Im Zentralzylinder von Ar war mir ein Raum zugeteilt worden. Man hatte mir eine neue Kriegertunika gegeben, die ich nun anlegte. Auch mein Gürtel war neu, mit schimmerndem Metall beschlagen. Nur mein Schwert war dasselbe, die altgediente Klinge, die mir schon so viele gute Dienste geleistet hatte. Mir gegenüber saß Hup auf einer Truhe.
»Ich bin Agent der Priesterkönige in Ar«, sagte er. »Von Anfang an habe ich dich im Auge behalten.«
»Du gehörst auch zur Gruppe des Marlenus«, sagte ich.
»Er ist mein Ubar. Es war mir eine Ehre, an seiner Rückkehr zur Macht mitzuwirken.«
»Ich frage mich, ob den Priesterkönigen diese Entwicklung gefällt?«
»Sie sind Realisten.«
»Nachdem nun Marlenus wieder auf dem Thron sitzt, ist Ar gefährlich.«
Hup lächelte. »Ar ist immer gefährlich. Aber besser Marlenus' als Cernus.«
»Das stimmt.«
»Marlenus ist der Inbegriff Ars«, sagte Hup.
Ich dachte an den großartigen Mann, an den schnellen, brillanten, kurzentschlossenen, sturen, eitlen, stolzen Meister des Schwerts, an den Tarnkämpfer, den Führer, den Larl unter Menschen – ein wahrer Ubar.
Männer hatten den Heimstein ihrer Stadt im Stich gelassen, um ihm weiter zu dienen, um ihm ins Exil zu folgen. Marlenus war wie ein Gott und ein Ungeheuer zugleich.
»Mit dem Abgang Kazraks und dem Erscheinen Minus Tentius Hinrabius' als Administrator der Stadt«, sagte Hup, »wurde die Rückkehr Marlenus' erforderlich.« Er rieb sich die Nase und starrte mich an. »Zu der Zeit hatten wir schon viele Agenten in der Stadt, freie Männer und Frauen und auch Sklaven. Einige wirst du kennen.«
»Die Sklavin Phais«, sagte ich, »und die Mädchen aus der Straße der Töpfe.«
»Ja«, sagte Hup. »Sehr nützliche Verbündete. Sklavinnen können sich fast überall in der Stadt sehen lassen, ohne Verdacht zu erwecken.
Unsere wichtigsten Informationsquellen waren übrigens die Mädchen in den Bädern, besonders in den Capacischen Badeanstalten.«
»Hat auch Nela vom Becken der Blauen Blumen zu euren Leuten gehört?« fragte ich.
»Allerdings«, kicherte Hup.
»Das freut mich.«
»Sie und die anderen Sklavinnen aus den Bädern sind bereits befreit.«
»Gut«, sagte ich und sah mein Gegenüber nachdenklich an. »In der Verkleidung des Murmilius schuf sich Marlenus eine Gefolgschaft – inmitten von Korruption und Verbrechen. Das ist erstaunlich!«
»Er schenkte den Menschen Ars etwas, womit sie sich identifizieren konnten, einen geheimnisvollen, allmächtigen Helden, der ihre Phantasie anregte. Er zog die Liebe und Zuneigung der Stadt auf sich.«
»Und die Stählernen«, sagte ich, »die neue Mannschaft übernahm ebenfalls eine Rolle gegen Cernus.«
»Natürlich. Mit den Stählernen schufen wir uns eine Gruppe, die – wie Murmilius im Stadion der Klingen – das Publikum für sich gewann. Eine unabhängige, neue Mannschaft, die sich über alle alten Bindungen und Gruppen erhob. Außerdem sollte diese Mannschaft die Gelben besiegen und damit die wahren Interessen des Ubar – nämlich seine heimliche Unterstützung der Gelben – zutage fördern. Dies allein genügte, um die Rennbegeisterten der Stadt gegen ihn aufzubringen. Schließlich kam Marlenus als Murmilius in das Stadion der Tarns, gefolgt von Hunderten und Tausenden von Menschen. Die Bürger hatten sich in beiden Stadien gegen Cernus gewandt, gegen die Grausamkeit und den Verrat des Mannes, den sie mit dem Posten des Ubar geehrt hatten. Diese Dinge, zusammen mit der Unzufriedenheit über die Regierung und die zunehmende Unsicherheit in der Stadt genügten, um die Wende zu bringen.«
Ich schwieg. Ich dachte an Marlenus' Tochter Talena, die ich vor vielen Jahren zum letztenmal gesehen hatte. Niemand in Ar hatte von ihr gehört.
