Siebzehn

Nach nur einer Woche brach auch noch die restliche Opposition der Loyalisten zusammen. Angesichts der Drohung, die von Drakons Bodenstreitkräften und den Kriegsschiffen am Himmel ausging, unterwarfen sich schließlich auch die letzten noch verbliebenen Täler der Kontrolle durch die Freien Taroaner. Daran vermochten auch einige Drohgebärden und ein Selbstmordattentat vonseiten der Vereinten Arbeiter nichts mehr zu ändern.

Sub-CEO Kamara brachte die Loyalistensoldaten, die sich ergeben hatten, auf ihre Linie, führte sie mit ihren eigenen Streitkräften zusammen und ließ sie in die Regionen einmarschieren, die immer noch den Vereinten Arbeitern kontrolliert wurden. Drakon hielt seine eigenen Streitkräfte aus diesem Teil des Konflikts heraus und überließ es den Soldaten der Freien Taroaner, diese Gebiete zu erobern.

»Wir sollten dabei mitmachen«, grollte Morgan.

»Ich will dabei nicht mitmachen«, gab Drakon mürrisch zurück. »Für Leute, die sich über Grausamkeiten aufregen, kommen sie mir sehr darauf versessen vor, alles und jeden auszuradieren, der irgendwie mit den Vereinten Arbeitern zu tun hatte.«

»Wir könnten dazwischengehen«, schlug Malin vor. »Wenn wir die Kämpfe stoppen, steigt die Zahl der Toten nicht noch weiter an.«

»Dann würden sie weitermachen, sobald wir hier wieder weg sind«, antwortete Drakon. »Sollen sie es machen. Dann wachen sie eines Morgens auf und sehen vielleicht, was sie angerichtet haben. Womöglich wird das auf lange Sicht mehr Leben retten.«

»Haben wir schon irgendetwas vom Kongress gehört?«, wollte Malin wissen.

»Nein. Der Interimskongress wartet, bis die Vereinten Arbeiter erledigt sind. Ich werde morgen mit ihnen reden, ihnen sagen, was wir haben wollen, und dann können wir wieder von hier verschwinden.« Taroa war eine schöne Welt, aber er würde mit ihrem Anblick immer den Preis verbinden, den diese Kämpfe gefordert hatten.

»General«, sagte Malin. »Wir konnten so etwas wie das hier auf Midway verhindern, weil Sie und Präsidentin Iceni die Lage so gut im Griff hatten.«

»Oder weil wir viel mehr Waffen hatten und niemand sich mit General Drakon anlegen wollte«, warf Morgan sarkastisch ein. »Sagen wir diesen Freien Taroanern doch einfach, was wir haben wollen, und fordern sie auf, es uns zu geben. Wenn sie für unsere Hilfe nicht so dankbar sind, wie sie es sein sollten, dann können wir ihnen immer noch eine Ladung Steine auf den Kopf werfen.«

»Sie wissen, dass sie uns nicht mit einem einfachen Dankeschön abspeisen können«, gab Drakon zurück. »Sie brauchen uns und sind auf unseren guten Willen angewiesen, denn wir werden immer das Sternensystem gleich nebenan sein. Und auch das wird ihnen eines Morgens nach dem Aufwachen klar werden.«

»Ich mag es, wenn Sie gebieterisch sind«, sagte Morgan und lachte, als sie seinen missbilligenden Blick sah. »Ich kapier schon, was hier läuft. Wir haben diese Typen in der Hand, auch wenn die Freien Taroaner weiterhin so tun, als wären sie stark und unabhängig. Und uns gehören diese Orbitaldocks, was die dritte Sache ist, die den Freien Taroanern eines Morgens nach dem Aufwachen deutlich werden wird. Gut gemacht, General.«

Diesmal verkniff sich Malin jede Bemerkung, stattdessen sah er Morgan auf eine Weise an, als stünde er vor der Aufgabe, eine Bombe zu entschärfen.

»Es ist gar nicht möglich, unsere Dankbarkeit in Worte zu fassen«, betonte das worthabende Mitglied des Interimskongresses. »Jetzt, da Taroa wieder geeint und frei ist, werden wir niemals die Hilfe vergessen, die Midway geleistet hat, um das zu erreichen.«

Etwas nicht vergessen zu wollen, kostete einen nicht mehr als diesen Spruch, und bislang hatte niemand vorgeschlagen, sich in einer materiellen, greifbaren Weise für die Hilfe zu bedanken. Drakon nickte und lächelte den Kongressmitgliedern flüchtig zu. »Es war Präsidentin Iceni und mir ein Vergnügen, Ihnen zur Seite zu stehen. Wir möchten gern den Handel wieder in Schwung bringen. Ihre Schiffe sind bei Midway immer willkommen, und wir werden unsere Kriegsschiffe nicht einsetzen, um irgendjemanden daran zu hindern, nach Taroa zu gelangen.«

Ein paar Kongressmitglieder begriffen, was er damit eigentlich sagen wollte – dass Midway durchaus in der Lage war, den Weg nach Taroa zu blockieren, falls das Sternensystem dafür einen Anlass bieten sollte. Natürlich ließ sich das System auch über andere Sprungpunkte erreichen, aber das würde deutlich zeitraubender ausfallen, da der Vorteil des Hypernet-Portals bei Midway wegfiel.

Ein anderes Kongressmitglied warf Drako einen skeptischen Blick zu. »Was wird aus den Gebühren für die Benutzung des Hypernet-Portals durch Handelsschiffe? Diese Gebühren werden ja nun nicht mehr von der Syndikat-Regierung vorgegeben.«

Eigentlich hätte er darauf gar keine Antwort gewusst, aber zum Glück hatte Iceni besonderen Wert darauf gelegt, ihm vor der Abreise noch von ihrem Vorhaben zu berichten. »Diese Gebühren werden wir senken. Es ist zwar nicht so, dass wir auf das Geld verzichten könnten, aber wir müssen jetzt nicht länger den größten Teil an Prime abgeben. Wir können die Gebühren für Handelsschiffe senken und haben immer noch mehr übrig als bislang. Mit den Einnahmen können wir dazu beitragen, Midway als starkes und unabhängiges Sternensystem zu festigen.«

»Warum verlangen Sie nicht einfach noch weniger, wenn Sie mit Ihren neuen Gebühren doch mehr einbehalten als zuvor?«, warf irgendjemand ein.

Drakon sah den Redner mit leicht zusammengekniffenen Augen an. »Sind Sie der Meinung, dass Sie benachteiligt werden? Ich habe bislang von keinem hier auch nur ein Wort über die Soldaten gehört, die wir verloren haben, um Ihnen zu helfen, die Kontrolle über Ihren Planeten und Ihr Sternensystem zu erlangen.«

Die meisten setzten daraufhin eine schuldbewusste, zugleich aber trotzige Miene auf.

