Sieben

Drei Tage ohne Katastrophen. Drei gute Tage in Folge.

Drakon saß über die neuesten Berichte gebeugt. Die Bürger zeigten sich begeistert von der Aussicht auf echte Wahlen für Volksvertreter auf den unteren Ebenen. Die Propaganda, die den Leuten einreden sollte, dass es nur zu ihrem Besten war, wenn man diesen Prozess mit Bedacht und Sorgfalt anging, schien zu wirken, da sich keine Hitzköpfe zu Wort meldeten, die alles sofort haben wollten. Vorsichtshalber wurden eventuelle Hitzköpfe zusätzlich von der Polizei beobachtet, damit man sie rechtzeitig auf die harte Tour abkühlen konnte, wenn sie zu überhitzen drohten.

Er unterbrach seine Arbeit und betrachtete ein Video, das Schlangenfamilien zeigte, wie sie in das Handelsschiff verfrachtet wurden, das sie nach Prime bringen sollte. Scharen von Schaulustigen beobachteten den Start der Shuttles und jubelten ausgelassen. Nachdem das Blut der eigentlichen Schlangen vergossen worden war, schienen sich die Leute erst einmal damit zu begnügen, deren Angehörige aus dem Sternensystem zu vertreiben. Während sich die Shuttles dem Handelsschiff näherten, zeigten die virtuellen Fenster der Passagierabteile Bilder von Dutzenden Schweren Kreuzern und zahlreichen kleineren Kriegsschiffen, die den Planeten anflogen oder sich im Orbit aufhielten. Der größte Teil dieser Schiffe war nichts als Illusion, aber es war zu hoffen, dass die Familien sich davon täuschen ließen und von einer entsprechenden Armada berichteten, sobald sie nach ihrer Ankunft auf Prime verhört wurden. Eine gute Idee Icenis. Ich wünschte nur, wir könnten uns sicher sein, dass wir tatsächlich jede Schlange in diesem System eliminiert oder zumindest aufgespürt haben.

Eigentlich bin ich ja davon überzeugt, dass uns genau das nicht gelungen ist. Da draußen sind noch mehr von ihrer Art unterwegs. Aber wenn die vier übergelaufenen Schlangen, die ich versteckt habe, mit jemandem von diesen anderen Kontakt aufnehmen, werde ich das augenblicklich erfahren. Allerdings habe ich meine Zweifel, dass sie etwas mit irgendeiner Art von streng geheimem Programm zu tun hatten. So haben diese Vipern nicht gearbeitet. Die haben vor den eigenen niederrangigen Arbeitern genauso viel geheim gehalten wie vor uns.

Alles schien bestens zu laufen, doch Iceni präsentierte sich mit jedem Tag etwas ungehaltener und gereizter. »Malin«, rief Drakon über das Komm-Band. »Gibt es etwas Neues darüber, was Präsidentin Iceni derzeit macht?«

»Ich habe vor Kurzem herausgefunden«, erwiderte Malin, »dass der Befehlshaber über einen der Schweren Kreuzer, ein Mann namens Akiri, auf einen Posten auf der Planetenoberfläche versetzt wurde. Sein neuer Titel lautet ›Berater der Präsidentin in Angelegenheiten der mobilen Streitkräfte‹.«

»Berater der Präsidentin? Und was genau macht er?«

»Wir haben keine Angaben zu seiner Tätigkeit, General.«

Ein Posten ohne genauen Aufgabenbereich? Ha! Dieses Manöver kenne ich. Iceni wollte Akiri ohne großes Theater loswerden, also hat sie ihn »befördert« und ihm einen bedeutungslosen Posten gegeben. »Was wissen wir über diesen Akiri?«

»Unauffällige Personalakte, kein Mentor oder Sponsor bekannt. Befehlshaber über diese Einheit war für ihn der höchste Posten, in den er aufsteigen konnte.«

Das passte zusammen. Wenn in ein paar Monaten niemand mehr davon Notiz nahm, würde Iceni diesem Akiri vermutlich irgendeine harmlose Arbeit zuteilen, die seinen begrenzten Talenten entsprach. »Wer hat jetzt das Kommando über den Kreuzer?«, wollte Drakon wissen.

»Eine Executive namens Asima Marphissa, die bisherige Stellvertreterin. Sie wurde zur Sub-CEO befördert. Es gibt einige Senior Executives, die zugunsten von Marphissa übergangen wurden.«

»Hmm. Das hört sich ja ganz so an, als würde Präsidentin Iceni diese Marphissa auf größere Dinge vorbereiten.«

Malin nickte und starrte nachdenklich in die Ferne. »Die neue Flottenbefehlshaberin?«

»Könnte sein, aber damit wird Iceni bestimmt noch ein oder zwei Monate warten wollen, um den Schein zu wahren. Immerhin hat sie diese Marphissa Leuten vorgezogen, die einen höheren Dienstgrad vorweisen können. Versuchen Sie mehr darüber zu erfahren, wieso Iceni ein solches Interesse an dieser Frau hat und ob es eine Beziehung zwischen Gönner und Begünstigtem sein könnte.«

»Jawohl, Sir. Sonst noch etwas?«

Drakon zögerte. »Präsidentin Iceni kommt mir in letzter Zeit zunehmend ungehalten vor. Gibt es irgendeinen Anhaltspunkt dafür, dass ihr etwas nicht behagt?«

»Sie ist Morgan begegnet, Sir.«

»Sehr witzig. Ich habe mit Morgan schon eine hochexplosive Frau am Hals, ich brauche von der Sorte keine zweite in der Gestalt von Präsidentin Iceni. Es entspricht nicht dem Verhalten, das ich von ihr kenne. Deshalb glaube ich, etwas beunruhigt sie ganz erheblich. Versuchen Sie dahinterzukommen, was das sein kann.«

»Einige unserer Truppen befinden sich in einem höheren Alarmzustand, als ihn die Situation erforderlich macht, General«, erwiderte Malin zögerlich.

»Sie kennen den Grund dafür. Ich muss reagieren können, wenn wir erfahren, dass Präsidentin Iceni sich bereit macht, um gegen mich vorzugehen.«

»Sehr wahrscheinlich ist wiederum sie besorgt, dass der erhöhte Alarmzustand bedeuten könnte, Sie wollen Ihrerseits gegen sie vorgehen, Sir.«

»Wollen Sie mich davon überzeugen, den Alarmzustand aufzuheben? Das würde ihr aber erheblich mehr Spielraum verleihen.«

»Sie kennen meine Einschätzung, Sir«, sagte Malin. »Ich bin davon überzeugt, dass Präsidentin Iceni bereit ist, eine Partnerschaft mit Ihnen einzugehen, und dass sie nur gegen Sie vorgehen wird, wenn sie glaubt, dass Sie einen Schlag gegen sie vorbereiten.«

»Sie haben sich in Ihren Einschätzungen auch schon mal geirrt. Ich werde drüber nachdenken. Außerdem mache ich mir Sorgen, dass noch mehr von der Art einer Colonel Dun auftauchen könnten. Ich weiß, wir können Colonel Kai, Colonel Rogero und Colonel Gaiene vertrauen, aber bei den Angehörigen der lokalen Streitkräfte ist das eine andere Sache.«

»Colonel Morgan durchleuchtet sie alle, so wie Sie es angeordnet haben«, entgegnete Malin. »Sie ist gründlich und extrem misstrauisch. Es ist nicht anzunehmen, dass sie etwas übersieht.«

Dieser Auftrag sorgte für den Augenblick dafür, dass sie und Malin sich nicht zu oft über den Weg liefen. Drakon nickte zustimmend. »Wenn mir Morgans Bericht vorliegt, werde ich eine Entscheidung fällen. Haben wir eigentlich irgendetwas in Erfahrung bringen können, was diese Übermittlung enthielt, die Colonel Dun noch unmittelbar vor ihrem Tod absetzen konnte?«

»Nein, Sir. In Duns Ausrüstung fand sich nichts, was wir noch hätten retten können. Wir wissen, dass die Nachricht den Kreuzer zum Ziel hatte, den die ISD-Agenten übernommen haben, aber vor dem Durchfliegen des Hypernet-Portals wurde die Mitteilung nicht an noch jemanden auf dem Planeten weitergeleitet.«

