2

Nachdem ihn der Pirat allein gelassen hatte, gestattete sich Andrej einen tiefen, lang andauernden Schmerzenslaut und ließ den Kopf zurücksinken. Seine Beine zuckten unkontrolliert. Das Leben kehrte mit Feuer und Gewalt in seine Glieder zurück. Er war schon oft verwundet worden, aber selten so schwer. Indem er sich zu entspannen versuchte und jeden Gedanken abschaltete, konnte er die Heilung beschleunigen. Auf diese Weise gab er seinem Körper Gelegenheit, seine ganze Energie auf das Regenerieren zerrissener Muskeln und zerbrochener Knochen zu richten. Aber dieser Vorgang brauchte Zeit. Wie lange würde Abu Dun brauchen, um seinen Männern Anweisung zu geben und zurückzukommen? Sicher nicht mehr als wenige Minuten. Aber diese Zeit mußte reichen. Sie reichte. Andrej versank in eine Art Trance, in der er zuerst jeden bewussten Gedanken, dann sein Zeitgefühl und schließlich sogar den Schmerz abschaltete. Sein Körper erholte sich in dieser Zeit, schöpfte Energie aus geheimnisvollen Quellen, deren Natur selbst Andrej nicht klar war, und kehrte in seinen unversehrten Zustand zurück. Als er Abu Duns Schritte draußen auf dem Gang hörte, öffnete er die Augen und lauschte noch einmal konzentriert in sich hinein. Er war bereit. Seine Verletzungen waren verheilt, aber er war noch sehr schwach. Die Heilung hatte ungewöhnlich viel Kraft gekostet. Er war auf keinen Fall in der Lage, einen zweiten Kampf mit Abu Dun durchzustehen. Der Pirat kam herein - zu Andrejs Erleichterung allein -, warf die Tür hinter sich zu und lachte böse, als er sah, das Andrej die Hand in Richtung des Schwertes ausgestreckt hatte, ohne es zu erreichen.

»Eines muss man dir lassen, Hexenmeister«, sagte er. »du bist zäh. Du gibst nicht auf, wie?«

Dann kam er auf eine leichtsinnige ldee: Er zog einen Krummsäbel unter dem Kaftan hervor und schob mit ihm das Sarazenenschwert in Andrejs Richtung.

»Du willst kämpfen, Giaur?«, höhnte er.

»Tu es. Nimm dein Schwert und wehr dich!« Andrejs Hand schloss sich um den Griff der vertrauten Waffe, des einzigen wertvollen Besitzes, den ihm sein Stiefvater Michail Nadasdy hinterlassen hatte. Abu Dun lachte noch immer und Andrej trat ihm mit solcher Wucht vor den Knöchel, das er haltlos zur Seite kippte und auf einen Tisch fiel, der unter seinem Aufprall in Stücke brach. Noch bevor er sich von seiner Überraschung erholen konnte, war Andrej auf den Füßen und über ihm. Sein Schwert machte eine blitzartige Bewegung und fügte Abu Dun eine tiefe Schnittwunde auf dem Handrücken zu. Der Krummsäbel des Piraten polterte zu Boden und Andrejs Sarazenenschwert bewegte sich ohne innezuhalten weiter und ritzte seine Kehle: Zu leicht, um ihn zu töten, aber doch so tief, das sich eine dünne, rasch mit Rot füllende Linie auf seinem Hals abzeichnete. Abu Dun keuchte und erstarrte.

»Du hättest besser auf Vater Domenicus gehört, Abu Dun«, sagte Andrej kalt.

»Manchmal reden die heiligen Männer nämlich nicht nur Unsinn, weißt du?«

Abu Dun starrte ihn aus hervorquellenden Augen an. Er begann am ganzen Leib zu zittern.

»Aber ... aber wie kann das sein?«, stammelte er. »Das ist unmöglich! Ich habe dir das Kreuz gebrochen!«

Andrej bewegte das Schwert, sodass Abu Dun gezwungen war, den Kopf immer weiter in den Nacken zu legen und sich schließlich rücklings und in einer fast unmöglichen Haltung in die Höhe zu stemmen.

