10


Niemand versuchte, sie an der Durchquerung des Hangars zu hindern. Die gesamte Anlage wirkte so, als wäre sie schon vor Jahren verlassen worden. Es gab keine Geräusche, abgesehen von ihren eigenen Schritten. Das gewaltige Schiebetor am anderen Ende war verschlossen und blockiert. Die Moroni hatten die Motoren zerstört.

»Wir müssen uns einen anderen Weg suchen«, sagte Charity.

»Dahinten ist eine Treppe«, meinte Harris, und Net stöhnte leise.

»Seid vorsichtig«, warnte Charity. »Sie könnten uns in einen Hinterhalt locken wollen.«

Die Treppe führte hinauf zur Decke und auf eine umlaufende Galerie aus Metallgittern, die mit einem wenig vertrauenerweckenden Geländer versehen waren.

Sie mußten hintereinander gehen, um zu einer Feuertür zu gelangen, die in dieselbe Richtung führte wie das blockierte Tor.

»Verschlossen«, sagte Skudder, als sie sich auf der Plattform vor der Tür drängten. Er entsicherte sein Gewehr und warf Charity einen Blick zu.

Charity nickte.

»Vermutlich wissen sie schon, daß wir hier sind«, sagte sie.

Die Geschosse zerfetzten das dünne Blech und das Schloß dahinter. Nach ein paar kräftigen Tritten ließ sich die Tür nach innen öffnen. Sie gelangten in einen Computerraum, der nur von ein paar eingeschalteten Bildschirmen beleuchtet wurde. Das Geräusch von Lüftern und Kühlmittelpumpen unterlegte jeden ihrer Schritte. Auf der anderen Seite einer gläsernen Trennwand standen mehrere große Datenbänke und Speichersäulen, und dahinter waren Fenster zu sehen, die auf die Halle mit dem Sternentransmitter hinausblickten. Stahlverblendungen bedeckten den größten Teil der Fensterfläche und schirmten sie gegen mögliche Wachen ab.

»Wir sind sicher«, sagte Dubois, die ihren Helm wieder aufgesetzt hatte. Die Hilfsdarstellungen in ihrem Sichtvisier überdeckten ihr Gesicht mit einem Gitter aus gelben Linien, in dem verschiedene phosphorgrüne Umrisse tanzten.

Charity ging zwischen den Pultreihen hindurch. Nach ein paar Schritten blieb sie plötzlich stehen.

»Stimmt was nicht?« fragte Skudder von der anderen Seite.

Charity ging weiter. Der Bildschirm neben ihr erlosch, und der nächste in der Reihe schaltete sich ein. Sie blieb stehen und ging versuchsweise einen Schritt zurück. Die Bildschirme wechselten sich ab. Überrascht ging sie weiter, blieb erneut stehen, als ihr das Bild von Monitor zu Monitor folgte.

»Mist«, sagte sie und betrachtete den Monitor. Ein Durcheinander von Schriftzeichen und Linien flimmerte darauf, gerann plötzlich zum nebelhaften Umriß einer menschenähnlichen Gestalt.

Skudder sprang über eine Pultreihe hinweg und blieb neben ihr stehen. Die anderen kamen langsam näher.

Der Bildschirm war inzwischen völlig schwarz, bis auf die aus weißen Linien gebildeten Konturen einer Gestalt, die einen schwachen Grünschimmer hatte.

Die Gestalt hob den Arm und winkte.

»Jemand will mit uns sprechen«, sagte Charity langsam. »Oder man erlaubt sich einen Scherz mit uns.«

Dubois drehte sich um die eigene Achse. Gewehr und Zielgerät beschrieben einen perfekten Kreis. »Hier ist niemand«, sagte sie.

»Da wäre ich mir nicht so sicher«, sagte Charity. In dem nicht völlig entspiegelten Monitor hatte ein weiterer grüner Schemen das Umrißbild überlagert und löste sich davon. Sie holte tief Luft und drehte sich um.

Hinter ihr stand oder schwebte eine unmöglich große und dürre Gestalt, die aus weißgrünem Licht zu bestehen schien. Wenn die Konturen ein menschliches Wesen darstellen sollten, dann mußte es sich um ein bemerkenswert hochgewachsenes und ausgezehrtes Exemplar handeln. Die Hand, die sich grüßend erhoben hatte, sank langsam wieder herab. Sie konnte die gegenüberliegende Pultreihe durch den schimmernden Körper hindurch erkennen.

»Verdammter Mist«, sagte Hartmann. »Ich habe das schon einmal gesehen.«

»Ich auch«, sagte Charity tonlos. Die Farbe des Schemens kippte in ein fahles Grau, zeigte dann zarte, pastellfarbene Schattierungen. Charity erahnte die durchscheinenden Gesichtszüge mehr, als daß sie sie erkannte, aber auf einmal glaubte sie zu wissen, welches der Gespenster ihrer Vergangenheit dort vor ihr stand. Das Gespenst verlor wieder seine Farbe. »Stark«, sagte sie. Skudder wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Das Gespenst neigte höflich den Kopf. Im nächsten Moment war es verschwunden.

ES IST SCHÖN, DASS SIE MICH WIEDERERKENNEN, stand in ruhigen weißen Buchstaben auf dem Bildschirm. Auf allen Bildschirmen.