»Unsere Streitkräfte stehen nicht kostenlos zur Verfügung, und sie sind auch nicht billig«, redete er weiter. »Ich benötige einen ausreichenden Anteil am Steueraufkommen, um Sold, Wartungen, Einsätze und viele andere Dinge zu bezahlen. Prime ist nicht länger für die Verteidigung von Midway zuständig, und Prime wird auch Taroa nicht beschützen. Sie helfen uns, die Verteidigung zu finanzieren, und wir werden Ihnen bei der Verteidigung helfen. Wenn Ihnen das nicht gefällt, werden wir womöglich nicht genug Streitkräfte erübrigen können, sobald die Syndikat-Regierung sich hier blicken lässt.«

Ohne sich dessen bewusst zu sein, war er wieder in die Redegewohnheiten eines CEO verfallen. Er redete wie jemand, über dessen Äußerungen nicht diskutiert wurde und den man auch nicht infrage stellte. Die Freien Taroaner reagierten prompt mit dem ein Leben lang eingeimpften Gehorsam eines Bürgers der Syndikatwelten und setzten sich etwas gerader hin.

Colonel Malin trat einen Schritt nach vorn und lenkte alle Aufmerksamkeit auf sich, während er in verständnisvollem, aber nachdrücklichem Tonfall sagte: »Wie General Drakon bereits erwähnte, können wir nicht länger darauf zählen, dass Prime unsere Verteidigung finanziert. Stattdessen ist Prime für uns zur Bedrohung geworden. Und dann haben wir es ja auch noch mit den Enigmas zu tun. Sie staunen? Nun, wir räumen hiermit erstmals offiziell ein, dass die Enigmas existieren und dass sie eine Gefahr für die Menschheit darstellen. Wollen sie nach Taroa gelangen, müssen sie von Pele kommen und Midway durchqueren. Wir müssen aus eigener Tasche die mobilen Streitkräfte bezahlen, um all die Sternensysteme in dieser Region zu beschützen. Diese mobilen Streitkräfte werden auch Ihnen bei der Verteidigung behilflich sein, wenn wir die notwendigen Vereinbarungen treffen können.«

»Mobile Streitkräfte gibt es nicht zum Spottpreis«, stimmte Sub-CEO Kamara ihm zu. »Und wir können solche Streitkräfte überhaupt nicht aufbieten. Uns ist sehr eindringlich vor Augen geführt worden, wie Hilfe durch die mobilen Streitkräfte aus Midway für uns aussehen kann. Ich halte es für unklug, sich darüber zu beschweren, dass wir zwar weniger, aber aus unserer Sicht immer noch zu viel für die Benutzung des Hypernet-Portals bei Midway bezahlen sollen, wenn wir zugleich auf eine solch wirkungsvolle Verteidigung zugreifen können.«

»Apropos Verteidigung«, meldete sich ein anderer Vertreter zu Wort. »Wir würden gern die Kontrolle über die Werft übernehmen, sobald wir in der Lage sind, unsere Soldaten raufzubringen.«

»Die Werft?«, wiederholte Drakon.

Nach einer kurzen Pause führte der Vertreter etwas zögerlich aus: »Ja, die primäre orbitale Werft. Sie gehört uns.«

»Wir haben die Werft der Syndikat-Regierung abgenommen«, erwiderte Drakon. »Sie hat nie der Kontrolle durch die Freien Taroaner unterstanden.«

Kamara warf ihm einen frostigen Blick zu und stellte fest: »Sie werden sie behalten.«

»Das ist unser gutes Recht«, machte Drakon deutlich.

Eine Repräsentantin rief lautstark: »Ohne die Unterstützung von diesem Planeten werden Sie diese Anlage nicht auf Dauer betreiben können!«

»Das war doch jetzt keine Drohung, oder?«, gab er zurück. »Oder wollten Sie vielleicht sagen: ›Danke für den Sieg, durch den unser Planet weitgehend intakt geblieben ist‹? Was ist aus Ihrer Dankbarkeit geworden? Wir nehmen Ihnen nichts weg, was Ihnen gehört hätte. Und wenn Sie mit uns über eine gemeinsame Nutzung der Werft reden wollen, dann werden wir sicher zu einer Einigung kommen. Aber die Kontrolle über die Docks bleibt in unserer Hand.«

»Drohungen wären nutzlos«, sagte Kamara an die Kongressmitglieder, aber auch an Drakon gerichtet. Sie beugte sich vor, hielt die Tischkante umklammert und fügte hinzu: »Wir wissen, dass sich im Hauptdock ein teilweise fertiggestelltes Schlachtschiff befindet. Ich kann wohl davon ausgehen, dass Sie das auch behalten werden.«

Drakon nickte. »Es sind noch sehr viele Arbeiten zu erledigen, ehe dieses Schiff das Dock verlassen kann, aber wenn das Schlachtschiff fertig ist, wird es eine wichtige Rolle bei der Verteidigung sowohl unseres als auch Ihres Sternensystems spielen, sofern Sie sich dazu entschließen, mit uns zusammenzuarbeiten.«

»Entschließen?«, rief irgendwer zynisch. »Wir haben doch gar keine andere Wahl!«

»Doch, die haben wir«, stellte Kamara klar. »Wir hatten zuvor keine Wahl, weil wir nur versuchen konnten, uns gegen die Syndikat-Streitkräfte und die Vereinten Arbeiter zu behaupten. Jetzt können wir entscheiden, wie wir mit der Kontrolle über diesen Planeten und dadurch auch mit der Kontrolle über dieses Sternensystem verfahren wollen. Die Werft mit ihren Docks ist wichtig für uns, aber wir können sie uns nicht mit Gewalt aneignen, wenn diese Anlage von den Bodenstreitkräften und den mobilen Streitkräften aus Midway beschützt wird.«

»Wir geben also einfach diesem Erpresser nach?«, rief der erste Mann empört.

»Wir nehmen die Fakten zur Kenntnis.«

Eine Zeit lang erfolgte darauf keine Reaktion. Drakon wartete ab, während er beeindruckt davon war, wie geschickt Kamara die anderen Kongressvertreter dazu anspornte, die Situation vernünftig zu lösen. Wenn sie es richtig anstellte, konnte es ihr durchaus gelingen, das alleinige Sagen über dieses Sternensystem zu erlangen.

