Drei

Iceni verspürte ein Gefühl der Vertrautheit, als sie durch die Korridore des Kreuzers ging. Einer ihrer ersten Posten als Junior-Executive war auf einem solchen Kriegsschiff gewesen, dessen Bauweise man in den Jahren danach nie grundlegend verändert hatte. Jene C-333 war zerstört worden (und unverzüglich durch ein anderes Schiff mit der gleichen Bezeichnung ersetzt worden), nachdem man Iceni erst zwei Monate zuvor auf einen anderen Posten versetzt hatte. Sie war auf der Karriereleiter Dienstgrad um Dienstgrad aufgestiegen, hatte ihre Beziehungen zu Mentoren und alle sonstigen Kontakte beständig gepflegt, hatte Konkurrenten in Misskredit gebracht und so aus dem Rennen geworfen. Schließlich hatte sie kurze Zeit kleinere Flotten der mobilen Streitkräfte befehligt, ein paar blutige Schlachten mit Kriegsschiffen der Allianz überstanden (deren Besatzungen die unerfreuliche, aber bewundernswerte Eigenschaft demonstriert hatten, bis zum bitteren Ende zu kämpfen), bis schließlich eine breit angelegte Loyalitätsüberprüfung der Schlangen dazu geführt hatte, dass in einem Sternensystem ein Senior-CEO fehlte. Einer von Icenis Mentoren war dann so umsichtig gewesen, den Nachfolgerprozess zu ihren Gunsten zu beeinflussen.

Diese Erinnerungen entlockten ihr ein leises Lachen, womit sie für einen Moment den Blick von Executive Marphissa auf sich lenkte. »Was würden Sie tun, Executive, wenn Sie auf einen umfassenden Fall von Schmuggel und Steuerhinterziehung stoßen würden, an dem kein Senior-CEO beteiligt zu sein scheint?«

Marphissa runzelte die Stirn. »Den Fall würde ich natürlich melden. Wer das macht, auf den wartet eine Belohnung.«

»Sollte man meinen«, gab Iceni zurück. »Das Problem war nur, dass bei diesem Fall eine sehr hochrangige Senior-CEO auf Prime ihre Finger im Spiel hatte und gar nicht erfreut darüber war, auf ihre beträchtlichen Nebeneinkünfte verzichten zu müssen.«

»Hat es Sie so nach Midway verschlagen, Madam CEO?«, erkundigte sich Marphissa.

»Ganz genau. Das war meine ›Belohnung‹. Befördert zum Senior-CEO eines Sternensystems, das sich mit einem unbekannten Gegner konfrontiert sieht und von allen anderen Welten im Gebiet des Syndikats weit entfernt ist, während die andere CEO auf Prime größeren und höheren Dingen entgegenstrebte.« Iceni grinste breit. »Sie war dort, als Black Jack mit der Allianz-Flotte auftauchte.«

»Wie tragisch für sie«, meinte Marphissa nur. »Ich bin hier gelandet, weil ich einen Bruder hatte, dem ein Sub-CEO Verrat vorwarf, weil er seinen Posten haben wollte.«

Natürlich wusste Iceni das bereits, doch in den ihr verfügbaren Unterlagen klaffte eine Lücke. »Ist dieser Sub-CEO auch Black Jacks Flotte begegnet?«

»Nein, er starb kurz vor meiner Versetzung bei einem Unfall.«

Iceni zog eine Braue hoch. »Wie tragisch für ihn. Und auch noch kurz vor Ihrer Versetzung. Ein Unfall, sagen Sie?«

Executive Marphissa verzog keine Miene. »Die offiziellen Untersuchungen ergaben, dass sein Tod auf einen Unfall zurückzuführen war.«

»Unfälle ereignen sich nun mal«, ergänzte Iceni mit einem Schulterzucken. Dann hatte Marphissa es also geschafft, Vergeltung zu üben, ohne sich dabei erwischen zu lassen. Das hieß, diese Executive besaß Fähigkeiten, die für Iceni von Nutzen sein konnten. Und Marphissa hatte zudem bewiesen, dass sie in der Lage war, eine solche Tatsache zu vermitteln, ohne sie auszusprechen. Ich muss diese Frau im Auge behalten. Sie ist sehr vielversprechend. »Allerdings mag ich es nicht, von Unfällen überrascht zu werden.«

»Wenn mir bekannt wird, dass sich irgendwelche Unfälle ereignen könnten, werde ich sicherstellen, dass die CEO frühzeitig davon erfährt.« Marphissa sah sie an. »Dennoch gibt es bei Gefechten, die mit mobilen Streitkräften ausgetragen werden, viele Unwägbarkeiten und manchmal auch Überraschungen. Wie viel Kommandoerfahrung im All besitzen Sie, Madam CEO?«

»Einige Zeit bei den mobilen Streitkräften, insgesamt wohl etwa sieben Jahre. Aber es ist jetzt fünf Jahre her, seit ich das letzte Mal eine Flotte befehligt habe.« Ihre Kontrolle über dieses Schiff und über die gesamte Situation hing von ihrer Fähigkeit ab, sich als die beste, fähigste und glaubwürdigste Führerin in diesem Sternensystem darzustellen. Ein Gefühl sagte ihr jedoch, dass Marphissa nicht zu der Art von Untergebenen gehörte, die sich von einem selbstbewussten Auftreten blenden ließen.

»Das ist doch schon mal etwas«, urteilte Marphissa. »Auf jeden Fall wissen Sie, was Sie erwartet. Und Sie werden auf der Brücke nicht allein sein.« Sie machte einen Schritt zur Seite, als sie die Brücke erreichten, um Akiri und Iceni den Vortritt zu lassen.

Nach dem Schlachtkreuzer der D-Klasse, den sie beim letzten Mal als Flaggschiff eingesetzt hatte, kam ihr die Brücke des Kreuzers beengt vor. Sub-CEO Akiri rasselte eine Litanei von Befehlen runter, während er zu seinem Kommandosessel ging. »Modifizierten Gefechtsstatus einnehmen. CEO Iceni hat das Kommando über alle mobilen Streitkräfte übernommen.«

»Liegen Statusberichte von den übrigen mobilen Streitkräften vor?«, wollte Iceni wissen und nahm im Sessel neben dem Befehlshaber Platz, während ihr Leibwächter nahe der Tür in Stellung ging. Es waren enorme Anstrengungen erforderlich gewesen, um diese Flotte hier im System zusammenzubekommen, auch wenn sie nur ein Schatten jener Reserveflotte war, die früher das Gebiet beschützt hatte. Aber wenigstens hatte sie plausibel klingende Argumente vorgebracht, um die vorhandene Flotte nicht auch noch zu verlieren, und es war ihr gelungen, einige auf der Durchreise befindliche Streitkräfte davon zu überzeugen, hier im System zu bleiben. Außerdem hatte sie aufgehört, Jäger als Kurierschiffe nach Prime zu entsenden, da offensichtlich geworden war, dass die Zentralregierung kein einziges Schiff mehr abreisen ließ, das sich in ihr unmittelbares Einzugsgebiet begeben hatte.

Iceni hatte ihre Autorität unerbittlich ins Spiel gebracht, sie hatte massiv geblufft, und dann waren gelegentlich auch noch Befehle für die mobilen Streitkräfte »verloren gegangen«, die im System eintrafen. Aber als der Marschbefehl für die gesamte Flotte eingegangen war, den man im Gegensatz zu den anderen Aufforderungen nicht einfach verschwinden lassen konnte, da war ihr und Drakon endgültig klar geworden, dass sie in Aktion treten mussten, bevor Kolani von dieser Order erfuhr. Dass sie etwas tun mussten, war ihnen aber schon zuvor bewusst gewesen, als der Befehl betreffs der Überprüfung von CEOs für Hardrad eingetroffen war. Jene Order, die sie in der Warteschleife versteckt hatten, um Zeit zu gewinnen.

