vater werden würde. Oh, den rein mechanischen Vorgang konnte er sich durchaus vorstellen, aber nicht, daß eine Frau tatsächlich daran teilhaben wollte. Und das war also die schwierige Frage, die zu stellen er sich nicht überwinden konnte. Hier ist das Drehbuch, wie wir Kinder bekommen können — bist du bereit, die Hauptrolle zu übernehmen? Der einzige Haken daran ist, daß du alles tun mußt, während ich einfach dort liege und dir nicht das geringste Vergnügen bereiten kann, und dann wirst du die Kinder haben, während ich dir überhaupt nicht helfen kann, und wenn wir dann alt sind, mußt du mich bis zu meinem Tod pflegen, was aber wohl keine große Rolle spielen wird, da du mich ja schon die ganze Zeit über gepflegt hast, denn wenn ich einmal eine Frau habe, werden die anderen mir nicht mehr helfen wollen. Also mußt du das übernehmen, persönliche Hilfestellungen, die dich anekeln werden. Und dann sollst du noch meinen Samen empfangen und mir danach Kinder gebären, und mir fallen einfach keine Worte ein, mit denen ich dich dazu überreden könnte.
Huschidh sah ihn in der Stille ruhig an. »Du atmest ziemlich schwer«, sagte sie.
»Wirklich?« fragte er.
»Ist das Leidenschaft, oder hast du genausoviel Angst davor wie ich?« fragte sie.
Ja. Noch mehr Angst. »Leidenschaft«, sagte er.
Es war nicht sehr hell im Zelt, aber auch nicht sehr dunkel. Er sah, daß sie eine Entscheidung traf. Sie griff unter ihre Bluse und machte dort irgend etwas, und als ihre Hände wieder zum Vorschein kamen, sah er, daß ihre Brüste sich unter dem Stoff nun frei bewegten. Und weil sie das getan hatte, hatte er mehr Angst denn je zuvor, aber er spürte auch einen Anflug von Begierde, denn noch nie hatte eine Frau so etwas vor ihm getan, und ganz bestimmt nicht für ihn, damit er es sehen konnte. Aber jetzt erwartete sie wahrscheinlich, daß er irgend etwas tat, und er hatte nicht die geringste Ahnung, was das sein sollte.
»Ich bin nicht sehr erfahren in diesen Angelegenheiten«, sagte Huschidh.
In welchen Angelegenheiten? wollte er fragen, tat es dann aber doch nicht, da er genau wußte, was sie meinte, und es kein guter Augenblick für einen Scherz war.
»Aber ich dachte, wir sollten eine Art Experiment durchführen«, sagte sie. »Bevor wir irgendeine Entscheidung treffen. Um festzustellen, ob ich vielleicht anziehend auf dich wirken könnte.«
»Das könntest du«, sagte er.
»Und um festzustellen, ob du mir etwas geben kannst«, sagte sie. »Es wäre doch schöner, wenn wir beide unseren Spaß daran haben, meinst du nicht auch?«
Ihre Worte klangen so sachlich. Doch er hörte am Zittern ihrer Stimme, daß sie sie gar nicht sachlich meinte. Und zum erstenmal kam ihm in den Sinn, daß sie sich wahrscheinlich nicht für eine schöne Frau hielt. In der Schule hatten die jungen Männer niemals hinter ihrem Rücken hinter ihr her gesabbert; nun kam Issib in den Sinn, daß sie dies vielleicht genau wußte — nein, nicht nur vielleicht —, und daß sie genauso große Angst davor hatte, ob er sie begehren würde, wie er, ob er ihr gefallen würde. Damit waren sie ein wenig näher zueinander gerückt. Und statt sich Sorgen darüber zu machen, ob sie Abscheu empfinden würde, konnte er sich nun ein paar Gedanken darüber machen, was ihr gefallen würde.
