22

Direkt vor ihnen machte der Gang eine scharfe Biegung, ohne daß Mary-Lou erkennen konnte, was dahinter lag. Obwohl es eine wissenschaftliche Unmöglichkeit war, waren die Spiegel so angeordnet, daß sie immer nur ihr eigenes und Sheldon Porters Spiegelbild zurückwarfen, ganz egal, aus welchem Blickwinkel sie sie betrachteten. Mary-Lou blieb stehen. »Ich ... ich kann nicht mehr«, stieß sie mit zitternder Stimme hervor. Längst schon hatte sie jedes Zeitgefühl verloren. Sie hatte das Gefühl, seit Stunden und Tagen durch das Spiegellabyrinth zu irren. Aber vielleicht waren es auch erst wenige Minuten. »Ich halte das alles einfach nicht mehr aus. Sie sollten ... allein weitergehen, ohne mich.«

Sheldon schüttelte wortlos den Kopf. Er hatte seit dem Kampf mit Cramer kaum eine Silbe von sich gegeben. Sein Selbstbewußtsein schien einen ziemlichen Sprung bekommen zu haben. Er hatte auch aufgehört, Spiegel zu zerschlagen. Im nachhinein mußte sich Mary-Lou eingestehen, daß die Idee sowieso nicht gut gewesen war. Es wäre ziemlich naiv gewesen, im Ernst anzunehmen, daß Ulthar tatenlos zusehen würde, wie sie sein Labyrinth Stück für Stück zerstörten.

»Bitte, Sheldon, versuchen Sie, wenigstens ihr eigenes Leben zu retten«, drängte sie und griff nach seinem Arm. »Allein haben Sie die größere Chance, als wenn Sie sich um mich kümmern. Ich bin ja doch bloß eine Last für Sie.«

Sheldon schaute sie an. »Und was soll aus Ihnen werden?« fragte er.

Mary-Lou zuckte mit den Achseln und senkte den Blick. »Lassen Sie mich einfach hier zurück«, murmelte sie. »Es hat ja doch alles keinen Sinn. Wir sind verloren, und das wissen Sie so gut wie ich. Wir machen uns nur etwas vor. Wir werden so oder so sterben. Irgend jemand wird mich hier finden, und dann ist wenigstens alles vorbei. Vielleicht habe ich es ja auch verdient.«

Sie sah angeekelt auf ihre Hände hinunter. Sie hatte gemordet. Einen Menschen ermordet, mit ihren eigenen Händen.

»Unsinn«, erwiderte Sheldon gröber, als er wollte. »Sie machen sie nur dadurch selbst etwas vor, daß Sie sich Schuldgefühle einreden. Sie hatten keine andere Wahl. Er hätte uns sonst beide umgebracht.«

Mary-Lou nickte verkrampft. »Ich ... weiß«, sagte sie stockend. Sie ließ die Arme sinken, lehnte sich gegen die Wand und sah Sheldon unsicher an. »Ich ... ich versuche immer wieder, mir einzureden, daß dieses Wesen kein Mensch war, aber ...«

»Ich weiß, was Sie meinen.« Sheldon nickte. »Er sah aus wie Ihr Mann. Aber er war es nicht. Es war nur eine rein äußerliche Ähnlichkeit. Diese ... diese Kreatur lebte nicht einmal. Sie umzubringen war kein Mord. Vielleicht war es sogar eine Erlösung für Ihren Mann.« Er sprach mit ruhiger sanfter Stimme, als würde er mit einem Kind reden. Die Rolle des Beschützers war noch ungewohnt für ihn, aber sie fiel ihm leichter, als er erwartet hatte. Zu einem beträchtlichen Teil bezog er sogar seine eigene Kraft aus Mary-Lous Schwäche, daraus, daß er nicht nur für sich selbst, sondern auch für sie die Verantwortung trug. Ansonsten hätte er vielleicht ebenfalls schon längst resigniert. Noch vor zwei Tagen hatte er für Menschen wie Mary-Lou Cramer nur Verachtung, manchmal sogar Haßempfinden, aber jetzt rührte ihn ihre Angst und Hilflosigkeit.