Der Lohn für ihre Arbeit waren sechs Schwere Kreuzer – zu denen auch der zählte, auf dem sie sich derzeit befand –, fünf Leichte Kreuzer und klägliche zwölf Jäger. Die gesamte Flotte wäre von Black Jacks Flotte aufgerieben worden, wenn er das gewollt hätte, als er vor Kurzem mit seinen Schiffen das System durchquert hatte. Doch gemessen an dem, was der Regierung der Syndikatwelten oder anderen lokalen Behörden in dieser Region zur Verfügung stand, konnte diese kleine Flotte durchaus genügen, um Midway zu beschützen.

Vorausgesetzt, sie konnte Kolani niederringen und verlor dabei nicht zu viele Kriegsschiffe.

Auf dem vor ihren Augen zum Leben erwachenden Display konnte Iceni die Position jeder Einheit der mobilen Streitkräfte sehen. Bislang hatte kein Schiff den ihm zugewiesenen Orbit verlassen. Die Einheiten in der unmittelbaren Nähe von Kolanis Flaggschiff waren zehn Lichtminuten vom Planeten entfernt, also konnten sie von der Entwicklung auf dem Planeten erst etwas erfahren, nachdem Drakons Angriff bereits zehn Minuten lang lief. Dass es bislang zu keiner Reaktion gekommen war, hieß aber auch, dass Kolani von niemandem einen Tipp erhalten hatte, welchen Plan Drakon und Iceni verfolgten. Kolani hatte eigentlich die gesamte Flotte an einem Punkt konzentrieren wollen, aber Iceni war es dank ihrer eigenen Autorität und einiger plausibel klingender Argumente gelungen, die Flotte in drei Gruppen aufzuteilen.

Eine Gruppe befand sich in einem Orbit nahe dem Planeten, weil Iceni darauf beharrt hatte, dass mögliche Rebellen abgeschreckt werden sollten und deshalb die Schiffe nötig waren. So befanden sich drei Schwere Kreuzer, ein Leichter Kreuzer und vier Jäger in unmittelbarer Nähe des Planeten. Eine zweite Gruppe, bestehend aus zwei Schweren Kreuzern – darunter die C-990 mit Kolani an Bord –, drei Leichten Kreuzern und weiteren vier Jägern, kreiste in einem Orbit, der zehn Minuten weiter vom Stern entfernt lag. Die dritte und letzte Gruppe umfasste nur einen Schweren Kreuzer, einen Leichten Kreuzer und die restlichen Jäger und befand sich bei der zentralen Einrichtung der mobilen Streitkräfte im System, einer immens großen Raumstation, die um einen eine Lichtstunde vom Stern entfernten Gasriesen kreiste. Am dem sternnächsten Punkt des Orbits betrug dessen Entfernung zur bewohnten Welt gut fünfzig Lichtminuten. Da sich aber der Gasriese derzeit fast genau am gegenüberliegenden Punkt des Orbits befand und somit seine maximale Distanz erreicht hatte, war er von Icenis Streitmacht nahezu eineinhalb Lichtstunden entfernt. Wenn diese letzte kleine Gruppe von den aktuellen Entwicklungen erfuhr, hatten Iceni und Kolani womöglich längst entschieden, wer von ihnen tatsächlich das Kommando über die Flotte innehatte.

»Die Datenflüsse der anderen mobilen Streitkräfte zeigen an, dass sie alle in Bereitschaft sind«, erklärte Akiri. »Gewöhnliche Bereitschaft, keine Gefechtsbereitschaft«, ergänzte er und fügte nach einer kurzen Pause hinzu: »Natürlich wäre es möglich, dass sie falsche Daten übermitteln, um uns in die Irre zu führen – so wie wir derzeit auch einen manipulierten Bereitschaftsstatus senden.«

Iceni lächelte humorlos. »Es ist nicht verkehrt, das in Erwägung zu ziehen. Haben Sie in die Datenströme an die anderen Schiffe die Information gegeben, dass ich mich an Bord dieser Einheit hier befinde?«

»Ja, Madam CEO.«

Alle Einheiten, die ihre Autorität anerkannten, sollten sich demzufolge bei ihr melden, sobald sie das Problem der Schlangen an Bord gelöst hatten. Ihr Blick kehrte zum Display zurück. Wenn all diese Befehlshaber letztlich auch Wort hielten, dann hatte sie die Hälfte der Schweren Kreuzer, zwei Leichte Kreuzer und fünf Jäger auf ihrer Seite. Bedauerlicherweise verharrten gerade einer dieser Leichten Kreuzer und auch einer der Jäger eineinhalb Lichtstunden von ihrer Position entfernt.

Akiri betrachtete mit finsterer Miene sein eigenes Display. »C-818 will CEO Kolani folgen. Sie benutzt immer noch die C-990 als ihr Flaggschiff, und ich glaube, der Befehlshaber dieser Einheit steht loyal zu ihr.«

»Das war zu erwarten«, erwiderte Iceni. »Kolani hat die beiden Kreuzer bei sich behalten, bei denen sie sich am sichersten ist, dass sie zu ihr stehen.«

»C-555 und C-413 …«, begann Akiri und benannte damit die beiden anderen Schweren Kreuzer in dieser Gruppe.

»… stehen loyal zu mir«, führte Iceni den Satz zu Ende und bewegte einen Finger auf ihr Display zu. »Aber die C-625 … da draußen am Gasriesen. Das ist noch ein fraglicher Punkt.«

»Ich … kann keine Einschätzung geben«, erklärte Akiri.

»Ich auch nicht. Aber ich vermute, die befehlshabende Offizierin der C-625 wird alles tun, um zu vermeiden, sich für eine von beiden Seiten zu entscheiden, solange sie nicht sieht, wer von uns gewinnt. Der Leichte Kreuzer bei C-625 würde mich unterstützen, wenn er allein wäre, aber wenn er von mobilen Streitkräften umgeben ist, die Kolani treu ergeben sind, dann ist sein Status auch ungewiss. Zwei Jäger aus der Gruppe beim Gasriesen sind erst vor Kurzem ins System gekommen, daher habe ich keine Ahnung, zu wem sie halten werden.«

Marphissa nickte. »Ich habe bislang nicht mal mit jemandem an Bord dieser Jäger gesprochen. Sie haben sich nach der Ankunft bei CEO Kolani gemeldet, aber wir hatten noch nicht mit ihnen zu tun.«

»Aber, Madam CEO«, warf Akiri zögerlich ein. »Wenn Sie daran zweifeln, wie sich diese mobilen Streitkräfte entscheiden werden, warum haben Sie dann zugelassen, dass sie so weit entfernt sind, dass Sie keinen Einfluss auf sie nehmen können? Ich frage das nur, weil ich verstehen und lernen möchte«, fügte er dann hastig hinzu.

Iceni antwortete nicht direkt auf seine Frage. »Haben Sie die Berichte gelesen, die wir über die Kämpfe bei Prime erhalten haben, Sub-CEO Akiri?«

Erneut zögerte er, diesmal war ihm anzusehen, dass er die fragliche Information aus seinem Gedächtnis hervorzuholen versuchte. Bevor ihm das aber gelang, erklärte Marphissa von ihrem Platz auf der Brücke: »Als der neue Rat verkündete, dass er sich konstituiert habe, versuchten einige mobile Streitkräfte, sich ihm anzuschließen. Da aber alle Einheiten dicht beisammen angeordnet waren, konnten die alten Loyalisten alle Überläufer vernichten.«

Sub-CEO Akiri nickte und warf Executive Marphissa einen verärgerten Blick zu. »Ja.«

»Dann verstehen Sie, warum ich wollte, dass sich alle Einheiten in unmittelbarer Nähe zu CEO Kolani und den ihr loyalen mobilen Streitkräfte aufhalten«, sagte Iceni. »Wenn es zum Kampf kommen sollte, dann will ich immer noch entscheiden können, wann und wo die Auseinandersetzung stattfinden soll.«

Ein Komm-Fenster öffnete sich vor Iceni, der befehlshabende Offizier der C-555 tauchte darin auf. »Wir erwarten Ihre Befehle, CEO Iceni. Sämtliches ISD-Personal an Bord meiner Einheit wurde neutralisiert.«

»Etwas wird aus der C-413 ausgestoßen«, meldete einer der Manager auf der Brücke.