»Wo bist du?« fragte sie und sah sich um. »Was ist passiert?«

DAS SIND SCHWIERIGE FRAGEN, antwortete der Bildschirm. Sie konnte nicht einmal sehen, wie die Zeilen gegeneinander ausgetauscht wurden.

»Ich dachte, du wärest tot«, brachte sie schwerfällig heraus. »Du und deine Leute.«

WER SAGT, DASS WIR ES NICHT SIND?

Skudder warf ihr einen Blick zu. »Unheimlich«, sagte er leise.

»Tote Leute reden nicht«, sagte Charity in die Dunkelheit hinein.

DIE MEISTEN VON UNS, schränkte der Computer ein.

»Sind die Telefongebühren zu hoch?«

IN GEWISSER HINSICHT, kam die ernsthafte Antwort. ES KOSTET SEHR VIEL MÜHE, DIE REALITÄT SO ZU VERÄNDERN, DASS MEINE WORTE EIN TEIL VON IHR WERDEN. ES IST SO, ALS WÜRDEN SIE EINE STRASSE BAUEN, INDEM SIE MIT EINEM BLEISTIFT EINE LINIE AUF EINER KARTE ZIEHEN.

Es ergab Sinn, auf eine verrückte Weise. »Deshalb bist du so leicht zu durchschauen«, sagte sie. »Oder gab es dich nur in unserer Einbildung?«

GEHIRNE SIND UNHANDLICH, erklärte der Bildschirm. ES IST EINFACHER, EIN PAAR ELEKTRONEN IN EINEM SPEICHERBAUSTEIN ZU VERSCHIEBEN. ICH ÜBERSCHREIBE NUR EIN PAAR BIT. DER COMPUTER ÜBERNIMMT DEN REST.

»Frechheit«, murmelte TACCOM 370/98. Der Würfel verhielt sich ungewöhnlich wortkarg seit seiner Trittbrettfahrt auf dem Schaufelbagger. Charity argwöhnte, daß er beleidigt war. Sie verlor langsam die Übersicht darüber, wer in ihrer Umgebung welche Rolle spielte, was wirkliche Bedeutung hatte und was nicht. »Der Transmitter hat euch verschluckt«, sagte sie zweifelnd.

DIESE ZUSAMMENFASSUNG IST SO GUT ODER SCHLECHT WIE JEDE ANDERE. Der Bildschirm wurde wieder dunkel. IM PRINZIP KÖNNEN WIR ÜBERALL SEIN, ABER ES IST SO ENTSETZLICH MÜHSAM.

»Was bist du?«

ICH BIN EIN SCHATTEN, EIN ECHO, EINE MÖGLICHKEIT. ICH BIN POTENTIAL. ICH BIN EINE RESONANZ. Der Bildschirm wurde sekundenlang dunkel. FÜR WIRKLICHE DINGE IST ES EINFACHER, DAS GEFÜGE, DAS IHR WIRKLICHKEIT NENNT, NACH IHREM BILD ZU VERFORMEN. WIRKLICHE DINGE EXISTIEREN EINFACH. BEFREIT MAN DIE STRUKTUR VON DER MATERIE, DANN ERHÄLT MAN REINE INFORMATION. Der Cursor blinkte kurz. INFORMATION KANN NICHT HANDELN. SIE EXISTIERT NUR.

»Du sprichst mit uns«, wandte Charity ein. Ihr fröstelte. »In gewisser Weise handelst du.«

DU ERINNERST DICH DARAN, DASS ICH GEHANDELT HABE. ERINNERUNGEN SIND ILLUSIONEN ÜBER EINEN TEIL DER WIRKLICHKEIT, DEN DAS BEWUSSTSEIN NICHT MEHR DIREKT ERREICHEN KANN. ES GIBT ANDERE ILLUSIONEN. ZEIT IST EINE DAVON. Sie hatte das vage Gefühl, ein amüsiertes Lachen zu hören. BEWUSSTSEIN IST EINE ANDERE.

»Das ist mir zu hoch«, sagte Harris, der mit Dubois auf einen anderen Monitor blickte. Sie hatten die Bombe auf dem Boden abgestellt, und Harris hockte darauf und stützte sich mit den Armen auf. Charity fragte sich, ob er dieselben Worte sah oder ob jeder von ihnen seinen eigenen Dialog erlebte, seine ganz private Vortäuschung eines Gespräches, das im eigentlichen Sinne niemals stattgefunden hatte.

STELLEN SIE SICH DAS TRANSMITTERNETZ WIE EINE HOCHENTWICKELTE U-BAHN VOR, erschien ein neuer Absatz auf dem dunklen Bildschirm. EIN SCHNELLBAHNSYSTEM DER GÖTTER. ES GIBT STILLGELEGTE STRECKEN DARIN, WENIG BEFAHRENE ABSCHNITTE UND HAUPTVERKEHRSSTRASSEN. ES GIBT MÜLLEIMER UND SACHEN, DIE DIE PASSAGIERE DARIN VERLOREN HABEN. HIN UND WIEDER ERREICHT MAN EINEN BAHNHOF. Die Zeichen verblaßten. ES GIBT RATTEN.

»Die Shait?«

NEIN, antwortete der Bildschirm geduldig. DIE SHAIT SIND NUR KÜNSTLICH ERZEUGTE KÖRPER, DIE ETWAS ANDERES ENTHALTEN. ES GEHÖRT SEHR VIEL WILLEN DAZU, SICH IN DER WIRKLICHKEIT EINE HÜLLE ZU ERZEUGEN. KEINER VON UNS KÖNNTE DAS. ABER ES IST MÖGLICH.

