9


Der riesige Bagger setzte sich genau in dem Moment in Bewegung, in dem sie es endlich geschafft hatte, die Energiespeicher hochzufahren. Die Schaufelräder beschrieben einen eleganten Bogen und zermalmten die Frontseite einer Wartungshalle.

»O nein«, hörte sie Skudders entsetzten Ausruf über Funk. Verbissen kämpfte sie mit der Steuerung. Es war doch keine gute Idee gewesen, sich von hinten durch die Startanweisungen zu arbeiten, gestand sie sich widerwillig ein. Die Raupenketten drehten sich gleichmäßig und überrollten zwei tiefliegende Transportbänder, die an der Halle vorbeiführten. Dann rammte der Bagger die Kante der Wartungshalle und riß die gesamte Front ein.

Skudder und Harris stürmten in die Zentrale. »Halt das verdammte Ding an«, rief Skudder.

»Keine Chance«, sagte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch. »Ich habe eine halbe Stunde gebraucht, um es zu starten.« Die Steuerzentrale schwankte heftig, als die vordere Hälfte des Baggers irgendeine tonnenschwere Planierraupe überrollte.

»Du wechselst die Fahrzeuge häufiger als das Hemd«, sagte Skudder vorwurfsvoll und suchte Halt. Ein Baukran vor ihnen schlug der Länge nach in den Mondstaub.

»Ist an meiner Hygiene irgend etwas auszusetzen?« erkundigte sich Charity scherzhaft. Es gelang ihr, den Bagger zu einem weiteren Kurswechsel zu bewegen.

»Das ist die richtige Richtung«, meldete sich Dubois hinter ihnen. »Die Schleusen liegen direkt vor uns.«

Das mächtige, dreifach untergliederte Fahrzeug kam langsam zur Ruhe. Irgendwo fünfzehn Meter unter ihnen begann ein Motor metallisch klopfende Geräusche von sich zu geben. Charity runzelte besorgt die Stirn.

»Eine der Raupenketten ist kaputt«, vermutete Harris.

»Nun, macht nichts«, spottete Skudder. »Wir haben noch sieben andere, das reicht noch für ein paar Kilometer.«

Der Bagger schob sich langsam weiter, und die intakten Raupenketten zermalmten Felsen zu Mondstaub und verpreßten Staub zu einer dichten, gipsartigen Masse, die ihren Weg markierte. Die Höchstgeschwindigkeit betrug imposante zehn Kilometer pro Stunde. Es war nicht nötig, den Kurs zu ändern, um Hindernissen auszuweichen. Fahrzeuge dieser Art kannten keine Hindernisse. Nach ein paar Minuten breitete sich stumme Langeweile aus.

»In achtzig Stunden durch den Mond«, sagte Charity in das drückende Schweigen hinein. Anscheinend verstand niemand den Witz. Sie seufzte leise.

Skudder starrte nachdenklich in die Dunkelheit hinaus und versuchte, die Ausmaße der Blase zu erkennen. »Wie haben die das bloß angefangen?«

»Mit einer großen Bombe, denke ich«, antwortete sie geistesabwesend.

»Gigatonne, ich weiß.« Skudder lachte, und sie fiel nach einer kurzen Verzögerung mit ein. »Ein Bohrloch von eintausend Kilometern Tiefe?«

»Wohl kaum«, sagte sie. »Müßte ein ziemlich großes Bohrloch sein, für einen Transmitter wie den, durch den wir gekommen sind.«

»Sie könnten das ganze Material auch mit einem Transmitter hier herausgeschafft haben«, fügte Skudder hinzu.

Charity nickte. »Bleibt immer noch die Frage, wie der Transmitter hier heruntergekommen ist.«

»Muß ein Transmitter eine Empfangsstation haben?« fragte Skudder nach einer Weile.

»Davon gehe ich aus«, sagte Charity. »Wenn nicht ...«

Skudder nickte. »Die Möglichkeiten sind beachtlich, nicht wahr?«

»Beängstigend«, sagte Charity.

Harris räusperte sich. »Vielleicht, wenn man genug Energie hineinsteckt ... könnte man das Übertragungsfeld in einiger Entfernung vom Ring erzeugen.«

»Oder eine rosa Schleife hineinschlingen«, Charity schüttelte ungehalten den Kopf.

»Vielleicht befinden wir uns in einer Art Tasche, die in den normalen Raum zurückfällt, wenn die hineingesteckte Energie verbraucht ist«, spekulierte der Soldat weiter, ohne auf ihren Tonfall zu achten.

»Das ist alles dummes Zeug«, erwiderte Charity heftig. »Keiner von uns hat wirklich auch nur eine Ahnung, was die Moroni mit einem Transmitter alles anstellen können, wenn man sie läßt.«

»Aber irgendwie haben sie es gemacht«, beharrte Harris.

Charity spürte, wie die Wut in ihr aufstieg. »Harris, verdammt, ich bekomme einen Knoten im Hirn von diesem schwachsinnigen Gerede. Halten Sie endlich Ihren Mund.«

Es war plötzlich sehr still in der Steuerzentrale. Harris stand auf und ging nach draußen auf die Plattform. Skudder nickte Dubois zu, und sie folgte Harris ohne Kommentar. Charity wartete, auf sich selbst nicht weniger wütend als auf ihre Begleiter.

»Langsam begreife ich, warum du nicht mehr verheiratet bist«, sagte Skudder schließlich.