Der Befehlshaber der C-413 meldete sich Augenblicke später und wirkte sonderbar gelassen. »Wir sind gerade die letzte Schlange losgeworden, CEO Iceni.«

»Durch die Luftschleuse?«, fragte sie.

»Dieser spezielle ISD-Agent konnte es nicht lassen, bei der Crew meine Autorität zu unterhöhlen, CEO Iceni.«

»Verstehe. Zukünftig vermeiden Sie bitte solche Aktionen, wenn Sie Ihre Befehle ausführen«, empfahl sie ihm. Bei allem Verständnis für den Befehlshaber der C-413 wollte sie nicht, dass die Besatzung irgendeines Schiffs sich erst mal daran gewöhnte, Autoritätspersonen auf dem Weg durch die Luftschleuse loszuwerden. Wenn sich daraus eine Angewohnheit entwickelte, würde es womöglich schwierig werden, ihnen dieses Verhalten wieder auszutreiben.

Der Leichte Kreuzer und die vier Jäger aus Icenis Gruppe meldeten sich ebenfalls und bestätigten ihre Loyalitätserklärung ihr gegenüber. Nachdem also die Kriegsschiffe um sie herum eindeutig auf ihrer Seite waren, rief Iceni die zweifellos unschlüssige C-625. »Die Mehrheit der mobilen Streitkräfte in diesem System hat sich bereit erklärt, meine Befehle auszuführen. Ich rate Ihnen, diesem Beispiel schnellstmöglich zu folgen.« Auf eine Antwort würde sie in jedem Fall mindestens drei Stunden warten müssen, selbst wenn die C-625 augenblicklich bei Erhalt der Nachricht reagierte. »Wie sieht es auf der Oberfläche aus?«, wollte sie von Akiri wissen.

Akiri warf dem anwesenden Komm-Manager einen fragenden Blick zu, da der Mann angesichts der Ereignisse etwas verwundert wirkte, während er einen Bericht wiedergab. »Schwere Kämpfe werden aus den ISD-Hauptquartieren und den drei ISD-Subkomplexen gemeldet. Die Kommunikation von der Oberfläche lässt den Schluss zu, dass auch sämtliche ISD-Substationen angegriffen werden. Wir haben eine bruchstückhafte Nachricht von ISD-CEO Hardrad empfangen, aber sie wurde unterbrochen, bevor er einen Befehl oder irgendwelche Informationen übermitteln konnte.«

»Gut. Die Bodenstreitkräfte kümmern sich also um die Schlangen auf der Oberfläche«, verkündete Iceni an jeden gerichtet, der sich in Hörweite befand. »CEO Drakon erledigt seinen Teil der Arbeit.« Das hörte sich zwar so an, als sei Drakon ihr Juniorpartner, aber es war womöglich von Nutzen, innerhalb der mobilen Streitkräfte diesen Eindruck entstehen zu lassen. Sie hielt inne und atmete tief durch, dann nahm sie Kontakt mit Kolani auf. »CEO Kolani, hier spricht CEO Iceni. Ich habe mit sofortiger Wirkung das Kommando über alle mobilen Streitkräfte in diesem Sternensystem übernommen. Bestätigen Sie meine Autorität und erklären Sie Ihre persönliche Loyalität mir gegenüber. Ich erwarte Ihre umgehende Antwort.«

Danach schickte sie eine weitere Nachricht raus, diesmal an die übrigen Schiffe in Kolanis Gruppe. »Ich habe das direkte Kommando über alle mobilen Streitkräfte in diesem Sternensystem übernommen. Bestätigen Sie meine Autorität und erklären Sie Ihre persönliche Loyalität mir gegenüber. Ich erwarte Ihre umgehende Antwort.«

Frühestens in zwanzig Minuten würde sie von Kolani oder von einem der sie umgebenden Schiffe eine Antwort erhalten. »Geben Sie mir Bescheid, wenn irgendein Schiff aus Kolanis Gruppe sich von der Stelle rührt«, wies sie Akiri an.

Der schüttelte den Kopf. »Alle Leichten Kreuzer und Jäger in Kolanis Gruppe befinden sich in der Schusslinie der beiden Schweren Kreuzer. Sie werden sich ihren Weg schon freikämpfen müssen, wenn sie sich aus der Gruppe lösen wollen.«

»Richtig«, stimmte Iceni ihm zu, wobei ihr Tonfall andeutete, dass sie diese Tatsache bereits in Erwägung gezogen hatte.

»Aber umgekehrt befinden sich Kolanis Schwere Kreuzer auch in deren Feuerreichweite«, gab Executive Marphissa zu bedenken, »Ein Überraschungsangriff könnte sie ebenfalls kampfunfähig machen.«

»Ja«, sagte Iceni lächelnd.

»Würde Kolani nicht auf so etwas achten?«, wunderte sich Akiri.

Untergebene zu haben, die auf Probleme aufmerksam machten, anstatt sie zu ignorieren (oder – schlimmer noch – sie gar nicht erst zu bemerken), war ganz nach Icenis Geschmack. Untergebene jedoch, die auf jede denkbare Schwierigkeit zu sprechen kamen, ohne positive Aspekte zu erwähnen oder Lösungsvorschläge zu bieten, waren ein ganz anderes Thema. Diesmal zog Iceni eine Braue hoch und sah Akiri an. Sie beherrschte diese Geste auf eine Weise, die bei Untergebenen echte Angst auslöste, und das funktionierte jetzt auch bei Akiri, der kreidebleich wurde. »Ja«, wiederholte sie. »Sie wird die mobilen Streitkräfte um sie herum im Auge behalten und sich gleichzeitig Gedanken darüber machen müssen, sich ein Gefecht mit uns zu liefern.«

»Verstehe«, bestätigte Akiri hastig und widmete sich dann schnell wieder seinem Display.

Aus dem Augenwinkel bemerkte Iceni bei Marphissa einen gut getarnten, aber immer noch erkennbar geringschätzigen Gesichtsausdruck. Keiner der Manager auf der Brücke ließ sich anmerken, ob er etwas von dieser Szene mitbekommen hatte. Allerdings konnte dieses Verhalten auch bedeuten, dass sie nicht zum ersten Mal Zeuge einer solchen Situation geworden waren, vermutlich weil CEO Kolani Akiri mehr als einmal vor allen Anwesenden zurechtgewiesen hatte. Als Iceni von diesen wiederholten Vorfällen gehört hatte, war ihr klar gewesen, dass Akiri mühelos für ihre Seite zu gewinnen sein würde. Andererseits konnte sie aber auch verstehen, wieso Kolani ihn zur Schnecke gemacht hatte. Verwunderlich war dabei nur gewesen, wieso Kolani ihn nicht längst ersetzt hatte, es war schließlich bekannt, dass sie nur wenig Nachsicht mit Mitarbeitern hatte, die ihre Aufgaben nicht Kolanis Maßstäben entsprechend erledigten. In Akiris Personalakte fand sich auch kein Hinweis auf irgendeinen Grund, der Kolani von einer solchen Maßnahme hätte abhalten können. Ihr Verhalten Akiri gegenüber stand im Widerspruch zu Kolanis üblicher Vorgehensweise und stellte ein Problem dar, mit dem Iceni sich später würde befassen müssen; wenn sie Zeit dafür fand.

Im Augenblick musste sie aber erst einmal eine Zwangspause über sich ergehen lassen und trotzdem hellwach und konzentriert sein. Sie konnte einfach nichts anderes tun als darauf zu warten, dass Kolani und die anderen in zehn Lichtminuten Entfernung reagierten. Und genauso war sie zum Warten verdammt, was den Ausgang von Drakons Angriff auf den ISD anging. Hatte er einen Sieg verbuchen können? Oder war er gescheitert? Icenis Blick ruhte auf dem Teil des Displays, das die Planetenoberfläche unter ihrem Kreuzer zeigte. Die ISD-Einrichtungen waren farblich hervorgehoben, weil dort Kämpfe tobten. Wenn sie davon erfuhr, dass Drakons Attacken teilweise fehlgeschlagen waren, würde es für sie nicht weiter schwer sein, die betreffenden Einrichtungen zu identifizieren und zu bombardieren. Ziel erfassen, Ziel zuweisen, Bombardement beginnen. So einfach. Und wenig später würde dieser Teil der Stadt ausgelöscht werden, zusammen mit allen, die sich dort aufhielten.