Sie rückte näher zu ihm heran. »Ich habe meine Schwester Luet gefragt«, sagte sie. »Was Männer für Frauen tun, und was du ihres Erachtens für mich tun könntest.« Ihre Hände lagen nun auf den Stuhllehnen. Und nun ließ sie die rechte Hand auf sein Bein hinabrutschen. Auf sein dünnes, dünnes Bein; er fragte sich, wie dieser Schenkel, der kaum Muskeln hatte, sich für sie anfühlte. Dann drückte sie sich enger an ihn, und ihm wurde klar, daß der Stoff ihrer Bluse nun seine Hand berührte. »Sie hat gesagt, du kämst mit Knöpfen klar.«
»Ja«, sagte er. Es war schwer, aber er hatte gelernt, Kleidung, die auf diese Weise zusammengehalten wurde, auf- und zuzuknöpfen.
»Das heißt vermutlich, daß du Knöpfe auch öffnen kannst.«
Erst da begriff er, daß es sich um eine Aufforderung handelte.
»Ein Experiment«, sagte er.
»Eine kleine Zwischenprüfung«, sagte sie. »Aufknöpfen und öffnen, und danach eine Zusatzaufgabe, mit der du noch ein paar weitere Punkte machen kannst.«
Er hob seine Hand — es fiel ihm so schwer —, hob sie und berührte den obersten Knopf ihrer Bluse. Es war ein schlechter Winkel — rückhändig.
»Kein guter Winkel, nicht wahr?« sagte sie. Dann legte sie die rechte Hand auf seinen anderen Schenkel, schob sie höher und beugte sich dann über ihn. Nun konnte er beide Hände benutzen, und es war fast leicht, ihre Bluse aufzuknöpfen, obwohl er noch niemals die Kleidung eines anderen Menschen aufgeknöpft hatte. Ihm kam in den Sinn, daß dies eine nützliche Fertigkeit bei Kindern war, die noch nicht gelernt hatten, sich allein anzuziehen.
»Vielleicht schaffst du den nächsten Knopf schneller«, sagte sie.
Er schaffte es. Und während er die Knöpfe öffnete, streiften seine Hände ihre Brüste. Er hatte Tag und Nacht davon geträumt, die Brüste einer Frau zu berühren, hatte aber immer geglaubt, dieser Traum würde nur ein Traum bleiben. Und als er nun einen Knopf nach dem anderen öffnete, schob sie sich höher, damit er den nächsten Knopf erreichen konnte, und damit näherten ihre Brüste sich seinem Gesicht, bis er schließlich imstande war, ihre Haut zu küssen, wenn er den Kopf nur ein wenig zur Seite drehte.
Seine Finger öffneten den letzten Knopf, und nun schwangen die beiden Seiten ihrer Bluse auf. Ich kann es nicht, ich kann es nicht, dachte er, und dann tat er es trotzdem, drehte den Kopf und küßte sie. Die Haut war ein wenig verschwitzt, aber auch weich und glatt, nicht wie Haut, die dem Wetter ausgesetzt war — nicht wie seine Hände, obwohl die auch glatt waren. Nicht einmal wie die glatte Wange seiner Mutter, die er oft geküßt hatte; dies war eine Haut, wie er sie noch nie mit den Lippen berührt hatte, und er küßte sie erneut.
»Für das Aufknöpfen und Öffnen bekommst du nur eine durchschnittliche Note«, sagte sie, »aber die Zusatzaufgabe hast du vielversprechend gelöst. Du mußt nicht immer so sanft sein.«
»Ich bin eigentlich so grob und brutal und männlich, wie es mir möglich ist«, sagte er.
»Dann ist es in Ordnung«, sagte sie. »Weißt du, du kannst es gar nicht falsch machen. Solange ich weiß, daß du es machst, weil du es willst.«
»Ich will es«, sagte er. Und dann, weil ihm klar wurde, daß sie es hören mußte: »Ich will dich so sehr. Du bist so … perfekt.«
Sie schien leicht zusammenzuzucken.
