Gegen jede Erwartung fand er in dieser Nacht nicht nur Schlaf, sondern erwachte auch mit einem Gefühl von Stärke und ohne die mindeste Erinnerung an einen Alptraum. Der Kampf, den er ausgefochten hatte, hatte ihn offenbar so erschöpft, das er dafür keine Kraft mehr übrig gehabt hatte. Ihm wurde ein Mahl gebracht, das eines Fürsten würdig gewesen wäre. Er verzehrte es bis auf den letzten Rest und wunderte sich dabei ein wenig über sich selbst; nicht nur über seinen Appetit, sondern auch über die fast unnatürliche Ruhe, die ihn erfüllte. Er sollte entsetzt sein; zumindest empört, aber er fühlte im Grunde gar nichts; allenfalls eine vage Trauer, wenn er an Maria dachte. Als die Sonne aufging, hörte er Schritte draußen auf dem Flur. Die Tür wurde aufgerissen und zwei Bewaffnete traten herein. Sie sagten nichts, aber Andrej wußte, das sie gekommen waren, um ihn abzuholen; er hatte Tepeschs Worte vom vergangenen Tag nicht vergessen. Einen Vertrauensbeweis ... Noch etwas hatte sich geändert. Während Andrej aufstand und den Soldaten auf den Flur folgte, beobachtete er sich selbst dabei, die beiden Männer kühl nach ihrer Gefährlichkeit einzuschätzen.
Ein Teil von ihm schätzte ihre Bewaffnung, ihre Aufmerksamkeit und die Art ihrer Bewegungen ein und überlegte im nächsten Schritt, wie er sie am schnellsten und mit dem geringsten Risiko ausschalten konnte. Er erschrak vor sich selbst, aber der Gedanke blieb. Als die Männer hereingekommen waren, hatte er eine deutliche Anspannung verspürt, die nun verflogen war, weil er begriffen hatte, das sie für ihn keine Gefahr darstellten. Etwas war mit ihm geschehen. Er wußte nicht, was, aber es machte ihm Angst. Draußen auf dem Gang warteten vier weitere Männer auf ihn, die sich zu einer schweigenden, aber sehr nervösen Eskorte formierten. Andrej drehte sich nicht einmal zu ihnen herum, aber er spürte die Armbrustbolzen, die auf seinen Rücken gerichtet waren. Anders als gestern schien Burg Waichs nun voller Leben zu sein. Aus der kalten, dunklen Gruft, in der jeder Schritt unheimlich widerhallte, war ein lauter, lärmender Ort geworden, der von Menschen nur so wimmelte und schon fast beengt schien. Zahlreiche Männer - größtenteils, aber nicht ausschließlich Soldaten - kamen ihnen entgegen. Auch der Hof war voller Menschen. In der Nähe des Tors war ein mehr als mannshoher Stapel mit Kriegsgerät und Beutegut aufgebaut, und auf den Zinnen flatterten neben Tepeschs schwarzroter Drachenfahne die erbeuteten Wimpel von Selics zerschlagenem Heer im Wind. Seine Begleiter stießen ihn grob auf den Hof hinaus und signalisierten ihm, stehen zu bleiben und sich nicht von der Stelle zu rühren.
Niemand sprach ihn an; die Männer wichen sogar seinem Blick aus. Wahrscheinlich dachten sie, das er über den Bösen Blick verfüge, überlegte Andrej. Niemand hier hielt ihn für einen normalen Kriegsgefangenen. Offensichtlich hatte sich herumgesprochen, das Burg Waichs im Moment ganz besondere Gäste beherbergte. Während er wartete, sah sich Andrej aufmerksam um. Er entdeckte weder einen Scheiterhaufen noch einen der gefürchteten Pfähle, nur in einiger Entfernung stand ein einsamer Käfig, der offenbar zur Aufnahme eines Gefangenen bestimmt, im Augenblick aber leer war: Ein Würfel von einem guten Meter Kantenlänge, der mit spitzen, nach innen gerichteten Dornen gespickt war. Daneben standen vier Pferde mit einer sonderbaren und Andrej vollkommen unbekannten Art von Geschirr. Eine große Anzahl Bewaffneter bevölkerte den Hof, hielt aber respektvollen Abstand zu Andrej und seinen Begleitern. Während der Zeit, die Andrej tatenlos warten mußte, verließen mehrere Abteilungen Reiter die Burg oder kehrten zurück. Einmal trieben sie eine Gruppe zerlumpter und vollkommen entkräfteter Gefangener - die meisten verletzt - vor sich her. Tepesch hatte die Jagd auf Überlebende des muselmanischen Heers noch nicht einstellen lassen. Während die Männer die Gefangenen mit Stockschlägen und Fußtritten auf eine niedrige Tür zutrieben, die vermutlich zu den Verliesen hinabführte, versuchte Andrej möglichst unauffällig, ihre Gesichter zu erkennen.