Was hatte Dun bloß den Schlangen auf diesem Kriegsschiff mitgeteilt? Was war so wichtig, dass Dun es noch unbedingt hatte senden wollen, obwohl ihr das bevorstehende Ende bewusst gewesen sein musste? Der Gedanke daran weckte zugleich Erinnerungen an das Bild, wie Malin scheinbar auf Morgans Rücken zielte, und darüber wollte Drakon jetzt nun wirklich nicht nachdenken. »Geben Sie mir Bescheid, wenn sich irgendein Hinweis auf den Inhalt dieser Übermittlung findet.«

»Vielleicht hat Präsidentin Iceni ja eine Idee, was es mit dieser Nachricht auf sich hatte«, gab Malin zu bedenken. »Sie steht in ständiger Verbindung mit den mobilen Streitkräften und hat Erfahrung darin, sie zu befehligen.«

»Das wäre möglich«, räumte Drakon, lehnte sich zurück und rieb sich die Augen. »Ich habe keinen Sinn darin gesehen, ihr von der Nachricht zu berichten, solange ich keine Ahnung habe, was sie enthalten hat. Und den mobilen Streitkräften traue ich sowieso nicht bedingungslos. Vielleicht bereitet das ja Präsidentin Iceni irgendwelche Probleme. Macht sie sich Sorgen wegen der Loyalität ihrer Kriegsschiffe? Wenn mehr von ihnen dem Beispiel dieses Kreuzers folgen, dann könnte es für uns alle schlecht aussehen, und es würde zudem ihre Position mir gegenüber schwächen.«

»Ich werde sehen, was ich herausfinden kann«, sagte Malin.

»Was ist mit ihrem Assistenten? Diesem … Togo. Könnte er der Grund für ihre Unruhe sein?«

»Er steht sehr loyal zu ihr, und er ist sehr gefährlich, Sir. Extrem wertvoll für Präsidentin Iceni und zudem eine ihrer wirkungsvollsten Waffen.«

»Tatsächlich?« Togo war ihm von den Besprechungen eigentlich als völlig harmlos in Erinnerung, aber ein echter Profi legte natürlich auch Wert darauf, von anderen unterschätzt zu werden. »Ist er käuflich?«

»Das bezweifle ich, aber ich kann über Dritte unauffällig Nachforschungen in dieser Richtung anstellen lassen.«

Wenn Togo nicht käuflich war und er für Iceni eine so wichtige Person darstellte, würde Drakon ihn ebenfalls aus dem Weg räumen müssen, falls er gezwungen sein sollte, gegen Iceni vorzugehen. »Ist er jemand, mit dem Sie und Morgan nicht zurechtkommen würden, falls wir irgendwelche Schritte einleiten müssten?«

»Es würde mir nicht behagen, allein gegen ihn vorzugehen. Morgan könnte ihn wohl allein erledigen, aber es wäre selbst für sie eine Herausforderung. Allerdings muss ich dringend von einem solchen Zug abraten. Togo auszuschalten, wäre eine Kriegserklärung an Präsidentin Iceni. So etwas dürfte sie zu einem sofortigen Schlag gegen jeden veranlassen, der ihrer Meinung nach dafür verantwortlich sein könnte.«

»Läuft da was zwischen den beiden?«

»Nein, Sir. Eine rein professionelle Beziehung zwischen CEO und Untergebenem.«

»Sie wissen, was alles darunter fallen kann, Bran.« Nach Beendigung des Gesprächs dachte Drakon weiter über Iceni und Togo nach. Was kümmerte es ihn, ob sie Togo benutzte, um ihre körperlichen Bedürfnisse zu befriedigen? So was kam bei CEOs immer wieder vor. Aber ihm hatte diese Vorstellung nie behagt, weil so etwas seiner Ansicht nach nur zu Missstimmung führen konnte. Praktisch jede Frau, die er kennenlernte, arbeitete gleichzeitig auch für ihn, und bei denen, die das nicht taten, konnte nicht ausgeschlossen werden, dass sie als Attentäterinnen für irgendwen anders unterwegs waren. Es war schon viel zu lange her, und das verstärkte nur den Druck, den seine Arbeit ihm bereitete. Vielleicht macht das Gleiche ja auch Iceni zu schaffen. Vielleicht ist es bei ihr auch schon eine Weile her. Zu schade, dass sie und ich nicht … O ja, sicher. Zwei CEOs zusammen im Bett! Und wer entscheidet, wer oben liegt?

Obwohl er diesen Gedanken schnell wieder verwarf, kehrte er beharrlich in sein Bewusstsein zurück, bis Drakon es verärgert aufgab und beschloss, etwas für seine körperliche Fitness zu tun. Bevor er sein Büro verließ, hielt er jedoch inne und dachte kurz nach. Dann erledigte er noch eine Sache: »Colonel Malin, geben Sie an alle Befehlshaber der verschiedenen Einheiten unserer Bodenstreitkräfte weiter, dass sie unverzüglich auf Alarmstufe vier zurückkehren sollen.«

Damit sendete er Iceni ein unmissverständliches Friedensangebot. Jetzt blieb abzuwarten, wie sie darauf reagieren würde.

»General Drakon, wir haben von Präsidentin Icenis Büro die Zugangscodes erhalten, die es uns ermöglichen, uns bei den Einheiten der mobilen Streitkräfte im Sternensystem einzuklinken und deren Bereitschaftsstatus zu beobachten.«

Dann hatte sie also auf seine Geste reagiert. Beide hatten sie noch immer ihre Waffen, aber all diese Waffen waren in ihrer Einsatzbereitschaft heruntergefahren worden. Gerade wollte er sich ein wenig entspannen, da machten ihn Malins nächste Worte schon wieder nervös. »Sie sollten auch wissen, dass Colonel Morgan von ihrer jüngsten Inspektions- und Erkundungsreise zurückgekehrt ist«, fuhr Malin fort, dessen Gesichtsausdruck und Tonfall extrem neutral waren. »Ich glaube, Sie können in nächster Zeit mit ihr rechnen«, fügte er dann noch an, ehe er das Gespräch beendete.

Na, großartig. Und was hat Morgan nun wieder herausgefunden? Ist sie auf eine weitere Colonel Dun gestoßen? Falls ja, warum sollte sie dann aber bis zu ihrer Rückkehr damit warten, mir das zu sagen? Das wäre genau eines dieser Probleme, auf die Morgan üblicherweise sofort und meist mit einer tödlichen Waffe reagiert. Seufzend lehnte er sich zurück und wartete, dass sie zu ihm kam.

Wie von Malin vorausgesagt, musste er nicht lange warten.

Zwar riss Morgan nicht die Tür zu seinem Büro auf, was aber nur daran lag, dass sie wusste, mit einem derart dramatischen Auftritt bei Drakon keinen Eindruck schinden zu können. »Wie lange hat Rogero schon mit den Schlangen zusammengearbeitet?«

Ah, darum ging es also? Selbst sie wusste, dass sie nichts gegen Colonel Rogero, Kai oder Gaiene unternehmen konnte, wenn sie das nicht vorher mit Drakon abstimmte. Und wie es schien, war sie auch noch dahintergekommen, dass Drakon über Rogero längst Bescheid wusste. Das konnte ihr nur Malin erzählt haben, und mit Sicherheit hatte er sich daran geweidet, ihre Reaktion beobachten zu können.

Betont gelassen lehnte Drakon sich nach hinten, während er antwortete: »Colonel Rugero hat ein paar Jahre lang für den ISD gearbeitet.«

»Und das haben Sie mir nicht gesagt?« Morgan kochte vor Wut und wirkte zudem noch äußerst gefährlich.

»Ich dachte mir, Sie finden es schon heraus.«

»Aber Sie haben es Malin gesagt.«

»Er hat es auch herausgefunden«, erwiderte er und verkniff sich ganz bewusst den Zusatz »lange vor Ihnen«. Als die Nachricht an Rogero eingegangen war, während die Allianz-Flotte das Sternensystem durchquerte, war es letztlich unvermeidbar gewesen, dass Morgan und Malin früher oder später auf die Quelle des Ganzen stoßen würden.

