4


Der Himmel ohne Sterne hatte eine erschreckende Wirkung auf Nets Gemüt gezeigt. Statt grenzenloser Weite vermittelte er den Eindruck eines mächtigen Gewichtes, das über ihr und wenig später auf ihr zu lasten schien, ihr den Atem aus der Brust preßte und sie zu Boden drückte. Sie hatte die Innenbeleuchtung der Kuppel abgeschaltet und angestrengt in die Dunkelheit hinaufgestarrt, um herauszubekommen, wo sich das Dach dieses seltsamen Hohlraums befand und woraus es gemacht war. Nach einigen Minuten hatten ihre Augen getränt, aber sie hatte zunächst nichts erkennen können, weder mit bloßem Auge noch mit der verstärkenden Zieloptik ihres Gewehrs. Erst nach einer Weile konnte sie erkennen, wie sich die Steilwand hinter dem Kraftwerkskomplex nach oben schwang, um dann in der Höhe zu verschwinden. Es sah ganz so aus, als würde das Tagebaugebiet, die Basis und alles andere, sie selbst eingeschlossen, sich auf einer Ebene befinden, die innerhalb einer gewaltigen Blase aus Fels und Gestein eingeschlossen war. Nach einer Viertelstunde hatte sie den Anblick einfach nicht mehr ertragen und die Kuppel verlassen.

Sie streunte durch die umliegenden Gänge und versuchte, irgend etwas Eßbares aufzutreiben. Net war praktisch veranlagt, eine Notwendigkeit in den Wastelands, und sie dachte nur gelegentlich darüber nach, wo sie sich befinden mochte. Sie vermutete, daß die Moroni wieder einmal ihre Transmitter-Technologie eingesetzt hatten. Insekten waren ihr ein Rätsel, gleichgültig, wie klein oder groß sie sein mochten.

In einer offenen Schleusenkammer entdeckte sie neben Verbandstoffen und Medikamenten auch eine Notration. Es war ziemlich mühsam, sechzig Jahre alte Kohlehydratriegel zu kauen, aber sie ging davon aus, daß diese Konzentrate auch vor sechzig Jahren nicht viel besser geschmeckt hatten. Das Hungergefühl in ihrem Bauch ließ langsam nach. Sie starrte aus dem Fenster auf die tote Landschaft hinaus, dachte über Hartmann nach und fragte sich, was aus Kyle geworden war.

Falls sie noch am Leben waren, würden sie inzwischen wieder beim Sternentransmitter sein. Net war keineswegs begeistert von dem Gedanken, sich wieder hinab zwischen die Moroni-Ameisen zu wagen, während die beiden Männer vermutlich dabei waren, eine neue Bombe zu basteln, aber es hatte wenig Sinn, den Rest des Lebens damit zu verbringen, auf steinharten Zuckerstangen herumzukauen.

Plötzlich wurde es dunkel hinter den Fenstern. Sie wickelte den Rest des Riegels wieder ein und steckte ihn in die Tasche, bevor sie aufstand und ihr Gewehr vom Boden nahm. Wachsam spähte sie nach draußen. Die Scheinwerfer waren abgeschaltet worden. Hier und dort konnte sie ein paar schwache Lichter erkennen, vielleicht Positionsmarken an den großen Baggern und den Transportbändern, aber ansonsten lag das ganze Gebiet in bedrückender Finsternis. Der Anblick erinnerte sie daran, warum sie aus der Kuppel geflohen war. Sie vergewisserte sich, daß sie das kleine Funkgerät bei sich trug und beschloß, sich auf den Rückweg zu machen.

Es dauerte eine Weile, bis sie die Zugangstreppe zum Hangar erreicht hatte. Die Moroni-Ameisen waren fort, aber die vier Gleiter standen startbereit in der Halle. Net duckte sich hinter das Geländer des ersten Treppenabsatzes, aber falls die Suchsysteme der Gleiter sie wahrnehmen konnten, wurde sie von den Mannschaften ignoriert. Vorsichtig ließ sie sich die ersten Treppenstufen hinunterrutschen. Um sich zu entspannen, begann sie die Stufen zu zählen. Als sie eintausenddreihundertfünfzig Stufen später den Boden der Halle erreichte, war sie schweißgebadet.

