»Heute abend«, rief Cernus und hob seine Trinkschale, »haben wir allen Grund zum Feiern.«
Nie zuvor hatte ich den zurückhaltenden Sklavenhändler so freudig erregt gesehen wie in diesen Stunden, die auf die Auktion im Curuleum folgten. Das Fest begann spät in der Halle des Cernus, und Wein und Paga flössen reichlich. Vergnügungssklavinnen gab es in großer Zahl, Wächter stolperten betrunken mit ihren Weinkrügen herum. Cernus' Krieger sangen an den Tischen. Gebratene Tarsk wurden an langen Spießen zu den Tischen getragen. Mädchen, die noch im Training waren, servierten nackt den Wein. Musiker hackten oder zupften wild an ihren Instrumenten herum.
Man hatte meinen Oberkörper freigelegt und mich mehr als einmal mit Stockschlägen quer durch den Saal getrieben, wobei ich meine Sklavenhaube trug.
Nun konnte ich zwar wieder sehen, war aber angekettet und kniete blutüberströmt vor der Plattform, auf der Cernus thronte.
Wenige Schritte von mir entfernt, ebenfalls gefesselt, kniete Elizabeth Cardwell, und ihr einziges Kleidungsstück war die Kette des Cernus.
Auf der anderen Seite des Saals sah ich zu meinem Entsetzen Sura, Relius und Ho-Sorl, ebenfalls in Fesseln.
Die Puppe, die Sura so geliebt hatte, das Erinnerungsstück an ihre Mutter, das sie in ihrem Quartier so heftig verteidigt hatte, lag zerfetzt vor ihr auf den Fliesen.
»Was haben sie verbrochen?« hatte ich gefragt.
»Sie wollten dich befreien«, lachte Cernus. »Die Männer haben einen Angriff versucht, während die Frau deine Wächter zu bestechen versuchte.«
Ich schüttelte den Kopf, denn ich begriff nicht, warum sich Relius und Ho-Sorl so offen auf meine Seite stellten oder warum Sura für mich ihr Leben riskieren wollte. Ich hatte wenig getan, um solche Freunde zu verdienen.
Elizabeth sah mich starr an. Sie hatte offenbar einen Schock erlitten.
»Portus soll kommen!« rief Cernus.
Der Sklavenhändler, der Cernus' größter Konkurrent gewesen war, wurde gebracht, zweifellos aus den Verliesen des Zentralzylinders.
Er war sehr abgemagert, die Haut hing ihm faltig von den Knochen.
Seine Fesseln wurden entfernt, eine blanke Hakenklinge wurde ihm in die zitternde Hand gedrückt.
»Bitte, mächtiger Cernus!« flehte er. »Sei barmherzig!«
Der Sklave, der am ersten Abend meines Aufenthaltes in diesem Haus beim Messerkampf gesiegt hatte, sprang in die kleine Sandarena und begann den alten Sklavenhändler zu umkreisen.
»Bitte, Cernus!« rief Portus, als ein langer blutiger Streifen auf seiner Brust erschien. »Bitte, Kastenbruder!« rief er. Der Sklave, schnell, begierig, lachend, schlug wieder und wieder zu. Schließlich versuchte sich Portus zur Wehr zu setzen, doch er war zu langsam und ungeschickt; er stolperte herum und wurde immer wieder neu verwundet, wenn auch nicht tödlich. Schließlich sank er geschwächt zu Boden, zu Füßen des lachenden Sklaven.
»Er soll dem Ungeheuer zum Fraß vorgeworfen werden«, befahl Cernus.
Der wimmernde Portus wurde aus dem Saal geschleppt.
Gleich darauf hörte ich aus der Ferne einen langgedehnten Schrei und ein wildes Brüllen.
Die Anwesenden erschauderten.
»Das Ungeheuer ist gesättigt«, erklärte Cernus lachend und trank Wein, der ihm übers Kinn rann.