Morgan beugte sich vor und stützte sich auf seinem Schreibtisch ab. Sie war wütend, aber es schimmerte auch Neugier durch. »Wieso? Wieso lebt Rogero noch? Er hat die Schlangen mit Informationen versorgt. Er hätte uns alle auffliegen lassen können, bevor wir die Vipern erledigen konnten.«

»Nein.« Drakon bewahrte weiter die Ruhe. »Ich wusste vom ersten Tag an, dass Rogero vom ISD angesprochen worden war. Sie haben ihn mit Drohungen zur Mitarbeit gezwungen. Er hat ihnen nur das erzählt, was sie über mich erfahren sollten. Rogero hat mitgeholfen, die Schlangen glauben zu lassen, dass ich nicht irgendwelche Pläne schmiede.«

»Dann war er Ihr Agent? Und die Schlangen haben geglaubt, er spioniert für sie? Und was ist mit der Tatsache, dass Rogero sich mit einem Miststück aus den Reihen der Allianz eingelassen hat?«

»Darüber wusste ich auch Bescheid. Ich wusste davon, als ich Rogero unter mein Kommando zurückholte, wofür ich etliche Hebel in Bewegung setzen musste. Die Regierung wollte Rogero als Aufpasser in einem Arbeitslager auf irgendeinem mörderischen Planeten verrotten lassen. Dort lernte er auch diese Offizierin der Allianz kennen. Nachdem man ihn dorthin versetzt hatte, weil er in einer Krisensituation seinen Verstand benutzte, anstatt blindlings den Vorgaben zu folgen.« Drakon griff nach seiner Tasse und trank einen Schluck Kaffee. »Ich redete einem Executive der Schlangen ein, er solle doch Rogero als Quelle gegen die Allianz einsetzen, und daraufhin half der ISD mir, das Ganze über die Bühne zu bringen. Der ISD arrangierte die Freilassung dieser Frau, und Rogero tauschte mit ihr anschließend Informationen aus. Ich wusste, dass er auch über mich Berichte abliefern sollte, aber auf diese Weise kannte ich einen der Spione des Sicherheitsdienstes.«

»Sie haben mit den Schlangen zusammengearbeitet, um sich einen Spion in Ihre eigenen Reihen zu holen?« Morgan schwieg einen Moment, dann musste sie lachen. »Sie sind verrückt!« Ihr Tonfall klang, als sei er mit einem Mal der begehrenswerteste Mann der Galaxis.

Unwillkürlich musste er grinsen. »Ich bekenne mich schuldig.«

»Gut so. Dann wurde Rogeros Allianz-Flittchen vom ISD freigelassen und nach Hause geschickt? Und wo ist die Frau jetzt? Ich meine, ich weiß, dass sie zu Black Jacks Flotte gehört, aber was genau macht sie da?«

»Sie befehligt einen Schlachtkreuzer der Allianz-Flotte.«

Wieder verschlug es ihr für einen Moment die Sprache, dann wurde ihr Grinsen noch breiter. »Sie ist die Befehlshaberin eines Allianz-Schlachtkreuzers? In Black Jacks Flotte? Und sie ist scharf auf Rogero? Verzeihen Sie, General, aber Sie sind nicht nur verrückt, sondern genial verrückt!«

»Danke.« Er zuckte mit den Schultern. »Ob sie noch immer etwas für ihn empfindet, weiß ich nicht. Die Nachricht, die sie ihm geschickt hat, als die Flotte das letzte Mal hier war, bestand praktisch nur aus einer Frage: ›Hi, wie geht’s?‹ Sie hat damit zwar verklausuliert nach Informationen gefragt, aber es gibt keinen Hinweis auf ihre momentanen Gefühle ihm gegenüber.«

Morgan ließ sich auf das Sofa fallen und legte ein Bein über die Armlehne. »Was hat unser Liebhaber geantwortet?«

»Rogero hat nicht geantwortet. Iceni konnte ihm keine Nachricht zukommen lassen, ohne dass die Schlangen darauf aufmerksam wurden. Aber jede Mitteilung an die Flotte wäre aufgefallen, und es war ihm nur erlaubt, mit ihr zu reden, wenn der ISD dabei einbezogen wurden. Das hätte besonders viel Aufmerksamkeit von deren Seite bedeutet, was wiederum uns vermutlich zum Verhängnis geworden wäre.«

»O ja.« Morgan starrte nachdenklich die gegenüberliegende Wand an, eine Hand strich beiläufig über die Waffe, die sie im Halfter an der Hüfte trug. »Aber was empfindet Rogero jetzt? Will er sich mit dem Miststück aus dem Staub machen?«

Drakon beugte sich leicht vor und sagte mit etwas mehr Nachdruck: »Rogeros Gefühle sind ganz allein seine Sache, solange er sich mir gegenüber loyal verhält. Außerdem empfehle ich Ihnen dringend, diese Allianz-Frau nicht so zu bezeichnen, wenn die Chance besteht, dass Rogero Sie hören könnte.«

»Oooch, ist der Gute sooo verliebt?«, spottete sie. »Männer sind so verdammt leicht zu durchschauen. Wahrscheinlich träumt er davon, sich ein Shuttle zu nehmen und zu seiner Süßen zu fliegen, damit sie sich auf irgendeiner Hinterwäldlerwelt in der Allianz vergnügen können. Aber, Boss, Sie können nicht zulassen, dass jemand, der so viel weiß wie Rogero, zur Allianz überläuft.« Sie redete ganz lässig, doch ihre Hand schloss sich wie aus eigenem Antrieb um den Griff der Waffe.

»Wenn Rogero diese Entscheidung trifft, ist das seine Sache. Er hat sich das verdient, außerdem weiß ich, dass er der Allianz nichts verraten würde, womit er mir schaden könnte.«

»Sir, ganz ernsthaft. Sie sind genial verrückt, aber Sie wollen nicht immer das tun, was Sie tun müssten.« Sie lächelte ihn an. »Und genau dafür brauchen Sie mich.«

Drakon sah sie finster an. »Ich brauche auch Rogero. Ihm wird auf keinen Fall etwas zustoßen, wenn ich das nicht ausdrücklich anordne.«

»General …«

»Das ist mein Ernst, Morgan. Ich will wissen, was er dieser Allianz-Frau erzählt, wenn Black Jacks Flotte hierher zurückkehrt.«

»Falls die Flotte zurückkehrt, wollten Sie wohl sagen«, konterte Morgan. »Die sind ins Enigma-Gebiet vorgedrungen. Nichts von dem, was wir hingeschickt haben, ist jemals zurückgekommen.«

»Sie ausgenommen«, hielt Drakon dagegen.

Ihre katzengleiche Selbstsicherheit war mit einem Mal verschwunden, ihre Augen nahmen kurz einen eisigen Ausdruck an, als könnte man in ihnen die endlosen Weiten des Alls sehen. »Die haben jemand anderes hingeschickt. Sie trug meinen Namen, und sie sah auch aus wie ich, aber sie ist gestorben. Dafür bin ich zurückgekommen.« Die Kälte wich von ihr und wurde durch Morgans gewohnte eindringliche Art ersetzt. »Diesmal könnte Black Jack den Mund zu voll genommen haben.«

»Mag sein. Aber im Gegensatz zu uns hat er die Enigmas schon einmal schlagen können.«

Morgans Augen blitzten wieder auf, diesmal loderten sie wie eine Glut. Drakon konnte diese Reaktion nur zu gut verstehen. Es ärgerte ihn auch, dass ein Offizier der Allianz, der eigentlich seit hundert Jahren tot sein müsste, nicht nur die mobilen Streitkräfte der Syndikatwelten in Grund und Boden geschossen hatte, sondern dass es ihm auch noch gelungen war, einen Angriff der Enigma-Flotte auf das Midway-Sternensystem abzuwehren. Die Syndikatwelten hatten über hundert Jahre lang von der Existenz der Enigma-Rasse gewusst, in dieser Zeit aber kaum etwas über sie herausgefunden, während die Allianz-Flotte einen Bruchteil der Zeit benötigt hatte, um die fremde Spezies zu durchschauen. Black Jack hatte sie alle gerettet, aber ihre Dankbarkeit paarte sich auch mit Neid und Ablehnung.

