Elf

Sie hatte Rogeros Plan gelesen und wusste, welches Ziel jedes seiner Teams hatte. Eine Gruppe sollte sich zum Maschinenkontrollzentrum begeben, um die Crew zu retten. Das zweite Team hatte das Feuerkontrollzentrum zum Ziel, während die dritte Gruppe einschließlich Rogero die Brücke einnehmen sollte.

Zunächst mussten noch zwei weitere Luftschleusen überwunden werden, um in das eigentliche Innere des Schlachtschiffs zu gelangen. Dabei passierten sie etliche Schichten aus massiver Panzerung und platzierten in regelmäßigen Abständen winzige Komm-Relais, damit ihre Signale auch weiter nach außen übertragen wurden, selbst wenn sich die Schleusentore hinter ihnen schließen sollten. Die Soldaten trafen auf niemanden, als sie die letzte Schleuse durchschritten und sich in den gleichfalls menschenleeren Korridoren wiederfanden, die sich in alle Richtungen erstreckten.

Ein Soldat hob den Arm und zeigte auf etwas. »Da oben ist eine Überwachungskamera montiert, die den Schleusenzugang beobachtet. Das gehört nicht zur Standardausrüstung auf Schlachtschiffen.«

»Ausrüstung der Schlangen«, sagte Rogero. »Die wissen jetzt, dass wir da sind. Beeilen wir uns.«

Rogero begab sich in die Mitte seiner Gruppe, als die drei Einheiten sich auf den Weg zu ihrem jeweiligen Ziel machten. »Sub-Executive Kontos, hier spricht Colonel Rogero vom unabhängigen Sternensystem Midway. Wir befinden uns jetzt im Inneren des Schiffs und sind unterwegs zu Ihnen. Können Sie mich hören?«

Keine Antwort.

Iceni sah einen Schwarm von Symbolen über Rogeros Blickfelddisplay laufen. »Team Zwei ist auf Widerstand gestoßen«, meldete eine etwas blechern klingende Frauenstimme über das Komm-System, das die Soldaten zu einem Netzwerk zusammenschloss, bei dem alle Elemente mobil waren. »Keine Vipern. Wiederhole: keine Vipern.«

»Versuchen Sie, ein paar lebend zu fassen«, befahl er. »Vielleicht können sie uns sagen, wie viele von ihnen sich an Bord befinden und ob es hier irgendwelche Vipern gibt.«

»Negativ. Sind bereits alle tot.« Die Teamführerin hörte sich nicht so an, als bedauere sie das. »Rücken weiter vor zum Ziel.«

»Wie groß ist dieses verdammte Schiff?«, fragte einer der Soldaten mehr an sich selbst gewandt, als sie um eine Ecke bogen und sich im nächsten endlos erscheinenden Gang wiederfanden, der in regelmäßigen Abständen von Schotten unterbrochen wurde, deren gepanzerte Luken alle offen standen.

»Hier kann man ja tagelang rumirren«, meinte ein anderer. »Wie kommt es eigentlich, dass keine dieser Luken geschlossen worden ist, Colonel?«

»Die werden von der Brücke aus kontrolliert«, antwortete Rogero. »Teil des Schutzsystems gegen Meuterer. Die Schlangen können immer nur eine Luke nach der anderen manuell bedienen. Hier links«, fügte er hinzu, als sie einen quer verlaufenden Korridor erreichten.

»Aber der Plan in unserem System besagt …«

»… dass die Brücke genau geradeaus vor uns liegt. Und jetzt raten Sie mal, wo die Schlangen wohl auf uns warten werden.«

»Team Drei ist auf Widerstand gestoßen. Ein Soldat ausgefallen.«

»Team Zwei in einen Hinterhalt geraten. Vier … fünf Schlangen. Eine davon lebt noch.«

»Bringen Sie sie zum Reden«, ordnete Rogero an, dessen Stimme trotz der mitschwingenden Anstrengung tonlos klang, während sein Team durch wieder einen anderen Korridor ging.

»Team Drei hat Widerstand überwunden. Vier Schlangen tot.«

»Team Zwei meldet, Gefangener verstorben, bevor er zum Reden gebracht werden konnte. Sieht nach antrainiertem Suizid aus.«

»So was ist ja krank«, murmelte ein Soldat.

»Es sind verdammte Schlangen«, kam von irgendwem eine Antwort. »Was hast du erwartet?«

»Ruhe«, befahl Rogero. »Hier entlang und dann die Rampe rauf.«

Iceni ließ die Soldaten für einen Moment links liegen und widmete sich wieder ganz dem Geschehen auf dem Schweren Kreuzer. »Wie sieht es aus?«, fragte sie Marphissa.