»Teufel!«, presste er hervor. »Du ... du bist der Teufel! Oder mit ihm im Bunde!«

»Nicht ganz«, sagte Andrej. »Aber du kommst der Wahrheit schon ziemlich nahe.«

Er sah den neuerlichen Schrecken auf Abu Duns Gesicht und bedauerte seine Worte fast. Ihm war nicht wohl dabei, das er Abu Dun nun töten mußte. Jedoch: Das Geheimnis seiner Unverwundbarkeit mußte gewahrt bleiben, um jeden Preis! Trotzdem fuhr er fort:

»Vielleicht solltest du dir genau überlegen, was du jetzt sagst. Du solltest dir möglicherweise mehr Gedanken um deine Seele als um deinen Hals machen, Pirat.«

»Töte mich«, sagte Abu Dun trotzig. »Mach mit mir, was du willst, aber ich werde nicht vor dir kriechen.«

»Du bist ein tapferer Mann, Abu Dun«, sagte Andrej. Er dirigierte den Piraten mit dem Schwert weiter zurück, bis er rücklings auf die Liege fiel.

»Aber ich hatte nicht vor, dich zu töten. Deshalb bin ich nicht gekommen.« Abu Dun schwieg. In seinen Augen war eine so grenzenlose Angst, wie Andrej sie noch nie zuvor im Blick eines Menschen gesehen hatte, aber gerade das machte ihn nur umso vorsichtiger. Angst konnte aus tapferen Männern wimmernde Feiglinge machen, aber manchmal machte sie auch aus Feiglingen Helden.

»Du weißt, weshalb ich hier bin«, sagte er. Abu Dun schwieg weiter, doch Andrej sah, wie sich sein Körper unter den Kleidern ganz leicht spannte. Er bewegte das Schwert, und an Abu Duns Hals erschien eine zweite rote Linie.

»Du wirst die Gefangenen freilassen.«, sagte er.

»Du wirst deinen Männern befehlen, den Anker zu lichten und ans Ufer zu fahren. Sobald die Gefangenen an Land und in sicherer Entfernung sind, lasse ich dich laufen.«

»Das ist unmöglich«, sagte Abu Dun gepresst.

»Es ist viel zu gefährlich, bei Dunkelheit das Ufer dieses unberechenbaren Donauarms anzulaufen. Was glaubst du, warum wir in der Flussmitte vor Anker gegangen sind?«

»Dann wollen wir hoffen, das deine Männer so gute Seeleute sind, wie man es von türkischen Piraten allgemein behauptet«, sagte Andrej. Er wußte, das Abu Dun Recht hatte. Es gab Untiefen, Sandbänke und sogar Felsen in Ufernähe. Aber bis Sonnenaufgang würde noch viel Zeit vergehen. So lange konnte er nicht warten.

»Sie werden nicht auf mich hören«, sagte Abu Dun.

»Die Gefangenen ... sie erwarten eine hohe Belohnung, wenn wir sie abliefern.«

»Abliefern?« Andrej wurde hellhörig.

»Wo? An wen?« Abu Dun presste die Lippen aufeinander. Augenscheinlich hatte er schon mehr gesagt, als er vorgehabt hatte.

»An wen?«, fragte Andrej noch einmal; diesmal lauter. Er mußte sich beherrschen, um seiner Frage nicht mit dem Schwert mehr Nachdruck zu verleihen. Zu nichts verspürte er größeres Verlangen, als diesem Ungeheuer in Menschengestalt die Kehle durchzuschneiden, und er würde es tun. Aber nicht jetzt. Und er würde ihn nicht quälen. Abu Dun schürzte trotzig die Lippen.

»Töte mich, Hexenmeister«, sagte er.