Sie beeilte sich, hinter einem Torflügel in Deckung zu kommen, und suchte nach der halb zerstörten Treppe, über die sie geflohen war.

Die tiefergelegene Maschinenhalle stand noch immer unter Wasser. Die Beleuchtung war abgeschaltet worden, und das Wasser wirkte schwarz und hatte einen öligen Schimmer. Sie stellte sich vor, daß eine Moroni-Kreatur irgendwo unter der glatten Wasseroberfläche auf sie wartete, und eine Gänsehaut lief ihr über den verschwitzten Rücken. Hastig nahm sie das Gewehr von der Schulter und entsicherte es.

Sie watete in Richtung auf die Halle mit dem Sternentransmitter zu. Das Wasser war relativ warm, vermutlich, weil der größte Teil davon Löschwasser war. Ein Hauch von Ammoniak lag in der Luft. Sie konnte irgendwo Pumpen hören, die vermutlich die Halle trockenlegen sollten. Als ihr das Wasser bis zu den Knien reichte, blieb sie stehen und sah sich um. Eine Plattform stand ganz in der Nähe, zwischen mehreren der bizarren Moroni-Maschinen. Sie konnte ebensogut warten, bis das Wasser etwas zurückgegangen war, beschloß sie und änderte ihre Richtung. Vorsichtig zog sie sich auf die Plattform und legte ihr Gewehr ab, dann zog sie die nassen Stiefel aus. Als sie die Hose auszog, um die Hosenbeine auszuwringen, fiel das Funkgerät heraus. Sie legte die Hose neben sich auf die Plattform und wog das Funkgerät einen Moment lang nachdenklich in der Hand, dann schaltete sie es achselzuckend ein.

»Hartmann?« wisperte sie hinein. Statisches Rauschen antwortete ihr. In der riesigen, leeren Halle schien selbst ihr Flüstern kilometerweit zu tragen. »Können Sie mich hören?« Sie wartete. Zum ersten Mal empfand sie so etwas wie Panik, und sie sah sich verzweifelt um.

»Kann mich irgend jemand hören?« sagte sie in die unwirkliche Dunkelheit hinein.


*


Von ihrer Position in den Trümmern der Raffinerie aus hatten sie einen guten Überblick über die Halle, obwohl der größte Teil inzwischen in völliger Dunkelheit lag. Die Moroni hatten die großen Scheinwerfer und auch einen Teil der Maschinen am hinteren Ende der Halle abgeschaltet. Die Zahl der Ameisen, die auf dem Boden herumliefen und an den anscheinend wahllos aufgestellten Pulten hantierten, hatte sich in der vergangenen Stunde verdreifacht.

»Was treiben die da unten«, murmelte Hartmann und spähte in die Finsternis. Neben den Zielscheinwerfern hatten sie in dem Depot auch mehrere hundert Nachtsicht-Zielgeräte entdeckt. Im Infrarot-Bild war die Halle ein langweiliger Raum aus blauen und grünen Flecken, nur dort, wo die Maschinen noch in Betrieb waren, schimmerte ein blasses Gelb. Die Moroni dagegen waren rote Flecken mit mehreren gelben Ausläufern.

»Vielleicht haben sie Schwierigkeiten mit der Stromversorgung«, meinte Kyle. Seine Stimme hatte inzwischen überhaupt keine Schwierigkeiten mehr mit Zischlauten, aber die veränderten Betonungen verursachten Hartmann immer wieder ein unbehagliches Gefühl in der Magengegend.

»Sie haben fast alle Maschinen abgeschaltet, die zur Raffinerie gehörten, und das Zeug am anderen Ende sieht wie Luftaufbereitung aus. Nur die Blöcke rund um den Transmitter arbeiten noch.«

»Feldgeneratoren«, bemerkte Kyle nachdenklich. Hartmann sah zu ihm hinüber und begegnete dem Blick bläulich schimmernder Augen, die das schwache Restlicht in der Halle zurückwarfen wie blanke Spiegel.

»Sie brauchen wohl nichts dergleichen«, sagte er und deutete auf das Zielgerät. Kyle lachte leise.

»Habe ich noch nie gebraucht«, sagte er.