Ich habe schon Allianz-Welten bombardiert. Das war auch nicht weiter schlimm. Ich habe einfach nicht über die Bürger nachgedacht, die sich an den ausgewählten Zielen aufhielten. Werden Leute in der Allianz eigentlich als Bürger bezeichnet? Warum weiß ich darauf keine Antwort? Ich habe sie getötet, und ich kann nicht mal etwas dazu sagen, wie sie sich selbst nannten?

Aber natürlich hat es das leichter für mich gemacht, sie zu töten.

Ich musste nur an einer Operation zur inneren Stabilität teilnehmen, bei der eine unserer eigenen Welten bombardiert wurde, um Aufstände oder Unruhen niederzuschlagen. Ich hatte Glück. Aber hier stehe ich jetzt womöglich trotzdem genau vor dieser Entscheidung.

Wurde Black Jack tatsächlich von den lebenden Sternen zu uns geschickt? Er hat auch die Allianz dazu gebracht, nicht weiter Zivilisten zu bombardieren. War das seine Bestimmung? Mein Vater erzählte mir immer von den Sternen, die über uns alle wachen, aber das ist so lange her, und ich weiß nicht, wie viel ich davon heute noch akzeptieren kann. Ich habe gesehen, dass die Männer und Frauen, die es innerhalb der Syndikatwelten zur größten Macht gebracht haben, vor nichts und niemandem Halt machten. Warum wurden sie nicht gestoppt? Ich habe die Folgen der Bombardierungen unserer Welten durch die Allianz gesehen. Dabei habe ich nicht viel davon gemerkt, dass sich irgendjemand um die Hilflosen und die Schwachen gekümmert hätte. Man muss stark sein, sonst wird man verletzt. Warum sollte etwas, dem wir so wichtig sind, so lange Zeit warten, ehe es eingreift?

Aber wir haben verloren, die Allianz hat gesiegt. Und jetzt in diesem Moment sterben die gehässigsten und gnadenlosesten Angehörigen der Syndikatwelten, die Schlangen des ISD, in ihren eigenen Festungen.

Ihr Blick ruhte wie gebannt auf einem der ISD-Symbole, einem der Punkte, den sie bombardieren lassen konnte. Also gut, lebende Sterne. Mein Vater hat mir gesagt, dass ihr uns führen und uns zeigen sollt, was richtig und was falsch ist. Habt ihr Black Jack gesagt, was er tun soll? Verratet es mir. Soll ich die Schlangennester ausradieren, selbst wenn ich damit die Umgebung zerstöre und Bürger töte? Oder soll ich diesen praktischsten und einfachsten Weg meiden, weil ich damit die Bürger verletze, für die ich verantwortlich bin, auch wenn man Bürger jederzeit ersetzen kann?

Macht schon. Wenn es euch tatsächlich irgendwo da draußen gibt, dann sagt es mir.

»Madam CEO«, meldete sich der Ablauf-Manager zu Wort. »Die mobilen Streitkräfte um CEO Kolani haben ihren Vektor geändert. Sie scheinen sich unserer Position zu nähern.«

Executive Marphissa nickte bestätigend. »Mit Blick auf den Zeitablauf haben sie in dem Augenblick reagiert, als sie sehen konnten, dass die ISD-Einrichtungen auf der Oberfläche angegriffen wurden.«

Iceni reagierte mit einem knappen Nicken. Warum hatte sie von Drakon noch immer nichts über den Verlauf seiner Operation gehört? Sie konnte nicht einfach …

Es dauerte ein paar Sekunden, ehe sie begriff, was sie da eigentlich sah. Das Symbol der ISD-Einrichtung, auf das sie die ganze Zeit über gestarrt hatte, sah seit ein paar Sekunden anders aus. Es zeigte nicht länger die ISD-Identifizierung, sondern leuchtete mit einem Symbol, demzufolge die Anlage nun den Bodenstreitkräften gehörte.

Auch andere ISD-Einrichtungen wechselten von giftigem Gelb zu dieser sattgrünen Anzeige, während Iceni zwischen ihnen hin und her schaute. »Versuchen Sie Kontakt mit CEO Drakon herzustellen«, befahl sie. »Er …«

Sie unterbrach sich, da ihr in diesem Moment die Gedanken einfielen, die ihr durch den Kopf gegangen waren, unmittelbar bevor sie von dem Manager unterbrochen worden war. Sekundenlang starrte sie auf die veränderten Symbole. Wurde ich erhört? Aber das kann doch nur ein Zufall sein. Ganz sicher hat …

»Madam CEO?«, fragte Marphissa.

»Drakon müsste sich im Hauptquartier des ISD befinden. Versuchen Sie, ihn dort zu erreichen«, wies Iceni sie noch eine Spur energischer an, um den vorübergehenden Verlust ihrer Selbstkontrolle zu überspielen.

Zwei Minuten vergingen, in denen Icenis Miene sich immer weiter verfinsterte, während Akiri wieder einen verzweifelten Eindruck erweckte und seinerseits den Komm-Manager wütend anblickte.

Zum Glück für den Manager ging gleich darauf eine neue Nachricht ein.

CEO Kolani hatte zuletzt so unglücklich ausgesehen, als die Allianz-Flotte sich ihren Weg durch dieses Sternensystem gebahnt und dabei alles niedergewalzt hatte. Ihr Iceni geltender Blick war nun so bösartig, als würden sich die beiden Frauen gegenüberstehen. Erst einen Moment später wurde Iceni bewusst, dass diese Nachricht ja bereits vor zehn Minuten gesendet worden war. »Ehemalige CEO Iceni, Sie werden hiermit jeglicher Autorität enthoben, außerdem befehle ich Ihnen, sich zu ergeben und sich von einem loyalen Vertreter der Syndikatwelten in Gewahrsam nehmen zu lassen. Ich übernehme hiermit die vollständige Autorität über dieses Sternensystem, bis die gesetzeswidrigen Handlungen der Bodenstreitkräfte gestoppt und ihre Anführer einschließlich CEO Drakon dingfest gemacht worden sind.«

»Hat sie das fünf Minuten nach dem Angriff auf die ISD-Einrichtungen auf der Oberfläche gesendet?«, wollte Iceni wissen.

»Ja, Madam CEO.«

Aus einem unerfindlichen Grund konnte Iceni nicht anders und begann zu lachen. »CEO Kolani hat mir nicht mal eine Gelegenheit zum Rebellieren gegeben, sondern sofort die Macht an sich zu reißen versucht.« Aber Kolani hatte mit Hardrad über diese verzögert übermittelte Nachricht von Prime gesprochen und Iceni die Schuld daran zugeschrieben … sofern sie Hardrad in dieser Sache glauben konnte. Hardrad kann man eigentlich nie glauben, aber in diesem Fall hätte es seinen Absichten gedient, mir die Wahrheit über Kolanis Verdächtigungen zu sagen. Schließlich wusste ich da ja schon, wie Kolani über mich denkt.

Sie sah zu Akiri. »Sagen Sie den mobilen Streitkräften, sie sollen auf volle Gefechtsbereitschaft gehen, und sie sollen sicherstellen, dass dieser Status an Kolanis Gruppe übermittelt wird.«

Ein Alarm ertönte, ein Zittern durchfuhr Icenis Display, dann stabilisierten sich die virtuellen Bilder wieder. »Was war das?«

»Ein Virus«, meldete Marphissa. »Über das Netz geschickt, das uns mit dem Rest der Flotte verbindet. Das Virus hat versucht, die Würmer zu aktivieren, von denen wir unsere Systeme zum Glück bereits gesäubert hatten.«

Verdammt. »Können wir Filter zwischen uns und die Schiffe setzen, die zu Kolani stehen?«

»Genau die haben soeben das Virus abgewehrt, Madam CEO. Ich kann nicht garantieren, dass ihnen das beim nächsten Virus auch wieder gelingt.«

Zum Teufel! »Unterbrechen Sie die Verbindung zu Kolanis Kriegsschiffen!«

»Kriegs-«, wollte Marphissa fragen, verkniff sich das dann aber. »Ja, Madam CEO. Was ist mit den … den Kriegsschiffen bei der Raumstation? Wenn sie etwas gesendet haben, braucht das eineinhalb Stunden, bis es uns erreicht. Und wenn CEO Kolani versucht, über diesen Umweg etwas an uns weiterzuleiten, würde das erst in über drei Stunden hier eintreffen.«

»Lassen Sie die Verbindung zu diesen Schiffen noch offen.« Iceni warf einen gereizten Blick auf ihr Display. Anstatt akkurate und aktuelle Informationen ablesen zu können, musste sie sich nun auf die Sensoren der Kreuzer verlassen, um zu erfahren, was tatsächlich vor sich ging.