Dann bewegte ihre Hand sich und erprobte auch ihn, wollte feststellen, wie er reagierte, und obwohl sein erster Instinkt ihn dazu drängte, sich zu verstecken, zurückzuschrecken, war er endlich einmal froh, daß sein Körper ihm nicht ermöglichte, sich so schnell zu bewegen, weil auch sie wissen sollte, daß er erregt war.
»Ich glaube, das Experiment war ein Erfolg, meinst du nicht auch?« fragte Huschidh.
»Ja«, sagte Issib. »Aber soll das heißen, das ich jetzt aufhören soll?«
»Nein«, sagte sie. »Aber jeden Augenblick könnte jemand in dieses Zelt kommen.« Sie wich zurück und knöpfte ihre Bluse zu. Aber sie atmete auch ziemlich schwer. Das konnte er trotz seines schweren Atems hören. »Das war aber eine Menge Übung für mich«, sagte er.
»Es liegt auch in meiner Absicht, dich zu ermüden.«
»Das kannst du nicht, außer, du heiratest mich«, sagte er.
»Ich dachte schon, du würdest nie fragen.«
»Willst du mich heiraten?«
»Wäre es morgen früh genug?«
»Nein«, sagte er. »Ich glaube nicht.«
»Dann sollte ich vielleicht deine Eltern holen.« Ihre Bluse war mittlerweile zugeknöpft, und sie stand auf und verließ das Zelt. Erst jetzt bemerkte er, daß die Unterwäsche, die zuvor ihre Brüste gehalten hatte, mitten auf dem Teppich lag, ein kleiner weißer Haufen. Er senkte die rechte Hand auf die Kontrollen seines Stuhls, fuhr den langen Arm des Stuhls aus, hob das Kleidungsstück auf und holte es heran. Er sah sich an, wie es beschaffen war; ziemlich einfallsreich, dachte er, doch gleichzeitig verabscheute er, daß das elastische Material die Brüste einer Frau die ganze Zeit über an ihren Körper drückte. Vielleicht tragen Frauen so was ja nur, wenn sie auf Kamelen reiten. Es wäre schade, wenn sie ständig so eingezwängt wären. Besonders für ihn, denn ihm hatte gefallen, wie Huschidhs Körper sich unter ihrer Bluse bewegt hatte, nachdem sie dieses Ding abgelegt hatte.
Er befahl seinem Stuhl, es in dem kleinen Behälter unter dem Stuhl zu verstauen; er gehorchte. Gerade rechtzeitig – Huschidh kam mit Vater und Mutter zurück. »Ich kann mich ja kaum beschweren, daß dies zu plötzlich kommt«, sagte Vater. »Wir hatten damit gerechnet und gehofft, daß es eher früher als später geschehen würde.«
»Sollen wir für die Zeremonie alle zusammenrufen?« fragte Mutter.
Und dann würden sie eine halbe Stunde damit verbringen, sich abwechselnd zu langweilen und darüber nachzudenken, wie Huschidh und Issib wohl miteinander schliefen? »Nein, danke«, sagte er. »Alle wichtigen Leute sind hier.«
»Ach, wie schade«, sagte Huschidh. »Ich habe Luet und Nafai gebeten, ebenfalls zu kommen, sobald sie Zdorab und Schedemei über die neuen Schlafarrangements informiert haben.«
Daran hatte Issib nicht gedacht — Huschidh hatte mit Schedemei ein Zelt geteilt, und Issib mit Zdorab. Nun waren die beiden gezwungen, zusammenzuziehen, bevor sie dazu bereit waren, und …
»Mach dir darüber keine Sorgen«, sagte Vater. »Zdorab wird hier bei dem Index schlafen, und Schedemei bleibt, wo sie ist. Huschidh wird zu dir ziehen, weil dein Zelt bereits … ausgerüstet ist.«
Ausgerüstet mit seiner privaten Latrinenvorrichtung, den Töpfen für seine Schwämme, dem Bett mit der Matratze aus Luftblasen, damit er sich nicht bettwund legte. Und wenn er am Morgen seine Blase und Gedärme entleeren mußte, würde er sagen, Schuja, Liebling, wärest du so lieb, mir den Krug und die Bettpfanne zu bringen? Und dann sei ein Schatz und wische mich bitte ab, ja?