»Der Gegner hat gewendet und direkten Kurs auf das Schlachtschiff genommen. Bis zum Zusammentreffen sind es noch zwanzig Minuten. Wie schlagen sich die Schmutzfresser?«

»Bislang ganz gut. Geben Sie mir Bescheid, wenn es noch zehn Minuten sind. Ich will, dass das Feuer auf den Schweren Kreuzer und die Leichten Kreuzer konzentriert wird. Die Jäger könnten den ganzen Tag lang das Schlachtschiff unter Beschuss nehmen und würden doch nur ein paar Kratzer an der Hülle zustande bringen.«

»Ja, Madam Präsidentin.«

Iceni kehrte zu Rogero zurück, dessen Leute sich in einem neuen Korridor aufhielten, in dem sie langsamer als zuvor vorrückten. Seine Soldaten waren nun in Zweiergruppen unterwegs, die ein Stück vorauseilten, während die anderen ihnen Deckung gaben. Die Brücke befand sich tief im Inneren des Schiffs, wo sie gut geschützt und mit externen Sensoren verbunden war, sodass man von diesem Raum den gleichen Blick nach draußen hatte, als würde die Brücke sich außen auf der Hülle befinden und wäre ringsum von Fenstern gesäumt. Fenster auf einem Kriegsschiff. Witzige Idee, überlegte Iceni. Warum sollte man echte anstelle von virtuellen Fenstern in einem Raumschiff einbauen, wenn man damit doch nur die Hülle schwächt?

»Zehn Meter bis zum Rand der Brückenzitadelle«, meldete einer der Soldaten. »Wo zum Teufel stecken die?«

»Hoffentlich nicht dri-« Der Soldat, der das sagte, unterbrach sich, da genau in dem Augenblick aus dem Gang vor ihnen auf sie geschossen wurde. Mit einem Satz nach hinten brachte er sich aus der Schusslinie.

»Wir haben sie gefunden!«, brüllte irgendwer, während Rogeros Team das Feuer erwiderte. Der gegenseitige Beschuss sorgte einen Moment lang im Gang für so extreme Helligkeit, dass sich sein Sichtschutz fast ganz schwarz einstellte.

»Los!«, feuerte er seine Leute an, und sofort stürmten die Soldaten los. Der Beschuss durch die leichteren Waffen der Schlangen prallte von den gepanzerten Rüstungen ab oder sorgte schlimmstenfalls dafür, dass der eine oder andere ein wenig ins Taumeln geriet, während das Team insgesamt auf die Verteidiger losstürmte.

Was in den folgenden Sekunden geschah, bekam Iceni nicht im Detail mit, da die Bilder in so rascher Folge wechselten, dass ihr keine Zeit blieb zu begreifen, wie sie das Gezeigte interpretieren sollte. Rogero mit seinen Soldaten, Schüsse, Gestalten in leichter gepanzerter Rüstung, die zu Boden gingen, Gestalten, die aufsprangen und losrannten und dann gleich wieder hinfielen, manchmal in Stücke gerissen, da sie von einem verheerenden Geschoss getroffen worden waren.

»Areal gesichert.«

»Ausschwärmen und nach weiteren Schlangen suchen«, ordnete Rogero an, stieg über einen der toten Körper und spähte um eine Ecke. Am Ende eines kurzen Korridors fand sich die schwer gesicherte und massiv gepanzerte Hauptluke, die auf die Brücke führte. Vereinzelte Narben im Metall zeugten von den missglückten Versuchen, das Hindernis aus dem Weg zu räumen, während Schäden an den Schotten ringsum erkennen ließen, dass die aktiven Verteidigungsanlagen dort von den Schlangen zerstört worden waren, um ungehindert daran zu arbeiten, die Luke zu öffnen.

Der Anschluss für das lokale Komm-Netz war allerdings unversehrt geblieben. Rogero schloss eine drahtlose Verbindung an. »An die Brücke, hier spricht Colonel Rogero. Die Schlangen hier draußen sind tot.«

Es dauerte einen Moment, dann kam ein zögerliches: »Colonel.«

»Sub-CEO. Wir haben die Bezeichnungen für unsere Dienstgrade geändert, weil wir nicht länger der Herrschaft des Syndikats unterstehen. Haben Sie die Kontrolle über das interne Überwachungssystem? Wir wissen nicht, wie viele Schlangen sich an Bord befinden und wo sie sich aufhalten.«

Eine andere Stimme ging dazwischen. »Team Drei hat das Feuerkontrollzentrum erreicht. Wir nehmen jetzt Kontakt mit denen auf, die sich dort aufhalten.«

»Team Zwei nimmt sich einen weiteren Verteidigungsposten der Schlangen kurz vor dem Maschinenkontrollzentrum vor.«

Dann ertönte wieder die Stimme von der Brücke, diesmal war sie laut und aufgeregt: »Hauptantrieb! Sie müssen zum Hauptantrieb!«

»Unsere Leute sind fast am Maschinenkontrollzentrum angek-«, begann Rogero.