»Ich weiß«, wiederholte Mary-Lou. Ihre Stimme zitterte merklich. »Ich weiß, daß es nicht Jeremy war, aber ... Er hat geredet und gehandelt, also muß er doch irgendwie leben und ...« Sie brach ab und unterdrückte ein Schluchzen.

Sheldon berührte sie sanft an der Schulter. »Ich verstehe Sie nur zu gut, Mary-Lou«, sagte er leise. Die Spiegel schienen seine Worte zu reflektieren und ihnen einen boshaften, höhnischen Klang zu verleihen. Er legte seinen Arm um ihre Schulter und zog sie an sich. Im ersten Moment versuchte Mary-Lou, sich zu wehren, aber Sheldon drückte ihre Hände mit sanfter Gewalt beiseite. Die Berührung tat ihr gut. Sie gab ihren Widerstand auf, ließ sich an seine Brust sinken und weinte hemmungslos.

»Ob er ... tot ist?« fragte sie nach einer Weile. »Der echte Jeremy, meine ich?«

Sheldon antwortete nicht, aber sie spürte, wie er sich unmerklich versteifte.

»Antworten Sie mir, Sheldon. Glauben Sie, daß ...«

Sheldon machte eine hastige Handbewegung. »Still!« Er ließ sie los, trat einen Schritt zurück und lauschte mit geschlossenen Augen.

Mary-Lou sah ihn verwirrt an. »Was ist los?«

Sheldon schüttelte ärgerlich den Kopf und legte den Finger auf die Lippen. »Ruhig«, flüsterte er. »Es kommt jemand. Ich höre Schritte.« Er wich zur gegenüberliegenden Wand zurück, preßte sich dagegen und griff unter seine Jacke. In seiner Hand lag eine schimmernde, messerscharfe Spiegelscherbe, als er sie wieder hervorzog. »Versuchen Sie ihn abzulenken«, zischte Sheldon.

Mary-Lou nickte automatisch. Sie hörte die Schritte jetzt auch; schwere, schleppende Schritte, als bewege sich jemand mit äußerster Mühe auf sie zu. Ihr Herz begann zu rasen. Sie sah die Angst auf ihrem eigenen Gesicht, als sie ihr Spiegelbild auf der gegenüberliegenden Wand betrachtete. Von der schlanken, auch im Alter von zweiundvierzig Jahren noch schönen Frau, die sie noch gestern gewesen war, war nicht viel übriggeblieben. Die Frau dort im Spiegel schien eine andere zu sein. Ihr dunkles, gepflegtes Haar hing in schweißverklebten Strähnen herab. Ihr Gesicht wirkte grau und eingefallen, und um ihre Mundwinkel lag ein bitterer, harter Zug, den sie noch nie an sich bemerkt hatte.

Die Schritte kamen näher. Sie konnte jetzt die Atemzüge des Mannes hören. Er schien stehenzubleiben, murmelte etwas und ging dann weiter. Ein leises, schleifendes Geräusch begleitete seine Schritte, so, als taste er sich mühsam mit der Hand an den spiegelverkleideten Wänden entlang.

Und dann geschah alles unglaublich schnell.

Der Mann erschien in der Gangbiegung. Mary-Lous entsetzter Aufschrei ging in Sheldons wütendem Brüllen unter, als er die Spiegelscherbe wie einen Dolch schwang und sich auf den Fremden stürzte.

»Sheldon! Nicht!«

Sheldon versuchte im letzten Augenblick, seinen Stoß abzuwenden. Die Scherbe verfehlte das Gesicht des Mannes um Millimeter, schrammte an dessen Schulter entlang und schlitzte den linken Jackenärmel auf. Sheldon taumelte vorwärts und verlor, von seinem eigenen Schwung mitgerissen, das Gleichgewicht, während Jeremy Cramer mit einem überraschten Schmerzlaut zurückwich und seinen verletzten Arm umklammerte.

»Was, zum Teufel, ist ...« Jeremys Augen weiteten sich ungläubig, als er seine Frau erkannte. »Mary-Lou! Wie - wie kommst du hierher?«

Mary-Lous Stimme versagte ihren Dienst. Sie sank an die Wand zurück, kämpfte gegen die Tränen und schlug die Hände vors Gesicht. Sie wußte selbst nicht, wie es ihr gelungen war, gerade noch rechtzeitig die Warnung auszustoßen. Im ersten Augenblick, als sie Jeremy gesehen hatte, hatte sie ihn für ein weiteres Spiegelbild gehalten und vor Schreck aufschreien wollen, doch irgend etwas an seiner Haltung, seinem Gesichtsausdruck oder seinem Blick hatte sie erkennen lassen, daß das nicht stimmte, daß es sich um den echten Jeremy Cramer handelte. Das Entsetzen darüber, wie knapp alles gewesen war, schnürte ihr die Kehle zu.