»Und Nafai und Zdorab werden morgen früh kommen, um dir zu helfen, dich für den Tag fertigzumachen«, sagte Vater.
»Und es mir beizubringen«, sagte Huschidh. »Wenn du mich heiraten willst, Issib, darf dies keine Schranke zwischen uns sein. Ich weigere mich, mich dadurch stören zu lassen, und du mußt dich ebenfalls weigern.«
Leichter gesagt als getan, dachte Issib, nickte aber zustimmend und hoffte, daß es wirklich so kommen würde.
Nachdem Nafai und Luet eingetroffen waren, dauerte die Zeremonie nur ein paar Minuten. Nafai stand neben Issib und Luet neben Huschidh, während Mutter und Vater abwechselnd die Teile der Zeremonie sprachen. Eigentlich war es die Ehezeremonie der Frauen, wie sie in Basilika abgehalten wurde, und so mußte Vater nur dann und wann einspringen und seinen Teil richtig aufsagen, aber das gehörte einfach zur Zeremonie. Jedenfalls hatte er diesen Eindruck. Vaters Stimme wiederholte sanft die Worte, die Mutter gerade gesprochen hatte, als wolle er ihn noch einmal daran erinnern. Schließlich waren sie fertig, und Rasa legte ihre Hände zusammen. Huschidh beugte sich zu Issib in seinem Stuhl hinab und küßte ihn. Es war das erste Mal, daß seine Lippen die ihren berührten, und es überraschte ihn. Es gefiel ihm auch sehr gut, und außerdem kniete sie während des Kusses neben dem Stuhl nieder, und dabei drückten ihre Brüste sich gegen seinen Arm, und er wollte eigentlich nur noch, daß alle anderen sie allein ließen, damit er feststellen konnte, wie der Rest des Experiments verlaufen würde.
Es dauerte noch eine weitere halbe Stunde, während der Nafai und Luet sie neckten und aufzogen, doch schließlich waren sie allein in Issibs Zelt, und sie setzten das Experiment dort fort, wo sie es abgebrochen hatten. Als Huschidh nackt war, hob sie ihn aus dem Stuhl. Er wußte, sie war überrascht, wie leicht er war, obwohl Nafai ihr zweifellos versichert hatte, daß sie keine Schwierigkeiten haben würde, ihn zu tragen, so groß, wie sie war. Sie zog ihn aus und drückte ihren Körper dann an den seinen, damit er ihr genausoviel geben konnte, wie sie ihm gab. Er glaubte, die Stärke der Gefühle nicht ertragen zu können, als er sah, wie viel Vergnügen er ihr gab, und die Freuden spürte, die sie ihm gab; sein Körper erleichterte sich fast in dem Augenblick, in dem sie sich auf ihn hinabließ. Doch das war nicht schlimm, denn sie umfaßte ihn noch immer und bewegte sich auf ihm und küßte ihn, und er küßte ihre Wange, ihre Schulter, ihre Brust, ihren Arm, wann immer ein Teil von ihr in die Nähe seiner Lippen kam; und wenn er es konnte, legte er die Arme um sie, damit sie, als sie sich auf ihm bewegte, seine Hände auch auf ihrem Rücken, ihren Schenkeln spüren konnte; sanft, schwach, eigentlich zu nichts imstande, aber trotzdem vorhanden. Genügte ihr das? Konnte sie dies . genießen, immer und immer wieder, auf ewig?