»Es gibt gewichtige Gründe, um über den Status der orbitalen Docks zu verhandeln«, sagte eine andere Frau, die zwar versuchte, kühn zu wirken, deren Blick aber immer wieder nervös von Drakon wegwanderte. »Jede Streitmacht Midways, die im System bleibt, um diese Docks zu beschützen, wird uns zwangsläufig ebenfalls beschützen. Bedauerlicherweise sind wir nur eine Interimsregierung. Wir müssen erst noch unsere exakte Regierungsform finden und etablieren. Das wiederum erfordert die Zustimmung der Bürger. Wenn wir die haben, müssen Wahlen für alle zu besetzenden Ämter abgehalten werden. Aber es wird schwierig werden, bei der Bevölkerung auf Verständnis für den Verlust eines teilweise fertiggestellten Schlachtschiffs zu stoßen.«

»Wenn ich einen Vorschlag machen dürfte«, warf Malin in einem noch vernünftiger klingenden Tonfall als zuvor ein. »Es gibt keinen konkreten Termin, an dem eine solche Regierung im Amt sein muss. Die Gefahren, von denen wir bedroht werden, existieren aber jetzt und hier. Was in dieser Stunde oberste Priorität hat, ist, den Handel neu zu beleben und dann auch in Gang zu halten. Sie sollten erwägen, einer Gruppe von vertrauenswürdigen Bürgern, so wie Sie selbst welche sind, vorläufig die Macht zu verleihen, bindende Vereinbarungen zu den Themen Handel und gegenseitige Verteidigung zu treffen, die letztlich dann von der Regierung ratifiziert werden, die zu einem späteren Zeitpunkt gewählt wird. Damit würden Sie sicherstellen, dass die ordentlich gewählte Regierung das letzte Wort haben wird. Bis das so weit ist, können Sie aber alle notwendigen Entscheidungen treffen, die dem Wohl der Bevölkerung dienen.«

Die Kongressmitglieder waren hellhörig geworden, da Malins Worte sie beeindruckt hatten. »Aber das Schlachtschiff …«, hakte ein anderer nach.

»Würde das Schlachtschiff überhaupt zur Diskussion stehen«, erwiderte Malin, »dann ließe die Zustimmung Ihrer Regierung zum Verzicht auf das Schiff Sie alle schlecht dastehen. Aber wie General Drakon bereits ausgeführt hatte, haben unsere Streitkräfte das Schiff der Syndikat-Regierung abgenommen, nicht Ihnen. Das Schiff befand sich bereits in unserem Besitz, noch bevor wir überhaupt mit den Freien Taroanern gesprochen haben. Sie haben also auch nichts verloren und nichts aus der Hand gegeben.«

Kamara lächelte frostig. »Wir werden darüber diskutieren, aber vielleicht können wir uns ja zumindest offiziell darauf einigen, dass sich das Schlachtschiff nie im Eigentum der Freien Taroaner befunden hat. Unsere Regierung hat schon genug am Hals, da müssen wir uns nicht auch noch mit diesem Problem belasten. Inoffiziell dagegen werden die Repräsentanten der Freien Taroaner dafür ein gewisses Entgegenkommen erwarten.«

»Inoffiziell«, entgegnete Malin, »werden wir darüber reden können.«

»Dürfen unsere Repräsentanten mit Ihnen nach Midway reisen?«, fragte ein anderer Vertreter. »Sie könnten dann mit Präsidentin Iceni direkt über diese Themen reden.«

»Dagegen ist nichts einzuwenden«, sagte Drakon, überlegte aber insgeheim, ob sie ernsthaft glaubten, Iceni würde sich bereitwilliger als er von einem zu großen Teilen fertiggestellten Schlachtschiff trennen. »Wir haben auch Vertreter von Präsidentin Iceni mitgebracht, die die Handelsvereinbarungen mit Ihnen besprechen können und die Ihnen einen Vorschlag für ein Verteidigungsabkommen vorlegen möchten. Colonel Malin wird in dieser Sache Ihr Ansprechpartner sein.« Auf keinen Fall wollte er sich selbst in die Verhandlungen über irgendwelche Vereinbarungen einmischen und darüber diskutieren müssen, wo noch ein Komma fehlte oder wo eines zu viel gesetzt war.

»General«, meldete sich ein anderer Mann aus dem Interimskongress zu Wort. Sein schmeichlerisches Lächeln wies ihn sofort als einen erfahrenen Executive aus. »Unsere Anzahl Soldaten ist sehr begrenzt, und wir sehen uns mit einigen Sicherheitsproblemen konfrontiert. Teile Ihrer Bodenstreitkräfte halten sich bereits auf der Orbitalwerft auf. Wenn vielleicht ein paar von Ihren Leuten auf einer strikt vorübergehenden Basis auch hier auf dem Planeten bleiben könnten …«

Andere Kongressvertreter sahen sich bereits stirnrunzelnd an, und Drakon unterbrach den Mann schnell. »Nein. Alle meine Streitkräfte kehren nach Midway zurück, ausgenommen die Leute auf der Orbitalwerft. So lautete die Abmachung.« Er ließ es wie eine bedeutsame Tugend klingen, dass er sich unbedingt an das hielt, was er einmal zugesagt hatte. In Wahrheit wollte er bloß nicht, dass seine Soldaten sich im Garnisonsdienst der vormals von den Vereinten Arbeitern kontrollierten Gebiete wiederfanden. Er musste nicht erst fragen, um zu wissen, dass die Freien Taroaner in solchen Regionen gern Soldaten aus anderen Sternensystemen einsetzen wollten. Wir haben bekommen, was wir wollten, und wir haben genau die Drecksarbeit getan, die dafür nötig war. Mehr gibt es nicht.

Er schaffte es, bis zum Ende der Diskussion nicht wieder in den CEO-Tonfall abzugleiten, und schließlich brach er auf und fühlte sich über alle Maßen erleichtert.