Sheldon richtete sich ungeschickt auf. Sein Blick wanderte immer wieder von Mary-Lou zu Jeremy. Augenscheinlich wußte er nicht so recht, was er von der Situation halten sollte.

Cramer seinerseits musterte ihn mit einer Mischung aus Vorsicht und Neugier. Ein dünner Blutfaden sickerte aus seiner zerschnittenen Jacke, aber er schien den Schmerz gar nicht zu spüren, so wenig, wie er sich bewußt zu sein schien, wie knapp er dem Tod entkommen war. Oder aber er verstand seinen Schrecken meisterhaft zu verbergen. »Wer sind Sie?« fragte er. »Und wie kommen Sie hierher? Sie und meine Frau?«

Sheldon lächelte kalt. Er schien entspannt dazustehen, aber seine Finger umklammerten noch immer die Scherbe. Seine gelöste Haltung täuschte. Innerlich war Sheldon gespannt wie eine Stahlfeder und jederzeit bereit, beim geringsten Anzeichen von Gefahr nachzuholen, wovon Mary-Lous Zuruf ihn abgehalten hatte. »Mich würde vielmehr die Frage interessieren, wie Sie hierherkommen«, konterte er lauernd.

»Sheldon - nicht. Er ist ...« Mary-Lou schluckte krampfhaft. Man spürte, daß ihr die Worte eine ungeheure Überwindung abverlangten. »Das ist Jeremy, der echte Jeremy. Mein ... mein Mann.«

Sheldon zögerte. »Sind Sie ... sind Sie völlig sicher, daß er echt ist?« fragte er.

»Natürlich bin ich echt«, stieß Cramer hervor. Er strich über seine Schulterwunde und hielt Jeremy den Finger mit einigen Blutstropfen daran entgegen. »Sieht das vielleicht wie Ketchup aus?«

Sheldon atmete tief ein. »Ich ... es tut mir leid, wenn ich Sie verletzt habe. Aber ich dachte ...«

Cramer nickte. »Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Ich kann mir lebhaft vorstellen, was Ihnen passiert ist.« Er musterte Sheldons zerschlagenes, geschwollenes Gesicht. »Sie scheinen so ungefähr das gleiche wie ich erlebt zu haben.«

»Das gleiche ist gut«, entgegnete Sheldon. »Ich hatte eine kleine Meinungsverschiedenheit mit einem Spiegelbild. Mit Ihrem Spiegelbild.« Er deutete mit einer Kopfbewegung auf Mary-Lou. »Wenn Ihre Frau nicht gewesen wäre, wäre ich jetzt tot. Sie hatte die einzig richtige Idee.« Er schwang seine Spiegelscherbe. »Die einzige Waffe, mit der man diese Kreaturen unschädlich machen kann. Jedenfalls die einzige, die ich kenne«, sagte er.

»Unschädlich?« hakte Cramer nachdenklich nach. »Sie meinen, Sie haben dieses Wesen - getötet?«

Sheldon schüttelte den Kopf. »Ich nicht. Ihre Frau.«

Jeremy sah Mary-Lou nachdenklich an. »Wann war das?«

»Vielleicht vor einer halben Stunde.« Sie zuckte mit den Schultern. »Genau kann ich es nicht mehr sagen. Hier drin verliert man jedes Gefühl für die Zeit. Es ... ist schrecklich.«

Jeremy trat auf seine Frau zu, nahm sie in den Arm und drückte sie tröstend an sich. »Eine halbe Stunde«, wiederholte er. »Das kommt in etwa hin. Vor einer halben Stunde ist der Spiegel plötzlich zerbrochen, in dem ich gefangen war.«