Ihr Blick war Flußsäure pur auf Diamantsplittern.

»Entschuldige«, sagte er langsam. »Das war eine dumme Bemerkung.«

»Das war es allerdings«, sagte sie wütend.

Er wartete. Sie brauchte einige Zeit. Er wußte das. Charity erinnerte sich daran, daß sie einander seit der Flucht aus der Orbitstadt auf seltsame Weise kannten. Es machte die Sache nicht leichter.

»Tut mir leid«, brach sie endlich das unbehagliche Schweigen und zwang sich, ihn anzusehen. »Weißt du, ich komme mir unglaublich hilflos vor. Die Jared und die Moroni murksen an der Welt herum, wie es ihnen gerade einfällt, und wir stehen ohnmächtig daneben. Es macht mich einfach fertig.«

Skudder streckte die Hand aus und berührte sie sanft an der Schulter. »Ich weiß«, sagte er ruhig.

»Ich frage mich, was noch alles zu Bruch gehen wird, bevor jemand diese Irren aufhält.« Charity lehnte sich gegen ihn und versuchte, sich zu entspannen.

»Wir werden sie aufhalten«, sagte er zuversichtlich. »Bist du sicher, daß das alles ist, was dich bedrückt?«

Sie warf ihm einen verwirrten Blick zu. Er schaltete den Helmfunk ab und bedeutete ihr, dasselbe zu tun. Sie brachten die Visierscheiben zusammen.

»David Laird«, sagte er, die Stimme gedämpft hinter dem Glas. »Die Aufzeichnungen deines Mannes haben dir zu schaffen gemacht.«

»Colonel David Laird«, sagte sie verächtlich. »Er war immer eine Rangstufe über mir, von Anfang an, und er hat es mich spüren lassen.«

»Er wirkte nicht überheblich«, sagte Skudder nachdenklich. »Eigentlich machte er einen sympathischen Eindruck.«

Sie dachte an das schiefe, jungenhafte Lächeln, und wieder ballten sich ihre Fäuste. »Vergiß es«, sagte sie. »Vergiß ihn! Ich habe es auch getan.«

»Klingt nicht danach.«

Sie verzichtete auf eine Antwort. Es hatte wenig Sinn, etwas abzustreiten, das offensichtlich war.

»Warum bist du seine Frau geworden?« fragte Skudder sanft.

»Ich habe mich von ihm getrennt«, sagte sie heftig.

»Das war nicht die Frage«, sagte Skudder und nahm ihre Hand.

Sie riß sich los und unterbrach den Kontakt. Er sah sie geduldig an. Schließlich neigte sie den Kopf wieder nach vorn.

»Ich bin auf deiner Seite«, sagte er ruhig.

Charity seufzte. »Entschuldige bitte«, sagte sie. »Ich bin manchmal wirklich unausstehlich, was?«

»Und ich schnarche«, versetzte er ungerührt.

Sie mußte lachen. Ein paar Sekunden lang gönnte sie sich den Luxus, einfach nur neben ihm zu sitzen und an gar nichts zu denken.

»Ich habe ihn auf dem Mond kennengelernt«, sagte sie zögernd. »Damals wurde ich noch ausgebildet. Himmel, ich war ein Kadett, restlos begeistert und ohne jede Spur von gesundem Menschenverstand. David ... er war ...« Sie seufzte. »Er war ein ruhender Pol, jemand, bei dem ich Zuflucht fand, wenn mir die Dinge wieder mal über den Kopf wuchsen. Also habe ich ihn geheiratet.«

»Was ist schiefgegangen?«

»Ich bin erwachsen geworden.« Sie bewegte unbehaglich die Schultern in ihrem Druckanzug. »Eine Weile nachdem ich wieder auf die Erde versetzt worden war, erkannte ich, daß David mit seinen eigenen Problemen sehr viel schlechter zurechtkam als ich mit meinen Schwierigkeiten. Die Trennung hat ihm sehr zu schaffen gemacht. Irgendwie ist uns die Sache aus der Hand geglitten ... Drei Sekunden Wartezeit sind eine tödliche Sache bei einem Ehestreit.« Sie lachte bitter. »Wir hätten uns besser Briefe schreiben sollen.«

Einige Herzschläge hing sie ihren Gedanken nach.

»Weißt du, es ist besonders schlimm, wenn man einfach nicht dahinterkommt, was eigentlich falsch gelaufen ist. Da ist nichts, worauf man mit dem Finger zeigen kann und sagen: ›Hier, das ist es.‹ « Sie nahm seine Hand. »Und nach ein paar Jahren sieht es so aus, als wäre es eines Tages einfach vorbei gewesen.«

Er sagte nichts, und sie war ihm dankbar dafür. Sie richtete sich auf und versuchte, die Erinnerung abzuschütteln. »Laß uns ein andermal davon sprechen, ja?« bat sie ihn.

Er nickte und sah sich um. Harris und Dubois standen noch immer am Rand der Plattform. »Ich frage mich die ganze Zeit, was diese Sache mit den Eiern zu bedeuten hat«, sagte er.

»Es war jedenfalls keine Panne«, sagte Charity grimmig. »Kias hat nicht den Hauch einer Reaktion gezeigt.«

»Kias nicht«, meinte Skudder, »wohl aber Dubois.«

Sie musterte ihn erstaunt.