»Nein! Zum Hauptantrieb! Die Schlangen können die Maschinen nicht ans Laufen bringen, aber sie können die Brennstoffzellen zur Explosion bringen! Damit haben sie gedroht, wenn wir nicht kapitulieren!«

»Schön, dass wir das auch erfahren«, brummte Rogero. »Team Zwei, Team Drei, neue Befehle. Lassen Sie ein paar Leute zurück, um das Maschinenkontrollzentrum und das Feuerkontrollzentrum zu bewachen, der Rest macht sich so schnell wie möglich auf den Weg zu den Lagerräumen für die Brennstoffzellen und sucht da nach Hinweisen auf einen Sabotageakt. Die Schlangen haben damit gedroht, die Zellen in die Luft zu jagen.«

»Wonach sollen wir genau Ausschau halten, Colonel?«

»Nach Sprengladungen, Zündschnüren, Zündern, Nuklearwaffen, eben nach allem, was da nicht hingehört.«

»Sir, wir wissen nicht, was nicht in ein Brennstoffzellenlager gehört …«

Iceni schaltete sich ein und wandte sich an Rogero und Marphissa gleichzeitig. »Wir richten für Ihre Soldaten eine Verbindung zu den Ingenieuren auf den Kriegsschiffen ein. Wenn Ihre Leute da unten eingetroffen sind, können Ingenieure sich ansehen, was da nicht hingehört.«

»Verstanden«, gab Rogero zurück. »Je eher, umso besser.«

»Ich habe hier ein Gefecht auszutragen!«, fauchte Marphissa, während sie in rascher Folge Befehle eingab. »Uns bleiben noch elf Minuten bis zum Kontakt mit der anderen Flotte … jetzt nur noch zehn Minuten. Komm, verbinden Sie die Ingenieure der Schweren Kreuzer mit dem Komm-Netz der Bodenstreitkräfte. Alle anderen richten ihre Aufmerksamkeit auf die gegnerische Flotte!«

Zehn Minuten. Iceni warf einen prüfenden Blick auf ihr Display, auf dem sich die beiden Flotten diesmal in einem leichten Winkel zueinander näherten, da die andere Streitmacht es mehr auf das Schlachtschiff als auf Icenis Flotte abgesehen hatte. Das machte sie deshalb leider nicht ungefährlicher, zumal Icenis eigener Leichter Kreuzer CL-773 immer noch bemüht war, in die Formation zurückzukehren.

Weit abgeschlagen dahinter war das dem Untergang geweihte Handelsschiff zu sehen, das bereits vor Hitze glühte, während es in die oberen Schichten der Atmosphäre des Gasriesen eintauchte. Ein Teil des Schiffs brach heraus und wirbelte tiefer in die Atmosphäre, wobei es einen grellen feurigen Schweif hinter sich herzog. Iceni wandte sich von diesem Anblick ab und hoffte, dass an Bord niemand mehr lebte, der die Zerstörung dieses Schiffs mitmachen musste.

Marphissa biss sich auf die Lippe, während sie die herannahende Flotte musterte. »Solange die CL-773 fehlt, haben wir genauso viele Leichte Kreuzer wie sie, und bei den Jägern verfügen wir über einen mehr, also sieben zu sechs. Unser einziger echter Vorteil besteht darin, dass wir drei Schwere Kreuzer vorweisen können und die anderen nur einen.«

»Worauf wollen Sie hinaus?«, fragte Iceni.

»Sie hatten mir befohlen, die Zielerfassung auf die Leichten Kreuzer und den Schweren Kreuzer zu konzentrieren. Dann feuern wir aber zu breit gestreut, womit es unwahrscheinlich wird, dass wir bei diesem Vorbeiflug auch nur ein einziges Schiff zerstören können. Ich möchte das Feuer entweder auf den einzelnen Schweren Kreuzer oder die drei Leichten Kreuzer konzentrieren.«

»Das gefällt mir nicht. In jedem Fall würden Sie eine erhebliche Feuerkraft unbehelligt an uns vorbeiziehen lassen.«

»Wenn ich alle Schiffe gleichzeitig attackiere, Madam Präsidentin, wird sämtliche Feuerkraft unbehelligt bleiben.«

