Alarmsirenen gellten durch den Kreuzer, und Zielerfassungssysteme, auf die der Wechsel vom Sprungzurück in den Normalraum keinerlei Auswirkungen gehabt hatte, konzentrierten sich auf das große Schiff nahe dem Sprungpunkt, warteten aber die Freigabe durch die menschliche Crew ab, ehe sie das Feuer eröffneten. Mit ein paar Tricks, die sie sich vor langer Zeit angeeignet hatte, gelang es Iceni, das Gefühl der Orientierungslosigkeit zu verdrängen und sich ganz auf das Display zu konzentrieren.
Da befand sich tatsächlich ein großes Schiff, aber …
Nervöses Gelächter machte sich auf der Brücke breit, als auch die anderen auf ihre Displays sahen und begriffen.
»Ein Frachter«, stellte Marphissa fest. Das riesige, kastenförmige Handelsschiff war weniger als eine Lichtminute vom Sprungpunkt entfernt, durch den es zusammen mit seiner Fracht das System verlassen wollte. Die Syndikatwelten mochten zwar zerfallen, und Gewalt und wirtschaftliche Unsicherheit würden womöglich überall um sich greifen, aber Geschäft war immer noch Geschäft. »Sollen wir sie abfangen?«
»Nein«, erwiderte Iceni. »Der Handel in dieser Region darf nicht zum Erliegen kommen. Wir müssen die Leute dazu ermutigen, mit uns Handel zu treiben. Wünschen Sie der Frachterbesatzung alles Gute, und versichern Sie ihnen, dass Midway für jeden ein sicherer Ort ist, der mit uns Geschäfte abschließen will.«
Während Marphissa den Befehl ausführte, befasste sich Iceni eingehender mit ihrem Display. Sie waren an dem Sprungpunkt ins System gekommen, der nur fünf Lichtstunden vom Stern Kane selbst entfernt lag. Das gesamte Sternensystem hatte einen geringeren Durchmesser als Midway. Der Planet in unmittelbarer Nähe der Flotte war nur zwanzig Lichtminuten entfernt und damit so weit weg von der Sonne, dass es auf ihm sehr, sehr kalt war. Näher am Stern kreisten zwei Gasriesen; einer war drei Lichtstunden, der andere eineinhalb Lichtstunden entfernt. Von Iceni aus gesehen hinter den beiden und damit so nah am Stern Kane, dass seine Wärme zum Überleben reichte, zogen drei innere Planeten ihre Bahnen. Einer davon war etwas zu kalt für eine Besiedlung durch Menschen, ein anderer zu heiß, während der dritte Planet mit einem Abstand von nur sieben Lichtminuten zu Kane genau in der richtigen Entfernung war, um von Menschen bewohnt zu werden. Auf diesem Planeten fand sich auch der größte Teil der menschlichen Bevölkerung im Sternensystem, die in kleinen und großen Städten an den Rändern der Kontinente lebten, die man so gut wie gar nicht besiedelt hatte.
Doch Icenis Interesse galt in erster Linie jenem Gasriesen, dessen Abstand zum Stern eineinhalb Lichtstunden betrug. Sie sah die Einrichtung der mobilen Streitkräfte im Orbit um den Planeten, der außerdem von einem Mond umkreist wurde. Aber ein Schlachtschiff war dort nicht zu entdecken. Entweder hatte man es gleich hinter dem Planeten versteckt, oder die Informationen trafen nicht zu, und sie waren völlig vergebens hergekommen.
Es dauerte noch fast fünf Stunden, ehe die Menschen auf der besiedelten Welt auf die Ankunft der Flotte aufmerksam werden konnten, doch Iceni wusste, dass sie ihnen eine Nachricht senden sollte, die zu der Zeit bei ihnen eintraf, wenn sie auch das Eintreffen der Kriegsschiffe bemerkten. Der Inhalt ihrer Nachricht war bis zu diesem Moment ganz davon abhängig gewesen, wie der Empfang in diesem System ablaufen würde.
»Nirgendwo in diesem Sternensystem scheint es Kämpfe zu geben«, meldete Kommodor Marphissa. »Es werden nur friedliche Kommunikation und normale Bewegungen festgestellt.« Sie deutete auf ihr Display. »Aber es gibt eine Sache, die uns Sorgen bereiten könnte.«
Gut vier Lichtstunden von der Flotte entfernt zogen mehrere Kriegsschiffe ihre Bahnen um Kane, wobei sie sich in der Nähe des Gasriesen hielten. »Ein Schwerer Kreuzer, drei Leichte Kreuzer und sechs Jäger«, bestätigte der Ablauf-Spezialist ungewöhnlich schnell. Seit Iceni angeordnet hatte, dass aus den Managern auf der Brücke Spezialisten werden sollten, war die Moral der Crew spürbar in die Höhe geschnellt.
Iceni rieb sich das Kinn und versuchte, der Anordnung dieser Streitmacht eine Bedeutung beizumessen. »Können wir feststellen, ob die Syndikatwelten dieses System noch immer kontrollieren oder ob es von jemandem übernommen wurde?«
Bei Midway war, bedingt durch das Hypernet-Portal und seine generelle strategische Bedeutung, die Präsenz des ISD deutlich größer gewesen als in weniger wichtigen Sternensystemen. Manche Systeme, wie unter anderem Kane, die eine brauchbare Heimat für Menschen boten, aber ansonsten nichts Nennenswertes zu bieten hatten, waren dagegen Hinterwäldlersysteme, die seit der Entdeckung des Hypernets von den Syndikatwelten noch weniger beachtet worden waren als zuvor. Zwar hatte das für Kane bedeutet, dass in dieses System nur noch geringe Investitionen flossen, andererseits befanden sich aber auch deutlich weniger Einrichtungen des ISD und damit auch weniger Schlangen vor Ort. Hätte sich Kane noch vor Kurzem gegen die Syndikat-Regierung gestellt, wäre es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis mobile Streitkräfte hier eintrafen, um entweder eine bedingungslose Unterwerfung festzustellen oder um den Planeten bis zur Kapitulation zu bombardieren, was in jedem Fall kostengünstiger war als die Stationierung einer umfassenden ISD-Präsenz hier im System.
Aber wem unterstehen die hiesigen mobilen Streitkräfte jetzt? Vertreten sie immer noch die Haltung der Syndikatwelten? Da sie das nicht wusste, konnte Iceni sich nur schwer entscheiden, an wen sie sich mit ihrer Nachricht wenden sollte.
»Alle Kommunikationen, die wir verfolgen können, lassen die Abläufe und Formulierungen der Syndikatwelten erkennen«, meldete der Komm-Spezialist.