Hup sprang von der Truhe. »Komm«, sagte er, »gehen wir an den Hof des Ubar.«
»Der Ubar möge ohne mich Hof halten. Ich muß die Stadt bald verlassen.«
Ich hatte wenig Lust, an Marlenus' Feier teilzunehmen. Ich war traurig.
Marlenus war freundlich zu mir gewesen. Gestern abend hatte ein Wächter in meinem Quartier vorgesprochen und mir ein Sklavenmädchen bringen wollen.
Doch ich hatte ihn fortgeschickt, ohne mir das Mädchen anzusehen. Ich wollte allein sein.
»Bitte«, sagte Hup, »begleite mich an den Hof meines Ubar.«
Ich blickte zu ihm hinab und lächelte. »Also gut, mein kleiner Freund.«
Wir begannen den langen Marsch durch die Korridore des riesigen Zentralzylinders der Stadt, der fast eine Stadt für sich war.
Wir schritten Rampen empor und Treppen hinauf, die immer höher führten; manchmal gingen wir durch marmorne Passagen, durch deren Fenster der blaue Himmel hereinschimmerte; von draußen klang leises Freudengeläut an unsere Ohren, das überall in der Stadt aufklang. Schließlich gelangten wir tiefer ins Innere des Zylinders, durch weite, mit Teppichen ausgelegte Säle voller Energielampen, wie sie sich selten in Privaträumen der Bürger finden.
Zahlreiche Menschen begegneten uns, die im Vorbeigehen nach goreanischer Art die rechte Hand hoben, die Handfläche nach innen gekehrt, und die uns mit ›Tal‹ grüßten.
Taurentianer waren nicht mehr im Zentralzylinder zu finden, Die taurentianische Wache war aufgelöst und aus der Stadt verbannt worden. Ihr Anführer Saphronicus lag in Ketten. Die Palastwache bestand nun aus Kriegern, die der Gruppe des Marlenus angehört hatten. Ihre Helme und Umhänge unterschieden sich nicht mehr von den Uniformen der übrigen Streitkräfte der Stadt. Die Palastwachen, so hatte mir Hup erzählt, sollten außerdem in regelmäßigen Abständen ausgetauscht werden, so daß mit der Zeit alle Teile der Streitkräfte zum unmittelbaren Dienst beim Ubar herangezogen wurden. Das sollte wohl zugleich verhindern, daß irgendeine Gruppe Macht über die Wache gewann.Die meisten Menschen, die ich im Zentralzylinder antraf, gehörten niederen Kasten an – mit Ausnahme zahlreicher Schriftgelehrter. Ich sah auch zwei Ärzte und einige Sklavinnen.
»Ist Philemon festgenommen worden?« fragte ich Hup unterwegs.
Der kleine Zwerg lachte. »Ja. Er versuchte sich in den Privaträumen Cernus' zu verstecken.«
»Er sagte mir, er habe Zugang zu den Gemächern, um Dokumente zu kopieren.«
Wieder lachte Hup. »Offenbar war er mit der Einrichtung in Cernus' Quartier nicht so vertraut, wie er dir gesagt hat.«
Ich blickte Hup verständnislos an.
Er grinste zu mir auf. »Als er in die Räume einzudringen versuchte, löste er eine geheime Sicherung aus. Unter ihm öffnete sich eine Falltür, und er stürzte sechs Meter tief in eine Grube. Wir haben ihn dort herausgezogen.«
Ich lachte.
»Er ist nun in Ketten auf dem Weg ins Sardargebirge, zusammen mit den Geräten, die wir in den Räumen des Ungeheuers gefunden haben.
Die Priesterkönige werden sicher aus ihm herausbekommen, was er weiß. Sie werden wahrscheinlich auch viel aus den seltsamen Apparaten schließen können.«
»Wird auch die seltsame Armbrust ins Sardargebirge gebracht?« fragte ich.
»Ja.«
»Was wird aus Philemon, wenn man mit dem Verhör fertig ist?« fragte ich.