Akkurate, aktuelle Informationen? »Die haben doch ihre Datenströme an uns gefälscht, richtig?«, fragte sie.

Der Ablauf-Manager nickte. »Die Bewegungen, die wir sehen, passen nicht zu dem, was uns die aktualisierten Daten sagen. Es ist …« Er verstummte mitten im Satz.

»Sagen Sie es.« Icenis Stimme war nicht allzu laut, aber jeder auf der Brücke konnte sie reden hören.

»Ja, Madam CEO. Es ist eine plumpe Fälschung.« Nachdem er seine Kritik an einem Vorgesetzten – wenn auch einem, der sich in einer anderen Einheit befand – erst einmal ausgesprochen hatte, schien der Manager auf einmal weiterreden zu wollen. »Die hätten die falschen Daten an ihre tatsächlichen Bewegungen anpassen können, weil sie wissen müssen, dass uns jede Abweichung auffallen würde. Stattdessen senden sie uns weiter Daten, die besagen, dass sie sich immer noch in der gleichen Position befinden.«

Iceni musterte den Manager, der einen roten Kopf bekommen hatte, während er sie besorgt ansah. Sie fragte sich, ob irgendein Manager auf einem von Kolanis Schiffen zwar erkannt hatte, dass es eigentlich notwendig war, die falschen Daten anzupassen, er aber den Mund hielt, da er nicht den Eindruck erwecken wollte, dass er die Entscheidung eines Vorgesetzten infrage stellte oder ihr gar offen widersprach. »Das ist eine gute Einschätzung«, sagte sie schließlich, womit sie dem Mann einen ungläubigen, fassungslosen Blick entlockte. »Wir müssen an solche Dinge denken, bevor wir irgendwelche Informationen an CEO Kolani herausgeben. Wie lautet Ihre Einstufung?«

»Senior-Manager Zweiter Klasse, Madam CEO.«

»Sie sind ab sofort ein Senior-Manager Erster Klasse. Denken Sie weiter mit und sagen mir alles, was ich wissen muss.« Dann drehte sie sich zu Akiri um. »Nehmen Sie diese Beförderung zur Personalakte. Es freut mich zu sehen, dass Ihre Besatzung gut ausgebildet und kenntnisreich ist.«

Akiri, der fast eine finstere Miene hatte aufsetzen wollen, verzog im nächsten Moment den Mund zu einem breiten Lächeln, dann warf er dem Mann einen anerkennenden Blick zu.

»Ich … ich habe eine Verbindung zu CEO Drakon«, rief der Komm-Manager erleichtert.

Das Fenster, das sich vor Iceni öffnete, zeigte Drakon in Gefechtsrüstung, im Hintergrund rauchten irgendwelche Trümmer. Es dauerte ein paar Sekunden, ehe sie diese Trümmer als die Überreste der ISD-Kommandozentrale erkannte. Sie hatte einmal eine Führung durch das Gebäude mitgemacht, war sich dabei aber wie eine Gefangene vorgekommen. Das hatte erst wieder nachgelassen, als sie danach wieder draußen unter dem freien Himmel stand.

Drakons Augen strahlten mehr Skepsis als Triumph aus, dennoch machte er eine lässige Handbewegung. »Wir haben’s geschafft. Ein paar einzelne Schlangen sind zwar noch auf freiem Fuß, aber die Führungsebene ist tot, und den Rest erledigen wir im Handumdrehen.«

»Wo ist Hardrad?«

»Das ist jetzt eine eher metaphysische Frage.«

Iceni brauchte einen Augenblick, ehe sie ihm folgen konnte. »Ich wusste gar nicht, dass Sie so einen pechschwarzen Humor haben, CEO Drakon.«

»Ich bin jetzt General Drakon. Wie Sie selbst gesagt haben: Wir müssen uns von der Art befreien, wie das Syndikat die Dinge gehandhabt hat.«

»Verstehe.« Eine einsame Entscheidung von Drakons Seite. Keine Entscheidung, gegen die sie protestieren konnte, die sie dennoch als einen bedenklichen Zug ansah. »Sorgen Sie dafür, dass Hardrads Überreste gründlich untersucht werden, bevor Sie sie beseitigen. In seinem Körper könnten sich winzige Autospeicher-Einheiten befinden.«

»Die haben wir gefunden«, sagte Drakon. »Aber die waren alle über einen Totmannschalter mit seinem Metabolismus verbunden. Als er starb, wurden sie automatisch gelöscht.«

»Zu schade. Gut, da ich jetzt weiß, dass Sie die Lage auf dem Planeten unter Kontrolle haben, muss ich mich wieder um meine eigenen Aufgaben kümmern. Es gilt, hier oben eine Schlacht auszutragen.«

»Vielleicht überlegt Kolani es sich ja noch anders, wenn sie erfährt, dass die Schlangen auf dem Planeten allesamt ausradiert wurden.«

»Ich werde dafür sorgen, dass sie das erfährt«, entgegnete Iceni. »Wenn die Schlacht geschlagen ist, hören Sie wieder von mir.«

Drakon schüttelte den Kopf. »Was sollte Kolani davon abhalten, uns mit Steinen zu bewerfen?«

»Sie wird ihren Herren und Meistern einen intakten Planeten übergeben wollen«, antwortete sie. »Es wird sie nicht beeindrucken, wenn sie ihnen die erneute Kontrolle über eine Ruine präsentiert. Man würde weitaus größere Verluste gegen das aufrechnen, was sie geleistet hat, und ihr diese zum Vorwurf machen. Davon bin ich überzeugt.«

»Dann bin ich aber froh, dass Sie davon überzeugt sind«, gab er zurück. »Immerhin müssen Sie sich keine Gedanken darüber machen, dass Ihnen ein paar Steine auf den Kopf fallen könnten. Schöne Schlacht auch noch.«

»Besten Dank.« Das Fenster schloss sich, und Iceni schaute mürrisch auf die Stelle, an der sich eben noch das Fenster befunden hatte. Mit Drakon zusammenzuarbeiten würde eine dauernde Herausforderung sein, aber den Mann zu eliminieren, das würde ein sehr langfristiges Projekt darstellen.

Vorausgesetzt, sie wollte ihn tatsächlich eliminieren. Ihr war aufgefallen, dass jene CEOs, die sich ganz darauf konzentrierten, alle Personen auszuschalten, die sich zu einer Konkurrenz entwickeln konnten, letztlich jeden um sich herum aus dem Weg räumten, der seine Arbeit zu erledigen verstand. Auf lange Sicht war damit jedes Mal eine Katastrophe vorprogrammiert.

Icenis Blick bewegte sich zu ihrem Display, auf dem die Darstellung von Kolanis Streitkräften deutlich anzeigte, dass die auf einen direkten Abfangkurs zu Icenis Schiffen gegangen waren. »Sie kommt geradewegs auf uns zu.«

Akiri nickte ernst. »CEO Kolani wird den Beschuss auf diesen Kreuzer konzentrieren. Sie wird Sie töten wollen, weil sie glaubt, die anderen Einheiten werden dann schon kapitulieren.«

»Gerade so, wie ich sie töten muss, damit ich die Vernichtung aller Einheiten verhindern kann, die ihr folgen.« Grimmig betrachtete Iceni ihr Display, auf dem automatisch ablaufende Berechnungen den wahrscheinlichen Punkt bestimmten, an dem sich die Schiffe begegnen würden. Sie hatte drei Schwere Kreuzer, Kolani zwei, dafür besaß Kolani mehr kleinere Kriegsschiffe. Bei einem direkten Aufeinandertreffen würde die Feuerkraft auf beiden Seiten weitestgehend identisch sein. Sieg oder Niederlage blieben dem Zufall überlassen, alles hing davon ab, wer bei den Primärzielen mehr Treffer landete, wo diese Treffer erfolgten und welche wichtigen Systeme dabei ausgeschaltet wurden.

