»Mir war, als hört’ ich eine Stimme rufen: ›Schlaft nicht länger!‹«
Warum die Victorianer so verklemmt wirkten • Unsere süße Miezmiez, endlich wieder bei ihrem Frauchen! • Fisch • Ein Mißverständnis • Wie wichtig Anklopfen ist • Vorstellungen • Irische Namen • Ein erstaunlicher Zufall • Mehr Fisch • Ein zögerlicher Abschied • Noch ein Mißverständnis • Ich gehe zu Bett • Ein Besucher • Eine Krise
Eigentlich handelte es sich mehr um ein Dahinsinken als eine Ohnmacht. Mrs. Mering glitt sanft auf den Teppich, wobei sie sorgsam vermied, an irgendeines der Möbelstücke zu stoßen, kein leichtes Unterfangen, da sich im Zimmer ein großer runder Rosenholztisch befand, auf dem unter einer Glasglocke ein Bukett Wachsblumen stand, außerdem ein Roßhaarsofa, eine Chaiselounge mit Damastbezug, ein Windsorstuhl, ein Morrisstuhl, ein Chesterfieldstuhl, mehrere Ottomanen, ein Sekretär, ein Bücherregal, eine Vitrine mit Nippsachen, eine Etagere, ein Kaminschirm, eine Harfe, eine Aspidistrapflanze und ein Elefantenfuß.
Außerdem glitt sie sehr langsam, und während der Zeit, die sie brauchte, um niederzusinken, fielen mir mehrere Dinge auf:
Erstens, daß Mrs. Mering nicht die einzige war, die aussah, als hätte sie einen Geist gesehen. Der bleiche junge Mann, der ein Kurator sein mußte, war so weiß wie sein geistlicher Kragen, und Baine, der neben der Tür stand, hielt sich haltsuchend am Türknauf fest. Doch sein Gesichtsausdruck war weder schuldbewußt noch entsetzt. Wenn ich es nicht besser gewußt hätte, hätte ich ihn als Erleichterung deuten können. Oder als Freude. Beides war recht seltsam.
Zweitens, daß Veritys Gesichtsausdruck auf jeden Fall Freude zeigte. Mit meinem immer noch von der Zeitkrankheit getrübten Sinn dachte ich einen Augenblick lang tatsächlich, es wäre wegen mir. Dann fiel mir ein, daß sie noch keine Zeit gefunden haben konnte, Dunworthy Bericht zu erstatten. Tossie dürfte vergangene Nacht den ganzen Haushalt auf Trab gehalten haben, um Prinzessin Arjumand zu suchen. Demnach konnte Verity nicht wissen, daß ich die Verantwortung für die Katze übertragen bekommen und den Auftrag verpatzt hatte. Ich würde es ihr also erklären müssen.
Was mir drittens gar nicht paßte, denn sie war, sogar nach einem eher weniger ergiebigen Nachtschlaf und einer Überzahl an Sprüngen immer noch das schönste Geschöpf, das ich je gesehen hatte.
Und viertens, daß der Grund, warum die Menschen des victorianischen Zeitalters so gehemmt und verklemmt gewirkt hatten, darin lag, daß sich niemand hatte bewegen können, ohne etwas umzustoßen.
»Mama!!« rief Tossie, und Baine, Terence, Professor Peddick und ich stürzten gleichzeitig nach vorn, um Mrs. Mering aufzufangen, wobei wir in alles hineinkrachten, was Mrs. Mering vermieden hatte.
Terence fing Mrs. Mering auf, Baine drehte das Gaslicht höher, damit wir sehen konnten, wo wir hineingelaufen waren. Ich richtete die Schäferin aus Dresdner Porzellan wieder auf und das Stereophon, das ich beides umgeworfen hatte. Der Geistliche nahm wieder Platz und wischte sich mit einem großen weißen Taschentuch die Stirn. Terence und Baine brachten Mrs. Mering zu einem maronenfarbenen Samtsofa, wobei sie eine Büste der Pallas Athene umstießen, und Verity begann, Mrs. Mering Luft zuzufächeln.
»Baine«, sagte sie. »Sagen Sie Colleen, sie soll das Riechsalz bringen.«
»Ja, Miss«, sagte Baine, der immer noch überwältigt wirkte, und eilte davon.
»Oh, Mama!« Tossie wollte zu ihrer Mutter gehen. »Bist du…?« Ihr Blick fiel auf die Katze, die während der ganzen Aufregung meine Brust hochgekrochen war.
»Prinzessin Arjumand!« schrie sie und schoß auf mich zu. »Mein Liebling, mein Herzblatt! Du bist zu mir zurückgekommen!«
Der Liebling mußte Kralle für Kralle vom Vorderteil meines Hemdes abgepflückt werden. Ich reichte ihn Tossie, die eine Reihe Freudenschreie ausstieß und ihn enthusiastisch an sich preßte.
»Oh, Mr. St. Trewes«, zirpte sie. »Sie haben mir meine Miezmiez zurückgebracht!« Sie küßte das Herzblatt. »Arme Miezmiez, so danz allein im Dunkeln draußen! Hattu fürchtie fürchtie gemacht? Aber Mr. St. Trewes hat nach dir geducht, dimmst? Sagst du brav Dankedanke zu liebem Onkelchen?«
Cyril, der neben mir stand, schnaubte laut, und sogar Miezmiez schaute entsetzt. Na denn, dachte ich, das müßte Terence eigentlich wieder zu Verstand bringen, und wir konnten zurück nach Oxford. Tossie konnte Mr. C heiraten, und das Kontinuum war gerettet.