»Die Götter können es.«

RICHTIG, sagte der Computer knapp. DEN WESEN, DIE IHR IN ERMANGELUNG EINES BESSEREN NAMENS DIE SHAIT NENNT, GEHÖRT DAS NETZ. SIE SIND DAS NETZ, ODER ZUMINDEST EIN TEIL DAVON. UND ZUGLEICH SIND SIE EIN FREMDKÖRPER.

Ihr Unterbewußtsein stellte eine Verbindung zwischen ein paar Fakten her, die bisher keinen Sinn ergeben hatten.

»Gurk«, sagte sie.

BETRACHTE DAS NETZ IN SEINER GESAMTHEIT. BETRACHTE ES ALS EINE LEBENSFORM. ES HAT EINEN EIGENEN WILLEN. ES HAT EINEN ZWECK, UND MEHR NOCH, ES HAT EINE ABSICHT. NICHTS DAVON IST IN MENSCHLICHEN WORTEN ZU BESCHREIBEN.

»Was war Gurk wirklich?«

WAS IMMER ER ZU SEIN GLAUBTE. Wieder hörte sie das geisterhafte Echo eines Lachens, das nur in ihrem Gehirn existierte. JEDE LEBENSFORM HAT IHRE REPARATURMECHANISMEN, IHRE REFLEXE, WÄCHTER, IMMUNABWEHR.

»Es ist ein Bild«, sagte sie laut. »Bilder müssen in die Irre führen.«

DAS WESEN, DAS DU GURK NENNST, HATTE SEINEN ZWECK ERFÜLLT. DIE HÜLLE WURDE ZERSTÖRT. DIESER VORFALL HAT ERHEBLICHE UNRUHE AUSGELÖST. Der Bildschirm wurde gelöscht. SOZUSAGEN.

»Das ist gespenstisch«, sagte Charity. »Du sagst, in seinem Körper war so etwas wie ein Virusprogramm eingelagert, das ihn gegen seinen Willen in das Loch hineingezogen hat?«

WER WEISS SCHON, WAS ER WIRKLICH WILL.

»Und wenn er sich hätte widersetzen können?« fragte Skudder. »Hätten deine sogenannten Götter dann gar nicht bemerkt, daß jemand ein großes Loch in ihre Tunnel gemacht hat?«

WIE HÄTTE ER SEINER BESTIMMUNG ENTKOMMEN KÖNNEN?

Charity nickte grimmig. Ein dunkler Schatten glitt über ihr Gesicht. »Früher oder später mußte das Loch ihn erwischen«, erkannte sie. »Vermutlich wäre es sogar egal gewesen, ob die Moroni ihn vorher erschossen hätten. Wir haben vielleicht nur Glück gehabt, daß er etwas leichtsinnig war und es ihn früh genug erwischt hat, um uns noch eine Chance zu verschaffen.«

»Na großartig«, sagte Skudder.

»Versuch mal, den Hersteller zu verklagen«, antwortete Charity bissig. Sie richtete sich auf. »Wer hat uns hierhergeholt?« fragte sie laut.

ICH BIN NUR EINE RATTE, antwortete der Bildschirm, METAPHORISCH GESPROCHEN. ES GIBT VIELE VON UNS, UND SOLANGE WIR UNS UNAUFFÄLLIG VERHALTEN, WIRD MAN UNS IN RUHE LASSEN.

Die gesamte Familie war auf der Flucht aus der Orbitstadt umgekommen, erinnerte sie sich. »Es tut mir leid«, sagte Charity.

DIESES UNIVERSUM IST NICHT IHRE IDEE GEWESEN, versetzte ihr Gesprächspartner ruhig. Die Schrift verschwand abrupt. ICH HABE SIE NICHT GERUFEN, CAPTAIN LAIRD. STELLEN SIE SICH DAS LOCH ALS EINEN WASSEREINBRUCH IN DIE TUNNEL VOR. EIN TEIL DES STRECKENNETZES IST VOM NETZ ABGESCHNITTEN WORDEN. DAS NETZ IST, AUF SEINE WEISE, EMPFINDLICH. ES KANN NICHT ZUVIEL WIRKLICHKEIT AUF EINMAL VERKRAFTEN, ODER SAGEN WIR, ZUVIEL MATERIE OHNE STRUKTUR.

»Die Bautrupps sind bereits unterwegs«, vermutete sie.

UND SIE SIND DABEI, SICH EINIGE HÄNDE ZU LEIHEN. Stark lachte irgendwo in ihrem Kopf. ICH VERMUTE, DASS MAN SIE DESHALB HERBESTELLT HAT, CAPTAIN LAIRD.

»Wie soll das vor sich gehen?«

DIE MORONI-BOMBE HAT EINE SCHOCKWELLE IM NETZ ERZEUGT. SAGEN WIR, DAS GEWEBE DER RAUMZEIT WURDE DABEI BIS AN DIE ZERREISSGRENZE GESPANNT.