»Mach dir keine Sorgen, Deläny«, sagte Tepesch hinter ihm.
»Dein muselmanischer Freund ist nicht dabei.« Andrej ließ ganz bewusst einige Zeit verstreichen, ehe er sich zu ihm umdrehte. Tepesch hatte sich ihm wieder einmal genähert, ohne das er seine Schritte gehört hatte; etwas, das er offensichtlich gut beherrschte. Er fuhr fort:
»Ich habe meinen Männern befohlen, den Mohr und seine Begleiter unbehelligt zu lassen. Nimm es als Zeichen meines guten Willens - und als Anzahlung auf unseren Handel.«
»Ich wüsste nicht, das wir einen hätten«, sagte Andrej ..Tepesch lächelte flüchtig. Er hatte sich verändert, war nun ganz in Schwarz gekleidet und trug einen einfachen Waffengurt mit einem schlichten, fast zierlichen Schwert um die Hüften. Seltsamerweise sah er dadurch fast gefährlicher aus, als hätte er sich in eine barbarische Rüstung gehüllt.
»Wir werden sehen«, sagte er. Mehr nicht, aber die Worte erfüllten Andrej mit einer unguten Vorahnung. Tepesch drehte sich halb herum, hob die Hand - und nur einen Augenblick später wurde das zweiflügelige Tor des Hauptgebäudes geöffnet und eine sonderbare Prozession verließ den Ort: Es waren vier von Tepeschs Männern, die eine Art lieblos zusammengezimmerter Sänfte zwischen sich trugen, auf der Vater Domenicus saß. Wie zuvor war er auch jetzt auf seinen Stuhl gebunden, allerdings auf eine Art, die Andrej zweifeln ließ, ob die stabilen Stricke tatsächlich nur seiner Sicherheit dienten oder doch Fesseln darstellten. Biehler, der letzte und wohl auch stärkste seiner drei Vampyrkrieger, folgte ihm. Er trug nicht mehr seine goldfarbene Rüstung, hatte aber ein gewaltiges Schwert im Gürtel, auf dessen Griff seine rechte Hand ruhte. Sein Gesicht war unbewegt, aber es gelang ihm trotzdem nicht ganz, seine Unruhe zu verbergen. Maria und als Letzter Frederic folgten ihm. Es gab keine bewaffnete Eskorte, wie bei Andrej, aber der Hof wimmelte von Soldaten.
»Vater Domenicus!« Tepesch ging dem Inquisitor ein paar Schritte entgegen und bedeutete den Trägern zugleich, die Sänfte abzustellen.
»Ich hoffe, Ihr hattet eine angenehme Nacht? Vermutlich wird meine bescheidene Burg Euren Ansprüchen nicht gerecht, worum ich um Vergebung bitte, aber meine Diener haben getan, was in ihrer Macht steht.« Domenicus spießte ihn mit Blicken regelrecht auf. Ohne auf seine Worte einzugehen, hob er die Hand und deutete anklagend auf Andrej.
»Was macht dieser Hexer hier? Wieso liegt er nicht in Ketten?«
»Ich bitte Euch, Vater«, antwortete Tepesch lächelnd.