Ich schaute zu Terence. Er strahlte Tossie vernarrt an. »Wirklich keine Ursache«, sagte er. »Sie baten mich, Ihre kostbare Katze zu suchen. Es war Ihr Wille. Ihr Wunsch ist mir Befehl, edles Fräulein.«
Vom Sofa her drang ein Stöhnen. »Tante Malvinia«, sagte Verity und rieb Mrs. Merings Hände zwischen ihren. »Tante Malvinia?« Sie wandte sich zu Tossie. »Cousine, läute nach Baine und sag ihm, er soll den Kamin anfeuern. Deine Mutter hat eiskalte Hände.«
Tossie ging zur Wand hinüber zu einem langen, mit einer Quaste versehenen damastenen Paneel. Sie zog an der Quaste.
Ich hörte keinen Ton, aber irgendwo mußte eine Glocke angeschlagen haben, denn Baine erschien sofort. Während seiner Abwesenheit hatte er offenbar wieder die Kontrolle über sich gewonnen. Sein Gesicht und seine Stimme waren unbeteiligt, als er sagte:
»Sie wünschen, Miss?«
»Machen Sie Feuer«, erwiderte Tossie, ohne ihren Blick von der Katze zu wenden.
Ihr Ton war fast grob, aber Baine lächelte und sagte nachgiebig: »Ja, Miss.« Er kniete sich vor den Kamin, um Holz auf dem Rost aufzuschichten.
Ein Mädchen, dessen Haar noch röter war als Veritys, huschte ins Zimmer. Sie trug ein winziges Fläschchen. »Oh, Miss! Ist Mrs. Mering wieder in Ohnmacht gefallen?« fragte sie mit einem Akzent, der sie sofort als Irin auswies.
»Ja«, erwiderte Verity und nahm die Flasche. Sie zog den Stöpsel heraus und hielt die Flasche unter Mrs. Merings Nase. »Tante Malvinia!« sagte sie aufmunternd.
»Oh, Miss, waren es wieder die Geister?« fragte das Mädchen und schaute sich ängstlich im Zimmer um.
»Nein. Tante Malvinia?« Mrs. Mering stöhnte, öffnete aber nicht die Augen.
»Ich wußte, daß es hier spukt«, sagte das Mädchen und bekreuzigte sich. »Letzte Woche sah ich einen Geist, draußen beim Gartenpavillon…«
»Colleen, holen Sie ein feuchtes Tuch für Mrs. Merings Stirn«, sagte Verity. »Und einen Fußwärmer.«
»Ja, Miss.« Das Mädchen knickste und ging immer noch furchtsam um sich blickend hinaus.
»Miezimiez«, gurrte Tossie zu der Katze. »Hattu Hungerchen? Willst du hamham?« Sie wandte sich zu Baine, der das Holz aufgeschichtet hatte und es eben anfachen wollte. »Kommen Sie her, Baine«, sagte sie gebieterisch.
Obwohl er gerade dabei war, einen Papierfidibus zu entzünden, erhob sich Baine sofort und kam herbei. »Ja, Miss?«
»Bingen Sie Juju ein Schälchen Sahne.«
»Ja, Miss«, sagte er, lächelte der Katze zu und wandte sich zum Gehen.
»Und einen Teller Fisch.«
Baine drehte sich um. »Fisch?« Er zog eine Augenbraue hoch.
Tossies kleines Kinn hob sich höher. »Ja, Fisch. Prinzessin Arjumand hat Furchtbares mitgemacht.«
»Wie Sie wünschen«, sagte er. Seine Stimme triefte vor Mißfallen.
»Ja, ich wünsche es.« Tossie lief leicht rot an. »Bringen Sie es sofort!«
»Ja, Miss«, erwiderte Baine, kniete sich aber, anstatt das Zimmer zu verlassen, wieder vor den Kamin und entzündete geübt das Feuer. Er fachte es mit dem Blasebalg an und stellte diesen sorgsam auf das eiserne Kamingerät zurück, bevor er aufstand.
»Ich bezweifle, daß wir überhaupt Fisch haben«, sagte er und ging hinaus.
Tossie schaute fuchsteufelswild. »Mama!« sagte sie zu ihrer Mutter gerichtet, aber Mrs. Merings Lebensgeister waren noch nicht wieder zurückgekehrt. Gerade deckte Verity eine Kamelhaardecke über ihre Knie und schob ihr ein Kissen unter den Kopf.
Langsam fing ich an, in meinen nassen Kleidern zu frieren, und ging zum Feuer hinüber, das lebhaft prasselte, an dem Sekretär, einem Nähtisch und einem kleinen Tischchen mit marmorner Platte vorbei, auf dem eine Reihe Fotos in metallenen Rahmen stand. Cyril lag schon am Kamin und weichte den Vorleger ein.
Colleen, das Mädchen, kam eilig mit einer Schale Wasser herein. Verity nahm sie ihr ab, stellte sie auf den Tisch neben eine große Bronzevase mit Pfauenfedern und wrang das Tuch aus.