»Woher haben Sie das?«

ICH HABE ES MIR ERKLÄREN LASSEN, spottete der Bildschirm. DAS LOCH IST EINE DER STELLEN, AN DENEN DAS GEWEBE GERISSEN IST. ES HAT ZAHLREICHE MIKROSKOPISCHE RISSE GEGEBEN UND EIN PAAR GRÖSSERE LÖCHER ZU VERSCHIEDENEN ZEITPUNKTEN, ABER DIE RAUMZEIT VERFÜGT IN BEGRENZTEM UMFANG DURCHAUS ÜBER MÖGLICHKEITEN, SICH SELBST WIEDER IN EINEN STABILEREN ZUSTAND ZU VERSETZEN. DAS LOCH AM POL IST WEIT ÜBER DIESE REGENERATIONSFÄHIGKEITEN HINAUS GEWACHSEN.

»Die Jared hoffen, daß sie es schließen können«, sagte Charity. »Sie haben Angst vor den Rückstaus der Explosion.«

ZU RECHT. ICH SOLL IHNEN AUSRICHTEN, DASS DIE EINZIGE CHANCE, DAS LOCH AM POL ZU SCHLIESSEN, DARIN BESTEHT, DIE RÜCKLAUFENDEN SCHOCKWELLEN AN EINER ANDEREN STELLE AUS DEM NETZ ABFLIESSEN ZU LASSEN.

»Der Sternentransmitter«, begriff Skudder. »Das sind ja herrliche Aussichten.«

DIE SCHOCKWELLEN WERDEN DIESEN TEIL DES NETZES WIEDER MIT DEM GALAKTISCHEN NETZWERK VERBINDEN. IHR FEIND HOFFT DARAUF, SICH INNERHALB DER KURZEN ZEITSPANNE ZWISCHEN DER ÖFFNUNG DES WEGES UND DER VERNICHTUNG DIESES SONNENSYSTEMS DURCH DAS SICH WEITER ÖFFNENDE LOCH DEM EIGENEN UNTERGANG ENTZIEHEN ZU KÖNNEN.

»Kyle hat gesagt, wir dürften den Shait unter keinen Umständen entkommen lassen«, sagte Hartmann.

»Das ist richtig«, sagte Dubois.

BEACHTEN SIE DIE SYMMETRIE, CAPTAIN LAIRD. SO, WIE DAS LOCH AM POL DIE VERNICHTENDE WUCHT DES RÜCKSTAUS AUFFANGEN WIRD, BEVOR SIE DEN MOND ERREICHEN KANN, SO KANN DER STERNENTRANSMITTER DIE SCHOCKWELLE AUF SICH ZIEHEN UND DEN JARED GELEGENHEIT GEBEN, DAS LOCH ZU VERSCHLIESSEN.

»Das habt ihr gewußt«, stellte Charity fest und sah Dubois fest in die Augen.

»Selbstverständlich«, sagte die Frau ruhig. »Es ist unsere einzige Chance.«

»Wie seid ihr darauf gekommen?«

»Die Botschaft hat uns darauf gebracht. Nachdem wir wußten, wonach wir suchen mußten, fanden wir in den Moroni-Computern alle Informationen, die wir benötigten. Wir wußten, es mußte einen zweiten Sternentransmitter geben. Wir wußten sogar, wo wir ihn suchen mußten. Wir mußten nur noch seinen genauen Standort bestimmen und ihn in unsere Gewalt bekommen.«

»Und jemanden finden, der für euch die Kastanien aus dem Feuer holt«, versetzte sie bitter.

»Es ist, wie ich sagte«, erklärte Dubois sanft. »Wir können nicht lange Zeit abgetrennt von unserer Gemeinschaft existieren, ohne uns zu verändern. Eine Jared-Ameise könnte innerhalb weniger Stunden in einen Zustand gelangen, der sich in unseren Augen nicht von Wahnsinn unterscheidet. Bei Menschen ist es nur wenig anders. Sie würden leben und auf gewisse Weise sinnvoll handeln können, aber wie sollten wir uns jemals auf sie verlassen können? Ihre Verhaltensweisen könnten einfach unberechenbar sein, und je mehr von ihnen von der Gemeinschaft isoliert werden, desto unvorhersehbarer würde ihre Handlungsweise.«

»Ich wollte schon immer wissen, ob ein Kollektiv schizophren werden kann«, sagte Harris nachdenklich.

Nun, es kann sich zumindest selbst belügen, dachte Charity mit einem Seitenblick auf den Soldaten. »Kyle und Leßter haben sich ziemlich vernünftig verhalten«, sagte sie, von ihren eigenen Worten nicht ganz überzeugt.

»Sie waren für diesen Zweck geschaffen worden«, sagte Dubois. »Und sie waren allein. Es ist eine Frage der Wechselwirkungen. Zuwenig oder zuviel davon ist unbequem, aber nicht gefährlich. Dazwischen ...« Sie zuckte die Achseln.

Das ist die Barriere, die den Sprung hinauszögert, erkannte Charity. »Was ist mit Ihnen?« fragte sie.

»Ich bin kein Jared«, antwortete Dubois. »Nicht wirklich. Ich bin dafür geschaffen worden, an ihrer Stelle zu gehen. Und man hat mir das Wissen um meine Bestimmung belassen. Es war einfacher so.«

Harris’ Gesicht wirkte, als wäre es aus Marmor gemacht. Charity beschloß, daß es Zeit für einen Themenwechsel war. »Stark?«

ÖFFNEN SIE DEN STERNENTRANSMITTER, BEVOR DIE SCHOCKWELLE EINTRIFFT.