Hartmann nickte stumm und nahm seine Beobachtung wieder auf. Zahlreiche Moroni-Ameisen waren mit Lasergewehren bewaffnet, und inzwischen hatte sich ein Ring um das gewaltige Podest gebildet, über dem der Sternentransmitter schwebte. Ein leises, knackendes Geräusch lenkte seine Aufmerksamkeit ab. Er suchte hastig die Halle ab. Wieder knackte es. Er konnte nichts Ungewöhnliches entdecken. Das Geräusch wiederholte sich, und er spürte, wie seine Knochen gefroren.

»Das Funkgerät«, sagte Kyle. Der Tonfall war eindeutig belustigt.

Hartmann schalt sich einen Idioten. Er steckte das Zielfernrohr in seinen Gürtel und tastete nach dem Funkgerät. In der Dunkelheit konnte er nur anhand der kleinen Kontrollanzeigen erkennen, wo es sich befand. Er stellte den Lautstärkeregler nach und lauschte.

»Nur Rauschen«, sagte er.

Kyle beugte sich zu ihm herüber. »Lassen Sie es mich versuchen«, sagte er.

Hartmann ließ das Funkgerät widerstrebend los. Der Jared hantierte eine Weile stumm, und die Geräusche veränderten sich zu einer rauschenden, knisternden Kakophonie, die sich zu wiederholen schien.

»Da ist etwas«, sagte er. »Ein ziemlich schwaches Signal. Die automatische Justierung schafft es nicht.« Anscheinend versuchte er, den Empfänger von Hand einzustellen. Die Moroni hatten ihn an diesen und anderen Geräten ausgebildet. Hartmann wartete geduldig.

»... meldet ... mich jemand ...« hörte er plötzlich aus den Störungen heraus. Es war eine nur zu vertraute Stimme.

»Das ist ...«

»Net«, sagte Kyle und sah sich wachsam um. Anscheinend hatte keine der Wachen unten in der Halle etwas gehört.

»... um Himmels willen ...« wisperte die Stimme.

»Sie ist in Schwierigkeiten«, sagte Hartmann und wollte Kyle das Funkgerät aus der Hand nehmen.

»Vorsichtig mit den Reglern«, sagte der Jared.

Hartmann nahm das Funkgerät und tastete nach der Sprechtaste, dann zögerte er.

»Wird sie uns überhaupt empfangen können?«

Kyle kam in der Dunkelheit näher heran. »Dieser Sender hier ist stärker als unsere kleinen Geräte. Sie wird uns hören.« Die schimmernden Augen richteten sich auf die geschäftigen Moroni. »Die Frage ist, wer uns außerdem noch hört.«

»Das Risiko müssen wir eingehen«, sagte Hartmann.

Kyle verzichtete auf einen Einwand, aber Hartmann spürte, daß der Jared nicht seiner Meinung war.

»... bitte ...« sagte die Stimme.

»Sie steckt in Schwierigkeiten«, sagte Hartmann drängend.

Kyle schüttelte den Kopf, eine Bewegung, die Hartmann mehr spürte als sah. »Sie ist fast hysterisch, aber die Art, wie sie spricht, zeigt, daß sie nicht in unmittelbarer Lebensgefahr ist.«

»Sie ist anderer Meinung«, antwortete Hartmann.

Kyle zögerte einen Moment. »Einverstanden«, sagte er schließlich in einem Tonfall, der eher das Gegenteil besagte. »Ich achte auf unsere Freunde dort unten.«

Entschlossen schaltete Hartmann den Sender ein. »Net«, sagte er. »Hartmann hier. Kannst du mich hören?«

»... höre dich.« Er hatte noch nie so viel Freude und Erleichterung in einer menschlichen Stimme vernommen, und er selbst empfand eine seltsame Wärme bei der Gewißheit, daß das Mädchen am Leben war.

»Du mußt lauter sprechen«, sagte er, »wenn es irgendwie geht. Wir verstehen dich kaum, weil dein Sender zu schwach ist.«

»Ich verstehe dich gut«, kam die einigermaßen deutliche Antwort. Anscheinend brüllte sie in das Mikrophon hinein, so laut es ging.

»Bist du in Sicherheit?« fragte Hartmann besorgt. »Ist irgend jemand in der Nähe?«

»Keine Menschenseele«, antwortete Net erschöpft.

Kyle hatte recht gehabt, begriff Hartmann. Das Mädchen war am Ende seiner Kraft.