»Bringt nun die Hinrabia!« befahl Cernus.
Ein Sklavenmädchen in gelber Vergnügungsseide wurde hereingezerrt, eine schlanke Gestalt mit kurzem schwarzem Haar und dunklen Augen.
Ich hielt den Atem an, denn es handelte sich um Claudia Tentia Hinrabia, die sich staunend umsah.
»Du bist das Sklavenmädchen Claudia?« fragte Cernus.
»Ja, Herr«, lautete die Antwort.
»Weißt du, in welcher Stadt du bist?«
»Nein, ich trug eine Haube, als ich in dieses Haus gebracht wurde.«
»Es stimmt doch, daß du in Wirklichkeit Claudia Tentia Hinrabia bist, nicht wahr?« fragte Cernus.
Sie starrte ihn stumm an.
»Wisse denn, daß du dich in Ar befindest!«
»Ar?« keuchte sie.
»Ja«, sagte Cernus, »im Herrlichen Ar.«
Hoffnung war plötzlich in ihren Augen. Sie begann zu weinen. »Ar!« rief sie. »Oh, dann befreie mich! Ich bin aus Ar! Befreie mich, Herr!«
»Kennst du mich?« fragte Cernus.
»Nein, Herr«, sagte das Mädchen.
»Ich bin Cernus, Ubar von Ar.«
»Bitte, edler Cernus, Ubar meiner Stadt, befreie mich!«
»Dein Vater hat mir Geld geschuldet«, sagte Cernus, »du bleibst meine Sklavin!«
Das Mädchen schluchzte.
»Aber ich habe eine kleine Überraschung für dich, meine liebe Claudia«, sagte Cernus. »Weißt du, wie es zu deiner Entführung gekommen ist?«
»Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß Männer des Portus mich entführt haben, und...«
»Du weißt gar nichts«, sagte Cernus. »Die Palastwache hat dich entführt. Die Taurentianer mitsamt ihrem Anführer Saphronicus stehen in meinen Diensten!«
Dem Mädchen stockte der Atem.
»Ja, so war es möglich, daß meine Häscher dich finden konnten!«
Sie schüttelte weinend den Kopf.
»Claudia Tentia Hinrabia«, sagte Cernus zu seinen Zuschauern, »war in ganz Ar als strenge Herrin bekannt. Einmal ließ eine ihrer Sklavinnen einen Spiegel fallen, und sie ließ dem armen Wesen Ohren und Nase abschneiden. Dann wurde sie verkauft. Ich habe lange in den Küchen Ars gesucht, bis ich dieses Mädchen fand.«
Ich erinnerte mich, daß ich vor wenigen Tagen – sie schienen Monate zurückzuliegen – ein grausam entstelltes Mädchen getroffen hatte.
Dieses Mädchen wurde jetzt hereingeführt.
»Wie heißt du?« fragte Cernus.
»Melanie«, sagte sie, ohne den Blick von Claudia Tentia Hinrabia zu wenden. Sie war sichtlich überrascht, ihre frühere Herrin hier vorzufinden.
»Melanie«, sagte Cernus, »kennst du diese Sklavin?«
»Ja«, sagte das Mädchen, »sie war früher meine Herrin.«
Eine Hakenklinge wurde dem entstellten Mädchen in die Hand gedrückt.
»Bitte, Melanie«, flüsterte Claudia, »du darfst mir nichts tun.«
»Du darfst dieser Sklavin Nase und Ohren abschneiden«, sagte Cernus zu Melanie.
»Bitte, Melanie!« kreischte die andere. »Tu mir nichts!«
Melanie starrte auf das Messer, dann schleuderte sie es zur Seite. »Hab keine Angst«, sagte sie. »Ich würde einer Sklavin nie etwas antun.«
Cernus war wütend. »Legt sie beide in Ketten. Sie sollen in zehn Tagen dem Ungeheuer zum Fräße vorgeworfen werden!« Dann setzte er sich ärgerlich. »Seid nicht enttäuscht«, rief er seinen Gästen zu. »Es gibt noch mehr Vergnügungen!«
»Gutes Mädchen!« rief ich hinter Melanie her, als sie aus dem Saal geschleift wurde.