»Wie?«

WIE HABEN SIE ES DENN BEIM LETZTEN MAL GEMACHT?

»Das ist wieder typisch«, sagte Skudder. »Eine Bombe als Lösung für alle Probleme. Großartig. Warum fällt eigentlich nie jemandem etwas anderes ein?«

»Also, für mich ist das okay«, sagte Harris, und klopfte mit den Hacken gegen den Bombencontainer.

Skudder machte ein verächtliches Geräusch.

»Sehen Sie es mal so«, sagte Harris ernsthaft, »wenn wir dieses verdammte Ding die ganze Zeit umsonst mit uns herumgeschleppt hätten, dann müßten wir uns ziemlich bescheuert vorkommen.«

»Vielleicht ist dein kleiner Liebling ein erstklassiger Blindgänger«, sagte Skudder wütend. »Was machen wir, wenn es nicht funktioniert, aus welchem Grund auch immer?« Skudder deutete über die Schulter. »Das ist ein ziemlich großer Transmitter. Vielleicht sind ein paar Megatonnen nicht genug.«

»Sie werden genügen«, meinte Charity und musterte Dubois. »Es ist bestimmt das richtige Kaliber, nicht wahr?«

Dubois nickte stumm.

»Zündelektronik und Funkanlage sind nicht mehr in Ordnung«, warf Harris kleinlaut ein. »Die Bedienungselemente haben etwas abbekommen, als wir in MacDonalds waren.«

»Dann können wir von Hand zünden«, sagte Dubois ungerührt.

»Großartig«, wiederholte Skudder und versetzte dem Bombenbehälter einen Tritt, der ihn fast den Bodenkontakt verlieren ließ.

Charity sah nach oben. Es war seltsam, mit jemandem zu reden, der anscheinend überall um sie herum war. »Wieviel Zeit haben wir noch?«

Wieder kratzte das geisterhafte Lachen unter ihrer Schädeldecke. SIE SOLLTEN SICH BEEILEN.

»Noch etwas?«

ICH WILL SIE WARNEN, kam die weiß leuchtende Antwort. AUF DIESER SEITE DER WIRKLICHKEIT IST EINE GEWISSE SORGLOSIGKEIT GEGENÜBER WERKZEUG AN DER TAGESORDNUNG.

»Ich habe verstanden«, sagte Charity grimmig.

VERSUCHEN SIE, NICHT ZU SEHR DARÜBER NACHZUDENKEN, sagte der Bildschirm noch, dann erlosch das Bild endgültig. Sie warteten noch eine Weile, bevor sie es wagten, den Blick von den Pulten zu lösen.

»Was meint er damit?« fragte Skudder.

Charity grinste freudlos. »Daß wir vielleicht keine Zeit zum Davonlaufen haben werden«, sagte sie.

Die Transmitterhalle sah aus, als hätte ein Wirbelsturm von einem Ende bis zum anderen das Unterste nach oben gekehrt. Der Boden war bedeckt mit Scherben, Felstrümmern und den Überresten von Maschinen. In drei tieferliegenden Abschnitten war der Boden eingebrochen, und Lava kochte und dampfte zwischen den schwarzen Hülsen ausgebrannter Maschinen, die langsam in dem verflüssigten Basalt versanken, ohne selbst zu schmelzen. Ein Dutzend Scheinwerfer umgab den Sternentransmitter und leuchtete die unmittelbare Umgebung aus. Der Ring ragte unbeschädigt und in vollkommener Perfektion über seinem ramponierten Podest in die Höhe, und das silberfarbene Metall schimmerte, als wäre es mit einem schmutzabweisenden Lack beschichtet worden. Innerhalb des Ringes waberte das Übertragungsfeld und streckte sich immer wieder in die Luft hinaus. Es sah aus, als würde die Luft zu kochen beginnen. Nach ein paar Sekunden war der Spuk vorbei, und das Feld beruhigte sich wieder. Ein paar Fahrzeuge standen auf Rampen, die sich unsicher über die Bodeneinbrüche spannten. Der hintere Teil der Halle lag in Dunkelheit, aber im Infrarot konnten sie die Umrisse von Hunderten von Moroni sehen, die fieberhaft daran arbeiteten, die intakt gebliebenen Maschinen wieder an dicke Kabelbündel anzuschließen, die bis zum Transmitter führten.

»Nicht übel«, sagte Charity anerkennend zu Hartmann. »Sie haben ganze Arbeit geleistet.«

Er schüttelte den Kopf. »Das waren wir nicht«, sagte er nachdrücklich. »Was ist hier bloß passiert.«

»Sieht aus, als hätte jemand die Halle ergriffen und kräftig durchgeknetet«, meinte Skudder und deutete nach vorn. »Da vorne sieht die Decke aus, als würden zwanzig Meter fehlen.«

»Herausgebrochen?« fragte Charity und versuchte, etwas zu erkennen.

»Nein«, sagte Skudder verwirrt. »Sieht eher so aus, als wären sie einfach herausgeschnitten worden.«

Sie sah, was er meinte. Das Deckengewölbe hatte einen scharfen Knick, und ein paar Kabel und Rohre, die unter der Decke verliefen, verschwanden glatt im Fels. Nicht weit entfernt klaffte eine offene Lücke, so, als habe man mit einem unglaublich scharfen Messer zehn Meter Fels und Metall abgeschnitten und entfernt.