Untergebene erlaubten sich nicht oft Diskussionen mit CEOs, da sie zum einen um die Sinnlosigkeit eines solchen Unterfangens wussten und zum anderen kein Risiko eingehen wollten. Iceni warf Marphissa einen mürrischen Blick zu. »Mir gefällt weder die eine noch die andere Alternative.«

»Andere Alternativen haben wir nicht. Wir verfügen nicht über genügend Kriegsschiffe, um sie alle während nur eines Vorbeiflugs zu erledigen.«

»Und was schlagen Sie vor?«, wollte Iceni wissen. Ihr war durchaus bewusst, wie sich diese Unterhaltung anhören musste, da die Spezialisten auf der Brücke sich die größte Mühe gaben, alles zu vermeiden, was Icenis Aufmerksamkeit auf sie hätte lenken können. »Die Leichten Kreuzer oder der Schwere Kreuzer?«

Marphissa tippte mit dem Zeigefinger auf ihr Display. »Wir nehmen uns den Schweren Kreuzer vor. Die Schlange, die über alle anderen das Sagen hat, dürfte dort zu finden sein. Wenn wir der Schlangenstreitmacht den Kopf abschlagen, werden die anderen erst mal unter sich ausmachen müssen, wer denn nun befehlsbsefugt ist. Es könnte sogar sein, dass sie erst einmal irgendwo nachfragen, um sich Anweisungen geben zu lassen.«

»Oder sie fliegen einfach weiter und treffen das wehrlose Schlachtschiff an entscheidenden Stellen.«

»Ja, Madam Präsidentin.«

Es folgte eine frustrierte Pause. »Nehmen Sie sich den Schweren Kreuzer vor.«

»Ja, Madam Präsidentin.«

Falls die Schlangen tatsächlich die Brennstoffzellen an Bord des Schlachtschiffs so präpariert hatten, dass die explodierten, und Rogeros Soldaten diese Sabotage nicht rechtzeitig rückgängig machen konnten, dann würde das Schiff natürlich so oder so in Stücke gerissen, ohne Rücksicht darauf, wie das Aufeinandertreffen der beiden Flotten ausging. Iceni konnte sich nicht wieder bei den Soldaten einklinken, um festzustellen, welche Fortschritte die gemacht hatten, wenn gleichzeitig keine fünf Minuten mehr blieben, bis die anderen Kriegsschiffe sie erreichten.

Die Kastenformation von Icenis Flotte flog ein wenig von oben und seitlich auf die gegnerischen Schiffe zu und würde deren Formation diagonal durchqueren. Marphissa zielte genau auf den Schweren Kreuzer in der Mitte dieser Gruppe, und Iceni konnte bereits sehen, wie deren Einheiten sich zu drehen begannen, um ihnen während des Vorbeiflugs den Bug zu zeigen, ohne dabei das Schlachtschiff als eigentliches Ziel aus den Augen zu verlieren. »Kombinierte Annäherungsgeschwindigkeit liegt diesmal bei 0,16 Licht«, merkte Marphissa an. »Und es gibt nur eine geringe Ablenkung bei den Zielen. Wir dürften gute Treffer erzielen.«

»Die anderen auch«, kommentierte Iceni.

Danach gab es nichts weiter zu tun als zu warten und zuzusehen, wie die andere Flotte rasend schnell näher kam, und in einem Moment unmittelbar vor einem und im nächsten schon irgendwo weit hinter einem lag. Icenis Schwerer Kreuzer wurde von Treffern durchgeschüttelt, Sirenen ertönten und machten auf die erlittenen Schäden aufmerksam. »An alle Einheiten: Drehen Sie sofort eins drei null Grad nach Steuerbord und null sieben Grad nach oben.«

Die Flotte setzte zu einer Kurve an, um die andere Streitmacht erneut zu attackieren. Jedenfalls galt das für den größten Teil der Flotte. »CL-924 und HuK-2061 haben Schäden an den Antrieben davongetragen«, meldete der Ablauf-Spezialist.

Fast gleichzeitig erstattete der Gefechts-Spezialist über das Bericht, was ihrem eigenen Schiff zugestoßen war: »Höllenspeer-Batterie Eins ist inaktiv. Raketenwerfer Drei außer Gefecht gesetzt. Die Hülle wurde an mehreren Stellen durchdrungen, aber es sind keine maßgeblichen Systeme ausgefallen.«

»Verschließen Sie die Löcher in der Hülle«, befahl Marphissa. »Ich muss den Raketenwerfer wieder zur Verfügung haben.«

»Uns fehlen die Mittel für eine Reparatur«, erwiderte der Gefechts-Spezialist zögerlich. »Der Schaden ist zu umfangreich, da muss ein Reparaturteam ran.«