Sie drehte sich um und lächelte mir noch einmal kurz zu.
Ein Krieger versetzte mir einen Schlag über den Mund, doch ich lachte nur.
»Da ich Ubar der Stadt bin«, sagte Cernus zu mir, »und der Kaste der Krieger angehöre...«
Leises Gelächter wurde laut, das Cernus jedoch mit einem Blick zum Verstummen brachte, »... liegt es mir am Herzen«, fuhr der Hausherr fort, »in jeder Hinsicht fair zu sein. Ich schlage daher vor, daß wir um deine Freiheit kämpfen.«
Ich hob überrascht den Kopf.
»Bringt das Spielbrett und die Figuren«, sagte Cernus, und Philemon verließ den Saal.
Cernus grinste mich an. »Ich erinnere mich doch richtig, daß du nicht spieltest?«
Ich nickte.
»Andererseits«, sagte Cernus, »glaube ich dir natürlich nicht.«
»Ich spiele«, räumte ich ein.
Cernus lachte. »Würdest du gern um deine Freiheit spielen?«
»Natürlich.«
»Ich bin ziemlich gut, mußt du wissen«, sagte Cernus.
Ich schwieg. In den Monaten meines Aufenthalts hatte ich tatsächlich mitbekommen, daß Cernus ein ausgezeichneter Spieler war. Er war sicher nicht leicht zu besiegen.
»Aber«, sagte Cernus lächelnd, »da du sicherlich kaum so geschickt bist wie ich, halte ich es nur für gerecht, wenn du durch einen Champion vertreten wirst, der für dich spielt und dir eine Siegeschance verschafft.«
»Ich spiele für mich selbst«, sagte ich.
»Ich glaube, das wäre nicht gerecht«, sagte Cernus; »Ich verstehe«, sagte ich. Cernus wollte meinen Champion bestimmen, so daß das Spiel zu einer sinnlosen Farce wurde.
»Vielleicht könnte ein Sklave, der sich kaum mit dem Spiel auskennt, für mich eintreten«, sagte ich. »Wenn das nicht schon ein zu starker Gegner für dich ist.«
Cernus starrte mich überrascht an. Dann grinste er und sagte: »Vielleicht.«
Sura hob den Kopf.
»Würdest du es wagen, gegen eine einfache Sklavin zu kämpfen«, fragte ich, »die erst vor wenigen Tagen das Spiel erlernt hat und vielleicht nur eine Ahn lang gespielt hat?«
»Wen meinst du?« fragte Cernus.
»Er meint mich, Herr«, sagte Sura unterwürfig und schlug die, Augen nieder.
»Frauen spielen nicht«, sagte Cernus gereizt und stand auf. »Hast du es gewagt, das Spiel zu lernen, Sklavin?«
Dann wandte er sich an mich. »Such dir einen würdigeren Champion aus, Narr«, sagte er.
Ich zuckte die Achseln. »Ich wähle Sura.« Cernus konnte bestimmt nicht wissen, daß Sura eins der größten Naturtalente für das Spiel war, das ich je erlebt hatte.
Die Männer an den Tischen lachten auf, und aus keinem erkennbaren Grund versetzte Cernus der knienden Sklavin zornig einen Schlag.
Neben mir flüsterten zwei Männer. »Wo ist Ho-Tu?« fragte der eine.
Diese Frage hatte ich mir auch schon gestellt.
»Ho-Tu ist nach Tor geschickt worden, um Sklaven zu kaufen«, lautete die Antwort.
Ich hielt das für einen schlauen Schachzug des Sklavenhändlers, denn der kräftige Oberaufseher hätte es sicherlich nicht zugelassen, daß seine Geliebte so behandelt wurde.