»Ich weiß es nicht. Vielleicht behalten ihn die Priesterkönige als Sklaven.«
Wir erreichten einen Korridor, der schlichter wirkte als manche andere.
Die Türen, die auf ihn führten, waren mit Signaturknoten verschlossen.
Wahrscheinlich handelte es sich um Sklavenkammern. Im Vorbeigehen starrte ich müßig auf die Knoten.
Bald hatten wir den riesigen Kuppelsaal erreicht, der die Plattform mit dem Marmorthron des Ubar von Ar enthält.. Krieger grüßten mich, als ich eintrat. Mit erhobener Hand erwiderte ich ihren Gruß. Der Raum war mit Angehörigen zahlreicher Kasten gefüllt. Auf dem Thron saß Marlenus aus Ar, in die purpurne Robe seines Amts gehüllt. Links und rechts von ihm standen die Krieger, die während seines Exils seit dem Jahre 10110 bei ihm gewesen waren. Wissende konnte ich nicht entdecken. Ich vermutete, daß es mit ihrem Einfluß in Ar aus war. Marlenus hob die Hand und begrüßte mich.
»Tal, Marlenus aus Ar«, grüßte ich zurück.
Zahlreich waren die Ehrungen und Belohnungen, die Marlenus seinen getreuen Anhängern zukommen ließ. Auch wurden viele wichtige Posten in der Stadt neu besetzt.
Saphronicus, der Anführer der Taurentianer, wurde vor den Thron geschleppt und zu Galeerendiensten in Port Kar verurteilt. Ich sah vor dem Thron Flaminius stehen, den Marlenus trotz seiner Arbeit im Hause des Cernus begnadigte. Er erhielt die Erlaubnis, seine Forschungen in der Stadt fortzusetzen. Sklavenmädchen aus dem Vermögen des Cernus wurden hereingeführt und unter großer Anteilnahme der Anwesenden zur freien Auswahl gestellt. Die Menge beruhigte sich wieder, als anschließend ein einzelnes Mädchen vor dem Thron erschien. Sie trug die kurze Sklavenlivree der Stadt. Man hatte ihr die Hände auf dem Rücken gefesselt.
»Sklavin«, sagte Marlenus. »Wie heißt du?«
»Claudia Tentia Hinrabia«, flüsterte sie.
»Du bist die letzte Angehörige der hinrabischen Familie?« fragte Marlenus.
»Ja, Herr«, sagte sie mit gesenktem Kopf.
»Dein Vater hat, als er noch Administrator der Stadt war, oft den Versuch unternommen, mich zu vernichten. Er schickte Meuchelmörder, Spione und Tarnkämpfer in die Voltai-Berge, um mich zu ermorden.«
Das Mädchen zitterte, ohne zu antworten.
»Er war mein Feind«, sagte Marlenus. »Und du bist seine Tochter.«
»Ja, Herr«, flüsterte das Mädchen.
»Soll ich dich foltern und öffentlich aufspießen lassen?« fragte Marlenus.
Claudia schwieg.
»Oder soll ich dich in meinen Vergnügungsgarten nehmen? Oder soll ich dich freilassen?«
Das Mädchen hob überrascht den Kopf.
»Ich befreie dich«, sagte Marlenus. »Du magst reisen, wohin du willst, und du kannst tun, was immer du möchtest.«
Sie starrte ihn verblüfft an.
»Du bekommst eine Staatspension«, fuhr Marlenus fort, »damit du leben kannst, wie es einer Frau aus hoher Kaste gehört.«
»Ubar!« rief sie. »Ubar!«
Marlenus wandte sich an ihre Wächter. »Ihr sorgt dafür, daß sie in jeder Beziehung wie die Tochter eines früheren Administrators der Stadt behandelt wird.«
Weinend verließ das Mädchen den Saal.
Die Amtsgeschäfte des Neuen Ubar nahmen ihren Fortgang. Unter anderem wurde über das Schicksal der hundert exotischen Sklavinnen entschieden, die im Hause des Cernus ohne Wissen um die Existenz von Männern aufgewachsen waren. Marlenus befahl, daß sie mit aller Vorsicht als freie Frauen in die Gesellschaft Ars eingeführt werden sollten.
Für meinen Sieg im Ubar-Rennen hatte ich tausend goldene Doppel-Tarnmünzen erhalten. Ich ging zu Flaminius hinüber und gab ihm achthundert Goldstücke, damit er seine Forschungsarbeiten fortsetzen konnte.