Black Jack musste diese hundert Jahre im Kälteschlaf verbracht haben, überlegte Drakon, immerhin wirkte er nicht auffallend gealtert. Hatte die Allianz ihn tatsächlich bei der Schlacht von Grendel verloren? In unbestätigten Geheimdienstberichten war davon die Rede gewesen, dass Black Jack in einer beschädigten Rettungskapsel überlebt habe. Oder hatte die Allianz ihn vielleicht vorsätzlich auf Eis gelegt und Jahrzehnt um Jahrzehnt gewartet, bis sie den richtigen Zeitpunkt für gekommen hielt, um ihn aufzutauen, weil die Lage so verzweifelt war, dass man keinen anderen Ausweg mehr sah? So etwas hätten die Syndikatwelten mit einem überlebensgroßen Helden gemacht, der in der Lage gewesen war, es mit der Allianz aufzunehmen. Die Allianz-Regierung behauptete zwar von sich, anders zu sein als die der Syndikatwelten, aber ob das stimmte, stand auf einem ganz anderen Blatt.

Morgan saß schweigend da, bis sie sich Drakon zuwandte und ihn wieder anlächelte. »Ich könnte an ihn rankommen. So wie sich Rogero diese Allianz-Befehlshaberin geangelt hat. Wenn Black Jack zurückkehrt, werde ich ihm eine Nachricht zukommen lassen. Irgendwas mit Heldenverehrung. Und mit weiblicher Bewunderung. Er wird anbeißen.«

Drakon sah ihr in die Augen und bemerkte dabei, wie sie es sich auf dem Sofa bequem gemacht hatte. Ihr hautenger Anzug betonte jedes Detail ihres Körpers, und es war diese Kombination aus Schönheit und Bedrohung, die sie so anziehend machte. Damit konnte sie jeden Mann zum Wahnsinn treiben, und Morgan wusste das nur zu gut. »Black Jack könnte bereits eine Frau haben. Es gibt Gerüchte in dieser Richtung.«

»Aber keine Frau wie mich«, sagte sie, zwinkerte ihm zu und stand auf. »Einen Versuch ist es wert, nicht wahr?«

Er versuchte, den Vorschlag ganz vernünftig abzuwägen, verspürte aber einen Anflug von Eifersucht, als er daran dachte, Morgan könnte etwas mit Black Jack anfangen. Er gab sich Mühe, das Ganze nüchtern zu betrachten. Sie würde Black Jack in der Hand haben, sie würde an Informationen darüber kommen, was er vorhatte. Man konnte gar nicht genug betonen, wie unschätzbar wertvoll derartige Informationen wären. »Vielleicht ja. Haben Sie sonst noch was herausgefunden?«

»Nein. Falls es von den Schlangen noch irgendwelche Schläfer gibt, befinden sie sich eindeutig nicht in den Führungspositionen der Bodenstreitkräfte«, erklärte Morgan entschieden.

Das waren gute Neuigkeiten. Wenn jemand Schläfer ausfindig machen konnte, dann Morgan.

Sub-CEO Akiri erfuhr nicht mehr, wer oder was seinen Tod gewollt hatte.

Die Attentäterin, die alle Alarmanlagen und Schlösser überwunden hatte, stach einen Nervenparalysator in Akiris Hals, dann wartete sie einen Moment, bis sie Gewissheit hatte, dass ihr Opfer tatsächlich tot war. Schließlich machte sie sich auf den Weg zu ihrem nächsten Ziel.

Mehmet Togo, der mit schärferen Instinkten ausgestattet war (oder der womöglich den Schutz seiner Wächtervorfahren genoss, die er insgeheim weiter angebetet hatte, auch wenn die Syndikatwelten offiziell jedem davon abrieten, solchen »Aberglauben« zu betreiben), wachte in dem Moment auf, als die Attentäterin sein Schlafzimmer betrat. Er griff nach seiner Waffe und rollte sich vom Bett, gleichzeitig feuerte er einen Schuss ab. Ungerührt sah er mit an, wie die Angreiferin nach hinten geworfen wurde und dann reglos liegen blieb. In seiner Eile hatte er den Eindringling getötet, anstatt ihn nur außer Gefecht zu setzen. Das war ein unverzeihlicher Fehler, weil er nun von der Attentäterin keine Antworten mehr erhalten würde.

Das Leben von Sub-CEO Marphissa blieb erhalten, da sie an der Luke zu ihrem Quartier einen nichtautorisierten Alarm montiert und den Bordelektriker bestochen hatte, damit er diese Anlage geflissentlich übersah. Der stumme Alarm weckte Marphissa gerade noch rechtzeitig, dass sie nach der Handfeuerwaffe greifen konnte, die sie – wie jeder umsichtige CEO, Sub-CEO und Executive der Syndikatwelten – für den Fall in ihrer Nähe aufbewahrte, dass jemand seiner eigenen Beförderung nachhelfen wollte. Als der Attentäter die reguläre Alarmanlage überwunden hatte und ihr Quartier betrat, verpasste Marphissa ihm einen gezielten Schuss in die Brust. Auch wenn die Vorschriften von ihr verlangten, dass jeder Eindringling nur handlungsunfähig gemacht werden sollte, damit man ihn ausgiebig verhören konnte, ließ sie noch drei Schüsse folgen, die ihn trafen, als er gegen das Schott geschleudert wurde.

Die Vorschriften waren ihr völlig egal. Sie wollte dem Angreifer keine Chance geben, sich nach dem ersten Treffer doch noch aufzurappeln und seinen Auftrag zu erledigen.

Die Nachricht von Sub-CEO Marphissa ging bei Iceni ein, gerade als Togo ihr Bericht erstattete. »Ich habe alle mobilen Streitkräfte alarmiert, aber wie es scheint, gab es nur diesen einen Attentäter«, sagte Marphissa. »Sonst wurde niemand entdeckt, und es ist auch niemand ermordet worden. Somit war ich entweder das erste oder das einzige Opfer. Ich glaube nicht, dass es sich um einen … routinemäßigen … Attentatsversuch gehandelt hat.«

»Das sehe ich auch so«, stimmte Iceni ihr zu. »Wir hatten hier unten auch einen Zwischenfall. Allerdings hatte Sub-CEO Akiri nicht so viel Glück wie Sie.«

»Jemand hat mich und Sub-CEO Akiri töten wollen?«

»Ganz genau, und das auch noch in der gleichen Nacht.« Iceni sah zu Togo. »Konnten meine Leibwächter jemanden im Inneren des Gebäudes finden?«

»Nein, Madam Präsidentin. Ich habe bereits analysiert, wie die Attentäterin in den Komplex eingedrungen ist, und danach hat es den Anschein, dass sie Ihr Privatquartier nicht hätte erreichen können. Die Mittel, mit denen sie ausgerüstet war, um die Sicherheitsvorkehrungen zu überwinden, hätten nicht genügt, um diese Verteidigungsmechanismen außer Kraft zu setzen.«

»Gut. Konnten Sie den Attentäter an Bord Ihres Kreuzers identifizieren, Sub-CEO Marphissa?«

Marphissa schnaubte wütend. »Er ist völlig unbekannt. Weder gehört er zur Crew noch taucht er auf irgendeiner Liste der mobilen Streitkräfte auf. Aber wir sind weit von jeder bemannten Orbitaleinrichtung entfernt. Niemand konnte sich aus größerer Entfernung dieser Einrichtung nähern, ohne dabei entdeckt zu werden.«

Togo sprach mit ruhiger Stimme: »Unsere Attentäterin ist ebenfalls unbekannt. Keine registrierte Identität passt auf sie, weder bei den Bodenstreitkräften noch bei den mobilen Streitkräften. Und als Zivilperson taucht sie auch nirgends auf.«

»Wie soll das möglich sein?«, wunderte sich Marphissa. »Die Überwachungssoftware des ISD hätte die Anwesenheit jeder Person registrieren müssen, zu der es keine Datei gibt, selbst wenn sie zuvor noch nie hier aufgetaucht wäre. Ich weiß das. Jemand wie diese Attentäter hinterlässt ein Loch, eine Stelle, an der jemand etwas tut, der sich aber dem Anschein nach gar nicht dort befindet. Das ist, was der Software auffällt.«

»Die Attentäterin kann auf vielerlei Wegen hergekommen sein«, wandte Iceni ein.