»Was genauso gut bedeuten kann, dass sie an den gewohnten Dingen bloß noch nichts geändert haben«, überlegte Iceni. Ich kann mich nur auf mein Gefühl verlassen. Mein Instinkt sagt mir, dass hier immer noch die Syndikatwelten das Sagen haben. Vielleicht reden die Behörden auf Kane den Syndikatwelten nur noch nach dem Mund, aber es kommt mir nicht so vor, als hätten sie sich schon formal von der Herrschaft des Syndikats losgesagt.
Sie betätigte ihre eigenen Komm-Kontrollen und setzte vor der Aufzeichnung und dem Versand der Mitteilung ein echt erscheinendes Avatar einer Frau an ihre Stelle, die ihr nicht ähnlich sah. »Hier spricht CEO Janusa im Namen und auf Befehl der Syndikatwelten auf Prime. Wir kommen soeben von Midway, wo wir die Kontrolle des Syndikats über das Sternensystem wiederhergestellt haben. Wir sind auf dem Weg zu Ihrer Einrichtung der mobilen Streitkräfte, um unsere Vorräte aufzustocken und Reparaturen durchzuführen. Für das Volk. Janusa, Ende.«
Kommodor Marphissa grinste flüchtig. »Ich würde sagen, eine echte CEO zu sein, ist der beste Weg, um sich als angebliche CEO der Syndikatwelten auszugeben.«
»Eine echte ehemalige CEO«, korrigierte Iceni sie lächelnd. »Dazu kommt eine gewisse Grundeinstellung beim Reden, die einem in Fleisch und Blut übergeht. Hier wird man keine Unterlagen über eine CEO Janusa haben, aber Kane erhält nur wenig Besuch von anderen Systemen im Syndikat, deswegen hinken sie immer weit hinter dem aktuellen Stand her. Wenn jemand fragt, wer ich bin, werde ich sagen, dass die neue Regierung auf Prime mich erst vor Kurzem befördert hat.«
»Glauben Sie, man wird uns zu der Einrichtung der mobilen Streitkräfte passieren lassen?«
»Wenn sie das ohne Widerspruch zulassen, kann es durchaus bedeuten, dass unsere Informationen falsch waren oder dass dieses Schlachtschiff das System längst verlassen hat. Aber wenn sie widersprechen oder versuchen, unser Eintreffen hinauszuzögern, dann wird das ein deutlicher Hinweis darauf sein, dass sich unsere Beute genau dort befindet. Wir werden nicht auf ihre Antwort warten, Kommodor. Befehlen Sie der Flotte einen Vektor zur Einrichtung der mobilen Streitkräfte.«
»Mit welcher Geschwindigkeit … CEO Janusa?«
Iceni dachte nur einen Moment lang darüber nach. »Mit 0,1 Licht. Ich bin eine neue, forsche CEO. Ich kann keine Zeit damit vergeuden, im Schneckentempo durch ein bedeutungsloses System zu trödeln. Ich habe anderswo Wichtigeres zu tun, und es soll jeder sehen, dass ich wichtig bin und eine wichtige Mission zu erfüllen habe.«
»Ich werde stets daran denken, wie wichtig Sie sind, CEO Janusa«, erwiderte Marphissa.
»So haben Sie sich gegenüber CEOs immer verhalten, nicht wahr?«, fragte Icen, die mit einem Mal ernst geworden war. »Weil wir ja alle so wichtig sind.«
Marphissa war mutig genug, ehrlich zu antworten. »Nicht alle CEOs waren gleich, aber alle mussten so behandelt werden.«
»ZWMLMB«, ergänzte Iceni zynisch.
»Richtig«, pflichtete Marphissa ihr bei. »Zuwiderhandlungen werden mit lebensbeendenden Maßnahmen bestraft. Ich habe mich entschieden, zu Ihnen zu stehen, so wie es alle Befehlshaber dieser Kriegsschiffe gemacht haben, weil wir daran glauben, dass Sie auf eine bedeutsame Weise anders sind als andere CEOs.«
»Sie haben zu mir gestanden, weil Sie eine Gelegenheit sahen, einen wichtigeren Posten zu bekommen.«
»Das war nicht der Hauptgrund, und in einigen Fällen spielte der Gedanke gar keine Rolle«, stellte Kommodor Marphissa klar und musste grinsen. »Ich habe doch tatsächlich soeben einer CEO widersprochen.«
»Das war bislang keine Angewohnheit, nicht wahr?« Iceni musterte die andere Frau aufmerksam. »Was wollen Sie, Kommodor? Sie und die anderen?«
»Wir wollen, dass Ihnen genauso wichtig ist, was aus uns wird, wie es Ihnen wichtig ist, was aus Ihnen selbst wird.«
»Sie begnügen sich nicht mit kleinen Dingen, stimmt’s?« Iceni schaute wieder auf ihr Display. »Ich trage Verantwortung für diejenigen, die für mich arbeiten. Gehen Sie allein deshalb aber nicht gleich davon aus, dass ich damit auch so etwas wie … wie eine Menschenfreundin bin.«
»Ich würde es nicht wagen, Ihnen so etwas zu unterstellen, Madam Präsidentin.«
»Gut.« Sie ließ ihren Blick auf dem bewohnten, fünf Lichtstunden entfernten Planeten ruhen. Ihre Nachricht würde also erst nach fünf Stunden dort eintreffen, und selbst wenn man sofort eine Erwiderung übermittelte, würden bis zum Eintreffen jeglicher Antwort mindestens zehn Stunden vergehen. Sie musste daran denken, dass sie wegen der Ungewissheit über die hiesige Situation letzte Nacht kaum geschlafen hatte. »Ich werde mich eine Weile ausruhen. Teilen Sie Colonel Rogero mit, dass wir in schätzungsweise vierzig Stunden auf seine Bodenstreitkräfte werden zurückgreifen müssen. Und benachrichtigen Sie mich, wenn sich die Situation in irgendeiner Weise entscheidend verändern sollte.«
»Ja, Madam Präsidentin«, sagte Marphissa wieder ganz im dienstlichen Tonfall. »Was ist mit dem Bereitschaftsstatus der Kriegsschiffe? Sollen sie weiterhin auf Stufe eins bleiben?«
»Nein.« Es hatte Zeiten gegeben, als Iceni CEOs unterstellt gewesen war, die von ihren Crews über Tage hinweg ständige maximale Gefechtsbereitschaft forderten, nur um »auf alles gefasst zu sein«. Im Ergebnis waren diese Mannschaften dadurch völlig erschöpft und übermüdet gewesen, wenn es letztlich zu einer Begegnung mit dem Feind kam, sodass die angeordnete Gefechtsbereitschaft nicht mehr von Vorteil war. Diesen Fehler würde sie nicht machen. »Fahren Sie die Bereitschaft auf den Normalzustand runter. Lassen Sie die Befehlshaber aller Einheiten wissen, dass ich mich auf ausgeruhte Mannschaften verlassen können will, wenn wir uns dem Gasriesen nähern.« Das hatte ebenfalls nichts mit Menschenfreundin zu tun, es war allein wohlüberlegte Planung.