»Ich spiele nicht mit einer Frau«, entschied Cernus schließlich und wandte sich ab.
Sura sah mich hilflos an, und ich lächelte ihr zu. Sie war meine einzige Hoffnung gewesen.
Cernus nahm nun wieder am Tisch Platz, auf dem inzwischen Philemon das Spiel aufgebaut hatte. »Es ist sowieso egal«, wandte er sich an mich, »denn ich habe bereits einen Champion für dich bestimmt.« Er begann dröhnend zu lachen. »Hup der Narr wird für dich spielen!«
In diesem Augenblick kamen zwei Männer durch den Haupteingang des Saals, von zwei Wächtern geführt. Der eine wahrte eine gewisse Würde; er trug die Robe eines Spielers. Der andere rollte und purzelte über die Fliesen, sprang auf die Füße und tanzte zum Vergnügen der Anwesenden herum.
Hup machte den Sklavenmädchen große Augen, ging rückwärts, stolperte, fiel und begann kreischend auf und ab zu springen. Die Mädchen lachten.
Bei seinem Begleiter handelte es sich zu meiner Überraschung um den blinden Spieler, den ich vor langer Zeit vor der Pagataverne am großen Tor hatte spielen sehen; jener Spieler, der den Weinhändler mit einem brillanten Zug geschlagen hatte. Ich fand es seltsam, daß dieser Mann in der Gegenwart Hups gefunden worden war, in dessen mißgestaltetem Kopf zweifellos kein vernünftiger Gedanke zustande kommen konnte.
Ich sah, wie Sura den Zwerg entsetzt ansah. Sie schien vor Widerwillen zu erschaudern.
»Spieler Qualius«, rief Cernus, »du bist nun wieder einmal im Haus des Cernus, der nun Ubar von Ar ist.«
»Ich fühle mich geehrt«, sagte der blinde Spieler.
»Möchtest du noch einmal gegen mich spielen?« fragte Cernus.
»Nein«, sagte der blinde Spieler trocken. »Ich habe dich schon einmal geschlagen.«
»Das war ein Fehler, nicht wahr?« fragte Cernus aufgeräumt.
»In der Tat«, sagte Qualius, »denn dafür wurde ich geblendet.«
»So hatte letztlich ich gesiegt, nicht wahr? Wie kommt es, daß meine Männer dich bei Hup dem Narren fanden?«
»Ich teile mit ihm das Quartier«, sagte Qualius. »Einem armen Spieler stehen wenige Türen offen.«
Cernus lachte. »Spieler und Narren haben viel gemein.«
Hup rannte unterdessen zwischen den Tischen herum, stahl sich hier einen Bissen und dort einen Schluck, wurde vertrieben, machte aber immer neue Vorstöße.
»Hier dein Champion!« sagte Cernus.
»Warum bringst du mich nicht einfach um – dann ist es schnell vorbei?« fragte ich.
»Hast du kein Vertrauen in deinen Spieler?« fragte Cernus und begann laut zu lachen. Auch Hup fiel in die allgemeine Heiterkeit ein.
»Da du einen Champion hast«, sagte Cernus, »ist es fair, wenn auch ich mir einen Kämpfer erwähle.« Er drehte sich um und deutete auf die Tür.
Rufe der Überraschung klangen auf.
Aufgebracht eilte ein junger Mann in den Saal, kaum achtzehn oder neunzehn Jahre alt, mit durchdringendem Blick und unglaublich anziehenden Zügen; er trug die Robe eines Spielers, sie war aus bester Seide, goldbestickt, und seine Sandalen hatten goldene Schnürsenkel.
Die strahlende Erscheinung wurde dadurch etwas beeinträchtigt, daß er etwas humpelte, er zog das rechte Bein nach. Doch selten hatte ich ein schöneres, gleichmäßigeres Gesicht gesehen, auf dem jetzt jedoch Wut und Ratlosigkeit kämpften.