»Habt Ihr so wenig Zutrauen zu den Mauern meiner Burg und den Fähigkeiten meiner Krieger?« Domenicus antwortete irgendetwas, aber Andrej hörte nicht mehr hin. Er versuchte, Marias Blick festzuhalten, aber sie wich ihm aus und blickte zu Boden. Frederic, der direkt neben ihr stand, war nicht mehr gefesselt. Er sah ihn an, aber sein Blick wirkte eher trotzig, fast schon herausfordernd, auch wenn Andrej sich beim besten Willen keinen Grund dafür denken konnte. Aus Biehlers Augen sprühte die blanke Mordlust. Andrej wollte zu Frederic gehen, aber Tepesch hielt ihn mit einer Handbewegung zurück und schnitt Domenicus mit der gleichen Bewegung das Wort ab.
»Genug, Vater«, sagte er.
»Ich weiß, wie ich mit meinen Gefangenen zu verfahren habe.«
»Das will ich hoffen«, antwortete Domenicus.
»Wenn Ihr jetzt vielleicht die Güte hättet, mir zu sagen, warum Ihr mich gerufen habt. Ich hoffe, es ist wichtig. Meine Wunde ist noch immer nicht ganz verheilt. Jede Bewegung bereitet mir große Schmerzen.«
»Ich wollte Euch nur eine Frage stellen«, antwortete Tepesch.
»Eine ganz einfache Frage, von deren Beantwortung jedoch viel abhängt.«
»Und wie lautet sie?«
»Seht Ihr, Vater ...«, Tepesch deutete auf Andrej, »ich hatte gestern Abend ein interessantes Gespräch mit dem Mann, den Ihr so gerne als Hexenmeister bezeichnet.« Domenicus starrte erst ihn, dann Andrej finster an, und Andrej bemerkte aus den Augenwinkeln, wie sich Biehler spannte und unauffällig einen Schritt näher trat. Als Domenicus nicht antwortete, fuhr Tepesch in einem schärferen Ton fort:
»Natürlich gilt mir sein Wort bei weitem nicht so viel wie das eines heiligen Mannes und Kirchenvertreters wie Euch, Vater. Aber ich frage mich doch, ob er vielleicht die Wahrheit sagt.«
»Die Wahrheit worüber?«, fragte Domenicus.
»Das Ihr mich belogen habt«, antwortete Tepesch hart.
»Das Ihr ein Lügner und Mörder seid, der mich als nützliches Werkzeug für seine verruchten Pläne eingesetzt hat.« In Domenicus’ Augen blitzte es auf.
»Was erdreistet Ihr Euch, Fürst?«
»Verbrennt die Hexen!«, antwortete Tepesch.
»Das waren doch Eure Worte, nicht wahr? Ich habe sie in dem Moment, als Ihr sie ausspracht, nicht ganz verstanden - ging es doch nur um das Schiff eines berüchtigten Piraten, der die Donau hinauffuhr, um dort Beute zu machen.« Domenicus starrte ihn finster an und schwieg.
»Von den paar Dutzend Männern und Frauen, die unter Deck angekettet waren, habt Ihr sicherlich nur vergessen, mir zu erzählen.«
»Hexen«, antwortete Domenicus hasserfüllt.
»Sie waren alle Hexen, mit dem Teufel im Bunde!«
»Dann ... dann ist es wahr?« Maria starrte ihren Bruder aus aufgerissenen Augen an.
»Du hast davon gewusst?«
»Sie hatten den Tod verdient«, antwortete Domenicus.
»Sie sind lebendig verbrannt«, fuhr Tepesch fort.
»Männer, Frauen und Kinder - mehr als fünfzig Menschen. Ich habe sie verbrannt, Vater Domenicus. Aber ich wußte nicht, das sie da sind. Ihr wusstet es.«
»Sag, das das nicht wahr ist!«, keuchte Maria.
