»Drei Mann in einem Boot«
Die Zähigkeit und Wildheit von Bulldoggen • Cyrils Stammbaum • Mehr Gepäck • Terence packt • Jabez packt • Ein Pferderitt • Christ Church Meadow • Der Unterschied zwischen Poesie und Wirklichkeit • Liebe auf den ersten Blick • Das Taj Mahal • Schicksal • Ein Platscher • Darwin • Rettung aus einem nassen Grab • Eine ausgestorbene Spezies • Naturgewalten • Die Schlacht von Blindheim • Eine Vision
»Guten Tag, Cyril«, sagte ich, versuchte aber nicht aufzustehen. Irgendwo hatte ich gelesen, daß plötzliche Bewegungen diese Hunde zum Angriff reizten. Oder waren das Bären gewesen? Ich wünschte, Finch hätte mir eine Kassette über Bulldoggen statt über Butler gebracht. Bulldoggen waren im einundzwanzigsten Jahrhundert sanft wie Lämmer. Das Maskottchen des Oriel College zum Beispiel hatte eine ausgesprochen freundliche Veranlagung und verbrachte seine Tage damit, faul vor der Portierloge zu liegen und zu warten, daß jemand vorbeikam und es streichelte. Dies hier war aber eine Bulldogge aus dem neunzehnten Jahrhundert, und Bulldoggen waren ursprünglich zur Stierhatz gezüchtet worden, einem reizenden Sport, bei dem Bulldoggen, die besonders zäh und blutrünstig waren, sich in lebenswichtige Adern verbissen, was den Bullen verständlicherweise ergrimmte, so daß er versuchte, die Doggen aufzuschlitzen beziehungsweise sie auf die Hörner zu nehmen. Wann wurde die Stierhatz verboten? Sicher vor 1888. Aber es hatte bestimmt einige Zeit gedauert, um die ganze Verbissenheit und Wildheit aus den Tieren wieder herauszuzüchten.
»Freut mich, deine Bekanntschaft zu machen, Cyril«, sagte ich hoffnungsvoll.
Der Laut, den Cyril ausstieß, konnte ein Knurren sein, ebensogut aber auch ein Rülpser.
»Cyril kommt aus einer ausgezeichneten Familie«, erläuterte Terence, immer noch neben meiner hingestreckten Gestalt kniend. »Sein Vater war Daniel, der Tödliche, aus der Medusa-Linie. Scharfrichter war sein Ururgroßvater. Einer der größten Stierhetzer aller Zeiten. Verlor niemals einen Kampf.«
»Wirklich?« sagte ich kleinlaut.
»Cyrils Ururgroßvater kämpfte gegen den alten Silberrücken.« Terence schüttelte bewundernd den Kopf. »Ein Grizzlybär, achthundert Pfund schwer. Verbiß sich in die Bärenschnauze und ließ fünf Stunden nicht mehr los.«
»Aber diese Eigenschaften sind doch sicher aus ihnen wieder herausgezüchtet worden?« fragte ich.
»Nicht ganz«, erwiderte Terence.
Cyril knurrte wieder.
»Ich glaube nicht, daß sie diese jemals besaßen«, fuhr Terence fort. »Außer wenn sie notwendig waren. Ich denke, von Bärenkrallen zerfetzt zu werden, kann eine schon wild machen. Stimmt’s, Cyril?«
Cyril ließ wieder das tiefe Grollen hören, und dieses Mal war es eindeutig ein Rülpser.
»Sie sagen, Scharfrichter hätte ein Herz aus Gold gehabt. Mr. Henry wird mit uns fahren, Cyril«, sagte Terence, gerade als ob die Bulldogge mich nicht immer noch auf den Boden drücken und mir ins Gesicht sabbern würde, »sobald wir das Boot beladen und uns mit Jabez geeinigt haben.« Er zog seine Taschenuhr hervor und ließ sie aufschnappen. »Los, Ned. Es ist fast viertel vor zwölf. Du kannst nachher noch mit Cyril spielen.« Er packte zwei Hutschachteln und schickte sich an, zum Landesteg zu gehen.
Cyril, offenbar vom Wunsch beseelt zu helfen, stieg von mir herunter und schlenderte zu dem Weidenkorb, um ihn zu beschnüffeln. Ich rappelte mich hoch, rettete den Korb und folgte Terence.
Jabez wartete an der Anlegestelle neben einem großen Berg Gepäckstücke, die Arme kriegerisch verschränkt. »Es gibt Leute, die meinen, sie könnten das Boot beladen, bevor sie mich bezahlen«, sagte er in die Luft hinein, »aber Jabez kennt diesen Trick.« Er hielt eine beeindruckend schmutzige Hand unter meine Nase. »Foirnsicks.«
Ich verstand Foirnsicks ebensowenig wie Noinscher. »Hier«, sagte ich und drückte Terence meine Geldbörse in die Hand. »Bezahl du ihn, und ich hole derweilen das restliche Gepäck.«
Ich las das Portmanteau und den Rucksack auf, was beides halb die Treppe heruntergerollt war, als Cyril mich umgestoßen hatte, und trug sie zum Landesteg. Cyril trabte erfreut neben mir her.
Terence stand bereits im Boot, das mit grüner Farbe, die bereits abblätterte, gestrichen war und auf dessen Bug Victory geschrieben stand. Es wirkte mitgenommen, war aber recht groß, was von Vorteil war, denn es stellte sich heraus, daß der Berg Gepäckstücke auf dem Landesteg Terence gehörte.
»Eine Schönheit, was?« meinte Terence, nahm mir das Portmanteau ab und verstaute es unter dem mittleren Sitz. »Wir werden sie in Nullkommanichts beladen haben und dann ab mit uns.«
Es dauerte aber länger als erwartet. Wir verstauten Terences Gepäck, das aus einer großen Reisetasche, zwei Hutschachteln, einem Tornister, drei Proviantkörben, einer Holzkiste, einer Blechkiste, zusammengerollten Decken und zwei Angelruten bestand, im Bug, und mein Gepäck achtern, womit das Boot vollkommen ausgefüllt war, so daß wir alles wieder ausräumen und von vorn beginnen mußten.
»Wir müssen das wissenschaftlich angehen«, sagte Terence. »Zuerst die großen Stücke, dann die kleinen.«
Das taten wir. Wir begannen mit der Reisetasche und endeten mit den Decken, die wir entrollten und in die Ecken stopften. Dieses Mal blieb eine etwa einen Fuß breite Spanne in der Mitte des Bootes frei. Cyril sprang sofort hinein und machte es sich an der Stelle gemütlich. Ich überlegte, daß vielleicht der Vorschlag, einiges von meinen Sachen zurückzulassen, angebracht sei, entschied mich aber dagegen, weil ich nicht wußte, was mein Gepäck enthielt.
»Ich hätte besser Dawson mitgebracht«, sagte Terence. »Dawson ist ein wahres Packwunder.«
Ich nahm an, daß Dawson sein Kammerdiener war. Oder vielleicht auch sein zahmer Waschbär.