Sie hasste es, sich auf den Zufall verlassen zu müssen. »Wie können wir den Schweren Kreuzer mit CEO Kolani an Bord außer Gefecht setzen, ohne Gefahr zu laufen, dass sie das Gleiche mit uns machen?«, fragte sie an Akiri und Marphissa gewandt.

Beide sahen sie ratlos an. »Wir schlagen hart und schnell zu«, sagte Marphissa schließlich. »Ein sauberer Beschuss im Vorbeiflug. Das verschafft uns die besten Chancen.«

»Black Jack setzt nie auf einen sauberen Beschuss im Vorbeiflug«, wandte Iceni ein.

Akiri meldete sich zögerlich zu Wort: »Gearys Manöver und die Resultate seiner Angriffe auf Streitkräfte der Syndikatwelten sind als geheime Informationen eingestuft worden. Wir haben dazu nie einen offiziellen Bericht gesehen.«

Natürlich nicht. Es gab ja die geistlose Geheimhaltung von entscheidenden Informationen, um den eigenen Leuten nichts darüber verraten zu müssen, wie sie von ihrem Gegner in Grund und Boden gerannt worden waren. »Einfach ausgedrückt hat Black Jack den Flotten der Syndikatwelten immer wieder schwerste Verluste zugefügt, während er selbst relativ ungeschoren davongekommen ist. Er hat Taktiken angewandt, die wir immer noch zu analysieren versuchen, die aber meines Wissens von Situation zu Situation wechselten.«

»Dann stimmen diese Gerüchte?«, fragte Marphissa erschrocken.

»Ja. Die mobilen Streitkräfte der Syndikatwelten sind so stark dezimiert worden, dass kaum noch etwas übrig ist. Und Sie haben ja selbst gesehen, über was die Allianz-Flotte immer noch verfügt.«

»Können Sie auch …?«

»Nein.« Ich bin nicht Black Jack. Ich habe mir angesehen, was wir über diese Gefechte wissen, aber ich verstehe noch immer nicht, warum er wann zu welcher Taktik greift … und wie er seine Flugbewegungen zeitlich abgestimmt hat … oder wie …

Kann ich so tun, als wäre ich Black Jack? Was würde er machen? Nicht einfach auf den Gegner zurasen, wenn beide Seiten so gut wie gleich stark sind. Er würde … die Chancenverteilung ändern. »Aber ich hätte da eine Idee.« Sie rief die Manöverempfehlung für das Abfangen von Kolanis Streitkräften auf, eine simple Übung, da Kolani genau auf sie zuhielt, um sie dort im Orbit abzufangen, wo sich Icenis Flotte befinden würde, wenn sie sich nicht von der Stelle bewegte. »An alle Einheiten, beschleunigen Sie auf 0,1 Licht und ändern Sie bei Zeit eins vier den Kurs um drei zwei Grad nach Backbord.«

»Die Streitmacht von CEO Kolani hat sich ebenfalls auf 0,1 Licht eingependelt«, meldete Marphissa. »Siebenundvierzig Minuten bis zum Kontakt, wenn sie die Vektoren ändert, sobald sie unser Manöver sieht.«

»Werden wir unser Feuer auf den Kreuzer 990 konzentrieren?«, wollte Akiri wissen, der bereits die Finger bewegte, um diese Priorität ins Zielerfassungssystem einzugeben.

»Sie werden meinen Befehl zur Priorität der Zielerfassung abwarten.« Alle sahen sie daraufhin erstaunt an. »Ich werde die Priorität erst im letzten Moment festlegen, um zu verhindern, dass diese Information auf irgendeinem Weg CEO Kolani in die Hände fällt.« Der zusätzliche Nachdruck in ihrem Tonfall machte allen klar, dass kein Zweifel an ihrer Entscheidung geäußert werden durfte. Jeder widmete sich wieder seinen ursprünglichen Aufgaben. Zweifellos sagte sich ihre Brückencrew, dass CEOs launisch waren und am liebsten alles selbst erledigten. Sollte sie doch den Befehl eingeben, wann immer sie das für richtig hielt. Doch so einfach ist das alles gar nicht. Ich bin zwar nicht Black Jack, aber ich kann wenigstens versuchen, etwas Unerwartetes zu tun.

Siebenundvierzig Minuten. Jetzt noch sechsundvierzig Minuten. Sie hatte das schon früher durchgestanden, diese lange Wartezeit bis zu einem Gefecht; das Losstürmen auf einen Widersacher, den man stunden- oder sogar tagelang sehen konnte, bevor es endlich zum Schusswechsel kam. Iceni fühlte sich in solchen Momenten immer an einen von diesen Träumen erinnert, in denen sie vom Himmel kommend auf die Planetenoberfläche zuraste, der Fall aber widersinnigerweise umso länger dauerte, je näher sie dem Boden kam, wo sie beim Aufprall der Tod erwartete. Aber während sie aus diesen Träumen immer im letzten Moment hochschreckte, kam es bei einem Gefecht immer zum Aufprall.

Wie kann ich schaffen, was Black Jack getan hat? Ich weiß nicht genug darüber. Ich kann mich ihm nur sehr grob annähern. Aber vielleicht ist mehr ja auch gar nicht nötig, um Kolani zu schlagen. Sie wird von mir erwarten, dass ich mich an die Doktrin halte, da ich nur begrenzte Erfahrung habe, die zudem einige Jahre zurückliegt.

»CEO Iceni«, sagte Akiri und riss sie aus ihren Überlegungen. Seine eigene Sorge war ihm deutlich anzusehen. »Ich habe an solchen Gefechten teilgenommen. Beide Seiten sind weitgehend gleich stark. Wenn der Kampf vorüber ist, wird nicht mehr viel übrig sein.«

Iceni nickte. »Wollen Sie mir zu einer anderen Vorgehensweise raten, Sub-CEO Akiri?«

Nach kurzem Zögern antwortete er: »Lassen Sie sie ziehen. Anstatt zu versuchen, sie zu schlagen, sollten Sie sie nach Prime zurückkehren lassen.«

»Damit sie Verstärkung holen und wieder herkommen können?«, warf Marphissa ein.

»Uns wurde gesagt, es existiert keine Verstärkung mehr«, beharrte Akiri und lief vor Verärgerung rot an. »CEO Iceni selbst hat erklärt, dass nichts mehr übrig ist.«

Iceni musste nur einen Finger heben, und schon verstummte die Diskussion. Executives, die nicht lernten, auf kleinste Gesten zu achten und entsprechend zu reagieren, hatten keine große Karriere vor sich. »Ich verstehe Ihre Sorgen, Sub-CEO Akiri. Allerdings stehen wir hier nicht vor der Wahl, ob wir kämpfen sollen oder eher nicht. CEO Kolani muss kämpfen und siegen. Ich bin mir sicher, dass sie nicht die Flucht nach Prime antreten wird, um dort Unterstützung zu holen, weil das ein Eingeständnis ihres Scheiterns wäre. Sie müsste zugeben, dass sie trotz ihrer Anwesenheit dieses Sternensystem und dazu noch über die Hälfte ihrer Flotte verloren hat. Ich kann mir kaum vorstellen, dass die Nachfolgeregierung der Syndikatwelten leichter Gnade walten lässt, wenn es um gescheiterte CEOs geht. Nein, CEO Kolani wird dieses System nicht einfach verlassen, selbst wenn wir ihr zusichern, sie unbehelligt abreisen zu lassen. Sie wird kämpfen, weil sie die Kontrolle des Syndikats über dieses System zurückerobern will. Selbst wenn sie dabei ihr Leben lässt, ist das immer noch akzeptabler als das, was sie erwartet, wenn sie scheitert.«