»Haben die Geister ihre Seele gestohlen?« fragte Colleen.
»Nein«, sagte Verity und legte das Tuch auf Mrs. Merings Stirn. »Tante Malvinia!« Mrs. Mering seufzte, ihre Augenlider flatterten.
Ein rundlicher Herr mit buschigem weißem Schnurrbart betrat das Zimmer, eine Zeitung in der Hand. Er trug ein rotes Dinnerjackett und eine seltsame rote Kappe mit einer Quaste auf dem Kopf. »Was ist hier los?« fragte er. »Überall Gerenne. Kann nicht mal in Ruhe die Times lesen.«
»Oh, Papa«, sagte Tossie. »Mama ist in Ohnmacht gefallen.«
»In Ohnmacht?« Der Mann trat zu der Ottomane. »Weshalb?«
»Wir hielten eine Seance ab«, erklärte Tossie. »Wir versuchten, Prinzessin Arjumand zu finden, und Mama rief die Geister. Gerade als sie sagte: ›Kommt, ihr Geister‹, bauschten sich die Vorhänge, ein kalter Windstoß fegte ins Zimmer und Prinzessin Arjumand war da!«
»Hah!« sagte er. »Wußte, daß dieser Spiritismus nichts taugt. Haufen Unsinn, sonst nichts.«
Colonel Mering schien sich einer Art gesprochener Kurzschrift zu befleißigen, mit all diesen Sätzen ohne Subjekt. Ich überlegte, ob diese irgendwo in seinem buschigen Schnurrbart verlorengegangen waren. »Hysterisch«, sagte er. »Macht Frauen nur verrückt.«
An diesem Punkt mischte sich der Geistliche ein. »Eine ganze Reihe namhafter Scholare und Wissenschaftler ist von der Richtigkeit der übersinnlichen Phänomene überzeugt. Sir William Crookes, der bekannte Physiker, hat eine allgemein beachtete Abhandlung über dieses Thema verfaßt, und Arthur Conan Doyle leitet eine…«
»Geschwätz!« fuhr Colonel Mering ihm ins Wort. »Seihtücher und leichtgläubige Frauen. Sollte gesetzlich verboten werden.« Er hielt inne, als er Terences ansichtig wurde. »Wer sind Sie denn? Ein verdammtes Medium?«
»Das ist Mr. St. Trewes, Papa«, warf Tossie rasch ein. »Er und seine Freunde haben Prinzessin Arjumand gefunden.« Sie hielt die Katze in die Höhe, damit ihr Vater besser sehen konnte. »Sie war verschwunden, und Mr. St. Trewes hat sie wiedergefunden.«
Colonel Mering betrachtete die Katze mit unverhohlener Abneigung. »Pah! Dachte, sie wäre ertrunken und endlich weg.«
»Papa, das meinst du doch nicht ernst!« Tossie vergrub ihre Nase in Prinzessin Arjumands Fell. »Er meint’s nicht so, Miezmiez, nein, tut er nicht. Hör nicht auf ihn, Juju.«
Der Colonel starrte erst Professor Peddick und dann mich an. »Nehme an, Sie sind ebenfalls Tischerücker?«
»Nein« sagte ich. »Wir machten eine Bootspartie, und dabei ist unser Boot gekentert und wir…«
»Ooooh«, stöhnte Mrs. Mering von der Couch her. Ihre Augenlider hoben sich flatternd. »Bist du’s, Gatte?« hauchte sie. Sie streckte die Hand nach ihm aus. »Oh, Mesiel, die Geister!«
»Humbug! Nichts als Schwachsinn. Ruiniert deine Nerven und deine Gesundheit. Ein Wunder, daß niemand verletzt wurde.« Colonel Mering nahm ihre Hand. Verity räumte das Feld, und Colonel Mering setzte sich neben seine Frau. »Schluß jetzt. Keine Seancen mehr. Nicht mehr in meinem Haus. Baine!« Er wandte sich an den Butler, der gerade mit der Schale Sahne hereinkam. »Werfen Sie alle Bücher über Spiritismus fort!« Dann zu Mrs. Mering: »Verbiete dir ein für allemal, dich noch mit dieser Madame Idioskovitz zu treffen.«
»Iritosky«, sagte Mrs. Mering. »Mesiel, das darfst du nicht tun!« Sie umklammerte seine Hand. »Versteh doch! Du warst schon immer ein Skeptiker, aber jetzt mußt selbst du es einsehen. Sie waren hier, Mesiel, in diesem Raum. Ich hatte gerade mit Häuptling Gitcheewatha, Madames Iritoskys Hauptmedium, Kontakt aufgenommen und fragte ihn nach Prinzessin Arjumands Schicksal, und da…« — sie stieß ein Schreichen wie Tossie aus, bevor sie weitersprach — »da waren sie, die Katze in ihren Geisterarmen!«
»Tut mir schrecklich leid. Beabsichtigte nicht, Sie so zu erschrecken«, sagte Terence, der Colonel Merings Angewohnheit, die Subjekte unter den Tisch fallen zu lassen, übernommen zu haben schien.
»Wer ist das?« fragte Mrs. Mering ihren Ehemann.
»Terence St. Trewes, zu Ihren Diensten«, sagte Terence und lüftete seinen Strohhut, in dessen Krempe unglücklicherweise noch ein ziemlicher Schwall Wasser lagerte, das sich dabei, schwupps, über Mrs. Mering ergoß.