»Keine Ameisen in der Nähe?« vergewisserte er sich.

»Nein. Hier unten ist niemand.« Ihre Worte kamen jetzt weniger hastig, und sie war wieder etwas leiser geworden. Möglicherweise hatte sie zu Beginn nur in das Mikrophon hineingeflüstert.

»Alles in Ordnung?« fragte er Kyle.

Der Jared spähte zum Transmitter hinüber. »Sieht so aus. Ich vermute, sie haben auch die Überwachungsgeräte abgeschaltet und verwenden selbst nur ein paar Kanäle.«

Hartmann wandte sich wieder dem Funkgerät zu. »Wo bist du, Net?«

Das Mädchen berichtete aufgeregt von ihrem Sturz die Rolltreppe hinunter und beschrieb ihre Umgebung. Hartmann stellte sich vor, wie sie dort hockte, durchnäßt bis auf die Knochen, hungrig und allein in der Dunkelheit. Er konnte verstehen, warum sie in Panik geraten war. »Ist Kyle bei dir?« fragte sie schließlich.

»Ja«, antwortete Hartmann und verzichtete auf lange Erklärungen. Er fragte sich, wie die Wastelanderin auf Kyles seltsame, unvollständige Metamorphose reagieren würde. Net hatte ein paar schlechte Erfahrungen mit Veränderungen von Menschen gemacht, die durch Moroni-Methoden hervorgerufen worden waren, und er glaubte, daß sie dem Megakrieger nie ganz über den Weg getraut hatte.

»Was ist passiert?« fragte Net und unterbrach seinen Gedankengang. »Ich meine, wieso leben wir noch? Sind Sie von den Moroni im Gleiter überwältigt worden?«

»Das ist eine lange Geschichte«, sagte Hartmann, »Ich würde das gerne verschieben, Net.«

»Einverstanden«, sagte die Stimme nach kurzem Zögern. »Wo sind Sie überhaupt?«

»Wieder zurück auf Feld eins«, antwortete Hartmann mit bitterem Humor.

»In der Transmitterhalle«, stellte das Mädchen fest und seufzte hörbar. »Ich hatte es mir gedacht. Kyles Idee, nicht wahr?«

Hartmann verzichtete auf eine Antwort. Blaue Augen fixierten ihn, und er glaubte, ein Lächeln Kyles zu erkennen.

»Da ist etwas, was Sie wissen müssen«, sagte Net drängend. »Ich war oben ... ich meine, ich habe versucht, an die Oberfläche zu kommen.«

Hartmann dachte an sein gespenstisches Erlebnis in der Druckschleuse. »Warum, um Himmels willen?«

»Ich habe es hier unten nicht mehr ausgehalten«, antwortete sie. »Ich glaubte, ich könnte mir oben etwas Überblick darüber verschaffen, wo wir eigentlich sind.«

»Und?«

»Wir sind nicht an der Oberfläche«, sagte Net. »Ich weiß nicht, wie tief wir sind, aber wir müssen weit unter der Erde sein.«

»Unsinn«, sagte Hartmann. »Wir haben die Mondoberfläche gesehen, alle drei. Du hast nur kein Fenster finden können.«

»Ich habe noch viel mehr gefunden«, antwortete Net verärgert. Diesmal waren ihre Worte wieder klar verständlich. »Da oben war eine große Kuppel aus Glas, in der alle möglichen Geräte herumstanden. Ich hatte eine großartige Aussicht.« Sie atmete tief ein. »Das Problem ist nur, es gab nichts zu sehen.«

»Was soll das heißen?« Hartmann bemerkte, daß Kyle gespannt zu ihm herübersah.

»Alles, was ich gesehen habe, sind ein paar Quadratkilometer Staub und Felsen gewesen, ein paar Fördermaschinen und Hallen, beleuchtet von vielen Scheinwerfern.«

»Wir sind auf der sonnenabgewandten Seite«, erinnerte sie Hartmann.

»Ich bin nicht dumm«, kam die unfreundliche Antwort. »Erklären Sie mir mal, warum ich auch sonst nichts am Himmel gesehen habe. Sind wir vielleicht auch auf der sternenabgewandten Seite?«

»Was soll das heißen?« fragte Hartmann schwerfällig.