»Du hast mich mit deinem Mißtrauen nicht angesteckt«, verteidigte er sich. »Ich habe mir gedacht, es kann nicht schaden, genau hinzusehen.«

»Dubois weiß etwas«, sagte Charity gedehnt. »Sieh mal an.«

»Vielleicht ist sie auch nur genauso zufällig über das Gelege gestolpert wie wir«, wandte Skudder ein.

»Möglich«, sagte Charity ohne Überzeugung. »Ebensogut kann es Absicht gewesen sein, daß wir unsere Fracht entdeckt haben. Ich frage mich, was die Jared damit bezweckt haben, ein paar Eier in die Hände ihrer Feinde zu spielen.«

»Stoßtrupp-Unternehmen unter Insekten?« witzelte Skudder.

»Wer weiß. Ich schätze, unsere Verbündeten würden sich nur sehr ungern auf uns verlassen müssen. Nicht auszuschließen, daß sie noch ein paar Eisen im Feuer haben, für den Fall, daß wir scheitern.«

»Oder die Seiten wechseln.« Er erwiderte ihren Blick. »Unfreiwillig, meine ich.«

»Du meinst, sie haben uns etwas über den Shait verschwiegen«, sagte sie nachdenklich.

Er grinste. »Paranoia scheint heutzutage eine gesellschaftsfähige Lebensphilosophie zu sein. Nehmen wir an, die Jared wissen gar nicht alles. Sie könnten genauso bunte Alpträume haben wie wir.«

»Du hast wirklich ein sonniges Gemüt«, sagte sie nach einer Weile.

Der Schaufelbagger näherte sich der Druckschleuse, und Charity schaffte gerade noch, das riesige Fahrzeug zum Stillstand zu bringen, bevor die Raupenketten die Beobachtungskuppel zerstörten, die die vier in verschiedene Richtungen weisenden Ausgänge um gut zehn Meter überragte. Ein halbes Dutzend Teleskope und Scanner glotzte reglos in den Himmel.

»Was ist mit dem Signal?«

»Unverändert«, sagte Dubois. »Ich gehe runter und sehe mir die Sache an.«

Charity richtete sich auf. »Wir gehen alle.« Auf dem Weg zur Tür blieb sie noch einmal stehen. »Harris.«

Der Soldat blieb wortlos stehen.

»Tut mir leid, was ich vorhin gesagt habe«, sagte Charity. »Ich bin ein wenig mit den Nerven zu Fuß, okay?«

Harris’ Blick war nicht leicht einzuordnen. »Solange Sie es nicht deshalb tun, weil ich in Ihren Augen kein richtiger Mensch bin«, sagte er dann.

Charity sah ihn verdutzt an. »Kein Gedanke«, brachte sie heraus, während es ihr langsam dämmerte. »He, ich lege mich grundsätzlich nur mit Menschen an.«

Er akzeptierte den lahmen Witz mit einem Kopfnicken und ging an ihr vorbei.

Vielleicht sollte ich wirklich mal meinen Mund halten, dachte sie erstaunt.

Sie ließen den Würfel und die Bombe zunächst beim Schaufelbagger zurück und näherten sich vorsichtig der Druckschleuse, die unmittelbar unter der Kuppel lag. Charity suchte das Innere der Kuppel und die Umgebung der Schleuse durch die Zieloptik ihres Gewehres ab, konnte aber nichts entdecken.

»Eine Falle?« fragte Dubois.

»Keine Ahnung«, sagte Charity ehrlich. »Sie und ich geben den Männern Deckung. Laßt die Finger von den Türkontrollen und versucht, ob ihr die Tür von Hand aufbekommt.«

»Okay«, sagte Skudder. »Paßt auf, wohin ihr zielt, ja.«

Die beiden Frauen warfen sich einen empörten Blick zu. Harris und Skudder gingen vorsichtig zur Schleuse hinüber und legten ihre Gewehre ab, um das halb in der Tür versenkte Rad packen zu können. Die Tür öffnete sich schwerfällig.

»Alles ruhig«, sagte Skudder, nachdem er sich umgesehen hatte.

Die Schleusenkammer bot kaum genug Platz, obwohl sie vollkommen leer war. Charity hielt den Atem an, als Skudder die äußere Tür verschloß und begann, die Innentür zu öffnen. Luft strömte durch den sich vergrößernden Spalt und bildete einen Hauch von Rauhreif, der gleich darauf wieder verdunstete.

Sie hasteten in den beleuchteten Gang hinaus und verteilten sich. Nach wenigen Metern gelangten sie in die Verteilerkammer unter der Kuppel.

Net hob den Kopf und legte den Verband beiseite, den sie gerade an Hartmanns Schulter hatte anbringen wollen. Neben ihr lag ein Lasergewehr, und auf dem Boden hatte sie den Inhalt von mindestens drei Verbandskästen verstreut.

»Na endlich«, sagte sie erleichtert. »Es wurde auch langsam Zeit, oder was meint ihr?«

Charity verzichtete auf einen Kommentar. Sie öffnete das Sichtvisier und nahm den Helm ab, dann senkte sie das Gewehr und beugte sich über Hartmann, der sich zu einem Lächeln zwang. Anscheinend hatte er Schmerzmittel genommen. Er hatte Brandverletzungen auf Oberarmen und Schulter, und seine Hände waren verbunden. Die zerfetzte Uniform und die Haare waren versengt.