Auf dem Weg nach draußen blieb Drakon stehen und vergewisserte sich, dass seine Sicherheitsausrüstung jeden Abhörversuch blockierte. »Gut, wie Sie eingesprungen sind, Bran.«

Malin zuckte mit den Schultern. »Bei Angelegenheiten wie Handel und gegenseitiger Verteidigung decken sich unsere eigenen Interessen zum Teil mit denen der Freien Taroaner. Ich wollte vermeiden, dass vielleicht gar keine Vereinbarungen zustande kommen, nur weil diese Leute auf ihre tollpatschige Weise versucht haben, für sich einen Vorteil herauszuholen, wo es gar nichts zu holen gab.«

»O ja. Ein paar Mal habe ich mich fast danach gesehnt, wieder ein CEO des Syndikats zu sein. Ich hoffe, die bekommen das alles auf die Reihe, bevor dieses freie Sternensystem völlig den Bach runtergeht.« Wieder überprüfte er seine Sicherheitsanzeigen, aber es war noch immer alles in Ordnung. Auch wenn die Freien Taroaner treuherzig erklärt hatten, sie würden auf keinen Fall die Routineüberwachung fortsetzen, die für die Herrschaft des Syndikats so kennzeichnend gewesen war, vermutete er dennoch, dass sie ihre eigenen Regeln in den Momenten großzügiger auslegten, wo sie das für angebracht hielten. »Wie kommt die Rekrutierung von Informationsquellen und aktiven Agenten voran?«

»Wir werden über einige verfügen, wenn wir von hier abreisen«, versicherte Malin ihm. »Das ist ein weiterer Vorteil für uns, wenn der Handel wieder in Schwung kommt. Je mehr Frachter von Taroa nach Midway kommen, umso mehr Gelegenheiten bieten sich unseren Agenten, Informationen an uns weiterzuleiten. Umgekehrt können wir ihnen leichter neue Anweisungen schicken, je mehr Schiffe den Sprung nach Taroa unternehmen.«

»Schon witzig, wie das alles zusammenläuft. Nach dem zu urteilen, was wir da drinnen erlebt haben, müssen diese aktiven Agenten ihre Arbeit auf der Stelle aufnehmen. Wir brauchen sie, damit sie die Leute drängen, überreden, bestechen, erpressen und was auch immer tun, um hier eine Regierung ans Laufen zu kriegen.«

»Ja, Sir.«

»Und nicht einfach irgendeine Regierung«, ergänzte Drakon. »Diese Regierung muss stark genug sein, um die Kontrolle über den Planeten und das System behalten zu können, und sie muss stabil genug sein, um über einen langen Zeitraum hinweg funktionsfähig zu sein. Und sie muss freundlich gesinnt sein, damit sie mit uns zusammenarbeitet. Alle drei Faktoren müssen vorliegen, und ich bin mir sicher, dass Präsidentin Iceni sich nicht dagegen sperren wird, so viel dafür auszugeben, wie es nun mal notwendig sein wird.« Das war noch ein Posten, für den die Einnahmen aus den Benutzungsgebühren für das Hypernet-Portal verwendet werden sollten. Es wäre natürlich nicht sinnvoll gewesen, diesen Punkt vor den Kongressvertretern anzusprechen. »Ist Ihnen aufgefallen, wie gut CEO Kamara die anderen in der Hand hat?«

Malin nickte ernst. »Ja, Sir, und wir wollen auch, dass sie mit uns zusammenarbeitet.«

»Morgan würde den Ratschlag erteilen, die Frau aus dem Weg zu räumen, wenn sie nicht mitmachen will.«

»Damit läge sie falsch« beharrte Malin. »Jemand wie Kamara kann der entscheidende Faktor sein, um eine starke und stabile Regierung zu bekommen. Ich habe hier niemanden erlebt, der auch nur annähernd so viel Autorität ausstrahlt wie die CEO. Und den Bürgern geht es nicht anders. Sie sehen in ihr die Heldin, die die Loyalisten geschlagen hat. Wenn Kamara eliminiert wird, gibt es niemanden, der diese Lücke füllen kann. Die Freien Taroaner wollen eine Regierung, bei der von der Spitze bis ganz unten jeder in sein Amt gewählt wird, General. Sie würden Kamara vermutlich ganz ohne unser Zutun wählen, wenn sie sich als Kandidatin aufstellen lässt.«

»Wenn sie sie wählen, und wenn Kamara sich als die Frau entpuppt, die wir brauchen, dann ist das okay. Wenn die Taroaner das mit der gewählten Regierung hinkriegen, können wir von ihnen vielleicht sogar noch das eine oder andere lernen. Wenn es nicht klappt, lernen wir daraus auch etwas, und haben ein abschreckendes Beispiel dafür, wie man es nicht machen sollte, wenn bei uns Stimmen laut werden, die Wahlen fordern.« Drakon betrachtete Malin eindringlich. »Wo wir gerade davon reden, Colonel Malin … Ich habe das Gefühl, dass Sie sich einige Gedanken zu dem Thema gemacht haben. Und Sie scheinen mehr über verschiedene Regierungsformen zu wissen, als es dem Syndikat recht gewesen wäre.«

Malin nickte sehr ernst. »Jeder Mensch muss irgendein Hobby haben.«

Eine ausweichende Antwort, die gar nichts aussagte. Mehr wollte Malin aber ohne hartnäckiges Nachfragen wohl nicht von sich geben, und Drakon konnte nicht glauben, dass Malin ihn hintergehen würde. »Sie haben sich ein seltsames Hobby ausgesucht, noch dazu ein gefährliches. Sorgen Sie dafür, dass genügend Agenten auf unserer Gehaltsliste landen, und veranlassen Sie sie, das in die Tat umzusetzen, was wir in die Tat umgesetzt sehen wollen.«

»Jawohl, Sir. Ich breche innerhalb der nächsten Stunde auf. Es gibt in dieser Angelegenheit noch einiges an Arbeit, die persönlich in einer anderen Stadt erledigt werden muss.« Malin salutierte und entfernte sich.

Drakon zweifelte nicht daran, dass sie zum Zeitpunkt ihrer Abreise über ein weit verteiltes Netzwerk aus Geheimagenten verfügten, deren Aufgabe es wäre, seine und Icenis Ziele zu verwirklichen.

Eigentlich hätte ihm das alles zusagen sollen, denn die Dinge liefen genau nach Plan. Aber Drakon verspürte Unzufriedenheit. Die Freien Taroaner hatten sich als extrem nervenaufreibend erwiesen, da sie nach außen hin dankbar waren, es aber tunlichst vermieden, im Austausch für die gewährte Hilfe tatsächlich irgendeine Gegenleistung zu erbringen. Sie hatten sich sogar über die Tatsache ereifert, dass die Orbitalwerft und das darin befindliche Schlachtschiff jetzt Eigentum derjenigen waren, die es der Syndikat-Regierung weggenommen hatten. Zugleich waren die Freien Taroaner aber auch enthusiastisch und idealistisch aufgetreten. Sie waren nur Dummköpfe, auf die unweigerlich eine schwere Enttäuschung wartete, wenn ihre Träume mit der Realität kollidierten … Trotzdem wäre es schön, sich über irgendetwas begeistern zu können. Es wäre schön, an etwas glauben zu können, anstatt immer nur daran denken zu müssen, wie man an der Macht blieb, wie man sich vor Widersachern schützte und wie man seinen Feinden das Leben schwer machen konnte. Wie lange war es her, seit er das letzte Mal Enthusiasmus oder Idealismus verspürt hatte?