»Sag es!« Ihr Bruder schwieg, und Tepesch fuhr mit kalter, schrecklich ausdrucksloser Stimme fort:
»Ihr seid ein Mörder, Domenicus. Ein gewissenloser Mörder und Lügner. Ich werde Euch zeigen, was ich mit Männern mache, die mich belügen. Packt ihn!« Die beiden letzten Worte hatte er geschrien. Andrej sah, das Biehler genauso schnell reagierte, wie er es erwartet hatte. Er warf sich mit einer blitzartigen Bewegung nach vorne und zog gleichzeitig sein Schwert aus dem Gürtel. Doch seine Schnelligkeit nutzte ihm nichts. Mehr als ein halbes Dutzend Armbrustbolzen zischte mit einem Geräusch wie ein zorniger Hornissenschwarm heran. Die meisten Geschosse verfehlten ihr Ziel, weil sich Biehler mit fast übermenschlicher Schnelligkeit bewegte, aber einer der Bolzen traf seine rechte Schulter und riss ihn herum, der zweite bohrte sich in sein Knie und ließ ihn stürzen. Der Vampyr brauchte nur Augenblicke, um die Geschosse herauszureißen und sich von seinen Verletzungen zu erholen, aber dann waren bereits Tepeschs Männer über ihm. Biehler wehrte sich mit verzweifelter Kraft, gegen die vielfache Übermacht kam er nicht an. Das Schwert wurde ihm aus den Händen gerissen, dann wurde er zu Tepesch geschleift und vor ihm in die Knie gezwungen.
»Was soll das?«, schrillte Domenicus.
»Was fällt Euch ein?« Tepesch schwieg. Er machte nur eine herrische Kopfbewegung. Seine Männer rissen Biehler wieder in die Höhe und zerrten ihn quer über den Hof in Richtung des Eisenkäfigs und der Pferde hin. Biehler schien zu ahnen, was ihm bevorstand, denn er bäumte sich auf und wehrte sich mit solch verzweifelter Kraft, das weitere von Tepeschs Männern hinzueilen mussten, um ihn zu bändigen. Trotz aller Gegenwehr wurden seine Hand- und Fußgelenke mit groben Stricken gefesselt, deren Enden an den Geschirren der Pferde befestigt waren.
»Nein!«, keuchte Domenicus.
»Das könnt Ihr nicht tun!« Tepesch hob die Hand und die vier Pferde trabten in verschiedene Richtungen an. Biehler wurde in Stücke gerissen. Maria schrie gellend auf, schlug die Hand vor den Mund und wandte sich würgend ab. Domenicus schloss mit einem unterdrückten Stöhnen die Augen. Einzig Frederic sah dem grausigen Geschehen interessiert zu.
»Erstaunlich«, sagte Tepesch.
»Man kann euch also doch töten.« Er wandte sich mit erhobener Stimme an die Männer, die Richler festgehalten hatten.
»Verbrennt ihn. Und bleibt dabei, bis auch wirklich nichts mehr von ihm übrig ist«
»Du Ungetüm!«, sagte Domenicus hasserfüllt.
»Du gewissenloser Mörder! Dafür wirst du büßen!«
»Das glaube ich nicht«, antwortete Tepesch gelassen.
»Verbrennt die Hexen - das waren doch Eure Worte oder? Nun, ich tue nichts anderes. Ich lasse einen Varnpyr verbrennen. Wollt Ihr mich dafür zur Rechenschaft ziehen?« Er beugte sich so weit vor, das sein Gesicht beinahe das des Inquisitors berührte.
»Dankt Eurem Gott, das ich nicht dasselbe mit Euch machen lasse, Pfaffe! Ich lasse Euch leben. Seht Ihr diesen Käfig dort?« Er lachte. »Selten wir doch einfach, wie wichtig Ihr Eurem Herrn im Himmel seid. Wenn Ihr bis Sonnenuntergang noch lebt, seid Ihr frei und könnt gehen, wohin es Euch beliebt.«.
»Nein«, murmelte Maria. Sie hatte sich wieder gefangen. Zwar war sie noch immer sehr blass, mußte aber nicht mehr mit aller Macht gegen ihre Übelkeit ankämpfen, »Bitte, Fürst! Tut es nicht! Ihr würdet ihn umbringen!«
»Aber mein Kind«, sagte Tepesch kopfschüttelnd.
»Sein Schicksal liegt jetzt allein in Gottes Hand!«
»Aber ...«
»Hör auf, Maria«, sagte Andrej.
»Verstehst du denn nicht? Je verzweifelter du ihn bittest, desto mehr Freude bereitetes ihm, dich zu quälen.« Er drehte sich zu Dracul um.