Er stellte sich vor dem Tisch des Cernus auf und hob die Hand. »Tal«, sagte er. »Warum bin ich hier?«
Ich musterte das Gesicht des jungen Mannes, das mir seltsam vertraut vorkam. Es war mir fast, als hätte ich es schon einmal gesehen.
Mein Blick fiel zufällig auf Sura, und zu meiner Verblüffung schien auch sie den Jungen irgendwie zu erkennen; ihr Blick war starr auf sein Gesicht gerichtet.
»Du bist hier, um zu spielen – als mein Champion«, sagte Cernus.
Der Junge blickte ihn verständnislos an.
»Wenn du gewinnst«, fuhr der Ubar fort, »bekommst du Hundert Goldstücke.«
»Ich werde gewinnen«, sagte der Junge und blickte vielsagend zu Qualius hinüber. »Das Spiel wird sicher interessant«, fügte er hinzu.
»Qualius aus Ar«, sagte Cernus, »soll nicht dein Gegner sein. Dein Gegner ist der dort.« Und der Sklavenhändler deutete auf Hup, der sich in einer Ecke herumwälzte.
Wut entstellte die Züge des Jungen. »Ich spiele nicht! Das wäre eine Beleidigung für mich und das Spiel!«
»Wenn du nicht spielst«, sagte Cernus freundlich, »verläßt du dieses Haus nicht lebend.«
»Was soll das alles?« fragte der junge Mann furchtlos.
»Ich räume diesem Gefangenen eine Überlebenschance ein«, sagte Cernus und deutete auf mich. »Wenn sein Champion siegt, kommt er mit dem Leben davon; verliert sein Champion, muß er sterben.«
»Ich habe noch nie bewußt verloren«, sagte der junge Spieler.
»Ich weiß«, bemerkte Cernus.
Der Junge sah mich an. »Sein Blut klebt an deinen Händen«, sagte er, »nicht an den meinen.«
Cernus lachte. »Dann spielst du also?«
»Bringen wir die Farce hinter uns!« sagte der Junge.
Philemon deutete auf das Spielbrett, und der Spieler nahm Platz.
»An den Tisch, Narr!« rief Cernus in den Saal.
Hup schreckte zusammen, sprang auf, machte einen Salto und hoppelte an den Tisch, wo er sein Kinn auf die Platte legte und ein Stück Brot zu knabbern versuchte, das dort lag.
Alle Anwesenden lachten, mit Ausnahme von Relius, Ho-Sorl, dem jungen Spieler und Sura. Wieder verblüffte mich das Staunen, mit dem sie den gutaussehenden gehbehinderten Jungen betrachtete. Ich durchforschte meine Erinnerung, versuchte in Gedanken zu fassen, was sich meinem Begreifen entzog.
»Möchtest du meinem Gefangenen nicht deinen Namen sagen?« wandte sich Cernus an den Jungen.
Unwillig öffneten sich die schöngeschwungenen Lippen: »Ich bin Scormus aus Ar«, sagte er.
Ich schloß die Augen und begann vor Gelächter zu beben. Und die anderen, auch Cernus, fielen in meine Heiterkeit ein, bis der Saal widerhallte.
Mein Champion war Hup, ein Narr – doch der Spieler für Cernus war der brillante Scormus aus Ar, der junge, phänomenale Scormus, der das erste Brett in der Stadt spielte und die höchste Brücke in der Stadt hielt, der Meister nicht nur aller Spieler Ars sondern des ganzen Planeten.
Viermal hatte er schon die Goldschale auf den Jahrmärkten im Sardargebirge gewonnen, er war bisher noch aus jedem Turnier als Sieger hervorgegangen.
Plötzlich schrie Sura auf: »Er ist es!«
Und in diesem Augenblick überkam mich so plötzlich die Erkenntnis, daß mir eine Sekunde lang der Atem stockte und der Raum um mich dunkel zu werden schien.