Zugegeben, er hatte etwas davon bei Iceni wahrgenommen. Sie schien ebenfalls nach einem höheren Grund dafür zu suchen, das Sagen zu haben, nach einem anderen Existenzzweck als dem bloßen Überleben.

Leider war Iceni nicht hier, sondern Lichtjahre von ihm entfernt. Drakon schaute sich um. Hier und da standen Wachen und hielten Ausschau nach Bedrohungen. Er war zwar nicht allein, aber Gesellschaft im eigentlichen Sinn leistete ihm dennoch niemand. Kai war einen halben Kontinent weit weg, Gaiene war inzwischen vermutlich längst betrunken und versuchte herauszufinden, mit wie vielen Frauen er die Nacht würde durchbringen können. Colonel Senski kannte er nicht gut genug, um beurteilen zu können, ob man mit ihr ein wenig Freizeit verbringen konnte. Malin hatte alle Hände voll zu tun, ein Spionagenetzwerk aufzubauen. Und Drakon hatte nicht das Gefühl, die nötige Energie und Geduld aufbringen zu können, um sich heute Abend auf Morgans Vorstellung einer gepflegten Unterhaltung einzulassen.

Der Interimskongress der Freien Taroaner war so entgegenkommend gewesen, ihm für die Nacht die Unterkunft zu überlassen, in der bislang der für das Sternensystem zuständige CEO gewohnt hatte. Natürlich war diese Geste mit keinerlei Kosten verbunden. Was aus dem CEO geworden war, hatte Drakon bislang nicht in Erfahrung bringen können. Alle wussten, dass er bei Ausbruch des Bürgerkriegs sein Heil in der Flucht zusammen mit dem ISD gesucht hatte, doch danach verlor sich seine Spur. Womöglich war er an Bord eines der Schiffe entkommen, mit denen die Schlangen das System verlassen hatten. Aber es gab auch Berichte, wonach der CEO von den Schlangen hingerichtet worden war, die ihm Versagen oder Verrat oder was auch immer vorgeworfen hatten, um zu rechtfertigen, dass sie sich seiner entledigten. So oder so sah es nicht danach aus, dass der CEO sich noch mal hier blicken lassen würde. Außerdem waren der Wohnbereich und das Büro äußerst gründlich nach Spionageausrüstung und Sprengfallen abgesucht worden, sodass der Aufenthalt sicher war.

Drakon tippte den Zugangscode ein und betrat das Quartier, in dem er sich amüsiert umsah. Der einstige CEO von Taroa hatte einen recht erlesenen Geschmack, was umso bemerkenswerter war, als dass Taroa auch vor dem Bürgerkrieg keineswegs ein sehr wohlhabendes Sternensystem gewesen war. Dieser CEO musste im großen Stil Steuern hinterzogen haben, um sich solchen Luxus leisten zu können. Im Schlafzimmer fanden sich nicht nur teure Gemälde und Skulpturen, sondern auch eine eigene Bar, die Alkoholika von allen möglichen Allianz-Planeten umfasste, die seit hundert Jahren nur noch zu horrenden Preisen auf dem Schwarzmarkt gehandelt worden waren. Hinzu kam ein dermaßen riesiges Bett, dass dort ein ganzer Trupp Soldaten bequem hätte übernachten können, sowie ein echter Kamin mit einem marmornen Sims.

Nichts davon hatte dem CEO noch etwas genutzt, als die Revolution ausbrach. Ganz im Gegenteil: Das Maß an Korruption, das diese Wohnung erkennen ließ, war vermutlich einer der Auslöser gewesen für den Zerfall der Gesellschaft in drei sich untereinander bekriegende Gruppen, vor denen der CEO davongelaufen war.

Drakon schlenderte hinüber zum Kamin, suchte nach der Bedieneinheit und fand sie so geschickt in den Marmor eingelassen, dass sie fast unsichtbar war. Er betätigte sie, und unter den Holzscheiten erwachte eine bläuliche Flamme, die den Raum in flackerndes Licht tauchte. Mit einem spöttischen Lachen über so viel dekadenten Luxus ging er zur Bar und sah sich die Auswahl an. Rum von Hispan! Unglaublich. Er schenkte sich ein großes Glas ein, dann ließ er sich in einen weich gepolsterten Sessel sinken und starrte in die Flammen.

Er hatte vergessen, welches Problem ein Feuer für ihn mit sich bringen konnte. Wenn die Flammen anfingen zu tanzen, dann begann man Dinge zu sehen, und seitdem er in den Rang eines CEO aufgestiegen war und er viel zu viele Kämpfe ausgetragen hatte, sah er in den Flammen nur noch Dinge, die sich nicht aus schönen Erinnerungen speisten. Ganz vorn konnte er diese Stadt erkennen. Wo war das noch gleich gewesen? Auf irgendeinem Allianz-Planeten. Sie stand auf einer Fläche von etlichen Quadratkilometern in Flammen. Flammen, die niemand löschen konnte, weil alle automatischen Löschsysteme zerstört worden waren. Soldaten in ihren Rüstungen bewegten sich durch die Verwüstung und machten alles nur noch schlimmer, als sie versuchten, die Kontrolle über die lodernde Stadt zu erlangen. Noch nie hatte er so viele Dinge gleichzeitig brennen sehen: hochaufragende Gebäude, ganze Häuserzeilen, Bäume …

Er erinnerte sich daran, wie er zusammen mit seinen Soldaten inmitten der qualmenden Ruinen gestanden hatte, während ihm gesagt wurde, dass die Bodenstreitkräfte des Syndikats gesiegt hatten und jetzt das kontrollierten, was einmal eine Stadt gewesen war. Eine Woche später war die Verstärkung vonseiten der Allianz im System eingetroffen, und Drakon und alle anderen Überlebenden hatten evakuiert werden müssen, da die zahlenmäßig unterlegenen mobilen Streitkräfte des Syndikats zum Rückzug gezwungen worden waren.

In den offiziellen Berichten war später immer noch von einem Sieg des Syndikats die Rede gewesen.

Der erste Drink genügte nicht, um das Feuer in seinen Erinnerungen zu löschen. Er ging wieder zur Bar und füllte das Glas noch einmal auf. Das war schon besser. Aber die Gedanken an frühere Gefechte und tote Freunde schlichen sich dennoch in den Vordergrund und störten die Ruhe, nach der er suchte. Das unerklärliche Gefühl der Unzufriedenheit angesichts der Ereignisse auf Taroa machte ihm noch immer zu schaffen, also entschied er sich für ein drittes Glas. Es kam nur sehr selten vor, dass er so viel trank, doch heute Abend konnte er Gaiene besser als sonst verstehen. Selbst der Gedanke an das neue Schlachtschiff, das womöglich erst in einem Jahr fertiggestellt und einsatzbereit sein würde, konnte ihn nicht aufmuntern. Wenn er in dieser Nacht schon keine vorübergehende Ruhe finden konnte, dann würde eben vorübergehendes Vergessen genügen müssen.