Dennoch hatte die Welle der Erleichterung, die ihr von den Junioroffizieren und den Spezialisten auf der Brücke entgegenschlug, fast schon etwas Greifbares, so immens war sie. Iceni musste sich ein Lächeln verkneifen und dachte zurück an die Zeit, als sie sich schier unendlich lange an einer Station auf der Brücke hatte aufhalten müssen, obwohl der Feind noch etliche Lichtstunden entfernt gewesen war. Jeder hier wusste, dass ihr Ziel ein Schlachtschiff war, aber das gesamte Brückenpersonal strahlte Zuversicht und gute Laune aus. Iceni konnte das nicht nachvollziehen.
Als die Präsidentin die Luke zu ihrem Quartier hinter sich schloss, kam ihr das wie eine Atempause vor, was damit zusammenhing, dass sie sich hinter einer verschließbaren Barriere befand. Wie lange war es her, dass sie sich unter Menschen hatte begeben können, ohne sich Gedanken darüber machen zu müssen, wer hinter ihr stand?
Bei Marphissa hatte sie ein besseres Gefühl. Die Frau ließ alle Anzeichen dafür erkennen, dass sie klug, fähig und loyal war und dass sie keine Probleme damit hatte, die Wahrheit auszusprechen. Letzteres war von CEOs und Sub-CEOs regelmäßig als Ärgernis angesehen worden, doch Iceni wusste, wie wertvoll eine solche Eigenschaft bei einem Untergebenen war. Vorausgesetzt natürlich, alles andere traf tatsächlich auf Marphissa zu, insbesondere die Loyalität.
Haben sich diese Menschen wirklich auf meine Seite gestellt, weil sie glaubten, dass es mir wichtig ist, was aus ihnen wird? Obwohl … ich schätze, das trifft sogar zu, zumindest in dem Maß, dass ich sie nicht einfach den Enigmas überlassen habe, als die Situation aussichtslos erschien. Aber das gehörte zu meiner Verantwortung als CEO über ein Sternensystem. So gehe ich nun einmal vor. Ich erledige meine Arbeit richtig, und es wäre einfach nur dumm von mir, mich nicht für diejenigen zu interessieren, von deren Leistung in einem Gefecht mein Leben abhängt.
Sie legte sich auf ihr Bett und starrte zur Decke, während sie sich fragte, wieso es so gut tat, an die fröhliche Stimmung der Brückencrew zu denken. Die Meinungen dieser Leute zählten nicht, so hatte man es ihr ein Leben lang weisgemacht.
Aber sie hatte sich gegen das aufgelehnt, was man ihr eingetrichtert hatte.
Sie hatte sich dagegen aufgelehnt, weil das System gescheitert war.
»CEO Janusa.« Der Mann, der die Nachricht an sie geschickt hatte, wirkte freundlich, aber auch ein wenig verhalten. Iceni hatte ihn noch nie gesehen. »Ich bin CEO Reynard. Willkommen in Kane. Ich gratuliere Ihnen zu Ihrem Sieg im Midway-Sternensystem und würde es begrüßen, wenn Sie mir die Details des dortigen Kampfs übermitteln würden, damit ich daraus lernen kann.«
Er ist kein CEO. Er redet wie ein Sub-CEO und versucht mir zu schmeicheln, um mir auf dem Weg Informationen zu entlocken. Interessant.
Nun nahm die Miene von »CEO Reynard« einen besorgten Ausdruck an. »Zu meinem Bedauern muss ich Ihnen jedoch mitteilen, dass sämtliche Vorräte der Einrichtung der mobilen Streitkräfte im Orbit um den vierten Planeten von einer anderen Flotte des Syndikats an Bord übernommen wurden, die kurz vor Ihnen unser System aufgesucht hat. Wenn Sie stattdessen Kurs auf den zweiten Planeten nehmen, werde ich veranlassen, dass Ihre Flotte dort alles Notwendige erhält. Auf diese Weise können Sie die Vorräte erheblich schneller an Bord bringen und zu Ihrem nächsten Ziel aufbrechen. Für das Volk. Reynard, Ende.«
So, so, »Reynard«. Wie lautet Ihr wahrer Name, und welches Spiel treiben Sie wirklich mit mir? Sind die Syndikatwelten hier vielleicht auch gestürzt worden? Wo ist CEO Chan, der bislang das Sagen hatte? Er könnte von den Schlangen aus dem Weg geräumt worden sein, und in dem Fall wären Sie ein Ersatzmann, der dem Syndikat treu ergeben ist und den der ISD auf diesen Posten gesetzt hat, nachdem die Schlangen die Reihen der CEOs gesäubert haben.
Er scheint uns auch schnell wieder loswerden zu wollen. Eines ist klar: »Reynard« will nicht, das wir uns zum Gasriesen begeben. Das ist ein gutes Zeichen. »Behalten Sie den Kurs auf die Einrichtung nahe dem Gasriesen bei«, befahl sie Marphissa.
Dann dachte sie in Ruhe über ihren nächsten Schritt nach und aktivierte das Komm.
»Hier ist CEO Janusa mit der Antwort an CEO Reynard. Bedauerlicherweise fehlt mir die Zeit für einen Umweg zum zweiten Planeten in diesem Sternensystem. Meine Flotte wird die Einrichtung wie geplant ansteuern. Ich bin davon überzeugt, dort noch genau das vorzufinden, was wir benötigen. Für das Volk. Janusa, Ende.«
Dann die nächste Nachricht: »Hier ist CEO Janusa mit einer Mitteilung an den Befehlshaber der Flotte nahe dem vierten Planeten in diesem Sternensystem. Ich bin auf direkten Befehl der Regierung auf Prime hier. Ich wünsche, dass sich Ihr Befehlshaber so bald wie möglich bei mir meldet. Es gibt dringende Erfordernisse, die eine Änderung Ihrer Aufgaben mit sich bringen.« Diese Erfordernisse bestehen darin, euch von dieser Einrichtung wegzulocken, damit ich freie Hand habe.