»Da war nicht ein einziger Stern am Himmel, hören Sie. Kein einziger verdammter Stern.«

Hartmann dachte an die Druckschleuse und an den Streifen Schwarz, den sie gesehen hatten. »Das glaube ich nicht«, sagte er entgeistert.

»Ich glaube nicht, daß das jemanden interessiert«, antwortete Net knapp. Ihre Stimme klang inzwischen wieder sehr viel selbstsicherer. Charity Laird war kein Umgang für sie, entschied Hartmann. Die Wastelanderin hatte einige schlechte Angewohnheiten von ihr übernommen. »Ich glaube, wir sind in einer riesigen Blase, irgendeinem Hohlraum weit unter der Oberfläche.«

»Der größte Teil dieser Anlage ist von Menschen gebaut worden«, widersprach Hartmann. »Falls wir eine Basis in irgendeinem großen Loch im Mond oder sonstwo errichtet hätten, wüßte ich davon. Eine Anlage von diesen Ausmaßen läßt sich nicht geheimhalten.«

»Das ist kein NATO-Bunker mit ein paar tausend Kühltruhen«, stimmte Kyle zu. Der Kommentar war entschieden sarkastisch.

»Dann haben die Moroni das ganze Gerümpel hier heruntergeschafft«, versetzte Net. »Ich habe es jedenfalls nicht geschafft, die Oberfläche zu erreichen.«

Hartmann wog nachdenklich das Funkgerät in der Hand. Allein diese Energiezelle mochte zehn Kilogramm wiegen. Andererseits konnte er es problemlos in einer Hand halten. Er blickte in die Halle hinaus und versuchte sich ins Gedächtnis zurückzurufen, wie sich während der Schußwechsel die Trümmerstücke bewegt hatten.

»Was ist los?« fragte Kyle, der ihn beobachtet hatte.

»Der Mond hat an der Oberfläche etwa ein Sechstel der Erdgravitation«, sagte Hartmann nachdenklich. »Falls wir wirklich auf dem Mond sind, dann ist die Schwerkraft viel zu gering. Verdammt.«

»Stimmt etwas nicht?«

Hartmann schüttelte verärgert den Kopf. »Das hätte mir schon viel eher auffallen müssen«, sagte er. »Genauso wie der verdammte Himmel ohne Sterne.«

»Wir waren in Eile«, erinnerte ihn Kyle ohne Humor.

Hartmann ignorierte die Bemerkung. »Diese Anlage hier ist MacDonalds oder zumindest ein großer Teil davon«, sagte er nachdrücklich. »Das ganze Zeug stammt vom Mond, soviel steht fest.«

»Nehmen wir an, wir sind auf dem Mond«, sagte Kyle nachdenklich. »Wie tief müßten wir sein, ich meine, was die Schwerkraft betrifft?«

»Ziemlich tief«, sagte Hartmann und dachte daran, wie er Kyle einen senkrechten Schacht hinaufgezogen hatte, nur mit der Kraft seiner Arme. »Ich würde sagen, irgendwo weit im Inneren des Mondes.«

»Dann frage ich, was zum Teufel die Moroni hier unten suchen«, mischte sich Net ein, die das Gespräch mit angehört hatte.

Hartmann warf Kyle einen fragenden Blick zu. Der Megamann zuckte nur stumm mit den Achseln.

»Vielleicht wollten sie sich hier verkriechen«, vermutete Hartmann. »Ohne Transmitter ist diese Anlage wohl nicht zu erreichen, wenn sie wirklich im Inneren des Mondes liegt.« Irgendwo in der Anlage sprang mit einem dumpfen Geräusch ein großer Motor an. Hartmann sah auf und bemerkte, wie sich am Rand des Lichtkreises mehrere Moroni an einer gewaltigen, senkrecht in die Wand eingelassenen Platte zu schaffen machten.

»Ich komme in die Halle«, sagte Net über Funk. »Wo genau sind Sie jetzt?«

»Bleiben Sie, wo Sie sind«, warf Kyle ein, bevor Hartmann Gelegenheit zu einer Antwort fand. Unten in der Halle setzte sich ein zwanzig Meter hohes Schiebetor ächzend in Bewegung. »Hier geht irgend etwas vor, Net.«

»Ich bleibe nicht hier unten.«

»Kind, sei nicht so verflucht eigensinnig«, sagte Kyle. »Da unten sind gut dreihundert sehr aktive Moroni-Ameisen, die gerade ein großes Tor öffnen. Bleib, wo du bist, wir kommen dich holen.«

Net antwortete nicht.