»Von mir erfährst du nichts.« Andrej tötete ihn nicht. Aber er machte eine blitzschnelle Bewegung mit dem Schwert und schlug Abu Dun die flache Seite der Klinge vor die Schläfe. Der Pirat verdrehte die Augen, seufzte leise und verlor auf der Stelle das Bewusstsein. Er würde nicht lange ohnmächtig bleiben. Rasch durchsuchte Andrej das Zimmer, bis er zwei passende Stricke gefunden hatte. Mit einem davon band er Abu Duns Fußgelenke so aneinander, das der Pirat zwar gehen, aber nur unbeholfene kleine Schritte machen konnte, dann wälzte er den schweren Mann mit einiger Mühe herum, band seine nach oben gebogenen Handgelenke aneinander und schlang das Ende des Stricks um seinen Hals. Wenn Abu Dun auch nur versuchen sollte, sich zu befreien, würde er sich unweigerlich selbst erwürgen; kein Akt unnötiger Grausamkeit, sondern eine Vorsichtsmaßnahme, die ihm bei einem Mann wie Abu Dun angebracht zu sein schien. Der Pirat kam wieder zu sich, kaum das Andrej seine Aufgabe beendet hatte. Prompt versuchte Abu Dun, sich loszureißen und schnürte sich dabei den Atem ab. Andrej sah ihm einige Augenblicke lang stirnrunzelnd zu, dann sagte er ruhig:

»Lass es. Es sei denn, du willst mir die Mühe abnehmen, dir die Kehle durchzuschneiden.« Abu Dun funkelte ihn an. Die Furcht in seinen Augen war einer mindestens ebenso großen Wut gewichen. Er bäumte sich auf, schnürte sich abermals die Luft ab, und Andrej trat zufrieden zwei Schritte zurück, legte das Schwert aus der Hand und schlüpfte aus dem besudelten Gewand. Die Sachen, die er darunter trug, waren noch immer feucht und hatten einen Teil des üblen Geruchs angenommen. In einem Punkt hatte Abu Dun Recht gehabt: Er stank. Er steckte das Schwert ein, zog statt dessen einen rasiermesserscharfen, zweiseitig geschliffenen Dolch aus dem Gürtel und machte eine auffordernde Geste.

»Lass uns nach oben gehen«, sagte er.

»Ich bin neugierig darauf, wie viel deinen Leuten dein Leben wert ist.« Abu Dun schürzte verächtlich die Lippen, stand aber dann gehorsam auf. Jedenfalls versuchte er es. Anscheinend hatte er noch gar nicht bemerkt, das auch seine Füße gefesselt waren, denn er fiel mit einem überraschten Laut auf die Knie und wäre um ein Haar ganz nach vorne gestürzt. Als er versuchte, sein Gleichgewicht zurückzuerlangen, schnürte sich der Strick erneut enger um seinen Hals. Er hustete qualvoll. Andrej wartete, bis er sich wieder beruhigt und umständlich in die Höhe gearbeitet hatte, dann öffnete er vorsichtig die Tür, trat einen Schritt zur Seite und machte eine wedelnde Bewegung mit dem Dolch.

»Warum sollte ich tun, was du von mir verlangst?«, fragte Abu Dun trotzig.

»Du tötest mich doch sowieso.«

»Möglicherweise«, antwortete Andrej kalt.

»Die Frage ist nur, ob ich auch deine Seele fresse.« Abu Dun lachte. Aber es klang unecht und in seinen Augen loderte die Furcht höher. Er widersprach nicht mehr, sondern senkte den Kopf, um durch die niedrige Tür zu treten. Andrej folgte ihm, wobei er die Spitze des Dolches zwischen seine Schulterblätter drückte.