»Als ich nach Oxford ging, gelang es ihm, die ganze irdische Habe von Cyril und mir in einen einzigen Koffer zu packen und dabei noch Platz übrigzulassen. Natürlich, wenn er hier wäre, müßten wir auch noch sein Gepäck bedenken. Und ihn selbst.« Er schaute grübelnd auf das Gepäck. »Wenn wir vielleicht mit den kleinsten Sachen anfangen…«
Schließlich schlug ich vor, Jabez einen zusätzlichen Noinscher (was immer das auch war) als Trinkgeld zu geben und es ihn versuchen zu lassen, worauf er auch einging. Mit roher Gewalt und unablässig dabei redend zwängte und quetschte er die Sachen ins Boot. »Jabez den halben Tag lang auf sein Geld warten lassen«, murmelte er und rammte den Rucksack unter einen Sitz, »und dann erwarten, daß er noch das Boot belädt, als ob er ’n gemeiner Dienstbote wär’. Und dann noch wie die Idioten dastehen und Jabez bei der Arbeit beobachten.«
Und damit hatte er recht, jedenfalls was mich betraf. Ich beobachtete ihn mit einer Art kranker Faszination. Aus ihm war offenbar die Wildheit und Verbissenheit nicht herausgezüchtet worden. Ich hoffte, in den Kartons befand sich nichts Zerbrechliches. Cyril, des Bootes verwiesen, beschäftigte sich wieder damit, an dem Weidenkorb zu schnüffeln, der etwas Eßbares enthalten mußte. Terence zog seine Taschenuhr heraus und fragte Jabez, ob er sich nicht ein bißchen beeilen könnte, was mir außerordentlich unklug erschien.
»Schneller, sagt er«, murmelte Jabez und zerdrückte die Seite von Terences Hutschachtel. »Würd’ nicht so lang dauern, wenn man nicht alles mitgeschleppt hätte, was man besitzt. Man meint grad, sie wollten den Nil erforschen. Geschieht ihnen recht, wenn das Boot absäuft.«
Schließlich gelang es ihm, unter viel düsteren Vorhersagen und indem er den Tornister einbeulte, alles zu verstauen. Es war keine wissenschaftliche Arbeit, und der Stapel Gepäckstücke im Bug sah aus, als würde er jeden Moment umkippen, aber es war genug Platz für uns drei übriggeblieben.
»Genau im Zeitplan«, sagte Terence, ließ die Uhr zuschnappen und kletterte ins Boot. »Leinen los, Kameraden! Frische Fahrt voraus!«
Cyril schlenkerte ins Boot, legte sich unter die Sitze und begann zu dösen.
»Ahoi«, sagte Terence. »Leinen los!«
Ich wollte einsteigen, aber Jabez vertrat mir den Weg, die Hand in Erwartung eines Trinkgeldes ausgestreckt. Ich gab ihm einen Schilling, was offenbar zu viel war, denn sein Gesicht verklärte sich zu einem Raffzahnlächeln, und er trat sofort zur Seite, so daß ich ins Boot steigen konnte.
»Willkommen an Bord«, sagte Terence. »Das erste Stück ist etwas schwierig zu navigieren. Zu Beginn ruderst du, und ich steuere.«
Ich nickte und setzte mich an die Ruder, sie argwöhnisch beäugend. Ich hatte in der Schule etwas gerudert, aber nur mit automatisch koordinierten Supragleitern. Diese Ruder waren aus Holz und wogen Tonnen. Und sie schienen keine Verbindung zu besitzen. Als ich versuchte, sie gleichzeitig zu bewegen, traf eines der Ruder das Wasser mit einem flachen Spritzer, und das andere erreichte nicht einmal die Wasseroberfläche.
»Entschuldigung«, sagte ich. »Ich habe seit meiner Krankheit nicht viel gerudert.«
»Kommt schon wieder«, erwiderte Terence tröstend. »Es ist wie beim Reiten.«
Beim zweiten Mal bekam ich zwar beide Ruderblätter ins Wasser, aber kaum wieder heraus. Ich zog so kräftig ich konnte, als ob ich Dachbalken in der Kathedrale von Coventry heben wollte, und daraufhin ergossen sich Wasserfontänen über alles, was sich im Boot befand.
»Idioten!« sagte Jabez in die Luft hinein. »Noch nie in einem Boot gesessen. Sie werden ersoffen sein, noch ehe sie Iffley erreicht haben, und was wird dann aus dem Boot von Jabez?«
»Hör mal, ich rudere besser am Anfang«, meinte Terence und kroch zu mir herüber, um den Platz mit mir zu tauschen. »Du machst den Steuermann.« Er nahm die Ruder, tauchte sie gekonnt zusammen ins Wasser und hob sie wieder, ohne den geringsten Spritzer zu verursachen. »Nur, bis wir dieses schwierige Stück hinter uns haben.«
Das schwierige Stück bestand aus der Brücke, hinter der ein beachtlicher Wald aus Nachen, Ruderbooten und Stechkähnen und zwei großen gelb und rot lackierten Barken auftauchte. Terence ruderte energisch an ihnen vorbei und rief mir zu, die Ruderpinne gerade zu halten, was ich versuchte, aber das Boot schien genau wie Cyril die Tendenz zu haben, sich nach links zu neigen. Trotz meiner heftigsten Anstrengungen trieben wir unaufhaltsam zur Seite und auf ein paar Weiden und eine Mauer zu.
»Steuerbord halten«, schrie Terence. »Nach Steuerbord!«
Ich hatte keine Idee, was Steuerbord bedeutete, zog aber versuchsweise an der Pinne, bis sich das Boot mehr oder weniger gerade richtete, und dann hatten wir die Boote hinter uns gelassen und sahen uns einer großen, wiesenbedeckten Fläche gegenüber.
Ich brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, daß ich Christ Church Meadow vor mir hatte, wenn auch nicht so, wie ich es kannte. Keine Baumaschinen, kein Gerüst, keine sich im Wind blähenden Plastikplanen. Keine Kathedrale, die sich aus Bergen roten Sandsteins, Mörtels und Dachschiefern erhob. Keine Arbeiter, die den Robotzimmerleuten Befehle eingaben. Keine Lady Schrapnell, die den Arbeitern Befehle zuschrie. Keine Demonstranten, die gegen die Zerstörung der Landschaft, der Kultur, des Stadtbildes von Oxford und der Zerstörung von Dingen im allgemeinen protestierten.
Drei Kühe wiederkäuten geruhsam ihr Futter an der Stelle, wo im einundzwanzigsten Jahrhundert der westliche Turm und der Spitzturm standen, von blauem Plastik umhüllt, und auf Lady Schrapnell und den Magistrat von Coventry warteten, daß diese sich über die Glocken einigten.
Ein Trampelpfad führte an den Kühen vorbei, auf dem in halber Höhe zwei Dekane schlenderten, die den honigfarbenen Mauern von Christ Church College zuwanderten, die Köpfe zusammengesteckt und über Philosophie oder die Gedichte von Xenophon diskutierend.
Ich fragte mich, wie es Lady Schrapnell geschafft hatte, die Zustimmung der Stadt für ihr Vorhaben zu erlangen. Im neunzehnten Jahrhundert hatte sich Oxford dreißig Jahre lang erfolgreich gegen eine einfache Straße gewehrt, die quer über Christ Church Meadow führen sollte, und später, als die Untergrundbahn nach Oxford kam, war der Aufschrei bei der bloßen Erwähnung des Wortes U-Bahnstation noch viel größer gewesen.
Doch im einundzwanzigsten Jahrhundert hatte die Physik eine Entwicklungsstufe erreicht, in der man nicht mehr forschen konnte, ohne einen atombetriebenen Feinstruktur-Oszillator dafür zu bauen. Und von den Multis floß kein Geld mehr. Die hatten vor vierzig Jahren bereits das Interesse an Zeitreisen verloren, nachdem sie gemerkt hatten, daß sie die Vergangenheit nicht einfach plündern und mißbrauchen konnten. Also kein Geld für Gebäude und auch keines für Lehrstühle oder Gehälter. Aus, Ende, Schluß. Und Lady Schrapnell war eine außerordentlich willensstarke Frau und außerordentlich reich. Und sie hatte gedroht, sonst das ganze Geld Cambridge zu stiften.