»Der Transmitter sieht wirklich nicht so aus, als wenn sie ihn unter Kontrolle hätten.«

Dubois robbte näher heran. Sie lagen nebeneinander auf einem Laufgang, der mindestens drei Stockwerke über dem Boden in der Luft hing. Die angeschlagene Konstruktion wirkte, als würde sie jeden Moment zusammenbrechen.

»Der Shait muß verrückt sein, es überhaupt zu versuchen«, sagte sie.

»Ihm sind die Alternativen ausgegangen«, antwortete Charity ohne echten Triumph. Die Verwüstungen waren niederschmetternd. »Seht mal, es geht wieder los.«

Das Transmitter-Kraftfeld wölbte sich einen halben Meter weit in den Raum hinaus. Die Halle bebte merklich, und ein paar Randstücke aus den Felsbassins lösten sich und versanken in der dampfenden Lava. Ein grüner Schimmer legte sich über die schattenhafte Trümmerlandschaft, dann zerplatzte das Feld wie eine Blase. Der Ring war sekundenlang leer, bevor sich das Kraftfeld knisternd wieder aufbaute, glatt wie ein Spiegel.

»Sie können es nicht stabilisieren«, sagte Dubois. »Zu viele Störungen.«

»Die ersten Ausläufer des Rückstaus«, sagte Charity. »Nun, sie waren stark genug, die ganze Halle in Schutt und Asche zu legen.«

»Wir sollten besser nicht warten, bis eine heftigere Schockwelle eintrifft«, sagte Hartmann besorgt.

»Das habe ich nicht vor«, sagte Charity. Sie dachte nach. »Hartmann, können Sie mit einem Moroni-Gleiter umgehen?«

»Ich komme zurecht«, antwortete er.

Sie deutete mit dem Daumen über die Schulter. »Net, begleite ihn. Nehmt einen der Kampfgleiter aus dem Hangar und macht ihn startklar. Sobald ich euch rufe, schießt ihr das große Tor in Fetzen, und zwei Minuten danach startet ihr. Kapiert?«

»Die Rampe hinauf?« fragte Net.

»Genau«, sagte Charity. »Wir schießen uns den Weg frei und versuchen, den Transmitter zu erreichen, der zur Mondoberfläche führt. Vielleicht reißt uns die Schockwelle einen Weg auf, oder unser unbekannter Gönner hilft uns wieder aus diesem Schlamassel heraus.«

»Zwei Minuten«, wiederholte Hartmann nachdenklich. »Das gibt euch nicht viel Zeit, aus der Halle herauszukommen.«

»Das ist unser Problem«, versetzte sie. »Hören Sie irgendwelche Einwände?«

Skudder wirkte nicht besonders begeistert. Ihre Worte schienen nicht zu Harris durchzudringen, und falls Dubois Angst vor dem Tod hatte, dann behielt sie es für sich.

»Verschwinden wir«, sagte Net pragmatisch und faßte Hartmanns Hand. Der Soldat nickte widerstrebend, dann folgte er der Wastelanderin in die Computerzentrale.

»370/98«, sagte Charity gedehnt, als die beiden verschwunden waren.

»Was würden Sie ohne mich machen«, bemerkte der Würfel ahnungsvoll.

»Das frage ich mich gerade auch«, sagte sie.

»Oh, oh«, machte der Würfel. »Ich vermute, jetzt kommt etwas sehr Unerfreuliches auf mich zu.«

»Tut mir aufrichtig leid«, log Charity ungerührt. »Da unten ist der letzte Abschnitt der Transportbänder zu sehen. Sie führen bis unmittelbar vor das Podest des Sternentransmitters.«

»Wie praktisch«, versetzte 370/98 ahnungsvoll. »Und weiter?«

»Sie haben sie wieder in Betrieb genommen«, warf Skudder ein. »Muß gerade erst passiert sein.«

»Sehr zuvorkommend«, sagte Charity. »Sie versuchen, die Löcher in den Fundamenten mit Schutt aufzufüllen. Und öffnen uns damit einen Weg direkt in die Halle hinein.«

»Und weiter?« fragte der Würfel wieder.

»Ich vermute, daß wir die Bombe in dem Moment zünden müssen, wenn der Transmitter weit geöffnet ist«, sagte sie. »Das bedeutet, wenn eine ausreichend heftige Schockwelle das Übertragungsfeld außer Kontrolle bringt.«

»Keine einfache Sache«, sagte der Würfel mißmutig.

»Ganz und gar nicht«, sagte Charity und warf einen Blick auf das Kameraauge an der Frontseite. »Wir brauchen einen intelligenten Zünder.«

»Ich kann Sie vermutlich nicht davon überzeugen, mich aus dem Spiel zu lassen«, vermutete der Würfel. »Sie könnten die Bombe selbst zünden. Sie sind mindestens so sorgfältig und zuverlässig wie ich, Captain.«

»Danke für die Blumen«, sagte sie ernsthaft. »Ich befürchte nur, menschliche Reflexe sind einfach zu langsam. Die Schockwellen sind anscheinend sehr unterschiedlich, und es besteht die Gefahr, daß das Feld zusammenbricht, bevor ich die Explosion auslösen konnte, oder daß der Transmitter mich mitsamt der Bombe einfach verschluckt.«

»Sie haben zu wenig Selbstvertrauen«, erwiderte TACCOM 370/98 ohne Überzeugung.