Er hatte das dritte Glas schon zu einem großen Teil geleert, als auf einmal der Türsummer betätigt wurde. Niemand konnte es bis zu dieser Tür geschafft haben, ohne zuvor ein Dutzend Wachtposten zu passieren, also rief er »öffnen« und sah zu, wie die Tür sich entriegelte und aufging.

Morgan kam herein und bewegte sich wie eine Pantherin, die eben erst irgendein Tier gerissen hatte. Der Schein des Kaminfeuers wurde von ihrem hautengen Anzug reflektiert, während die Tür hinter ihr wieder zuging. Anstatt von dem matten Stoff geschluckt zu werden, betonte das Licht jeden Schwung ihres Körpers, der unter der Kleidung verborgen war. »Hey, Boss.« Sie sah sich um und setzte eine gespielt erstaunte Miene auf. »Ich hatte eigentlich erwartet, dass hier überall Frauen rumliegen, über die Sie hergefallen sind.«

Drakon verzog den Mund. »Das ist nicht meine Art, Morgan.«

»General, ich weiß, Sie mögen Frauen.«

»Richtig, aber ich zwinge Frauen nie zu irgendwas. Das habe ich noch nie gemacht, und das werde ich auch nie machen. Das ist was für Feiglinge und Schwächlinge.« Er trank das Glas aus, während das Tier in seinem Hinterkopf begeistert zu johlen begann, als Morgan mit tödlicher Anmut ein paar Schritte näher kam.

»Sie könnten eine Frau dafür bezahlen. Sie könnten auch zwei oder drei bezahlen«, schlug Morgan mit listigem Lächeln auf den Lippen vor. »Malin könnte sie für Sie beschaffen. Wenn es so was wie den geborenen Zuhälter gibt, dann Malin.«

»Ich muss keine Frau bezahlen«, gab Drakon verärgert zurück.

»Natürlich müssen Sie das nicht. Sie können jede Frau kriegen, die Sie haben wollen. Die Frauen kommen bereitwillig zu Ihnen, weil Sie ein Siegertyp sind, General.« Morgan stand nur noch einen halben Meter von ihm entfernt da und lächelte ihn an. »Und wenn Sie auf diejenigen hören, die wollen, dass Sie siegen, dann können Sie alles erreichen.«

Drakon versuchte das Tier in seinem Kopf zum Verstummen zu bringen, aber der Alkohol trug seinen Teil dazu bei, dass es nicht schweigen wollte und zudem wie verrückt hin und her sprang. Das machte es ihm schlicht unmöglich, die Warnungen zu verstehen, die sein gesunder Menschenverstand ihm zubrüllte. »Klar. Sehen Sie doch hin. Ich bin müde und gestresst. Warum …?«

»Dass Sie gestresst sind, weiß ich. Wie lange ist es her, General? Ich kenne mich aus mit Männern. Ich weiß, wie sie reagieren. Ein Mann benötigt gewisse Dinge, und die benötigt er umso mehr, je bedeutender er ist.« Ihr Lächeln hatte inzwischen einen Ausdruck angenommen, der dem Tier in ihm sehr gut gefiel. »Sie brauchen eine starke Frau. Eine Frau, die so stark ist wie Sie selbst.«

»Morgan …«, setzte er zum Reden an, hatte aber im gleichen Moment vergessen, was er sagen wollte, da Morgan begann, ihren hautengen Anzug zu öffnen.

Mit einer betont langsamen Bewegung öffnete sie den Verschluss, der von der Schulter bis zum Oberschenkel reichte, und schälte sich aus dem dünnen Stoff. Der Feuerschein ließ ihre Haut schimmern, und ihre Augen leuchteten in einem gedämpften Rot. »Kommen Sie, wir feiern Ihren Sieg«, murmelte sie.

Er wollte Nein sagen, aber der Alkohol hatte dem Tier in ihm genug Nahrung gegeben, um alle anderen Stimmen in seinem Kopf verstummen zu lassen. Und das Tier in ihm wollte Morgan mehr denn je haben. Mit einem Satz war sie bei ihm und zerrte an seiner Kleidung. Drakon sah nur noch sie und wollte nichts weiter, als sie zu spüren.

Als er am nächsten Morgen aufwachte, war sie bereits gegangen. Dass sie nicht da war, weckte für einen sehr kurzen Moment die Hoffnung, das Ganze könnte nur ein außergewöhnlich lebhafter, detaillierter und sehr ausgiebiger Traum gewesen sein. Aber dann entdeckte er die zerrissenen Laken und nahm an sich selbst einige Kratzer und blaue Flecken wahr, die am Abend zuvor noch nicht da gewesen waren. Dabei wurde ihm bewusst, dass er sich manches von dem, was Morgan mit ihm angestellt hatte, nie im Leben auch nur hätte vorstellen können.

Es war nicht der Kater, der ihn dazu veranlasste, mit der Faust so energisch gegen die Wandvertäfelung zu schlagen, dass ein Stück des edlen Holzes herausbrach.

Nachdem er aufgeräumt und sich angezogen hatte, wollte Drakon das Schlafzimmer des CEO nicht noch einmal betreten. Das Büro gleich neben der Wohnung verfügte über eine sehr beeindruckende Sicherheitsausstattung, die für alles bestens geeignet war, was er zu erledigen hatte. Eine Sache gab es auf jeden Fall zu tun. »Colonel Morgan, ich muss Sie unter vier Augen sprechen.«

Ein paar Minuten später traf sie auch schon ein, sie verhielt sich nach außen hin ganz normal, jedenfalls mit Blick darauf, was für ihre Verhältnisse normal war. Aber wahrscheinlich bildete er sich diesen Hauch eines Lächelns nicht ein, der immer dann ihre Lippen umspielte, wenn sie ihn ansah. »Ja, General?«

Er blieb so unverbindlich, wie es ihm möglich war. »Ich wollte sicherstellen, dass Ihnen klar ist, dass sich die Ereignisse der letzten Nacht nicht wiederholen werden.«

»Letzte Nacht?« Jetzt lächelte sie ihn ganz ohne Umschweife an. »War es denn nichts, was eine Wiederholung wert wäre?«