»Nein, halt!« sagte Terence. »Du steuerst uns ja ans Ufer!«
Ich zog hastig an den Leinen, und wir glitten zur Flußmitte zurück.
Vor uns lagen die Bootshäuser der Colleges und der grüne Torbogen des Cherwellfriedhofs, und dahinter sah man den grauen Turm des Magdalen Colleges und die lange Kurve der Themse. Der Himmel über uns war dunstig blau, und am Horizont wanderten kleine Wölkchen vor der Sonne. Nahe der Uferböschung wuchsen Wasserlilien, und das Wasser zwischen ihnen war von einem klaren tiefen Braun, wie die Augen der Wassernymphen von Waterhouse.
»›Braun ist der Fluß‹«, zitierte ich, »›die Bäume grün zu beider Hand‹«, und hoffte dann, daß es vor 1888 geschrieben worden war.
»›Fließt dahin ohn’ Ende, und golden glänzt der Sand‹«,[29] erwiderte Terence, also hatte ich Glück gehabt.
»Bloß daß es nicht stimmt«, fuhr Terence fort. »Nach diesem Teil kommen bis Iffley nur noch Felder. Er fließt auch nicht für immer voran, sondern nur bis London. Das ist das Problem bei Gedichten. Sie stimmen nicht mit der Wirklichkeit überein. Nimm zum Beispiel das Fräulein von Shalott. ›Sie löst die Kette, legt sich nieder; der breite Strom trägt sie davon‹.[30] Sie liegt also im Boot und läßt sich nach Camelot treiben, aber das kann unmöglich passieren. Wie kann man im Liegen ein Boot steuern? Nach einer Meile wäre sie schon im Schilf steckengeblieben. Cyril und ich haben ja schon Schwierigkeiten, das Boot geradeaus zu steuern, und wir liegen nicht auf dem Boden des Bootes, von wo aus man gar nichts mehr sehen kann, stimmt’s?«
Er hatte recht. Tatsache war, daß wir bereits wieder direkt auf das Ufer zusteuerten, das an dieser Stelle von überhängenden Kastanienbäumen mit dunkelgrünen Blättern bestanden war.
»Nach Steuerbord«, sagte Terence ungeduldig.
Ich zog an den Leinen, und das Boot schoß geradewegs auf eine Ente zu, die sich ein schwimmendes Nest aus Reisern und Kastanienbaumblättern gebaut hatte.
Die Ente quakte und schlug mit den Flügeln.
»Steuerbord!« rief Terence. »Nach rechts!« Er ruderte wie wild, und wir umschifften die Ente und kehrten in die Flußmitte zurück.
»Ich habe nie begriffen, wie so ein Fluß eigentlich beschaffen ist«, sagte Terence. »Fällt einem die Pfeife oder der Hut hinein und sei’s auch nur einen Zentimeter vom Ufer entfernt, schießt dieser Gegenstand pfeilschnell in die Mitte des Flusses Richtung Meer und rund um das Kap nach Indien, wie es wahrscheinlich auch der armen Prinzessin Arjumand passiert ist. Aber in einem Boot, wo man mit der Strömung fahren möchte, ist plötzlich alles voller Wirbel und Seitenströmungen, und man kann von Glück sagen, wenn man nicht im Treidelpfad landet. Und selbst wenn das Fräulein von Shalott nicht im Schilf endete, gibt’s da immer noch das Problem mit den Schleusen. Steuerbord, Mann! Steuerbord, nicht die Anlegestelle!« Er ließ die Taschenuhr aufschnappen, schaute darauf und begann dann noch energischer zu rudern, wobei er mir in Abständen zurief, das Boot steuerbords zu halten.
Aber trotz des unglücklichen Linksdralls des Bootes und der Tatsache, daß ich offenbar bei Kapitän Bligh[31] angeheuert hatte, fühlte ich endlich die ersten Anzeichen, daß ich zur Ruhe kam.
Ich hatte meinen Kontaktmann getroffen, der offenbar außerordentlich clever war — er spielte die Rolle eines Oxforder Studenten einfach perfekt —, und wir waren auf unserem Weg nach Muchings End. Christ Church Meadow war eine unbebaute Wiese und Lady Schrapnell einhundertsechzig Jahre von mir entfernt.
Ich konnte mich immer noch nicht recht entsinnen, was ich eigentlich in Muchings End machen sollte, aber Teile meiner Erinnerung kehrten zurück. Ich entsann mich, daß Dunworthy gesagt hatte: »Sobald es zurückgebracht wurde« und zu Finch, daß es sich »um einen kinderleichten Job« handelte und außerdem noch etwas über ein unbedeutendes Objekt. Ich konnte mich auch immer noch nicht erinnern, worum es sich dabei handelte, aber es steckte sicher irgendwo in diesem Berg Gepäckstücke, die im Bug des Bootes lagerten, und wenn alles nichts half, konnte ich immer noch bis Muchings End abwarten. Und vielleicht wußte es Terence. Ich würde ihn fragen, sobald wir uns von Oxford weit genug entfernt hatten. Wir hatten offenbar eine Verabredung in Iffley, und wahrscheinlich fand ich dort auch endlich heraus, was genau eigentlich geplant war.
In der Zwischenzeit bestand meine Aufgabe darin, mich auszuruhen und mich von den Symptomen der Zeitkrankheit zu kurieren und den Schäden, die Lady Schrapnell und diese ganzen Wohltätigkeitsbasare verursacht hatten, mich zurückzulehnen und dem Rat der Krankenschwester und Cyrils Beispiel zu folgen. Die Bulldogge hatte sich auf die Seite gerollt und schnarchte zufrieden.
Wenn das victorianische Zeitalter das richtige Krankenhaus war, so war der Fluß der richtige Pfleger. Die heilende Wärme der Sonne auf meinem Nacken, das beruhigende Gleiten der Ruderblätter ins Wasser, die friedliche Szenerie, in der ein Grün auf das andere folgte, das angenehme Summen der Bienen und Cyrils Schnarchen und Terences Stimme…
»Nimm zum Beispiel Lancelot«, sagte er gerade, offenbar wieder zum Fräulein von Shalott zurückgekehrt. »Da kommt er also in voller Rüstung, mit Helm und allem, reitet mit Schild und Lanze auf dem Pferd, und was singt er? ›Tirra-lirra‹. Tirra-lirra? Paßt denn so ein Lied zu einem Ritter? Tirra-lirra. Trotzdem«, setzte er hinzu und hielt einen Augenblick mit Rudern inne, »die Sache mit der Liebe auf den ersten Blick hat er richtig hingekriegt, obwohl er es ein bißchen zu dramatisch geschildert hat, diese ganze Stelle mit ›ein Riß durchfuhr den Spiegel quer, fort flog das Netz, trieb weit umher‹. Glaubst du an Liebe auf den ersten Blick, Ned?«
Das Bild der Naiade, die ihren tropfenden Ärmel auf Dunworthys Teppich auswrang, trat mir unwillkürlich vor Augen, aber ein aus dem Gleichgewicht geratener Hormonhaushalt ist eindeutig ein Nebeneffekt der Zeitkrankheit, und das mochte wohl der Grund sein. »Nein«, sagte ich.