»CEO Janusa geht aber hart ran«, merkte Kommodor Marphissa an, nachdem Iceni die zweite Nachricht versendet hatte.
»Sie ist eine richtige Zicke«, stimmte Iceni ihr zu. »Auf diese Weise kommt niemand auf die Idee, daran zu zweifeln, dass sie vielleicht gar keine richtige CEO ist. Hatten Sie schon Erfolg, mit den Befehlshabern der Kriegsschiffe in der anderen Flotte inoffiziell Kontakt aufzunehmen?«
»Ich habe ihnen auf nichtautorisierten Nebenkanälen des Komm-Systems Anfragen zukommen lassen, aber bislang gab es keine Reaktionen.«
»Geben Sie mir sofort Bescheid, wenn Sie etwas hören. Ich würde diese Kriegsschiffe viel lieber zu einem Teil meiner Flotte machen, als gegen sie kämpfen zu müssen.«
Sie waren noch achtundzwanzig Stunden von der Einrichtung der mobilen Streitkräfte entfernt.
Sieben Stunden später traf die nächste Nachricht ein, sie kam von der Einrichtung nahe dem Gasriesen. »CEO Janusa, ändern Sie bitte Ihren Vektor und nehmen Sie Kurs auf den zweiten Planeten. Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass es nach dem Besuch der letzten Flotte zum Ausbruch einer schweren Krankheit gekommen ist. Wir müssen erst noch herausfinden, welche Maßnahmen für eine erfolgreiche Bekämpfung notwendig sind. Mehr als die Hälfte unseres Personals ist bereits krankheitsbedingt ausgefallen. Für das Volk. Kommissarischer Befehlshaber der Einrichtung, Sub-CEO Petrov, Ende.«
»Für jemanden, der versucht, eine von einer schweren Krankheit befallene Einrichtung zusammenzuhalten, sieht diese Frau aber noch sehr gesund aus«, stellte Iceni fest. »Kommodor Marphissa, ich möchte, dass Ihr Schiffsarzt das Erscheinungsbild der Frau in dieser Nachricht analysiert, die sich Sub-CEO Petrov nennt.«
Marphissa gab den Befehl weiter, dann wandte sie sich wieder Iceni zu. »Wenn die Mannschaft auf dieser Einrichtung an einer möglichen Seuche erkrankt wäre, dann hätte den Vorschriften entsprechend sofort eine Standardwarnung gesendet werden müssen, die wir beim Eintreffen im System empfangen hätten. Diese Warnung jedoch erreicht uns exakt mit der Zeitverzögerung, die entsteht, wenn vom zweiten Planeten der Befehl an die Einrichtung geschickt würde, nachdem man auf dem zweiten Planeten Ihre Antwort auf deren Bitte empfangen hat, nicht die Einrichtung anzufliegen.«
»Was für ein erstaunlicher Zufall.«
Nachdem sie kurz einer schiffsinternen Nachricht gelauscht hatte, nickte Marphissa. »Verstanden«, sagte sie. »Madam Präsidentin, der Arzt meiner Einheit sagt, dass Sub-CEO Petrov eindeutig unter Stress stand, als sie diese Nachricht abgeschickt hat, aber sie zeigt keine Anzeichen für eine Erkrankung oder Hinweise auf Langzeitstress, der über den normalen Parametern für eine Sub-CEO liegt.«
Iceni beobachtete die allmählichen Veränderungen in den Positionen der Objekte auf ihrem Display, während sich ihre Flotte mit gleichbleibender Geschwindigkeit dem Gasriesen näherte. Planeten, Monde, Asteroiden und Kometen im System kreisten deutlich langsamer um den Stern. »Die Flotte nahe dem Gasriesen hat sich noch nicht von der Stelle gerührt. Wie lange können sie dort verharren, wenn sie uns noch abfangen wollen, bevor wir den Punkt erreicht haben, von dem aus uns ein Blick hinter den Gasriesen ermöglicht wird?«
»Schätzungsweise …«, Marphissa hielt kurz inne, »… drei Stunden, bevor wir den Gasriesen erreichen. Das hängt auch davon ab, wie weit dahinter das Schlachtschiff versteckt worden ist.«
Etwas kam Iceni nicht richtig vor, und dann wurde es ihr auch endlich bewusst. »Sie haben versucht, uns mit einer Warnung zurückzuhalten, aber die haben wir ignoriert. Sie wissen selbst, wie das läuft. Wenn die erste Ermahnung oder Drohung nicht hilft, dann steigert man sich, bis man etwas hat, das die andere Seite dazu zwingt, endlich zu reagieren. Was haben sie hier, das uns dazu veranlassen könnte, auf ihre Warnungen zu hören?«
Marphissa dachte nur einen Moment lang nach. »Das Schlachtschiff.«
»Ja, wenn sie das Schlachtschiff hervorholen und uns sagen, wir sollen uns fernhalten, dann würde sogar CEO Janusa zuhören müssen. Aber das haben sie bislang nicht getan.« Auch hatte der hiesige Flottenbefehlshaber bislang nicht auf ihre Aufforderung reagiert, Kontakt mit ihr aufzunehmen. Das war ebenfalls ungewöhnlich. »Noch gar nichts von irgendeiner Einheit der Flotte?«
»Nein, Madam Präsidentin, keine Reaktion.«
Iceni stutzte. »Als ich noch den Dienstgrad einer Executive oder sogar einer Sub-CEO innehatte, wäre so ein Verhalten als sehr eigenartig angesehen worden. Wir haben immer über inoffizielle Kanäle Kontakt mit anderen Einheiten aufgenommen, um die neuesten nichtautorisierten Informationen zu erfahren, damit wir uns auf kommende Ereignisse einstellen konnten.« Nur dass niemand, der halbwegs bei Verstand war, einem Vorgesetzten gegenüber ein solches Vorgehen zugegeben hätte. Manchmal hatte sie sich ernsthaft gefragt, wie viel mehr die Syndikatwelten hätten erreichen können, wenn ihre Executives nicht so viel Zeit damit verbracht hätten, intern Fäden zu spinnen und zu ziehen. Oft schienen diese inneren Machtkämpfe wichtiger zu sein als der eigentliche Krieg.