»Du solltest dafür sorgen, das deine Männer nicht zu sehr erschrecken, wenn sie uns sehen«, sagte Andrej. Zumindest der Gang, in den sie traten, war leer, aber durch die offen stehende Luke am oberen Ende der Treppe drangen aufgeregte Stimmen und Lärm. Die gesamte Besatzung des Sklavenseglers war nun wach und auf den Beinen. Es war ein irrsinniges Risiko, jetzt dort hinauf zu gehen, aber er hatte keine andere Wahl. Abu Dun arbeitete sich mit ungeschickten kleinen Schritten zum Anfang der Treppe vor, blieb stehen und rief einige Worte in seiner Muttersprache. Von oben antwortete eine Stimme, dann erschien ein Schatten in dem grauen Rechteck und ein überraschter Laut erscholl. Der Schatten verschwand und für einen kurzen Moment brach oben auf dem Deck Tumult los. Dann rief Abu Dun wieder etwas in seiner Muttersprache, und nach einigen Augenblicken erschien die Gestalt erneut in der Öffnung.

»Sie werden dich in Stücke schneiden, Narr«, sagte Abu Dun.

»Auf mich werden sie keine Rücksicht nehmen.«

»Dann tragen wir beide dasselbe Risiko, nicht wahr?«, fragte Andrej. »Los!« Er verlieh seinen Worten mit dem Dolch Nachdruck und Abu Dun begann umständlich und schräg gegen die Wand gelehnt die Treppe hinaufzusteigen. Die Fußfesseln waren etwas zu kurz, sodass er kaum in der Lage war, die Stufen zu bewältigen. Oben fiel er auf die Knie. Einer seine Männer wollte ihm zu Hilfe eilen, aber Andrej fuchtelte erneut mit dem Dolch herum und Abu Dun scheuchte ihn mit einem gebellten Befehl zurück. Als sie auf das Deck hinaustraten, begann Andrejs Herz schneller zu schlagen. Aber keiner von Abu Duns Männern machte Anstalten, seinem Anführer zu Hilfe zu kommen.

»Jetzt gib Befehl, den Anker zu lichten und das Ufer anzulaufen«, sagte Andrej. Abu Dun sagte tatsächlich etwas in seiner Muttersprache, aber keiner seiner Männer reagierte. Die Piraten umringten sie. Die meisten hatten ihre Waffen gezogen.

»Ich habe es dir gesagt«, sagte Abu Dun. »Sie werden nicht gehorchen.«.

Andrejs Gedanken rasten. Es gab nicht viel, was er tun konnte. Wenn er Abu Dun tötete, würden sich die Piraten auf ihn stürzen und ihn in Stücke reißen. Er hob das Messer höher und setzte die Spitze seitlich auf Abu Duns Hals.

»Ob sie gehorchen, wenn ich dir die erste Sure des Korans in die Wange schnitze?«, fragte er. Der Pirat sagte nichts, aber Andrej konnte seine Furcht beinahe riechen. Er berührte mit der Klinge Abu Duns Wange und fügte ihm einen winzigen Schnitt zu, den der Pirat kaum spüren konnte, der aber sichtbar blutete. Ein erschrockenes Murren ging durch die Reihen der Piraten und Abu Dun sagte:

»Es ist gut. Sie werden gehorchen.« Er wiederholte seine Aufforderung, lauter und in herrischem Ton. Auch jetzt erfolgte nicht sofort eine Reaktion, aber der Pirat wurde lauter und schrie nun, und endlich senkten einige seiner Männer ihre Waffen und setzten sich in Bewegung. Andrej atmete auf. Er hatte noch nicht gewonnen, aber er hatte die erste und wichtigste Hürde genommen. Abu Duns Macht über seine Männer schien doch nicht so begrenzt zu sein, wie er behauptet hatte.

»Bete zu deinem Gott, das keiner deiner Männer etwas Unbedachtes tut«, sagte Andrej.