»Ich bis gestern auch nicht«, erwiderte Terence. »Und auch nicht ans Schicksal. Professor Overforce sagt, daß es so etwas nicht gäbe, alles wäre Zufall, aber wenn dem so ist, warum war sie ausgerechnet gestern genau an jener Stelle am Fluß? Und warum hatten Cyril und ich uns entschieden, Boot zu fahren anstatt Appius Claudius zu lesen? Wir übersetzten nämlich: ›Negotium populo romano melius quam otium comitti.‹ — ›Die Römer verstanden sich mehr aufs Arbeiten als aufs Ausruhen.‹ Und genau das, dachte ich, hatte ihren Untergang herbeigeführt, daß sie besser arbeiten als faulenzen konnten, und ich wollte nicht, daß dem britischen Weltreich das gleiche Schicksal widerfährt, also zogen Cyril und ich los und mieteten ein Boot, um damit nach Godstow zu fahren, und als wir durch dieses kleine Wäldchen dort kamen, hörte ich eine Stimme so süß wie die einer Fee ›Prinzessin Arjumand! Prinzessin Arjumand!‹ rufen, und ich schaute ans Ufer und dort stand es, das schönste Geschöpf, das ich je sah!«
»Prinzessin Arjumand?« fragte ich.
»Nein, nein, ein Mädchen, ganz in Rosa, mit goldenen Locken und einem lieblichen, wunderschönen Gesicht. Rosige Wangen und einen Mund wie eine Rosenknospe, und ihre Nase! ›Sie hat ein lieblich’ Gesicht‹ drückt’s einfach nicht richtig aus, aber was kann man auch von jemandem verlangen, der beim Reiten ›Tirra-lirra‹ singt? Ich saß da, in den Rudern hängend, und fürchtete mich, mich zu rühren, aus Angst, sie sei ein Engel oder ein Geist oder etwas Ähnliches, was beim Klang meiner Stimme verschwinden würde, und dann blickte sie hoch, sah mich und rief: ›Oh, Sir, haben Sie nicht zufällig eine Katze gesehen?‹
Und es war wie bei dem Fräulein von Shalott, nur ohne den Fluch, die splitternden Spiegel und die herumfliegenden Scherben. In Gedichten wird eben immer übertrieben. Ich fühlte keinen Zwang, mich im Boot hinlegen zu müssen und an gebrochenem Herzen zu sterben oder so. Ich ruderte forsch herbei, sprang ans Ufer und fragte sie, um welche Art Katze es sich handele und wo sie diese zuletzt gesehen hätte. Schwarz, sagte sie, mit einem weißen Gesicht und den niedlichsten weißen Füßchen, und daß sie bereits vor zwei Tagen verschwunden sei, und daß sie nun fürchte, es sei ihr etwas zugestoßen, und ich sagte, keine Angst, Katzen besitzen neun Leben. Und gerade da kam eine Anstandsdame hinzu, die sich als ihre Cousine herausstellte und ihr sagte, sie solle doch nicht mit Fremden sprechen, und sie antwortete: ›Aber dieser freundliche junge Mann hat mir seine Hilfe angeboten‹, worauf ihre Cousine sagte: ›Das ist sehr aufmerksam von Ihnen, Mr…?‹ und ich meinen Namen nannte. Darauf wandte sie sich ihr zu und sagte: ›Tossie, ich fürchte, wir müssen gehen. Wir kommen sonst zu spät zum Tee.‹ Tossie! Hast du jemals einen so wunderschönen Namen gehört? Oh, teurer Name wie süßer Gesang, in meinem Ohr ein kostbarer Klang — Tossie!« wiederholte er voller Inbrunst.
Tossie? »Wer ist Prinzessin Arjumand?« fragte ich.
»Ihre Katze. Sie trägt den Namen der indischen Maharani, nach der das Taj Mahal benannt ist, obwohl man meinen sollte, es müßte dann Taj Arjumand heißen. Ihr Vater war in Indien gewesen, hat den Aufstand miterlebt, das Theater mit den Radschahs und all das.«
Ich begriff immer noch nicht. »Prinzessin Arjumands Vater?«
»Nein. Miss Merings Vater. Colonel Mering. Er war Colonel in Radjastan, aber nun sammelt er Fische.«
Ich wagte nicht zu fragen, was das genau bedeutete.
»Wie dem auch sei, die Cousine meinte, sie müßten gehen und Toss… Miss Mering sagte: ›Ich hoffe, wir sehen uns wieder, Mr. St. Trewes. Morgen nachmittag gehen wir uns die normannische Kirche in Iffley anschauen, um zwei Uhr‹, und die Cousine sagte: ›Tossie!‹, und Miss Mering sagte, sie hätte das nur für den Fall gesagt, daß ich Prinzessin Arjumand fände, und ich erwiderte, ich würde jedes Fleckchen nach ihr absuchen, und das tat ich auch, flußaufwärts und flußabwärts mit Cyril zusammen, ›Miez, miez‹, die ganze Nacht und den heutigen Vormittag.«
»Mit Cyril?« fragte ich, verwundert, ob eine Bulldogge unter diesen Umständen die beste Hilfe war.
»Er ist beinahe so gut wie ein Bluthund«, entgegnete Terence. »Und als wir gerade so am Suchen waren, stießen wir auf Professor Peddick, und er schickte uns an den Bahnhof, seine antike Verwandtschaft abzuholen.«
»Aber die Katze hast du nicht gefunden?«
»Nein, und ich werde sie wahrscheinlich auch nicht finden, so weit entfernt von Muchings End. Ich dachte, Miss Mering lebe nahe Oxford, aber es stellte sich heraus, daß sie nur zu Besuch hier ist.«
»Muchings End?« fragte ich.
»Es liegt flußabwärts. Bei Henley. Ihre Mutter brachte sie nach Oxford, um hier ein Medium zu konsultieren…«
»Ein Medium?« fragte ich schwach.
»Ja, du weißt doch, eine dieser Personen, die Tische rücken, sich in ein Seihtuch kleiden und Mehl ins Gesicht schmieren, nur um dir zu erzählen, daß es deinem Onkel drüben im Jenseits gut geht und sein letzter Wille in der oberen Schublade links in der Kommode liegt. Ich selbst glaubte nie an sie, aber so gesehen glaubte ich ja auch nicht an das Schicksal. Und dabei muß es einfach Schicksal gewesen sein. Mein Zusammentreffen mit Miss Mering und dein Erscheinen auf dem Bahnsteig und daß sie sagte, sie ginge mit ihrer Cousine diesen Nachmittag nach Iffley.
Bloß daß ich nicht mehr genug Geld für das Boot hatte, und deshalb muß es Schicksal gewesen sein. Was wäre denn geschehen, wenn du nicht auf dem Fluß hättest fahren wollen und nicht das Geld für Jabez gehabt hättest? Wir wären jetzt nicht auf dem Weg nach Iffley, und ich würde sie vielleicht nie wiedersehen. Aber wie dem auch sei, so ein Medium ist offenbar genauso gut im Auffinden von verlorengegangenen Katzen wie von Testamenten, also kamen sie nach Oxford, um eine Seance abzuhalten. Doch die Geister wußten auch nicht, wo sich Prinzessin Arjumand befand, und Miss Mering dachte, die Katze könnte ihr von Muchings End aus gefolgt sein, was aber unwahrscheinlich scheint. Ich meine, ein Hund täte so etwas vielleicht, aber eine Katze…«
Das einzige, was ich aus dieser verworrenen Erzählung klar schließen konnte, war, daß es sich bei Terence nicht um meine Kontaktperson handeln konnte. Er hatte keine Ahnung, was ich in Muchings End tun sollte. Falls es Muchings End war, und ich nicht auch das noch durcheinandergebracht hatte. Ich war mit einem Einheimischen, einem vollkommen Fremden — ganz zu schweigen von dem Hund — losgezogen und hatte meine Kontaktperson wartend auf dem Bahnsteig oder den Schienen oder bei einem Bootshaus zurückgelassen. Und ich mußte dorthin zurück.