»Kämpfe deinen Krieg, Arzt«, sagte ich.
»Meine Dankbarkeit«, sagte er, »Krieger.«
»Werden viele mit dir arbeiten?« fragte ich.
»Ich hoffe es. Morgen nehme ich Verbindung mit meinen Kollegen auf.«
Wir reichten uns die Hände.
Die verbleibenden zweihundert Doppel-Tarns verwendete ich bis auf eine Goldmünze für den Freikauf Melanies, die in der Küche des Cernus gedient hatte; das Geld reichte aus, für sie auch noch einen Laden für Tuche zu erwerben.
Das letzte Goldstück drückte ich dem blinden Qualius in die Hand, dem Spieler, der ebenfalls an den Hof des Marlenus gekommen war. Er hatte – wie Hup – der Gruppe des Ubar angehört.
»Du bist Tarl Cabot?« fragte er.
»Ja«, sagte ich. »Und zuvor war ich Kuurus. Diese doppelte Tarnmünze gebe ich dir für deinen Sieg über den Weinhändler vor vielen Monaten.
Damals wolltest du mein Gold nicht. Du hieltest es für schwarzes Gold.«
Qualius lächelte und nahm die Münze. »Das Gold Tarl Cabots kenne ich«, sagte er. »Es ist kein schwarzes Gold. Ich bin geehrt.«
»Du hast es dir verdient«, sagte ich.
Nach einem kurzen Gespräch mit Nela aus den Capacischen Bädern und Phais aus der Straße der Töpfe wandte ich mich zum gehen.
»Du darfst noch nicht fort«, sagte Hup.
»Unsinn, kleiner Freund«, sagte ich und kehrte dem Thronsaal den Rücken.
Bedrückt wanderte ich allein durch die Korridore des Zentralzylinders.
In so mancher Hinsicht hatte ich versagt.
Langsam schritt ich durch die Gänge, kam an zahlreichen Türen vorbei, viele verschlossen, viele mit Signaturknoten versehen.
In der nächsten Stunde wollte ich die Stadt verlassen.
Plötzlich blieb ich stehen und starrte auf eine schmale Holztür, die gewiß zu einem engen Sklavenquartier führte. Ich vermochte mich nicht zu rühren.
Meine Augen waren auf den Signaturknoten gerichtet.
Ich sank vor der Tür in die Knie. Meine Finger berührten bebend das Gewebe der Schnur. Es war ein komplizierter Knoten, weiblich, spielerisch geflochten.
Der Atem stockte mir.
Ich machte Anstalten, den Knoten zu öffnen und hatte vielleicht zehn Windungen gelöst, als ich plötzlich mit einem Schrei aufsprang und mich umwandte und wie ein Wilder durch die Korridore zurücklief.
Sklavenmädchen starrten mich an, als hätte ich den Verstand verloren.
Männer wichen vorsichtig zur Seite, riefen mir nach. Aber ich ließ mich nicht aufhalten, bis ich wieder den Hof des Ubar erreicht hatte.
Vor dem Thron des Marlenus standen zwei Sklavenmädchen.
Ich blieb stehen. Hup ergriff meine Hand und hielt mich zurück.
Die Mädchen wurden an zwei Krieger übergeben. Sie waren schön, das eine eine schlanke, zerbrechlich wirkende Gestalt mit grauen Augen, die andere mit dunklen Augen und schwarzem Haar. Die beiden Krieger, die die Mädchen beanspruchten, waren Relius und Ho-Sorl.
Ich starrte Hup sprachlos an.
Der Zwerg grinste zu mir auf. »Natürlich sind Priesterkönige und manche Menschen nicht so dumm, wie man manchmal annehmen möchte.«
»Aber Samos aus Port Kar hat doch die beiden Mädchen gekauft!«
»Natürlich«, sagte Hup. »Samos aus Port Kar ist ein Agent der Priesterkönige, ihr Agent in Port Kar.« Ich war sprachlos.
»Es war schon vor Monaten klar, daß Cernus die Mädchen am Liebesfest im Curuleum verkaufen wollte«, sagte Hup. »Deshalb wurde beschlossen, daß Vella und die beiden anderen übernommen werden sollten.«
»Aber Philemon hat mir gesagt, Vella sollte von einem Agenten der Priesterkönige ersteigert werden.«
»Er wußte nicht, daß er die Wahrheit sprach«, kicherte Hup.
