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Wie Elizabeth schon vermutet hatte, war Ho-Tu nur zu gern bereit, mir das Haus des Cernus zu zeigen.

Er war sehr stolz auf den Umfang und die Vielfalt des Unternehmens; Die Anlage war auch wirklich beeindruckend – das größte und reichste Sklavenhaus in Ar. Das Haus des Cernus war über dreißig Generationen alt. Die spezielle Züchtung von Sklaven stellt dabei nur einen kleinen Teil des Geschäfts dar. Die größte Gruppe sind die in Freiheit geborenen und später versklavten Männer und Frauen – ein nicht ungewöhnliches Schicksal in dieser grausamen und kriegerischen Welt. Sklavenüberfälle sind das große Geschäft, und von Zeit zu Zeit fällt auch eine ganze Stadt. Was den Markt angeht, so ist das Angebot natürlich groß, und jeder Sklavenhändler bemüht sich, Besonderheiten zu bieten. So nahm ich an, daß das Haus des Cernus zur Zeit bemüht war, eine Nachfrage nach Barbarenmädchen zu schaffen, und sei es auch nur zur Abrundung für die Vergnügungsgärten reicher Kaufleute – Mädchen, die Cernus offenbar in größeren Mengen liefern konnte als seine Konkurrenten.

Das Haus des Cernus ist ein großer Zylinder mit zahlreichen Stockwerken und enthält Einrichtungen, die sich allenfalls in der Größe von den Anwesen anderer Sklavenhändler unterscheidet. Es gibt Badebecken, Küchen, Wäschereien, Lagerräume, medizinische Einrichtungen, Korridore für Bedienstete, die ausnahmslos im Haus wohnen; die Bibliothek, Archive, Räume für Schmiede, Bäcker, kosmetische Fachleute, Zahnärzte, Wäschebleicher, Färber, Weber und Lederarbeiter; Garderobe- und Juwelenkammern, Tarnkäfige, zwei an der Zahl, die sich durch große Portale zu zwei Tarnstangen an der Außenseite des Hauses führen; die Trainingsräume für Sklaven und Wächter und für jene, die den Beruf des Sklavenhändlers erlernen wollen; Erholungsräume für die Bediensteten, Eßräume – und natürlich tief unten im Zylinder die verschiedenen Gehege und Käfige, in denen Sklaven gebrandet, ausgeliefert, gesammelt werden; Lieferungen an das Haus des Cernus, Nahrungsmittel und Materialien, treffen hier ständig ein; es ist nicht ungewöhnlich, daß am Tage hundert neue Sklaven angeliefert werden; zu jeder Zeit halten sich zwischen vier- und sechstausend Sklaven in den Anlagen des Zylinders auf. Viele sind natürlich einfach eingeschlossen und bleiben dort, bis der Verkauf ansteht; ganze Gruppen werden zu Großhandelspreisen an kleinere Sklavenhändler weitergegeben, die gewöhnlich aus fernen Städten Anreisen, um Ware zu erwerben, die es in Ar im Überfluß und zu angemessenen Preisen gibt. Ar ist die Sklavenhauptstadt des erforschten Gor.

Obwohl es im Hause des Cernus verschiedene private Auktions und Schauräume gibt, werden die meisten Sklaven in einem der fünf öffentlichen Auktionshäuser verkauft, die vom Administrator der Stadt lizensiert und besteuert werden. Das bedeutendste Auktionshaus, das Curuleum, enthält den großen Auktionsblock. Es bedeutet für ein Sklavenmädchen großes Prestige, auf diesem Block im Curuleum verkauft zu werden, und alle streben danach – denn so ein Verkauf garantiert einen reichen Herrn und ein luxuriöses und meist auch angenehmes Leben. In den kleineren Auktionshallen laufen die Verkäufe viel schneller ab, während man den Mädchen auf dem großen Auktionsblock Zeit läßt, sich angemessen darzustellen.

»Dies ist der beste unserer privaten Auktionsräume«, sagte Ho-Tu.

Ich sah mich um. Auf dem marmornen Halbrund der Sitze hatten vielleicht hundert Interessenten Platz. Der Auktionsblock bestand nach allgemeiner Tradition aus Holz.

Ich folgte Ho-Tu durch einen Korridor, an dessen Ende wir kurz in einen großen Raum blickten. Ich sah zwei Sklavenmädchen in gelber Tunika und mit Sklavenkragen um den Hals. Ein Mädchen diktierte von einem Stück Papier, und das andere Mädchen kopierte den Text auf ein anderes Blatt. Aus der Geschwindigkeit, mit der dies geschah, schloß ich, daß hier eine Art Kurzschrift in Gebrauch war. Auch einige freie Männer hielten sich in dem Raum auf, offenbar Schriftgelehrte, auch wenn sie bis zur Hüfte nackt waren. Sie färbten durch Siebmatritzen große Bögen Papier ein. Einer hielt sein Produkt in die Höhe, und ich sah, daß es sich um ein Plakat handelte, wie es an die Mauern von Gebäuden geklebt wurde oder an die Anschlagtafeln in der Nähe der Märkte. Auf dem Blatt wurde ein Verkauf angekündigt. Andere Plakate, die an Drähten hingen, verkündeten Spiele und Tarnrennen. Eine Gemeinsamkeit lag darin, daß in jedem Falle das Haus des Cernus mit dem Vorgang zu tun hatte, sei es bei dem Verkauf oder bei der Finanzierung der Rennen oder Spiele.