»Sonst noch irgendwelche Argumente?«

»Ich will nicht.«

»Tut mir leid«, sagte Charity noch einmal. »370/98, wir haben keine Zeit für Diskussionen.«

»Was wollen Sie machen?« erkundigte sich der Würfel neugierig. »Ein Disziplinarverfahren einleiten? Mich vor ein Kriegsgericht stellen?«

Skudder beugte sich zu ihr herüber. »Hör bitte mit dem Unfug auf«, sagte er.

»Na schön«, sagte Charity. »Das werden wir ja sehen.«

»Was haben Sie vor?« fragte 370/98 argwöhnisch.

Sie grinste in seine Kamera. »Ganz egal, wer die Bombe zündet, du wirst auf jeden Fall in der Nähe sein«, sagte sie. »Harris, Dubois, nehmen Sie die verdammte Bombe. Wir müssen irgendwie zurück zu den Transportbändern. Von hier oben kommen wir nie unbemerkt in die Halle hinunter.«

»Wir könnten es trotzdem von hier aus tun«, sagte Skudder ruhig. Charity sah ihn an. Er meinte es ernst, und es sah so aus, als wenn er gründlich darüber nachgedacht hätte.

»Kommt nicht in Frage«, sagte sie. »Ich will wenigstens ein paar von uns mit heiler Haut hier herausbringen.«

Die Transportbänder waren noch immer in Bewegung, als sie durch eine Seitentür in den Tunnel gelangten. In unregelmäßigen Abständen wurde eines der Bänder für eine gewisse Zeit angehalten, vermutlich, damit die Moroni-Ameisen Gelegenheit hatten, das Ende des Bandes an eine andere Stelle umzudirigieren.

Harris hatte die Verkleidung der Bombe geöffnet und untersuchte die Bedienungselemente. »Die Funkanlage ist hinüber«, sagte er. »Nichts mehr zu machen, TACCOM.«

»Die Unterstellung, daß ich ...« begann der Würfel.

»Ausgabe unterbrechen«, befahl Charity knapp.

»Ich denke gar nicht daran«, versetzte der Computer widerborstig. »Ich bin Regierungseigentum und repräsentiere einen Wert von mehreren Millionen Währungseinheiten, inflationsbereinigt und bezogen auf die Kurslage vor der Invasion. In der gegenwärtigen Marktsituation dürfte sich mein Wert inzwischen vervielfacht haben.«

»Schick mir die Rechnung«, meinte Skudder müde.

»Wußten Sie eigentlich, daß mich eine Regierung aus rechtlichen Gründen nicht versichern kann?« erkundigte sich der Würfel hartnäckig.

»Die Anschlüsse für externe Kontrolle sind intakt«, meldete Harris, nachdem der Selbsttest der Bombe abgeschlossen war. »Ich könnte ihn sofort anschließen.«

Skudder und Charity wechselten einen besorgten Blick.

»Tun Sie es«, entschied Charity. »Dieser elektronische Feigling wird uns schon nicht vor der Zeit in die Luft jagen.«

»Feigling?« empörte sich der Würfel.

Charity löste den Helm aus der Halterung und setzte ihn auf, ließ das Visier aber offen. Sie nahm das Gewehr von der Schulter, schloß es an ihren Anzug an und entsicherte es. Skudder und Dubois taten es ihr nach.

»Wenn ich mit einem Gewehr herumlaufen könnte, würde ich mich auch sehr stark fühlen«, spottete TAC-COM 370/98.

»Du hast sogar eine eigene Bombe«, versetzte Harris und stand auf. Ein Kabel verband den Würfel mit den Bedienungselementen der Bombe, und Harris hatte ihn mit zwei Streben provisorisch an der Bombenhülle befestigt. »Wir sind soweit.«

»Sie verstoßen gegen Paragraph 69 und 73 der Dienstvorschriften bezüglich Einsatz datenverarbeitender Geräte ...« begann der Würfel von neuem. Dubois und Harris hoben ihn mitsamt der Bombe auf das stillstehende Förderband vor ihnen.

»Verteilt euch«, sagte Charity. »Kein Sprechfunk, und nicht schießen, solange es nicht unbedingt notwendig ist. Ich bleibe bei der Bombe.«

»Toll«, sagte der Würfel lustlos.

Das Förderband setzte sich in Bewegung, gerade als Skudder und sie auf den Schutt hinaufgeklettert waren.

»Sie werden nicht lange brauchen, bis sie uns bemerken«, sagte Skudder skeptisch.

»Die Moroni haben genug Probleme«, antwortete sie mit mehr Zuversicht, als sie empfand. »Wir müssen unser kleines Ei hier nur nah genug an den Transmitter heranbringen und gleichzeitig genug Feuerzauber veranstalten, damit sie es nicht bemerken. Das ist nicht mehr als ein zweitklassiger Taschenspielertrick.«

»Und dann brauchen wir nur noch genug Zeit, um wieder aus der Halle herauszukommen«, fügte Skudder hinzu.

»Der größte Teil der Atomexplosion wird in den Transmitter hineingehen.«

»Klingt ganz einfach. Warum habe ich nur so ein mulmiges Gefühl in der Magengrube.«

»Das kann ich Ihnen sagen«, mischte sich der Würfel ein.