Marphissa ballte eine Faust und schüttelte den Kopf. »Wäre das hier ein Kriegsschiff der Allianz, dann hätten wir genügend Leute und Ersatzteile an Bord, um solche Schäden sofort zu beheben. Zum Teufel mit den Bürokraten des Syndikats und ihrem Kosteneffizienzdenken!«

Iceni kannte diese Mischung aus rasender Wut und Ohnmacht aus ihrer Zeit bei den mobilen Streitkräften, wenn man wegen der Reparatur eines erheblichen Schadens darauf warten musste, dass ein ziviler Unternehmer eintraf und das erledigte. »Wir können solche Dinge verändern, aber das geht alles nicht über Nacht.«

»Danke, Madam Präsidentin. Die andere Flotte muss ihr Feuer auf unseren Kreuzer konzentriert haben. Ist schon gut, dass wir ihnen bei der Zahl der Schweren Kreuzer überlegen sind.«

Schadensmeldungen über die Gegenseite, die von den Sensoren an Bord von Icenis Kriegsschiffen festgestellt wurden, kamen jetzt auch herein. Sie sah Schadensmarkierungen an dem einen Symbol aufblinken, das den einzelnen Schweren Kreuzer der Gegenseite kennzeichnete. »Wenigstens haben wir ihm mehr wehgetan als er uns.«

Die zusätzliche Feuerkraft von gleich drei Schweren Kreuzern hatte etwas bewirkt und dem feindlichen Kreuzer schwere Schäden zugefügt. »Er hat jegliche Steuerkontrolle verloren und driftet hilflos aus der Formation«, sagte der Ablauf-Spezialist.

»Aber er ist noch nicht tot.«

»Nein. Sieht ganz so aus, als wäre er über Komm noch mit dem Rest seiner Streitmacht verbunden, außerdem werden einige Waffensysteme noch als funktionstüchtig angezeigt.«

Iceni sah mit leicht zusammengekniffenen Augen Marphissa an, die nachdenklich dreinschaute und schließlich sagte: »Ich glaube, wir sollten den Schweren Kreuzer erledigen.«

»Wieso?«

»Weil wir den Rest der Flotte nicht einholen können, bevor der das Schlachtschiff erreicht. Aber wenn der Befehlshaber auf dem Schweren Kreuzer Angst genug kriegt, könnte er in Panik um Hilfe rufen und den anderen Einheiten die Umkehr befehlen, damit sie ihn retten.«

Und wieder nur unerfreuliche Alternativen, unter denen sie eine Wahl treffen mussten. »Die Leichten Kreuzer lassen sich unter keinen Umständen einholen?«, fragte Iceni nach.

»Nicht, solange sie nicht kehrtmachen.«

»Eine Möglichkeit, die Sie nicht erwähnt hatten, als Sie mich baten, das Feuer auf den Schweren Kreuzer zu konzentrieren!« Iceni versuchte Verärgerung und Frustration zu unterdrücken, da sie wusste, sie musste ihre Entscheidung schnell treffen, obwohl sie immer noch in Sorge war, was aus dem Schlachtschiff werden könnte. Ziel auf den Kopf. Wenn du mit einer Schlange zu tun hast, ziel immer auf den Kopf. »Nehmen Sie sich den Schweren Kreuzer vor. Und diesmal möchte ich ihn zerstört sehen.«

»Ja, Madam Präsidentin.« Marphissa richtete den Kurs ihrer Einheiten neu aus und beendete damit die direkte Verfolgung der verbliebenen Leichten Kreuzer und HuKs, um stattdessen auf den manövrierunfähigen Schweren Kreuzer zuzufliegen. »Zwölf Minuten bis zum Erreichen des Schweren Kreuzers.«

»Sagen Sie mir Bescheid, wenn es noch fünf Minuten sind.« Iceni widmete sich wieder dem Display, das die Aktivitäten der Soldaten zeigte.

Viele Bilder zeigten immer noch leere Korridore, ein paar ließen erschöpftes Personal der mobilen Streitkräfte in den Zitadellen der Maschinenkontrolle und der Feuerkontrolle erkennen. Die Gesichter der Leute waren immer noch von Unglauben und Freude darüber erfüllt, dass tatsächlich Rettung eingetroffen war. Rogero und einige seiner Soldaten standen unverändert vor dem Zugang zur Brücke.

Gut die Hälfte der Bilder zeigte dagegen Szenen aus den Bereichen rund um die Antriebssektionen, zum größten Teil solche, auf denen Reihen von Brennstoffzellen zu sehen waren, wobei diese Bilder immer wieder wechselten, da die Soldaten mal hier und mal dort nach Hinweisen auf irgendwelche Sabotageakte suchten.