Ich warf einen Blick zurück nach Oxford. Seine fernen Türme glitzerten in der Sonne, bereits zwei Meilen entfernt. Und ich konnte schlecht über Bord springen und zurücklaufen, weil ich dadurch mein Gepäck verlieren würde. Ich hatte bereits meine Kontaktperson verloren. Ich konnte nicht auch noch mein Gepäck aufgeben.
»Terence«, sagte ich. »Ich befürchte, ich…«
»Blödsinn!« schrie jemand vor uns, und Wasser spritzte hoch, daß das Boot beinahe überschwemmt wurde. Der geschlossene Weidenkorb, der oben auf der Reisetasche ruhte, ging fast über Bord. Ich grapschte nach ihm.
»Was ist das?« fragte ich und versuchte, um die Flußbiegung zu schauen.
Terence zog ein angeekeltes Gesicht. »Oh, wahrscheinlich Darwin.«
Ich hatte mir eingebildet, geheilt zu sein, wo ich doch offensichtlich immer noch an recht starken Symptomen der Zeitkrankheit litt und immer noch Hörprobleme hatte. »Wie bitte?« fragte ich vorsichtig.
»Darwin«, erklärte Terence. »Professor Overforce brachte ihm bei, auf Bäume zu klettern, und nun hat er sich angewöhnt, auf harmlose Spaziergänger herunterzuspringen. Wende das Boot, Ned.« Er zeigte in die Richtung, in die das Boot fahren sollte. »Bring uns vom Ufer weg.«
Das tat ich, wobei ich immer noch versuchte, unter die Weiden und um die Flußbiegung zu sehen.
»Letzte Woche landete er genau in einem Stechkahn, in dem zwei Burschen vom Corpus Christi College mit ihren Mädchen saßen«, sagte Terence und ruderte uns zur Flußmitte. »Cyril findet das überhaupt nicht komisch.«
Cyril schaute tatsächlich unangenehm berührt drein. Er hatte sich mehr oder weniger aufgesetzt und blickte zu den Weiden.
Man hörte einen weiteren lauten Platscher, und Cyrils Ohren stellten sich auf. Ich folgte seinem Blick.
Entweder hatte ich mich über meine Hörprobleme getäuscht oder mein Augenschaden hatte neue Dimensionen erreicht. Ein älterer Mann strampelte im Wasser unter den Weiden und schlug wild und ohne Erfolg mit den Armen um sich.
Großer Gott, dachte ich, es ist Darwin.
Er hatte Darwins weißen Bart und seinen Schnurrbart, dessen Form an Hammelkoteletts erinnerte, ebenso sein kahl werdendes Haupt und trug etwas, das einem schwarzen Gehrock glich und um ihn herumschwamm. Sein Hut trieb umgedreht einige Meter weiter, und der Mann versuchte ihn zu fangen, wobei er unterging. Er kam keuchend und um sich schlagend wieder hoch, und der Hut schwamm noch weiter fort.
»Gütiger Himmel, das ist Professor Peddick, mein Tutor«, sagte Terence. »Los, wende das Boot, nein, nicht da lang! Beeil dich!«
Wir ruderten so schnell es ging, ich mit den Händen im Wasser paddelnd, um uns rascher voranzutreiben.
Cyril stand mit den Pfoten auf die Blechkiste gestützt wie Nelson auf der Kommandobrücke bei Trafalgar.
»Halt! Nicht über den Professor hinweg!« rief Terence, stieß die Ruder beiseite und beugte sich über den Bootsrand.
Der alte Mann war gut zu erkennen. Sein Rock hatte sich wie eine Schwimmweste um ihn herum aufgebauscht, hielt ihn aber nicht über Wasser. Er ging bereits zum dritten Mal unter, eine Hand langte immer noch ohne Erfolg nach dem Hut. Ich lehnte mich über Bord und packte ihn am Kragen.
»Ich hab’ ihn am Kragen«, rief ich, erinnerte mich aber daran, daß der Kragen, den Miss Warder mir verpaßt hatte, abknöpfbar war. So versuchte ich statt dessen den Kragen des Gehrock zu greifen. »Ich hab’ ihn«, sagte ich und zog ihn hoch.
Sein Kopf schoß aus dem Wasser wie der eines Wales, und ebenso wie ein Wal spuckte er eine große Fontäne Wasser über uns.
»›Dann dereinst, vors Angesicht von Mensch und Engel, wird er brüllend sich erheben.‹[32] Nicht loslassen«, sagte Terence, schloß Professor Peddicks Hand um die Bootskante und fischte nach der anderen. Mein Griff um den Kragen des Gehrockes hatte sich gelöst, als der Professor Wasser spuckte, aber seine Hand war beim Auftauchen mit hochgekommen, und ich packte sie und zog daran. Der Kopf des Professors erschien erneut, und er schüttelte Wasser ab wie ein Hund.
Ich weiß nicht, wie wir ihn ins Boot bekamen. Der Schandeckel tauchte scharf unter Wasser, und Terence rief: »Nein, Cyril! Ruder rückwärts, Ned! Wir sinken! Nein, nicht loslassen!« aber die Masse unseres Gepäckes fungierte offenbar als Ballast und bewahrte uns davor, umzukippen, sogar als Cyril zu guter Letzt auch noch herüberkam, um unsere Fortschritte zu beobachten und sein Gewicht damit auf unsere Bootsseite verlagerte.
Schließlich gelang es mir, Professor Peddick am Arm zu packen, und Terence schaffte es, das Boot herumzumanövrieren, so daß er auf die andere Seite gelangte, seinen Fuß gegen das Portmanteau stemmte, damit das Boot nicht kentern konnte, und den zweiten Arm des Professors ergriff, wodurch wir imstande waren, den triefenden, bemitleidenswerten Mann hoch- und über die Bootskante zu uns hereinzuwuchten.
»Professor Peddick? Alles in Ordnung, Sir?« fragte Terence.
»Dank Ihnen ja«, erwiderte der Mann und wrang seinen Ärmel aus. Was ich für einen Gehrock gehalten hatte, war in Wirklichkeit eine schwarze akademische Robe aus Gabardine. »Welch ein Zufall, daß Sie gerade hier entlang kamen! Mein Hut!«
»Ich hab’ ihn«, sagte Terence und lehnte sich aus dem Boot. Was ich für einen Hut gehalten hatte, erwies sich als vollständiges Barett mit Quaste.
»Ich weiß, daß ich Decken dabei habe. Dawson hatte sie eingepackt«, meinte Terence. »Was, um alles in der Welt, machen Sie im Wasser?«
»Ertrinken«, erwiderte Professor Peddick.
»Sie waren nahe daran«, sagte Terence und wühlte in der Blechkiste. »Aber wie kamen Sie ins Wasser? Fielen Sie hinein?«
»Fielen? Fielen?« wiederholte der Professor wütend. »Ich wurde gestoßen.«
»Gestoßen?« Terence war verblüfft. »Von wem denn?«
»Von Overforce, diesem elenden Schurken.«
»Professor Overforce?« fragte Terence. »Warum sollte Professor Overforce Sie ins Wasser stoßen?«
»Größere Zusammenhänge«, sagte Professor Peddick. »Tatsachen haben im Geschichtsstudium nichts zu suchen. Mut ist unwichtig, genauso wie Pflicht und Glaube. Historiker sollen sich mit größeren Zusammenhängen beschäftigten. Pah! Ein Haufen Geschwätz, sonst nichts. Daß die ganze Geschichte nur als Auswirkung von Naturgewalten auf die Bevölkerung angesehen werden soll! Reduziert! Die Schlacht von Monmouth! Die Spanische Inquisition! Der Rosenkrieg! Auf eine Naturgewalt reduziert! Und was die Bevölkerung betrifft… Königin Elisabeth! Kopernikus! Hannibal!«
»Vielleicht wäre es besser, Sie erzählten alles von Anfang an«, schlug Terence vor.