»Ist sie wahnsinnig?« wandte sich Scormus an den Hausherrn.
In Suras Augen schimmerten Tränen, und sie barg den Kopf in den Händen.
Hup hüpfte zu der weinenden Sklavin und legte seinen unförmigen Kopf an ihre Schulter. Einige Männer an den Tischen lachten. Doch Sura wich vor dem schiefen Gesicht nicht zurück. Zur allgemeinen Verblüffung küßte der unförmige, mißgestaltete Zwerg Sura zärtlich auf die Stirn. Ihre Schultern zitterten. Sie lächelte weinend und senkte den Kopf.
»Was geht hier vor?« wollte Cernus wissen.
Hup stieß einen wilden Schrei aus, machte einen Rückwärtssalto und drehte sich mehrmals auf der Stelle, bis er schwindlig zu Boden sank. Er begann laut zu schluchzen. Scormus hob angewidert den Kopf. »Spielen wir endlich.«
»Spiele, Narr!« befahl Cernus.
Der kleine Narr hüpfte an den Tisch. »Spiele! Spiele! Spiele!« wimmerte er. »Hup spielt.«
Der Zwerg nahm eine Figur und schob sie fort.
»Du bist noch nicht dran!« rief Cernus. »Gelb hat den ersten Zug.«
Gereizt zog Scormus einen Tarnkämpfer.
Hup nahm eine rote Figur zur Hand und musterte sie. »Schönes, schönes Holz«, sagte er.
»Kennt sich der Narr mit den Spielzügen überhaupt aus?« fragte Scormus verächtlich.
»Schön, schön«, krächzte Hup, dann stellte er das Stück verkehrt herum auf ein Feld.
»Nein«, sagte Philemon aufgebracht, »auf diese Farbe, so!«
Doch Hups Aufmerksamkeit war bereits auf ein Stück Gebäck am Nebentisch gerichtet, das jemand vergessen hatte.
Wie ich feststellte, warf Scormus dem kleinen Narren plötzlich einen aufmerksamen Blick zu. Doch dann zuckte der Junge die Achseln, schüttelte den Kopf und machte seinen zweiten Zug.
»Jetzt bist du wieder dran«, sagte Philemon.
Ohne auf das Brett zu schauen, nahm Hup eine Figur auf, wohl einen Ubars Schriftgelehrten. Er betrachtete das Holzstück. »Hup ist hungrig«, sagte er.
Ein Wächter warf ihm das Gebäckstück zu, auf das er ein Auge geworfen hatte, und der kleine Narr kreischte freudig auf und stopfte sich den Kuchen in den Mund.
Ich betrachtete Sura, die mich strahlend ansah und unter Tränen lächelte.
Sie hatte einen Sohn. Sein Name war natürlich Scormus aus Ar, und er war ihr Sohn und der Sohn des Zwerges Hup, vor Jahren bei den Feiern der Kajuralia empfangen. Ich erkannte den Jungen, obwohl ich ihn noch nie gesehen hatte. Seine Züge ähnelten denen Suras, obwohl niemand sonst diese Beobachtung gemacht zu haben schien. Scormus lahmte; vielleicht ein Erbteil seines Vaters; doch ansonsten war der Junge vorzüglich geraten, er war ein Genie des Spiels.
Tränen traten mir in die Augen, als ich Sura betrachtete, als ich sah, wie glücklich sie war.
Hup hatte sie geküßt. Er hatte Bescheid gewußt. War er wirklich ganz der Narr, den er hier spielte? Scormus, der brillante Meisterspieler, war der Abkomme dieser beiden. Ich hatte Suras Naturtalent für das Spiel gespürt, und ich begann mich zu fragen, ob nicht vielleicht Hup, der der Vater eines solchen Genies war, mehr über das Spiel wüßte, als er erkennen ließ. Ich wandte den Kopf und musterte Qualius aus Ar, der still vor sich hin lächelte.