»Ich kann hier nichts erkennen, das hier nicht hingehört«, beklagte sich eine fremde Stimme, wohl die eines Ingenieurs auf einem von Icenis Schweren Kreuzer. »Versuchen Sie was zu finden, was da fehl am Platz ist«, wies der Ingenieur die Soldaten an.

»Wie soll ich etwas finden, das fehl am Platz ist, wenn ich gar nicht weiß, was hier hingehört und was nicht?«, gab ein Soldat aufgebracht zurück.

»Halten Sie Ausschau nach etwas, das explodieren könnte.«

»Ich dachte, hier unten kann alles explodieren!«

»Kann es auch. Sie sollen etwas finden, das explodieren könnte, das aber da nicht zu finden sein sollte, damit nicht die Dinge explodieren, die zwar explodieren können, die aber trotzdem da hingehören.«

»Wie bitte?«

Rogero mischte sich ein. »Scannen Sie einfach, so viel und so schnell Sie können. Ingenieure, erzählen Sie mir, was die effizienteste Methode wäre, um die Brennstoffzellen hochgehen zu lassen. Das könnte uns helfen, die Suche etwas einzugrenzen.«

Es folgte eine Pause, während der ständig Bilder der Brennstoffzellen zu sehen waren, dann ertönte eine andere Stimme. »Wenn man sicherstellen will, dass alle Zellen hochgehen, dann muss man dafür sorgen, dass sie nicht nur aufgerissen werden, sondern dass es sie heftig genug erwischt, damit sie auch detonieren.«

»Und was wäre dafür nötig?«, fragte Rogero.

»Nun … ein Nuklearsprengkopf mit mindestens zehn Kilotonnen.«

»Nuklearwaffen könnten wir feststellen, aber hier unten ist nichts in der Art zu finden.«

»Dann … oh, Moment. Wonach wir suchen müssen, befindet sich gar nicht unmittelbar bei den Brennstoffzellen.«

Ein weiterer Ingenieur mischte sich ein: »Meinst du etwa eine Resonanzzündung?«

»Ja, das würde vollkommen reichen.«

»Das ist ja wohl offensichtlich«, meldete sich ein dritter Ingenieur zu Wort. »Wenn man die Berechnungen …«

»Wo – müssen – wir – suchen?«, ging Rogero dazwischen und schrie die Leute fast an.

»An der Primärzuleitung für die Brennstoffzellen. Wenn man die Zuleitung so einstellt, dass sämtliche Energie gleichzeitig und vollständig abgegeben wird, anstatt das gleichmäßig zu machen und exakt zu überwachen, dann kommt es zu einem Rückstoß in den Lagerraum der Brennstoffzellen, durch den die restlichen dort gelagerten Zellen zur Explosion gebracht werden. Dabei wird dann das gesamte Heck des Schlachtschiffs weggeblasen, sofern es nicht vorher zu einer Überladung der Hauptantriebseinheit kommt, bei der …«

»Begebt euch zu dieser Zuleitung«, forderte er seine Soldaten auf. »Sie da in der Maschinenkontrolle, ich benötige eine Softwareüberprüfung, ob die Schlangen irgendwelche Viren in den Regulierungssystemen für die Antriebseinheiten oder für den Energiekern hinterlassen haben.«

»Aber, Colonel«, wandte einer der Soldaten ein. »Die Schlangen haben gesagt, dass die Brennstoffzellen …«

»Wiederholen Sie den Satz und stellen Sie fest, wo der Fehler liegt! ›Die Schlangen haben gesagt.‹ Heißt das nicht, dass die Wahrheit zwangsläufig alles andere ist, nur nicht das, was sie gesagt haben?«

»Fünf Minuten, Madam Präsidentin.«

Iceni zuckte zusammen und richtete ihre Konzentration wieder auf die Brücke des Schweren Kreuzers. Drakon hatte offenbar richtig gelegen, was Rogeros Führungsqualitäten anging. »Es könnte sein, dass wir das Schlachtschiff doch noch retten können.«

»Was?«, fragte Marphissa erschrocken. »Ist irgendwas …?«

»Nicht so wichtig. Wo ist der Rest der gegnerischen Flotte?«

»Hier.« Die fragliche Flotte leuchtete auf Icenis Display heller auf, die Vektoren führten unweigerlich auf das Schlachtschiff zu. »In vierzehn Minuten können sie das Feuer auf das Schlachtschiff eröffnen. Ich habe die Shuttles gewarnt, damit sie sich auf die andere Seite des Schiffs zurückziehen, wo sie nicht beschossen werden können.«

»Gut.« Der Kurs der eigenen Formation beschrieb eine Kurve und hatte genauso beharrlich den Schweren Kreuzer zum Ziel.