»Sub-CEO Marphissa hat allerdings recht. Die Mörderin muss über Helfer verfügt haben, wenn es ihr gelungen ist, auf dem Planeten nicht aufzufallen«, betonte Togo. »Und zwar hochrangige Helfer.«

Iceni sah ihn forschend an. »Sind Sie bereit, diesen Helfern Namen zu geben?«

»Ich möchte nur darauf hinweisen, dass wir von General Drakon keine Meldung über Attentäter erhalten haben, die letzte Nacht versucht hätten seinen Stab zu ermorden, Madam Präsidentin. An den Standorten der Bodenstreitkräfte gab es weder einen Alarm noch irgendwelche anderen ungewöhnlichen Aktivitäten.«

Das konnte als belastender Beweis ausgelegt werden. Iceni war jedoch davon überzeugt, dass Drakon wusste, wie man ein solches Attentat erfolgreich verübte. Man suchte sich jemanden aus den eigenen Reihen, der entbehrlich war und bei dem es einem nichts ausmachte, auf ihn verzichten zu müssen. Dann ließ man ihn zur gleichen Zeit ermorden, zu der die Attentäter beim Gegner in Aktion traten. So hatte man eine Art von Alibi und konnte zugleich eigenen Ballast loswerden. Dabei handelte es sich um eine grundlegende CEO-Taktik. Wenn sie Drakon auch nur annähernd richtig einschätzte, dann war er nicht so dumm, sie und ihre Leute in einer Nacht-und-Nebel-Aktion ausschalten zu wollen, während er selbst allzu offensichtlich von einem Attentat verschont blieb. »Wie sollte General Drakon einen Killer auf Sub-CEO Marphissas Kreuzer gebracht haben? Sub-CEO, Sie sagten doch, dass Ihr Attentäter nur von einem der Kriegsschiffe in der unmittelbaren Umgebung gekommen sein kann, richtig?«

»Ja, Madam Präsidentin.«

»Was, wenn er einen dieser Tarnanzüge der Bodenstreitkräfte benutzt hätte?«

»Den hätten wir nach seinem Tod gefunden«, antwortete Marphissa. »Wir haben einen Standard-Schutzanzug in einem Abfallbehälter entdeckt, der noch nicht geleert worden war. Aber der kann von jeder Einheit stammen.«

»Der Killer hat seinen Schutzanzug abgelegt?«, fragte Iceni. »Dann war das nicht nur ein Mord-, sondern ein Selbstmordkommando.«

»Ja, Madam Präsidentin. Dem muss ich zustimmen.«

Ein Selbstmordkommando. Das hörte sich nicht nach Drakons Bodenstreitkräften an, sondern nach … »ISD.«

Marphissa sah Iceni verständnislos an. »Sie meinen, es halten sich immer noch Schlangen inmitten der Besatzungen unserer mobilen Einheiten auf? Aber jede dieser Einheiten wurde von Loyalisten der Syndikatwelten gesäubert, und niemand hätte eines der anderen Schiffe verlassen und an Bord dieses Kreuzers gelangen können, ohne dass irgendjemand auf jener Einheit davon etwas mitbekommen hätte.«

Iceni warf Togo einen Seitenblick zu. »Diese Säuberungen waren gründlich?«

»Ja«, beteuerte Marphissa. »Sehen Sie sich nur an, was mit der HuK-6336 passiert ist, als die die anderen loyalen Einheiten verließen. Zwei Drittel dieser Crew kamen bei den anschließenden Kämpfen ums Leben.«

»Das scheint dann …« Plötzlich verstummte Iceni und dachte zurück an den Moment, als ihr zum ersten Mal zu Ohren gekommen war, dass die Huk-6336 den anderen loyalen Schiffen den Rücken zugewandt hatte. Da hatte sie gerade erst eine Unterhaltung mit Drakon beendet über … über die Entdeckung eines Agenten des ISD. Es ging dabei um jemanden, der nicht zum ISD zu gehören schien.

»Sub-CEO Marphissa«, sagte sie und bemühte sich, ihre Stimme zu bändigen. »Hatten Sie nicht erwähnt, dass Sie vor der Elimination der Schlangen an Bord von HuK-6336 mit keinem der Offiziere sprachen?«

»Ja, Madam Präsidentin«, bestätigte sie und wunderte sich unübersehbar darüber, wo diese Frage hergekommen sein mochte. »Sie waren erst eine Woche zuvor dazugestoßen und hatten nur mit CEO Kolani Kontakt gehabt.«

»Dann lernten Sie sie erst persönlich kennen, nachdem sie eigenen Angaben zufolge alle Schlangen und alle Loyalisten des Syndikats getötet hatten?«

»Ja.«

»Kannten Sie zuvor einen der Offiziere an Bord der HuK-6336? Waren sie irgendeinem Besatzungsmitglied auf irgendeiner Ihrer Einheiten bekannt?«

»Nein, Madam Präsidentin, aber das ist keinesfalls undenkbar. Es gehören unzählige Offiziere zu den mobilen Streitkräften.«

Togo hatte begriffen, worauf Iceni hinauswollte.

»Woher«, fuhr sie fort, »wissen Sie dann, dass die Männer und Frauen, mit denen Sie gesprochen haben, echte Offiziere der mobilen Streitkräfte waren?«

»Ich … Wir haben uns ihren Dienstplan angesehen, den sie uns geschickt hatten, als sie zu uns ge- … Augenblick mal …« Die Sub-CEO bekam den Mund nicht mehr zu. »Wollen Sie damit sagen …«

»… dass sich vielleicht Folgendes abgespielt hat«, führte Iceni den Satz fort. »Die Vipern und die treuesten Anhänger der Syndikatwelten an Bord der HuK-6336 haben die wahren Offiziere und jeden anderen niedergemetzelt, dessen Loyalität auch nur angezweifelt wurde. Dann änderten sie den Dienstplan so, dass die Schlangen und die Loyalisten die eigentlichen Offiziere zu sein schienen, während sie die Toten als ermordete Schlangen ausgaben. HuK-6336 hat die C-625 nicht damit überrascht, als sie zurückblieb, während der Kreuzer ins Hypernet-Portal steuerte. Das war nur ein Täuschungsmanöver. Die Schlangen an Bord der HuK-6336 hatten den ausdrücklichen Befehl, hier im System zu bleiben.«

»Ein trojanisches Pferd voller Schlangen«, murmelte Marphissa erschrocken. »Und inzwischen haben sie eine Position nahe den anderen mobilen Streitkräften eingenommen. Madam Präsidentin, ich habe keine Möglichkeit, die HuK-6336 zu entern und zu übernehmen. Wir haben auf meinen Einheiten keine derartigen Spezialisten.«

Das hätte längst mit Drakon geregelt werden sollen, dachte Iceni missmutig. Jetzt war keine Zeit mehr, um jemanden vom Planeten hinzuschicken. »Was können Sie sonst noch machen?«

Marphissa hielt inne und dachte angestrengt nach. »Ich kann die HuK-6336 vom Kommandonetz abtrennen, ohne dass man dort etwas davon merkt. Sie werden glauben, sie bekommen immer noch alles mit, während ich meinen übrigen Kriegsschiffen befehle, die Schilde zu aktivieren und die Höllenspeere bereit zu machen.«

»Wird die HuK-6336 das nicht mitbekommen?«

»Ja, aber erst, wenn auf den anderen Einheiten bereits alle Vorbereitungen getroffen wurden. Wenn ich sehe, dass der Jäger seine eigenen Schilde und Waffen aktiviert, werde ich ihnen befehlen, das einzustellen. Wenn wir auf den anderen Kriegsschiffen volle Gefechtsbereitschaft erlangen und der Jäger hinkt noch hinterher, dann ist er uns hilflos ausgeliefert.«

Iceni suchte nach Denkfehlern in diesem gezwungenermaßen eilig improvisierten Plan. »Und wenn der Jäger Ihren Befehl ignoriert?«

»Dann werde ich, Ihre Erlaubnis vorausgesetzt, allen Einheiten den Befehl geben, das Feuer auf die HuK-6336 zu eröffnen. Das wird die einzige Lösung sein, um zu verhindern, dass der Jäger entkommt oder den anderen Einheiten Schäden zufügt.«

»Das erscheint mir als eine extreme Lösung angesichts der Tatsache, dass wir bislang nur von Vermutungen ausgehen«, gab Iceni zu bedenken.