Er konnte nur hoffen, dass ihm nicht anzusehen war, was ihm durch den Kopf ging. So eine Nacht habe ich noch nie erlebt, und so was will ich wieder und wieder haben. Aber das wird es nicht geben. »Sie wissen, wie ich darüber denke, mit einer Untergebenen zu schlafen. Ich bin enttäuscht von Ihnen, dass Sie das nicht respektiert haben.«

Sie blickte ihn verwundert an. »Habe ich Sie dazu gezwungen?«

»Nein.« Das Argument, dass sie seine Trunkenheit ausgenutzt hatte, würde sich lächerlich und auch ein wenig kläglich anhören. »Ich habe einen Fehler begangen, so etwas wird nicht wieder vorkommen.«

»Das ist Ihre Entscheidung, General.«

»Würde es Ihnen etwas ausmachen mir zu sagen, was Sie damit erreichen wollten?«

Jetzt grinste Morgan ihn breit an. »Ich glaube, es war ziemlich offensichtlich, was ich damit in der vergangenen Nacht erreichen wollte. Und es hat ja auch geklappt. Und das nicht nur einmal.«

Die Erinnerung an die letzte Nacht unterhöhlte seinen Willen, weiter wütend zu sein. »Und das war es? Das war alles, worauf Sie aus waren?«

»Oh … ja.« Ihr Lächeln veränderte sich, ihre Stimme klang auf einmal ernster. »General Drakon, alles, was ich tue, geschieht nur in Ihrem besten Interesse.«

»Dann respektieren Sie meine Wünsche. Ich werde dieses Thema nicht noch einmal zur Sprache bringen.«

»Ich mag es, wenn ein Mann nicht mit seinen Eroberungen prahlt.« Morgan tat so, als würde sein Gesichtsausdruck sie leicht zusammenzucken lassen. »Ich verstehe, General. Es war nur diese eine Nacht, und jetzt ist es vorbei.«

»Das wäre dann alles.«

Einige Minuten, nachdem Morgan gegangen war, traf Malin ein. Bildete Drakon sich das nur ein, oder machte Malin einen förmlicheren Eindruck als üblich? Er musste sich gar nicht erst der Illusion hingeben, niemand hätte bemerkt, dass Morgan fast die ganze Nacht mit ihm verbracht hatte. Außer Malin würden ihm das nur wenige zum Vorwurf machen, aber gerade das ließ ihn nur noch wütender werden. »Was gibt’s?«, fragte er Malin.

Der Mann hielt kurz inne, als ihm Drakons Tonfall auffiel. »Ich habe aktuelle Informationen über diese ›Verwundeten‹, die Colonel Gaiene rauf zum Orbitaldock geschickt hat, General.«

»Oh.« Die Welt drehte sich offenbar weiter, ohne auf sein persönliches Scheitern und Unbehagen Rücksicht zu nehmen. »Haben Sie alle befragt und durchleuchtet?«

»Ja, General. Umfassende Verhöre, bei denen keiner aufgefallen ist, den man geschult hat, um uns in die Irre zu führen.« Malin schaute auf seinen Reader. »Unter den siebenundachtzig Personen, die sich Colonel Gaienes Brigade ergeben haben, konnte bei sechs bestätigt werden, dass sie an Grausamkeiten gegenüber Zivilisten beteiligt waren. Neunzehn weitere waren Zeugen solcher Grausamkeiten, haben aber nicht daran teilgenommen. Der Rest gehörte zu Untereinheiten, deren Befehlshaber der Ausführung solcher Anweisungen aus dem Weg gegangen sind. Sie haben sich weder an Grausamkeiten beteiligt noch wurden sie zu Augenzeugen.«

Drakon lehnte sich zurück und versuchte, sich auf die einzelnen Zahlen zu konzentrieren. »Hat irgendeiner von diesen Befehlshabern der Untereinheiten überlebt und sich uns ergeben?«

»Ja, sogar zwei, General. Ein Executive und ein Sub-Executive, beide finden sich unter jenen achtundsiebzig.«

»Bieten Sie ihnen entsprechende Positionen bei unseren Streitkräften an. Die neunzehn Soldaten, die Grausamkeiten beobachtet haben, sollen noch mal durchleuchtet werden. Stellen Sie sicher, dass sie sich nicht an derartigen Verbrechen an unseren Bürgern schuldig machen wollten. Es reicht nicht, dass sie nichts getan haben, nur weil sie nicht persönlich darum gebeten wurden. Ich will wissen, was Soldaten unter meinem Kommando tun würden, ich will nicht rätseln müssen, was sie alles tun könnten. Bieten Sie den Soldaten, die nur Augenzeugen geworden sind, Posten bei unseren Streitkräften an, aber verteilen Sie sie auf alle Brigaden. Wenn sie das Angebot annehmen, dann will ich, dass ihre Dienstakte geändert wird und künftig aussagt, sie hätten in einer der Einheiten gedient, von denen die Freien Taroaner sagen, dass sie keine Kriegsverbrechen begangen haben.« Er musste nicht erst noch darauf hinweisen, dass diese Änderungen natürlich von niemandem nachgewiesen werden durften. Malin war in solchen Dingen sehr gut und würde auch von ganz allein darauf achten, dass ein solcher Eingriff in die Akte nicht nachvollzogen werden konnte.

Malin nickte und machte Notizen. »Und die übrigen sechs?«

Wenn er sie zurück zu den Taroanern schickte, wäre das ein Eingeständnis, dass er Loyalistensoldaten zur Werft hatte bringen lassen. Zudem bestand das Risiko, dass sie den Taroanern davon berichteten, wie viele Angehörige ihrer Einheiten noch immer von Drakon festgehalten wurden.

Außerdem trug er die Verantwortung, sich mit dieser Angelegenheit zu befassen.

»Erschießungskommando. Erledigen Sie das und lassen Sie dann die Leichen verschwinden. Sie sind alle auf dem Planeten gestorben, verstanden?«

»Ja, General.« Malin wandte sich zum Gehen.

»Colonel Malin.« Drakon wartete, bis der Mann sich wieder zu ihm umgedreht hatte. »Wollten Sie mir sonst noch etwas sagen?« Diese Einladung würde Malin die Gelegenheit zum Reden geben, und aus einem unerfindlichen Grund wollte er unbedingt erfahren, was Malin sagen würde.

Malin nahm sich einen Moment Zeit zum Nachdenken, dann sah er Drakon in die Augen. »Ich bitte um Klärung, was den zukünftigen Status von Colonel Morgan betrifft, General.«

»Unverändert.«

War das Erleichterung, die er Malin ansehen konnte?