»Bitte«, sagte Hartmann. »Net, mach keinen Unsinn. Wenn du hier hineinstolperst, dann sind wir alle tot.«

»Wie ihr wollt«, kam die undeutliche Antwort. »Das eine sage ich euch, wenn ihr mich hier unten zurücklaßt, dann drehe ich euch die Hälse um.«

Das Tor hatte sich inzwischen auf einer Breite von über dreißig Metern geöffnet.

»Wir treffen uns an der Oberfläche«, sagte Hartmann. »Hast du verstanden?« Ihre Bestätigung klang nicht gerade freundlich. »Net, bitte, mach, daß du hier wegkommst.« Der Motor schaltete sich ab, und das Schiebetor kam zum Stillstand. »Wir schalten jetzt ab«, sagte Hartmann und setzte das Funkgerät zu Boden. Nets unhöfliche Antwort wurde mitten im Satz abgeschnitten.

»Was geht da vor?« fragte er und zog das Zielgerät wieder hervor. Die Luft knisterte plötzlich vor statischer Entladung, und ein hoher, sirrender Ton bohrte sich in sein Trommelfell. Maschinen wurden aus dem Leerlaufbetrieb hochgefahren und setzten gewaltige Energien frei.

»Sie aktivieren den Transmitter«, sagte Kyle.

»Mein Gott.« Hartmann suchte die Halle ab. »Wo ist der verdammte Shait?«

»Er ist nicht hier«, sagte Kyle nach einer Pause. »Ich würde es spüren, so wie er mich spüren kann.«

»Ihr beide solltet es mal mit einem Bad versuchen«, meinte Hartmann und überdeckte seine sichtliche Erleichterung mit mißglücktem Humor.

Kyle richtete sich auf. »Sehen Sie«, sagte er. Die Luft im dreißig Meter messenden Ring des Transmitters waberte plötzlich, dann schien sie aufzureißen und öffnete sich zu einem Tor.

»Was ist, wenn er doch zu entkommen versucht?« fragte Hartmann.

»Wir könnten ihn kaum daran hindern«, antwortete Kyle.

»Aber wir haben nichts zu befürchten. Sie müssen eine irrsinnige Energiemenge aufwenden, nur um dieses Tor zu öffnen, und ich vermute, daß es nicht einmal besondere Reichweite haben wird. Sie sind noch immer vom Netz abgeschnitten, darauf wette ich.«

»Wozu dann das ganze Schauspiel.«

»Ein Test vielleicht«, sagte Kyle. »Es könnte eine Verbindung zur Oberfläche sein, und sie wollen etwas hinaufschaffen oder von dort holen.«

Hartmann nahm das Funkgerät und klappte die Abdeckung des Notsenders nach oben. »Ich habe eine Idee«, sagte er. »Helfen Sie mir mit diesem Regler, Kyle.«

»Was haben Sie vor?«

»Der Transmitter überträgt alles nach oben, richtig?« Hartmann versuchte, sich an einen der Funkzeichen-Codes zu erinnern, den er vor Jahren gelernt hatte. »Dann kann er auch Funksignale übertragen.«

»Das ist verrückt«, sagte Kyle ruhig.

Hartmann schüttelte den Kopf. »Wir haben keine andere Chance«, sagte er. »Falls wir es nicht schaffen, wissen Ihre Leute wenigstens, wo sie dieses Scheusal suchen müssen.«

»Der Sprechfunk reicht keine zweihundert Kilometer weit, mit oder ohne Transmitter. Sie brauchen einen richtigen Sender, Hartmann, nicht so ein Spielzeug.«

»Aus diesem Loch hier können wir niemanden erreichen, egal, mit welchem Sender, solange wir keinen Transmitter benutzen«, entgegnete Hartmann und deutete auf den großen Ring. Gewaltige Kräfte tobten innerhalb des Bogens aus silberfarbenem Metall und verformten die Leere zu immer seltsameren Farben und Formen. »Da unten ist einer, nicht wahr?«

Kyle hockte sich neben Hartmann, der gespannt auf die Kontrollen blickte.