»Wo ist Elizabeth?« fragte ich.
»Elizabeth?« Hup hob fragend den Kopf.
»Vella!«
»Sie ist nicht hier.«
Ich hätte den kleinen Mann weiter bedrängt, doch in diesem Augenblick verließen Ho-Sorl mit Phyllis und Relius mit Virginia den Hof des Ubar.
Sie gingen eng umschlungen. Sie waren glücklich. Ihr Schicksal hatte sich erfüllt.
Ich eilte auf die freie Fläche vor dem Thron. Marlenus, Ubar der Stadt, schaute auf mich herab.
»Ar verdankt dir viel«, sagte er. »Ich, Marlenus, ihr Ubar, verdanke dir ebenfalls viel.«
Ich nickte stumm.
»Es ist schwer zu sagen, welches die gerechte Belohnung für die Dienste wäre, die Gladius aus Cos meiner Sache erwiesen hat. Oder für die Dienste, die Tarl aus Ko-ro-ba geleistet hat, der in den Liedern als Tarl aus Bristol besungen wird.«
Es stimmte. Marlenus und Ar verdankten mir viel. Meine Wünsche waren jedoch gering.
»Deshalb mache dich bereit, deinen Lohn zu empfangen.«
Ich stand vor ihm und starrte in die Augen eines mächtigen Mannes.
Zu meiner Überraschung wurden Brot und Salz und eine kleine Fackel gebracht.
Ich glaubte meinen Augen nicht zu trauen.
Marlenus nahm das Brot und brach es. »Dir wird das Brot verweigert«, sagte er und legte das Brot wieder auf das Tablett.
Erstaunte Ausrufe wurden laut.
Marlenus nahm nun das Salz, hob es an und stellte es wieder hin. »Dir wird das Salz verweigert«, sagte er.
»Nein!« tönte es aus Hunderten von Kehlen.
Ohne den Blick von mir zu nehmen, griff Marlenus nach der kleinen Fackel. Er drückte sie in das Salz und löschte sie. »Dir wird das Feuer verweigert.«
Schweigen herrschte am Hofe des Ubar.
»Auf Edikt des Ubar«, sagte Marlenus, »wird dir hiermit aufgegeben, die Stadt Ar vor Sonnenuntergang dieses Tages zu Verlassen und nie wieder zurückzukehren, in welchem Falle du gefoltert und aufgespießt würdest.«
Die Anwesenden glaubten nicht richtig gehört zu haben. »Wo ist Vella?« fragte ich. »Verlasse diesen Hof«, sagte Marlenus streng. Meine Hand tastete automatisch nach dem Schwertgriff. Ich zog meine Waffe nicht, doch schon die Geste führte dazu, daß hundert Klingen aus den Scheiden sprangen.
Der Raum schien um mich zu kreisen, und mit unsicheren Schritten verließ ich den ungastlichen Hof. Wütend eilte ich durch die Korridore, von Enttäuschung und Haß erfüllt. Das Herz schlug nur bis zum Hals.
Warum war mir so etwas angetan worden? War das der Lohn für meine Dienste? Und was war mit Elizabeth? Hatte Marlenus Gefallen an ihr gefunden und sie für sich behalten? Haß auf den Ubar dieser Stadt, dem ich bei seiner Machtergreifung geholfen hatte, stieg in mir auf wie glühende Lava in einem Vulkan. Meine Hand krampfte sich um den Schwertgriff.
Ich riß die Tür zu meinem Quartier auf.
Das Mädchen wandte sich um. Sie trug die graue Sklaventunika Ars. In ihren Augen standen Tränen.
Ich nahm Elizabeth Cardwell in die Arme. Ich verspürte das Bedürfnis, sie nie wieder loszulassen. Wir weinten, und meine Tränen liefen in ihr Haar, und wir küßten uns und umschlangen uns.
»Ich liebe dich, Tarl«, sagte sie.
»Und ich liebe dich«, sagte ich heftig. »Ich liebe dich, meine Elizabeth!«
Unbemerkt war Hup eingetreten, einen Stapel Papiere unter dem Arm.