Nach Hups zweitem Zug hatte Scormus aus Ar lange Zeit auf das Brett gestarrt und dann Hup gemustert, der noch an seinem Gebäck kaute.
Cernus schien ungeduldig zu werden. Philemon schlug drei oder vier Gegenzüge vor.
»Unmöglich«, sagte Scormus schließlich leise. Dann zuckte er die Achseln und bewegte die dritte Figur.
»Jetzt du!« rief Cernus.
Hup sprang gehorsam auf, und mit Krämern am Mund ergriff er eine gelbe Figur und schob sie zur Seite.
»Nein«, sagte Cernus gepreßt. »Du bist rot!«
Gehorsam bewegte Hup eine rote Figur.
»Er zieht doch nur wild durcheinander«, sagte Philemon.
Scormus starrte auf das Spiel. »Vielleicht«, sagte er und machte seinen vierten Zug.
Hup, der irgendwo in einer Ecke herumtollte, wurde an den Tisch gerufen, nahm hastig einen Stein auf und ließ ihn polternd auf ein anderes Feld fallen.
»Entwickle deine Tarnkämpfer, dann hast du seinen Heimstein in fünf Zügen.«
Scormus blickte mürrisch auf. »Willst du mir sagen, wie ich spielen muß?«
Philemon öffnete den Mund, als läge ihm eine heftige Erwiderung auf der Zunge, doch hielt er sich im letzten Augenblick zurück.
»Paß auf«, sagte Scormus zu Cernus, als er wieder zog.
Hup, der ein verrücktes kleines Lied vor sich hin summte, krabbelte auf die Plattform, ergriff mit seiner kleinen, knochigen Faust., eine Figur und stieß sie ein Feld weiter.
»Ich gebe dir zweihundert Goldstücke, wenn du das Spiel in zehn Zügen beendest«, sagte Cernus.
»Mein Ubar spaßt«, sagte Scormus.
»Ich verstehe dich nicht...«
»Ich hätte es wissen sollen, daß mein Ubar keine sinnlosen Anweisungen trifft«, sagte Scormus, ohne den Kopf zu heben. Er lächelte. »Es geschieht selten, daß sich Scormus so narren läßt. Ich möchte dich beglückwünschen. Dieser Spaß wird sicherlich noch in tausend Jahren erzählt werden.«
»Ich verstehe dich nicht«, wiederholte Cernus.
»Sicher erkennst du die Variation mit den beiden Speerträgern der Ubar- Schriftgelehrten-Verteidigung, die von Milos aus Cos entwickelt und zuerst im Turnier in Tor gespielt wurde?«
Cernus und Philemon schwiegen. Es war still im Saal.
»Der Mann, gegen den ich hier spiele«, sagte Scormus aus Ar, »ist offensichtlich ein Meister!«
Ich stieß einen Freudenschrei aus, in den Sura einfiel.
»Unmöglich!« rief Cernus.
»Mein Freund Hup«, sagte der blinde Spieler Qualius, »kann gegen Priesterkönige spielen.«
»Du mußt ihn schlagen!« kreischte Cernus.
»Sei still«, sagte Scormus. »Ich spiele.«
Nun wurde es ziemlich ruhig im Saal, und nur Hup machte ab und zu etwas Lärm. Das Spiel nahm seinen Fortgang. Der Narr tanzte zwischen seinen Zügen unter den Tischen herum, schnüffelnd, gurgelnd, kehrte an den Tisch zurück, warf einen Blick auf das Brett, stieß einen Schrei aus und schob eine Figur herum.
Nach einer halben Ahn stand Scormus auf. Sein Gesicht war versteinert.
Seine Haltung drückte Arger, aber auch Verblüffung und Respekt aus.
Starr stand er da und streckte zur allgemeinen Überraschung dem kleinen Hup die Hand hin.
»Was tust du?« fragte Cernus.
»Ich danke dir für das Spiel«, sagte Scormus.