»Oh, oh, oh«, sagte sie. Dann folgte eine Serie kleiner Schreie, während sie vergeblich mit den Händen diese Sintflut abzuwehren versuchte.
»Tut mir furchtbar leid«, sagte Terence und wollte ihr sein Taschentuch anbieten. Dieses war jedoch noch nässer, und er hielt zum Glück mitten in der Bewegung inne, um es in die Hosentasche zurückzustopfen.
Mrs. Mering bedachte Terence mit einem eisigen Blick, bevor sie sich wieder ihrem Mann zuwandte. »Jeder sah sie!« Sie drehte sich zu dem Geistlichen um. »Reverend, sagen Sie Colonel Mering, daß Sie die Geister auch gesehen haben!«
»Äh… ich…« begann der Reverend verlegen.
»Sie waren über und über mit Tang behangen und leuchteten ätherisch«, fuhr Mrs. Mering fort, des Colonels Ärmel umklammernd. »Sie brachten Nachricht davon, daß unsere arme Prinzessin Arjumand ein nasses Grab gefunden hat.« Sie wies auf die Verandatüren. »Durch diese Türen kamen sie!«
»Tut mir leid. Hätten besser vorher anklopfen sollen«, sagte Terence. »Beabsichtigten nicht, so hereinzuplatzen, aber unser Boot ging unter und…«
»Wer ist dieser aufdringliche junge Mann?« fragte Mrs. Mering ihren Gatten.
»Terence St. Trewes«, erklärte Terence.
»Deine Geister«, sagte der Colonel.
»Terence St. Trewes«, sagte Terence. »Und dies ist Mr. Ned Henry und…«
»Geister!« Der Colonel schnaubte verächtlich. »Hättest du nicht sämtliche Lichter gelöscht und Tischerücken gespielt, hättest du gesehen, daß es sich um Ruderer handelt, die abgesoffen sind. Nasses Grab! Pah!«
»Prinzessin Arjumand geht es gut, Mama«, sagte Tossie und hielt ihrer Mutter die Katze hin, damit diese sie besser sehen konnte. »Sie ist nicht ertrunken. Mr. St. Trewes fand sie und brachte sie nach Hause. Niss wahr, Juju? Jaaa, jaaa. Iss er nicht tapfer? So tapfer!«
»Sie haben Prinzessin Arjumand gefunden?« fragte Mrs. Mering.
»Na ja, eigentlich war es Ned, der…«
Sie starrte Schweigen gebietend erst auf mich und dann auf Terence, bemerkte unsere nassen Kleider, unser mitgenommenes Äußeres und unsere ungeisterhafte Natur.
Für einen Moment dachte ich, sie würde erneut in Ohnmacht fallen, und Verity trat einen Schritt vor und entstöpselte vorsorglich das Fläschchen mit dem Riechsalz.
Mrs. Mering setzte sich auf, fixierte Terence mit einem frostigen Blick und sagte: »Wie können Sie es wagen, sich für einen Geist auszugeben?«
»Ich… wir… unser Boot ging unter und…« stammelte Terence.
»Terence St. Trewes!« fuhr sie fort. »Was ist das für ein Name? Irisch?«
Die Temperatur im Zimmer sank um mehrere Grade, und Terence erzitterte etwas, als er sagte: »Nein, Ma’am. Es ist ein alter Name. Reicht ungefähr zurück bis zum Einfall der Normannen. Ein Ritter, der im Kreuzzeug unter Richard Löwenherz kämpfte, soviel ich weiß.«
»Er klingt irisch«, sagte Mrs. Mering.
»Mr. St. Trewes ist der junge Mann, von dem ich dir erzählt habe«, mischte sich Tossie ein. »Den ich auf dem Fluß traf und um Hilfe bei der Suche nach Prinzessin Arjumand bat. Und er fand sie!« Sie zeigte ihrer Mutter die Katze.
Mrs. Mering ignorierte ihre Tochter. »Auf dem Fluß?« fragte sie, und ihr Blick bestand aus purer Salzsäure. »Sind Sie so eine Art Schiffer?«
»Nein, Ma’am«, sagte Terence. »Ich bin Student. Zweites Jahr. Ich studiere am Balliol.«
»Oxford!« schnaubte Colonel Mering. »Pah!«
Es sah ganz danach aus, als würden wir umgehend an Kopf und Kragen gepackt und vor die Tür gesetzt werden, was nicht so schlecht gewesen wäre, wenn man bedachte, wie Tossie sich wegen Terence aufführte. Ich überlegte, ob das Teil der Selbstkorrektur des Kontinuums sein konnte, jetzt da Miezmiez heil zurückgekehrt war. Ich hoffte es.
Ich hoffte auch, daß es mir gelingen würde, Verity zu sprechen, bevor man uns die Tür wies. Nach dem ersten erfreuten Blick hatte sie mich keines weiteren mehr gewürdigt, und ich mußte wenigstens wissen, ob sie etwas Neues von T. J. und Dunworthy erfahren hatte.
»Lehren sie in Oxford ihre Studenten, wie man in fremder Leute Häuser einbricht?« fragte Mrs. Mering.
»N-nein«, stammelte Terence. »Sie selbst sagten ›Tretet ein‹.«
»Ich sprach zu den Geistern?« erwiderte sie steif.