Dann kam ihm in den Sinn, statt sich darüber den Kopf zu zerbrechen, sie doch einfach zu fragen.
»Ja«, sagte sie. »Du bist also fertig?«
»Zumindest das erste Mal«, sagte er. »Ich hoffe, ich habe dir nicht zu weh getan.«
»Ein wenig«, sagte sie. »Aber Luet hat mir gesagt, ich könne sowieso nicht erwarten, daß es beim erstenmal überwältigend ist.«
»Wie nicht-überwältigend war es?«
»Ich war nicht über-wältigt«, sagte sie. »Aber es ist auch nicht so, als wäre ich nicht einmal wältigt. Ich würde sagen, in meiner Hochzeitsnacht war ich durch und durch wältigt, und ich freue mich ziemlich auf unsere nächste Wältigung, um zu sehen, um wie viel wältiger es noch werden kann.«
»Vielleicht sollten wir es als allererstes morgen früh einmal ausprobieren.«
»Vielleicht«, sagte sie. »Aber sei nicht überrascht, wenn du aufwachst und mitten in der Nacht feststellst, daß ich die Situation schamlos ausnutze.«
»Tust du nur so, oder meinst du es wirklich ernst?«
»Tust du nur so?« fragte sie.
»Nein«, sagte er. »Das ist die schönste Nacht meines Lebens. Hauptsächlich, weil …«
Sie wartete.
»Weil ich nie gedacht hätte, daß es einmal passieren würde.«
»Aber es ist geschehen«, sagte sie.
»Ich habe geantwortet«, sagte er. »Jetzt bist du dran.«
»Ich dachte, ich müßte so tun, und ich hätte auch so getan, hätte es sein müssen, weil ich weiß, daß unsere Ehe auf lange Sicht funktionieren kann — ich weiß es, weil ich es in meinem Traum vom Hüter der Erde gesehen habe. Wenn ich dir also am Anfang etwas hätte vormachen müssen, hätte ich es getan.«
»Oh.«
»Aber ich mußte dir nichts vormachen. Ich habe dir gezeigt, was ich wirklich gefühlt habe. Es war nicht so gut, Wie es einmal sein wird, aber es war gut. Du warst gut zu mir. Sehr sanft. Sehr freundlich. Sehr …«
»Liebevoll?«
»Wolltest du das sein?«
»Ja«, sagte er. »Das war mir am wichtigsten.«
»Ah«, sagte sie.
Doch dann wurde ihm klar, daß sie gar nicht ah gesagt hatte, sondern lediglich ein Geräusch über ihre Lippen gekommen war, ohne daß sie es eigentlich gewollt hatte. Und er sah in dem schwachen Licht, daß sie weinte, und ihm kam in den Sinn, daß er genau die richtigen Dinge zu ihr und sie genau die richtigen Dinge zu ihm gesagt hatte.
Und als er dem Schlaf entgegentrieb, ihr Körper neben dem seinen, ein Arm leicht auf ihrer Seite ruhend, da dachte er: Ich habe von der Frucht in Vaters Traum gekostet. Nicht, als wir kopuliert haben, nicht, als mein Körper zum erstenmal seinen Samen in den Körper einer Frau gab, sondern als ich ihr meine Furcht zeigte und meine Dankbarkeit und meine Liebe; und dann noch einmal, als sie mir ihre Gefühle offenbarte. Da haben wir beide nach oben gegriffen und den ersten Bissen dieser Frucht gekostet, und nun kenne ich das Geheimnis von Vaters Traum, das er selbst nicht verstanden hat — man kann von dieser Frucht niemals kosten, wenn man selbst nach ihr greift. Sondern nur, wenn man sie für jemand anderen von dem Baum pflückt, wie Schuja mir die Frucht gab und ich, obwohl ich es nie für möglich gehalten hätte, eine abpflückte und sie davon kosten ließ.