Net griff an ihren Gürtel und schaltete das Funkgerät ab. »Ich hätte nie gedacht, daß doch noch jemand kommt«, sagte sie. »Dem Himmel sei Dank.«

»Wir haben eure Botschaft aufgefangen«, sagte Charity und beobachtete die beiden aufmerksam. Net schien nicht zu wissen, worum es ging, aber Hartmann verzog erleichtert das Gesicht.

»Was ist mit Kyle?« fragte sie ihn.

Er schüttelte stumm den Kopf.

»Erstaunlich«, sagte Charity mit einer Herzlosigkeit, die sie selbst überraschte. »Haben Sie sich da die Brandwunden geholt?«

Er schüttelte den Kopf. Mit schwerfälliger Zunge berichtete er von der Blase und seiner Flucht vor der Spinne. Charity hörte mit wachsender Ungläubigkeit zu.

»Lava«, sagte sie.

Dubois ging neben Hartmann in die Knie. Sorgfältig betrachtete sie die Brandwunden aus der Nähe, bevor sie Hartmanns Uniformgürtel löste.

»Was ist los?« fragte Charity ahnungsvoll.

Dubois nahm eine kleine Plakette aus dem Gürtel. »Strahlung«, sagte sie. Die Plakette war dunkelrot, stellenweise schwarz geworden. »Er hat eine Menge Radioaktivität abbekommen, dort unten.«

»Ein Atomreaktor«, sagte Charity entgeistert.

»Dann hat er noch Glück gehabt«, mischte sich Harris ein. »Das wirklich heiße Zeug muß ganz unten in der Schmelze gewesen sein, und er hat nur ein wenig aus der Luft und vom geschmolzenen Deckengestein abbekommen.«

»Vermutlich soll dieser Reaktor die Energie für den neuen Sternentransmitter liefern«, sagte Dubois. »Sie werden alle Leistungsreserven verbrauchen, um den Durchbruch zum Netz zu schaffen und die Störstelle zu überbrücken.«

»Und das mürbe Zeug in den Basaltsäulen war irgendein Moderator. Graphit oder eine borhaltige Verbindung.« Charity nickte zögernd. »Auf verrückte Weise ergibt das einen Sinn.«

»Deshalb hat sich die verdammte Säule plötzlich dreißig Meter abgesenkt«, warf Hartmann ein. »Ein Regelstab.« Er lachte erschöpft. »Und ich hatte schon die Befürchtung, die Moroni hätten mich mitsamt dem Ding in der Lava versenken wollen. Ich bin noch nie in meinem Leben so schnell geklettert.«

»Ein Reaktor, der bei Schmelztemperatur betrieben wird«, sagte Harris ehrfürchtig.

»Er wird Knochenmark innerhalb der nächsten zwei Wochen brauchen«, warf Dubois ernüchternd ein.

»Im Bunker bekommen sie das hin«, sagte Hartmann tonlos. »Die Ausrüstung ist da, und die Jared können damit umgehen.« Net nahm wortlos seine Hand und drückte sie.

»Es will mir nicht in den Kopf«, sagte Skudder. »Diese ganze Technologie da draußen, und dann Atomreaktoren?« Er verzog das Gesicht. »Klingt wie ausgemachter Blödsinn.«

»Stell dir vor, du hast in deinem Gedächtnis alle Informationen darüber, wie du ein Flugzeug bauen kannst, und du sitzt mit leeren Händen mitten in der Steppe fest.« Charity lächelte. »Ich schätze, du würdest auch damit anfangen, ein kleines Feuer anzuzünden.«

Skudder warf ihr einen vielsagenden Blick zu.

»Schau nicht mich an«, sagte sie. »Du bist hier der Experte, was Lagerfeuer angeht.« Sie blickte wieder über das Geländer auf die riesige Halle hinunter, dann erneut zu Harris. »Du willst sagen, sie bauen diese Reaktoren, weil sie keine bessere Stromversorgung für ihren neuen Transmitter haben?«

»Es ist einfacher, als einen Fusionsreaktor zu bauen.« Harris grinste unverschämt. »Wir Menschen haben immerhin achtzig Jahre von der ersten Bombe bis zum ersten Reaktor gebraucht, der mehr Energie erzeugt hat, als für seinen Bau und Betrieb verbraucht wurde.«

»Das würde auch erklären, wozu sie die Tagebauanlagen gebraucht haben«, meinte Charity. »Der größte Teil radioaktiver Minerale sammelt sich im Inneren eines Planeten. Auf der Erde ist alles in Magma aufgelöst, aber der Mond ist vollkommen erstarrt. Hier unten konnten sie sich alles holen, was sie brauchten.«

»Vielleicht sogar noch etwas anderes als Uran«, warf Harris nachdenklich ein. »Die Waffenlabors auf der Erde haben vor der Invasion viel mit exotischer Materie herumexperimentiert. Metastabile schwere Teilchen, die bei hohen Energien erzeugt wurden. Es hieß, daß sich eine Menge davon nach dem Urknall in den Gravitationsschächten der Planeten gesammelt haben könnte.«