»Nehme an, Sie studieren so einen modernen Kram«, sagte Colonel Mering.
»Nein, Sir. Klassik. Dies ist mein Tutor, Professor Peddick.«
»Wir wollten nicht so hereinplatzen«, sagte Professor Peddick. »Die beiden jungen Herren waren so freundlich, mich flußabwärts nach Runnymede zu rudern, als…«
Aber die Temperatur im Zimmer war signifikant gestiegen, und Colonel Mering lächelte — zumindest nahm ich das an — unter seinem weißen Schnurrbart. »Etwa Professor Arthur Peddick? Schrieb Die charakteristischen äußerlichen Merkmale des Japanischen Shubunkin?«
Professor Peddick nickte. »Haben Sie es gelesen?«
»Gelesen? Schrieb Ihnen erst letzte Woche einen Brief über meinen kugeläugigen perlmuttfarbenen Ryunkin«, sagte der Colonel. »Erstaunlicher Zufall, daß Sie jetzt so hier auftauchen.«
»O ja«, sagte Professor Peddick und beäugte ihn durch sein Monokel. »Ich war schon dabei, diesen Brief zu beantworten. Faszinierende Spezies, diese Ryunkin.«
»Merkwürdig, daß Ihr Boot gerade hier kenterte«, sagte der Colonel. »Wie gering ist die Wahrscheinlichkeit eines solchen Geschehens? Astronomisch.«
Ich schaute zu Verity. Sie beobachtete ihn und biß sich auf die Lippe.
»Sie müssen sich unbedingt meinen Schwarzen Mauren ansehen«, sagte der Colonel. »Erstklassiges Exemplar. Kommt aus Kyoto. Baine, bringen Sie bitte eine Laterne!«
»Sehr wohl, Sir«, sagte Baine.
»Und den dreipfündigen gebänderten Gründling«, sagte der Colonel, nahm den Professor beim Arm und führte ihn durch das Möbellabyrinth zu den Verandatüren. »Erstand ihn letzte Woche.«
»Mesiel!« schnappte Mrs. Mering von der Couch her. »Wo, um alles in der Welt, willst du hin?«
»Zum Fischteich, meine Liebe, Professor Peddick meinen Goldfisch zeigen.«
»Zu dieser späten Stunde? So ein Blödsinn! Er wird sich in diesen nassen Sachen den Tod holen.«
»Das stimmt.« Colonel Mering bemerkte offenbar erst jetzt, daß der Ärmel, den er umfaßte, pitschnaß war. »Also zuerst trockene Kleidung. Baine«, sagte er zu dem Butler, der gerade das Zimmer verlassen wollte, »bringen Sie Professor Peddick sofort etwas Trockenes zum Anziehen.«
»Sehr wohl, Sir«, sagte Baine.
»Mr. Henry und Mr. St. Trewes bräuchten auch etwas Trockenes«, sagte Verity.
»Ja, Miss.«
»Und bringen Sie uns etwas Brandy«, setzte Colonel Mering hinzu.
»Und einen Fisch«, sagte Tossie.
»Ich befürchte, diese Herren werden keine Zeit für ein Glas Brandy haben«, sagte Mrs. Mering und drehte den Thermostat wieder herunter. »Es ist schon sehr spät, und sie werden zu ihrem Logis zurückkehren wollen. Ich nehme an, Sie logieren in einem der Flußgasthäuser, Mr. St. Trewes? Vielleicht im Schwanen?«
»Äh… eigentlich…« begann Terence.
»Kein Wort davon. Scheußlich, diese gewöhnlichen Gasthäuser. Alles Halsabschneider. Sie bleiben hier.« Der Colonel hob die Hand, um etwaige Einwände zu unterbinden. »Gibt genug Platz bei uns für Sie und Ihre Freunde. Bleiben Sie, so lange Sie möchten. Hervorragender Platz zum Schleppangeln. Baine, sagen Sie Jane, daß sie Zimmer für diese Gentlemen richten soll.«
»Sehr wohl, Sir«, sagte Baine, der vergebens probiert hatte, gleichzeitig Brandy einzugießen, eine Laterne zu holen und die Hälfte der Anwesenden frisch einzukleiden, rasch und wollte das Zimmer verlassen.
»Und bringen Sie ihr Gepäck herein«, rief der Colonel hinterher.
»Ich fürchte, wir haben kein Gepäck«, sagte Terence. »Als unser Boot kenterte, konnten wir uns glücklich schätzen, unser Leben zu retten.«
»Verlor eine wunderbare Albinobrasse«, sagte Professor Peddick. »Hatte außergewöhnliche Rückenflossen.«
»Werden eine neue für Sie fangen«, sagte Colonel Mering. »Baine, gehen Sie und schauen Sie nach, ob Sie noch etwas von dem Boot und den Habseligkeiten darin bergen können. Wo ist die Laterne?«
Es war ein Wunder, daß Baine nicht Marx las, so unterdrückt wie er war. Nein, Marx arbeitete ja noch an seiner Theorie. Im Lesesaal des Britischen Museums.