»Madam Präsidentin, wenn sich an Bord der HuK-6336 Offiziere der mobilen Streitkräfte befinden, werden sie meinen Befehl befolgen. Sie werden nicht so verrückt sein, sich über einen Befehl hinwegzusetzen, wenn sie wissen, dass ich sie auslöschen kann.«

Einen Moment lang überlegte Iceni noch, dann nickte sie. »Ein triftiges Argument, und ich muss Ihnen zustimmen, dass uns keine andere Wahl bleibt. Können Sie den Jäger so beschädigen, dass er nur handlungsunfähig wird, damit wir ihn später entern können?«

»Das wird schwierig werden …«

»Konzentrieren Sie sich darauf, das zu erreichen. Wenn von dem Schiff dann noch irgendetwas übrig ist, umso besser. Ich hoffe, sie werden sich ergeben, wenn sie sehen, dass es keinen Ausweg mehr gibt.« Iceni sah Togos und Marphissas Blick und wusste, dass sie genau das Gleiche dachten wie sie selbst: Die Schlangen hatten noch nie die Bereitschaft zur Kapitulation erkennen lassen, und das würde dieses Mal auch nicht anders sein.

»Sobald die Besatzungen der anderen Schiffe begreifen, was der Crew der HuK-6336 angetan wurde«, warnte Marphissa sie, »werden die Schlangen wohl kaum eine Chance zur Kapitulation bekommen, selbst wenn sie sich ergeben sollten.«

»Verstehe. Können Sie mich bei sich eingeklinkt lassen, wenn Sie diese Operation ausführen?« Die Flotte der mobilen Streitkräfte befand sich immer noch im Orbit und war nahe genug, um aus der Zeitverzögerung zwischen Marphissa und Iceni kein Problem entstehen zu lassen.

»Ja«, erwiderte Marphissa prompt, auch wenn ihren Augen anzusehen war, dass sie im Geiste bereits mit anderen Dingen beschäftigt war.

Schweigend verfolgte Iceni mit, wie Marphissa Befehle eingab, wartete und überprüfte und zwischendurch den Managern auf der Brücke Anweisungen erteilte. Dann wartete sie noch einmal kurze Zeit und nahm schließlich Kontakt mit allen anderen Schiffen auf, ausgenommen die HuK-6336. »Bei Zeit zwei null fahren Sie Ihre Schilde auf maximale Leistung hoch und machen alle Höllenspeere feuerbereit. Das Ziel ist die HuK-6336, sofern sie nicht Ihre Befehle befolgt.«

Wieder eine Pause, dann hörte Iceni, wie eine Anfrage einging. »Sub-CEO, können Sie uns sagen, warum wir die HuK-6336 erfassen sollen?«

»Bei den Offizieren und Besatzungsmitgliedern an Bord handelt es sich wahrscheinlich in Wahrheit um Personal des ISD. Präsidentin Iceni und ich sind der Ansicht, dass die auf diesem Jäger befindlichen Schlangen die eigentlichen Offiziere und den größten Teil der Crew getötet haben. Die überlebenden Crewmitglieder sind diejenigen, die den Schlangen dabei geholfen haben, ihre Kameraden abzuschlachten. Sonst noch Fragen?«

Togo nickte anerkennend. »Eine deutliche und sehr motivierende Antwort.«

»Sie wird eine gute Befehlshaberin meiner mobilen Streitkräfte sein«, meinte Iceni. Dennoch war da immer noch eine Sache, die sie störte, etwas das nicht die Schlangen an Bord der HuK-6336 betraf. Wieso war Akiri als Erster ermordet worden? Akiris Fähigkeiten als Executive waren bestenfalls als bescheiden zu bezeichnen. Und doch hatte Kolani ihm sein Kommando belassen, obwohl sie dafür bekannt gewesen war, jeden auf einen anderen Posten zu versetzen, der ihr nicht zusagte. Aber jetzt hatte ein Attentäter ausgerechnet ihn zu seinem ersten Opfer auserkoren. Dummerweise war es damit nun auch zu spät, Akiri in einen Verhörraum zu setzen und herauszufinden, was er zu erzählen hatte. »Ich will, dass Akiris Quartier und seine Habseligkeiten gründlich auf irgendwelche Auffälligkeiten durchsucht werden«, sagte sie zu Togo.

»Darf ich fragen, ob die Suche sich auf etwas Bestimmtes konzentrieren soll, Madam Präsidentin?«

»Es gibt da ein paar Teile, die bei Akiri nicht ins Puzzle passen. Ich will den Grund erfahren. Suchen Sie nach allem, was nicht zu dem passt, was wir über ihn wissen.«

Ein paar Minuten verblieben noch bis zu der von Marphissa angegebenen Zeit. Als sich dann die anderen Schiffe zum Gefecht bereit machten, wartete Iceni gebannt darauf, was als Nächstes passieren würde. »Glauben Sie, die Schlangen an Bord des Jägers werden ebenfalls in Gefechtsbereitschaft gehen, wenn ihnen klar wird, was los ist?«, wandte sie sich an Togo.

»Das glaube ich nicht. Ein echter Executive der mobilen Streitkräfte würde das vermutlich machen, aber wenn die zum ISD gehören, dann sind sie daran gewöhnt, um Anweisungen zu bitten, damit ihnen jemand sagt, was sie tun sollen.« Togo lächelte flüchtig. »Sie werden sich an Sub-CEO Marphissa wenden und bei ihr nachfragen, was sie zu tun haben.«

Augenblicke später erhielt Togo die Bestätigung seiner Vermutung. »Sub-CEO, hier ist die HuK-6336. Sollen wir Gefechtsvorbereitungen treffen?«

»Nein«, antwortete Marphissa.

Es folgte eine Pause. »Die anderen mobilen Streitkräfte treffen Gefechtsvorbereitungen.«

»Ja. Aber Sie werden weder Ihre Schilde hochfahren noch die Waffen aktivieren. Haben Sie verstanden, HuK-6336?«

»Nein.«

Ob das die Antwort auf Marphissas Frage oder eine Ablehnung des Befehls sein sollte, war nicht klar. »Die HuK-6336 fährt ihre Waffensysteme hoch«, meldete einer der Manager auf der Brücke von Marphissas Kreuzer.

»Sicher?«, vergewisserte sich Marphissa.

»Hundertprozentig sicher, Sub-CEO. Schilde werden ebenfalls verstärkt.«

»HuK-6336, stoppen Sie das Hochfahren der Schilde und der Waffensysteme. Schalten Sie die Schilde und die Waffen ab. Das ist meine letzte Warnung an Sie.« Sie wartete einen Moment, dann sah sie den Manager an.

»Keine Veränderung, Sub-CEO. Die HuK-6336 geht in Gefechtsbereitschaft.«

Iceni sah, wie sich Marphissas Miene versteinerte. Dann streckte sie einen Finger aus, um einen voreingestellten Befehl zu erteilen.

Irgendwo über Iceni in einem hohen Orbit um den Planeten wurden Partikelstrahlen aus den Werfern von drei Schweren Kreuzern, vier Leichten Kreuzern und fünf Jägern abgefeuert, die alle auf die HuK-6336 gerichtet waren.

Es war nur diese eine Salve nötig. Die HuK-6336 befand sich in unmittelbarer Nähe dieser Schiffe und war nicht in Bewegung, sodass es unmöglich war, den Jäger zu verfehlen. Jäger waren nur schwach gepanzert, und die Schilde der HuK-6336 arbeiteten noch nicht einmal mit halber Leistung. Zudem waren bei einem so kleinen Schiff auf jedem Quadratmeter wichtige Schiffssysteme untergebracht. Das Kriegsschiff wurde von dieser einzelnen Salve so brutal getroffen, dass sich Iceni beim Blick auf den Schadensbericht auf Marphissas Display wunderte, wieso es nicht in tausend Stücke gerissen worden war.

Wütend betrachtete Marphissa das Wrack, dann trat sie abrupt in Aktion. »An alle Einheiten!«, rief sie. »Sofort maximal beschleunigen und auf Abstand zur HuK-6336 gehen! Achterschilde auf maximale Leistung! Sofort!«

Togo warf Iceni einen fragenden Blick zu. Sie zögerte, dann wurde ihr der Grund für Marphissas Befehl klar. »Die Antriebseinheit. Sie glaubt, es könnte auf der HuK-6336 zu einer Überladung kommen.«

»Wie kann es nach dem Beschuss dort noch Überlebende geben, die so etwas in die Wege leiten können?«

»Dafür muss es keine Überlebenden geben. Wenn die Schlangen Totmannbefehle hinterlegt haben, wird die Überladung automatisch ausgelöst. Es ist genau die Methode, die wir bei diesen Leuten schon beobachten konnten.«

Im nächsten Moment verging die HuK-6336 in einer gewaltigen Explosion.