Sie verzogen beide das Gesicht.

»Willst du dich auf ihn verlassen?« fragte Skudder.

Charity hob die Schultern. »Wir haben kaum eine Wahl«, sagte sie. »Notfalls bin ich auch noch da.«

Er sagte kein Wort, sah sie nur an. Es tat ihr weh.

»Ich bin nicht scharf darauf, mich umzubringen«, verteidigte Charity sich heftig. »So, wie die Dinge liegen, haben wir nicht allzu viele Wahlmöglichkeiten.«

»Ich bleibe bei dir«, sagte Skudder.

»Den Teufel wirst du tun«, sagte sie grimmig.

Er sah sie unverwandt an. Anscheinend war er ziemlich wütend. Sie seufzte.

»Ich habe gewußt, daß es so kommen würde«, sagte sie ergeben. »Na schön, du Idiot.«

Skudder grinste.

Du wirst dich wundern, dachte sie bei sich.

Der Tunnel verengte sich zu einem Durchgangsstollen, und die Decke kam plötzlich immer dichter heran. Sie duckten sich zwischen den Schutt, während das Transportband sie in die Dunkelheit trug.

»Haltet um Himmels willen die Funkstille ein«, sagte sie noch, bevor sie ihr Funkgerät abschaltete. Hinter ihr duckten sich Harris und Dubois und verschlossen hastig ihre Helme. Es wurde stockfinster, und Charity wagte es nicht, sich aufzurichten, um auf Infrarotsicht umzuschalten. Sekundenlang dachte sie, die Decke würde sie erfassen und vom Förderband reißen, dann stießen sie durch undurchsichtige Plastikschürzen in die Halle hinein, mitten zwischen die Moroni.

Sie sah sich hastig um und verriegelte das Visier, dann beugte sie den Helm zu Skudder hinüber. »Nicht schießen«, sagte sie durch das Glas. »Die Sache wird noch früh genug aus den Fugen geraten.«

Der Indianer nickte ergeben. Sie löste ein Kabel aus ihrem Helmkragen und stöpselte sich bei dem Würfel ein, der unmittelbar vor ihr lag.

»Richte deine Sensoren auf den Transmitter«, sagte sie über den Kabelkanal.

»Warum flüstern Sie?« erkundigte sich der Würfel neugierig.

»Mach schon«, sagte sie. Im Ring wogte ein Fleck aus schillernder Leere, breitete sich aus und glättete sich wieder. Das Bild erinnerte Charity an einen Teich, in den jemand einen Stein hineingeworfen hatte. Ein deutlicher Luftzug führte zum aufragenden Podest. Von oben hatte der Ring wie ein zu groß geratenes Spielzeug gewirkt, aber nun, während sie auf dem Bauch lag, wirkte er wie ein majestätisches Denkmal, wie eine machtvolle Darstellung, eine Abstraktion, eine Versinnbildlichung mathematischer Beschreibung und physikalischer Gesetzmäßigkeit, die alles andere in der Felsenhalle zur Bedeutungslosigkeit schrumpfen ließ.

»Wenn jetzt eine Schockwelle kommt, sind wir geliefert«, sagte Skudder durch das Visierglas.

Charity blickte sich vorsichtig um. Inzwischen waren sie nur noch hundert Meter vom Ende des Transportbandes und vielleicht hundertfünfzig Meter vom Transmitterpodest entfernt, und das Band beförderte sie mit einer Geschwindigkeit von etwa einem Meter pro Sekunde näher heran. Bis jetzt hatte sie keiner der mindestens dreihundert Moroni bemerkt, die mit verwirrender Geschwindigkeit die Schäden an der Transmitteranlage ausbesserten.

»Irgendwelche Vorschläge, 370/98?« fragte sie.

Die Antwort war eine Beleidigung des guten Geschmacks und keinesfalls druckreif.

»Ich werde dir deine Schaltkreise rösten«, drohte sie. »Was ist mit dem Transmitter?«

»Das Übertragungsfeld ist nicht stabil«, verkündete der Würfel.

»Ach«, machte Skudder.

»Na gut«, sagte der Computer. »Wie ist es damit: Die Zahl der Störungen steigt ständig, und sie kommen in immer kürzeren Abständen.«

Skudder verdrehte die Augen.

»Prognose?« fragte Charity.

»Wir werden bis zum Hals in der Scheiße sitzen«, kam die lapidare Antwort.

»Erstklassige Benutzeroberfläche«, kommentierte sie. Das Band trug sie an vier Moroni vorbei, die unmittelbar neben der Transportstrecke standen.

Sie blieben unbemerkt. Charity atmete auf. »Wieviel Zeit haben wir noch, bis die Störungen zu stark werden?«

»Drei Minuten«, sagte der Würfel überzeugt.

Ein Scheinwerfer streifte sie, als er von einer Ameise auf einen anderen Teil der Baustelle gerichtet wurde. Charity konnte nicht glauben, daß man sie noch immer nicht entdeckt hatte. Sie lagen wie auf dem Präsentierteller. Anscheinend trafen Hartmanns Behauptungen über die Dummheit dieses armseligen Haufens Moroni-Sklaven zu. Die einzelnen Insekten zeigten in etwa soviel Initiative wie ein elektronischer Türöffner.

Dann ruckte das Transportband heftig nach vorn und hielt mitten in der Halle an.

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