In Sheldons Augen blitzte es auf. »Das würde bedeuten, daß die Spiegel ihre Macht verlieren, wenn die lebenden Spiegelbilder vernichtet werden. Sobald wir eines dieser Wesen töten, befreien wir gleichzeitig den Menschen, dem es nachgebildet wurde.«

Jeremy Cramer nickte. »Es sieht so aus.« Er war Pragmatiker. In seinem Beruf mußte er geistig flexibel sein und praktisch denken, mußte sich blitzschnell auf neue Situationen einstellen und darauf reagieren können. Auch jetzt hielt er sich nicht damit auf, lange nach Erklärungen zu suchen, sondern dachte zunächst einmal praktisch. Er deutete mit einer Kopfbewegung auf die Scherbe in Sheldons Hand. »Haben sie noch mehr von den Dingern?«

»Nein. Aber ich kann welche besorgen.« Sheldon grinste, zog seine Kette unter der Jacke hervor und ließ ihr Ende wuchtig gegen die Wand krachen.

Diesmal jedoch war die Wirkung völlig anders als zuvor. Das Glas zerbrach zwar, aber von dem Hintergrund prallte die Kette ab und federte mit so großer Wucht zurück, daß sie Sheldon beinahe am Kopf getroffen hätte. Gleichzeitig erschütterte ein dumpfer, vibrierender Schlag das gesamte Labyrinth. Die Beleuchtung flackerte, ging aus und wieder an und erlosch schließlich ganz.

Mary-Lou schrie entsetzt auf. Am Ende des Ganges, aus dem Jeremy gekommen war, schien ein grelles, weißes Licht. Dunkle Umrisse schienen sich im Zentrum des Leuchtens zu bewegen; schwarze, zuckende Tentakel, schleimige Fäden und höllische, haßverzerrte Fratzen.

Sheldon keuchte. »Was ...«

Die Erscheinung verschwand ebenso plötzlich, wie sie aufgetaucht war. Ein tiefes, unmenschliches Stöhnen drang aus den Wänden. Der Spiegel, den Sheldon zerschlagen hatte, begann in dunkelrotem Licht zu glühen. Mary-Lou starrte ihn mit ungläubigem Entsetzen an. Das Glas war in unzählige winzige Splitter zersprungen. Ein paar größere Trümmerstücke hingen noch schräg im Rahmen, und dahinter ... Mary-Lou kämpfte den aufsteigenden Ekel nieder und zwang sich, genauer hinzusehen. Die Wand war aufgeworfen, porös und von dunkelroten und schwarzen Linien durchzogen, die im Rhythmus eines unhörbaren Pulsschlages zu zucken schienen. Dunkle Tropfen quollen aus dem zerstörten Spiegel. In der dunkelroten Beleuchtung wirkten sie wie Blut.

Das Stöhnen wiederholte sich, und der Boden erbebte ein weiteres Mal. Die Spiegel schienen sich auf bizarre Weise zu wellen und zu verbiegen.

»Weg hier!« schrie Sheldon. Er fuhr herum, riß Mary-Lou und Jeremy einfach mit sich, als sie nicht schnell genug reagierten, und hetzte den Gang entlang, doch sie kamen nur wenige Schritte weit. Wo vor Sekunden noch ein offener Durchgang gewesen war, waren plötzlich Spiegel. Sheldon fluchte, fuhr herum und versuchte in einen Nebengang auszuweichen. Aber auch dort war der Durchgang versperrt. Keuchend blieb Sheldon stehen. Der Boden zitterte immer noch, und die Wände bewegten sich in konvulsivischen Zuckungen. Der Gang schien sich wie ein lebendes Wesen unter den Schmerzen zu krümmen, die Sheldons Kette ihm zugefügt hatte.

Zu allen Seiten hin war der Weg von kalt schimmernden, deckenhohen Spiegeln verschlossen, ein zwei mal fünf Meter großes Gefängnis ohne sichtbaren Ausgang.

Und dann begann sich ganz, ganz langsam die Decke zu senken.


Mark Taylor hob die Hand und blieb stehen. »Sie ist hier«, sagte er leise. »Ganz in der Nähe. Ich spüre es.« Er wartete, bis Masterton und die anderen neben ihm angekommen waren, ehe er mit einer weit ausholenden Armbewegung auf die gegenüberliegenden Häuser deutete. »Irgendwo dort vorne.«

»Holen wir sie«, sagte Masterton entschlossen.