»Bin ich jetzt an der Reihe?« Tepesch zog in gespielter Überraschung die Augenbrauen zusammen.
»Ihr? Aber mein Freund, ich bitte dich! Das alles habe ich doch schließlich nur getan, um dich von meiner Aufrichtigkeit zu überzeugen!«
»Aufrichtigkeit?« Tepesch nickte heftig.
»Du hattest doch Angst, das ich mir einen anderen Verbündeten suchen könnte. Nun, jetzt gibt es keinen anderen Verbündeten mehr, nicht wahr?« Er lachte.
»Es ist schon seltsam, wie? Da suche ich mein ganzes Leben lang nach jemandem wie dir und mit einem Male sind beinahe mehr von deiner Art da, als ich verkraften kann.«
»Vielleicht hast du den Falschen hinrichten lassen«, sagte Andrej. »Ich werde dir ganz, bestimmt nicht helfen.«
»Wir werden sehen.« Tepesch deutete auf Domenicus.
»Steckt ihn in den Käfig«, befahl er.
»Und hängt ihn in die Sonne. Wir wollen doch nicht, das er friert.«
»Du Ungeheuer«, murmelte Maria.
»Wenn du ihn tätest, dann ...«
»Dann?«, fragte Tepesch, als sie den Satz unbeendet ließ. Er wartete vergeblich auf eine Antwort, zuckte schließlich mit den Schultern und machte eine weitere, befehlende Geste.
»Bringt sie in ihr Zimmer. Aber seid vorsichtig. Sie ist eine Wildkatze.« Maria funkelte ihn hasserfüllt an, aber sie gönnte ihm nicht den Triumph, sich gewaltsam von seinen Männern in die Burg schleifen zu lassen, sondern drehte sich herum und verschwand schnell und mit stolz erhobenem Haupt. Auf einen entsprechenden Wink ihres Herrn folgten ihr zwei Soldaten, während sich Tepesch endgültig zu Andrej umdrehte.
»Du siehst, ich stehe zu meinem Wort, Deläny«, sagte er. »Hast du dir mein Angebot also überlegt?«
»Du kennst meine Antwort«, Er deutete auf Domenicus, den Tepeschs Schergen in diesem Moment grob in den Gitterkäfig stießen. »Wenn du ihn wirklich töten lässt, könntest du dir große Schwierigkeiten einhandeln. Die Inquisition ist vielleicht nicht mehr so mächtig, wie sie einmal war, aber Rom wird es trotzdem nicht zu schätzen wissen, wenn seine Abgesandten umgebracht werden.«
»Rom«, antwortete Tepesch betont ruhig, »ist wahrscheinlich froh, einen lästigen und unberechenbaren Patron wie Domenicus auf diese bequeme Weise loszuwerden. Außerdem ist es ziemlich weit weg. Und wer weiß: Vielleicht weht ja in wenigen Jahren schon die Halbmondfahne über Rom?«
»Meine Antwort bleibt nein«, sagte Andrej. Tepesch seufzte.
»Schade. Trotzdem ... keine andere Antwort hätte ich dir geglaubt, Deläny. Gottlob bin ich nicht auf dich angewiesen. Mit dir lässt sich nicht gut verhandeln. Du bist zu ehrlich.« Er drehte sich zu Frederic um, sah ihn durchdringend an und fragte:
»Sind wir uns einig?« Einig? Frederic schwieg endlose Sekunden. Sein Blick irrte unstet zwischen Tepesch und Andrej hin und her. Einig?! Schließlich nickte er.
»Ja.«
»Frederic?«, murmelte Andrej.
»Was ... bedeutet das?« Tepesch drehte sich mit zufriedenem Gesichtsausdruck wieder zu ihm um.
»Du kannst gehen, Deläny.«
»Wie?«, fragte Andrej verständnislos.
»Du bist frei«, wiederholte Tepesch.
»Nimm dir ein Pferd und reite los. Du wirst mir nachsehen, das ich dir keine Waffe gebe, aber darüber hinaus kannst du dir nehmen, was immer du benötigst.«
»Um wohin zu gehen?«
»Wohin immer du willst«, antwortete Dracul.