»Tatsächlich?«, fragte Kommodor Marphissa und versuchte, Erstaunen und Unglauben vorzutäuschen. »Wenn so etwas heute noch vorkommen würde – und damit will ich nicht sagen, dass das je passiert – aber wenn es so wäre, dann würde ich wohl erwarten, dass es sich unter den momentanen Umständen ereignen würde. Aber das ist nicht der Fall.«
»Da hat jemand sogar die Hintertüren verriegelt«, sagte Iceni nachdenklich. »Haben die Schlangen möglicherweise die Besatzungen dieser Kriegsschiffe umgebracht, so wie an Bord von HuK-6336?«
»Falls ja, könnte das für sie in einem Gefecht einen erheblichen Nachteil bedeuten. Sie werden nur die Einheiten benutzen können, die sich automatisch steuern lassen, da ihnen in dem Fall die Leute für all diese Positionen fehlen dürften.« Marphissa musterte ihr Display. »Oder es hat eine Revolution gegeben, und die Besatzungen dieser Einheiten wollen sich nicht verraten, weil wir ihnen zahlenmäßig überlegen sind.«
»Alles durchaus möglich.« Iceni tippte auf eine interne Komm-Taste. »Colonel Rogero, haben Sie die Kommunikation der Bodenstreitkräfte in diesem Sternensystem überwacht?«
»Ja, Madam Präsidentin.«
Der Art seines ganzen Auftretens nach zu urteilen, wirkte Rogero sogar noch professioneller, als sie es nach Drakons Lob für seinen Untergebenen erwartet hatte. Das machte es noch rätselhafter, wieso dieser Mann sich mit einer feindlichen Offizierin eingelassen hatte. Es sei denn, diese Offizierin war etwas wirklich Außergewöhnliches. Und es ist sinnlos, Rogero darauf anzusprechen. Wenn er in sie verliebt ist, wird er davon überzeugt sein, dass es keine zweite Frau gibt, die so ist wie sie. Liebe wirkt sich einfach viel zu negativ auf die Fähigkeit aus, klar und vernünftig zu denken. »Konnten Sie irgendetwas Ungewöhnliches feststellen?«
»Nur eines: dass alle Kommunikationen völlig routinemäßig erscheinen.«
»Und das ist ungewöhnlich?«
»Es ist ungewöhnlich, da wir uns im System befinden, Madam Präsidentin. Es sollte zumindest irgendeine Art von Reaktion geben, eine Diskussion oder Spekulationen, etwas, das unsere Anwesenheit kommentiert. Aber da ist nichts.«
»Können Sie mir sagen, was das zu bedeuten hat, Colonel.«
»Nein, das ist völlig unerwartet und ungewöhnlich. Mehr kann ich derzeit dazu nicht sagen … oh, warten Sie …« Rogero drehte sich zur Seite und redete mit jemandem, dann wandte er sich wieder Iceni zu. »Meine Komm-Analytiker konnten keinen Hinweis für irgendwelche Kommunikation mit den Bodenstreitkräften finden, die darauf hindeuten könnte, dass sich solche Streitkräfte an Bord eines Schlachtschiffs in der Nähe des Gasriesen befinden. Sie würden natürlich nicht direkt mit ihnen Kontakt aufnehmen, wenn sie deren Anwesenheit vor uns geheim halten wollen. Aber es finden sich immer wieder Hinweise in anderen Kommunikationen, wenn jemand auf den Transport von Vorräten oder Personal zu sprechen kommt oder irgendeine andere Bemerkung macht, die das Geheimnis enthüllt. Wir haben nichts in dieser Art gefunden.«
»Dann werden wir es also nur mit den Besatzungsmitgliedern zu tun haben?« Das hörte sich nach guten Neuigkeiten an.
»Madam Präsidentin, es dürfte unwahrscheinlich sein, an Bord dieser mobilen Einheit auf Bodenstreitkräfte zu treffen, aber wenn dort Vipern oder andere Schlangen anwesend sind, dann werden wir das nicht vorab herausfinden. Der ISD ist sehr gut darin, in scheinbar routinemäßigen Nachrichten Informationen zu verstecken.«
Dann waren es also vielleicht doch keine so guten Nachrichten. »Ich weiß Ihre Beurteilung der Lage zu schätzen, Colonel. Wir werden den Gasriesen in zwanzig Stunden erreichen. Wie lange benötigen Ihre Soldaten, um sich an Bord der Shuttles zu begeben, wenn ich eine Erstürmung des Schlachtschiffs anordnen sollte?«
»Zwei Minuten, dann sind wir bereit.« Nach kurzem Zögern fügte er an: »Ihnen ist klar, dass unsere Shuttles nicht lange genug überleben werden, um das Schlachtschiff zu erreichen, falls ein großer Teil der Bewaffnung bereits aktiviert worden ist.«
»Ich verstehe.« Sie hätte die Chancen für die Shuttles nicht als so schlecht eingeschätzt, aber wahrscheinlich hing das in großem Maß auch davon ab, wie viele Waffen des Schlachtschiffs tatsächlich einsatzbereit waren.
Nachdem Rogero die Verbindung beendet hatte, überlegte Iceni, welche Möglichkeiten ihr noch blieben. Es gab kaum noch etwas, um den Lauf der Ereignisse zu beeinflussen, aber in ihrem Arsenal der Überraschungen steckte noch eine ganz große Sache. »Wenn wir uns dem Gasriesen nähern«, sagte sie zu Marphissa, »werde ich meine Tarnung aufgeben und ihnen sagen, wer ich bin und wofür wir stehen. Wenn sie Schlangen sind, wird sie das aus ihren Löchern hervorholen. Wenn nicht, werden sie wissen, dass sie einen Kampf vermeiden können.« Noch zwanzig Stunden bis zum Erreichen der Einrichtung und vermutlich siebzehn Stunden, ehe sich die andere Flotte in Bewegung setzen musste.
Iceni betrachtete die Darstellung ihrer eigenen Flotte auf dem Display. Die Kriegsschiffe waren in der Standardformation für mobile Streitkräfte der Syndikatwelten angeordnet: eine Kastenform mit den drei Schweren Kreuzern Seite an Seite in der Mitte, den vier Leichten Kreuzern an jeder der hinteren Ecken und den vier Jägern an den vorderen Ecken, während die übrigen drei Jäger sich unter den Schweren Kreuzern in der Mitte des Kastens aufhielten. Eine simple Anordnung, bei der sich die Feuerkraft auf die Mitte konzentrierte und die es möglich machte, die Flugrichtung zu ändern, ohne auch die Positionen jedes einzelnen Schiffs verändern zu müssen. Die Schiffe mussten einfach nur gemeinsam auf den neuen Vektor einschwenken. So war es jahrzehntelang erfolgreich gegen die Allianz eingesetzt worden, sofern man »erfolgreich« so deutete, dass die Flotten der Allianz und der Syndikatwelten einfach nur so lange aufeinander einprügelten, bis die Überlebenden einer Seite den Sieg für sich reklamieren konnten.