»Ich werde eine holen, Sir.«
»Nein, das werden Sie nicht«, sagte Mrs. Mering. »Es ist zu spät für Teichexkursionen. Ich bin sicher, daß die Herren…« — die Temperatur fiel wie ein Senkblei — »nach ihrem Abenteuer müde sind. Bootfahren! Mitten in der Nacht! Es ist ein Wunder, daß Sie nicht über ein Wehr geschwemmt wurden und allesamt ertranken.« Sie blickte uns an, als wünschte sie sich genau das. »Ich bin sicher, diese Gentlemen sind erschöpft.«
»Ganz richtig«, sagte der Kurator. »Ich werde mich auch empfehlen. Gute Nacht, Mrs. Mering.«
Mrs. Mering streckte die Hand aus. »Oh, Reverend, es tut mir so leid, daß es heute keine Manifestationen gab.«
»Sicher werden wir nächstes Mal erfolgreicher sein«, sagte der Reverend zu Mrs. Mering, aber sein Blick hing an Tossie. »Ich freue mich schon auf unseren nächsten Ausflug ins Metaphysische. Und natürlich darauf, Sie beide übermorgen zu sehen. Ich bin überzeugt, daß es mit Ihrer Hilfe und der Ihrer liebreizenden Tochter ein überwältigendes Ereignis wird.«
Er schaute schmachtend auf Tossie, und ich überlegte, ob er der geheimnisvolle Mr. C. sein könnte.
»Wir freuen uns, in irgendeiner Weise helfen zu können«, sagte Mrs. Mering.
»Tischtücher sind recht knapp.«
»Baine, holen Sie sofort ein Dutzend Tischtücher aus dem Wäscheschrank«, sagte Mrs. Mering.
Kein Wunder, daß Baine in seiner knapp bemessenen Freizeit zum Haustiermörder geworden war. Totschlag unter mildernden Umständen.
»Ich freue mich, Ihrer aller Bekanntschaft gemacht zu haben«, sagte der Kurator, der den Blick nicht von Tossie losreißen konnte. »Und falls die Herren übermorgen noch in der Gegend sind, würde ich meine Einladung auch…«
»Ich befürchte, die Herren werden nicht so lange bleiben«, sagte Mrs. Mering.
»Aha. Nun dann, gute Nacht.«
Baine reichte ihm seinen Hut, und der Kurator verließ das Zimmer.
»Du hättest Reverend Arbitage ebenfalls gute Nacht wünschen sollen«, sagte Mrs. Mering zu Tossie, und aus war’s mit meiner Theorie.
»Professor Peddick, Sie müssen sich heute nacht wenigstens noch meinen kugeläugigen perlmuttfarbenenen Ryunkin ansehen«, sagte Colonel Mering. »Baine, wo bleibt die Laterne? Eine unglaubliche Farbe…«
»Iiigiitt!« rief Mrs. Mering.
»Was ist?« sagte Terence, und alle drehten sich um und schauten zur Verandatür, als erwarteten sie einen weiteren Geist, aber es war niemand dort.
»Was ist denn?« Verity griff nach dem Riechsalz.
»Dort!« Mrs. Mering zeigte aufgeregt auf Cyril, der sich am Feuer wärmte. »Wer hat dieses gräßliche Geschöpf hereingelassen?«
Cyril erhob sich mit beleidigter Miene.
»Ich… ich war’s«, sagte Terence und beeilte sich, Cyril am Halsband zu packen.
»Das ist Cyril«, erklärte Verity. »Der Hund von Mr. St. Trewes.«
Unglücklicherweise brach sich gerade in diesem Augenblick Cyrils Hundenatur freie Bahn. Vielleicht fühlte er sich auch nur, wie wir anderen auch, durch Mrs. Mering genervt. Er schüttelte sich so heftig, daß seine Lefzen schlackerten.
»Oh, was für ein fürchterlicher Hund!« rief Mrs. Mering und warf die Hände hoch, obwohl Cyril auf der anderen Seite des Zimmers war. »Baine, bringen Sie ihn sofort hinaus!«
Baine näherte sich dem Hund, und mir kam der Gedanke, daß er eine Art Serienmörder von Haustieren sein könnte. »Ich bringe ihn hinaus«, erbot ich mich.
»Nein, ich«, sagte Terence. »Komm, Cyril.«
Cyril blickte ihn fassungslos an.
»Tut mir furchtbar leid.« Terence zog an Cyrils Halsband. »Er war im Boot, als es umschlug und…«
»Baine, zeigen Sie Mr. St. Trewes den Stall. Hinaus!« sagte Mrs. Mering zu Cyril, und er schoß wie eine Kanonenkugel zur Verandatür, Terence, der das Halsband hielt, hinter sich herziehend.
»Siehst du? Böses Wauwauchen ist jetzt fort. Miezmiez muß keine Angst mehr haben«, zirpte Tossie.
»Oh, das ist alles zu viel für mich!« Mit dramatischer Gebärde legte Mrs. Mering die Hand auf die Stirn.
»Hier«, sagte Verity und hielt ihr das Riechsalz unter die Nase. »Ich werde Mr. Henry jetzt am besten sein Zimmer zeigen.«
»Verity!« Mrs. Merings Stimme ließ keinen Zweifel darüber aufkommen, daß sie mit Lady Schrapnell verwandt war. »Das ist vollkommenüberflüssig. Das Mädchen kann Mr. Henry zu seinem Zimmer bringen.«
»Ja, Ma’am«, sagte Verity gehorsam. Sie raffte ihre Röcke so geschickt, daß sie weder die krummen Füße der Tische noch den verschnörkelten Blumenständer mit der Apidistra streiften, als sie quer durch das Zimmer zur Klingel ging. »Ich bin froh, daß Sie da sind«, murmelte sie und zog an der Quaste. »Ich war schon halb krank vor Sorge.«
»Ich…« begann ich.