»Vom beschädigten Kreuzer starten Rettungskapseln«, meldete der Ablauf-Spezialist. »Eine, zwei … und eine dritte.«

Marphissa zog verwundert die Brauen zusammen. »Nur drei? So viele Besatzungsmitglieder können wir unmöglich getötet haben.« Rote Gefahrensymbole leuchteten auf den Displays auf. »Was? Der Kreuzer feuert seine noch funktionstüchtigen Höllenspeere ab? Wir sind doch noch viel zu weit … verdammt! Die zielen auf ihre eigenen Rettungskapseln!«

»Wer ist in den Kapseln?«, wollte Iceni wissen. »Schlangen oder Crewmitglieder, die den Schlangen entkommen wollen?«

»Noch drei Rettungskapseln werden ausgestoßen.«

»Eine der Kapseln meldet sich«, rief der Komm-Spezialist. »Kommodor, sie sagen, sie gehören zur Crew und versuchen zu entkommen, um sich ergeben zu können. Die Schlangen kontrollieren die Brücke.«

Marphissa sah zu Iceni. »Ist das wirklich die Crew? Oder wollen die Schlangen entkommen? Auf wen sollen wir zielen?«

»Auf den Kreuzer. Wenn sich an Bord der Rettungskapseln doch Schlangen befinden sollten, können wir sie später immer noch erledigen.«

»Und wenn der Kreuzer tatsächlich von der restlichen Crew kontrolliert wird?«

»Dann haben diese Leute bedauerlicherweise mit ihrer Revolte etwas zu lange gewartet.« Iceni redete in frostigem Tonfall, um ihr Unbehagen zu überspielen. Ich muss jetzt entscheiden, und ich kann nur hoffen, dass ich richtig liege.

»Eine Minute bis zum Erreichen des Schweren Kreuzers.«

Marphissa betätigte eine Kontrolle. »Alle Waffen erfassen den Kreuzer. Diesmal wollen wir ihn erledigen«, wies sie tonlos an.

Die Flotte zuckte an dem Schweren Kreuzer vorbei, Höllenspeere und Kartätschen donnerten in das beschädigte Kriegsschiff, und als es bereits weit hinter Icenis Schiffen zurückgefallen war, sah sie auf ihrem Display ein Symbol aufleuchten. »Wir haben deren Energiekern zur Detonation gebracht. Waren die Rettungskapseln weit genug entfernt, um die Explosion zu überstehen?«

»Ja, allerdings haben sie ein paar Schäden davongetragen.«

»Damit werden sie erst mal leben müssen. Nein, schicken Sie den beschädigten Leichten Kreuzer und den beschädigten Jäger hin, um die Rettungskapseln einzusammeln«, ordnete Iceni an. »Das können die beiden erledigen. Der Rest kehrt zum Schlachtschiff zurück.«

Die andere Flotte steuerte noch immer auf das Schlachtschiff zu, aber in wenigen Augenblicken würde sie das Schicksal des Schweren Kreuzers sehen können. Während Iceni überlegte, wie viel Schaden die leichten Eskorten einem Schlachtschiff zufügen konnten, dessen Schilde nicht arbeiteten, betätigte sie die Komm-Taste. »An alle Einheiten in der Flotte, die sich momentan dem Schlachtschiff nähert, hier spricht Präsidentin Iceni. Seien Sie gewarnt, dass meine Streitkräfte die Kontrolle über das gesamte Schlachtschiff übernommen haben. Ein Teil der Waffensysteme ist einsatzbereit.« Es war nichts weiter als ein Bluff, da es den Soldaten wahrscheinlich nicht gelingen würde, auch nur eine der funktionstüchtigen Höllenspeerbatterien rechtzeitig abzufeuern, um eines der herannahenden Kriegsschiffe zu treffen. »Alle Schlangen an Bord sind tot. Ihr Flaggschiff wurde zerstört. Jede Einheit, die den Angriff abbricht, wird von mir verschont werden. Hören Sie auf, für die Syndikatwelten zu kämpfen. Diese Regierung ist gescheitert. Kämpfen Sie lieber für sich selbst. Für das Volk. Iceni, Ende.«

Dann wartete sie, dass die sich mit Lichtgeschwindigkeit verbreitende Nachricht die andere Flotte erreichte, die ihrerseits nur noch wenige Minuten vom Schlachtschiff entfernt war. Und sie wartete, dass das Licht jedweder Reaktion dieser Flotte zu ihr zurückkehrte.

Auf einmal sah sie, wie die Leichten Kreuzer aus der gegnerischen Formation ausscherten und Kurs auf den freien Raum nahmen.