»Möglich«, sagte Charity zweifelnd. »Einen Uranreaktor kann man zur Not mit einfachem Werkzeug bauen. Vor ein paar Millionen Jahren hat es in Afrika sogar eine Handvoll natürlich entstandener Reaktoren gegeben. Man braucht nicht mehr als uranhaltiges Erzgestein, das vom Regenwasser ausgewaschen wird. Die radioaktiven Mineralien sammeln sich in geeigneten Senken aus wasserundurchlässigen Bodenschichten, bis eine kritische Masse erreicht ist, und das Wasser funktioniert als Moderator.« Sie zuckte mit den Achseln. »Jeder Idiot kann einen Kernreaktor bauen. Besonders, wenn man nicht darüber nachdenken muß, wie man ihn wieder abschalten kann.«

»Klingt wie für Moroni gemacht«, versetzte Skudder. »Ich verstehe nur nicht, warum sie ihren Notausgang nicht von Anfang an mit einer vernünftigen Stromversorgung ausgestattet haben.«

»Diese Anlage war nicht als Notausgang gedacht«, vermutete Dubois. »Es sollte vielleicht ursprünglich so etwas wie ein Altersruhesitz werden. Sie war zum Bleiben ausgelegt, und sie war noch lange nicht fertig. Wir haben den Shait zu wenig Zeit gelassen.«

Charity musterte die Frau nachdenklich. »In Ordnung«, sagte sie. »Unser geflügelter Freund mußte das Schlafzimmer ohne Hosen verlassen, und jetzt fehlt ihm das Geld fürs Taxi.« Sie blickte über die Halle hinweg, die von den ungleichmäßig verteilten Schächten in geisterhaft blaues Licht getaucht wurde. »Die Frage ist also, unter welcher Straßenlaterne wir ihn erwischen werden.«

»Er war über dem Reaktor«, sagte Hartmann schwerfällig. »Als sie die Stäbe herausgeschmolzen haben.«

»Wann?«

»Vor ein, zwei Tagen vielleicht.« Hartmann zuckte die Achseln. »Ich war eine Zeitlang bewußtlos.«

Net sah zu Charity auf. »Zwei Tage.«

»Und wo war er, als Sie die erste Botschaft gesendet haben?«

Net und Hartmann warfen sich einen Blick zu.

»Ich habe nur eine Botschaft gesendet«, sagte Hartmann. »Vor ein paar Stunden.«

Diesmal sahen sich Charity und ihre Begleiter ungläubig an.

»Kurz bevor ich von Kyle getrennt wurde«, fügte Hartmann hinzu. »In der Halle, als die Moroni ein paar Gleiter durch den Sternentransmitter geschickt haben. Nach kaum zwei Minuten hatten sie uns entdeckt. Sie haben fast die gesamte Halle in Schutt und Asche gelegt, um uns zu erwischen.«

Charity nickte langsam. »Diese Botschaft hat uns hierhergebracht«, sagte sie. »Der Transmitter hat sie an die Oberfläche übertragen, und wir sind ihr gefolgt.«

»Wir sind aber nicht in der Halle mit dem Sternentransmitter herausgekommen«, warf Skudder nachdenklich ein.

Hartmann verzog das Gesicht. »Ich bezweifle, daß die Moroni den Sternentransmitter so schnell wieder in Betrieb nehmen«, sagte er. »Es sah so aus, als wäre ihnen die Sache außer Kontrolle geraten, als der Pilot eines Gleiters auf die Idee kam, sich an dem Feuerwerk zu beteiligen.«

Charity ging neben Hartmann in die Hocke und musterte ihn aufmerksam. »Wir haben vor acht Wochen Bruchstücke einer Botschaft desselben Wortlauts empfangen«, sagte sie.

»Vor acht Wochen«, sagte Net fassungslos.

»Die Sendung war insgesamt fast zwanzig Minuten lang, aber der größte Teil ging bei der Übertragung verloren«, verdeutlichte Charity. »Soweit die Jared es rekonstruieren konnten, handelt es sich um ein paar knappe Sätze, die mehrfach wiederholt wurden.«

»Wir haben keine zwanzig Minuten gesendet«, sagte Hartmann verwirrt. »Irgendwas paßt hier überhaupt nicht zusammen.«

Charity beobachtete ihn aufmerksam. »Wie lange seid ihr schon hier?« fragte sie unvermittelt.

»Zwei Tage«, sagte Hartmann ungeduldig.

Net faßte seine Hand und drückte sie beruhigend. »Zwei Tage«, bestätigte sie und sah Charity wachsam ins Gesicht. »Hat jemand irgendwelche Einwände?«

Charity stieß einen langgezogenen Pfiff hervor. »Die Schwarze Festung ist vor drei Monaten gefallen«, sagte sie leise.

Wortlos sahen sie von einem zum anderen.

»Wir scheinen irgendwo ein paar Wochen verloren zu haben«, sagte Hartmann schließlich.

Skudder schüttelte verständnislos den Kopf. »Seit wann dauert ein Transmittersprung drei Monate?«

»Ich glaube nicht, daß wir es hier mit einer Panne zu tun haben«, antwortete Charity. »Dazu paßt einfach alles zu gut zusammen. Hier hat jemand an verschiedenen Fäden gezogen, jemand, der Transmitterdurchgänge beeinflussen kann.«

»In der Zeit?« fragte Skudder ungläubig.

Charity nickte. »Nun, wenn man euch durch die Zeit geschickt hat, dann immerhin in die richtige Richtung.«

»Was ist mit dem Funksignal«, warf Net ein. »Ich meine, mit dieser ersten Botschaft?«

Charity antwortete mit einem stummen Achselzucken.