»Vielleicht bleibst du dann ja doch am Leben.« Sein Zorn auf Abu Dun war kein bisschen kleiner geworden, aber er würde die Welt nicht besser machen, wenn er ihn tötete. Er war kein Richter. Und was Abu Dun anschließend über den Mann erzählte, dessen Verletzungen auf geheimnisvolle Art in Augenblicken heilten und der so gut wie unsterblich war, konnte ihm gleich sein. Die Welt war voller Geschichten von Zauberern, Dämonen und Hexenmeistern, die im Grunde niemand glaubte. Welche Rolle spielte es schon, ob es eine mehr gab oder nicht? Wenn Abu Dun ihm die Möglichkeit dazu gab, würde er ihn am Leben lassen. Andrej sah sich unauffällig um. Die meisten Piraten standen immer noch mit den Waffen in den Händen da und starrten ihn finster an, aber einige waren auch davongeeilt und mit irgendetwas beschäftigt, das er nicht zu erkennen vermochte. Es war nicht das erste Mal, das Andrej sich an Bord eines Schiffes befand, aber er war kein Seefahrer und es war einfach zu dunkel, um Einzelheiten zu erkennen. Er konnte nur hoffen, das die Männer taten, was Abu Dun ihnen aufgetragen hatte, und nicht irgendeine Teufelei vorbereiteten. Rückwärts gehend und Abu Dun wie einen lebenden Schutzschild vor sich haltend, bewegte er sich bis zur Reling und lehnte sich leicht dagegen. So konnte sich wenigstens niemand von hinten anschleichen. Sein Blick richtete sich aufmerksam in die Runde. Das Deck ächzte leise und er glaubte ein Zittern zu spüren, das vorher noch nicht da gewesen war. Er vermutete, das einer der Männer dabei war, den Anker einzuholen. Zwei weitere waren bereits in die Takelage hinaufgeklettert. Andrej versuchte zum Ufer zu sehen, konnte es aber nicht erkennen; nicht einmal als dunkle Linie. Die Wolkendecke vor dem Himmel hatte sich mittlerweile vollkommen geschlossen. Selbst der Fluss war nur noch eine endlose schwarze Fläche, auf der sich nicht der geringste Lichtschimmer zeigte. Es war dunkel wie in der Hölle und sehr kalt. Als hätte er seine Gedanken gelesen, sagte Abu Dun:

»Wohin willst du gehen - sollte es dir tatsächlich gelingen, uns zu entkommen?«

»Ich wüsste nicht, was dich das anginge«, knurrte Andrej.

»Nichts«, antwortete Abu Dun.

»Es ist nur so, das ich mich frage, was du mit hundert befreiten Gefangenen anfangen willst, die dem Tod näher sind als dem Leben. Du willst sie nach Hause bringen?« Er lachte.

»Ihr würdet Wochen brauchen, wenn nicht Monate. Keiner von ihnen hat die Kraft, das durchzustehen. Und selbst wenn, es ist Krieg, hast du das vergessen?«

»Was geht mich euer Krieg an?«, fragte Andrej. Er wußte, das es ein Fehler war, überhaupt zu antworten. Abu Dun wollte ihn in ein Gespräch verwickeln, womöglich ablenken, damit seine Leute eine Gelegenheit fanden, ihn zu befreien.

»Bis hinauf zu den Karpaten befindet sich das Land in der Hand Sultan Selics«, antwortete Abu Dun.

»Und was seine Truppen nicht besetzt halten, das verwüsten die versprengten Haufen der Walachen, Kumanen und Ungarn, die sich untereinander nicht weniger erbittert bekriegen als die großen osmanischen und christlichen Heere. Du glaubst tatsächlich, du könntest eine Karawane halb toter Männer, Frauen und Kinder durch dieses Gebiet nach Hause bringen?« Er schüttelte den Kopf.

»Nein. So dumm bist du nicht, Hexenmeister.«

»Was willst du damit sagen?«, fragte Andrej.

»Ihr braucht ein Schiff«, antwortete Abu Dun.

»Und ich habe eines.«

»Das ist gar keine schlechte Idee«, sagte Andrej.

»Wir könnten dich und deine Männer über Bord werfen und mit dem Schiff weiterfahren.« Abu Dun lachte.

»Sei kein Narr. Selbst wenn ihr es könntet, wie weit würdet ihr kommen, bis ihr auf die ersten Truppen des Sultans trefft? Oder auf die Ungarn - was im Zweifelsfall keinen Unterschied für euch macht?« Er bewegte sich leicht, erstarrte aber sofort wieder, als Andrej den Druck auf die Messerklinge verstärkte.