Wieder eine Pause, dann eine sehr behutsam vorgetragene Äußerung. »General, mir ist bewusst, dass ich kein Recht habe, Sie das zu fragen …«

»Es wird nicht wieder vorkommen.« Diesmal war Malins Erleichterung nicht zu übersehen. Außerdem war Drakon froh darüber, es jemandem sagen zu können. »Ich war betrunken und hatte den Verstand abgeschaltet. Es wird nicht wieder vorkommen.«

Malin sah vor sich und nickte. »General, sie verfolgt irgendwelche Absichten. Ich weiß nicht, was sie plant, aber auf jeden Fall geht es Morgan um mehr als … als darum, für eine Nacht Ihr Bett zu teilen.«

»Und welche Absichten verfolgen Sie, Colonel Malin?«

Erneut hielt der Mann inne. »Alles, was ich tue, General, geschieht nur in Ihrem besten Interesse.«

Drakon starrte noch eine Weile auf die Tür, die Malin beim Hinausgehen hinter sich zugezogen hatte, und wunderte sich darüber, dass er und Morgan auf seine Frage nach ihren Absichten identische Antworten geliefert hatten.

An diesem Nachmittag flog er mit einem Shuttle zur Orbitalwerft, da er nicht länger auf Taroa bleiben wollte. Er war es leid, mit Leuten zu tun zu haben, denen man nicht einfach sagen konnte, was zu tun war, sondern davon überzeugt werden mussten. Ein einzelner starker Führer konnte mehr bewirken als sie.

Aber bei Midway sah es nicht viel anders aus. Dort benötigte er Icenis Zustimmung, um die Dinge in die Tat umsetzen zu können. Was, wenn sie ihm widersprach? Wie sollte irgendetwas ordentlich funktionieren, wenn dauernd zwei Leute der gleichen Meinung sein mussten? Und was, wenn sie von der Sache mit Morgan erfuhr? Es sollte ihn eigentlich nicht kümmern, wie sie darauf reagieren würde, aber all diese Fragen machten ihm zu schaffen und ließen ihn nur noch mürrischer werden.

Sogar eine Inspektion des Schlachtschiffs konnte seine Laune nicht bessern, da er auf Schritt und Tritt damit konfrontiert wurde, was daran getan werden musste und wie leer diese Schiffshülle in Wahrheit noch war, wenn man sie mit dem Schiff verglich, das Iceni von Kane mitgebracht hatte.

Es dauerte eine Weile, die Soldaten aller drei Brigaden und ihre Ausrüstung zurück zur orbitalen Einrichtung zu transportieren und sie auf den umgebauten Frachtern unterzubringen. Der Interimskongress der Freien Taroaner zauderte und debattierte, aber dank der großzügigen Bestechungsgelder, die Colonel Malin unter die Leute gebracht hatte, und dank der Anstrengungen der für ihn tätigen Agenten nahm der Kongress dann endlich die Vereinbarungen zur Verteidigung und zum Handel an, die so lange Gültigkeit haben sollten, bis eine reguläre Regierung gewählt worden war.

»Major Lyr.« Drakon winkte Colonel Gaienes Stellvertreter zu sich und bedeutete ihm, sich zu ihm zu setzen. »Wie würde es Ihnen gefallen, Colonel zu werden?«

Lyr musterte ihn mit der Skepsis eines erfahrenen Veteranen. »Wo ist der Haken, Sir?«

»Ein eigenständiges Kommando.«

Er brauchte nur einen Moment, um zu verstehen. »Hier, Sir?«

»Genau.« Drakon beugte sich vor und stützte die Ellbogen auf den Schreibtisch auf. »Sie sind ein guter Soldat und ein guter Administrator. Ich weiß, wie viel Sie leisten, um Ihre Brigade in erstklassiger Verfassung zu halten.« Dabei ließ er unerwähnt, dass dies vor allem für Colonel Gaienes allzu häufige Aussetzer galt, die sich immer dann ereigneten, wenn es keine Gefechte auszutragen gab. Lyr wusste, dass Drakon das bekannt war, aber Drakon würde niemals schlecht über einen Offizier reden, wenn er einen von dessen Untergebenen vor sich hatte. »Sie bekommen zwei Kompanien, die aus Gaienes Brigade zusammengestellt werden, sowie eine Kompanie aus Taroanern, die von allen am zuverlässigsten eingestuft worden sind. Dieser Posten erfordert jemanden, der eigenständig denken kann und der in der Lage ist, mit den Taroanern zusammenzuarbeiten. Dieser Teil wird schwierig werden. Sie dürfen ihnen gegenüber nicht zu bestimmend auftreten, denn wir wollen, dass sie in uns Partner sehen. Andererseits sollten die Freien Taroaner auch nicht dem Irrglauben erliegen, dass sie uns Vorschriften machen können. Ich glaube, das bekommen Sie hin.«

Lyr nickte. »Ja, Sir.«

»Es wird auch ein Zivilist hierbleiben, einer von Präsidentin Icenis Repräsentanten, der sich um Angelegenheiten kümmern wird, die den Handel und die diplomatischen Dinge betreffen, die nichts mit dem Militär oder der Sicherheit zu tun haben. Es dürften regelmäßig Frachter zwischen Taroa und Midway pendeln, also wird es keine Probleme geben, mir Informationen zukommen zu lassen. Regeln Sie die kleinen Probleme, und versuchen Sie, größere Schwierigkeiten frühzeitig zu erkennen, damit ich mich darum kümmern kann.«

»Also nichts allzu Schwieriges oder allzu Anspruchsvolles.«

Drakon lächelte, da er wusste, Lyr meinte das Gegenteil. »Ganz genau.«

»Ich werde mein Bestes geben, General.«

»Das weiß ich, Colonel. Deshalb werden Sie auch befördert und erhalten diesen Posten.« Lyrs Arbeit würde vermutlich nicht so schwierig werden wie die Suche nach einem neuen Stellvertreter für Lyr. Aber ich muss mir nun mal mehr Senioroffiziere heranziehen. Dass mein Job ein Kinderspiel sein soll, hat auch noch nie jemand behauptet.

Eine Woche, nachdem Drakon mit dem Shuttle zur Orbitalwerft geflogen war, hatten seine Brigaden den Planeten verlassen, die Vereinbarungen waren getroffen worden, und Frachter und Kriegsschiffe verließen den Orbit, um Kurs auf den Sprungpunkt nach Midway zu nehmen. Nachdem er fast die ganze Woche über schlechte Laune gehabt hatte, fragte sich Drakon, wer sich mehr darauf freute, nach Midway zurückkehren zu dürfen: er oder Kommodor Marphissa und die Crew des Schweren Kreuzers, die sich bei der Ankunft im System endlich von ihm würden verabschieden können.

Загрузка...