Und dann war Black Jack aufgetaucht, und mit einem Mal wurden große Flottenverbände einfach ausgelöscht, weil er die Allianz-Schiffe befehligte. Ich habe Aufzeichnungen seiner Schlachten gesehen. Er setzt alle möglichen Formationen ein, die wieder und wieder von allen Seiten angreifen und irgendwie immer genau den richtigen Moment abpassen, um unsere Flotten in Grund und Boden zu schießen. Was würde ich für eine Unterrichtsstunde geben, um von Black Jack gezeigt zu bekommen, wie man eine Streitmacht aus Kriegsschiffen in einem Gefecht kontrolliert. Aber was könnte ich ihm bieten, was er dafür haben möchte? Zugang zu unserem Sternensystem? Den kann ich ihm sowieso nicht verwehren. Mit seiner Flotte kann er uns einfach niederwalzen, wenn er das will.
Ist er der Typ Mann, der jede Frau erobern will, der er begegnet? Falls ja, dann hätte ich etwas, das ich ihm anbieten könnte. Er kann nicht viele CEOs der Syndikatwelten in seinem Bett gehabt haben. Aber das passt nicht zu dem, was ich über ihn gehört habe. Und so hat er sich auch nicht verhalten, als wir uns unterhielten. Außerdem … außerdem möchte ich so was gar nicht machen. Wenn gegenseitiges Verlangen im Spiel wäre, dann wäre es eine andere Sache, aber wenn ich nur einen bestimmten Nutzen daraus ziehen will, dann würde ich mich verkaufen. Von allen Sünden, die ich in meinem Leben begangen habe, ist das die eine, die ich immer vermeiden konnte. Vielleicht würden meine Rivalen mein Verhalten anders beurteilen, aber es ist nun einmal das, woran ich glaube.
»Madam Präsidentin, stimmt etwas nicht?«, wollte Marphissa wissen.
Da ihr klar war, dass ihr innerer Widerstreit offensichtlich gewesen sein musste, setzte sie rasch eine nachdenkliche Miene auf. »Ich habe nur über unsere Formation nachgedacht. Vielleicht sollten wir sie verändern, wenn es zum Kampf kommt.«
»Ich glaube, das hängt vom Status des Schlachtschiffs ab«, wandte Marphissa ein.
Ja, sie hatte recht. Iceni nickte. »Ich werde die Entscheidung treffen, sobald ich die notwendigen Informationen habe.«
Bislang waren notwendige Informationen im Kane-Sternensystem rar gesät.
Diesmal zeigte sich »CEO Reynard« von einer aggressiveren Seite, was vielleicht daran lag, dass Icenis Flotte nur noch fünf Stunden von der Einrichtung der mobilen Streitkräfte entfernt war, als seine Nachricht eintraf.
»CEO Janusa, der Zutritt zur Einrichtung der mobilen Streitkräfte ist auf Befehl der Syndikatwelten untersagt worden. Sie müssen den gegenwärtigen Kurs Ihrer Flotte ändern und den zweiten Planeten anfliegen, wo man sich um die Aufstockung Ihrer Vorräte kümmern wird. Danach können Sie zu Ihrer nächsten Mission außerhalb unseres Sternensystems aufbrechen. Kommen Sie diesen Anweisungen nicht nach, begehen Sie einen Akt des Ungehorsams gegen die Syndikatwelten. Für das Volk. Reynard, Ende.«
Iceni dachte gründlich über ihre Antwort nach. Die Ereignisse erreichten allmählich eine Phase, in der Entscheidungen Entwicklungen auslösten, die sich innerhalb der noch verbleibenden Zeit kaum noch beeinflussen ließen. Womit würde sie am ehesten bei den Menschen in diesem System die Reaktionen auslösen können, die sie benötigte? Vor allem bei den Menschen an Bord der Kriegsschiffe der anderen Flotte?
»Es wird Zeit, Farbe zu bekennen«, sagte Iceni an die Brückencrew gewandt, dann betätigte sie die Komm-Kontrollen, um eine Nachricht in das Sternensystem abzusetzen. Diesmal deaktivierte sie ihren Avatar, damit jeder ihr wahres Gesicht sehen konnte.
»An das Volk des Kane-Sternensystems, hier spricht Präsidentin Iceni des unabhängigen Sternensystems Midway. Midway hat sich vom Joch der Syndikatwelten befreit und hört nicht länger auf die CEOs der schwachen, korrupten und unfähigen Regierung auf Prime. Da die Syndikatwelten im Zerfall begriffen sind, wird es Zeit für die Sternensysteme dieser Region, sich zusammenzuschließen, um sich gegenseitig zu beschützen und zu unterstützen. Nur so können wir auf eine Art handeln, die in unserem Interesse ist, anstatt auf die Befehle weit entfernter Herren und Meister zu hören, die für ein gescheitertes System stehen. Ferne Herrscher, die uns unseren Reichtum wegnahmen, die unseren bedingungslosen Gehorsam forderten und die uns im Gegenzug nichts gaben. Nur wir selbst können uns verteidigen, nur wir selbst können für unsere Sicherheit sorgen. Der ISD bei Midway wurde ausgelöscht, man kann uns nicht länger zwingen, dass wir uns den Schlangen beugen. Ich appelliere an Sie, sich uns anzuschließen. Meine Flotte wird Ihren Kampf unterstützen. Allen, die immer noch den Vorschriften der gescheiterten Syndikatwelten folgen wollen, rate ich, unser Handeln nicht zu behindern. Wir werden kämpfen, und wir werden gewinnen. Für das Volk. Iceni, Ende.«
Sie drehte sich zu Marphissa um. »Rufen Sie noch einmal die andere Flotte. Sie persönlich. Die sollen hören, dass jemand, der die mobilen Streitkräfte befehligt, persönlich zu ihnen spricht.«
»Ja, Madam Präsidentin.« Ein paar Sekunden saß Marphissa schweigend da, dann aktivierte sie ihr eigenes Komm. »An die Kriegsschiffe der Kane-Flotte, hier spricht Kommodor Marphissa von der Midway-Flotte. Schließen Sie sich uns an, um diese Region gegen Aggression und Chaos zu verteidigen. Schließen Sie sich uns an, damit wir gemeinsam das verteidigen können, was uns am Herzen liegt. Wir kämpfen ab sofort für unsere Leute, und wenn Sie sich nicht den Streitkräften des unabhängigen Sternensystems Midway anschließen wollen, dann raten wir Ihnen, sich zumindest nicht auf einen Kampf mit uns einzulassen, da wir Sie ansonsten auslöschen werden. Für das Volk. Marphissa, Ende.«
Die Nachrichten wurden mit Lichtgeschwindigkeit verschickt, dennoch würde es eine Weile dauern, bis sie ihre Empfänger erreicht hatten. »In gut einer halben Stunde wird unsere Mitteilung bei der anderen Flotte eintreffen, und dann wird in diesem System die Hölle los sein«, prophezeite Marphissa.