»Du bist ein freier Mann. Ich liege nicht im Zwist mit dir. Trotzdem bitte ich dich, meine Ländereien zu verlassen.« Andrej schwieg. Er sah Frederic an, aber der Junge macht, noch immer ein verstocktes Gesicht, hielt seinein Blick aber nicht mehr stand, sondern starrte zu Boden und begann nervös mit den Füßen zu scharren.
»Und Maria?«
»Wie ich dir schon sagte: Sie ist mir zu jung. Sie wird eine Weile hier bleiben, bis sie sich beruhigt hat, und danach lasse ich sie an einen Ort ihrer Wahl bringen. Ihr wird nichts geschehen. Du hast mein Wort« Andrejs Gedanken rasten. Tepeschs Worte waren vermutlich nicht mehr wert als der Schmutz unter seinen Schuhsohlen, aber welche Wahl hatte er als die, sein Angebot anzunehmen? Biehlers Schreie gellten noch immer in seinen Ohren. Der Krieger war nicht zu retten gewesen. Und ei war viel besser als er gewesen.
»Ich möchte mit Frederic reden«, sagte er.
»Allein.«
»Ganz wie du willst.« Tepeseh schien einen Moment lang darauf zu warten, das Frederic und er sich entfernten. Als klar wurde, das dies nicht geschah, zuckte er mit den Schultern und ging davon.
»Was hat er dir versprochen?«, fragte Andrej.
»Nichts«, antwortete Frederic. Er scharrte noch immer mit den Füßen.
»Frederic!« Der Junge sah nun doch hoch. Er war blass und sein Mund war zu einem trotzigen, schmalen Strich zusammengepresst. »Lass mich raten«, sagte Andrej.
»Er hat dir angeboten, mich ungeschoren davonkommen zu lassen, wenn du dafür bei ihm bleibst, habe ich Recht?«
»Dich und Maria«, sagte Frederic.
»,Ja.«
»Und du glaubst ihm?«
»Du kannst geben, oder?«, fragte Frederic patzig.
»Das ist keine Antwort auf meine Frage«, sagte Andrej.
»Glaubst du ihm?«
»Wo ist der Unterschied zu dem, was du getan hast?«, fragte Frederic.
»Du warst bereit, dich an Abu Dun zu verkaufen, um mein Leben zu retten. Jetzt tue ich dasselbe für dich.«
»Das ist ein Unterschied«, sagte Andrej betont.
»Abu Dun war ein Pirat. Ein Mörder und Dieb. Aber Dracul ist ... böse. Er ist kein Mensch, Frederic.«
»Du meinst, so wie wir?«, fragte Frederic.
»Du glaubst, du wärst ihm gewachsen«, fuhr Andrej fort. Tief in sich spürte er, wie sinnlos es war. Frederic verstand ihn nicht, weil er ihn nicht verstehen wollte. Trotzdem fuhr er fort:
»Du bist es nicht. Auch ich wäre es nicht, Frederic. Wenn du bei ihm bleibst, dann wird er dich verderben. Es wird nicht lange dauern, und dann wirst du sein wie er.« Und wenn er es schon war? Andrej versuchte mit aller Kraft, sich dagegen zu wehren, aber plötzlich glaubte er Abu Duns Stimme zu hören, so deutlich, das er sich um ein Haar herumgedreht hätte, um nachzusehen, ob der Pirat nicht wirklich hinter ihm stand: Hast du schon einmal daran gedacht, das es vielleicht Menschen gibt, die schon böse geboren werden?
»Das werde ich nicht«, widersprach Frederic.
»Ich habe keine Angst vor diesem ... alten Mann. Wenn er mir lästig wird, dann töte ich ihn.« In seinen Augen erschien ein verschlagener Ausdruck.
»Wir könnten es gemeinsam tun. Versteck dich ein paar Tage. Sobald ich Tepeschs Vertrauen errungen habe, lasse ich dir ein Zeichen zukommen. Ich lasse dich bei Dunkelheit in die Burg. Wir töten Tepesch und befreien alle Gefangenen«. Andrej sah ihn lange und voller Trauer an. Dann drehte er sich wortlos um, stieg auf das erstbeste Pferd, das er erreichen konnte, und ritt davon.