»Und wenn sich bei Prime Verstärkung befindet?«, hakte Marphissa nach. »Das könnte ihre Absichten beeinflussen.«

»Ihr Befehlshaber hat im Wesentlichen recht«, sagte Iceni und gönnte Akiri diesen kleinen Sieg im Rahmen der Debatte. »Dort könnten sich weitere mobile Einheiten aufhalten, aber vermutlich nur sehr wenige, auf die man kurzfristig verzichten kann. Unser Wissen darüber, welche mobilen Streitkräfte weiterhin der Kontrolle durch die Syndikatwelten unterstehen, ist sehr unvollständig. Es wird zweifellos an neuen Schiffen gebaut, aber wie viele es sind, das wissen wir nicht. Außerdem müssen sie den größten Teil von dem, was ihnen überhaupt noch geblieben ist, bei sich behalten, damit sie auf Gefahren reagieren und sie sie gleichzeitig als Druckmittel gegen die umliegenden Systeme einsetzen können, die immer noch ihrer Kontrolle unterstehen.«

Akiri betrachtete sie lange. »Die Reserveflotte? Wissen wir, was …?«

»Diese Gerüchte treffen ebenfalls zu«, sagte Iceni geradeheraus, auch wenn sie wusste, wie die Umstehenden auf diese Bestätigung ihrer ärgsten Befürchtungen reagieren würden. »Die Reserveflotte ist Black Jack begegnet, und jetzt existiert sie nicht mehr. Sie wird niemals hierher zurückkommen.«

Als sie Akiris entsetzte Miene sah, fragte sie sich, wie viele gute Freunde er wohl in dieser Flotte gehabt hatte. Aber was dieses Thema anging, war er bei Weitem nicht der Einzige.

»Eine weitere Nachricht von CEO Kolani«, meldete der Komm-Manager.

»Die will ich sehen.« Vor ihr öffnete sich ein Fenster, zu sehen war Kolani, deren Verärgerung sich inzwischen zu eisiger Verachtung gesteigert hatte.

»Sie werden kapitulieren, oder Sie sterben. Und mit Ihnen wird jeder Narr sterben, der sich Ihnen angeschlossen hat. Diese Leute sollten erfahren, dass Sie keinerlei Begabung besitzen, um mobile Streitkräfte zu befehligen, und dass das bisschen Erfahrung, welches Sie vor vielen Jahren haben sammeln können, für nichts ausreicht. Im Interesse der Sicherheit der Bürger der Syndikatwelten bin ich bereit, Ihnen Ihr Leben zu lassen, wenn Sie Ihre Kapitulation übermitteln, ohne dass Sie zuvor auf irgendeine mobile Einheit das Feuer eröffnen. Diejenigen, die Ihnen offensichtlich in dem Irrglauben gefolgt sind, Sie besäßen die Autorität, solche Handlungen anzuordnen, werden straffrei ausgehen. Ihnen bleiben fünfzehn Minuten, um zu antworten. Für das Volk. Kolani, Ende.«

Iceni lehnte sich zurück und wandte sich an Akiri: »Ich nehme an, jedem Supervisor und Manager in diesen mobilen Einheiten ist Kolanis Angebot bereits bekannt, auch wenn diese Nachricht eigentlich nur für mich bestimmt war, richtig?«

Akiri und Marphissa tauschten einen kurzen Blick aus, dann zuckte Marphissa mit den Schultern. »Das ist zweifellos korrekt, Madam CEO. Das Angebot war eindeutig an sie alle gerichtet.«

»Dann wird es Zeit, dass ich auch mal eine Nachricht verbreite. Bereiten Sie eine Ausstrahlung vor.« Ungeduldig wartete Iceni, dass die wenigen Sekunden verstrichen, bis der Manager alles eingerichtet hatte und ihr ein entsprechendes Zeichen gab. »Bürger des Midway-Sternensystems, loyale Raumstreitkräfte des gesamten Systems, Angehörige von General Drakons Bodenstreitkräften – hier spricht CEO Iceni.«

Seit ein paar Monaten hatte sie diese Ansprache geübt. Sie hatte die Worte auswendig gelernt, da sie es nicht gewagt hatte, sie irgendwo schriftlich festzuhalten; weder in elektronischer Form noch handschriftlich auf Papier. Ein solches Dokument wäre ihr sofortiges Todesurteil gewesen, wenn es dem ISD in die Finger geraten wäre. Iceni hatte nur so lange überleben können, weil ihr nie der Fehler unterlaufen war, die Schlangen zu unterschätzen.

»Sie haben lange genug unter der Kontrolle der Regierung auf Prime gelebt. Die Syndikatwelten haben viel von Ihnen gefordert und nur wenig dafür zurückgegeben. Angeboten hatten sie Ihnen vor allem Sicherheit, und genau darin haben sie versagt. Die Syndikatwelten haben die eine Flotte abgezogen, die uns lange Zeit beschützt hat, weshalb wir nun schutzlos jener fremden Rasse ausgeliefert sind, die jenseits der Grenze lebt und uns bedroht hat. Ja, ich bestätige hiermit offiziell die Existenz einer Spezies, von der wir eigentlich nur wissen, dass sie eine Bedrohung für uns darstellt. Wir müssen in der Lage sein, uns zu verteidigen, und trotzdem will die neue, illegale Regierung auf Prime uns auch noch die kleine Flotte der mobilen Streitkräfte wegnehmen, die ich für die Verteidigung dieses Sternensystems zusammengezogen habe. Die Regierung der Syndikatwelten hat lange Zeit mit ihrer Überlegenheit geprahlt. Nur sie könne unsere Sicherheit garantieren, hat sie immer behauptet. Und doch hat sie den Krieg gegen die Allianz verloren. Die Allianz-Flotte kam hierher zu uns und hat uns damit das Versagen des Syndikat-Systems vor Augen geführt. Ich will offen zu Ihnen sein. Allein die Angst hat dafür gesorgt, dass wir gegenüber Prime loyal waren. Die Angst vor der Allianz und vor dem ISD … den Schlangen.«

Sie ließ eine kurze Pause folgen, weil sie sich vorstellen konnte, was für ein Schock es für die Bürger sein musste, von einer CEO diesen nur hinter vorgehaltener Hand benutzten Begriff zu vernehmen, der davon zeugte, wie sehr der ISD verabscheut wurde.

»Aber die Schlangen im Midway-Sternensystem sind tot, ausgenommen jene in den Reihen der mobilen Streitkräfte, die dem Kommando von CEO Kolani unterstehen. Die Syndikatwelten sind im Zerfall begriffen. Die Autorität der Zentralregierung schwindet stündlich, und viele Sternensysteme sind mittlerweile in Chaos und Bürgerkrieg versunken. Ich werde verhindern, dass sich hier so etwas ebenfalls abspielt. Ich habe eine Vereinbarung mit der Allianz getroffen, genauer gesagt: mit Black Jack Geary persönlich, dass die Allianz-Regierung mein Handeln anerkennt und unterstützt.«

Sie fragte sich, wie Black Jack wohl reagieren würde, wenn er wüsste, in welcher Weise sie ihre Abmachung interpretierte. Er war schon nicht begeistert gewesen, ihr zuzusichern, dieses Sternensystem gegen die Enigma-Rasse zu verteidigen. Diese Vereinbarung war ohnehin nur zustande gekommen, weil Iceni etwas besessen hatte, was Black Jack hatte haben wollen. Jetzt konnte sie nur hoffen, dass er nicht in nächster Zeit in dieses Sternensystem zurückkehrte und noch ihre Ansprache an die Bürger mitanhören konnte. Aber selbst wenn … Black Jack hatte eingewilligt, öffentlich nicht zu leugnen, dass der Schutz des Midway-Sternensystems sich nicht nur auf die Bedrohung durch die Enigmas beschränkte.