Mark hielt ihn mit einer raschen Bewegung zurück. »Nicht so schnell. Ich ... ich spüre noch etwas. Eine Gefahr.«

Masterton zog eine Grimasse. »Diese ganze Stadt ist mir nicht geheuer«, sagte er überzeugt. »Wir hätten nicht hierherkommen sollen.«

Mark sah ihn nachdenklich an. Die Kritik an Ulthars Befehlen war unüberhörbar. Und er wußte, daß die drei anderen ebenso dachten. Irgend etwas hatte sich in ihnen verändert, seit sie durch das Spiegeltor auf diese Welt gekommen waren. Es war, als endete Ulthars Macht über ihren Willen hier. Je mehr sie sich dieser beunruhigenden Ausstrahlung näherten, desto schwächer schien der Einfluß des Magiers zu werden, und desto mehr erhielten sie ihren eigenen freien Willen zurück.

Einer der Männer schien seine Gedanken zu erraten. »Warum gehen wir nicht zurück und lassen Ulthar selbst nach dieser Frau suchen?«

Mark fuhr herum. Der Mann hielt seinem Blick einen Augenblick lang stand, dann senkte er betreten den Kopf und sah weg.

»Er hat recht«, flüsterte Masterton, als Mark sich wieder herumgedreht hatte. »Ich fühle mich nicht sehr wohl dabei, in einer unbekannten Welt voller unbekannter Gefahren herumzulaufen, nur weil Ulthar Vivian in seine Gewalt bringen will. Diese Welt ist nicht für Menschen bestimmt. Wir sollten nicht hier sein.«

»Wenn wir es nicht tun, tun es andere«, sagte Mark lahm.

Masterton grinste. »Von mir aus. Laß uns hier verschwinden. Vielleicht findet dieser Narr ein paar andere Idioten, die seine Drecksarbeit tun.«

Mark schwieg fast eine Minute. »Wir können nicht einfach gehen«, sagte er dann.

»Weil Vivian deine Frau ist?« vermutete Masterton. »Hängst du immer noch an ihr?«

»Nein.« Mark schüttelte den Kopf. »Sie ist mir völlig gleichgültig. Aber Ulthar darf sie auf keinen Fall in die Hände bekommen. Wir müssen es unter allen Umständen verhindern, wenn wir selbst leben wollen.«

Masterton zog die Augenbrauen zusammen. »Warum? Hast du immer noch Angst vor ihm?«

»In gewisser Hinsicht ja«, bestätigte Mark ernsthaft. »Du weißt ja, warum er Vivian Taylor in seine Gewalt bringen will, ihr alle wißt es. Ohne die echte Vivian ist Melissa nur ein hirnloses Geschöpf ohne eigenen Willen. Gelingt es Ulthar jedoch, Vivian in seine Spiegel zu verbannen, erwacht Melissa vollends zum Leben, und mit ihr wird er zur größten Gefahr, die die Welt je gesehen hat.«

Masterton zuckte mit den Schultern. »Was kümmert uns die Welt?«

»Nichts, Jonathan, sieht man davon ab, daß es die gleiche Welt ist, in der auch wir leben wollen«, gab Mark zurück. »Ich hätte dich für klüger gehalten. Ulthar darf Vivian nicht in die Hände bekommen, verstehst du das nicht? Wenn Melissa erwacht, ist er so gut wie unschlagbar.« Er lächelte häßlich. »Und ich glaube kaum, daß er unseren kleinen Verrat so einfach vergessen wird. Im Gegenteil, er wird uns jagen, und irgendwann wird er uns finden und töten.« Er sah Masterton und die anderen der Reihe nach an. »Deshalb werden wir Vivian fangen, wie er es befohlen hat. Aber denkt daran, was ich gesagt habe - sie darf unter keinen Umständen in Ulthars Gewalt gelangen. Es gibt nur eine Möglichkeit, diese Gefahr ein für allemal zu beseitigen. Wenn ihr Vivian seht - tötet sie.«

Er drehte sich um und deutete auf die Häuserreihe auf der anderen Straßenseite. »Sie ist in einem dieser Häuser. Jonathan, du bleibst hier und bewachst die Straße. Die anderen folgen mir. Holen wir uns die Hexe.«

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