»Wie schaltet man den Notsender ein?« fragte er. »Den Sender für die Peilung, meine ich.«

»Die Moroni werden uns sofort entdecken«, warnte Kyle. »Die Notfrequenzen werden sie überwachen, gleichgültig, wie knapp sie an Energie sein mögen.«

»Dafür haben sie eine viel größere Reichweite als der Sprechfunk«, sagte Hartmann. »Wir müssen es riskieren.« Er sah aufmerksam zu, wie Kyle zwei Kippschalter umlegte, die eher für Zangen als für Finger ausgelegt waren, und dann auf einen dritten Schalter deutete.

»Ich kann ihn schnell einschalten und wieder ausschalten, richtig?« Hartmann legte den Finger auf die Taste.

»Und weiter?« fragte Kyle neugierig.

»Ich werde das Notsignal regelmäßig unterbrechen, um auf diese Weise Funkzeichen zu setzen. Es gibt da verschiedene Code-Systeme. Ich denke, ich werde ein Space-Force-System verwenden. Vielleicht fängt irgendein Relais oder ein Schiff das Signal auf.«

Kyle bemühte sich nicht sonderlich, seine Zweifel zu verbergen. »An wen wollen Sie die Botschaft schicken?«

»Captain Laird«, meinte Hartmann nach kurzem Überlegen. »Wenn ihr Name nicht ausreicht, um jemanden mißtrauisch zu machen, dann weiß ich auch nicht weiter.« Er sah zum Ring hinüber. Das Tor hatte sich stabilisiert.

»Der Weg ist offen«, sagte Kyle. Triebwerksgeräusche drangen zu ihnen herüber. »Hinter dem Schiebetor liegt der Hangar, in dem wir vorhin gewesen sind«, fügte er hinzu. »Ich glaube, sie wollen diese vier Flugmaschinen an die Oberfläche schaffen. Beeilen Sie sich, Hartmann.«

Er schaltete den Notsender ein und hielt unwillkürlich den Atem an, als er auf einsetzende Alarmsirenen wartete. Nichts geschah. Hastig begann er, das Trägersignal immer wieder zu unterbrechen.

»Warnung ...« murmelte er halblaut, während er die Worte in Funkzeichen umsetzte. »Befinden uns dunkle Seite ... Blödsinn ... Mondrückseite in unbekannter Tiefe ... Moroni haben Material von der Rückseite ins Innere geschafft ...« Mit dröhnenden Antriebsmaschinen schob sich der erste der Kampfgleiter aus dem Hangar in die Transmitterhalle und näherte sich dem Transmitter. »Shait verfügt über intakten Sternentransmitter ...« Seine Finger waren aus der Übung, nicht mehr so flink wie früher, und der Schalter ließ sich nur mit viel Kraft betätigen. »Warnung an Charity Laird ...« wiederholte er den Beginn seiner Nachricht. Der erste Gleiter wurde vom Transmitter verschluckt. Inzwischen war der zweite Kampfgleiter in die Halle gelangt.

»Sie haben etwas gemerkt«, warnte Kyle von seinem Standort aus. Hartmann verzichtete auf eine Antwort, wiederholte die Botschaft noch einmal, die insgesamt nicht einmal eine Minute dauerte. Der dritte Gleiter näherte sich dem Transmitter, und die Moroni fingen an, in der Halle auszuschwärmen.

»Sie können nicht abschalten«, stieß er hervor, während er die dritte Wiederholung begann. »Der vierte Gleiter ist noch nicht ...«

Ein Laserschuß tastete in der Dunkelheit nach ihnen und ließ eine Reihe abgeschalteter Scheinwerfer an der Decke zerplatzen. Hartmann warf sich mit einem Fluch nach hinten zwischen die Trümmer und schaltete den Sender ab. Weitere Schüsse trafen die rauchenden Überreste der Raffinerie.

»Verschwinden wir«, rief er Kyle zu und deutete nach hinten, wo die von der Hitze verzogenen Überreste eines Laufstegs zu einem Loch in der Wand führten. Unter ihnen begannen die Moroni damit, die Gerüstteile zu erklimmen. Der vierte Kampfgleiter verharrte vor dem Tor und drehte sich zu ihnen herum.