Iceni sah, wie Marphissas Kreuzer von der Schockwelle durchgeschüttelt wurde. »Nur kleinere Schäden, da der Jäger über eine relativ schwache Antriebseinheit verfügte. Unsere Schilde arbeiteten mit voller Leistung, und wir sind vor dem Wrack davongeflogen, so schnell wir konnten«, berichtete Marphissa kurz darauf.

»Das war eine gute Reaktion«, lobte Iceni sie. »Sie haben die gesamte Situation sehr gut gelöst, Sub-CEO. Ich bin von Ihren Fähigkeiten beeindruckt.«

Es war das größte Lob, das ein CEO aussprechen konnte, entsprechend bekam Marphissa vor Freude einen roten Kopf.

Ehe Iceni noch etwas hinzufügen konnte, räusperte sich Togo entschuldigend. »General Drakon möchte Sie sprechen, Madam Präsidentin. Er möchte wissen, warum sich die mobilen Streitkräfte im Orbit gegenseitig beschießen.«

»Ich bin gleich für ihn da. Sub-CEO Marphissa, wir unterhalten uns morgen früh.«

Gerade wollte sich Iceni wegdrehen, da fiel kurz vor Unterbrechung der Verbindung ihr Blick auf Marphissas Display. Es zeigte die sich rasch verteilende Trümmerwolke des Jägers, der mit vermutlich zwanzig Menschen bemannt gewesen war. Sie hatte kein Mitleid mit diesen Leuten, die so viele von ihren Kameraden erbarmungslos abgeschlachtet hatten. Sie bedauerte nur den Verlust eines Schiffs.

Drakon hatte einen schockierten Eindruck gemacht, als er noch am gleichen Abend von den Attentatsversuchen und von Akiris Tod erfuhr, aber ihre Erklärungen hatten ihn offenbar zufriedengestellt. Dennoch bat er am nächsten Morgen um ein Gespräch unter vier Augen, da er sich nicht darauf verlassen wollte, dass die Komm-Verbindungen wirklich abhörsicher waren. Also tauchte er vor ihrem Bürokomplex auf, aber ohne seine Leibwächter und auch ohne Colonel Morgan und Colonel Malin, von denen er üblicherweise begleitet wurde. Von diesem ungewöhnlichen Verhalten irritiert sorgte sie dafür, dass alle Verteidigungsanlagen ihres Büros aktiviert und voll funktionstüchtig waren. Erst dann wies sie ihre Leibwächter an, Drakon eintreten zu lassen. »Was soll das?«, fragte sie, als er hereinkam.

Drakon stand da, blickte sie finster an, schaute kurz weg und sagte schließlich mit leiser, rauer Stimme: »Danke, dass Sie mir nicht unterstellt haben, ich hätte irgendetwas mit den Aktivitäten der letzten Nacht zu schaffen.«

»Ich denke besser von Ihnen, als sie glauben, General«, erwiderte sie. »Hätten Sie diese Anschläge geplant, wären die meisten auserkorenen Opfer jetzt tot.«

Er lächelte sie gequält an. »Ich deute das als Kompliment. Ich bin aus zwei Gründen allein hergekommen. Erstens will ich meine Bereitschaft zeigen, daran zu glauben, dass ich von Ihnen nichts zu befürchten habe. Weil ich mit diesen Anschlägen nichts zu tun habe. Soll ich das Gleiche an einer anderen Stelle in Ihrem Bürokomplex noch einmal verkünden?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, General Drakon. Sie müssen sich keinem Verhör unterziehen, um mich von Ihren Worten zu überzeugen. Sie würden dieses Angebot ohnehin nicht machen, wenn Sie nicht genau wüssten, dass Sie einen solchen Test bestehen. Was ist der zweite Grund für Ihren Besuch?«

Er schluckte und biss sich auf die Lippe, dann sagte er: »Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen.«

»Sie möchten … was?«

»Mich entschuldigen«, wiederholte er. Auch diesmal schien es ihm Schwierigkeiten zu bereiten, das Wort auszusprechen.

Kein Wunder. Iceni hatte Mühe zu glauben, dass sie ihren Ohren trauen konnte. Entschuldigungen unter CEOs kamen so selten vor, dass sie sich nicht daran erinnern konnte, wann sich das letzte Mal jemand bei ihr entschuldigt hatte. Oder allein wann sie das letzte Mal mitbekommen hatte, dass sich jemand anderes bei einem entschuldigte. War »selten« überhaupt die richtige Bezeichnung für etwas, das sich nach ihrer eigenen Erfahrung eigentlich nie ereignete? »Haben Sie … haben Sie mir etwas getan?«

»Nicht absichtlich.« Er atmete tief durch und sah ihr wieder in die Augen. »Ich habe versäumt, Ihnen etwas zu sagen, das Ihnen hätte helfen können zu erkennen, dass dieser Jäger ein Problem darstellte. Als wir Colonel Dun außer Gefecht setzten, gelang es ihr noch, eine Nachricht an den vom ISD kontrollierten Kreuzer zu schicken, bevor der das Hypernet-Portal durchflog. Es ist uns nicht gelungen herauszufinden, was diese Nachricht enthielt, und wir dachten, es ist wohl nur ein Bericht über die aktuelle Situation. Vielleicht eine Mitteilung an ihre Vorgesetzten bei den Schlangen, dass sie die Attacke nicht überleben würde und man ihre Familie gehen lassen solle. Irgendetwas in dieser Art. Mir wurde dazu geraten, Sie davon in Kenntnis zu setzen. Aber ich hielt es nicht für wichtig.«

Iceni musterte ihn fragend. »Und nun glauben Sie zu wissen, was diese Nachricht enthielt?«

»Ich glaube, es war eine Mitteilung an den Kreuzer, dass Dun enttarnt worden war und dass jemand anders ihren Platz als verdeckte Schlange in unseren Reihen einnehmen müsse.«

»Oh.« Das klang überzeugend. »Dann haben die Schlangen auf dem Kreuzer ihre Komplizen auf dem Jäger angewiesen, die Offiziere und alle gegen die Syndikatwelten eingestellten Besatzungsmitglieder zu ermorden, um dann so zu tun, als würden sie sich von den Schlangen lossagen. Auf diese Weise konnten sie zu einem Teil unserer Pläne werden, und sie wurden entsprechend in alles einbezogen.« Sie nickte nachdenklich. »Ja, so könnte es abgelaufen sein.«

»Und auf diese Gedanken wären Sie womöglich früher gekommen«, fuhr Drakon schwer atmend fort, »wenn ich Ihnen von dieser Nachricht berichtet hätte. Deshalb … möchte ich mich … entschuldigen.«

»Aber wieso?«

»Ich hätte Sie über alles auf dem Laufenden halten sollen, anstatt zu entscheiden, was Sie erfahren müssen und was nicht. Ich möchte selbst nicht, dass ein anderer für mich entscheidet, was ich wissen muss oder auch nicht. Deshalb sollte ich mich Ihnen gegenüber so verhalten, wie ich selbst behandelt werden möchte.« Er schüttelte den Kopf und schien wütend zu sein, aber das war eindeutig nicht gegen sie gerichtet. »Ich werde versuchen, so etwas künftig zu vermeiden.«

Iceni sah ihn wortlos an. Drakon hatte sich tatsächlich soeben bei ihr entschuldigt, und zwar absolut ehrlich, nicht zähneknirschend oder halbherzig. Was sollte sie nun dazu sagen? Wenn Untergebene angekrochen kamen und sich entschuldigten, dann reichte die Palette der möglichen Antworten von »Sie sind gefeuert« über »Ich werde Sie erschießen lassen« bis hin zu »Wenn so was noch mal passiert, sind Sie gefeuert«, beziehungsweise »werde ich Sie erschießen lassen«. Nichts davon eignete sich für diese Situation. »Ich … ich verstehe.«

»Tatsächlich?« Drakon schien genauso unschlüssig zu sein, was die angemessene Antwort zu sein hatte.

»Ja, das … das war ein nachvollziehbarer … Irrtum. Ich … Ach, verdammt, warum haben wir keine geeigneten Begriffe für so was?«

»Weil wir die noch nie gebraucht haben«, sagte Drakon und klang amüsiert und verbittert zugleich.