»Sie meinen, etwas ... jemand hat sie in die Vergangenheit geschickt?« vergewisserte sich Harris. »Drei Monate weit?«

»Wenn es so war, dann wurde es mehrmals getan«, antwortete sie schlicht. »Über zwanzig Minuten hinweg.« Sie ignorierte Harris’ ungläubigen Blick. Net schüttelte stumm den Kopf und wandte sich wieder Hartmanns Verletzungen zu.

»Ich kann diese Transmitter nicht ausstehen«, sagte Skudder nach einiger Zeit. »Nicht genug damit, daß diese verdammten Ameisen uns umbringen wollen, jetzt stellen sie auch noch jede Ordnung auf den Kopf.«

Charity nickte wieder. »Gurk meinte, genau das wäre das Problem.«

»Was ist aus ihm geworden«, erkundigte sich Hartmann.

»Er ist tot«, antwortete Charity. »Zumindest nehmen wir das an.«

»Wie ist das passiert?«

»Sagen wir, er ist in ein großes Loch gefallen«, sagte sie. »Da haben wir auch die erste Botschaft her bekommen.« Sie versuchte, die Vorfälle nach der Explosion der Black-Hole-Bombe in ein paar Sätzen zusammenzufassen. »Das Netz hat die Energie absorbiert«, schloß sie ihre Erklärungen, »aber der größte Teil davon wird zurückschwappen, und wenn dann das Loch noch offen ist, wird der Rückschlag die Erde zerreißen.«

»Das sind ja schöne Aussichten.« Hartmann verzog das Gesicht, als Net einen weiteren Verband um seinen Oberarm schlang. »Und jetzt?«

»Wir müssen den Shait finden und vernichten«, sagte Charity. »Und danach ...« Sie hob hilflos die Hände.

Harris sah sich ratlos in der Verteilerkammer um. »Und wo sollen wir ihn suchen?«

»Diese ganze Anlage wurde nur zu dem einen Zweck geschaffen, ihm die Flucht ins Netz zu ermöglichen«, erklärte Charity grimmig. »Und dieser Fluchtweg führt durch den Sternentransmitter.«

»Falls in dieser Halle überhaupt noch etwas steht«, sagte Skudder und streifte Hartmanns Verletzungen mit einem bedeutungsvollen Blick.

Charity schüttelte den Kopf. »Wir müssen in diese Halle«, beschloß sie.

Hartmann verdrehte die Augen. »Nicht schon wieder.«

Tatsächlich war es nicht notwendig, Hartmann zu stützen. Die schmerzstillenden Medikamente betäubten nicht nur seine Schmerzen, sondern verlangsamten auch seine Reflexe, aber er konnte aus eigener Kraft gehen. Sie ließen ihn und Net am Ende der kleinen Kolonne gehen. Harris und Skudder waren noch einmal zum Bagger zurückgekehrt und hatten die Bombe und den Computer geholt. Sie versuchten mit Hilfe von Nets Erkundungsgängen und dem Überblick aus dem Baggercockpit einen direkten Weg in die Transmitterhalle zu finden, anstatt die Treppe zu benutzen, die Net entdeckt hatte. Auf der nächsttieferen Ebene gelangten sie auf eine breite Rampe, auf der ein halbes Dutzend der mächtigen Transportbänder von den geschlossenen Toren der Zufahrtsrampe hinab in die Tiefe führten. Die Bandanlagen standen still, aber noch immer lag vorverarbeitetes Erzgestein darauf.

»Die Transportbänder führen bis zum Sternentransmitter«, vermutete Harris, der zusammen mit Skudder die Bombe trug, während Dubois sich den Würfel auf den Rücken geschnallt hatte.

»Oder bis zum Reaktor, den Hartmann gefunden hat«, versetzte Charity nachdenklich und ließ den Lichtkegel ihres Scheinwerfers an den Transportbändern entlangwandern. »Vielleicht haben wir beide recht«, fügte sie hinzu. »Da vorne ist eine Verzweigung.«

Sie gingen weiter. Vier der Transportbänder bogen in einen steil nach unten abknickenden Seitenstollen ab, in dem sich eine warme, rote Helligkeit zeigte, die anderen beiden Bänder folgten weiter der Rampe, deren Neigung sich immer mehr verringerte.

»Die Rampe führt zur Halle«, entschied Skudder und wollte weitergehen.

Charity hielt ihn am Arm fest. »Warte«, sagte sie und löste das Gewehr von ihrer Schulter. »Da vorne ist irgend etwas.«

Sie gingen vorsichtig weiter. Im sich überkreuzenden Licht ihrer Scheinwerfer schimmerte der schwarze Körper eines Moroni-Kriegers, der reglos zwischen den Transportbändern lag. Die Facettenaugen reflektierten das Licht wie vielfach gebrochene Spiegel.

»Tot?« flüsterte Skudder, das Gewehr auf die Ameise gerichtet.

Charity schüttelte den Kopf. »Er atmet noch.« Die Membranen seitlich am oberen Thorax bewegten sich schwach, aber gleichmäßig.

»Katatonisch«, sagte Harris erstaunt. »Dahinten ist noch einer.«

Hastig sahen sie sich nach allen Seiten um. Mindestens zwanzig Moroni lagen zusammengekauert zwischen den Transportbändern, und keiner von ihnen zeigte irgendeine Reaktion.