Ho-Tu führte mich nun in einen anderen Korridor. An seinem Ende standen zwei Wächter vor einer Tür. Sie erkannten den Oberaufseher sofort und ließen uns passieren. Wenige Schritte dahinter befand sich eine zweite Tür. Eine kleine Luke öffnete sich, und eine Frau nickte uns zu. Im nächsten Augenblick wurden zwei Riegel zurückgeschoben, und wir erreichten einen weiteren Korridor. Hinter uns wurde die Tür wieder fest verschlossen.

Ho-Tu bog ab, und ich blickte zu meiner Überraschung durch eine riesige Glaswand, die etwa drei Meter hoch und fünf Meter breit war; der ganze Korridor schien aus solchen Fenstern zu bestehen.

Jenseits des Glases erstreckte sich eine Art Vergnügungsgarten. Kleine Bäume, weiches Gras, einige Brunnen und verschlungene Wege. Leise Musik erklang. Ich trat unwillkürlich zurück, als ich zwei wunderschöne Mädchen auf mich zukommen sah; ihr Haar war mit weißer Seide zusammengebunden. Sie konnten kaum achtzehn sein.

»Sei unbesorgt«, sagte Ho-Tu. »Sie können dich nicht sehen. Auf der anderen Seite sieht diese Wand wie ein Spiegel aus.«

Ich tat beeindruckt, obwohl ich natürlich solche Einrichtungen von der Erde her kannte.

»Sind das Sklaven?« fragte ich.

»Natürlich – aber sie wissen es nicht. Es sind Exoten.«

Dieser Ausdruck wird für jede ungewöhnliche Sklavenart verwendet.

Exoten sind in der Regel sehr selten.

»In welcher Hinsicht sind sie exotisch?«

Ho-Tu sah mich an und grinste. »Sie wissen nichts von Männern.«

»Du meinst, sie sind von Weißer Seide?«

Er lachte. »Nein, sie leben seit ihrer Kindheit hier in den Gärten. Sie haben in ihrem ganzen Leben noch keinen Mann gesehen. Sie wissen gar nicht, daß es so etwas gibt.«

Jetzt verstand ich auch die Abgeschiedenheit dieser Räume und warum in den Korridoren nur Frauen zu sehen waren.

»Für so eine Sklavin sind sehr hohe Preise zu erzielen«, versicherte Ho-Tu und führte mich zurück.

In einem großen Flur kamen wir an vier Sklavinnen vorbei, die auf den Knien hockten und die Fliesen schrubbten. Ein Sklave mit einer Peitsche überwachte sie.

»Dies ist ein interessanter Raum«, sagte Ho-Tu und öffnete eine Tür.

Durch einen einseitigen Spiegel blickten wir in ein luxuriös eingerichtetes Zimmer mit offenem Garderobenschrank, seidenüberzogenen Truhen, einem riesigen Seidendiwan und zahlreichen Teppichen. Auf einer Seite war ein Marmorbad in den Boden eingelassen. Es hätte sich um die Privatgemächer einer Dame aus Hoher Kaste handeln können, wenn sie sich nicht im Haus eines Sklavenhändlers befunden hätten.

»Dieser Raum ist für ganz besondere Gefangene«, erklärte Ho-Tu.

»Manchmal amüsiert sich Cernus mit den Frauen, die in diesem Zimmer gefangen sind. Er läßt sie glauben, daß er sie gut behandelt, wenn sie ihm zu Gefallen sind.«

»Und wenn sie ihm nicht zu Gefallen sind?« fragte ich.

»Dann werden sie mit der Kette erdrosselte, die das Zeichen des Hauses Cernus trägt. Cernus mag keine Widersetzlichkeit in solchen Dingen.«

Ich starrte wortlos in die Luxuszelle.

»Du scheinst das Haus des Cernus nicht sehr zu mögen«, bemerkte Ho-Tu.

»Und du – Oberaufseher?«

Er sah mich überrascht an. »Ich werde gut bezahlt.« Dann zuckte er die Achseln. »Den größten Teil des Hauses hast du jetzt gesehen – es fehlen nur noch die Ausbildungsräume, die Käfige und Gehege, die Vorbereitungsräume und so weiter.«

»Wo sind die Frauen, die gestern abend aus dem schwarzen Schiff in den Voltai- Bergen gebracht wurden?«

»In den Gehegen. Folge mir.«

Auf dem Wege in die unteren Regionen des Zylinders, die teilweise auch unter der Erdoberfläche lagen, kamen wir am Büro des Caprus vorbei.

Ich sah Elizabeth im Korridor, einen Stapel Schriftrollen im Arm.

Als sie mich erblickte, fiel sie auf die Knie und senkte den Kopf.

»Ich sehe, deine Ausbildung hat noch nicht einmal angefangen«, sagte ich streng.