Die beiden Männer, der junge Scormus aus Ar und der winzige, bucklige Zwerg, schüttelten sich die Hände.
»Ich begreife das nicht l«
»Dein Abweichen von der Zwei-Speerträger-Variation beim sechzehnten Zug war großartig!« sagte Scormus zu Hup, ohne sich um den Ubar der Stadt zu kümmern. »Ich habe seine Bedeutung zu spät erkannt, das Täuschungsmanöver mit der Viererkombination zur Deckung deines Wechsels in die Hogar-Variation des Centianischen Angriffs. Brillant!«
»Ich begreife das nicht«, sagte Cernus noch einmal.
»Ich habe verloren.«
Cernus musterte das Spielbrett. »Unmöglich«, schrie er. »Du bist doch in Siegesposition!«
Scormus' Hand legte seinen Ubar um, zum Zeichen seiner Niederlage.
Cernus richtete den Spielstein wieder auf. »Das Spiel ist nicht vorbei!
Bist du ein Verräter an deinem Ubar?« brüllte er.
»Nein, Ubar«, sagte Scormus verwirrt. »Aber sieh doch – mein Heimstein wird nach elf Zügen geschlagen.«
»Unmöglich«, flüsterte Cernus.
»Ich gehe jetzt«, sagte Scormus, »mit deiner Erlaubnis, Ubar.« Er wandte sich an seinen kleinen Gegenspieler. »Vielleicht spielen wir eines Tages noch einmal miteinander. Ich wünsche dir alles Gute, kleiner Meister.«
Hup, der auf der Plattform gesessen hatte, sprang herab und richtete sich zu seiner vollen Größe auf. In seinen Augen standen Tränen.
»Ich spiele für dich weiter und gewinne!« kreischte Cernus.
Scormus zuckte die Achseln und verließ ungehindert den Saal, nicht ohne sich vorher noch von Qualius aus Ar verabschiedet zu haben.
Cernus achtete nicht mehr auf ihn; er starrte auf das Brett.
Ich bemerkte, daß Hup dicht neben Sura stand und wie sie dem jungen Meisterspieler nachsah.
»Kleiner Narr!« rief Cernus. »Ich habe gezogen! Ubars Tarnkämpfer auf Schriftgelehrten der Ubara Vier! Was tust du nun?«
Hup kehrte an den Tisch zurück, und ohne einen Blick auf das Brett zu werfen, nahm er eine Figur und ließ sie auf ein anderes Feld fallen.
»Was ist denn das für ein Zug?« fragte Philemon ratlos.
»Sinnlos«, sagte Cernus. »Seine Züge bedeuten nichts.«
Ich zählte die Züge, und als nach dem elften Zug Cernus einen Wutschrei ausstieß und Brett und Figuren vom Tisch schleuderte, starrte Hup ihn ratlos an. Dann machte er kehrt und wanderte, irre Laute ausstoßend, im Saal herum. In seiner kleinen Hand hielt er ein winziges Stück gelbes Holz, Cernus' Heimstein.
Relius und Ho-Sorl stießen einen Freudenschrei aus. Sura strahlte.
»Ich bin frei«, wandte ich mich an Cernus.
»Du bist morgen frei«, brüllte Cernus außer sich vor Wut, »um im Stadion der Klingen zu sterben!«
Ich legte den Kopf in den Nacken und lachte. Die Rache war süß. Ich hatte sofort gewußt, daß er mir nie die Freiheit geben würde, doch es war mir ein großes Vergnügen, seine Charade bloßgestellt und ihn erniedrigt zu sehen als einen Mann, der sein Wort nicht hält.
Cernus starrte zu Elisabeth hinunter. Er zitterte vor Wut. »Liefert das Mädchen an Samos aus Port Kar!« fauchte er.
Ich lachte noch, als ich bereits in schweren Ketten aus dem Saal geführt wurde, aus dem Saal des Cernus, des Noblen Ubar der Stadt.