»Das hat sie wohl aufhorchen lassen«, kommentierte Marphissa grinsend. »Und da verabschieden sich noch ein paar.«

»Drei Jäger verlassen den Kurs ihrer Formation«, berichtete der Ablauf-Spezialist. »Mit Blick auf die zeitlichen Abweichungen scheinen sie nicht aufeinander abgestimmt zu handeln.«

Schließlich änderten auch die noch verbliebenen zwei Leichten Kreuzer und drei Jäger ihre Flugbahn und flogen eine Kurve nach oben, um nicht in Feuerreichweite des Schlachtschiffs zu gelangen. Als sie weit genug vom Gasriesen entfernt waren, spalteten sich ein Leichter Kreuzer und ein Jäger von der Gruppe ab, sodass von der ursprünglichen Formation nur noch ein Leichter Kreuzer und zwei Jäger übrig waren, die Kurs auf Kane zu nehmen schienen. »Der zweite Planet«, sagte Marphissa. »Das wird ihr Ziel sein.«

»Warum fliegen sie dorthin zurück?«, überlegte Iceni.

»Weil sich auf dem Planeten vermutlich ein paar hochrangige Schlangen aufhalten, die gern evakuiert werden möchten.« Sie wandte sich an den Komm-Spezialisten: »Versuchen Sie Kontakt mit den Leichten Kreuzern oder den Jägern aufzunehmen, die die Formation verlassen haben. Sollen wir weiter Kurs auf das Schlachtschiff halten, Madam Präsidentin?«

»Ja. Sorgen Sie dafür, dass der Leichte Kreuzer und der Jäger, die unsere Rettungskapseln einsammeln, sich auf alles gefasst machen sollen. Ich will wissen, wer tatsächlich in diesen Rettungskapseln steckt. Wenn es sich um Schlangen handelt, könnten sie durchaus bewaffnet sein.« Sie drehte den Kopf, um einen Blick auf das Bild zu werfen, das von Rogeros Rüstung übertragen wurde. »Colonel, Statusbericht.«

»Wir haben die Stelle gefunden, an der die Zuleitung zu den Brennstoffzellen manipuliert worden ist. Hätten wir versucht, es von der Stelle zu bewegen, wäre dem Schiff der Hintern weggesprengt worden, wenn ich das so sagen darf.«

»Aber die Gefahr besteht jetzt nicht mehr?«

»Es besteht keine unmittelbare Gefahr, dass das Schlachtschiff explodiert, Madam Präsidentin. Aber wir haben noch keine Kontrolle über das Schiff, weil die Brücke nach wie vor versiegelt ist. Sie machen uns nicht auf, weil sie es für einen Trick der Schlangen halten. Man kennt Sie von Ihren Übermittlungen, und sie sagen, wenn Sie hier auftauchen, werden sie davon überzeugt sein, dass wir tatsächlich alles von den Schlangen gesäubert haben und sie den Zugang zur Brücke freigeben können.«

Das war zwar lästig, aber … »Ist es sicher für mich, an Bord zu kommen?«

»Nicht restlos. Das interne Überwachungssystem ist eine Katastrophe, und alles, was noch funktioniert, läuft über die Brücke. Aber wenn sich irgendwo noch ein paar Schlangen im Gebüsch versteckt halten sollten, werden wir Sie vor ihnen beschützen können.«

»Also gut. Wir bringen die C-448 in der Nähe des Schlachtschiffs zum relativen Halt, dann bringt mich ein Shuttle rüber zu Ihnen.«

Es war kaum zu glauben, dass die Gefahr wirklich gebannt war. Die andere Flotte war besiegt worden, der größte Teil der Einheiten weigerte sich, noch länger gegen sie zu kämpfen, stattdessen versuchten die überlebenden Offiziere und Crewmitglieder herauszufinden, was Iceni hier bei Kane vorhatte. Sie würde das vorübergehend von Marphissa erledigen lassen, da es wichtiger war, auf die Brücke des Schlachtschiffs zu gelangen.

Iceni verließ das Shuttle, durchquerte die Luftschleuse und betrat das Deck des Schlachtschiffs. Ihres Schlachtschiffs. Der Shuttlehangar an Bord war noch nicht einsatzbereit, also musste man sich mit Zugangsröhren und Luftschleusen behelfen. Als Kriegsschiff war das Schlachtschiff quasi noch im Rohbau, aber es stellte auch die beste Verteidigungseinheit dar, die sie bekommen konnte.

Colonel Rogero wartete bereits auf sie und sah den Korridor entlang, als sie durch die Luftschleuse kam und vor ihm stehen blieb. Er setzte zum Salut an, aber dann riss er auf einmal seine Waffe hoch und begann zu schießen.

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