»Vielleicht werden wir sie aber in Zukunft brauchen. Lassen Sie mich eines sagen: Ich bin mir nicht völlig sicher, dass ich diese Verbindung zwischen Duns Nachricht und dem Verhalten der HuK-6336 erkannt hätte. Nein, ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass es mir nicht aufgefallen wäre. Dennoch möchte ich über derartige Vorgänge Bescheid wissen, wenn sie sich zukünftig ergeben.«

»Das werden Sie auch.«

Es klang wie ein Versprechen. Falls dem so war, hatte sie jetzt die ideale Gelegenheit, Drakon auf die Probe zu stellen. »Gibt es sonst noch etwas?«

Er zögerte, und sie konnte ihm praktisch ansehen, wie sein Verstand rotierte. »Ich habe alle Befehlshaber der Bodenstreitkräfte durchleuchten lassen, ob sich irgendwo ein zweiter Colonel Dun versteckt hält, aber soweit ich das beurteilen kann, ist da alles in Ordnung.«

»Es freut mich, das zu hören.« Sie wartete.

»Ähm … Colonel Rogero. Über ihn wissen Sie ja Bescheid.«

»Ja.«

»Und ich weiß von vier überlebenden Schlangen und ihren Familien, die sich noch auf diesem Planeten aufhalten.«

Iceni starrte ihn verwundert an. »Würden Sie mir das bitte erklären?«

Das tat er, und als er fertig war, saß Iceni da und rieb sich das Kinn, um Zeit zu gewinnen, damit sie nachdenken konnte. Wieso hatte Togo das nicht herausgefunden, bevor sie es von Drakon erfahren musste? »Diese Schlangen stehen unter ständiger Beobachtung?«

»Rund um die Uhr.«

»Und wenn ich darauf bestehe, dass sie erschossen werden?«

Drakon reagierte mit einem zornigen Blick. »Ich habe ihnen versprochen, dass sie nicht getötet werden.«

»Verstehe.« Sie ließ sich verschiedene Alternativen durch den Kopf gehen, ehe sie den Mann wieder ansah. »Also gut, General. Sie sind für die verantwortlich. Wenn sie irgendwas tun oder mit irgendwem Kontakt aufnehmen, erwarte ich, dass Sie mich darüber informieren.«

»Das werde ich machen.«

»Haben Sie noch irgendwelche weiteren Überraschungen für mich auf Lager, General?«, fragte sie ihn schließlich.

Wieder folgte eine Pause, während er nachdenklich die Stirn in Falten legte. Würde er ihr von Malins Mordversuch an Morgan erzählen? Ihre Quelle hatte sie bereits mit allen Fakten versorgt, aber würde Drakon den Vorfall überhaupt erwähnen?

»Ja, eines noch. Es gab einen ernsten Zwischenfall in meinem Stab, aber das Problem ist jetzt gelöst.«

Das war mehr, als sie von ihm erwartet hätte. »Gut. Ich werde auch versuchen, Sie zukünftig auf dem Laufenden zu halten. Wären die Anschläge der letzten Nacht nur gegen Ihre Leute verübt worden, hätte das Ihren Verdacht sicher in meine Richtung gelenkt.«

Er verzog den Mund zu diesem typischen schiefen Lächeln. »Wenn Sie etwas gegen mich geplant hätten, dann wäre ich jetzt wahrscheinlich nicht mehr in der Lage, mich bei Ihnen zu beschweren.«

»Das haben Sie schön gesagt. Aber von nun an werden wir keine Geheimnisse mehr voreinander haben.«

»Natürlich nicht.« Drakon ahmte ihren Sarkasmus im Hinblick auf die Tatsache nach, dass man CEOs prinzipiell nicht über den Weg trauen durfte. Keiner von ihnen glaubte ernsthaft daran, dass es ab sofort nichts mehr gab, was der eine dem anderen verheimlichte.

Drakon verabschiedete sich und verließ das Büro, Iceni saß noch eine Weile da und starrte auf die Tür, die er hinter sich zugezogen hatte. Eine Entschuldigung und ein Versprechen, beides zumindest teilweise ehrlich gemeint. Verdammt, General, Sie gehen mit viel zu gutem Beispiel voran!

Oder ist das alles nur gespielt?

Drakon ging zielstrebig zurück zu seinem Hauptquartier und bemerkte die Bürger kaum, die ihm hastig Platz machten; diesmal jedoch nicht aus Angst, sondern mit Freude und Elan. Er wünschte, er könnte den Leuten glauben, dass ihre Gefühle echt waren, aber über die Jahrhunderte hinweg hatten die Menschen auf jeder Ebene der Syndikat-Gesellschaft die Fähigkeit entwickelt, ihre wahren Gefühle für sich zu behalten und stattdessen jene Gefühle zur Schau zu stellen, von denen sie glaubten, dass andere sie bei ihnen sehen wollten.

Ganz so wie die CEOs. Er wünschte, er könnte glauben, dass Iceni ihre Worte ernst meinte.

Warum habe ich ihr das von Malin und Morgan gesagt? Gut, ich habe weder Namen noch Details genannt, aber ich habe enthüllt, dass es in meinem Stab ein Problem gegeben hat. Das ist genau das, was andere CEOs wissen wollen, weil sie dann versuchen können, Meinungsverschiedenheiten und Streitigkeiten zu ihrem Vorteil zu nutzen. Warum habe ich Iceni anvertraut, dass es einen möglichen Riss in meiner Verteidigung gibt, den sie sich zunutze machen kann?

Aber vielleicht hielt sie das Ganze auch für eine Falle, damit er feststellen konnte, ob sie einen Schritt in diese Richtung unternahm.

Ich wollte ihr sagen, dass es mir leidtut, weil ich meinen Job nicht ordentlich gemacht habe. Ich habe einen Fehler gemacht. Was ich über die Jahre bei meinen Vorgesetzten am meisten gehasst habe, war ihre Unfähigkeit zuzugeben, wenn sie etwas falsch gemacht hatten. Aber das ist wohl immer einer der Grundpfeiler der Syndikatwelten gewesen, dass man niemals einen Fehler zugab. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass die Regierung das jemals gemacht hat. Nicht mal, als Black Jack auf einmal mit einer ganzen Flotte vor der Tür gestanden hatte. Selbst da noch wäre der damalige Oberste Rat lieber tot umgefallen als zuzugeben, dass man dem einen oder anderen Irrtum erlegen war. Und deshalb sind sie alle tot umgefallen, wenn auch nicht aus freien Stücken. Aber ich bezweifle, dass der neue Haufen auf Prime auch nur einen Hauch besser sein wird.

Schließlich sind das alles CEOs.

Obwohl … Iceni ist auch ein CEO.

Und ich ebenfalls.

Kann man wirklich alles Eingefahrene über Bord werfen und auf einmal umdenken? Ich musste nie umdenken, weil ich mich für die linientreue Denkweise interessiert habe. Deshalb hat es mich ja auch in dieses System verschlagen, weil ich nicht egoistisch genug war. Weil ich nicht das Leben von Untergebenen abschreiben wollte, nur um selbst befördert zu werden. Und Iceni hat man ebenfalls hierher ins Exil geschickt, weil sie illegale Aktivitäten gemeldet hat, anstatt für sich selbst ein Stück vom Kuchen abzuschneiden. Keiner von uns ist für das System des Syndikats wirklich geschaffen.

Malin hat recht, wenn er sagt, dass die Unfähigkeit, Fehler einzugestehen, letztlich bedeutet, nicht aus den eigenen Fehlern lernen zu können. Ich kann auf genügend Erfahrung zurückblicken, die das belegt.

Vielleicht ist es ja gut, dass ich Iceni gegenüber die Sache mit Malin und Morgan angeschnitten habe. Auch wenn ich zumindest bewusst gar nicht vorhatte, ihr eine Falle zu stellen, ist doch genau das daraus geworden. Wenn Iceni versucht, ohne mein Wissen mit Malin oder Morgan Kontakt aufzunehmen, kann ich davon ausgehen, dass die beiden mich darauf aufmerksam machen werden.

Und dann weiß ich ein kleines bisschen mehr über Iceni und muss entscheiden, was ich als Nächstes tun werde.

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