»Ab initio. Ausgezeichnete Idee«, sagte Professor Peddick. »Ich ging zum Fluß hinunter, um über ein Problem nachzudenken, das ich mit meinem Monographen zu Herodots Bericht über die Schlacht von Salamis hatte. Ich versuchte es mit der Methode, die Mr. Walton als perfekte Hilfe zum Denken pries, als ›Balsam für die Seele, Freude für das Gemüt, Zerstreuung bei Trübsinn, Labsal für den rastlosen Geist‹.[33] Allein, es sollte nicht sein. Statt dessen zwang man mich zur ›piscatur in aqua turbida‹.«
O Gott, dachte ich. Noch einer, der durcheinander redet und Zitate ausspuckt. Und auch noch in Latein.
»Einer meiner Studenten, Tuttle der Kleine, hatte mir gesagt, daß er hier bei seinem Training für den Achter einen weißen Gründling gesehen hätte. Netter Junge! Kann zwar kaum rezitieren und schreibt völlig unleserlich, aber mit Fischen kennt er sich aus.«
»Ich wußte, daß ich sie eingepackt hatte«, sagte Terence und zog eine grüne Wolldecke aus der Kiste. »Hier«, er gab sie dem Professor, »ziehen Sie das Zeug aus und legen Sie sich die Decke um.«
Professor Peddick knöpfte seine Robe auf. »Sein Bruder, Tuttle der Große, war genauso. Fürchterliche Handschrift.« Er zog seinen Arm aus einem Ärmel und hielt inne. Auf seinem Gesicht erschien ein seltsamer Ausdruck, und er steckte den Arm in den anderen Ärmel.
»Alle Essays voller Tintenflecken.« Seine Hand wühlte wie wild in dem Ärmel. »Übersetzte ›Non omnia possumus omnus‹ mit ›Im Omnibus keine Oppossums erlaubt‹.« Seine Hand vollführte eine letzte heftige Kreisbewegung, dann zog er den Arm heraus. »Ich dachte, er würde nie ein Examen schaffen«, fuhr er fort und öffnete die Hand, in der ein winziger weißer Fisch lag.
»Ah, Ugubio fluviatilis albinus.« Er betrachtete das Zappeln des Fisches. »Wo ist mein Hut?«
Terence gab ihm das Barett, und Professor Peddick tauchte es ins Wasser, füllte es und ließ dann den Fisch hineinfallen. »Prächtiges Exemplar«, meinte er und beugte sich über den Hut. »Ist jetzt Assistent vom Direktor des Schatzamtes. Berater der Königin.«
Ich saß da, beobachtete, wie er den Fisch examinierte und bewunderte, was wir da gefangen hatten. Einen echten exzentrischen Oxforder Dekan. Sie waren auch eine ausgestorbene Spezies, wenn man Dunworthy nicht zählte, der zu vernünftig war, um exzentrisch zu sein. Ich hatte mich immer ein bißchen betrogen gefühlt, weil ich nicht bei den glorreichen Tagen Jowetts und R. W. Ropers hatte dabei sein können. Spooner war natürlich der berühmteste, wegen seines Talents, das Englisch der Königin zu verballhornen. »Sie haben einen Wurm verweudet«, hatte er einem aufsässigen Studenten gesagt und den morgendlichen Choral eines Sonntags mit »Die Schimmel türmen den Herrn« angekündigt.
Mein Lieblingsprofessor war Claude Jenkins, dessen Haus so unordentlich gewesen war, daß man manchmal die Eingangstür nicht öffnen konnte, und der einmal zu spät zu einem Treffen erschien und sich mit den Worten entschuldigte: »Meine Haushälterin ist gerade gestorben, aber ich habe sie auf einem Küchenstuhl gesetzt, und bis ich zurückkomme, wird sie wieder auf der Reihe sein.«
Aber alle waren sie Persönlichkeiten gewesen: Logikprofessor Cook Wilson, der nach zwei Stunden ermüdenden Vortrags sagte: »Nach diesen einleitenden Bemerkungen…« oder Mathematikprofessor Charles Dodgson, der, nachdem Königin Victoria ihm einen begeisterten Brief über Alice im Wunderland geschrieben und ihn um ein Exemplar seines nächsten Buches gebeten hatte, ihr seine mathematische AbhandlungCondensations of Determinants schickte, oder der Professor für Altertum, der meinte, ein Barometer sähe besser aus, wenn man es horizontal statt vertikal anbrächte.
Und natürlich Buckland mit seiner Hausmenagerie und seinem zahmen Adler, der während der Morgenandacht in der Kathedrale von Christ Church mit halb gespreizten Flügeln den Mittelgang hinunterstolzierte. Kirchgang mußte damals eine aufregende Veranstaltung gewesen sein. Vielleicht hätte Bischof Bittner es auch einmal mit Tiervorführungen probieren sollen, als immer weniger Menschen zum Gottesdienst in seine Kathedrale kamen. Oder mit Spoonerismen.
Ich hatte jedoch nie erwartet, einen dieser Menschen einmal wirklich zu treffen, und hier war er nun, ein prächtiges Exemplar, der einen in einem Barett schwimmenden Fisch studierte und über Geschichte räsonierte.
»Overforce vertritt die Theorie, ein Studium der Geschichte, das sich mit Chroniken von Königen, Kriegen, Schlachten und Ereignissen beschäftige, sei veraltet«, sagte er. »Darwin habe die Biologie revolutioniert, meint er…«
Darwin? Der gleiche Darwin, dem Professor Overforce beigebracht hatte, auf Bäume zu klettern?
»…und die Geschichtswissenschaft müsse ebenso revolutioniert werden. Sie dürfe nicht länger eine Abfolge von Daten, Ereignissen und Fakten sein. Diese seien nicht wichtiger als ein Fink oder ein Fossil für die Theorie der Evolution ist.«
Eigentlich, dachte ich, sind diese außerordentlich wichtig.
»›Nur die Gesetze, welche die Theorie der Geschichte untermauern, sind wichtig, und das sind Naturgesetze‹, sagte er. ›Aber was ist mit den Ereignissen, die den Lauf der Geschichte zum Guten oder Schlechten gewendet haben?‹ fragte ich ihn. ›Ereignisse sind unwichtig‹, meinte er. Die Ermordung von Julius Cäsar! Leonidas’ Ausharren bei Thermopylae! Unwichtig!«
»So gingen Sie also zum Ufer fischen«, sagte Terence und legte die Robe des Professors zum Trocknen über die Gepäckstücke. »Und Professor Overforce kam des Weges und schubste Sie ins Wasser?«
»Ja«, erwiderte Professor Peddick und zog seine Stiefel aus. »Ich stand unter einer Weide und befestigte gerade einen Wurm an der Angel — Gründlinge bevorzugen Blutwürmer, aber Pseudococcidae tun’s auch — als sich dieser schwachsinnige Darwin aus den Ästen herunter und auf mich fallen ließ wie einer von Satans Engeln ›geschleudert mit gräßlicher Zerschmetterung häuptlings vom Himmelsitz in bodenlos Verderben‹.[34] Er landete direkt auf meinem Kopf, worauf ich die Angelrute fallen ließ.« Professor Peddick schaute Cyril düster an. »Hunde!«
Ein Hund, dachte ich dankbar. Darwin ist Professor Overforces Hund. Was aber immer noch nicht erklärte, wieso er von Bäumen heruntersprang.