»Ich werde in Kürze den Kampf gegen CEO Kolani beginnen«, fuhr Iceni fort. »Dabei unterstützen mich die mobilen Streitkräfte, die mir und dem nunmehr unabhängigen Sternensystem Midway ihre Loyalität zugesichert haben. CEO Kolani und den Schlangen an Bord ihrer mobilen Einheiten werden wir es nicht gestatten, dass sie die Bürger in diesem Sternensystem bedrohen. Wir werden von heute an unseren eigenen Weg gehen, der uns Sicherheit und Wohlstand garantiert, aber ohne den Terror des ISD. Für das Volk! Iceni, Ende.«

Als sie fertig war, stützte sie die Ellbogen auf die Armlehnen und verschränkte die Hände, um das Kinn darauf aufzustützen. Sie fühlte sich ein wenig erschöpft, so als hätte sie eine anstrengende körperliche Betätigung hinter sich. Bis zu einer Reaktion von den mobilen Streitkräften um Kolani würde es noch eine Weile dauern, also konnte sie …

Es dauerte einen Moment, ehe sie begriff, was das für ein Geräusch war, das durch den ganzen Kreuzer widerhallte. Sie war bei unzähligen offiziellen Feiern und Zeremonien zugegen gewesen, sie hatte gehört, wie ganze Gruppen von Bürgern gehorsam Parolen sangen oder riefen, die man ihnen vorgab, doch das hier … das war anders. Das war ein wilder, ungestümer Jubel, der mitriss und zugleich erschreckte. Einige Manager auf der Brücke lagen sich in den Armen oder reichten sich die Hände. Eine Sub-Executive im mittleren Alter stand reglos da, während ihr Tränen über die Wangen liefen.

Sub-CEO Akiri saß ein wenig zusammengekauert da, als sei er darauf gefasst, einen Mob abwehren zu müssen. Iceni konnte ihn in diesem Moment nur zu gut verstehen. Währenddessen lächelte Executive Marphissa zufrieden, da der allseitige Jubel der Feiernden nicht abreißen wollte.

Es war nur ein Wort, das sie alle immer und immer wieder riefen: »Iceni! Iceni!« Ihr Name, aus freien Stücken gerufen von Bürgern, die nicht länger unterjocht wurden. Ein Gefühl der Desorientierung überkam sie. Was habe ich getan? Hier spielt sich mehr ab als nur eine Veränderung bei den Titeln derjenigen, die dieses Sternensystem führen.

Mahnende Blicke von Akiri und Marphissa veranlassten die Manager auf der Brücke, ihren Jubel ein wenig zu reduzieren und an ihre Stationen zurückzukehren. Allerdings herrschte eine andere Atmosphäre als zuvor, denn von der düsteren Grundstimmung, mit der die Manager sonst ihren Dienst verrichteten, war jetzt nichts mehr zu spüren.

»Zwanzig Minuten bis zum Kontakt«, meldete der Steuer-Manager und klang fast so, als könne er den Moment kaum noch erwarten.

Iceni schaute auf ihr Display und lächelte zynisch. In zwanzig Minuten bekam sie ihre erste Chance, sich öffentlich zu blamieren. Wenn ihre Idee ein Reinfall wurde und wenn es Kolani gelang, Icenis Schiffen schweren Schaden zuzufügen, dann würde das gesamte Sternensystem es mitansehen können. Ihr Leben lang war Iceni dazu angehalten worden, keine Schwäche erkennen zu lassen, weil ihre Mitmenschen sofort zuschlagen würden, wenn sie Verwundbarkeit oder Unvermögen auf ihrer Seite beobachten sollten.

In zwanzig Minuten würde sich herausstellen, ob das wirklich zutraf. Zumindest wurde sie für den Augenblick nicht von noch mehr Problemen geplagt.

»Wir haben ein Problem«, meldete Colonel Rogero.

Drakons Blick wanderte zu dem virtuellen Fenster gleich neben Rogero, wo eine Videoübertragung eine gewaltige Menschenmenge zeigte, die in einem Park zusammenkam. Der Lärm, den die Menge veranstaltete, war trotz der modulierten Lautstärke nicht zu überhören. »Die Bürger feiern.«

»Gegen Feiern habe ich nichts«, sagte Rogero. »Aber das sieht nicht gut aus. Die Menschenmasse da draußen wird explosionsartig größer, wie eine Sonne, die zur Nova wird. Und was wir an Unterhaltungen auffangen, gerät allmählich außer Kontrolle. Mein Gefühl sagt mir, dass diese Feier bald umschlagen wird.«

»Ein Mob, der sich gegen uns richtet?«

»Nein, es gibt keine bestimmte Richtung, in die sich etwas bewegt. Wir haben tausend ›Anführer‹, die unsere Software in den privaten Komm-Verbindungen festgestellt hat. Es ist völlig chaotisch. Die Gefühle schwappen über, dass alle traditionelle Zurückhaltung und Kontrolle aufgehoben ist. Ich glaube, Sie können sich ausrechnen, wohin das führen wird.«

Drakon nickte. »Unruhen, Plünderungen, Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung. Wo ist die Polizei?«

»Die hat sich in ihren Wachen verbarrikadiert. Die Polizisten scheinen sich vor dem Mob genauso zu fürchten wie vor unseren Soldaten.«

Das war eine durchaus verständliche Einstellung. »Die Stadtverwaltung?«

»Genau das Gleiche«, antwortete Rogero verächtlich. »Nur mit dem Unterschied, dass diese Leute noch nutzloser sind als die Polizei.« Zwar waren Bürgermeister oder Ratsmitglieder in ihre Ämter gewählt worden, aber die Wahlergebnisse waren schon vor Rogeros und Drakons Zeit komplett manipuliert gewesen, weshalb die angeblichen Wahlsieger in der Bevölkerung alles andere als beliebt waren.

Nach einem weiteren suchenden Blick auf die Menge nickte Drakon erneut. »Ich kann wohl davon ausgehen, dass Sie das gleiche Problem auch anderswo in der Region beobachtet haben, die von Ihnen kontrolliert wird.«

»Überall kommen Menschenmassen zusammen. Sogar ein paar von unseren Soldaten haben sich auf den Weg zu diesen Versammlungen gemacht, aber inzwischen sind alle Kasernen geschlossen. Wie lauten meine Befehle?«

Malin hatte die Unterhaltung verfolgt und warf hastig ein: »Sie müssen damit auf eine Weise umgehen, die allen klarmacht, dass Sie auf der Seite der Menge stehen. Kontrollieren Sie die Menge, indem Sie sich zu ihrem Anführer aufschwingen.«

Von Morgan kam ein verächtliches Schnauben, das so laut war, dass es mit dem Lärm der Menge mithalten konnte. »Er ist ihr Anführer. Wir müssen sie nur daran erinnern, wer hier das Sagen hat, indem wir genug Feuerkraft einsetzen, um dem Theater ein Ende zu setzen. Man muss den Leuten befehlen, diese Versammlungen sofort aufzulösen, und dann müssen ein paar gewalttätige Exempel statuiert werden, damit jedem klar wird, was passiert, wenn man sich nicht an die erteilten Aufforderungen hält. Dann wird schon schnell wieder Ruhe einkehren.«

»Wir haben nicht genügend Feuerkraft, um jeden Bürger auf diesem Planeten zu erschießen«, herrschte Malin sie an.

»Wir müssen sie nicht alle töten, nur gerade so viele, dass den anderen klar wird, was mit Verrätern geschieht, die sich nicht an die Befehle halten, die wir, ihre Führer, ihnen erteilen.«

Drakon hörte sich das Hin und Her einen Moment lang an, während er wusste, dass Rogero immer noch schweigend auf seine Anweisungen wartete. Sämtliche Planungen hatten sich darauf konzentriert, die Schlangen auszuschalten, bevor sie den Planeten zerstören konnten. Er hatte damit gerechnet, dass es ein paar Probleme mit ausgelassenen Menschenmengen geben würde. Doch das hier übertraf seine schlimmsten Befürchtungen um Längen. Als hätte sein Gedanke dies ausgelöst, meldete sich Colonel Gaiene, hinter sich ein Bild, das ebenfalls eine schnell anwachsende Menschenmenge zeigte. Sekunden später folgte Colonel Kai, begleitet von ähnlichen Bildern.

»Die Lage entgleitet uns zusehends«, meldete Kai.

Загрузка...