Vorsichtig lief Charity auf den nächsten Krieger zu und ging vor der Kreatur in die Hocke. Sie nahm ein Werkzeug aus dem Gürtel und klappte eine langgezogene Klinge heraus, dann berührte sie vorsichtig eine der vier kräftigen Klauenhände.

Die Zangen schlossen sich und zerbrachen dabei die gehärtete Messerklinge. Sie wich hastig zurück und wäre dabei fast gestolpert, aber der Moroni gab keine weiteren Lebenszeichen von sich.

»Weiter«, sagte sie heiser. »Beeilen wir uns.«

Sie gingen an dem dunklen Stollen vorbei. Skudder blieb stehen und blickte in die Tiefe hinunter. Etwa vierzig Meter entfernt und vielleicht eine Ebene unter ihnen brodelte heiße Lava, und ein stickiger Lufthauch schlug ihnen entgegen.

»Sie ist gestiegen«, sagte Hartmann erschrocken. »Der Reaktor lag viel tiefer.«

»Vielleicht breitet sich die Kettenreaktion aus«, meinte Harris hinter ihnen. »Ich schätze, daß das Gestein hier unten ziemlich reich an Uran ist, oder woher die Energie auch immer stammt, denn sonst wären die Moroni nicht hier unten.«

Charity starrte die Lava an. »Das würde bedeuten, daß die ganze Basis in glutflüssiger Schmelze versinken wird«, sagte sie. »Von der Strahlung ganz zu schweigen.«

»Die Zeit läuft ab«, sagte Dubois warnend. »Ich glaube nicht, daß der Shait noch lange bleiben kann.«

Sie betraten den Tunnel zur Transmitterhalle. Die Decke befand sich mindestens dreißig Meter über ihnen, und der Tunnel war etwa doppelt so breit wie hoch.

»Hier haben sie die Gleiter hineingebracht«, sagte Hartmann von hinten.

Charity nickte zustimmend. Eine weitere Gruppe von Moroni-Ameisen lag auf dem Beton der Rampe. Es sah so aus, als wären sie mit atemberaubender Plötzlichkeit mitten in ihrer Arbeit zusammengebrochen. Ein paar Werkzeuge und eine große Radtrommel lagen herum. Vermutlich hatten sie eines der Transportbänder reparieren wollen. Hinter ihnen öffnete sich ein großes zweiflügeliges Tor in eine dunkle, hohe Halle. Charity konnte die Silhouetten von ein paar Gleitern sehen, die säuberlich in drei Reihen aufgestellt waren.

»Das ist der Hangar«, sagte Hartmann, der zu ihr aufgeschlossen hatte. »Am anderen Ende befindet sich das Zugangstor zur Transmitterhalle.«

In diesem Moment zuckte ein Laserblitz über die kleine Gruppe hinweg und zerschmolz einen halben Quadratmeter Wandverkleidung. Hastig spritzten sie auseinander und rollten sich in Deckung. Charity legte ihr Gewehr an und zielte auf die Stelle zwischen den Gleitern, von wo der Schuß gekommen war.

»Halt«, rief Harris plötzlich. Sie zögerte, entspannte den Finger am Abzug.

»Was ist los?« fragte Skudder.

Hartmann deutete in die Dunkelheit. »Sehen Sie nur.«

Ein einzelner Krieger taumelte zwischen den Gleitern hervor. Der Schaft des Lasergewehrs war seinen Klauen entglitten, und er zog die Waffe am Kolben hinter sich her, während er versuchte, in ihre Richtung zu laufen. Die sonst so präzisen und schnellen Bewegungen der Insektenbeine wirkten nun unbeholfen und unausgewogen. Nach ein paar Metern verlor der Moroni das Gleichgewicht und kippte vornüber. Mühsam versuchte er, sich wieder aufzurichten, aber er schien zunehmend die Kontrolle über seine Beine zu verlieren.

Charity schüttelte den Kopf. »Was ist hier nur passiert?« fragte sie laut.

Der Kopf des Kriegers ruckte in die Höhe, und er begann, sich in ihre Richtung zu schieben. Anscheinend hatte er ihre Stimme gehört. Sie hob erneut das Gewehr, aber der Krieger blieb nach ein paar Metern liegen und sackte in sich zusammen. Das Lasergewehr scharrte über den Boden.

Beinahe erleichtert sicherte sie das Gewehr. »Seid vorsichtig«, sagte sie und stand auf. »Da können noch mehr sein, und anscheinend sind nicht alle zu Salzsäulen erstarrt.«

»Himmel, was ist das nur?« fragte Net angewidert. »Ist er verwundet?«

Hartmann näherte sich der Ameise. »Kyle hat mir erzählt, daß hier unten zu wenig Moroni übriggeblieben sind, um als Einheit zu funktionieren.«

»Wir haben die meisten von ihnen gefunden«, sagte Charity tonlos. »Sie liegen tot oben an der Oberfläche. Anscheinend können sie eine gewisse Zeit auch ohne Schutzanzüge im Vakuum arbeiten, und genau das haben sie getan, bis es nicht mehr ging.«

»Der Shait?« fragte Hartmann.

»Sie haben es erfaßt.« Charity leuchtete in die Halle hinaus. Die Moroni mußten sie fluchtartig verlassen haben. »Das erklärt vielleicht, warum die überlebenden Ameisen so dämlich sind, aber es sagt nichts aus über das hier.« Sie musterte den Krieger, der noch immer auf dem Hallenboden lag. Der Insektenkörper zitterte kaum merklich, so wie in einer Kälte, die niemand außer ihm spüren konnte. Charity fragte sich, ob er sie noch immer hören konnte.