»Bring mich auf mein Zimmer«, sagte Mrs. Mering zu Tossie. »Ich kann nicht mehr. Verity, sag Baine, er soll mir eine Tasse Kamillentee bringen. Mesiel, belästige Professor Peddick nicht weiter mit deinen dämlichen Fischen.«
Colleen erschien inmitten dieser Befehlsausgabe und bekam die Anweisung, sie solle mir mein Zimmer zeigen.
»Ja, Ma’am«, sagte sie mit einem Knicks und führte mich zur Treppe, vor der sie einen Moment lang stehen blieb, um eine Lampe zu entzünden.
Die Auffassung, daß bei der Innenausstattung oft weniger mehr ist, hatte sich 1888 offenbar noch nicht durchgesetzt. Unzählige goldgerahmte Porträts von Ahnen in Kniehosen, Rüstungen oder in goldglänzender Spitze schmückten die Wände des Treppenaufgangs, und im Flur oben standen ein Schirmständer, eine Büste von Darwin, ein großer Farn und eine Laokoonstatue,[51] die von einer riesigen Schlange umringelt wurde, aufgereiht.
In der Mitte des Flures machte Colleen vor einer bemalten Tür halt und hielt sie mit einem Knicks für mich auf. »Ihr Zimmer, Sir«, sagte sie. Durch ihren irischen Akzent klang es wie Sorrr.
Dieser Raum war nicht ganz so vollgestopft wie das Wohnzimmer. Er enthielt nur ein Bett, einen Waschtisch, einen Nachttisch, einen Nachtstuhl aus einem dunklen Holz, einen mit Chintz bezogenen Stuhl, eine Kommode, einen Spiegel und einen wuchtigen Schrank, der eine ganze Wand des Zimmers ausfüllte — ein Segen, denn das Tapetenmuster zeigte Spaliere, an denen sich monströs große Prunkwinden hochrankten.
Das Mädchen stellte die Lampe auf den Nachttisch und flitzte durch das Zimmer zum Waschtisch, um den Krug zu holen. »Ich bringe Ihnen gleich das heiße Wasser, Sorrr«, sagte sie und huschte hinaus.
Ich schaute mich im Zimmer um. Das Motto der Victorianer bei der Inneneinrichtung hieß offenkundig. »Laßt keinen Millimeter unbedeckt«. Auf dem Bett lag eine Überdecke, über der ihrerseits eine weiße luftige Häkeldecke lag, der Frisiertisch und die Kommode waren mit Gestecken aus getrockneten Blumen und weißen Leinenschärpen mit Spitzenbesatz geschmückt, und auf dem Nachttisch lag ein Schal aus imitiertem Kaschmir und über ihm ein gehäkeltes Tischdeckchen.
Sogar die Toilettenartikel auf der Kommode trugen gestrickte Häubchen. Ich zog die Gegenstände aus den Hüllen und betrachtete sie in der Hoffnung, daß sie nicht ebenso fremdartig waren wie die Küchengeräte. Nein, es waren Haarbürsten, und hier war ein Rasierpinsel und ein Schälchen mit Seife.
Wir hatten uns vor den Sprüngen einer langanhaltenden Depilation unterziehen müssen, da sich Rasieren in früheren Zeiten für gewöhnlich schwierig gestaltet hatte, und ich hatte eine Behandlung bekommen, bevor ich mit den Wohltätigkeitsbasaren anfing, aber sie würde nicht für die ganze Zeit, wo ich hier war, anhalten. War 1888 schon der Rasierapparat erfunden?
Ich zog die gestrickte Hülle von einer emaillierten Schachtel, öffnete sie, und die Antwort lag vor mir. Zwei altmodische Rasierermesser befanden sich darin, mit elfenbeinernen Griffen und lebensgefährlich aussehenden Klingen.
Es klopfte an der Tür. Als ich öffnete, kam das Mädchen mit dem Krug herein, der beinahe so groß war wie sie selbst. »Das heiße Wasser, Sorrr«, sagte sie, setzte den Krug ab und knickste wieder. »Wenn Sie noch etwas wünschen, hier ist die Klingel.«
Sie machte eine unbestimmte Geste zu einem langen Band, das an der Wand über dem Bett hing und mit Veilchen bestickt war, und es war gut, daß ich Tossie beobachtet hatte, wie sie nach dem Butler klingelte, sonst hätte ich das Band für einen Teil der Dekoration gehalten.
»Danke, Colleen«, sagte ich.
Sie hielt mitten im Knicks inne. »Verzeihung, Sorrr«, sagte sie mit verlegener Miene und wrang mit der Hand ihre Schürze. »Ich heiße Jane.«
»O«, sagte ich. »Entschuldigung. Ich muß mich verhört haben. Ich dachte, Ihr Name sei Colleen.«
Sie knetete die Schürze noch mehr. »Nein, Sorrr. Mein Name ist Jane.«
»Na dann, vielen Dank, Jane.«
Ihr Gesichtsausdruck zeigte Erleichterung. »Gute Nacht, Sorrr«, sagte sie und knickste wieder und wieder, bis sie schließlich aus dem Zimmer war und sich die Tür hinter ihr schloß.