»Er wird noch einmal jemanden umbringen.« Professor Peddick zog seine Socken vom Fuß, wrang sie aus und zog sie wieder an. »Letzte Woche sprang er aus einem Baum in der Broad Street auf den Quästor des Trinitiy Colleges und schlug ihn damit k.o. Der Mann ist vollkommen aus dem Gleichgewicht. Er hält sich für einen neuen Buckland, aber Buckland, trotz all seiner Fehler, hatte seinen Bären niemals dazu abgerichtet, aus Bäumen zu springen. Tiglath Pileser war immer außerordentlich gut erzogen und ebenso die Schakale, obwohl niemand mehr in Bucklands Haus zum Abendessen kommen wollte. Hatten alle Angst, Krokodil serviert zu bekommen. Ich erinnere mich an ein Abendessen, bei dem zum Fleischgang Feldmäuse serviert wurden. Aber er besaß zwei prächtige Karpfen.«
»Wegen Darwin haben Sie also die Angelrute fallen lassen«, warf Terence ein, bemüht, den Professor wieder auf das alte Thema zu bringen.
»Ja, und als ich mich umdrehte, stand da Overforce und lachte wie eine von Bucklands Hyänen. ›Angeln, was?‹ sagte er. ›Tz, tz. So werden Sie nicht auf den Haviland-Lehrstuhl gelangen, wenn Sie Ihre Zeit mit müßigen Beschäftigungen vertrödeln.‹ — ›Ich denke über die Auswirkungen von Themistocles’ Täuschung der Perser bei Salamis nach‹, erwiderte ich, und er antwortete: ›Noch müßiger als Angeln. Geschichte ist nicht länger eine Chronik bloßer Ereignisse. Sie ist eine Wissenschaft.‹«
»›Bloße Ereignisse!‹ rief ich. ›Nennen Sie den Sieg der Griechen über die persische Flotte ein bloßes Ereignis? Er veränderte den Lauf der Welt für Hunderte von Jahren!‹ Overforce wedelte mit der Hand, wie um es wegzuwischen. ›Ereignisse sind für den Lauf der Dinge unwichtig.‹ — ›Halten Sie die Schlacht von Agincourt für unwichtig?‹ fragte ich. ›Oder den Krimkrieg? Oder die Hinrichtung von Maria Stuart?‹ — ›Kleinigkeiten‹, erwiderte er. ›Kümmerte sich Darwin um Kleinigkeiten?‹«
Eigentlich schon, dachte ich. Wie Lady Schrapnell so gern sagte: »Gott steckt im Detail.«
»›Darwin! Newton!‹ sagte ich«, fuhr Professor Peddick fort. »›Sie widerlegen Ihre Behauptung mit Ihren eigenen Beispielen. Es ist das Individuum, das die Geschichte bestimmt, nicht die Masse. Und es drückt der Geschichte mit anderer Kraft als die der Naturgewalten seinen Stempel auf. Was ist mit Mut, Ehre und Glaube? Was mit Bösartigkeit, Feigheit und Ambitionen?‹«
»Und Liebe«, warf Terence ein.
»Genau«, sagte Professor Peddick. »›Und die Liebe von Antonius und Cleopatra? Hatte sie für den Lauf der Geschichte keine Bedeutung?‹ Ich fragte ihn das, während er im Wasser war. ›Und die Schurkerei Richards des Dritten? Die Inbrunst von Johanna von Orleans? Persönlichkeiten, nicht Völker, bestimmen die Geschichte.‹«
»Im Wasser?« wiederholte ich verständnislos, und Terence rief: »Sie haben Professor Overforce ins Wasser gestoßen?«
»Ein Stoß ist ein Ereignis, ein Vorkommnis, eine Tatsache«, sagte Professor Peddick, »und deshalb laut der Theorie von Overforce bedeutungslos. Ich sagte ihm das, als er schrie, ich solle ihn herausziehen. ›Die Naturgewalten sind stärker als Menschen‹, sagte ich.«
»Großer Gott«, rief Terence. »Ned, wende das Boot. Wir müssen zurück. Ich hoffe nur, daß er noch nicht ertrunken ist.«
»Ertrunken? Unmöglich! Ertrinken kommt in seinem Geschichtsverständnis nicht vor, egal ob auch der Herzog von Clarence in einem Bottich voll Maltasterwein ertränkt wurde![35] ›Wie steht’s mit Mord?‹ fragte ich ihn, während er im Wasser zappelte, mit den Armen schlug und um Hilfe rief. ›Und was ist mit Hilfe? Sie ist bedeutungslos, weil sie Willen und Moral voraussetzt, Eigenschaften, deren Vorhandensein von Ihnen bestritten wird, Overforce. Wo in Ihrer Theorie befinden sich Zweck, Plan und Ausführung?‹ — ›Ich wußte es‹ rief Overforce und strampelte wild. ›Ihre Geschichtstheorie ist nichts als ein Vorwand für das Vorhandensein eines großen Plans!‹ — ›Und gibt es dafür denn keinen Beweis?‹ fragte ich und reichte ihm die Hand, um ihn aus dem Wasser zu ziehen. ›Gibt es in Ihrer Theorie nur Zufälle? Keinen freien Willen? Keine Handlungen aus Nächstenliebe?‹ Ich zog ihn auf die Uferböschung. ›Sie werden jetzt doch sicher zugeben, daß das Individuum und das Ereignis für den Lauf der Geschichte bedeutsam sind‹, sagte ich ganz ruhig. Und der Schurke stieß mich ins Wasser!«
»Aber es ist doch alles in Ordnung mit ihm, oder?« fragte Terence besorgt.
»In Ordnung? Er ist verbohrt, ignorant, hochmütig, von seiner Meinung besessen, kindisch und gewalttätig! In Ordnung!«
»Ich meinte, ob er noch am Ertrinken ist«, erklärte Terence.
»Natürlich nicht«, entgegnete Professor Peddick. »Zweifelsohne ist er unverzüglich losmarschiert, um dem Haviland-Komitee seine irregeleiteten Ansichten zu unterbreiten. Und mich hat er im Wasser dem Ertrinken preisgegeben! Wenn Sie beide nicht zufällig vorbeigekommen wären, hätte ich das Schicksal des Herzogs von Clarence geteilt. Und Overforce, dieser Halunke, hätte den Haviland-Lehrstuhl bekommen!«
»Nun, wenigstens ist jetzt niemand umgekommen«, sagte Terence. Er schaute besorgt auf seine Taschenuhr. »Ned, an die Leinen. Wenn wir den Professor nach Hause bringen und noch Iffley erreichen wollen, bevor der Nachmittag vorbei ist, müssen wir uns sputen.«
Gut, dachte ich. Wenn wir zur Follybrücke zurückruderten, konnte ich mir eine Entschuldigung ausdenken, warum ich nicht mit Terence nach Iffley fahren wollte — Seekrankheit oder ein Rückfall oder etwas Ähnliches — und zur Bahnstation zurückgehen. Und hoffen, daß meine Kontaktperson noch dort wartete.