»Sei kein Dummkopf, Hexenmeister«, fuhr er fort.

»Ich schlage dir ein Geschäft vor. Du zahlst mir das, was ich für die Sklaven bekommen hätte, und ich bringe dich und deine Leute sicher nach Hause. Oder zumindest so nahe heran, wie es mir möglich ist.« Beinahe hätte Andrej gelacht.

»Wie kommst du auf die Idee, das ich dir traue?«

»Weil du ein kluger Mann bist«, antwortete Abu Dun in einem Ton, der überzeugender klang, als es Andrej lieb war.

»Ich mache Geschäfte. Mir ist es gleich, wofür ich mein Gold bekomme. Und hundert Passagiere sind angenehmer zu transportieren als hundert Sklaven, die man bewachen muss. Außerdem« fügte er mit einem Grinsen hinzu, »hast du im Moment eindeutig die besseren Argumente.« Obwohl er es nicht wollte, übten Abu Duns Worte eine gewisse Anziehungskraft auf Andrej aus. Die Frage, wie er die gut hundert zu Tode erschöpften Gefangenen eigentlich nach Hause bringen sollte, hatte ihn in den letzten Tagen beschäftigt wie keine andere, aber eine wirkliche Antwort hatte er noch nicht gefunden. Natürlich war es grotesk, auch nur mit dem Gedanken zu spielen, das er dem Piraten trauen konnte. Trotzdem fragte er:

»Und Vater Domenicus? Er wird nicht erfreut sein, wenn er hört, das du ihn verraten hast.« Abu Dun machte ein abfälliges Geräusch: »Was geht mich dieser lügnerische Pfaffe an? Er hat mir eine Ladung Sklaven zum Kauf angeboten. Er hat mir nicht gesagt, das sie unter dem Schutz eines leibhaftigen Dämonen stehen. Ist es eine Lüge, einen Lügner zu belügen?«

»Ist es klug, einem Verräter zu trauen?«, gab Andrej zurück.

»Ich bin kein Verräter«, antwortete Abu Dun.

»Ich mache Geschäfte. Aber ich verstehe, das du mir misstraust. Ich an deiner Stelle täte es wohl auch. Gut. Dann werde ich dir den Beweis meiner Ehrlichkeit liefern. Sieh zum Bug.« Andrej gehorchte - und sein Herz machte einen erschrockenen Satz in seiner Brust. Vor der kurzen Rammspitze des Schiffes waren zwei von Abu Duns Kriegern aufgetaucht, die eine dritte, wesentlich kleinere Gestalt zwischen sich hielten. Es war Frederic.

»Großer Gott«, murmelte er.

»Der wird dir jetzt wohl auch nicht mehr helfen«, sagte Abu Dun ruhig.

»Spielst du Schach, Hexenmeister?« Andrej antwortete nicht, sondern starrte Frederic aus ungläubig aufgerissenen Augen an. Der junge hing schlaff in den Armen eines der Piraten. Er schien bewußtlos zu sein. Der zweite Pirat hatte seinen Krummsäbel mit beiden Händen ergriffen und suchte mit gespreizten Beinen nach festem Stand; wohl um Frederic mit einem einzigen Hieb zu enthaupten was selbst für einen Deläny den sicheren Tod bedeuten würde. Andrej fragte sich, ob es Zufall war oder Abu Dun ihm die ganze Zeit etwas vorgemacht hatte und er sehr viel mehr über sie wußte, als er zugab.