Ich stand da und schaute das Bett beinahe ehrfurchtsvoll an. Ich konnte kaum glauben, daß ich endlich wirklich das bekam, weshalb ich eigentlich ins victorianische Zeitalter gekommen war — einen ausgiebigen Nachtschlaf. Es schien zu schön, um wahr zu sein. Weiches Bett, warme Zudecke, gesegnete Bewußtlosigkeit. Keine Steine, keine vermißten Katzen, die man suchen mußte, kein Regen. Keine Wohltätigkeitsbasare, keine Vogeltränke, keine Lady Schrapnell.
Ich setzte mich aufs Bett. Es federte unter mir und roch leicht nach Lavendel. Die Entropie ergriff die Oberhand. Ich war plötzlich sogar zu müde, um mich auszuziehen. Ich überlegte, wie peinlich berührt Colleen — nein, Jane — sein würde, wenn sie morgen früh ins Zimmer kam und mich in Kleidern schlafend auf dem Bett vorfand.
Zwar machte ich mir immer noch Gedanken über Inkonsequenzen und darüber, was ich Verity erzählen sollte, aber das mußte warten. Morgen früh würde ich ausgeruht, verjüngt und endlich von den Symptomen der Zeitkrankheit geheilt sein und imstande, vernünftig über alles nachzudenken. Falls es überhaupt noch ein Problem gab. Vielleicht hatte Prinzessin Arjumand, glücklich an den berüschten Busen ihrer Besitzerin zurückgekehrt, die Balance wieder hergestellt und die Inkonsequenz bereits begonnen, sich selbst zu heilen. Und falls nicht, na ja. Nach einer ungestörten Nachtruhe würde ich besser imstande sein, nachzudenken, imstande, einen Plan zu entwickeln.
Der Gedanke daran verlieh mir die Kraft, dem Mädchen Peinlichkeiten zu ersparen. Ich zog meine feuchte Jacke aus, hängte sie über den Bettpfosten, setzte mich auf den Bettrand und begann, meine Stiefel auszuziehen.
Ich schaffte nur einen. Gerade als ich den durchweichten Socken halb vom Fuß gestreift hatte, klopfte es an der Tür.
Es ist das Mädchen, dachte ich hoffnungsvoll. Sie bringt mir eine Wärmflasche oder einen Federhalterwischer oder sonst etwas. Und falls sie sich an einem halb bestrumpften Fuß stört, kann ich ihr nicht helfen. Keinesfalls würde ich den Stiefel wieder anziehen.
Es war nicht das Mädchen. Es war Baine. Er trug die Reisetasche. »Ich war unten am Fluß, Sir«, sagte er. »Leider konnte ich nur einen Ihrer Körbe, Ihr Portmanteau und diese Reisetasche retten, die unglücklicherweise leer und zerfetzt ist.« Er zeigte auf die Schlitze, die ich für Prinzessin Arjumand in die Tasche geschnitten hatte. »Sie muß sich in einer Fischreuse verfangen haben, bevor sie ans Ufer geschwemmt wurde. Ich werde die Tasche für Sie reparieren, Sir.«
Ich wollte nicht, daß er sie näher inspizierte und verdächtige Katzenhaare darin fand. Darum sagte ich: »Nein, danke, Baine. Es ist in Ordnung«, und griff nach der Tasche.
»Glauben Sie mir, Sir«, sagte Baine, »genäht wird die Tasche so gut wie neu sein.«
»Vielen Dank, Baine. Ich werde mich darum selbst kümmern.«
»Wie Sie wünschen, Sir.«
Er ging zum Fenster hinüber und zog die Vorhänge zu. »Wir halten immer noch nach dem Boot Ausschau«, sagte er. »Ich habe den Wärter der Schleuse bei Pangbourne verständigt.«
»Danke«, erwiderte ich, von seiner Tüchtigkeit beeindruckt, und wünschte, er würde endlich das Zimmer verlassen, damit ich zu Bett gehen konnte.
»Ihre Kleidung aus dem Portmanteau wird für Sie gewaschen und gebügelt, Sir. Ich habe auch Ihren Strohhut retten können.«
»Danke, Baine«, sagte ich.
Ich überlegte, ob Baine etwas Bestimmtes von mir erwartete, womit ich ihn entlassen sollte und was das sein könnte. Man gab doch Butlern kein Trinkgeld, oder? Ich versuchte mich daran zu erinnern, was die Sublimationskassetten zu diesem Thema enthalten hatten. »Das ist alles, Baine«, sagte ich schließlich.
»Ja, Sir.« Er verbeugte sich leicht und wollte das Zimmer verlassen, zögerte aber an der Tür wieder, als hätte er noch etwas zu sagen.
»Gute Nacht«, sagte ich in der Hoffnung, daß es damit getan war.
»Gute Nacht, Sir«, erwiderte er und ging hinaus.
Ich setzte mich aufs Bett. Dieses Mal hatte ich nicht einmal den Schuh ausgezogen, als es wieder klopfte.
Es war Terence. »Gott sei Dank, daß du noch wach bist, Ned«, sagte er. »Du mußt mir helfen. Es gibt da ein Problem.«