»Iffley!« sagte Professor Peddick. »Genau der richtige Ort! Prima Platz, um Weißfische zu angeln! Tuttle der Kleine sagte, er hätte ungefähr eine halbe Meile hinter der Schleuse von Iffley einen zweischwänzigen Regenbogenfisch gesehen.«
»Sollten Sie nicht besser umkehren?« fragte Terence unglücklich. »Sie zögen besser die nassen Sachen aus.«
»Blödsinn. Sind beinahe schon trocken. Und diese Gelegenheit ist zu verlockend, um sie zu verpassen. Sie haben doch Angelzeug und Köder dabei, oder?«
»Aber was ist mit Professor Overforce?« fragte ich. »Wird er sich keine Sorgen um Sie machen?«
»Ha! Der ist fort, um über Völker zu schreiben und seinem Hund das Fahrradfahren beizubringen! Die Geschichte wird von Individuen bestimmt, nicht von Völkern! Lord Nelson, Katharina von Medici, Galilei!«
Terence schaute sehnsüchtig auf seine Uhr. »Wenn Sie sicher sind, daß Sie sich keine Erkältung holen«, meinte er. »Die Sache ist nämlich, daß ich um zwei Uhr eine Verabredung in Iffley habe.«
»Also, frisch voran, solange Sie noch bei Kräften sind«, sagte Professor Peddick. »›Vestigia nulla rertrorsum‹«, und Terence ergriff energisch die Ruder.
Die Weiden wurden von Büschen, dann von Gras abgelöst, und hinter einer großen Flußbiegung konnte ich einen grauen Kirchturm erkennen. Iffley.
Ich zog meine Uhr heraus und studierte die römischen Ziffern. Fünf vor II. Wenigstens Terence würde rechtzeitig zu seiner Verabredung kommen. Und ich konnte nur hoffen, daß die meine auf mich wartete.
»Halt!« sagte der Professor und erhob sich im Boot.
»Nicht doch…« Terence ließ die Ruder platschend fallen. Ich griff nach dem Professor und verfing mich in der Decke, die herunterrutschte und sich um seine Füße wickelte. Das Boot schwankte gefährlich, und Wasser floß über den Schandeckel. Cyril blinzelte trübe, erhob sich wacklig auf die Füße, und das war alles, was wir noch gebraucht hatten.
»Platz!« kommandierte ich, und Professor Peddick schaute sich verwundert um und setzte sich.
»St. Trewes, wir müssen sofort ans Ufer«, sagte er zur Böschung deutend. »Sehen Sie dort!«
Wir schauten alle hin, sogar Cyril, auf ein grasbewachsenes Feld, das übersät war von Butterblumen und Wildkarotten mit weißen Blütenstengeln.
»Das genaue Abbild des Feldes von Blindheim«,[36] sagte Professor Peddick. »Sehen Sie, da unten das Dorf Sonderheim und dahinter ist Nebelbach. Beweist haargenau meinen Standpunkt! Blinde Naturgewalt! Es war der Herzog von Marlborough, der die Sache gerettet hat! Haben Sie ein Übungsheft dabei? Und eine Angelschnur?«
»Hat das nicht bis später Zeit? Bis zum Nachmittag, nachdem wir Iffley erreicht haben?«
»Der Angriff gegen Tallard erfolgte am frühen Nachmittag, bei genau diesem Licht«, sagte Professor Peddick und zog sich die Stiefel an. »Welche Art Köder haben Sie dabei?«
»Aber wir haben keine Zeit«, protestierte Terence. »Ich habe eine Verabredung…«
»›Omnia aliena sunt, tempus tantum nostrum est‹«, zitierte Professor Peddick. »›Nichts gehört uns außer der Zeit.‹«
Ich beugte mich vor und flüsterte: »Du kannst uns hier zurücklassen, Terence, und nach deiner Verabredung treffen wir uns wieder.«
Terence Gesicht hellte sich auf. Er nickte und ruderte das Boot zur Böschung. »Dich muß ich aber mitnehmen«, sagte er. »Du mußt die Pinne bedienen. Professor Peddick, ich setze Sie hier am Ufer ab, damit Sie über die Schlacht nachdenken können, und Ned und ich rudern nach Iffley. Wir holen Sie nachher wieder ab.« Er schaute sich nach einem geeigneten Anlegeplatz um.
Es dauerte eine Ewigkeit, um eine Stelle zu finden, wo das Ufer so sanft abfiel, daß der Professor bequem hochklettern konnte, und es dauerte noch länger, das Angelzeug im Gepäck zu finden. Terence durchwühlte mit hektischem Blick auf die Uhr die Reisetasche, und ich durchsuchte die Blechkiste nach der Angelrute und einer Schachtel voller Fliegen.
»Hier ist es!« rief Terence. Er stopfte die Fliegenschachtel in die Tasche des Professors, schnappte ein Ruder und drückte das Boot damit gegen die Böschung.
»Landgang«, sagte er, erhob sich und stellte einen Fuß auf die schlammige Erde. »Ab mit Ihnen, Professor.«
Professor Peddick schaute sich verwundert um, nahm sein Barett und schickte sich an, es auf den Kopf zu setzen.
»Warten Sie!« sagte ich und rettete es. »Hast du eine Schüssel oder so etwas, Terence? Für den Gründling.«
Wir wühlten erneut, Terence in einer der Hutschachteln, ich in meinem Rucksack, fand aber nur zwei gestärkte Kragen, ein Paar schwarze Lackschuhe, die drei Nummern zu klein für mich waren und eine Zahnbürste.
Mir fiel der geschlossene Weidenkorb ein, an dem Cyril geschnüffelt hatte. Der Proviant befand sich darin, möglicherweise also auch ein Topf, um Essen zu kochen. Ich tauchte in das Durcheinander im Heck und dann unter den Sitz. Dort stand der Korb, eingepfercht unterm Bug. Ich griff danach.
»Ein Kessel!« rief Terence und hielt ihn am Henkel hoch. Er reichte ihn mir.
Ich leerte den Fisch mitsamt dem Wasser in den Kessel und gab Professor Peddick das Barett zurück. »Setzen Sie es noch nicht auf«, sagte ich. »Warten Sie, bis das Wasser verdunstet ist.«
»Ein gelehriger Schüler«, strahlte der Professor. »›Beneficiorum gratia sempiterna est.‹«
»Alles an Land, was dorthin gehört«, sagte Terence und schob den Professor, noch bevor ich den Kessel abgesetzt hatte, aus dem Boot die Böschung hoch.
»In einer Stunde sind wir zurück«, rief er, kletterte wieder ins Boot und packte die Ruder. »Vielleicht auch zwei.«
»Ich werde warten«, sagte Professor Peddick. Er stand genau an der Uferkante. »›Fidelis ad urnum.‹«
»Er wird doch nicht noch mal reinfallen?« fragte ich.
»Nein«, erwiderte Terence nicht sehr überzeugend und legte sich in die Riemen, als säße er im Achter bei den Universitätsmeisterschaften.
Wir entfernten uns rasch von Professor Peddick, der sich hinabgebeugt hatte, um durch seinen Zwicker etwas auf dem Boden zu beobachten. Dabei fiel die Schachtel mit den Fliegen aus seiner Tasche und kollerte halb die Uferböschung hinab. Er beugte sich vornüber, um danach zu greifen.
»Vielleicht sollten wir…« sagte ich, und Terence legte sich noch einmal kräftig ins Zeug, und schwupps, waren wir um die Biegung, und vor uns lag die Kirche und eine steinerne gewölbte Brücke.
»Sie sagte, sie würde an der Brücke warten«, keuchte Terence. »Siehst du sie?«
Ich beschattete die Augen mit der Hand und spähte hinüber. Eine Gestalt stand am Nordende der Brücke. Wir näherten uns rasch. Eine junge Frau, die einen weißen Sonnenschirm hielt. Und ein weißes Kleid trug.
»Ist sie da?« fragte Terence und riß an den Rudern.
Sie trug einen weißen Hut mit blauen Blumen darauf, und darunter glänzte ihr nußbraunes Haar im Sonnenlicht.
»Bin ich zu spät?« fragte Terence.
»Nein«, erwiderte ich und dachte, aber ich.
Sie war das schönste Geschöpf, das ich je gesehen hatte.