»Ich wünschte, ich könnte die Reaktionen auf dem zweiten Planeten sehen, wenn sich unsere Mitteilungen herumsprechen«, erwiderte Iceni. »Wichtig ist, dass es eineinhalb Stunden dauert, bis die Nachricht den Planeten erreicht, und dann noch einmal eineinhalb Stunden, ehe irgendjemand von den planetaren Behörden mit den Kriegsschiffen der anderen Flotte Kontakt aufnehmen kann. Damit hat die Flotte erst einmal zwei Stunden Zeit, um sich die weitere Vorgehensweise zu überlegen, ehe sie vom zweiten Planeten irgendwelche Befehle erhält.«
Bis dahin gab es weiter nichts zu tun als dazusitzen und abzuwarten. Iceni wollte nicht abgelenkt sein, wenn schließlich etwas geschah, also vermied sie es, irgendwelche Vorgänge zu bearbeiten oder einen Roman oder ein Spiel auf ihrem Display aufzurufen, mit dem sich die Zeit überbrücken ließe. Stattdessen starrte sie auf das Display, wobei sie auf einmal einen Befehl entdeckte, der bewirkte, dass die versandte Nachricht als sich ausdehnende Blase dargestellt wurde, die die Verbreitung mit Lichtgeschwindigkeit anzeigte. Auf einem Display, das ein so ausgedehntes Gebiet zeigte, dehnte sich die Blase langsam, aber kontinuierlich aus, erfasste Anlagen, Planeten, Kriegsschiffe und Handelsschiffe. Es gefiel Iceni, mitansehen zu können, wie ihre Nachricht ein Ziel nach dem anderen erreichte.
Aber wie die Reaktionen darauf ausfielen, würde sie erst sehen, wenn das Licht dieser Ereignisse bei ihr eintraf. Sie fand heraus, dass sich auch Reaktionsblasen anzeigen ließen, mit deren Hilfe man einschätzen konnte, wie lange es dauerte, bis die Reaktion sie erreichte. Dadurch entstand aber ein Schwarm aus größer werdenden Blasen, der schnell einen regelrechten Schaumteppich bildete. Sie konnte keine Möglichkeit entdecken, wie sich die Anzeige auf wenige Objekte beschränken ließ.
Da einzelne Blasen nicht länger zu erkennen waren, schaltete sie diese Funktion ab. Mit finsterer Miene starrte sie auf ihr Display. Ich werde keine von diesen ahnungslosen CEOs sein, die nicht mal die primitivsten Funktionen erledigen können, ohne sich vom einfachsten angelernten Arbeiter die entsprechenden Befehle zeigen zu lassen. Ich kann auch im Kopf rechnen. Dreißig Lichtminuten bis zur anderen Flotte. Das heißt, unsere Nachrichten erreichen sie in dreißig Minuten. In der Zeit legen wir bei 0,1 Licht drei Lichtminuten zurück. Bis das Licht ihrer Reaktionen zu uns zurückgekehrt ist, vergehen … so etwa fünfundzwanzig bis sechsundzwanzig Sekunden, da wir ihnen in der Zeit ja immer noch entgegenfliegen. Also insgesamt fast eine Stunde, selbst wenn die Kriegsschiffe sofort reagieren sollten.
Das Weltall ist einfach viel zu groß.
»Vektorenveränderungen in der anderen Flotte.«
Die Ankündigung des Steuer-Spezialisten riss Iceni aus dem leichten Dämmerschlaf, in den sie unbemerkt gesunken war. Sie kniff die Augen ein paar Mal zu, um die Müdigkeit zu vertreiben, und versuchte die Bewegungen auf ihrem Display zu erkennen.
»Sie gehen auf einen Abfangkurs zu uns«, sagte Marphissa. »Wir müssen zwar erst noch sehen, wohin ihre Flugbahn sie führen wird, aber ich möchte wetten, sie werden geradewegs auf uns zufliegen.«
»Aber warum machen sie das?«, wunderte sich Iceni. Früher war das alles viel einfacher gewesen. Da waren die Gegner Schiffe der Allianz-Flotte gewesen, und wenn die sich einem näherten, dann stand ein Gefecht bevor. Waren es Schiffe der Syndikatwelten, wollten sie sich einem anschließen. Aber heute konnten Allianz-Schiffe freundliche Absichten verfolgen, während Syndikat-Schiffe wahrscheinlich feindselig eingestellt waren. Sie wusste ja nicht einmal, wessen Befehl diese Flotte unterstand, von der Frage ganz zu schweigen, ob sie sich in diesem Augenblick auf einen Kampf vorbereiteten. »Kommodor Marphissa, wenn wir innerhalb der nächsten fünf Minuten nichts von diesen Schiffen hören, werden Sie sie davon in Kenntnis setzen, dass wir sie zerstören werden, sobald sie in Waffenreichweite gelangen.«
»Die Kane-Flotte folgt jetzt mit 0,1 Licht einem Kurs, der unseren Kurs kreuzen wird«, meldete der Steuer-Spezialist. »Zeit bis zum Kontakt zwei Stunden einundzwanzig Minuten.«
»Und noch immer kein Schlachtschiff«, murmelte Iceni.
»Vielleicht haben sie es ja gar nicht«, hielt Marphissa dagegen.
»Und warum wollen sie uns dann von diesem Gasriesen fernhalten?«
Die Warnung wurde gesendet, aber eine Antwort darauf traf nicht ein. Iceni saß da und sah zu, wie der Abstand kontinuierlich schrumpfte. Mit jeder Sekunde, die eine Reaktion der anderen Flotte länger auf sich warten ließ, wurde Iceni umso gereizter. Selbst wenn sie mir erzählen, dass sie sich uns anschließen wollte, werde ich vermutlich trotzdem ihre Zerstörung befehlen.
»Eingehende Nachricht«, meldete der Komm-Spezialist und stutzte. »Sie kommt nicht von der Flotte.«
»Zeigen Sie sie mir«, wies Iceni ihn an.