»Um Himmels willen«, rief Hartmann und rannte los. Kyle sprang einfach in die leere Luft; in der schwachen Schwerkraft konnte man ebensowenig schnell fallen, wie man schnell laufen konnte. Hartmann zog sich von Strebe zu Strebe und beschleunigte so seine Bewegung.

Dann schlug die Lasersalve aus den Kanonen des Gleiters in das Wrack der Raffinerieanlage ein, und die Welt ging in einem brüllenden Orkan aus Flammen und flüssigem Stahl unter. Die Druckwelle fegte Hartmann einfach zwischen den Doppelträgern und Bodengittern hindurch, bis die rußbedeckte Felswand ihn stoppte.

Das Transmittertor veränderte seine Form. Maschinenteile waren plötzlich verschwunden, ohne eine Lücke zu hinterlassen, und die Überreste hafteten an Schnittflächen aneinander, die wie mit dem Lineal gezogen wirkten, so, als habe ein kindischer Gott einen Teil der Welt weggeklappt wie die Falte einer riesigen Tischdecke. Gleich darauf zerplatzte die verstümmelte Maschine in einer dumpfen Explosion, die keine Flammen, sondern nur Rauch erzeugte. Das Transmitterfeld streckte sich und erfaßte den Gleiter, der, um zwei Meter verkürzt, aus seiner Fluglage kippte. Dann schien er in sich zusammenzufallen wie eine implodierende Konservendose und wurde durchsichtig wie Glas. Im nächsten Moment war er verschwunden, und das Transmitterfeld brach mit einem ohrenbetäubenden Knall in sich zusammen.

»Scheiße«, brüllte Hartmann und rappelte sich auf. Er sah, wie Kyle sich aus den Trümmern befreite, zwischen die ihn die Druckwelle gepreßt hatte, und dabei dicke Stahlplatten auseinanderbrach. Die Moroni hatten ihn fast erreicht. »Hierher«, rief er und zog sich zu der Zugangstür in der Felswand heran. »Passen Sie auf.« Er tastete nach einer Waffe, aber seine Hand fand nur das nutzlose Funkgerät. »Kyle, unten ...«

Der Megakrieger hielt etwas in der Hand. Hartmann erkannte die Umhängetaschen mit dem Sprengstoff und den Handgranaten. Er wußte, was kommen würde.

»Nein«, brüllte er, so laut er konnte. »Nein, verdammt ...«

Der Jared ignorierte ihn. Während die Moroni-Krieger auf ihn zukletterten und dabei immer wieder Laserschüsse abgaben, nahm er eine Granate aus einem Beutel und warf sie hinab.

Die Handgranate bewegte sich langsam und gleichmäßig. Ohne die hilfreiche Beschleunigung durch eine ausreichend hohe Schwerkraft entfernte sie sich nur langsam. Sie explodierte auf halbem Wege zwischen Kyle und den Moroni. Die ausgebrannten Überreste des Raffinerieturms sackten gut zehn Meter ab, und Kyle wurde einfach mitgerissen.

Trotzdem machte der Jared ungerührt eine weitere Granate scharf. Irgendein Moroni-Krieger unten in der Halle schaltete einen Scheinwerfer an, und der Lichtkegel erfaßte Kyles Gestalt, die in dem unbarmherzig harten Licht kaum menschlich wirkte. Laserschüsse trafen ihn und rissen ihn nach hinten zwischen die Stahlstreben.

Hartmann konnte erkennen, wie der Regenerationsprozeß sofort einsetzte, langsamer als sonst und auf unheimliche Weise anders. Zwei Schüsse trafen den Fels über seinem Kopf, überschütteten Hartmann mit glühenden Basaltsplittern und zwangen ihn, sich in den Schacht zurückzuziehen.

Hinter ihm explodierte die Handgranate und löste eine Kette von unterschiedlich heftigen Detonationen aus, die Maschinenteile, Moroni-Krieger und Felsen in Stücke rissen. Hartmann sah nicht mehr, wie Kyles Körper mitsamt der Plattform, auf der er festgesessen hatte, zur Seite kippte und in den aufsteigenden Flammenwolken verschwand. Ein Teil der Decke löste sich, stürzte mit majestätischer Langsamkeit herab und begrub den brennenden Ort der Schlacht unter sich.

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