Nach einer Weile räusperte er sich und sagte: »Bis Sonnenuntergang ist nur noch eine Stunde Zeit.«
»Sage Marlenus aus Ar meinen Dank«, antwortete ich schließlich.
Hup nickte. »Gestern abend ließ Marlenus dir dieses Mädchen schicken, aber du hast sie dir nicht einmal angesehen.«
Elizabeth lachte und drückte mich an sich.
»Man hat mir Brot, Salz und Feuer verweigert«, sagte ich zu ihr.
Sie nickte. »Ja. Hup hat es mir gestern erzählt.«
Ich starrte den Zwerg an. »Aber was soll das? Diese Geste scheint eines Ubar unwürdig zu sein.«
»Hast du das Gesetz des Heimsteins vergessen?« fragte er.
Ich hielt den Atem an.
»Besser Verbannung als sicheren Tod.«
»Ich verstehe das nicht«, sagte Elizabeth.
»Im Jahre 10110, vor über acht Jahren, stahl ein Tarnkämpfer aus Koro-ba den Heimstein dieser Stadt.«
»Das war ich«, gestand ich Elizabeth.
Sie erschauderte, denn sie kannte die Strafe, die auf eine solche Tat stand.
»Als Ubar stünde es Marlenus schlecht an, das Gesetz des Heimsteins zu übergehen.«
»Aber er hat mir keine Erklärung gegeben!« protestierte ich.
»Das hat ein Ubar auch nicht nötig«, antwortete Hup.
»Wir haben Rücken an Rücken gekämpft. Ich habe ihm geholfen, seinen Thron wiederzugewinnen Ich war einmal der Gefährte seiner Tochter!«
»Ich will dir sagen, was ich als sein Vertrauter weiß. Aber er darf es nie erfahren. Marlenus ist bekümmert, sehr bekümmert. Aber er ist Ubar dieser Stadt. Er ist vor allen Dingen Ubar. Würdest du den Heimstein Koro-bas verraten?«
Hup lächelte, als meine Hand unwillkürlich zum Schwert fuhr.
»Ich verstehe«, sagte ich schließlich.
»Ich habe Papiere mitgebracht«, sagte Hup. »Sie tragen das Indossament für dich. Die Sklavin gehört dir.«
»Schreibe auf die Papiere«, sagte ich, »daß ich an diesem ersten Tag der zweiten Herrschaft des Marlenus die Sklavin Vella zur freien Frau gemacht habe.«
Hup zuckte die Achseln und brachte einen entsprechenden Vermerk an.
Ich leistete meine Unterschrift in goreanischer Sprache und fügte das Zeichen der Stadt Ko-ro-ba hinzu.
»Ich lasse das morgen im Zylinder der Dokumente eintragen«, sagte Hup.
Ich nahm Elizabeth in die Arme. Gemeinsam stiegen wir auf das Dach des Zentralzylinders und schauten über die mächtigen Türme der Stadt und über die Brücken zu den gezackten Voltai-Bergen in der Ferne.
Die Satteltaschen des Tarns waren wohlgefüllt. Ich hob Elizabeth hinauf und band sie fest.
Hup stand auf dem Dach des Zylinders, und der Wind zerrte an seinen Haaren. Seine verschieden großen Augen bückten zu uns auf, als ich mich hinter dem Mädchen anschnallte.
Im nächsten Augenblick kamen Relius und Virginia und auch Ho-Sorl und Phyllis auf das Dach, und wir winkten ihnen zu.
»Wir wünschen euch alles Gute!« rief ich.
»Ich wünsche euch alles Gute«, sagte Hup und hob den Arm.
»Und ich dir, kleiner Freund«, sagte ich.
Dann zog ich am ersten Zügel, und mit mächtigem Flügelschlag erhob sich der Tarn vom Zylinder. Wir umkreisten das Gebäude einmal.
»Schau!« rief Elizabeth.
Ich blickte hinab und sah, daß nun eine weitere Gestalt auf dem Dach des Zentralzylinders erschienen war, ein großer Mann, der das Purpur des Ubar trug.
Marlenus hob zum Abschied die Hand.
Und auch ich hob die Hand, grüßte ihn und zog den Tarn hoch.
Die Sonne versank hinter dem großen Tor der Stadt, als der Tarn mit mächtigen Flügelschlägen Höhe gewann und die Mauern Ars hinter sich zurückließ.