Ein Fenster öffnete sich, zu sehen war ein Junior-Offizier, der eindeutig auf der Brücke eines Schlachtschiffs stand. Während der Sub-CEO der mobilen Streitkräfte nur normale Stresslevel zu erkennen gegeben hatte, war es um diesen Executive eindeutig schlechter bestellt. Seine Uniform schien er schon seit Tagen oder vielleicht Wochen zu tragen, das Gesicht war auf eine Weise schmal, als müsste er sich seit geraumer Zeit von spärlichen Rationen ernähren, und seine Augen zeigten einen fast fiebrigen Ausdruck. »Hier spricht Sub-Executive Kontos, kommissarischer Befehlshaber der Einheit B-78 der mobilen Streitkräfte. An … an … Präsidentin Iceni.« Er unterbrach sich, um seine Lippen zu benetzen und sich ausgiebig zu räuspern, so als bereite ihm das Sprechen sehr viel Mühe.
»Ein Sub-Executive, der ein Schlachtschiff befehligt?«, wunderte sich Marphissa. »Hat es so was schon mal gegeben?«
»Bei Gefechten, wenn fast die ganze Crew tot war«, erwiderte Iceni.
Kontos setzte wieder zum Reden an: »Wir haben uns in den primären Zitadellen verbarrikadiert. Wir sind die … Überlebenden der Ausstattungsmannschaft. Ich und … eine Hand voll Manager. Wir haben die Kontrolle über die Brücke, den Maschinenraum und die Primärwaffen-Zentrale.« Kontos gab sich sichtlich Mühe, ordentlich Bericht zu erstatten, aber hin und wieder geriet er doch ins Stolpern. »Wir … wir haben unsere Positionen halten können … wegen der internen Panzerung und der … Verteidigungsanlagen gegen … Meuterer.«
»Gegen wen halten Sie Ihre Positionen?«, murmelte Iceni verärgert.
»Der ISD«, sagte Kontos, als würde er auf ihre Frage antworten. »Wir … wissen nicht, wie viele es sind. Sie haben einige Positionen überrannt. Mein letzter Befehl lautete, dass wir uns in wichtigen Bereichen … einschließen und auf Hilfe warten sollen. Seitdem haben wir nichts mehr gehört … nur die Forderungen des ISD, dass wir uns ergeben sollen. Externe Kommunikation ist unterbrochen, aber wir haben einen Umweg gefunden … gerade noch rechtzeitig, um Ihre Nachricht zu hören.«
»Die Schlangen haben das System übernommen«, sagte Marphissa in frostigem Tonfall.
»Das erklärt alles, nicht wahr?«, entgegnete Iceni. »Die Schlangen haben auf den Kriegsschiffen alle Offiziere und wer weiß wie viele Besatzungsmitglieder getötet. Ich verstehe nur nicht, warum sie nicht CEO Janusa den Befehl erteilt haben, ihnen zu helfen.«
»Möglicherweise wussten sie trotz des Avatars, wer Sie wirklich sind und dass Sie nur mit ihnen spielen. Wären wir zum zweiten Planeten geflogen und hätten dort für die Vorräte angedockt, wären wir womöglich von den Schlangen geentert worden.«
»O verdammt! Sie dürften recht haben. Dort hätten sie auch Zugriff auf genügend Personal für so einen Einsatz.«
»Wir bitten um Unterstützung«, sagte Sub-Executive Kontos. Seine Stimme versagte beim letzten Wort, und ihm war anzusehen, dass er sich sehr zusammenreißen musste, um Haltung zu bewahren. »Wir wissen, sie schaffen Geräte heran, um die Panzerungen zu durchbrechen und in die Zitadellen zu gelangen. Wir bitten … um Unterstützung.«
Die Nachricht begann von vorn, dann brach sie abrupt ab.
»Die Schlangen haben den Umweg entdeckt und unterbrochen«, kommentierte Marphissa den Bildausfall.
»Sub-CEO …« Der Ablauf-Spezialist unterbrach sich. »Kommodor, wir verfolgen einen Frachter, der sich mit hoher Geschwindigkeit dem Gasriesen nähert. Auf ihn passte das Profil einer Nachschubmission, deshalb haben wir nicht weiter auf ihn geachtet. Aber es könnte sein, dass dieses Schiff die Geräte für die Schlangen transportiert, von denen der Sub-Executive sprach.«
»Und zweifellos transportiert er auch noch mehr Schlangen. Können wir vor ihm das Schlachtschiff erreichen?«, wollte Marphissa wissen.
Iceni nickte bedächtig. Wir stürmen mit maximaler Geschwindigkeit los, machen eine Vollbremsung und jagen den Transporter in die Luft, danach schaffen wir unsere Bodenstreitkräfte auf das Schlachtschiff, von dem wir nicht einmal genau wissen, wo es sich befindet und ob wir es nicht doch vor dem Frachter erreichen könnten. Alles ganz einfach, nur unglaublich schwer in die Tat umzusetzen.
»Es könnte auch eine Falle sein«, gab Marphissa zu bedenken. »Auf diese Weise lockt man uns in die Nähe des Schlachtschiffs, und wenn dessen Waffen einsatzbereit sind, könnte es uns so schwere Schäden zufügen, dass ihre Flotte uns den Rest geben kann.«
»Möglicherweise«, stimmte Iceni ihr zu. »Aber in dem Fall wäre dieser Sub-Executive der beste Schauspieler, den ich je erlebt habe. Um Längen besser als ›CEO Reynard‹ oder ›Sub-CEO Petrov‹. Wollten Sie nur die Möglichkeit einer Falle erwähnt wissen, oder glauben Sie, es ist eine Falle?«
Marphissa sah einen Moment lang auf ihr Display, ehe sie antwortete: »Es geht mir nur um die Möglichkeit. Wäre es tatsächlich eine Falle, hätten sie uns die Nachricht von Sub-Executive Kontos viel früher schicken können, um zu beobachten, wie wir darauf reagieren. Ich glaube, die Schlangen hatten vor, die Überlebenden der Ausstattungsmannschaft auszuhungern. Das würde am Schiff zu viel geringeren Schäden führen, als wenn man sich in die gepanzerten Zitadellen vorarbeiten muss. Als wir aufgetaucht sind, wussten die Schlangen, dass sie nicht länger warten können, sondern die Panzerung sofort durchbrechen müssen. Aber weil wir uns so schnell dem Gasriesen genähert haben, ist ihnen nicht mal dafür genug Zeit geblieben.«
»Tja, dann wollen wir mal Sub-Executive Kontos und seine tapferen Manager retten, Kommodor.«