»Ihre Ausbildung beginnt bald«, schaltete sich Ho-Tu ein.

»Was soll die Verzögerung?« fragte ich.

»Cernus' Anweisung«, sagte Ho-Tu. »Er möchte zunächst eine kleine Gruppe Barbarensklavinnen ausbilden lassen. Sie kommt zu dieser Gruppe.«

»Die Mädchen von gestern abend?« fragte ich.

»Nur zwei davon kommen in ihre Gruppe. Die anderen acht werden in zwei größere Gruppen aufgeteilt und getrennt trainiert.«

»Wie ich gehört habe, lassen sich Barbarinnen nur schlecht ausbilden.«

»Das bleibt abzuwarten.«

»Und wenn das Experiment positiv verläuft, hat das Haus des Cernus offenbar das größte Angebot solcher Mädchen.«

»Natürlich«, lächelte Ho-Tu. »Und bei jedem Rendezvous kommen neue hinzu.«

»Wann fängt das Training an?«

»Sobald die beiden neuen Mädchen durch die Gehege sind. Mädchen, die im Training stehen, werden allgemein besser behandelt und ernährt, und wenn sie gute Fortschritte machen, dürfen sie sogar in die Stadt, um sich Anregungen zu holen.« Elizabeth lächelte.

»Damit sie bessere Preise bringen«, fügte Ho-Tu hinzu. Elizabeth senkte den Kopf.

In diesem Augenblick ertönte das Zeichen der fünfzehnten Stunde. Das Mädchen sah mich fragend an, und ich gestattete ihr, sich zu entfernen.

Sie sprang sofort auf, brachte Caprus die Schriftrollen und lief mit schnellen Schritten davon.

»Bei dem Tempo«, sagte Ho-Tu lächelnd, »ist sie bestimmt nicht die letzte an den Trögen.«

Ich erwiderte Ho-Tus Blick; seine schwarzen Augen blieben ruhig und gleichmütig. Schließlich kratzte er sich an der linken Schulter und grinste.

»Du bist ein seltsamer Attentäter«, sagte er kopfschüttelnd. »Gehen wir nun zu den Gehegen?«

»Es ist die fünfzehnte Stunde. Essen wir erst etwas. Danach zeige ich dir die Gehege.«

Im sandbestreuten Ring in der großen Halle fanden heute abend mehrere Kämpfe statt; wieder ein Duell mit Hakenklingen, dann ein Peitschenkampf und schließlich ein Boxkampf mit nagelbesetzten Handschuhen. Cernus saß wieder über sein Spielbrett gebeugt und blieb diesmal sehr lange, auch nachdem Paga und Ka-la-na- Wein serviert worden waren.

Ich wandte mich an Ho-Tu, den ich während des Tages ein wenig besser kennengelernt hatte: »Wie kommt es, daß du immer nur deinen Brei ißt, auch wenn die anderen Ka-la-na und Fleisch und Honig zu sich nehmen?«

Ho-Tu schob die Schale zurück. »Das hat nichts zu besagen«, meinte er.

»Gut«, erwiderte ich.

Der Hornlöffel zerbrach in seinen Händen, und er warf die Stücke ärgerlich in die Schale. »Es tut mir leid«, sagte ich.

Er starrte mich verwirrt an. In seinen schwarzen Augen blitzte es. »Hat nichts zu besagen«, wiederholte er. »Ich bringe dich jetzt zu den Gehegen.«

Ich deutete auf die Seitentür, durch die gestern abend der gefesselte Sklave geführt worden war. Der Sieger des vergangenen Abends saß heute wieder am unteren Ende der Tafel. Er trug keinen Kragen mehr und war also vermutlich freigelassen worden.

»Das Wesen, das ihr das Ungeheuer nennt«, sagte ich, »lebt hinter dieser Tür?«

Ho-Tu musterte mich aus zusammengekniffenen Augen. »Ja«, sagte er.

»Ich würde es gern sehen.«

Ho-Tu erbleichte. »Bete zu den Priesterkönigen, daß du es nie sehen mußt.«

»Weißt du etwas über das Ungeheuer?« fragte ich.

»Cernus und gewisse andere Persönlichkeiten des Hauses dürfen es sehen – sie allein.« Er musterte mich eingehend. »Sei nicht zu neugierig, Attentäter, denn gewöhnlich bekommt man dieses Wesen nur im Augenblick des Todes zu Gesicht.«

»Ich hoffe, es befindet sich in einem sicheren Käfig.«

Ho-Tu lächelte. »Das hoffe ich auch«, sagte er.

»Wie oft wird es gefüttert?«

»Es kann mehrmals am Tag essen«, sagte Ho-Tu, »aber es kommt auch lange Perioden ohne Nahrung aus. Gewöhnlich geben wir ihm alle zehn Tage einen Sklaven.«

»Einen lebendigen Sklaven?«

»Es tötet gern selbst.«

»Solange es in seinem Käfig ist, besteht doch wohl keine Gefahr.«

»Die Angst vor dem Ungeheuer sorgt im Hause des Cernus für Ordnung.«

»Das kann ich mir vorstellen.«

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