»Tätest du es«, fuhr Abu Dun fort, »wüsstest du, das man eine solche Situation ein Patt nennt. Unangenehm, nicht? Wenn du mich tötest, töten sie ihn und wenn sie ihn töten, tötest du mich. Jetzt ist die Frage nur, wessen Leben mehr wert ist. Das des jungen oder meines.« Andrejs Gedanken überschlugen sich. Er kannte die Antwort auf Abu Duns Frage. Im Zweifelsfall würden seine Männer vermutlich wenig Rücksicht auf sein Leben nehmen. So etwas wie Piratenehre gab es nur in Legenden. Aber wenn er nachgab, bedeutete das ihrer beider sicheren Tod. Er wußte nicht, was er tun sollte. »Ich will es dir leicht machen«, sagte Abu Dun.

»Lasst den jungen los!« Den letzten Satz hatte er laut gerufen und er bediente sich wohl absichtlich Andrejs Sprache, damit er ihn verstand. Die beiden Männer, die Frederic gepackt hatten, reagierten nicht sofort. Auf ihren Gesichtern erschien ein unwilliger Ausdruck.

»Ihr sollt ihn loslassen oder ich lasse euch bei lebendigem Leib die Haut abziehen!«, brüllte Abu Dun. Die beiden Piraten zögerten noch einmal einen Moment, aber dann ließ der eine sein Schwert sinken und der andere trat einen halben Schritt zurück und ließ Frederic los. Der junge fiel auf die Knie, kippte auf die Seite und stemmte sich benommen auf Händen und Knien hoch, aber nur, um gleich wieder zu fallen. Er war mehr bewußtlos als wach. Erst beim dritten Versuch kam er in die Höhe, sah sich aus glanzlosen Augen um und torkelte auf Andrej und den Piraten zu.

»Jetzt bist du an der Reihe, Hexenmeister«, sagte Abu Dun.

»Du musst dich entscheiden, ob du mir traust oder nicht.« Selbstverständlich vertraute Andrej dem Piraten nicht. Ebenso gut konnte er einem Krokodil die Hand ins Maul legen und darauf hoffen, das es satt war. Das Schlimme war nur: Abu Dun hatte Recht. Die Gefangenen an Land zu bringen bedeutete nicht das Ende, sondern erst den Anfang ihrer Probleme. So unglaublich es ihm auch selbst erschien, er hatte die Augen vor diesem Problem bisher einfach verschlossen.

»Ich kann dir nicht trauen«, sagte er. Seine Stimme verriet mehr von seinem Zweifel, als er wollte.

»Dann wirst du mich wohl töten müssen«, sagte Abu Dun.

»Entscheide dich! Jetzt! Ich bin es müde, darauf zu warten, das du mir die Kehle durchschneidest.« Andrej wußte nicht, was er tun sollte.

»Verrate mir noch eins«, sagte er.

»Wohin wolltet ihr die Gefangenen bringen? Was hat dir Vater Domenicus gesagt?«

»Nichts«, antwortete Abu Dun unwillig.

»Ich hatte vor, die Donau hinaufzufahren und sie an einen anderen Händler zu verkaufen. Es ist Krieg. Jeder braucht Sklaven. Sie bringen einen guten Preis.« Andrej spürte, das das nicht die Wahrheit war.

»Du weißt, was dir passiert, wenn du mich hintergehst«, sagte er. »Du kannst mich töten, aber ich werde wiederkommen und dann werde ich dich und alle deine Männer töten und eure Seelen in die Hölle schicken.«

»Da kommen sie sowieso hin, fürchte ich«, seufzte Abu Dun.

»Aber ich bin nicht besonders versessen darauf, das es schon heute geschieht. Haben wir eine Abmachung?« Andrej zögerte eine unendlich lange, quälende Weile. Dann trat er zurück, durchtrennte mit einem schnellen Schnitt Abu Duns Fesseln und ließ den Dolch sinken.

»Nun?«, fragte Andrej.

»Haben wir eine Abmachung?« Abu Dun betrachtete seine Fingerspitzen. Dann sah er auf, runzelte die Stirn noch tiefer und nickte schließlich.

»Ja«, sagte er.

»Das haben wir.« Und damit schlug er Andrej die Faust mir solcher Wucht ins Gesicht, das dieser auf der Stelle das Bewusstsein verlor.

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