»Seht mal hier herüber«, rief Skudder und ließ seinen Scheinwerfer einen Kreis beschreiben. Ein paar Maschinenteile und Behälter lagen hinter zweien der Gleiter in einem wirren Haufen, und dazwischen sah man Platten von Panzerung und das Verschlußstück eines Raketenwerfers.

»Das sind Wrackteile«, meinte Hartmann.

»Ja«, sagte Charity grimmig. »Teile von unserem Schiff. Wir haben diese Gleiter gesehen, als sie zur HOME RUN geflogen sind.«

»Das glaube ich auch«, sagte Skudder seltsam tonlos.

Sie spürte, daß etwas nicht in Ordnung war. Verwirrt versuchte sie, Skudders Gesichtsausdruck zu erkennen, dann traf sie die Erkenntnis wie ein Faustschlag ins Gesicht.

»Die Kuckuckseier!« sagte sie.

Skudder nickte und atmete tief ein. »Biologische Kriegführung«, sagte er hart.

»Fabelhafte Verbündete, die wir da haben«, meinte Charity bitter. Hartmann, der nicht wußte, wovon sie redeten, starrte sie verständnislos an. Sie drehte sich zu Dubois herum, die mit undeutbarem Gesichtsausdruck auf den gelähmten Krieger hinuntersah.

»Keine gute Empfehlung für eure Leute«, sagte Charity wütend. »Was habt ihr nur getan?«

Dubois schaute auf, und Charity bemerkte, wie ein Schatten über ihr Gesicht glitt. Erstaunlicherweise sah es aus wie ... Trauer.

»Was habt ihr getan?« wiederholte sie. Net sah von Dubois zu Charity und begann, sich vorsichtig von ihnen zu entfernen.

»Was glauben Sie?« erkundigte sich Dubois.

»Dreimal dürfen Sie raten«, sagte Charity. »Ihr habt uns eine Krankheit untergeschoben, nicht wahr? Irgendeinen maßgeschneiderten Erreger. Eine biologische Zeitbombe. Habt ihr sie aus den Moroni-Arsenalen, oder sind eure Labors schon weit genug? Oder kann eine Königin auch so etwas ausbrüten?« Sie deutete mit dem Gewehrlauf in Richtung auf den Moroni-Krieger. »Diese verdammten Eier? War das Kriegsbeute, oder habt ihr einen Teil eurer eigenen Brut dafür geopfert?«

Dubois lächelte. »Nichts ist schlimmer als die Hälfte der Wahrheit«, sagte sie.

»Keine Rätselspiele«, brüllte Charity.

Dubois ging auf sie zu, an ihr vorbei. »Das hier«, sagte sie, als sie Charity passierte, »ist nicht das Produkt einer Waffe.«

»Was ist es dann?« fragte sie schneidend und drehte sich um.

Dubois ging ungerührt weiter. »Das Ergebnis einer unvermeidlichen Entwicklung«, sagte sie. »Von einer Natur hervorgebracht, die kein Erbarmen kennt, niemandem gegenüber.«

Sie blieb unmittelbar neben dem Krieger stehen, in Reichweite der gefährlichen Klauen und Zangen, die auch ohne einen eigenen Willen noch immer eine tödliche Bedrohung darstellten.

»Ich verstehe nicht«, sagte Charity.

»Wenn ein menschlicher Säugling sich selbst überlassen wird, wenn er nur Nahrung erhält, aber niemand ihn berührt oder mit ihm spricht, dann wird er sterben.« Dubois wandte den Blick von dem Krieger ab und sah zu ihr herüber. »Verstehen Sie?«

Charity schüttelte stumm den Kopf. Dubois beugte sich über den Krieger. Der mächtige Körper bewegte sich ein wenig. Charity wollte der Frau eine Warnung zurufen, aber sie war wie gelähmt. Dubois streichelte mit der Hand über die Kopffühler des Moroni, ohne jede Spur von Furcht und mit einer Zärtlichkeit, die bei Menschen aus langer Vertrautheit entstehen konnte.

»Es sind unsere Kinder, die hier sterben«, sagte sie, als sie sich wieder erhob. »In den zerstörten Eiern waren Jared. Die Berührung mit ihnen führte die Verwandlung herbei. So ist unsere Natur. Die Umwandlung ist unvermeidlich.«

»Der Sprung«, sagte Skudder.

»Ja ... und nein. Der Sprung findet statt, wenn es genug von uns gibt, um eine Einheit zu bilden. Denken Sie an die Säuglinge. Wie würden Sie sich fühlen, wenn Sie Bewußtsein erlangten ... und vollkommen allein wären in einer endlosen, stummen Dunkelheit.« Dubois hob die Hand. »Nichts anderes ist hier geschehen«, sagte sie.

»Verdammt«, brachte Charity heraus und betrachtete mit zunehmendem Grauen den Krieger, der sich inzwischen nicht mehr bewegte. Sie hätte nie gedacht, einmal Mitgefühl mit einem dieser Wesen zu empfinden.

»Wissen Sie«, sagte ihr Dubois von ihrem Platz in der Dunkelheit her, »wir sind nicht für das Alleinsein geschaffen. Keiner von uns.«

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